Prof. Dr. Volker Epping, Präsident der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität und Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts, stellte einleitend die Bedeutung der Exportkontrolle für die Wissenschaft dar. Durch diese Regelungen erführen die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 GG verankerte Wissenschaftsfreiheit ebenso wie die verfassungsrechtlich abgesicherte Außenwirtschaftsfreiheit1 ihre Schranken.
Relevant werde die Exportkontrolle in jedem Bereich der Wissenschaft, was für die Betroffenen nicht immer intuitiv erkennbar sei. Verstöße gegen das Exportkontrollrecht führten im Einzelfall zu strafrechtlichen Sanktionen, weshalb gute Kenntnisse in diesem Bereich speziell für die jeweilige Institutsleitung als Ausfuhrverantwortliche2 unentbehrlich seien. Epping erklärte als Ziel der Veranstaltung, Einblicke in die Grundzüge des Exportkontrollrechts zu vermitteln und anhand praktischer Beispiele Hilfestellungen für den Umgang mit dem Regime zu geben.
I. Grundlagen des deutschen und europäischen Exportkontrollrechts
Einführend betonte Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang, Direktor des Instituts für Zoll- und Außenwirtschaftsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die Notwendigkeit der Etablierung eines Exportkontrollmechanismus in wissenschaftlichen Einrichtungen. Stets bestünde die Möglichkeit einer Außenwirtschaftsprüfung, es drohten Straf- oder Bußgeldverfahren sowie Reputationsschäden. Zugleich gingen mit der Exportkontrolle aber auch Sicherheitsaspekte einher, indem Wissen und Technologie vor Missbrauch geschützt werden würden. Anschließend stellte Wolffgang die wesentlichen Strukturen des Exportkontrollrechts auf europäischer und deutscher Ebene dar.
- Ziele und Rechtsrahmen der Exportkontrolle
Die Exportkontrolle verfolge unterschiedliche Ziele: Mit der Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und konventionellen Rüstungsgütern werde die Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen sowie die Gewährleistung der Sicherheit der Europäischen Union einschließlich ihrer Mitgliedstaaten und Bürger bezweckt. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Universitäten müsse etwa berücksichtigt werden, dass nicht all diese in einer Weise wie die deutschen Einrichtungen abgesichert seien. Ferner solle das friedliche Zusammenleben der Völker ebenso wie der Zweck erreicht werden, Konfliktstärkung in Krisengebieten zu verhindern. Die Exportkontrolle diene ferner dem Schutz vor Terrorismus, der Einhaltung von Menschenrechten und letztlich auch der Durchsetzung politischer und ökonomischer Ziele.
Diese Ziele könnten durch Bedrohungslagen insbesondere im Bereich von Waffen und der Trägertechnologie sowie im Bereich des Terrorismus konterkariert werden. Entsprechende Bedrohungen ergäben sich speziell unter Berücksichtigung der großen Reichweite russischer Raketen sowie der zahlreichen aktuellen Kriege und Konflikte weltweit, wie dem russischen Angriff auf die Ukraine3. Bedrohungen gingen auch von Chinas deklariertem Anspruch auf Taiwan4 aus, wobei sich entsprechende Konflikte vom regionalen auf weltweite Bereiche ausweiten könnten.
Angesichts dieser Hintergründe verdeutlichte Wolffgang die Relevanz der Zusammenarbeit im ExportkontAntonia
Hagedorn
Wissenschaft und Exportkontrolle
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen
Wissenschaftsrechts e.V. am 27. April 2023
1 Grundlegend Epping, Die Außenwirtschaftsfreiheit, Tübingen 1998.
2 Vgl. aktuell auch Ossenkopp/Wien, Der Ausfuhrverantwortliche in der Wissenschaft, Eigenschaft des Ausfuhrverantwortlichen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen, AW-Prax 2023, 157 (157 ff.).
3 S. aktuell im Kontext der Sanktionen gegenüber Russland Schöffski, Sanktionen gegenüber Russland und Belarus: Is t der „Ausfuhrverantwortliche“ auch für die Einhaltung von import- und einkaufsrelevanten Sanktionen verantwortlich?, CCZ 2023, 115 (115 ff.).
4 Hierzu s. Deutscher Bundes tag, Wissenschaftliche Diens te, Kurzinformation, Zum Herrschaftsans pruch der Volksrepublik China über Taiwan, WD 2 – 3000 – 063/22 (30.8.2022), https://www.bundes tag.de/resource/blob/913192/5449ed870b974dd3543e235bda193df5/WD‑2–063-22-pdf-data.pdf (zul. aufg. am 1.5.2023).
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
1 8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
5 Vgl. Kloke, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Weltgesetzgeber
– eine kritische Betrachtung aus völkerrechtlicher Sicht,
Berlin 2016.
6 Diesbezüglich vgl. die näheren Informationen des BAFA, Informationen
zum Embargo gegen die Islamische Republik Iran, https://
www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/
Iran/iran_node.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
7 S. Zimmermann/Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des
Sicherheitsrats, Resolution 1540 und abs trakte Bedrohung des
Weltfriedens, Vereinte Nationen 3/2004, 71 (71 ff.).
8 Krapp/et al., Das bleibt von Viessmann nach dem Verkauf an den
US-Konzern, Handelsblatt v. 28.4.2023, https://www.handelsblatt.
com/unternehmen/mittels tand/familienunternehmer/waermepumpen-
deal-das-bleibt-von-viessmann-nach-verkauf-an-den-uskonzern/
29113834.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
9 S. zur Prüfungsankündigung Habecks Olk, Habeck kündigt Prüfung
von Viessmann-Verkauf an, Handelsblatt v. 26.4.2023, https://
www.handelsblatt.com/politik/deutschland/waermepumpen-dealhabeck-
kuendigt-pruefung-von-viessmann-verkauf-an/29115556.
html sowie zur Stellungnahme des Bundeskanzlers Scholz Welt v.
26.4.2023, https://www.welt.de/wirtschaft/article245005826/Kanzler-
Scholz-sieht-Verkauf-von-Viessmann-Heizungss parte-grundsaetzlich-
positiv.html (jew. zul. aufg. am 1.5.2023). Anwendung
findet hier das sog. sektorübergreifende Inves titions prüfverfahren
gem. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 4a, 5 Abs. 2 AWG i.V.m. §§ 55 ff. AWV
(vgl. weiterführend Hagedorn, Die Beschränkung ausländischer
Direktinves titionen in sicherheitsrelevante zivile Unternehmen,
Berlin 2023 [im Erscheinen]; Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWRKommentar,
Stand: 2022).
10 Vgl. zur Verlängerung der unionalen Sanktionen jüngs t Redaktion
AW-Prax, Sanktionen gegen Russland I, EU verlängert Beschluss
zu den Res triktionen gegenüber den russisch kontrollierten Gebieten
in der Ukraine, AW-Prax 2023, 87 (87) m.w.N.
rollrecht, die sich in einer Gemengelage von Regelungen
auf drei Ebenen äußerte: Auf internationaler Ebene veröffentlichte
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen5
Beschlüsse wie die Anordnung von Embargos etwa gegen
den Iran6. Ferner seien die UN-Resolution 1540 zum
Kampf gegen Terror7 ebenso wie Terroristenlisten zu berücksichtigen.
Hierneben seien internationale Verträge
wie etwa der Vertrag über die Nichtverbreitung von
Atomwaffen, das Chemie- und das Biowaffenübereinkommen
relevant. Außerdem finde eine internationale
Zusammenarbeit mit Soft-Law Regimen wie der Nuclear
Suppliers Group, der Australia Group, dem Missile Technology
Control Regime und dem Wassenaar Arrangement
statt. Schließlich sei im internationalen Bereich
auch die Weltzollorganisation von Bedeutung.
Auf Europäischer Unionsebene kämen Verordnungen
wie insbesondere die EU-Dual-Use-VO zur Anwendung;
im nationalen Recht finde die Exportkontrolle ihren
Ausdruck im deutschen KrwaffKontrG, dem AWG
und der AWV. All jene Vorschriften enthielten als Ausnahmen
zur Außenwirtschaftsfreiheit Verbote und Genehmigungsvorbehalte;
als mögliche Rechtsfolgen kämen
im Einzelnen eine Zulässigkeit der beabsichtigten
Aktivität (mit Genehmigung) sowie ein Verbot in
Betracht.
In Bezug auf außenwirtschaftliche Beschränkungen
auf nationaler Ebene nannte Wolffgang als aktuelles Beispiel
den beabsichtigten Verkauf des Kerngeschäfts Wärmepumpen
des Energieherstellerunternehmens Viessmann
an das US-amerikanische Unternehmen Carrier8,
der auf Grundlage der in AWG und AWV verankerten
Regelungen durch das BMWK geprüft wird.9 - Anknüpfungspunkte der Exportkontrolle
Sodann stellte Wolffgang die zahlreichen Anknüpfungspunkte
der Exportkontrolle dar. Entscheidend sei zunächst
die Frage, welche Güter betroffen sind. Hier würde
zwischen verkörperten Waren sowie einer jeweils in
Speichermedien verkörperten Technologie und Software
unterschieden. Maßgeblich für die Exportkontrolle seien
insbesondere Kriegswaffen, Rüstungs- und Dual-Use-
Güter. Während erstere beide lediglich national gelistet
seien, erführen Dual-Use-Güter auch eine Listung auf
Europäischer Unionsebene. Außerdem werde auf Unionsebene
an einzelne Länder angeknüpft, indem einerseits
gegen bestimmte Länder ein Total‑, Teil- oder ein
Waffenembargo erlassen werde. Als Waffenembargoländer
seien insbesondere
China, der Iran und Russland10
beachtlich. Andererseits würden bestimmte Länder auch
als sensitiv gem. Art. 4 Dual-Use-VO eingestuft. Seien
Dual-Use-Güter nicht bereits in einer Liste aufgeführt,
dann finde eine verwendungsbezogene Kontrolle in
Bezug auf militärische Zwecke statt, sofern die Güter in
bestimmte Länder gem. Art. 4 EU-Dual-Use-VO i.V.m.
Länderlisten oder gem. § 9 AWV ausgeführt werden sollen.
In diesem Fall werde eine Kenntnis des Ausführers
von der spezifischen Verwendungsabsicht verlangt (sog.
Verwendungsbezug).
Weiterer Anknüpfungspunkt der Exportkontrolle
seien Technologien, also spezifisches technisches Wissen,
welches für die Entwicklung, Herstellung und Verwendung
von Gütern notwendig sei. Entwicklung meine
hierbei alle Stufen der Serienfertigung und Herstellung
all jene der Fabrikation, wohingegen Verwendung die
Bereiche Betrieb, Wartung, Reparatur, Überholung und
Wiederaufbereitung bedeute. Der untersuchte Technologietransfer
erfasse technische Unterlagen, die in
Schriftform oder auf einem sonstigen Medium verkörpert
sind. Die Ausfuhr dieser Unterlagen unterliege der
Güterkontrolle. Bedeutsam sei daneben aber auch der
Transfer technischer Unterstützung, worunter geistige
oder manuelle Dienstleistungen gem. Art. 2 Nr. 9
EU‑Dual‑Use‑VO, § 2 Abs. 16 AWG gefasst werden.
Hiervon würde die Ausbildung, Beratung und WeitergaHagedorn
· Wissenschaft und Exportkontrolle 1 8 3
11 Vgl. auch das Handbuch der BAFA, Exportkontrolle und Academia, - Auflage, Berlin 2022. S. weiterführend dass., Exportkontrolle
in Forschung und und Wissenschaft, https://www.bafa.de/
SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_aca_broschuere_
awareness.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zul. aufg. am
1.5.2023).
be von Informationen unabhängig von der Frage betroffen,
ob sie mündlich, fernmündlich oder elektronisch erfolge.
Wolffgang betonte, dass somit unter Umständen
auch der alltägliche E‑Mail-Verkehr betroffen sein kann.
Die Weitergabe technologischer Informationen sei
grundsätzlich immer dann genehmigungspflichtig,
wenn auch ein vergleichbarer Güterexport genehmigungspflichtig
wäre. Dies veranschaulichte Wolffgang am
Beispiel eines Panzerexports: Sei seine Ausfuhr nicht erlaubt,
so dürfe man auch keine Informationen bezügliche
dessen Entwicklung und Herstellung weitergeben.
Als Ausnahme seien allerdings allgemein zugängliche
Informationen sowie Fragen der wissenschaftlichen
Grundlagenforschung vom Verbot ausgenommen.
Letztlich unterstrich Wolffgang nochmals, dass der Ort
der technischen Unterstützung unerheblich ist. Die Beschränkungen
der Exportkontrolle fänden demnach für
Deutsche weltweit Anwendung, wenn sie Gebietsfremde
außerhalb Deutschlands oder der Europäischen Union
unterstützten.
Zuletzt knüpfe die Exportkontrolle an bestimmte
Personen und Organisationen an. Es erfolge eine Listung
durch die Vereinten Nationen, die mit unionsrechtlichen
Verordnungen umgesetzt werden, oder allein eine Listung
der Europäischen Union. Gelistet würden insbesondere
Kriegsverbrecher, Terroristen und politisch Verantwortliche.
In der Rechtsfolge würden Gelder und
wirtschaftliche Ressourcen dieser Personen oder Organisationen
eingefroren, ihnen dürften also weder direkt
noch indirekt Gelder zur Verfügung gestellt werden. In
diesem Bereich entfalteten die Kontrollvorschriften eine
unionsweite Geltung, sodass in der Wissenschaft etwa
keine Aufträge von diesen Personen angenommen werden
dürften.
II. Praxisbeispiele zum Themenfeld „Exportkontrolle
und Wissenschaft (Academia)“
Volker Anders, Unterabteilungsleiter im Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), und Dr. Marius
Siebers, Technisches Referat im BAFA, stellten in
ihrem nachfolgenden Impulsvortrag aus der behördlichen
Sicht die Bedeutung der Exportkontrolle für die
Wirtschaft dar.11 Zu berücksichtigen sei für die Wissenschaft
insbesondere, dass auch die zivile Ausrichtung der
Forschungs- und Tätigkeitsbereiche nicht die Exportkontrolle
ausschließt; allein das objektive Missbrauchspotenzial
sei entscheidend. Der Kontrollmechanismus
greife demnach auch, wenn mit der Forschung
ein „hehres“ Ziel, beispielsweise die Entwicklung eines
Impfstoffs, verfolgt werde.
Im Rahmen einzelner Forschungsbereiche sei beachtlich,
dass jedem ein eigenes Missbrauchspotenzial
immanent ist. So führte Anders für den Bereich der Biotechnologie
etwa die Vogelgrippe und für den Bereich
der Luft- und Raumfahrttechnik die Zusammenarbeit
mit ausländischen Forschern, die selbst im Rüstungsbereich
tätig sind, auf. - Anwendungsbereich der Exportkontrolle und Listung
Anders nahm die Ausfuhr eines in Anhang I der
EU‑Dual-Use-VO gelisteten Prototyps zum Anlass für
ein praktisches Beispiel der Exportkontrolle gem.
Art. 3 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO. Relevant sei, dass der
Prototyp aus technischer Sicht von einer Position des
Anhang I der E‑U-Dual-Use-VO erfasst ist und dass dieser
in ein Land außerhalb der EU mitgenommen wird.
Damit liege eine genehmigungspflichtige Ausfuhr vor.
Auf Zweck und Dauer der Ausfuhr komme es nicht an.
Als weiteres Beispiel nannte Anders die Übersendung
einer E‑Mail an einen Wissenschaftler in einem Land außerhalb
der EU, in der ausführlich die Forschung zu einer
in Anhang I der EU-Dual-Use-VO genannten Technologie
erläutert wird. Hier liege ebenfalls eine genehmigungspflichtige
Ausfuhr vor, weil wie in Beispiel 1 ein gelistetes
Gut in ein Drittland ausgeführt würde. Irrelevant
sei, in welcher Art und Weise die Technologie übermittelt
wird. Die Übertragung von Technologien mittels
elektronischer Medien bzw. das Einräumen von Zugriffmöglichkeiten
auf Server sei der Ausfuhr in körperlicher
Form gleichgestellt.
Sodann erläuterte Siebers die Listung bestimmter
Güter und ihre Struktur im Rahmen des Anhangs I der
EU-Dual-Use-VO am Exempel der Fließdrückmaschine
(Listung: 2B009). Diese Listung setze sich aus der Kategorie
(2: Werkstoffbearbeitung), der Gattung (B: Prüf‑,
Test- und Herstellungsausrüstung) und der Kennung
(0xx: Wassenaar Arrangement [WA]) zusammen. - Anwendungsbereich konkret im Rahmen der Technologiekontrolle
Siebers fuhr in seinem Impulsvortrag mit einer näheren
Erläuterung der Technologiekontrolle fort. In diesem
Bereich sei das weite Spektrum von offensichtlich nicht
1 8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
12 Vgl. auch BAFA, Merkblatt Firmeninterne Exportkontrolle (ICP), - Aufl. 2022, https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/
Aussenwirtschaft/afk_merkblatt_icp.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
13 S. weiterführend Urso, Step-by‑s tep: Ers tellung und innerbetriebliche
Implementierung eines Internal Compliance Programme
(ICP) im Bereich Zoll- und Exportkontrolle, CB 2016, 344 (344 ff.);
Wolffgang/Witte, Compliance in der Exportkontrolle, Herausforderungen
für Unternehmen und Verantwortliche im grenzüberschreitenden
Wirtschaftsverkehr, CB 2015, 138 (138 ff.).
kontrollierter und offensichtlich kontrollierter Technologie
maßgeblich. Erstere liege etwa vor bei einem Bachelorstudiengang
in nicht technischen oder mathematischen
Fachrichtungen. Eine offensichtlich kontrollierte
Technologie sei gegeben, wenn an einem Forschungsvorhaben
gearbeitet werde, in dem gelistete Güter weiterentwickelt
werden.
Zwischen den beiden eindeutig bestimmbaren Bereichen
befände sich eine Grauzone. Diesbezüglich habe im
Einzelfall eine genauere Abgrenzung zu erfolgen, bei der
zunächst eine Vorprüfung dahingehend erforderlich sei,
ob eine offensichtlich nicht kontrollierte Technologie
vorliegt. Wäre dies abzulehnen, dann erfolge eine Abgrenzung
zu offensichtlich kontrollierten Technologien
anhand folgender Kriterien: Maßgeblich sei insoweit der
Bezug der Technologie zur Güterliste, die Detailtiefe des
zum Transfer beabsichtigten Wissens und das Vorliegen
einer Grundlagenforschung. Sofern ein Bezug zu den
Güterlisten bestünde, keine wissenschaftliche Grundlagenforschung
vorliege und die Arbeiten nicht umfassend
veröffentlicht seien, sollte ein Dialog mit dem BAFA angestrebt
werden, um die Exportkontrollrelevanz zu
klären.
In diesem Kontext nannte Siebers als erstes Praxisbeispiel
den vorübergehenden Export einer Multicopter-
Drohne nach Südafrika, um dort Agrar-Projekte vor Ort
bei ihren Luftaufnahmen zu unterstützen. Als technische
Daten hat die Drohne ein Gewicht von 907 g, maximale
Flugzeit von 31 Minuten, maximalen Windwiderstand
von 29–38 km/h, sie kann autonom fliegen und ist im
Einzelhandel erhältlich. Hier handele es sich um keine
offensichtlich nicht kontrollierte Technologie. Die Drohne
weise keinen Bezug zur Güterliste, insbesondere nicht
zu 9A012 Anhang I EU-Dual-Use-VO auf, da ihr Windwiderstand
zu gering ist. Ebenso seien die Merkmale von
9A112 Anhang I EU-Dual-Use-VO nicht erfüllt. Demnach
handele es sich um keine offensichtlich nicht kontrollierte
Technologie.
Als zweites Praxisbeispiel erläuterte Siebers die Weiterentwicklung
einer Virus-Kultivierungsmethode. Ein
Forscher aus Deutschland arbeitet mit einem Forscher
aus Indien zusammen an der Entwicklung einer neuen
Kultivierungsmethode für das Nipah-Virus. In diesem
Kontext übersendet er seine Forschungsergebnisse
an
den indischen Forscher per E‑Mail. Eine offensichtlich
nicht kontrollierte Technologie liege nicht vor. Das Nipah-
Virus werde speziell in 1C351 a) Nr. 35 Anhang I
EU‑Dual-Use-VO und die Technologie in 1E001 Anhang
I EU-Dual-Use-VO gelistet. Da die Forschungsergebnisse
nicht allgemein zugänglich oder Teil der
Grundlagenforschung seien, werde gem. Art. 3 Abs. 1
EU-Dual-Use-VO eine Genehmigung benötigt. Folglich
sei das BAFA zu kontaktieren. - Internal Compliance Programme12
Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass ein Internal
Compliance Programme (ICP) im Bereich der
Exportkontrolle einzurichten ist. Dieses könne in das
Compliance-Management-System (CMS) der wissenschaftlichen
Einrichtung eingebettet werden. In diesem
Programm müsse die Sonderverantwortung des Ausfuhrverantwortlichen
berücksichtigt werden, der für die
Einhaltung der Exportkontrollvorschriften und die Etablierung
eines ICP persönlich verantwortlich sei.13
III. Best-Practice-Beispiele
Auf Grundlage der vorstehenden theoretischen Grundlagen
der Exportkontrolle konnte diese im zweiten Teil
der Veranstaltung aus praktischer Sichtweise ihrer
Handhabung an zwei wissenschaftlichen Einrichtungen
näher erläutert werden. Neben der personellen Organisation
des jeweiligen Exportkontrollmechanismus wurde
auch ihre fachliche Strukturierung intensiv behandelt. - Exportkontrolle an der Rheinisch-Westfälischen
Technischen Hochschule Aachen
Nicolas Lunz, Sachgebietsleiter Außenwirtschaftsrecht
und Exportkontrollbeauftragter der Rheinisch-Westfälischen
Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, hat
das ICP an seiner Hochschule entwickelt, mit aufgebaut
und hat hier bislang zwei Außenwirtschaftsprüfungen
miterlebt. Lunz stellte die Beobachtung auf, dass die
Exportkontrolle neben den bereits genannten Gefahren
für die wissenschaftliche Einrichtung auch positive
Aspekte mit sich bringen kann, denn ein gutes internes
Konzept sei geeignet, Marketingeffekte für Drittmittelgeber
zu implizieren.
Lunz erläuterte sodann die nähere Ausgestaltung des
ICP der RWTH Aachen. Personell sei die Exportkontrolle
dergestalt aufgebaut, dass ein AusfuhrverantwortliHagedorn
· Wissenschaft und Exportkontrolle 1 8 5
cher an der Spitze und darunter ein Exportkontrollbeauftragter
in der Zentralen Hochschulverwaltung steht.
Aufgaben des Exportkontrollbeauftragten seien im Einzelnen
Information, Schulung, Beratung, Service, Organisation
und auch die Exportkontrolle als rechtliche
Prüfung konkreter Sachverhalte wie etwa von Verträgen
mit Vertragspartnern aus Drittstaaten.
Beachtung finde hier vordergründig die besondere
Sensibilisierung der einzelnen Mitarbeiter. Es sei unmöglich,
jeden einzelnen als exportkontrollrechtlich
eventuell relevanten Vorgang zu untersuchen. Vielmehr
würden Hinweise in Bezug auf relevante Vorgänge, insbesondere
betreffend die Versendung von Gütern und
speziell Rüstungsgütern in Drittländer, die Mitnahme
von Gütern im Reisegepäck sowie die digitale Übertragung
gelisteter Software bzw. Technologie in Drittländer,
erteilt. Die Sensibilisierung erfolge auf unterschiedliche
Art und Weise anhand von Erklärvideos, Merkblättern,
internen Schulungen oder Onboarding-Gesprächen mit
neuen Dozenten. Für Lehrstühle mit einer besonders hohen
Exportkontrollrelevanz,
etwa demjenigen für Luftund
Raumfahrt, werden individuelle Institutsschulungen
angeboten.
Eine vorherige Kontrolle werde hingegen
vornehmlich bei besonders kritischen Aktivitäten wie
der Versendung von Gütern in Drittstaaten Prüfung vorgenommen.
Hierfür werde ein bestimmtes Formular bereitgestellt,
das im Einzelfall auszufüllen sei.
Schließlich betonte Lunz das Zusammenspiel von Exportkontrolle
und Due-Diligence-Prüfung. In der
RWTH sei es üblich, dass nach einer Untersuchung der
rechtlichen Zulässigkeit in Bezug auf das Exportkontrollrecht
auch die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den
politischen und ethisch-moralischen Vorstellungen der
Hochschule geprüft werde. - Exportkontrolle am Forschungszentrum Jülich
Jochen Kuck, Rechtsanwalt und Beschäftigter im Forschungszentrum
Jülich, beschrieb einleitend die langjährige
große Bedeutung des Außenwirtschaftsrechts für
seine Einrichtung. Diese sei eine ehemalige Kernforschungsanlage
mit den Forschungsschwerpunkten Information,
Energie und Bioökonomie. Er nahm noch
einmal näher auf die Eingliederung der Exportkontrolle
in die Struktur des Risikomanagements Bezug, der
neben den Bereichen der Informationssicherheit, der
geschäftspolitisch-strategischen Ebene sowie der Ethik
eine erhebliche Relevanz zukomme.
Im Forschungszentrum Jülich sei dessen administrativer
Geschäftsführer Ausfuhrverantwortlicher i.S.d. Exportkontrolle.
Darunter untergliedere sich die personelle
Zuständigkeit in zwei Säulen: Dem Ausfuhrverantwortlichen
sei der Geschäftsbereich Rechte und Patente
unterstellt, der den Fachbereich Recht impliziert. Hier
werden Fragen des Personals, der Kooperation, Publikation
und speziell des US-Rechts bearbeitet. Als zweite
Säule unterliege der Geschäftsbereich Materialwirtschaft
und Einkauf seiner Aufsicht. Letzterer Geschäftsbereich
betreffe insbesondere die Warenausfuhr. Die Säulenaufteilung
sei von einem gegenseitigen Austausch geprägt.
Diese wiederum hätten gegenüber den wissenschaftlichen
Instituten und der Verwaltung ein Stopp- und Weisungsrecht.
Prioritär innerhalb dieser Bereiche sind
nach Kucks Einschätzung die Warenausfuhr, das Personal
und die Kooperation.
Die Exportkontrolle beginne im Forschungszentrum
regelmäßig mit einem Prozessauslöser wie etwa der Einstellung
eines ausländischen Wissenschaftlers. In die exportkontrollrechtliche
Prüfung werde auch hier ein geschäftspolitischer
Prozess integriert, der konkret einen
china-spezifischen Prüfprozess sowie eine Chancen-Risiken
Abwägung beinhaltet. Sodann werde weiteres Input
des Instituts angefordert, auf dessen Grundlage die
exportkontrollrechtliche Prüfung erfolgen könne.
IV. Resümee und Ausblick
Schlussfolgernd gewinnt die Exportkontrolle allgemein
und speziell im Bereich der Wissenschaft zunehmend an
Bedeutung. Jede wissenschaftliche Institution sollte ihre
Expertise im komplexen Bereich der Exportkontrolle
auf- bzw. ausbauen. Dieser Komplexität kann mit formalisierten
Prozessen begegnet werden, um dem steigen1
8 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
den Aufwand der exportkontrollrechtlichen Fragestellungen
gewachsen zu sein. Hierbei stellt insbesondere
die Sensibilisierung einzelner Wissenschaftler eine geeignete
Hilfestellung dar. Daneben ist ein Austausch mit
anderen Einrichtungen anzustreben.
Mit dem Widerstreit des für die Wissenschaft elementaren
Austauschs einerseits und der notwendigen
Kontrolle von Exporten andererseits geht eine Herausforderung
einher. Es gilt jedoch auch zu berücksichtigen,
dass von der Exportkontrolle Chancen ausgehen, indem
eine wissenschaftliche Einrichtung mit einem sicher etablierten
Exportkontrollkonzept beispielsweise werben
kann, um Drittmittel zu erhalten.
Dr. Antonia Hagedorn ist Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht
München. Sie hat im Außenwirtschaftsrecht
promoviert.