Der erste Teil dieses Beitrags stellt eine Aktualisierung des 2018 veröffentlichen, gleichnamigen Beitrags von Nike Schultheiß dar. Dem zugrunde liegen Veränderun- gen des Aufenthaltsrechts, durch das am 1. März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz („FEG“) sowie das am 18. November 20232 in Kraft getretene Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwande- rung.3 Zu untersuchen sind die Auswirkungen der Gesetze auf aufenthaltsrechtliche Normen, die für dritt- staatsangehörige Wissenschaftler relevant sind. Dritt- staatsangehörige sind Personen, die keine Staatsangehö- rigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sind.4
Der zweite Teil widmet sich der aufenthaltsrechtli- chen Situation von Vertriebenen aus der Ukraine. Zu un- tersuchen ist, inwiefern sich andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten für ukrainische Wissenschaftler ergeben und wie diese im Verhältnis zu den bisherigen Regelun- gen einzuordnen sind.
I. Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler
Das Grundkonzept einer bedarfsgebundenen Erwerbs- migration wird durch die zwei neuen Gesetze fortge- setzt. Danach setzt ein Aufenthaltsrecht grundsätzlich eine in Deutschland anerkannte Qualifikation sowie ein vorliegendes Arbeitsplatzangebot voraus.5 Im Kern unverändert sind die allgemeinen Voraussetzungen zur Einreise sowie zur Beantragung einer Erlaubnis. Für Staatsangehörige jeglicher nicht in § 16 AufenthV aufge- zählten Staaten wird zur rechtmäßigen Einreise ein nati- onales Visum benötigt. Nach der Einreise ist bei der zuständigen Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaub- nis zu beantragen. Für den Erhalt einer Aufenthaltser- laubnis muss nach § 5 AufenthG eine Sicherung des Lebensunterhalts nachgewiesen sein. Außerdem muss die Identität geklärt sowie die Passpflicht erfüllt sein.
- 1 Zur besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulin verwendet. Gemeint sind alle Geschlechter.
- 2 Teile des Gesetzes traten am 01. März bzw. 01. Juni 2024 in Kraft.
- 3 BGBI. I 2023, Nr. 217, S. 1 bzw. BGBI. I 2023, Nr. 233, S. 1.
- 4 Vgl. Art. 1 Schengener Durchführungsübereinkommen.
- 5 Vgl. Aktualisierung der Anwendungshinweise des Bundesmi-nisteriums des Innern und für Heimat zum Fachkräfteeinwan-
1. Grundsatznorm § 18 AufenthG
Als Grundsatznorm für die Erteilung einer Aufenthalts- erlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit dient nun die Systematik des § 18 AufenthG. Allerdings ist § 18 AufenthG selbst keine eigenständige Rechtsgrundla- ge zur Titelerteilung.6 Vielmehr werden in § 18 I Auf- enthG Richtlinien konkretisiert, die als Auslegungshilfe in Ermessensentscheidungen hinzugezogen werden können.
In § 18 II AufenthG werden weitere Erteilungsvoraus- setzungen genannt, die neben den allgemeinen Bestim- mungen des § 5 AufenthG gelten. Zunächst muss ein konkretes Arbeitsplatzangebot sowie ein entsprechender Nachweis durch entsprechende Unterlagen vorliegen. Außerdem ist zur Erteilung sowie zur Verlängerung grundsätzlich die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich.
Falls für die Erteilung eines Aufenthaltstitels eine Be- rufsausbildung oder ein Hochschulabschluss erforder- lich sind, muss deren Gleichwertigkeit oder Vergleich- barkeit mit dem deutschen Pendant festgestellt werden.7 Für nicht reglementierte Berufe kann sich auf Bewertungsempfehlungen der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen berufen werden. Neu ist außerdem der einheitliche Fachkräftebegriff des § 18 III AufenthG. Dieser umfasst sowohl akademisch als auch beruflich qualifizierte Beschäftigte. Diese werden nun erstmals gleichgestellt.8 Als Fachkraft mit Berufs- ausbildung gelten Personen, die eine inländisch qualifi- zierte Berufsausbildung abgeschlossen haben oder deren ausländische Berufsqualifikation als gleichwertig festge- stellt wurde. Die akademische Qualifizierung setzt einen deutschen Hochschulabschluss oder einen anerkannten ausländischen bzw. mit einem deutschen Hochschulab- schluss vergleichbaren ausländischen Hochschulab- schluss voraus.
derungsgesetz unter Berücksichtigung des Gesetzes und der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung des BMI, 2024, S. 1.
6 Fn. 5, BMI, S. 95.
7 Nusser, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 18 Rn. 14. 8 Fn. 5, BMI, S. 106.
Tom Castendyk
Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler1 – Schwerpunkt Ukraine
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
330 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 329–338
Die Dauer der Aufenthaltstitel wurde vereinheitlicht in § 18 IV AufenthG und für die §§ 18a, b, g AufenthG auf grundsätzlich vier Jahre festgelegt. Eine kürzere Dauer gilt nur, falls das entsprechende Arbeitsverhältnis oder die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit auf eine kürzere Frist begrenzt sind.
2. Aufenthaltserlaubnis zur Forschung, § 18d AufenthG
Die Aufenthaltserlaubnis zur Forschung stellt eine der Kernregelungen innerhalb der Möglichkeiten dritt- staatsangehöriger Wissenschaftler dar. Im Zuge der Novellierung wurden die bisher in §§ 20 ff. a.F. normier- ten Vorschriften in die Systematik des § 18 AufenthG integriert.9 Dabei wurde die grundsätzliche Dauer der erteilten Aufenthaltserlaubnis von zuvor einem Jahr auf zwei Jahre erhöht.10 Weiterhin kann die Dauer jedoch bei einem kürzeren Forschungsvorhaben auch für eine kürzere Periode ausgestellt werden. Außerdem sind nach den neuen Regelungen keine genauen Angaben bezüg- lich des Forschungsvorhabens mehr notwendig. Dadurch soll eine hinreichende Flexibilität für die Forschenden während ihrer Arbeit gewährleistet werden.
a) Adressaten
Die Regelung adressiert Forscher, Assistenten, Gastwis- senschaftler und Postdocs. Wissenschaftliche Mitarbei- ter fallen unter § 18d AufenthG, wenn ihr Hochschulab- schluss die Teilnahme an einem Promotionsprogramm eröffnet.11 Die Feststellung einer Vergleichbarkeit mit einem inländischen Abschluss bzw. eine Anerkennung ist nicht erforderlich.12 Falls ein wissenschaftlicher Mit- arbeiter nicht über einen Hochschulabschluss verfügt, ist eine Erteilung über § 19c I i. V. m. § 5 NR. 1 BeschV mög- lich. Nicht anwendbar ist § 18d AufenthG auf internatio- nal Schutzberechtigte.
b) Voraussetzungen
Für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18d AufenthG muss zunächst der Zweck der Forschung dargelegt werden. Als Forschung muss das Vorhaben systematisch betriebene, schöpferische Arbeit beinhal- ten, mit dem Zweck der Erweiterung des Wissensstands, einschließlich der Erkenntnisse über den Menschen, der Kultur und der Gesellschaft und dieses Wissen mit dem
- 9 BT-Drs. 19/8285, 2019, S. 100.
- 10 Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, 2023, § 18d Rn. 1.
- 11 EU 2016/801 Art. 3 Nr. 2.
- 12 Fn. 5, BMI, S. 121.
- 13 EU 2016/801 Art. 3 Nr. 9; Fn. 5, BMI, S. 121.
Ziel, neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden, einge- setzt werden soll.13
aa) Aufnahmevereinbarung
Darüber hinaus muss eine sog. Aufnahmevereinbarung mit der aufnehmenden Institution abgeschlossen wer- den. Die Forschungseinrichtung muss zudem anerkannt sein. Institutionen, die nicht staatlich anerkannt oder überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert sind, müssengem.§38aAufenthVeinenAntragaufAnerken- nung beim BAMF stellen. Grundvoraussetzung ist, dass Forschung (s.o.) betrieben wird. Auch ein privates Unternehmen kann somit diese Voraussetzung erfül- len.14 Der Inhalt der Aufnahmevereinbarung wird in § 38f I, II AufenthV geregelt. Neben inhaltlichen Anga- ben zum Forschungsvorhaben und dessen Realisierbar- keit, müssen zudem Angaben über die abschließend ent- schiedene Finanzierung des Vorhabens gemacht werden. Außerdem muss der Lebensunterhalt des Ausländers für die Dauer des Aufenthalts gesichert sein. Die notwendi- ge Summe zur Sicherung des Lebensunterhalts bei Auf- enthalten zur Forschung beträgt zwei Drittel der grund- sätzlichen Bezugsgröße des § 18 SGB IV. Im Jahr 2023 betrug die Summe 1.027 €. Für Forschende ergeben sich grundsätzlich drei Optionen der Finanzierung: Aus dem Arbeitsvertrag mit der Forschungseinrichtung, mittels Stipendiums oder durch Eigenfinanzierung. Zudem gibt es die Möglichkeit, zunächst einen Antrag für eine kür- zere Befristung zu stellen sowie im Anschluss eine Prü- fung der Lebensunterhaltssicherung für einen längeren Zeitraum.15
b) Kostenübernahmeerklärung
Weiterhin muss eine Kostenübernahmeerklärung durch die Forschungseinrichtung abgegeben werden. Darin verpflichtet sich diese zur Übernahme der Kosten, die den öffentlichen Stellen über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der Beendigung der Aufnahmevereinba- rung für den Lebensunterhalt sowie eine mögliche Abschiebung des Ausländers entstehen. Eine Ausnahme besteht nur, falls die Einrichtung überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und zudem ein besonderes öffentliches Interesse an dem Forschungs- vorhaben besteht.16
14 Luth, in: BeckOK Ausländerrecht, 2023, §18d Rn. 2. 15 BT-Drs. 19/8285, S. 100.
16 Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022,
§ 18d Rn. 15.
Castendyk · Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler 3 3 1
c) Besonderheiten der Norm
Es besteht ein Grundsatz der Exklusivität des § 18d AufenthG. Wenn ein Aufenthalt auf die Forschung gerichtet ist und somit der Anwendungsbereich der Norm eröffnet ist, werden andere Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Studienzwecken nicht mehr erteilt.17
Für Promovierende kann sich unter Umständen die Frage ergeben, ob ein Antrag aufgrund § 16b AufenthG (Studium) oder aufgrund § 18d AufenthG gestellt wer- den soll. Falls der Beschäftigung ein Vollzeitarbeitsver- hältnis (mind. 50 %) zugrunde liegt, ist § 18d AufenthG zu wählen. § 18d AufenthG ist außerdem einschlägig, falls keine Einschreibung an einer deutschen Hochschu- le erfolgt oder wenn die Forschung nicht ausschließlich zur Nutzung in einer Dissertation innerhalb des Studi- ums dient.18 Falls diese Einzelheiten zum Zeitpunkt der Einreise noch nicht eindeutig feststehen, kann zunächst zum Zwecke der Studienbewerbung ein Visum nach § 17 II AufenthG erteilt werden. Im Anschluss entschei- det die Ausländerbehörde im Zuge der Erteilung des In- landstitels, welche Voraussetzungen erfüllt werden.19 Relevant ist dies ebenfalls aufgrund der unterschiedli- chen Rechtsfolgen der Normen. Eine Aufenthaltserlaub- nis nach § 16b AufenthG bringt besondere Möglichkei- ten im Rahmen der Beschäftigung. § 18d AufenthG ermöglicht dafür weitgehendere Rechte zur Mobilität. Außerdem gibt es Möglichkeiten des Familiennachzuges, falls die Voraussetzungen erfüllt werden.
Ein weiterer Sonderfall liegt vor, wenn zuvor eine Blauen Karte EU gem. § 18g AufenthG beantragt bzw. er- teilt wurde. Daraus resultiert eine Sperrwirkung, die der Anwendung des § 18d AufenthG entgegensteht. Falls bei- de Voraussetzungen erfüllt werden, besteht bei Erstertei- lung eines Aufenthaltstitels ein Wahlrecht zwischen der Blauen Karte EU und einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18d AufenthG. Auch an dieser Stelle ist der unter- schiedliche Regelungsgehalt der Normen zu berücksich- tigen. Die Blaue Karte ermöglicht beispielsweise den schnelleren Erhalt einer Niederlassungserlaubnis. § 18d AufenthG hat demgegenüber vorteilhafte Regelun- gen zur kurzfristigen Mobilität sowie die Möglichkeit, im Anschluss eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitssuche zu erhalten.20
Ein behördliches Ermessen zur Erteilung des Titels ist nicht gegeben. Die Erteilung hat zudem innerhalb von 60 Tagen zu erfolgen. Eine Zustimmung der Bun-
- 17 Hocks, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 18d Rn. 12.
- 18 Fn. 5, BMI, S. 120.
- 19 Ebenda, S. 120
- 20 Hocks, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 18d Rn. 14.
desagentur für Arbeit ist nicht erforderlich. Möglich ist jedoch eine Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis für Forschende aufgrund von konkreten Sicherheits- bedenken.21
3. Kurzfristige Mobilität für Forscher, § 18e AufenthG
Der § 18e AufenthG regelt Konstellationen von For- schenden, die einen Aufenthaltstitel zum Zweck der For- schung von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellt bekommen haben. Im Falle eines geplanten kurzfristigen Aufenthalts von bis zu 180 Tagen innerhalb eines Zeit- raums von 360 Tagen ist kein eigenständiger deutscher Aufenthaltstitel erforderlich.22 Jedoch ist eine entspre- chende Mitteilung über die geplante Mobilität an das BAMF zu richten. Die Mitteilung muss Angaben über eine Kontaktadresse, den geplanten Aufenthaltsort sowie die konkrete Dauer des Aufenthalts beinhalten. Zudem muss eine Aufnahmevereinbarung bzw. ein entspre- chender Vertrag mit der deutschen Forschungseinrich- tung vorgelegt werden. Hervorzuheben ist, dass Famili- enangehörige von kurzfristig mobilen Forschenden kei- ne deutschen Aufenthaltstitel erhalten – maßgeblich ist auch hier das Aufenthaltsdokument des anderen Mit- gliedstaates. Folglich ist auch keine Erwerbstätigkeit der Familienangehörigen erlaubt.
4. Mobile Forscher, § 18f AufenthG
Die Regelungen für mobile Forscher nach § 18f AufenthG wurden ebenfalls der Systematik des § 18 AufenthG hinzugefügt. Sie adressieren Forschende, die einen Aufenthaltstitel eines anderen EU-Mitglied- staates besitzen und ein Forschungsvorhaben in Deutschland für mehr als 180 Tage und höchstens einem Jahr durchführen möchten.23 Inhaltlich sind die Rege- lungen durch die Gesetzesnovellierung unverändert geblieben.
5. Blaue Karte EU, § 18g AufenthG
Die Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel, der sich pri- mär an Hochqualifizierte richtet. Jedoch erfüllen auch Forschende diese Voraussetzung häufig, weshalb die Norm auch für diese hohe Relevanz hat.
a) Voraussetzungen
Es gelten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aus § 5 sowie § 18 AufenthG. Adressaten sind Fachkräfte mit akademischer Ausbildung i.S.d. § 18 II Nr. 4, III Nr. 2
21 Dazu ausführlich: Löwisch/Anselment, Beschäftigungsverbot für Wissenschaftler aus Risikostaaten, OdW 2023, S. 131 ff.
22 Fn. 5, BMI, S. 127. 23 Fn. 5, BMI, S. 133.
332 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 329–338
AufenthG. Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung der Blauen Karte EU ist ein abgeschlossenes Hochschul- studium des Ausländers. Entsprechende Anerkennun- gen und Bewertungen zur Vergleichbarkeit (s.o.) sind auch hier notwendig. Dafür gibt es die Möglichkeit, bereits vor der Einreise den eigenen Abschluss anerken- nen zu lassen bzw. eine Zeugnisbewertung zur Ver- gleichbarkeit durchführen zu lassen.24 Die Mindestdau- er des Arbeitsverhältnisses in Deutschland wurde von einem Jahr auf sechs Monate abgesenkt.
b) Anwendungsbereich
Die neue Systematik des § 18g AufenthG unterteilt die Norm in verschiedene Anwendungsbereiche. Zunächst ist zwischen der „großen Blauen Karte EU“ und der „klei- nen Blauen Karte EU“ zu unterscheiden. Die große Blaue Karte EU setzt voraus, dass eine Beschäftigung mit einem Mindestgehalt von aktuell 43.800 € im Jahr vorliegt. In diesem Fall besteht zudem ein Anspruch auf Erteilung – eine Zustimmung durch die BA ist nicht notwendig. Die kleine Blaue Karte EU gilt für Mangel- und Engpassberu- fe und hat eine Mindestgehaltschwelle von aktuell 39.682,80 €. Hier ist die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich. Dies gilt nun explizit auch für Hochschulabsolventen inländischer Institutionen, die eine Blaue Karte EU in einem Engpassberuf beantra- gen.25 Mangel- und Engpassberufe liegen speziell in den Bereichen Naturwissenschaft, Mathematik, Ingenieur- wesen, Humanmedizin sowie in akademischen Berufen in der Informations- und Kommunikationstechnolo- gie.26 Dieselbe Gehaltsanforderung gilt, falls ein Hoch- schulabschluss vor nicht mehr als drei Jahren ab Bean- tragung der Blauen Karte EU erworben wurde. Dadurch soll eine speziell an Berufseinsteiger gerichtete Möglich- keit geschaffen werden, deren Gehälter sich potenziell noch steigern. Anders als für §§ 18a, 18b AufenthG gilt weiterhin die Bedingung, dass die Beschäftigung der jeweiligen Qualifikation des Hochschulabschlusses angemessen sein muss. Das können jedoch zumindest auch Tätigkeiten sein, bei denen Kenntnisse einer Hoch- schulausbildung zumindest teilweise oder mittelbar benötigt werden.27
c) Besonderheiten der Norm
Nach § 18g I 5 AufenthG gibt es nun erstmalig die Mög- lichkeit, die (große oder kleine) Blaue Karte EU durch Nachweis einer Berufsqualifikation zu erlangen. Zu den mit dieser Regelung adressierten Fällen zählen u.a. Fach-
- 24 Fn. 5, BMI, S. 135.
- 25 Fn. 5, BMI, S. 137.
- 26 Fn. 5, BMI, S. 139 ff.
hochschulen und Berufsakademien oder andere Institu- tionen, die ein tertiäres Bildungsprogramm anbieten. Der erworbene Abschluss muss mit einem Hochschul- abschluss gleichwertig sein, mindestens drei Jahre Aus- bildungsdauer erfordern und mindestens der Stufe 6 der Internationalen Standardklassifikation im Bildungswe- sen entsprechen. Ebenfalls neu ist die Besonderheit für die IT-Branche. Hier wird vollständig auf die Vorausset- zung eines Hochschulabschlusses verzichtet. Vorausset- zungen sind vielmehr die Erreichung der Mindestge- haltsschwelle von 45,3 % sowie eine mindestens dreijäh- rige einschlägige Berufserfahrung. Von der Regelung erfasst sind zudem auch Führungskräfte in der Informa- tions- und Kommunikationstechnologie.28
6. Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit, §§ 18a, 18b AufenthG
Die Normen zum Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit haben sich ebenfalls geändert. Zu unterscheiden ist zwischen § 18a AufenthG für Fachkräf- te mit Berufsausbildung und § 18b AufenthG für Fach- kräfte mit akademischer Ausbildung. Besonders letztere Norm hat eine hervorzuhebende Relevanz für dritt- staatsangehörige Wissenschaftler.
Neu ist, dass beide Normen nunmehr Anspruchstitel darstellen. Neben den Voraussetzungen aus § 18 AufenthG muss eine qualifizierte Beschäftigung vor- liegen. Zudem muss die Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung erteilen. Hervorzuheben ist, dass eine not- wendige Verbindung zwischen erworbener Qualifikati- on und der angestrebten Beschäftigung für beide Nor- men nicht mehr vorliegen muss.29 In der Folge ergibt sich ein deutlich erweitertes Spektrum an möglichen Arbeitsplätzen im Sinne der Norm. Außerdem wurde in §§ 17, 20 AufenthG die Möglichkeit einer befristeten Ein- reise zur Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche geschaf- fen. Zudem ist nun ein Aufenthalt zur Anerkennung einer ausländischen Berufsqualifikation nach § 16d Auf- enthG möglich. Auf verfahrenstechnischer Seite wurde die Möglichkeit eines beschleunigten Fachkräfteverfah- rens nach § 81a AufenthG geschaffen.
7. Niederlassungserlaubnis, § 9 AufenthG
Die grundsätzlichen Regelungen zur Niederlassungser- laubnis nach § 9 AufenthG wurden nur geringfügig geändert. Dagegen wurde die spezifisch an Fachkräfte gerichtete Regelung der Niederlassungserlaubnis nach § 18 I AufenthG hinsichtlich der geforderten Aufent-
27 BT-Drs. 19/8285, S. 99. 28 Fn. 5, BMI, S. 140.
29 Fn. 5, BMI, S. 113 f.
Castendyk · Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler 3 3 3
haltsfrist geändert. Diese verkürzt sich von zuvor vier Jahren auf zwei Jahre. Hervorzuheben ist, dass es, neben der Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte nach § 18 I AufenthG, weiterhin eine spezielle Niederlassungser- laubnis für besonders Hochqualifizierte gibt (§ 18c III AufenthG). Die Vorschrift ist nunmehr als „soll“ Formulierung gefasst. Daraus ergibt sich zwar kein gesetzlicher Anspruch auf Titelerteilung. Jedoch sind besondere atypische Umstände erforderlich, um ein Abweichen von der Regelung zu legitimieren.30 Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit wird nicht benötigt. Die Norm adressiert in erster Linie Wissen- schaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen sowie Lehrpersonen und wissenschaftliche Mitarbeiter in her- ausgehobener Funktion. Folglich ergibt sich eine hohe Relevanz für drittstaatsangehörige Wissenschaftler.
8. Aufenthaltstitel zum Studium, § 16b AufenthG
Innerhalb der Aufenthaltstitel zur Ausbildung stellt der Titel zum Studium nach § 16b AufenthG die Norm von höchster Relevanz für drittstaatsangehörige Wissen- schaftler dar. Es ist jedoch anzunehmen, dass nur ein geringer Anteil der Wissenschaftler in studentischer Rolle einreist. Lediglich die zuvor erläuterte Überschnei- dung zu Promotionsstudierenden erscheint im Hinblick auf die Praxis relevant. Die Norm des § 16b AufenthG blieb durch die Novellierungen in Aufenthaltstitel nahe- zu unverändert. Zu beachten ist, dass für die Zeit der Arbeitsplatzsuche nach dem Studium gem. § 20 Abs. 3 AufenthG neue Regelungen über die notwen- dige Höhe des Einkommens gelten. Diese orientiert sich nun an der Höhe des Einkommens für den Aufenthalt zu Erwerbszwecken und wird somit individuell berechnet. Zuvor galt ein Pauschalbetrag wie bei Studierenden.31 Hinsichtlich einer Finanzierung kommen für Studieren- de grundsätzlich drei Wege in Frage: Eine Förderung über § 61 BAföG für Personen mit einer Aufenthaltser- laubnis, ein Stipendium durch öffentliche oder private Institutionen oder die Eigenfinanzierung. Aktuell ist für ein Studium in Deutschland eine erforderliche Summe von 10.332 € pro Jahr festgelegt.
9. Familiennachzug, §§ 27, 29 AufenthG
Für Fachkräfte im Sinne des § 18 AufenthG wird bei einem geplanten Nachzug der Kernfamilie auf das Erfordernis für erweiterte Wohnraumbereitstellung verzichtet.32 Zur Kernfamilie gehört der jeweilige (Ehe-)
- 30 Fn. 5, BMI, S. 113.
- 31 Frings, Neuregelung durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz,2020, S. 6.
- 32 Fn. 5, BMI, S. 210.
Partner bzw. eingetragene Lebenspartner sowie minder- jährige, unverheiratete Kinder. Außerdem wird, bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen zum Fami- liennachzug,einNachzugvonEltern-undSchwiegerel- tern erlaubt. Beide Änderungen gelten zunächst befris- tet bis zum Jahr 2028. Hervorzuheben ist zudem, dass Ehegatten und minderjährige ledige Kinder von Aus- ländern mit einer Aufenthaltserlaubnis für Forscher, einer Blauen Karte EU oder einer Niederlassungser- laubnis einen sofortigen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach familiären Gründen haben.
10. Bewertung der Neuerungen
Die Gesetzesbegründungen der Novellen unterstreichen die Relevanz und Notwendigkeit einer Fachkräftemigra- tion für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands sowie für die Stärkung der sozialen Sicherungssysteme.33 Während im FEG noch von einer „prosperierenden“ deutschen Wirtschaft gesprochen wurde, konstatiert die Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Weiterentwick- lung der Fachkräfteeinwanderung bereits rund 1,98 Mil- lionen offene Stellen am Arbeitsmarkt – der höchste je gemessene Wert.34 Das Potenzial des Arbeitsmarktes ist somit vorhanden. Auf der anderen Seite müssen voraus- schauende Regelungen sowie effiziente bürokratische Prozesse geschaffen werden, um Fachkräfte auch lang- fristig zu binden und zu integrieren. Die Schaffung eines beschleunigten Verfahrens zeigt, dass dem Gesetzgeber bewusst ist, worin eine der aktuellen Kernproblematiken liegt – den Wartezeiten und Verfahrensdauern. Zwar ergeben sich für drittstaatsangehörige Wissenschaftler mitunter Erleichterungen und Vorteile gegenüber ande- ren Drittstaatsangehörigen, die zur Erwerbsmigration einreisen möchten. Allerdings kann die Vielzahl an Regelungen zu Unsicherheiten führen und im Einzelfall praktische Hindernisse hervorrufen, beispielsweise durch übersehene Sperrwirkungen oder verschiedene Fristen. Involvierte Forschungseinrichtungen sollten daher über hinreichende Kompetenzen verfügen, um den Wissenschaftlern grundlegende Empfehlungen geben zu können. Für die Forschungseinrichtungen selbst ergeben sich mithin schwer kalkulierbare Kosten- risiken im Rahmen der Kostenübernahmeerklärung. Zumindest hinsichtlich der Nutzungshäufigkeit des § 18d AufenthG konnten Erfolge erzielt werden. Wäh- rend 2013 nur rund 1.000 Personen einen Aufenthaltsti-
33 Dippe, in: Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz Asylgesetz, 2021, § 18 Rn. 2.
34 BT-Drs. 29/6500, S. 1.
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tel über § 18d AufenthG, erhielten, stieg die Anzahl auf rund 6.900 Personen im Jahr 2021.35 Ein Indiz, dass die Intentionen des Gesetzgebers Früchte tragen.
Die Schaffung von weiteren Möglichkeiten des Auf- enthalts zur Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche oder auch zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist zu begrüßen. Eine entsprechende Suche vor Ort eröffnet für die Personen weitere Möglichkeiten, beispielsweise im Rahmen von Bewerbungen, die eine Vorstellung in Präsenz erfordern. Außerdem erleichtert speziell die vorgelagerte Anerkennung von Qualifikationen den grundlegenden Prozess. Notwendige Anerkennungs- und Gleichwertigkeitsprüfungen sind häufig zeitintensiv und mit langen Wartezeiten verbunden. In der Folge er- geben sich für die Betroffene in der Praxis Situationen, in denen zwar ein Arbeitsplatzangebot vorliegt, die Arbeit jedoch erst deutlich später aufgenommen werden kann. Eine Vorverlagerung dieser Prozesse entspricht auch dem Interesse der Arbeitgeberseite. Möglicherweise könnten zukünftig einzelne Prüfungs- und Zustim- mungsaufgaben der Bundesagentur für Arbeit mini- miert oder, zumindest für nicht reglementierte Berufe, an Arbeitgeber ausgelagert werden. Dadurch könnten Wartezeiten verkürzt werden und konkrete Arbeitsplatz- angebote schneller wahrgenommen werden. In der Pri- vatwirtschaft würde dann der Arbeitgeber das Risiko ei- nes hinreichend vergleichbaren Abschlusses seiner Ar- beitskraft tragen. In diesem Zusammenhang könnten Arbeitgeber beispielsweise von der Möglichkeit einer Befristung des Arbeitsvertrags gebrauch machen. Eine Befristung im Rahmen eines sachlichen Grundes nach § 14 I S. 2 Nr. 5 TzBfG käme in Betracht. Bei Arbeitsverträ- gen mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren ist eine Be- fristung zudem sachgrundlos möglich.
II. Schwerpunkt Ukraine
Ausgelöst durch den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg im Februar 2022 wurden auf europäischer sowie auf nationaler Ebene Maßnahmen ergriffen, um für ukrainische Vertriebene schnelle und direkte Zugangsmöglichkeiten zu schaffen.
- 35 Vgl. Jahresbericht des Beirats für Forschungsmigration 2021, S. 26.
- 36 Stand: 14. April 2024, Ausländerzentralregister.
- 37 Ebenda.
- 38 Ukraine 2022–2023: Threats to science and higher education afterthe full-scale Russian invasion, Science at risk monitoring report, S. 17.
1. Aktuelle Situation
Nach aktuellen Zahlen leben in Deutschland 1.155.581 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, wovon 1.116.510 die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen.36 Die überwie- gende Mehrheit, rund 83,5 % der Personen mit ukraini- schem Pass, besitzen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Die übrigen Personen warten auf die Bescheidung ihres Antrags bzw. Schutzgesuches. Ledig- lich 33.439 Kriegsflüchtlinge mit ukrainischem Pass haben noch keine entsprechenden Anträge gestellt.37 Nach Schätzungen sind als Reaktion auf den Krieg insge- samt rund 22.000 ukrainische Wissenschaftler geflo- hen.38 Davon gingen rund 26,8 % nach Deutschland.39
2. Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz, § 24 I AufenthG
Zur Einreise in die Europäische Union sind ukrainische Staatsangehörige seit 2017 von der Visumspflicht befreit (Art. 6 VO EU Nr. 2016/399). Einzige Voraussetzung ist das Vorliegen eines biometrischen Reisepasses.40 Der Aufenthalt ist auf 90 Tage beschränkt. Für einen länge- ren Aufenthalt sowie für den Erhalt weiterer (Aufent- halts-)Rechte wird ein gültiger Aufenthaltstitel benötigt. In diesem Zusammenhang erlangte die sog. „Massenzu- stromsrichtlinie“ Bedeutung.
a) Massenzustroms-RL
Die Massenzustroms-RL 2001/55/EG aus dem Jahr 2001 wurde am 3.3.2022 durch den Europäischen Rat akti- viert. Der Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 vom 4.3.2022 stellte das Vorliegen eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Art. 5 der Richtline fest und beschloss einen entsprechenden vorü- bergehenden Schutz für Betroffene.41 Es ist somit zu dif- ferenzieren zwischen der zugrundeliegenden Richtlinie aus dem Jahr 2001 und dem umsetzenden Durchfüh- rungsbeschluss aus 2022. Während der Regelfall eines Asylverfahrens die Einzelfallprüfung jeder Person ver- langt, ist im Fall eines Massenzustroms lediglich eine Personengruppe zu definieren. Dieser Gruppe wird in der Folge ein vorübergehender Schutz gewährt – ohne
39 UAScience.reload (2022), Ukrainian Researchers in Times of War, S. 7, abgerufen im Internet unter: https://www.uascience-reload. org/2022/07/05/ukrainian-researchers-in-times-of-war-results-of- survey/.
40 Ritgen, ZAR 2022, 238 (239).
41 Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 24 Rn. 17.
Castendyk · Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler 3 3 5
eine spezifische individuelle Prüfung. Die Richtlinie ist somit ein Instrument, um eine große Anzahl vertriebe- ner Menschen möglichst effizient und unbürokratisch in die Asyl- und Aufenthaltssysteme der europäischen Staaten aufzunehmen. Ein Verteilungsmechanismus zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten ist nicht ent- halten.
b) Anwendungsbereich
Die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinie wurde in § 24 AufenthG geschaffen. Eine Anwendung setzt voraus, dass die jeweilige Person als Vertriebener im Sinne des Art. 5 II lit. a der Richtlinie gilt.
aa) Zwingender Anwendungsbereich
In Art. 2 I des Beschlusses werden drei mögliche Perso- nengruppen konkretisiert:
- – Ukrainische Staatsangehörige (Art. 2 I lit. a),
- – Staatenlose sowie Drittstaatsangehörige mit interna- tionalem Schutz oder einem gleichwertigen nationa-len Schutz (Art. 2 I lit. b) sowie
- – Familienangehörige der zuvor genannten Gruppen(Art. 2 I lit. c).
Grundvoraussetzung jeder Personengruppe ist derNachweis eines Wohnsitzes in der Ukraine zum Stichtag des 24.2.2022, dem Beginn des Krieges. Der Fall des Art. 2 I lit. b adressiert Personen, die über einen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention verfügen bzw. über ei- nen mit dem subsidiären Schutz vergleichbaren nationa- len Schutz – beispielsweise vorübergehenden oder hu- manitären Schutz.42 Für einen Nachweis genügt ein ukrainischer Reiseausweis für Flüchtlinge oder Reisedokumente über den komplementären Schutz.43 Als Familienangehörige gelten Ehegatten oder Nichtver- heiratete, die in einer dauerhaften Beziehung leben, min- derjährige unverheiratete Kinder sowie andere enge Ver- wandte. Andere enge Verwandte müssen bei Kriegsaus- bruch in der Familie gelebt haben und größtenteils oder vollständig von den Stammberechtigten abhängig gewe- sen sein.44bb) Erweiterung des AnwendungsbereichsDer Durchführungsbeschluss erlaubt außerdem eine Erweiterung des Personenkreises nach Ermessen des jeweiligen Mitgliedsstaates. Eine solche Erweiterung des
- 42 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 21.
- 43 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel-lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 2.
- 44 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 22; Dietz, NVwZ2022, 505 (507).
- 45 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 23; Europäische
Anwendungsbereiches von § 24 AufenthG gilt in Deutschland für Staatenlose und Staatsangehörige ande- rer Drittstaaten als der Ukraine, die sich im Rahmen eines gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmä- ßig in der Ukraine aufgehalten haben und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihre Herkunftsre- gion zurückzukehren (Art. 2 II Durchführungsbe- schluss).45 Ebenfalls gilt die Erweiterung für sonstige ukrainische Staatsangehörige, die sich bereits im Bun- desgebiet aufhalten und über einen anderen Aufenthalts- titel verfügen. Eine Anwendung des § 24 AufenthG könnte für diese Personen sinnvoll sein, falls eine Ver- längerung des bisherigen Aufenthaltstitels in Frage steht. Dies gilt auch für Inhaber einer Duldung, falls diese nicht ausschließlich aufgrund einer Mitwirkungsverlet- zung im Rahmen einer ungeklärten Identität nach § 60b AufenthG erteilt wurde. Die Erweiterung kann im Ein- zelfall eine hervorgehobene Relevanz für Wissenschaft- ler aus der Ukraine haben, die sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in Deutschland oder einem anderen EU-Land aufgehalten haben.
Eine an sich mögliche Erweiterung für Personen- gruppen nicht-ukrainischer Drittstaatsangehöriger, die lediglich einen befristeten ukrainischen Aufenthaltstitel besitzen, ist nicht erfolgt.46 Dies kann Studierende oder Aufenthalte zur Arbeit betreffen. Ebenfalls nicht an- wendbar ist § 24 AufenthG auf sich unerlaubt in der Uk- raine aufhaltende Drittstaatsangehörige oder Staatenlo- se. In diesen Fällen sind lediglich klassische Verfahren zur Aufenthaltserlaubnis denkbar.
c) Einreise nach Deutschland
Ein internes Verteilungssystem existiert nicht – Vertrie- bene im Sinne der Richtlinie haben somit freie Wahl zwischen den Mitgliedsstaaten der EU. Nach der Einrei- se nach Deutschland muss lediglich ein sog. „Aufnah- megesuch“ gestellt werden. Darin werden allgemeine Personeninformationen und eventuell Meldebestätigun- gen erfasst.47 Ein Aufnahmegesuch wird auch konklu- dent über Beantragung von Sozialhilfe (bzw. der Bitte um Unterstützung für Unterkunft, Verpflegung oder medizinische Versorgung) gestellt.48 Im Anschluss erhält die Person eine vorläufige Bestätigung, die als Ausweis bei etwaigen Kontrollen im Alltag dient. Personengrup- pen, die nicht unmittelbar vom Beschluss des Rates
Kommission, Operative Leitlinien, ABl. 2022 C 126I, 3; Dietz,
NVwZ 2022, 505 (506).
46 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 25.
47 Dietz, NVwZ 2022, 505 (508).
48 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel-
lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 7.
336 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 329–338
umfasst sind, jedoch aufgrund nationaler Erweiterungen (§ 23 II, III iVm § 24 I AufenthG) schutzbedürftig sind, müssen zunächst ein Aufnahmegesuch beim BAMF stel- len. In der Folge kann eine Aufenthaltserlaubnis bean- tragt werden.
Zu beachten ist, dass parallel ein Asylverfahren im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention möglich ist. Es ergibtsichsomiteinWahlrechtzwischendemAufnahme- verfahren nach der Massenzustroms-RL sowie dem Asyl- verfahren im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.49
d) Rechtsfolgen und Aufenthaltsstatus
Der erteilte vorübergehende Schutz gem. § 24 AufenthG stellt eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 7 I AufenthG dar.50 Nach dem Beschluss des Rats ist diese zunächst auf ein Jahr befristet – bei einer automa- tischen Verlängerung um jeweils ein halbes Jahr.51 Aus § 24 AufenthG ergeben sich für den Berechtigten unter- schiedliche Rechte und Pflichten.
Im Rahmen des Arbeitsmarktzuganges ist nach § 31 BeschV keine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich. Der Regelfall des § 4a II AufenthG findet somit keine Anwendung. Auch ein Ermessens- spielraum für die Ausländerbehörden besteht folglich nicht. Bereits im Zuge der Erteilung des Aufenthaltstitels ist die Erlaubnis der Erwerbstätigkeit zu vermerken.52 Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit darf nicht ausgeschlossen werden.53 Außerdem gewährt § 24 AufenthG einen Anspruch auf Zugang zu Bildungs- angeboten und Fortbildungen, auf medizinische Versor- gung sowie auf Sozialleistungen.54 Schließlich besteht ein Anspruch auf angemessene Unterbringung bzw. finanzielle Unterstützung zur Unterbringung.
Für die Verteilung der Schutzsuchenden im Bundes- gebiet gilt während des Verfahrens zur Beantragung ei- nes Titels nach § 24 AufenthG der sog. „Königsteiner Schlüssel“ i.S.d. § 24 III 4 AufenthG.55 Jene Zuweisungs- entscheidung des Landes erlischt, sobald der Aufent- haltstitel erteilt wird.56 Im Anschluss gilt § 12a AufenthG, wonach für einen Zeitraum von drei Jahren eine Bin-
- 49 Dietz, NVwZ 2022, 505 (505 f.).
- 50 Dietz, NVwZ 2022, 505 (510).
- 51 Ebenda.
- 52 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel-lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022,
S. 11 f.; Ritgen, ZAR 2022, 238 (242); Fränkel, in: NK-Ausländer- recht, 2023, § 24 Rn. 16. - 53 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel- lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 12.
- 54 Dietz, NVwZ 2022, 505 (511).
dung an das Bundesland der Antragsstellung vorliegt. Analog zu den Regelungen in § 12a AufenthG können Gründe vorgebracht werden, nach denen eine Wohnsitz- auflage nicht gilt (§ 12a I 2 AufenthG) oder aufzuheben ist (§ 12a V AufenthG).
Ein Familiennachzug zum Titelinhaber nach § 24 AufenthG ist gem. § 29 IV AufenthG für Ehegatten, min- derjährige ledige Kinder sowie minderjährige ledige Kinder des Ehegatten möglich. Voraussetzung ist, dass die familiäre Lebensgemeinschaft durch die Flucht auf- gehoben wurde.57 Außerdem müssen sich die Familien- angehörigen in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten und übernommen werden oder sich außerhalb des Uni- onsgebiets aufhalten und schutzbedürftig sein. Eine Schutzbedürftigkeit liegt vor, falls die Personen aus den gleichen Gründen wie die Titelinhaber vertrieben wur- den und, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, aus der Ukraine kommen.58
e) Zukunft Aufenthaltsstatus
Der Schutzstatus der Massenzustroms-RL endet durch Zeitablauf oder durch einen entsprechenden Beschluss des Rates.59 Ein solcher schlägt in der Folge unmittelbar auf die Gültigkeit der nach § 24 AufenthG erteilten Auf- enthaltserlaubnis durch. Auf Europäischer Ebene wurde die Richtlinie durch den Rat bereits auf die maximale Dauer bis März 2025 verlängert. In Deutschland wurde durch die sog. „Forgeltungsverordnung“ eine automati- sche Verlängerung der Aufenthaltstitel nach § 24 Auf- enthG bis zum 4. März 2025 beschlossen. Im Anschluss ist ein weiterer Aufenthalt nach aktueller Rechtslage an die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels geknüpft.60 Ob eine Neuauflage der Richtlinie bzw. der nationalen Umsetzung denkbar wäre, ist derzeit noch offen.
Als Rechtsgrundlage für einen weiteren Verbleib käme zunächst eine Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter nach §§ 3,4 AsylG in Frage. Auch eine Duldung wäre denkbar.61 Inwiefern die Vor- aussetzungen vorliegen, müsste im Einzelfall geprüft werden und hängt von den aktuellen Entwicklungen des
55 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 11.
56 Ritgen, ZAR 2022, 238 (243).
57 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel-
lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 6.
58 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststel-
lung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 6 f. 59 Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2022, § 24 Rn. 13. 60 Ritgen, ZAR 2022, 238 (242).
61 Ebenda.
Castendyk · Aufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Wissenschaftler 3 3 7
Krieges ab. Aufgrund der besseren Rechtsstellung wäre primär ein Wechsel zu einem regulären Aufenthaltstitel zu prüfen. Für einen solchen Titelwechsel in Betracht kommen besonders die Vorschriften zum Aufenthalts- weck der Ausbildung (§§ 16a-16f) oder zur Erwerbstätig- keit (§§18a, 18b, 18d, 18e, 18f, 18g).62
3. Perspektive Wissenschaftler Ukraine
Für Wissenschaftler aus der Ukraine ergibt sich primär die Frage, ob und falls ja, wann ein Wechsel von § 24 I AufenthG zu anderen Aufenthaltstiteln zur Ausbil- dungs- und Arbeitsmigration sinnvoll oder notwendig erscheint. Die Beantragung und die Erteilung eines sol- chen Aufenthaltstitels, zusätzlich zu einer Aufenthaltser- laubnis nach § 24 I AufenthG, ist grundsätzlich möglich. Eine Ausnahme bildet die Erteilung einer Blauen Karte nach § 18g AufenthG – diese ist bei Vorliegen eines Auf- enthaltstitels nach § 24 I AufenthG durch § 19f I Nr. 2, II Nr. 1 AufenthG gesperrt.63
Am Beispiel der Regelungen aus §§ 18a, 18b und 18d AufenthG, den Aufenthaltstiteln für Fachkräfte sowie für Forscher, lassen sich die Vor- und Nachteile gegenüber § 24 AufenthG darstellen. So wird bei diesen für den Zugang zum Arbeitsmarkt zunächst ein konkretes Arbeitsplatzangebot sowie die Zustimmung der Bundes- agentur für Arbeit benötigt. Auch der Umfang der erlaubten Erwerbstätigkeit ist durch die Bundesagentur für Arbeit beschränkbar. Weiterhin müssen die jeweili- gen einzelnen Qualifikationsanforderungen, beispiels- weise die Fachkrafteigenschaft vorliegen.64 Für Forschende nach § 18d muss eine Aufnahmevereinbarung abgeschlossen werden. Demgegenüber fordert § 24 I AufenthG keine vergleichbaren Voraussetzungen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten (s.o.). Außerdem gelten Erleichterungen beim Familiennachzug, indem Ehegatten und Kinder, falls eine Schutzbedürftigkeit vorliegt, von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzun- gen aus § 5 I AufenthG sowie dem Versagungsgrund aus § 27 III AufenthG befreit werden.65 Ein Aufenthaltstitel nach § 24 I AufenthG bietet somit grundsätzlich eine Vielzahl kurzfristiger Erleichterungen und Vereinfa- chungen.
Für einen Wechsel des Aufenthaltstitels spricht die daraus folgende langfristige Rechtssicherheit durch ei-
- 62 Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Fest- stellung des Bestehens eines Massenzustroms, 14. März 2022, S. 8; Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 38.
- 63 Klaus/Fausel/Tonn, KuR 2022, 111 (114).
- 64 Klaus/Fausel/Tonn, KuR 2022, 111 (115).
- 65 Fränkel, in: NK-Ausländerrecht, 2023, § 24 Rn. 17.
nen Aufenthaltstitel, der über die dreijährige Dauer des § 24 I AufenthG hinaus wirkt. Zu beachten ist auch, dass die Rechte im Rahmen des vorübergehenden Schutzes nur in dem jeweiligen Mitgliedstaat ihre Wirkung entfal- ten, der den Aufenthaltstitel erteilt hat.66 Daraus ergibt sich eine geringere Flexibilität innerhalb von Europa. Außerdem bieten die §§ 18 ff. AufenthG jeweils Möglich- keiten der Aufenthaltsverfestigung, beispielsweise die beschleunigte Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 18c I, II AufenthG. Diese Möglichkeit besteht über § 24 I AufenthG nicht.67 Falls ein langfristiger Ver- bleib in Deutschland angestrebt wird, ist somit ein früh- zeitiger Wechsel in einen anderen Aufenthaltstitel erstre- benswert. Zum März 2025 ist aufgrund des auslaufenden § 24 I AufenthG zudem von einer hohen Auslastung der entsprechenden Behörden auszugehen. Durch einen frühzeitigen Antrag könnten somit hohe Wartezeiten und möglicherweise problematische Übergangskonstel- lationen vermieden werden. Bereits jetzt gibt es ver- gleichbare Fälle, in denen die Voraussetzungen eines Titelwechsels zwar vorliegen, die Personen sich aber auf- grund langer behördlicher Bearbeitungszeiten „zwi- schen“ zwei Titeln befinden. Wenn in der Folge zudem finanzielle Unterstützungszahlungen ausbleiben, kann dies existenzielle Folgen haben.68
4. Bewertung der Regelungen
Die erstmalige Aktivierung der Massenzustroms-RL zeigt eindrücklich die Möglichkeiten auf europäischer bzw. nationaler Ebene, welche zum Zweck einer schnel- len und unbürokratischen Erteilung von Aufenthaltsti- teln bestehen. Eine Überlastung einzelner Behörden konnte dadurch vermieden werden. Die notwendigen Prozesse und Antragsverfahren für die Vertriebenen aus der Ukraine stehen zudem in keinem Vergleich zu denen eines klassischen aufenthaltsrechtlichen Verfahrens zur Erlangung eines Titels. In diesem Zusammenhang könn- ten einzelne Aspekte, beispielsweise die sofortige Ertei- lung einer Arbeitserlaubnis sowie die damit zusammen- hängende verminderte Notwendigkeit von Prüfungen durch das Bundesamt für Arbeit, als Inspirationsquellen für zukünftige Novellierungen des Aufenthaltsrechts dienen. Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass trotz der vereinfachten Prozesse lediglich 15,7 % der Ver-
66 Dietz, NVwZ 2022, 505 (511).
67 Klaus/Fausel/Tonn, KuR 2022, 111 (115).
68 FAZ, Pläne sind nichts mehr für uns, 15.03.2023, abgerufen im
Internet unter: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/ ukraine-krieg-wie-gefluechtete-wissenschaftler-in-hessen-for- schen-18745295.html.
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triebenen aus der Ukraine einer sozialversicherungs- pflichtigen Arbeit nachgehen.69
Der § 24 AufenthG bietet den Vertriebenen eine ge- genüber anderen Aufenthaltsverfahren gehobene Rechtsstellung. Das Wahlrecht zur Möglichkeit der Durchführung eines Asylverfahrens sollte daher von den Vertriebenen nur im Einzelfall aufgrund spezifischer Gründe genutzt werden. Auch für Wissenschaftler aus der Ukraine stellt ein Titel nach § 24 AufenthG eine Grundlage dar, die für eine Vielzahl von Personen be- reits hinreichend Rechte impliziert. Für einen Wechsel des Aufenthaltstitels sprechen damit verbundene Vortei- le in der Aufenthaltsverfestigung sowie eine erhöhte Mo- bilität. Außerdem können Unsicherheiten resultierend
aus der begrenzten Dauer des § 24 AufenthG bereits frühzeitig vermieden werden. Zwar empfahl in diesem Kontext bereits die EU-Kommission den Mitgliedsstaa- ten ein pragmatisches Vorgehen.70 Inwiefern dabei tat- sächlich an den Pragmatismus des § 24 I AufenthG ange- knüpft werden kann, bleibt aber abzuwarten.
Tom Castendyk war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Aktuell studiert er an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wie- der.
69 Tagesschau, Warum nur wenige Ukraine-Geflüchtete arbeiten, 27.04.2024, abgerufen im Internet unter: https://www.tagesschau. de/wirtschaft/arbeitsmarkt/ukraine-arbeitsmarkt-100.html?utm_ source=pocket-newtab-de-de.
70 Empfehlung (EU) 2022/554 (ABl. EU v. 6.4.2022 Nr. L 107 I, 1).