Übersicht
A. Einleitung
B. Der zu beurteilende Sachverhalt
C. Die rechtliche Ausgangslage nach dem Landeshochschulgesetz
I. Hochschulrechtliche Lehrverpflichtung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 LHG
II. Die zeitliche Konkretisierung der Lehrverpflichtung D. Die Entscheidungsgründe
I. Richtiger Klagegegner im Streit um beamtenrechtliche Dienst- pflichten
II. Erforderlichkeit einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage III. Fehlen einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage
1. Hochschulinterne Hinweise oder Verwaltungsvorschriften 2. Begriff der Semesterwochenstunde und Zweck des
§ 44 Abs. 4 Satz 1 LHG
3. Weitere Bestimmungen der Lehrverpflichtungsverordnung 4. Lehrverpflichtungsverordnung und Landeshochschulgesetz
E. Schluss und Ausblick
A. Einleitung
Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sind in der Wahrnehmung ihrer Dienstaufgaben weitgehend frei. Zugleich sind die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufga- ben vielfältig und betreffen neben der Selbstverwaltung der Hochschule sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch die Lehre. Naturgemäß stehen diese Aufgaben hinsichtlich ihres zeitlichen Umfangs miteinander im Konflikt. Je mehr Zeit von den Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern etwa für die Lehre aufzubringen ist, desto weniger Kapazität besteht für selbstbestimmte wissenschaftliche Forschung. Anders als die Aufgaben
- 1 VG Freiburg, Urteil vom 08.10.2021 — 1 K 2327/19 -, juris; vgl. auch die Besprechung von Witznick, OdW 2023, 39 ff.
- 2 VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.12.2022 — 9 S 3751/21 -, juris.
aus dem Bereich der Hochschulselbstverwaltung und der wissenschaftlichen Forschung ist die Verpflichtung zur Lehre in besonderer Weise zeitlich konkretisiert. Sie ver- pflichtet nämlich zum Abhalten von Lehrveranstaltun- gen, die im jeweiligen Semester zu bestimmten Zeit- punkten stattfinden sollen. Dies wirft die Frage auf, wel- che Folgen es für die Erfüllung der Lehrverpflichtung hat, wenn der oder die betreffende Hochschullehrer/in unver- schuldet an der Erbringung der zeitlich konkretisierten Lehrverpflichtung gehindert ist. Diese Frage hat zuletzt immer wieder die Verwaltungsgerichtsbarkeit beschäf- tigt. So hatte etwa das Verwaltungsgericht Freiburg über die Anrechnung einer Lehrveranstaltung auf die Lehr- verpflichtung zu entscheiden, wenn die Veranstaltung in Ermangelung des Interesses der Studierenden nach weni- gen Terminen nicht mehr besucht wurde und hat der Klage des Hochschullehrers auf Feststellung der Erfül- lung der Lehrverpflichtung stattgegeben.1 Die vom Ver- waltungsgericht Freiburg zugelassene und vom beklagten Land eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichts- hof Baden-Württemberg zurückgewiesen.2 Bereits zuvor hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe darüber zu ent- scheiden, ob ein krankheitsbedingt dienstunfähiger Hochschullehrer die aufgrund dessen nicht von ihm abgehaltenen Lehrveranstaltungen im folgenden Semes- ter zusätzlich zu seiner regulären Lehrverpflichtung „nachzuarbeiten“ hat.3 Es hat in seiner Entscheidung zen- trale Grundsätze zur Erfüllung der Lehrverpflichtung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 LHG BW herausgearbeitet, die über den konkreten Fall hinaus erhebliche Bedeutung für den Umgang mit Fragen der Erfüllung der Lehrverpflich- tung in der hochschulrechtlichen Praxis haben werden.
3 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020 — 11 K 1503/19 -, juris; vgl. auch Besprechung von Linke, NVwZ 2021, 1834.
Felix Hornfischer
Zur Reichweite der Lehrverpflichtung nach
§ 46 Abs. 2 Satz 1 LHG BW i.V.m. der Lehrverpflichtungsverordnung
Zugleich Besprechung des Urteils des Verwaltungsge- richts Karlsruhe vom 14.12.2020 — 11 K 1503/19 -
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
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B. Der zu beurteilende Sachverhalt
Der Kläger, ein verbeamteter Hochschullehrer mit einem Lehrdeputat von 18 Semesterwochenstunden, war in der Zeit vom 05.10.2015 bis zum 31.01.2016 dienstunfähig erkrankt. Die Vorlesungszeit im betreffenden Winterse- mester 2015/2016 fiel in den Zeitraum vom 28.09.2015 bis zum 22.01.2016. Der Dekan des Fachbereichs teilte dem Kläger im Sommersemester 2016 nach dessen Genesung zunächst mit, er sei aus dem Wintersemester 2015/2016 mit einem nicht erfüllten Lehrdeputat von 11,5 Stunden belastet, das er in den nächsten Jahren abbauen müsse. Später wurde der Ausstand aufgrund der Krankmeldung auf 7,3 Semesterwochenstunden reduziert. In der Folge- zeit entstand zwischen dem Kläger und dem Rektorat der Hochschule Streit über das ausstehende Lehrdeputat, in dessen weiteren Verlauf das Rektorat die Lehrver- pflichtungsabrechnungsbögen des Klägers im Wege der Selbstvornahme ausfüllte bzw. korrigierte und u.a. einen Ausstand von sechs Semesterwochenstunden aufgrund der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit im Winter- semester 2015/2016 vermerkte. Nach einem nur teilweise erfolglosen Widerspruchsverfahren — der Ausstand auf- grund der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit wur- de von sechs auf zwei Semesterwochenstunden herun- tergesetzt — erhob der Kläger Anfechtungsklage, der das Verwaltungsgericht Karlsruhe stattgab und den Aus- gangs- und den Widerspruchsbescheid aufhob, soweit darin für den Kläger ein unerfülltes Lehrdeputat von zwei Semesterwochenstunden aus dem Wintersemester 2015/2016 festgesetzt worden waren.
C. Die rechtliche Ausgangslage nach dem Landeshoch- schulgesetz Baden-Württemberg
Bevor die Entscheidungsgründe näher betrachtet wer- den sollen, ist zunächst die landesrechtliche Ausgangsla- ge zu beleuchten.
I. Hochschulrechtliche Lehrverpflichtung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 LHG
Die Dienstaufgaben der Hochschullehrerinnen und
Hochschullehrer bestimmen sich nachschullehrernachnähererAusgestaltungihresDienstver- § 46 Abs. 1 Satz 1 LHG i.V.m. § 2 LHG. Neben den in hältnisses selbständig wahr, § 44 Abs. 1 Satz 1 LHG. § 46 Abs. 1 Satz 2 LHG aufgeführten hauptberuflichen Beschlüsse der zuständigen Hochschulorgane in Fragen
Aufgaben, sind sie nach § 46 Abs. 2 Satz 1 LHG im Rah- men der für ihr Dienstverhältnis geltenden Regelungen verpflichtet, Lehrveranstaltungen ihrer Fächer in allen Studiengängen abzuhalten. § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG ent- hält eine Verordnungsermächtigung des Wissenschafts- ministeriums, im Einvernehmen mit dem Innenministe- rium und dem Finanzministerium den Umfang der Lehrverpflichtung des hauptberuflichen wissenschaftli- chen Personals unter Berücksichtigung der unterschied- lichen Aufgabenstellung der Hochschularten und Dienstverhältnisse, die Gewichtung der Lehrveranstal- tungsarten sowie besondere Betreuungspflichten durch Rechtsverordnung zu regeln. Hiervon ist mit Erlass der Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Lehrverpflichtungen an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Hochschulen für angewandte Wissen- schaften und der Dualen Hochschule (Lehrverpflich- tungsverordnung — LVVO) vom 03.09.2016 (GBl. S. 552), zuletzt geändert durch Verordnung vom 30.03.2021 (GBl. S. 378) Gebrauch gemacht geworden. An den Uni- versitäten, den Pädagogischen Hochschulen und den Hochschulen für angewandte Wissenschaften wird der Umfang der Lehrverpflichtung in Semesterwochenstun- den bestimmt; eine Lehrveranstaltungsstunde umfasst ein Lehrangebot von einer Lehrstunde je Woche der Vorlesungszeit des Semesters (Semesterwochenstunden; vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 LVVO). Für Professorinnen und Professoren an Hochschulen für angewandte Wis- senschaften sowie Beamtinnen, Beamte, Richterinnen und Richter als hauptamtliche Lehrkräfte an Hochschu- len für angewandte Wissenschaften gilt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 LVVO eine Lehrverpflichtung von 18 Semesterwochenstunden. Die von den einzelnen Lehr- personen erbrachten Lehrleistungen und die gewährten Ausnahmen sind in geeigneter Weise zu dokumentieren und nach § 24 Absatz 2 Satz 1 LHG von der Dekanin oder dem Dekan, an der DHBW vom Präsidium, zu überwa- chen, § 2 Abs. 10 LVVO.
II. Die zeitliche Konkretisierung der Lehrverpflichtung
Die ihrem zeitlichen Umfang nach vorgegebene Lehrver-
pflichtungnehmendieHochschullehrerinnenundHoch-
Hornfischer · Zur Reichweite der Lehrverpflichtung 1 0 9
der Lehre sind insoweit zulässig, als sie sich auf die Orga- nisation des Lehrbetriebs und auf die Aufstellung und Einhaltung von Studien- und Prüfungsordnungen bezie- hen, § 3 Abs. 3 Satz 2 LHG.4 Sie haben im Rahmen der für ihr Dienstverhältnis geltenden Regelungen die zur Sicherstellung des Lehrangebots getroffenen Entschei- dungen der Hochschulorgane zu verwirklichen, § 46 Abs. 2 Satz 2 LHG. Entsprechende Entscheidungen über die inhaltliche, zeitliche und örtliche Koordination der von der Hochschule anzubietenden Lehre und über die Verteilung und Übernahme von Lehrverpflichtun- gen sind grundsätzlich zulässig, weil die Lehre zu den dienstlichen Pflichten der Hochschullehrer gehört.5 Um eine solche Entscheidung handelt es sich, wenn die sich aus der Lehrverpflichtungsverordnung ergebende Lehr- verpflichtung in Abstimmung zwischen Hochschulleh- rer und Hochschulverwaltung auf die in einem Semester zu bestimmten Terminen anzubietenden Lehrveranstal- tungen konkretisiert wird, die gegebenenfalls im Vorle- sungsverzeichnis angekündigt werden.6 Die Festlegun- gen dieser Lehrverpflichtungen führen zugleich zu einer Reglementierung der Arbeitszeit und Arbeitsweise des wissenschaftlichen Personals im Rahmen des Ausbil- dungsbetriebs der Hochschulen.7 Das Verwaltungsge- richt Karlsruhe leitet hieraus ab, dass der Hochschulleh- rer dann hinsichtlich der Erfüllung seiner Lehrverpflich- tung als Teil seiner Dienstpflicht für das betreffende Semester sowohl zeitlich als auch inhaltlich gebunden ist und sich hieraus Präsenzpflichten in den Zeiträumen der konkreten Lehrveranstaltungen ergeben.8 Im Übrigen bleibt er in zeitlicher Hinsicht bei der Erfüllung seiner sonstigen Dienstpflichten nach § 46 Abs. 1 Satz 2 LHG einschließlich der Vor- und Nachbereitung der jeweili- gen Lehrveranstaltungen frei.
D. Die Entscheidungsgründe
I. Richtiger Klagegegner im Streit um beamtenrechtli- che Dienstpflichten
Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit thematisiert das Verwaltungsgericht unter anderem, gegen welchen
- 4 Vgl. auch Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württem- berg, 3. Auflage 2022, § 46 Rn. 7.
- 5 BVerfG, Beschluss vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07 -,
BVerfGE 126, 1; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.11.2017 — 9 S 1145/16 -, juris Rn. 44; vgl. auch § 3 Abs. 3 Satz 2 LHG sowie Sandberger (Fn. 4), § 3 Rn. 4. - 6 Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.2012 — 6 CN 1.11 -, juris Rn. 26.
- 7 BVerfG, Beschluss vom 03.06.1980 — 1 BvR 967/78 -, BVerfGE74, 173, 192; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.05.2006 — 4 S 1957/04 -, juris Rn. 26.
Rechtsträger die vorliegend statthafte Anfechtungsklage nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zu richten ist. Obgleich der Widerspruchsbescheid (einen Ausgangsbescheid gab es nach dem Tatbestand des Urteils wohl nicht) vom Rekto- rat der Hochschule erlassen worden war, war die Klage gegen das beklagte Land zu richten:
„In den Fällen, in denen eine Behörde eine Doppel- funktion wahrnimmt bzw. ihr Doppelcharakter in der Weise zukommt, dass hinter ihr mehrere Rechtsträger stehen, die Behörde mithin Organ mehrerer juristi- scher Personen ist, richtet sich die Beantwortung der Frage, gegen welchen Rechtsträger die Klage zu erhe- ben ist, danach, welchem der hinter der Behörde ste- henden Rechtsträger der erlassene Verwaltungsakt zu- zurechnen ist […]. Dies ist hier das beklagte Land, da vorliegend der Umfang bzw. die Erfüllung der einem verbeamteten Hochschullehrer des Landes obliegenden Dienstpflicht in Streit steht und die Hochschule auch nicht im Bereich der ihr zustehenden Selbstverwaltung gehandelt hat.“9
II. Erforderlichkeit einer tauglichen Ermächtigungs- grundlage
Die Hochschule hatte ihre Feststellung auf eine Berech- nung gestützt, deren Grundlagen in einer Handreichung zum Ausfüllen des Lehrverpflichtungsabrechnungs- bogens der Hochschule festgehalten sind. Hiernach wird bei einem Ausfall eines Professors für mehr als vier Wochen ohne Unterbrechung aus berechtigten Grün- den (Elternzeit, Krankheit) „die zu erbringende Lehrver- pflichtung anteilig reduziert“, ungeachtet dessen ob die Fehlzeiten innerhalb oder außerhalb der Vorlesungszeit liegen.
Das Verwaltungsgericht sieht indes eine förmliche Ermächtigungsgrundlage für diese Feststellung als erfor- derlich an und führt hierzu aus:
„Voraussetzung für die Anordnung belastender Maß- nahmen ist — auch soweit diese wie hier im Rahmen ei- nes Beamtenverhältnisses ergehen — eine entsprechende
8 Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020 — 11 K 1503/19 -,
juris Rn. 34; ferner VG Bayreuth, Urteil vom 06.05.2011 — B 5 K 10.1105 -, juris Rn. 56; Kathke in: Schwegmann/Summer, Besol- dungsrecht des Bundes und der Länder, 90. Update September 2020, 6.1.2 Besonderheiten bei Beamten ohne feste Arbeitszeiten und Richtern, Rn. 35; vgl. ferner Sandberger, in: Haug, Das Hoch- schulrecht in Baden-Württemberg, 3. Auflage 2020, 5. Kap. D. Rn. 1585.
9 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 17.
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Ermächtigungsgrundlage. Dies gilt auch dann, wenn die Hochschule in Ausführung dienst- und beamten- rechtlicher Vorgaben für das beklagte Land tätig wird und in Bezug auf die einem Hochschullehrer gegenüber dem Land obliegende Dienstverpflichtung Regelungen trifft. Aus diesem Grund bedarf auch die vorliegend er- folgte Feststellung eines unerfüllten Lehrdeputats zu ih- rer Rechtmäßigkeit einer normativen Grundlage, der sich hinreichend bestimmt Umfang und Grenzen der sich ihr ergebenden Befugnis entnehmen lassen.“10
Diesen Ausführungen ist uneingeschränkt zuzustim- men. Insbesondere lenken sie den Blick darauf, dass die Erfüllung der Lehrverpflichtung zunächst eine beamten- rechtliche Frage der Erfüllung von gesetzlichen Dienst- pflichten gegenüber dem Dienstherrn ist und nicht nur eine bloße Frage der internen Verwaltungsorganisation der Hochschule. Ergänzend ist anzumerken, dass sich Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer als wissen- schaftliche Beamte gegenüber ihrem Dienstherrn grund- sätzlich auch auf die Forschungsfreiheit berufen können. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG11 gewährt jedem, der in Wissen- schaft, Forschung und Lehre tätig ist, ein Grundrecht auf freie wissenschaftliche Betätigung. Wissenschaft ist grundsätzlich ein von Fremdbestimmung freier Bereich autonomer Verantwortung. Dabei schützt die Wissen- schaftsfreiheit nicht vor Beschränkungen, die für den einzelnen Grundrechtsträger auf Grund des Zusammen- wirkens mit anderen Grundrechtsträgern im Wissen- schaftsbetrieb unvermeidbar sind.12
Eine Verpflichtung zur Nacharbeit krankheitsbe- dingt nicht abgehaltener Lehrveranstaltungen lässt den zeitlichenUmfangderLehrverpflichtungindennach- folgenden Semestern über den vom Landeshochschulge- setz vorgesehenen Umfang weiter ansteigen und redu- ziert faktisch die dann zur Verfügung stehende Zeit für die Forschung. Dies kann den Schutzbereich der For- schungsfreiheit berühren,13 führt aber nicht ohne Weite- res zu einem rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Forschungsfreiheit. Denn ein Eingriff in den Schutzbe- reich des Grundrechts dürfte erst vorliegen, wenn kein nennenswerter zeitlicher Freiraum für Forschung mehr
- 10 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 21.
- 11 Vgl. auch Art. 20 Abs. 1 LV und dazu VerfGH Bad.-Württ., Urteilvom 14.11.2016 — 1 VB 16/15 -, VBlBW 2017, 61.
- 12 Vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 31.05.1995 — 1 BvR 1379/94,1413/94 -, BVerfGE 93, 85, vom 26.10.2004 — 1 BvR 911/00 u.a. -, BVerfGE 111, 333, vom 28.10.2008 — 1 BvR 462/06 -, BVerfGE 122, 89, vom 13.04.2010 — 1 BvR 216/07 -, BVerfGE 126, 1, und vom 20.07.2010 — 1 BvR 748/06 -, BVerfGE 127, 87; BVerwG, Beschlüsse vom 22.08.2005 — 6 BN 1.05 -, Buchholz 11 Art. 12 GG
verbleibt.14 Diese Betrachtungsweise zeigt aber auf, dass eine formalgesetzliche Regelung auch unter dem grund- rechtlichen Aspekt geboten erscheint.
III. Fehlen einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe prüft im Folgenden erschöpfend, ob sich aus der von der Hochschule heran- gezogenen Handreichung zum Ausfüllen des Lehrver- pflichtungsabrechnungsbogens, der Lehrverpflichtungs- verordnung oder deren Zusammenspiel mit dem Lan- deshochschulgesetz sowie dem Landeshochschulgesetz selbst die erforderliche Ermächtigungsgrundlage erse- hen lässt und verneint dies.
1. Hochschulinterne Hinweise oder Verwaltungsvor- schriften
In Bezug auf die Handreichung zum Ausfüllen des Lehr- verpflichtungsabrechnungsbogens folgt dies bereits aus deren fehlender Rechts(satz)qualität, weil es sich hierbei allein um hochschulinterne Hinweise handelt. Diese sind jedoch nicht geeignet, den Umfang und die Erfül- lung beamtenrechtlicher Dienstpflichten gegenüber dem Dienstherrn, dem Land, zu bestimmen. Weder § 2 Abs. 10 LVVO (Erhebung der erbrachten Lehrveran- staltungen) noch § 24 Abs. 2 Satz 1 LHG (Überwachungs- befugnis des Dekans) ermächtigen die Hochschule zum Erlass einer solchen Regelung.15
2. Begriff der Semesterwochenstunde und Zweck des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG
Auch aus der verordnungsrechtlichen Definition des Begriffs der Semesterwochenstunde nach § 1 Abs. 2 und 3 LVVO lässt sich nach dem Verwaltungs- gericht Karlsruhe keine Ermächtigung zur Regelung der Folgen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit für die Lehrverpflichtung ersehen. Es deutet zudem Zweifel an, ob Zweck und Umfang der Verordnungsermächti- gung nach § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG — nämlich die nähere Regelung des Umfangs der Lehrverpflichtung verschie- dener Lehrpersonen und insbesondere Hochschulpro- fessoren — überhaupt eine Ermächtigung zur Regelung
Nr. 263 und vom 16.03.2011 — 6 B 47.10 — Buchholz 421.2 Hoch- schulrecht Nr. 174, sowie Urteil vom 26.09.2012 — 6 CN 1.11 -, BVerwGE 144, 195
13 VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.05.2006, a.a.O., juris Rn. 26. 14 Vgl. BVerwG, Urteil vom 03.11.1988 — 7 C 84.86 -, juris Rn. 16;
vgl auch Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 145; Epping, in: Leuze/Epping, Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, § 35 Rn. 99.
15 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 24 f.
Hornfischer · Zur Reichweite der Lehrverpflichtung 1 1 1
der krankheitsbedingten Folgen für die Erfüllung der Lehrverpflichtung umfasst und damit im Rahmen der Lehrverpflichtungsverordnung auf der Grundlage des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG ermöglichen würde.16 Ob diese Zweifel durchgreifen, ist fraglich. Jedenfalls hat der Ver- ordnungsgeber auf der Grundlage des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG in der Lehrverpflichtungsverord- nung im 2. Abschnitt die Erfüllung der Lehrverpflich- tung und im 3. Abschnitt Abweichungen von der Lehr- verpflichtung geregelt. Diese Regelungen dürften von der Zwecksetzung des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG, den Umfang der Lehrverpflichtung — allgemein und in Son- derfällen — zu bestimmen, gedeckt sein. Die Folgen einer krankheitsbedingten Verhinderung an der Erfüllung der Lehrverpflichtung für deren Umfang ließen sich dem- nach wohl ebenfalls noch unter den Zweck des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG fassen.
3. Weitere Bestimmungen der Lehrverpflichtungsver- ordnung
Im Weiteren beleuchten die Entscheidungsgründe die in den Abschnitten 2 und 3 der Lehrverpflichtungsverord- nung stehenden Vorschriften über Modifikationen des Lehrbedarfs im Hinblick auf einen etwaigen Regelungs- gehalt bezüglich der Folgen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit.
„Die §§ 4 bis 8 LVVO sehen zwar Modifikationen des Lehrdeputats in besonderen Fällen vor, indes betrifft keiner hiervon den Fall der Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit. Nach § 4 LVVO kann die Fakultät bei wechselndem Lehrbedarf in einem Fach, den Umfang der Lehrtätigkeit im Einzelfall so festlegen, dass die Lehrverpflichtung im Durchschnitt von drei aufeinan- derfolgenden Studienjahren erfüllt wird. § 5 LVVO sieht Ausgleichsmöglichkeiten für den Fall vor, dass das in einem Semester vorgesehene Studienangebot in ei- nem Fach gewährleistet ist, wobei eine Lehrperson bei- spielsweise ihre Lehrverpflichtung im Durchschnitt dreier aufeinanderfolgender Studienjahre erfüllen kann. Ferner ist vorgesehen, dass Lehrpersonen einer Lehreinheit ihre Lehrverpflichtungen innerhalb des je- weiligen Semesters ausgleichen können, was einer Ver- tretungsregelung für kurzzeitige Verhinderungen ent- spricht. Kann eine Lehrperson in ihrem Aufgabenbe- reich wegen eines Überangebots in der Lehre ihre Lehr-
- 16 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 28.
- 17 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 30.
- 18 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 31.
verpflichtung nicht erfüllen, verringert sich nach § 6 Abs. 1 LVVO die Lehrverpflichtung nach Feststel- lung durch die Fakultät. Gemäß § 6 Abs. 2 LVVO kann die Hochschule die Lehrverpflichtung von Lehrperso- nen zeitlich befristet erhöhen, wenn in einem Fach be- sondere Gründe vorliegen. Eine zur Dienstunfähigkeit führende Erkrankung ist indes kein besonderer Grund im Sinne dieser Vorschrift. §§ 7 und 8 LVVO sehen Er- mäßigungen und Freistellungspauschalen von der Lehrverpflichtung für die Ausübung von Leitungsfunk- tionen vor, mit der Folge, dass sich das in § 2 Abs. 1 LVVO allgemein festgelegte Lehrdeputat für die betroffenen Personen entsprechend reduziert.“17
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass in der Lehrverpflichtungsverordnung „mit den dortigen Rege- lungen die Auswirkung einer Erkrankung auf den Umfang der Lehrverpflichtung nicht normiert wurde.“18 Dieser Be- fund ist jüngst um die Feststellung des Verwaltungsge- richtshofs Baden-Württemberg ergänzt worden, dass die Lehrverpflichtungsverordnung auch keine Regelungen dazu enthält, unter welchen Voraussetzungen eine kon- krete Lehrveranstaltung (z.B. mit Blick auf eine nur ge- ringe Teilnehmerzahl oder ein endgültiges Ausbleiben der Studierenden im Laufe der Vorlesungszeit) als Erfül- lung der Lehrverpflichtung anzuerkennen ist.19
4. Lehrverpflichtungsverordnung und Landeshoch- schulgesetz
a) Schließlich erklärt das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Auffassung der Hochschule eine Absage, der Lehr- verpflichtungsverordnung liege ein — im Wortlaut wohl unausgesprochenes — Konzept zugrunde, wonach die Arbeitszeit der Hochschullehrer vergleichbar mit Arbeitszeitkonten geregelt sei.
„Der Lehrverpflichtungsverordnung liegt in Bezug auf Erkrankungen kein Regelungskonzept zugrunde, nach dem sich eine länger andauernde krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit im Hinblick auf deswegen nicht er- brachte Lehrveranstaltungen dergestalt auf das für ei- nen Hochschullehrer allgemein geltende Lehrdeputat auswirkt, dass sich dieses anteilig reduziert und ein ge- gebenenfalls danach noch verbleibendes Restdeputat als in dem betroffenen Semester als unerfüllt anzuse- hen ist.“20
19 VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.12.2022, a.a.O., Rn. 33 ff. 20 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 33.
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In diesem Zusammenhang arbeiten die Entschei- dungsgründe die bereits oben21 umrissene zeitliche Fi- xierung der Lehrverpflichtung aufgrund der Konkreti- sierung auf eine zu bestimmten Zeitpunkten (und an be- stimmten Orten) abzuhaltende Lehrverpflichtung her- aus. Diese Fixierung hat unmittelbare Folgen für die Erfüllung der Lehrverpflichtung nach Ablauf der betref- fenden Zeitpunkte bzw. Zeiträume:
„Daher ist die Situation einer bereits festgesetzten und zeitlich fixierten Lehrveranstaltung, die infolge krank- heitsbedingter Dienstunfähigkeit nicht erbracht wurde — jedenfalls dann, wenn wie hier der fragliche Zeit- punkt bereits verstrichen ist -, nicht anders zu beurtei- len, als die Situation gemeiner Beamten, die ihre Dienstpflicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu er- bringen haben. Denn mit Ablauf des für die Lehrver- anstaltung bestimmten Zeitpunkts — zumindest aber nach Ende des Semesters — kann die insoweit fixierte Dienstpflicht in Bezug auf die konkret festgesetzte Lehrveranstaltung nicht mehr erbracht werden. Dar- aus folgt aber auch, dass — wovon im Grunde der Be- klagte ebenfalls ausgeht — die betroffenen Lehrveran- staltungen als erbracht und das Lehrdeputat insoweit als erfüllt anzusehen sind.“22
Konsequent weist das Verwaltungsgericht anschlie- ßend darauf hin, dass die Regelung von Nr. 41.6 der Ver- waltungsvorschrift des Innenministeriums des Landes- Baden-Württemberg zur Durchführung beamtenrechtli- cher Vorschriften (GABl. 2016, 281) vom 19.04.2016 — Be- amtVwV — auch für Hochschullehrer entsprechend gelte. Folge sei, dass krankheitsbedingt nicht geleisteter Dienst in der Regel nicht nachgeholt werden müsse.23 Etwas an- deres ergebe sich auch nicht aus § 45 Abs. 1 und Abs.2Satz1LHG.DennderdortgeregelteVorrangspe- zieller hochschulrechtlicher Regelungen gegenüber den für Beamte allgemein geltenden Vorschriften, insbeson- dere in Bezug auf die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Arbeitszeit, werde weder durch das Lan- deshochschulgesetz noch durch die Lehrverpflich-
- 21 Vgl. Fn. 8.
- 22 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 34; vgl.nunmehr auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.12.2022, a.a.O., Rn. 42 f.
tungsverordnung ausgefüllt.24
Soweit die Hochschule wohl der Auffassung war, der
während des größten Teils der Vorlesungszeit dienstun- fähig erkrankte Hochschullehrer habe wenigstens an- teilig die nicht angefallene Vor- und Nachbereitungszeit der angebotenen, dann aber nicht abgehaltenen Lehrver- anstaltungen nachzuholen, stellt das Verwaltungsgericht mit begrüßenswerter Deutlichkeit klar:
„Es mag zwar möglich sein – wie die Prozessbevoll- mächtigte in der Klageerwiderung im Einzelnen darge- legt hat –, die Lehrdeputatsstunden unter Berücksichti- gung von Vor- und Nachbereitungszeit in einen kon- kret in Zeitstunden bemessenen Arbeitsaufwand um- zurechnen, womit sich auch die für die Nachbereitung angesetzte Zeit, die der Kläger aus Sicht der Hochschu- le in Erfüllung seiner Verpflichtung zur Lehre noch er- bringen müsse, ermitteln ließe. Die Annahme einer noch unerfüllten Lehrverpflichtung für den Kläger in Bezug auf die Nachbereitung überzeugt jedoch nicht, weil der Kläger tatsächlich im Wintersemester 2015/2016 selbst keine Lehrveranstaltungen erbracht hat, die nachzubereiten gewesen wären. Nicht erbrach- te Lehrveranstaltungen bedürfen keiner Nachberei- tung. Eine solche Nachbereitung wäre ebenso obsolet, wie sich die bereits erfolgte Vorbereitung dieser Lehr- veranstaltungen im Nachhinein als vergeblich erweist.“25
b) Auch aus den Bestimmungen des Landeshochschul- gesetzes lässt sich nach den überzeugenden Ausführun- gen des Verwaltungsgerichts keine Ermächtigungs- grundlage für den Bescheid und das Vorgehen der Hoch- schule entnehmen. Eine solche lasse sich insbesondere nicht aus dem Organisationsrecht bzw. Weisungsrecht der Hochschulen hinsichtlich Lehrveranstaltungen ableiten, das etwa in §§ 17 Abs. 6, 24 Abs. 2 LHG oder § 46 Abs. 2 LHG zum Ausdruck kommt.26 Diese Ausfüh- rungen lassen sich noch um den Hinweis ergänzen, dass es im konkreten Fall um die Erfüllung einer gegenüber dem Dienstherrn, also dem Land, bestehenden Dienst-
23 VG Karslruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 34 a.E. 24 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 36.
25 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 39.
26 VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2020, a.a.O., Rn. 40.
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pflicht geht. Auch aus diesem Grund dürfte das Organi- sations- bzw. Weisungsrecht der Hochschule eine ent- sprechende Regelung nicht rechtfertigen.
E. Schluss und Ausblick
Die vorliegende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zu den Folgen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit für den Umfang der Lehrverpflich- tung sowie die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg27 und des Verwaltungsgerichtshofs Baden- Württemberg28 zur Frage der Anrechnung einer angebo- tenen, aber von den Studierenden letztlich nicht besuch- ten Lehrveranstaltung auf die Lehrverpflichtung zeigen ein landesrechtliches Regelungsdefizit auf. Die gerichtli- chen Entscheidungen führen die durch die zu entschei- denden Sachverhalte aufgeworfenen Probleme unter Anwendung allgemeiner beamtenrechtlicher Grundsät- ze konsequenten Lösungen zu. Will man sich mit diesen von Seiten des Wissenschaftsministeriums und der Hochschulen nicht begnügen, besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf. § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG dürfte hierfür
als Verordnungsermächtigung voraussichtlich ausrei- chend sein. Entsprechende Regelungen könnten dem- nach auf dieser Grundlage in die Lehrverpflichtungsver- ordnung integriert werden. Angesichts der eigentlich nicht fernliegenden Fallgestaltungen (Erkrankung in der Vorlesungszeit, Ausbleiben der Studierenden bei einer angebotenen Lehrveranstaltung) mag es beinahe ver- wundern, dass die hieraus folgenden Fragen bislang nicht geregelt worden sind. Dahingegen haben die oben aufgeführten gerichtlichen Entscheidungen einer hoch- schulinternen, „freihändigen“ Lösung der Probleme eine klare Absage erteilt. Damit ist insbesondere für die Lehr- verpflichteten eine zu begrüßende Rechtssicherheit geschaffen worden.
Dr. Felix Hornfischer ist Richter am Verwaltungsgericht und derzeit an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgeordnet und dort im 9. Senat u.a. für Verfahren aus dem Hochschulrecht zuständig. Der Beitrag gibt allein seine persönliche Auffassung wieder.
27 VG Freiburg, Urteil vom 08.10.2021, a.a.O.
28 VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.12.2022, a.a.O.
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