Übersicht
I. Einführung
1. Hintergrund: Grundzüge der bisherigen Organisationsent- wicklung
2. Gründe für die Einführung von Doppelspitzen
a) Bestehende Gestaltungsspielräume für die Leitungsorga- nisation
b) Spiegelung auf dem Hintergrund veränderter Aufgaben c) Fragestellungen und Gang der Darstellung
II. Erfahrungen mit der Doppelspitze als Leitungsmodell politi- scher Parteien
III. Erscheinungsformen und Rechtsgrundlagen der Doppelspit- ze bei Unternehmen
1. Rechtliche Zulässigkeit
2. Anforderungen an die Gestaltung 3. Zwischenfazit
IV. Zulässigkeit der Doppelspitze im Organisationsrecht von Universitäten und Hochschulen.
1. Zulässigkeit einer Doppelspitze für die Hochschulleitung 2. Zulässigkeit einer Doppelspitze für die Fakultätsleitung
a) Vereinbarkeit mit bestehender gesetzlicher Regelung des Fakultätsrechts
b) Lösungsansätze bei freier Gestaltung durch die Grund- ordnung bzw. im Rahmen sog. Experimentierklauseln
c) Beispiel einer Regelung auf Fakultätsebene d) Bewertung
V. Zusammenfassung
1 Zum Folgenden zuletzt Peter-André Alt, Exzellent!? München 2021; dazu Jürgen Heß, Gefesselt vom Kosmos der Universität. Ein fiktiver Dialog mit Peter-André Alt über sein Buch Exzel- lent!? Zur Lage der deutschen Universität, OdW 2022, 225 ff.; M. E. Geis, in M.E. Geis (Hrsg.), Das Hochschulrecht in Bund und Ländern, § 58 HRG, Rn. 1 ff.; G. Sandberger, Hochschul- rechtsreform in Permanenz, Zur Entwicklung des Hochschul- organisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff.; G. Roellecke, Geschichte des Hochschulwesens in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl. 1996, S. 3, 25 ff.
Zur ideengeschichtlichen Diskussion: Karl Jaspers Die Idee der Universität, 1946; H. Schelksky, Einsamkeit und Freiheit, Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, 1963; zu den Reformbestrebungen seit 1945, S. 244; für die wissenschafts- politische Diskussion Wissenschaftsrat (1967): Empfehlungen
I. Einführung
1. Hintergrund: Grundzüge der bisherigen Organisati- onsentwicklung
Die Fragestellung hat ihren Hintergrund in den Erfah- rungen mit der bisherigen Organisationsentwicklung von Universitäten und Hochschulen.
Die Geschichte des Hochschulrechts ist die Ge- schichte seiner Reformen.1 Phasen der Kontinuität seit den mittelalterlichen Universitätsgründungen wurden im Absolutismus und in den Revolutionskriegen unter- brochen. Reformmodelle der Aufklärung und die Humboldt’schen Reformen blieben unvollendet. Das galt auch für Reformversuche in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.
Im Nationalsozialismus wurde die Selbstverwaltung durch das sog. Führermodell auf Leitungsebene und Fa- kultätsebene ersetzt. Die Universitäten verloren ihre Rechtsfähigkeit und unterlagen zentraler Steuerung durch das zuständige Reichsministerium.2 Eine ähnliche Führungsstruktur wurde in der DDR mit dem Prinzip der Einzelleitung und kollektiven Kontrolle unter Betei- ligung der Partei- und Gewerkschaftsgliederungen etabliert.3
In der Nachkriegszeit wurde zunächst durch die westdeutschen Militärverwaltungen, nach der Bildung der Bundesländer durch deren Landesrecht der frühere
zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970; Wissenschaftsrat (1968): Empfehlungen des Wissenschaftsrat
zur Struktur und Verwaltungsorganisation der Universitäten; zur rechtswissenschaftlichen Diskussion A. Köttgen, Freiheit der Wissenschaft und Selbstverwaltung der Universität in: Neumann, Nipperdey, Scheuner, Die Grundrechte, 2. Bd. 1954, S. 291 ff.; H. J. Wollf, Die Rechtsgestalt der Universität, 1956.
Zur geschichtlichen Entwicklung zusammenfassend BVerfGE 149,
346 ff., Rn. 57 ff.
2 Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung v. 1.4.
1935, ReichsMinABl. 1935, 142.
3 Verordnung über die Aufgaben der Universitäten, wissenschaft-
lichen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen mit Hochschulcharakter v. 25. Februar 1970, GBl. DDR 170 II, S. 189 ff.
Georg Sandberger
Doppelspitze – Neues Modell für die Leitungsorganisation von Universitäten und Hochschulen?
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
290 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 289–302
Rechtsstatus der Universitäten restituiert.
Eine anhaltende Reformdiskussion in den 50er Jah-
ren blieb ohne Ergebnis.
Der massenhafte Zugang löste eine große Zahl von
Neugründungen und mit den Fachhochschulen die Gründung neuer Hochschularten aus. Die überkomme- ne mit der Bezeichnung „Gelehrtenrepublik“ beschrie- bene Struktur der Universität und ihrer Fakultäten geriet bereits durch die Öffnung der Hochschulen unter Druck. Die Studentenunruhen der 60-er Jahre veranlassten die Landesgesetzgeber bis zur sog. Drittelparität reichende Repräsentation der Mitgliedergruppen in den Kollegial- organen der Universitäten, wissenschaftlichen Hoch- schulen und neu entstandenen Fachhochschulen zu etablieren.
Mit dem Hochschulrahmengesetz von 1976 wurden die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil auf Verfas- sungsbeschwerden gegen das sog. niedersächsische Vor- schaltgesetz4 aufgestellten Grundsätze zur Vertretung der Mitgliedergruppen im Verbund mit Vorgaben für die Gestaltung der Leitungsstrukturen, der Personal- struktur, des Studien- und Prüfungs- und Zulassungs- rechts durch die Landeshochschulgesetze umgesetzt.
Trotz der zutage getretenen Mängel blieben die Grundelemente der durch das HRG vorgegebenen Hochschulorganisation nahezu 25 Jahre erhalten. Nach der Wiedervereinigung waren die neuen Bundesländer zunächst gezwungen, ihre durch das DDR-Recht besei- tigten, nach der Wende durch eine vorläufige Hoch- schulrechtsverordnung wiederhergestellten Hochschul- verfassungen nach der Blaupause der HRG-Vorgaben zu gestalten.5
Mit der Aufhebung der Rahmenvorgaben der §§ 60 ff. HRG für die Binnenorganisation der Hochschu- len und die Öffnung für alternative Rechtsformen in der
- 4 BVerfGE 35, 79 ff.
- 5 Vorläufige Hochschulverordnung v. 18. September 1990, GBl.DDR 1990, 1585; Einigungsvertrag v. 31.8.1990, BGBl. II, 859, Kap.XVI.
- 6 Vgl. dazu D. Müller-Bölling, Die entfesselte Hochschule, 2000;ihm folgend Monopolkommission, Wettbewerb als Leitbild der Hochschulpolitik, Sondergutachten 30, 2000; Stifterverband
für die deutsche Wissenschaft, Qualität durch Wettbewerb und Autonomie, 2002; Wissenschaftsrat, Perspektiven des Wissen- schaftssystems, Empfehlungen 2013, Drs. 3228/13; aus rechts- wissenschaftlicher Sicht kritisch die Habilitationsschriften von Wolfgang Kahl, Hochschule und Staat, 2004, § 11 und 12 sowie
K. F. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2010, insbesondere § 1 II. S. 23 ff., § 3, S. 93 ff., § 4, S. 274 ff.; aus wissenschaftshistorischer und wissenschaftstheore-
Regelung des § 58 HRG zum Rechtsstatus der Hochschu- len war der Weg für die danach einsetzende, meist mit dem Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ bezeichnete Reform der Landeshochschulgesetze geöff- net. Erweiterte Rahmenbedingungen für die Landesge- setzgeber brachte die Aufhebung der Rahmenkompe- tenz im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2008.
Einfluss- und folgenreich für die neuere Hochschul- rechtsentwicklung war das vom CHE als Anführer der Reformbewegung entwickelte Leitbild der Hochschule als Dienstleistungsunternehmen oder unternehmeri- schen Hochschule.6
Kern des Konzepts ist zum einen eine umfassende Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und Hoch- schule, zum anderen eine Neuordnung der Leitungsor- ganisation. Der Zuwachs an externer Autonomie soll mit einer Stärkung der Leitungsorgane zu Lasten der kollegi- alen Selbstverwaltungsorgane verbunden, der Machtzu- wachs der Hochschulleitung durch ein ausschließlich oder überwiegend mit Externen besetzten internes Auf- sichtsorgan (Hochschulrat, Kuratorium) unter Kontrolle gestellt werden.
Bis hin zur Bezeichnung der Leitungsorgane als Vor- stand und Aufsichtsrat steht dafür die Führungsorgani- sation von Unternehmen als Vorbild.
Dieses Konzept verwirklicht wesentliche Elemente des für die öffentliche Verwaltung entwickelten New Pu- blic Management – dem Grundsatz der Dezentralisie- rung und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der öf- fentlichen Verwaltung. In rascher Abfolge wurden in den Bundesländern Bausteine dieses Konzeptes mit un- terschiedlichen Akzentsetzungen umgesetzt.
Die neue Leitungsorganisation bestand zunächst weitgehend die hochschulverfassungsrechtliche Über- prüfung durch das Bundesverfassungsgericht.7 Der
tischer Sicht kritisch J. Mittelstraß, Die Universität zwischen Weis- heit und Management, FAZ- Forschung und Lehre vom 31.August 2016, S. 4.
7 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung: K.F. Gärditz in: Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 102. EL, Art. 5 Abs. 3 GG, Rn. 195 ff; ders. Hochschulorganisation und verwaltungs- rechtliche Systembildung 2010, S. 275 ff.; U. Mager, Das Verhältnis von Steuerung, Freiheit und Partizipation in der Hochschulor- ganisation aus verfassungsrechtlicher Sicht, OdW 2019, 7 ff.; Th. Würtenberger, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung im Landeshochschulgesetz von Baden-Würt- temberg, OdW 2016, 1 ff.; G. Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden- Württemberg, 3. Aufl. 2022, Einleitung Rn. 70 ff.; ders. Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg in: M.E. Geis, Das Hochschulrecht in Bund und Ländern, 60. EL 2023, Rn. 31 ff.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 2 9 1
Kernsatz der Schlussfolgerung im Urteil des BVerfG zum brandenburgischen Hochschulgesetz lautet: „Die zur Si- cherung der Wissenschaftsadäquanz von hochschulor- ganisatorischen Entscheidungen gebotene Teilhabe muss nicht in jedem Fall im Sinne der herkömmlichen Selbst- verwaltung erfolgen.“ Seit dem sog. Hamburger Deka- natsbeschluss erfolgte eine Korrektur. Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Bewertung sei das Gesamtge- füge. Das Gesamtgefüge kann insbesondere dann verfas- sungswidrig sein, „wenn dem Leitungsorgan substantiel- le personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevanten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschullehrern besetzten Vertretungsgremi- um im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kont- rollrechte verbleiben.“8
Eine weitere Weichenstellung erfolgte durch den Be- schluss zur Leitungsorganisation der MHH Hannover v. 24. Juni 2014.9 Eine strukturelle Gefährdung der Wissen- schaftsfreiheit sieht das BVerfG in den nicht hinreichen- den Mitwirkungsbefugnissen des Senats an den Ent- scheidungen der Hochschulleitung über den Wirt- schaftsplan und die Aufteilung der Sach‑, Investitions- und Personalbudgets auf Organisationseinheiten sowie über die Bereitstellung von Mitteln für zentrale Lehr- und Forschungsfonds.10
Den vorläufigen Abschluss der Korrektur der neuen Leitungsorganisation bildet das Urteil des Verfassungs- gerichtshofs Baden- Württemberg. Der Verfassungsge- richtshof des Landes Baden-Württemberg11 verlangt in Abwandlung der Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts zusätzlich, dass der Senat als entscheiden- des Wahlorgan mehrheitlich von gewählten Mitgliedern der Professorengruppe zusammengesetzt sein und Wahl- und Abwahl der Hochschulleitung von einer Pro- fessorenmehrheit getragen sein muss.12
In einem Kammerbeschluss zur Leitungsstruktur der Dualen Hochschule Baden- Württemberg kommt das BVerfG zum Ergebnis, dass das Gesamtgefüge der Orga- nisation der DHBW den Anforderungen des BVerfG an die Kompensation von Leitungskompetenzen der Hoch-
- 8 BVerfG 127, 87 ff, Leitsatz 2 und Entscheidungsgründe Rn. 95 ff.
- 9 BVerfG 136, 338 ff.
- 10 Beschluss vom 24.6.2014 – BVerfGE 136, 338 ff., 371 Rn. 70.
- 11 VerfGH BW, Urt. v. 14.11.2016, VB 16/15, ESVGH 67, 124 (Leitsatz),WissR 2016, 302–332 (Leitsatz und Gründe)
schulleitung durch Mitwirkungsprozesse, Kontrollrech- te, Wahl- und Abwahlverfahren der Selbstverwaltungs- gremien unter maßgeblichem Einfluss der Hochschul- lehrer als Grundrechtsträger genügt.13 Ein in den Ent- scheidungsgründen und im Ergebnis weitgehend gleichlautender Beschluss ist am 6. März 2020 zum Nie- dersächsischen Hochschulgesetz i.d.F. von 2015 ergangen.14
Der gegenwärtige Rechtszustand der Hochschulorga- nisation lässt sich damit wie folgt zusammenfassen. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts er- folgten Korrekturen, aber nicht ein grundsätzlicher Rückbau der Governance Strukturen. Monokratische oder kollegiale Leitungsstrukturen auf zentraler und de- zentraler Ebene bestehen, werden aber durch Kontroll- rechte, Wahl- und Abwahlverfahren der Selbstverwal- tungsgremien unter maßgeblichem Einfluss der Hochschullehrer als Grundrechtsträger und Mitwir- kungsrechte der Selbstverwaltungsgremien in wissen- schaftsrelevanten Fragen beschränkt.
2. Gründe für die Einführung von Doppelspitzen
a) Bestehende Gestaltungsspielräume für die Leitungs- organisation
Die Landeshochschulgesetze ermöglichen ein breites Spektrum der Gestaltung der Leitungsorgane auf zentra- ler Ebene. Damit tragen sie den unterschiedlichen Grö- ßenordnungen und Aufgaben der Hochschulen und ihrer Untergliederungen (Fakultäten, Sektionen) Rech- nung.
Für die Gestaltung der Hochschulleitung besteht seit dem HRG die Option zwischen einer Präsidialverfas- sung und Rektoratsverfassung.15 Die Präsidialverfassung diente ursprünglich dem Zweck, auch Externe für die Wahl zur Leitung der Hochschule zu gewinnen. In der Regel war sie mit einer monokratischen Leitung verbun- den, d. h. dass die Vizepräsidenten und der leitende Ver- waltungsbeamter als weisungsabhängige Vertreter des Präsidenten fungierten. Die Rektoratsverfassung war demgegenüber als kollegiale Hochschulleitung ausge-
12 Entscheidungsgründe unter EII, Rn. 158.
13 Entscheidungsgründe, Rn. 15 ff.
14 BVerfG Beschluss v. 6. März 2020, 1 BvR 2862/16, Rn. 7 ff. und
12 ff.
15 Vgl. § 62 HRG Fassung 1976
292 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 289–302
staltet, deren Mitglieder bis auf den für die Wirtschafts- und Personalverwaltung zuständigen Kanzler Mitglieder der Professorenschaft der Hochschule sein mussten. Die Amtszeiten der Ämter in der Präsidialverfassung und Rektoratsverfassung unterschieden sich erheblich, au- ßerdemübtendieProrektorinnenundProrektorenihre Ämter nur nebenamtlich neben dem fortbestehenden Professorenamt aus.
Nach dem jetzt geltenden Hochschulrecht können auch Externe zu Präsidentinnen oder Präsidenten, Rek- torinnen und Rektoren, Prorektorinnen und Prorekto- ren gewählt werden.16 Die Amtszeiten sind angeglichen, die Ämter können hauptamtlich ausgeübt werden. Au- ßerdem kann auch die Rektoratsverfassung monokra- tisch ausgestaltet werden. Eine Mischform zwischen mo- nokratischer und kollegialer Hochschulleitung stellt die Richtlinienbefugnis der Rektorin bzw. des Rektors für die Ausübung der Geschäftsbereiche der Prorektorinnen und Prorektoren, Kanzlerinnen und Kanzler dar.
Die Entscheidung für eine Präsidial- oder Rektorats- verfassung wird vielfach von der jeweiligen Tradition der Hochschule geprägt. In der Regel haben sich vor allem neu gegründete Universitäten, Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften und Duale Hochschulen für eine Präsidialverfassung entschieden.
Auf dezentraler Leitungsebene bestehen für die Lei- tung vergleichbare Leitungsmodelle. Das Dekansamt kann hauptamtlich ausgestaltet und durch Externe oder nebenamtlich durch Professorinnen und Professoren der Fakultät besetzt werden. Ebenso besteht die Option zwischen einer monokratischen und kollegialen Fakultätsleitung.
Die kollegiale Leitung mit selbständigen Geschäfts- bereichen ist vor allem bei großen Universitäten und Hochschulen mit einer umfangreichen Fächerstruktur die geeignete Governance-Struktur.
Die Geschäftsbereiche können die verschiedenen Fä- cherstrukturen und Aufgaben der Hochschule im Be- reich von Forschung, Lehre, Strategie und Dienstleistung abbilden. Die laufenden Geschäfte werden mit einem entsprechend gestalteten Vertretungsrecht von den Amtsinhabern selbständig in eigener Verantwortung
16 Vgl. § 17 Abs. 3 LHG BW; Art. 31 Abs. 2 BayHIG; § 65 Abs. 3 BbgHG; § 55 Abs. 3 BerlHG; § 82 BremHG; § 80 Abs.1 HambHG; § 45 Abs. 1 HessHG; § 83 Abs. 1 LHG MV; § 38 Abs. 3 NHG;
wahrgenommen. Demgegenüber bedürfen grundsätzli- che Entscheidungen wie die Vorbereitung der strategi- schen Ausrichtung, Strukturfragen, Entscheidungen über die Aufstellung und den Vollzug des Haushalts, Bauplanungen, Organisationsentscheidungen sowie ver- gleichbare Angelegenheiten der Entscheidung im Kollegialgremium.
b) Spiegelung auf dem Hintergrund veränderter Aufga- ben
Die Landeshochschulgesetze bieten damit vielfältige Modelle der Organisationsverfassung an, die passgenau an die Hochschulart, Größe und Aufgaben der Hoch- schulleitungen und Fakultätsleitungen angepasst werden können.
Gleichwohl wird seit einiger Zeit als Alternative zu den monokratischen oder kollegialen Leitungsmodellen die sog. Doppelspitze als Leitungsorgan von Hochschu- len und Fakultäten staatlicher und privater Hochschu- len erwogen. Vorbild dafür sind Leitungsmodelle der politischen Parteien und Unternehmen.
Als wesentlicher Grund dafür wird der Zuwachs an Aufgaben der Hochschulleitungen und Fakultätsleitun- gen angeführt. Dieser Zuwachs ist Spiegelbild des aus Kern- und ständig wachsenden Annexaufgaben beste- henden Aufgabenkatalogs der Hochschulgesetze. Maß- geblich dafür ist vor allem die Notwendigkeit strategi- scher Ausrichtung auf die Veränderung der Hochschul- finanzierung, die wachsende Abhängigkeit von der Drittmittelfinanzierung, insbesondere nationaler und europäischer Förderungsprogramme. Des Weiteren sind zu nennen: die mit der Bologna Reform verbundene Neuausrichtung der Studiengänge und Studienorganisa- tion, die Umstellung des Prüfungswesens auf das Leis- tungspunktesystem, die Anforderungen an die Zulas- sung von Studiengängen, die Übertragung der Geneh- migungszuständigeit für Prüfungsordnungen, die Qualitätssicherung, die Vermehrung von Dienstleis- tungsaufgaben im Bereich des Technologietransfers, der Weiterbildung, der Schlüsselqualifikationen, der Ver- mittlung in den Arbeitsmarkt, die Anforderungen an das Berichtswesen, die Hochschulkommunikation, die
§ 17 Abs. 2 HG NRW; § 80 Abs. 6 HG RPf; § 20 Abs. 1 SHSG; § 87 Abs. 2 SächsHG; § 69 Abs.7 HG LSA; § 23 Abs. 5 HSG SH; § 30 Abs. 7 ThürHG.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 2 9 3
Rechnungslegung, der Betrieb und die Modernisierung der baulichen und technischen einschließlich der digita- len Infrastruktur. Dieser Zuwachs an Aufgaben geht mit einem nationalen und zunehmend internationalen Wett- bewerb im Bereich von Forschung und Lehre, Gewin- nung von Wissenschaftlern und Studierenden einher.
Das Stichwort „unternehmerische Hochschule und Hochschulmanagement“ umschreibt die Professionali- sierung der Leitungsfunktionen. Die Hauptamtlichkeit der Hochschulleitung und Amtszeiten von sechs bis acht Jahren sind der Regeltypus. Dies hat zur Folge, dass die Übernahme von Leitungsämtern durch Professorinnen und Professoren der eigenen Hochschule nur unter Auf- gabe der bisher mit einer Professur verbundenen Aufga- ben wahrgenommen werden können. Die Übernahme von Leitungsaufgaben ist deshalb mit einem weitgehen- den Verzicht auf die wissenschaftliche Tätigkeit verbun- den, der, abhängig von der Amtsdauer in vielen Fächern wegen der raschen wissenschaftlichen Entwicklungen eine Rückkehr erschwert oder unmöglich macht. Damit verliert die Übernahme von Leitungsämtern für beson- ders ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler an Attraktion, obwohl gerade von deren Per- sönlichkeit das Ansehen ihrer Hochschule und die Auto- rität des Leitungsamtes nach außen und innen besonders abhängig sind.
Als Doppelspitze ausgestaltete Leitungsämter sollen dazu beitragen, die Vereinbarkeit von Leitungsaufgaben mit weiterer wissenschaftlicher Tätigkeit zu erleichtern, um diese Leitungsämter für wissenschaftlich besonders ausgewiesene Hochschullehrerinnen und Hochschulleh- rer attraktiv zu erhalten.
c) Fragestellungen
Als Doppelspitze wird das „gemeinsame Innehaben eines hohen Amtes durch zwei Personen“ verstanden.17 Sie ist nicht zu verwechseln mit der in der früheren norddeutschen Kommunalverfassung üblichen Funkti- onsteilung zwischen Bürgermeister, Landrat, Stadtdirek- tor und Oberkreisdirektor. Ebenso ist sie nicht zu ver- wechseln mit der dualistischen Hochschulverfassung Preußens und seiner Nachfolgestaaten, in der der Rektor
- 17 Duden, Online Wörterbuch.
- 18 Exemplarisch § 91 BBG, § 69 LBG BW. Die haushaltsrechtlicheVerankerung der Teilzeitbeschäftigung erfolgt idR in den Jahres- haushaltsgesetzen, z. B. § 3 StHG BW 2023/2024.
die Selbstverwaltung der Hochschule, der Kurator die staatlichen Aufgaben geleitet hat.
Das Konzept der Doppelsitze ist schließlich vom Fall des sog. Arbeitsplatzteilung (Job-Sharing) und ähnlicher Modelle der Aufgabenteilung durch mehrere Personen abzugrenzen. Job-Sharing ist in der Definition des § 13 Abs. 1 TzBfG der Fall, „dass mehrere Arbeitnehmer sich die Arbeitszeit an einem Arbeitsplatz teilen (Arbeits- platzteilung).“ Job-Sharing verpflichtet bei entsprechen- der Vereinbarung die beteiligten Arbeitnehmer zur wechselseitigen Vertretung. Die Beendigung des Arbeits- verhältnisses durch einen Arbeitnehmer rechtfertigt kei- ne Kündigung des Arbeitgebers gegenüber dem anderen Arbeitnehmer. Ähnliche Möglichkeiten sieht auch das Beamtenrecht vor.18
Im Kontext des Hochschulrechts betrifft der Begriff „Doppelspitze“ daher nur die Teilung der Leitungsämter.
Bislang sehen die Hochschulgesetze weder für zent- rale noch dezentrale Leitungsämter von Hochschulen explizite Regelungen für eine Doppelspitze vor. Ebenso wenig kann von einer etablierten Praxis die Rede sein.19 Ihre Zulässigkeit im Rahmen des geltenden Rechts ist ungeklärt. Ebenso sind die Rahmenbedingungen für ihre Einführung weitgehend ungeklärt.
Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, ob sich aus dem Modell der Doppelspitze von politischen Parteien (II) und Unternehmensleitungen (III) Anhalts- punkte für die Gestaltung der Hochschulleitung und Fa- kultätsleitung ergeben.
Daran anschließt die Klärung der Umsetzbarkeit im Rahmen des geltenden Rechts, notwendiger Änderun- gen und Rahmenbedingungen für ihre Einführung (IV).
II. Gestaltung und Erfahrungen mit der Doppelspitze als Leitungsmodell politischer Parteien
Eine Doppelspitze im Parteivorsitz ist derzeit in histori- scher Reihenfolge ihrer Einführung das Führungsmo- dell der Parteien Bündnis 90/Die Grünen, die Linke, SPD und AfD. Die Grünen gelten als Schöpfer der Kon- struktion mit zwei oder mehreren gleichberechtigten
19 Die Meldung einer Doppelspitze zweier Hochschulpräsiden- tinnen in Brandenburg abrufbar unter: https://mwfk.bran- denburg.de/mwfk/de/service/pressemitteilungen/ansicht/~31- 03–2023-neue-doppelspitze-der-blhp betrifft nicht eine Hochschule, sondern die Brandenburgische Landeskonferenz der Hochschulpräsidentinnen und –Präsidenten (BLHP).
294 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 289–302
Parteivorsitzenden und praktizieren sie seit 1980 bis heu- te. Zuletzt hat sie nach der AfD die SPD 2019 eingeführt. In der Parteiengeschichte gilt allerdings die SPD als Erfinder der Doppelspitze. Von 1871–1933 wurde die Par- tei einschließlich ihrer Vorgänger von zwei bis vier gleichberechtigtenVorsitzendengeleitet.20Ebensosahen die Parteienstatuten der CSU bis Ende der 90-er Jahre eine Doppelspitze im Parteivorsitz vor.21
Als Gründe für die Einführung einer Doppelspitze werden neben der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Parteiführung die Repräsentation ver- schiedener Strömungen der jeweiligen Partei und die mit dem Führungsamt verbundene Belastung genannt.
Rechtsgrundlage ist die jeweilige Parteisatzung der Partei auf Bundesebene und ihrer Untergliederungen. Die Organisation der politischen Parteien bestimmt sich nach den Vorgaben der §§ 6 ff. des Parteiengesetzes durch Satzung. Notwendige Organe sind nach § 8 die Mitgliederversammlung und der Vorstand. Ihrer Rechts- natur nach sind die politischen Parteien nicht rechtsfähi- ge Vereine mit Teilrechtsfähigkeit, für die neben dem Parteiengesetz nach § 54 S. 1 BGB die Vorschriften über den rechtsfähigen Verein nach §§ 24–53 BGB Anwen- dung finden.
In den entsprechenden Parteisatzungen wird der in Doppelsitze gestaltete Vorsitz des Parteivorstandes mit Formulierungen wie: „Dem Bundesvorstand gehören sechs Mitglieder an: 1. zwei gleichberechtigte Vorsitzende, davon mindestens eine Frau“, „1) Die Leitung der Partei obliegt dem Parteivorstand. Er besteht aus a) dem oder der Vorsitzenden oder zwei gleichberechtigten Vorsitzen- den, davon eine Frau,“23 „(2) Der Geschäftsführende Par- teivorstand besteht aus zehn Mitgliedern, darunter: a) zwei Parteivorsitzende unter Berücksichtigung der Min- destquotierung,“24 „Der Bundesvorstand besteht aus (a) einem oder zwei Bundessprechern.“25
Den Vorsitzenden steht nach § 11 Abs.3 ParteienG nach näherer Ausgestaltung der jeweiligen Satzung und den Beschlüssen der ihnen übergeordneten Organe das Vertretungsrecht nach § 26 Abs. 1 S. 2 BGB als Gesamt- vertretung zu.
Die Wahrnehmung des Parteivorsitzes nach innen und außen, insbesondere die politische Vertretung die strate- gische und programmatische Führung sowie die Rück-
- 20 Wikipedia, Stichwort Doppelspitze unter 2.2.
- 21 Vgl. P. Hausmann, Wer hat das Sagen? „Starker Anführer“ oderDoppelspitze oder…?, Geschichte der CSU, Portal der Hans- Seidel-Stiftung, abrufbar unter: https://www.csu-geschichte.de/ partei/detail/wer-hat-das-sagen-starker-anfuehrer-oder-doppel- spitze-oder.
- 22 § 15 Satzung des Bündnis 90/ Die Grünen.
bindung an die Organe der Partei wird in den Parteisat- zungen und Geschäftsordnungen idR nur rudimentär geregelt, im Übrigen der politischen Praxis überlassen.
Eine systematische Analyse der Erfahrungen mit der Doppelspitze,insbesonderederVoraussetzungenerfolg- reichen Zusammenwirkens, steht, soweit ersichtlich, nicht zur Verfügung.26 Bei allen politischen Parteien wechseln Phasen gelungenen Zusammenwirkens und Fehlschläge ab. Die Ursachen liegen in den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen, programmatischen Neu- und Umorientierungen, Führungskrisen und häu- figen Führungswechseln. Als Voraussetzungen für ein gelungenes Zusammenwirken wird die Festlegung einer genauen Aufgabenverteilung, laufende Abstimmung in wesentlichen Fragen, wechselseitige Toleranz bei Mei- nungsverschiedenheiten und eine Position auf Augen- höhe in der Parteiorganisation genannt. Reibungsverlus- te und Richtungskämpfe ergeben sich bei einem Un- gleichgewicht der Führungsstärke oder einem ausge- prägten Konkurrenzverhalten gegenüber der Partnerin oder dem Partner im Parteivorsitz.
Der Vergleich mit der Organisation der Doppelspitze politischer Parteien liefert schon wegen der spezifischen Aufgaben der politischen Parteien an der Willensbil- dung des Volkes im demokratischen Verfassungssystem, aber auch wegen der aus dieser Aufgabe folgenden Auf- bauorganisation der verschiedenen Verbandsebenen der Parteien keine geeignete Orientierung für die Gestaltung der Leitungsorganisation von Hochschulen.
III. Erscheinungsformen und Rechtsgrundlagen der Doppelspitze bei Unternehmen
Auch im Unternehmensrecht bedarf der Begriff der Doppelspitze der Einordnung in die von der jeweiligen Rechtsform als Kapitalgesellschaft, Personengesellschaft, eigentumsdominierte Gesellschaft oder Publikumsge- sellschaft bestimmte Unternehmensverfassung. Doppelspitze ist nicht zu verwechseln mit einer gleich- berechtigten Führung eines Unternehmens durch meh- rere Geschäftsführer einer GmbH, Vorstandsmitglieder einer AG, Gesellschafter einer OHG oder Komplementä- re einer KG. Von einer dualen Führung ist die Rede, wenn die Funktion eines Vorstandsvorsitzenden oder
23 § 23 Organisationsstatut der SPD Fassung 2022.
24 § 19 Abs. 2 Bundessatzung der Linken.
25 § 13 Bundessatzung der AfD.
26 Eine Sammlung aller FAZ-Artikel zum Thema Doppelspitze ist
abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/thema/ doppelspitze-p2.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 2 9 5
Vorsitzenden der Geschäftsführung durch zwei Perso- nen geteilt wird.
1. Rechtliche Zulässigkeit
Die Zweckmäßigkeit der Doppelspitze als Führungsmo- dell ist bereits seit längerem Gegenstand der Manage- mentlehre. In Deutschland ist sie bei Familiengesell- schaft häufig, bei Publikumsgesellschaften nur vereinzelt anzutreffen.27 In der Regel wird auf dieses Führungsmo- dell bei Unternehmensfusionen und anderen M&A Transaktionen zurückgegriffen. Wesentlich häufiger wird sie in den USA praktiziert. Gründe sind u. a. neben der Teilung der Verantwortung und des know how in komplexen Unternehmensstrukturen die wechselseitige Kontrolle.28 Ihre rechtliche Zulässigkeit ist neuerdings in Deutschland durch die in der Deutschen Bank einge- führte Doppelsitze im Vorsitz des Vorstands der Deut- schen Bank in den Fokus geraten.29
Ausganspunkt der meist auf die Doppelspitze in ei- ner Aktiengesellschaft bezogenen Fragestellung ist die Exegese des § 84 Abs. 2 AktG. Dieser lautet: „der Auf- sichtsrat kann ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vor- stands ernennen“. Der Meinungsstreit entzündet sich am Begriff „ein“, das von einer Seite als zahlenmäßige Be- schränkung, von der anderen Seite als unbestimmter Ar- tikel gelesen wird. Ebenso wird das Singular „Mitglied“ in Verbindung mit § 80 AktG im Sinne eines Solovorsit- zenden gedeutet.
Dennoch ist diese Schlussfolgerung nicht eindeutig. Auch andere Bestimmungen werden für die eine oder andere Auffassung herangezogen, so die Regelung des § 77 Abs. 2 S. 1 AktG, dass „ein oder mehrere Vorstands- mitglieder“ Meinungsverschiedenheiten im Vorstand nicht gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden können. Der Kontext zur kollegialen Vorstandsverfas- sung verbietet jedoch den Schluss auf die Zulassung einer Doppelspitze im Vorstandsvorsitz. Ebenso wenig trägt ein Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der §§ 76 ff. AktG 1965 bei, da die Vorgängerregelung des § 70 Akt 1937 mit dem sog. Führerprinzip die Vorstel- lung eines einzelnen Vorsitzenden verfolgt hat.
- 27 Vgl. dazu Angaben bei Elke Heinrich-Pendl, AG 2023, 793–800, 797 ff.
- 28 Heinrich-Pendl, aaO., 798.
- 29 Vgl. dazu Gregor Bachmnann, Doppelspitze im Vorstand undAufsichtsrat, FS für Theodor Baums zum 70. Geb., 2017, S. 107 ff.; Elke Heinrich-Pendl, AG 2023, 793–800 jeweils mit w. N. zur Kommentarliteratur; vgl. ferner Michael Hoffmann-Becking, § 24 Besondere Vorstandsmitglieder, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 5. Auflage 2020, Rn. 2 m.w.N; a. A.
Die Befürworter einer Doppelspitze bemühen des- halb in einer Gesamtschau von Vorschriften, insbeson- dere der §§ 76 Abs. 2 S. 1, 77 Abs. 1 S. 2 und 78 Abs. 2 S. 1 AktG zur Regelung der Geschäftsführung und Vertre- tung, die verschiedene Modelle monokratischer, kollegi- aler Leitung und Mischformen beider Leitungsmodelle ermöglichen, um deren Zulässigkeit zu begründen.
Letztlich maßgeblich für die Grenzen der Organisati- onsautonomie ist § 23 Abs. 5 AktG. Die genannten Be- stimmungen lassen zwar eine Abweichung im Sinne ei- nerDoppelspitzenichtausdrücklichzu,lassenaberauch nicht erkennen, dass sie eine abschließende Regelung enthalten, die der Einführung einer Doppelspitze entgegensteht.
Im Ergebnis ist es deshalb vertretbar, wenn die Sat- zung einer Aktiengesellschaft sich für ein Führungsmo- dell entscheidet, das nicht nur einen Vorsitz im Vor- stand, sondern auch dessen gleichberechtigte Besetzung durch zwei Personen vorsieht.
In der Unternehmensverfassung der GmbH ist die Einführung einer Doppelspitze durch die weitreichende Vertragsautonomie möglich (§§ 3, 5, 35 GmbHG).
2. Anforderungen an die Gestaltung
Von großer Bedeutung sind die in der Literatur unter dem Stichwort „Organisationsfolgenverantwortung“30 behandelten Erfordernisse der Gestaltung der Bestel- lungs- und Abberufungsprozesse, die Gestaltung der Außenvertretung, eine klare Festlegung der Aufgaben und Zuständigkeiten,31 wechselseitige und frühzeitige Informationsprozesse, ein Risikomanagement und die Haftung für Fehlentscheidungen, unterbliebene Kont- rollen und Verletzung von Loyalitätspflichten.
3. Zwischenfazit
Im Verbandsrecht der politischen Parteien ist, wie im allgemeinen Verbandsrecht, eine Doppelspitze im Vor- sitz grundsätzlich zulässig, bedarf aber expliziter Rege- lung in der Satzung.
Im Unternehmensrecht ist die Zulässigkeit bei der Rechtsform der Aktiengesellschaft umstritten, aber nach
Gerald Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 6.
Auflage 2023, § 84 AktG Rn. 123.
30 Vgl. dazu Begriffsbildung durch Fleischer, in MünchKomm/
GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG Rn. 125a; ders., in: BeckOK/ AktG, Stand: 1.7.2023, § 77 AktG Rn. 68; Fleischer, DB 2019, 472, 476; die Thematik bereits ansprechend Emde, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 295, 307 f.; Schockenhoff, GmbHR 2019, 514, 519.
31 Vgl. BGH II ZR 11/17, Urteil vom 6. November 2018, BGHZ 220, 162 ff. zur GmbH.
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überwiegender Auffassung erlaubt. Für die übrigen Rechtsformen besteht Gestaltungsautonomie.
Die Einführung einer Doppelspitze ist mit klaren Re- gelungen für die Voraussetzungen der Bestellung und Abberufung, der Außenvertretung, der Aufgaben und Zuständigkeiten innerhalb der Unternehmensorganisa- tion, mit Informations- und Abstimmungs- und Kont- rollpflichtenpflichten und der Regelung der Verantwor- tung für Verletzung von Sorgfalts- und Loyalitätspflich- ten zu verbinden.
V. Zulässigkeit der Doppelspitze im Organisations- recht von Universitäten und Hochschulen.
Die Zulässigkeit einer Doppelspitze als Führungsmodell kann deshalb nur für das jeweils in Frage stehende Lei- tungsamt einer Verbandsorganisation beantwortet wer- den. Ein allgemeines Prinzip kann aus den bisher unter- suchten Organisationen nicht abgeleitet werden. Dies verbietet sich schon im Hinblick auf die unterschiedli- chen verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Gestal- tung des Rechts der politischen Parteien (Art. 21 GG), des allgemeinen Verbands- und Unternehmensrechts (Art. 9, 12 GG) und des in Art. 5 Abs.3 GG, in Art. 12 GG, in Art. 20 Abs.2 GG (Demokratieprinzip) und in der Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassungen für Hochschulen verankerten Rahmens der Hochschulorga- nisation.32
1. Zulässigkeit einer Doppelspitze für die Hochschullei- tung
Die Neugestaltung der Leitungsorganisation der Hoch- schulen auf zentraler und dezentraler Ebene ist – wie unter I. beschrieben – der Kern der ab der Jahrtausend- wende vollzogenen Hochschulreformen.
Unter dem Stichwort der klaren Trennung der Verant- wortlichkeiten für die Leitung und Gremien der Selbst- verwaltung wurden die Aufgaben der Leitung, Aufsicht, Mitwirkung und Entscheidungszuständigkeiten neu geordnet.
Bei der Gestaltung der zentralen Leitungsebene sehen die Landeshochschulgesetze als Regeltypus eine Rekto-
32 Vgl. dazu M. E. Geis in: Geis (Hrsg.), Das Hochschulrecht in Bund und Ländern, § 58 HRG, Rn., 65 ff.; K. F. Gärditz, Hoch- schulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2010, S. 312 ff., 398 ff., 409 ff., 425 ff.; D. Krausnick, Staat und Hochschule im Gewährleistungsstaat, 2012, S. 83 ff., zu Art. 5 Abs.3 GG, S. 89 ff., zu Art. 12 GG, S. 145 ff., zum Landesverfas- sungsrecht S. 153 ff., zu Art. 20 Abs. 2 GG, S. 185 ff.; K. Herberger, Staat und Hochschulen in: V. M. Haug (Hrsg.), Das Hochschul- recht Baden-Württemberg, 3. Aufl. 2020, 2. Kap.., S 43 ff. Rn. 183
ratsverfassung oder eine Präsidialverfassung monokra- tischer oder kollegialer Prägung vor.33 In unterschiedli- chem Maße eröffnen sie eine Wahlmöglichkeit. Die Aufgaben des Leitungsamtes, der Rechtsstatus des Amts- inhabers, das Wahl- und Abwahlverfahren unterliegen einem vom jeweiligen Hochschulgesetz festgelegten Typenzwang. Weiterreichende Gestaltungsmöglichkei- ten bestehen für die Gestaltung des Amtes und der Auf- gaben der Stellvertreter*innen und des Amtes des für die Wirtschafts- und Personalverwaltung zuständigen Mit- glieds der Hochschulleitung.
Damit sind der Organisationsautonomie der Hoch- schule für die Leitungsorganisation auf zentraler Ebene enge Schranken gesetzt. Die Rechtfertigung daraus er- gibt sich, dass die Organe der Hochschule neben den Selbstverwaltungsaufgaben zugleich staatliche Aufgaben wahrnehmen.
Für die Mehrzahl der Hochschulgesetze gilt dies auch für die Leitungsorganisation auf dezentraler Ebene. Nur wenige Hochschulgesetze überlassen diese vollständig der Regelung durch die Grundordnung der Hochschule.
Die Möglichkeiten einer Besetzung der Leitungsäm- ter mit einer Doppelspitze werden in keinem Hoch- schulgesetz genannt. Die Beschreibung der Mitglieder der Leitungsämter ist eindeutig auf Einzelpersonen aus- gerichtet, gleiches gilt für die Regelung des Verfahrens der Bestellung und Abberufung durch die jeweils zu- ständigen Leitungsorgane.
Der Vorbehalt und der Vorrang des jeweiligen Hoch- schulgesetzes schließt deshalb zumindest für das Amt des Präsidenten, der Präsidentin bzw. des Rektors oder der Rektorin einer Hochschule die Einführung einer Doppelbesetzung aus.
Nicht nur der Gesetzeswortlaut, der systematische Zusammenhang und die Entstehungsgeschichte der der- zeitigen Leitungsorganisation stehen dem entgegen. Da- gegen spricht auch, das die dem Präsidenten oder der Präsidentin , Rektor oder Rektorin übertragenen Aufga- ben der externen Vertretung, des Vorsitzes des Präsidi- ums oder Rektorats, der zentralen Selbstverwaltungsgre- mien, die Festlegung der Richtlinien für die Erledigung der Aufgaben, der Vorschlag für die Geschäftsbereiche
ff.; Th. Würtenberger, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung im Landeshochschulgesetz von Baden- Württemberg, OdW 2016, 1 ff.
33 Eine Präsidialverfassung als Regeltypus sehen folgende Bun- desländer vor: Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen. Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig- Holstein, Thüringen, eine Rektoratsverfassung Baden-Württemberg, Bre- men, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 2 9 7
der Funktion des Dienstvorgesetzten, die Verantwortung für die Ordnung in der Hochschule und die Rechtmä- ßigkeit des Handelns nicht teilbar sind, sondern allen- falls auf andere Mitglieder des Leitungsorgans übertra- gen und von diesen in Stellvertretung wahrgenommen werden können.
Bestätigt wird dieser Befund durch die Regelung des Amts im abstrakt funktionellen Sinne in den Landesbe- soldungsgesetzen. Diese lassen eine Doppelbesetzung des Leitungsamtes nicht zu. Dies kann nicht durch ein privatrechtliches Dienstverhältnis umgangen werden
Eine Doppelspitze ist deshalb bei hauptamtlicher Wahrnehmung des Präsidenten- oder Rektor-Amtes nach derzeitiger Rechtslage nicht zulässig.
Die mit einer Doppelspitze verfolgten Ziele lassen sich im Rahmen der Gestaltungsoptionen für die Hoch- schulleitung auch im bestehenden gesetzlichen Rahmen erreichen. Dies gilt insbesondere für das Ziel gleichbe- rechtigter Teilhabe von Frauen und Männern an der Hochschulleitung, dem im Besetzungsverfahren Rech- nung getragen werden kann. Das Ziel einer Entlastung der Amtsinhaber ist durch die entsprechende Regelung in der Grundordnung erreichbar. Eine Prorektorin oder Prorektor, Vizepräsidentin oder Vizepräsident kann als hauptamtliches Mitglied des Leitungsorgans durch die Grundordnung oder die Geschäftsordnung für die stän- dige Vertretung im Verhinderungsfall bestellt werden.34
Die Grundordnung kann ferner bestimmen, dass der Hochschulleitung bis zu einer gesetzlich festgelegten Höchstzahl weitere nebenamtliche oder hauptamtliche Mitglieder angehören.
In der Geschäftsordnung der Hochschulleitung kann damit das gesamte Aufgabenspektrum einer Hochschule nach deren jeweiligen Bedürfnissen abgebildet und vor- gesehen werden, dass die damit betrauten Mitglieder des Präsidiums oder Rektorats die laufenden Geschäfte in ei- gener Zuständigkeit erledigen. Damit ist auch die Au- ßenvertretung des Geschäftsbereichs verbunden.35
Diese Optionen ermöglichen neben einer aus haupt- amtlichen Mitgliedern besetzten Hochschulleitung auch die Gewinnung von Mitgliedern für die Leitungspositio- nen, die ihre Bereitschaft von der weiteren Wahrneh- mung ihrer Aufgaben im Professorenamt abhängig ma-
- 34 Vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 2 LHG BW.
- 35 Vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 1 LHG BW; § 82 Abs. 3 HambHG; § 84 Abs. 3HG MV; § 37 Abs. 4 NHG; § 79Abs. 3 HG RPf; § 69 Abs. 1 HSG LSA; § 29 ThürHG.
chen. Dies betrifft vor allem Professorinnen und Profes- soren, die für große Forschungsvorhaben verantwortlich sind und in ihrem Fachgebiet eine besondere Reputation erreicht haben.
2. Zulässigkeit einer Doppelspitze für die Fakultätslei- tung
a) Vereinbarkeit mit bestehender gesetzlicher Regelung des Fakultätsrechts
Im Gegensatz zur Gestaltung der Hochschulleitung las- sen die Hochschulgesetze für die Regelung der dezentra- len Ebene weiterreichende Spielräume zu. Einige Bun- desländer verzichten vollständig auf eine Regelung.36 Die meisten beschränken sich auf allgemeine Vorgaben zur Untergliederung, die Kriterien für die Bildung der Ein- heiten, ihre Aufbau- und Leitungsorganisation. Sie tra- gen damit der Vielfalt von Hochschularten, deren unter- schiedlichen Größenordnungen, Traditionen und Bedürfnissen Rechnung. Die Erweiterung der Gestal- tungsfreiheit trägt zugleich der Tatsache Rechnung, dass die Fakultäten bzw. ihnen gleichstehende Einheiten die Bereiche sind, in denen Forschung und Lehre stattfindet. Damit besteht ein unmittelbarer Bezug zur freien wis- senschaftlichen Forschung und Lehre.37
Organe einer Fakultät, Sektion oder vergleichbarer Einheiten sind nach den jeweiligen Landeshochschulge- setzen eine kollegial verfasste Fakultätsleitung mit dem Dekan als Vorsitzenden und dem aus Wahlmitgliedern der Mitgliedsgruppen – im Einzelfall auch Amtsmitglie- dern – zusammengesetzter Fakultätsrat.
Wie beim Präsidenten- oder Rektoramt wird die Möglichkeit einer Besetzung des Dekansamtes durch eine Doppelspitze in keinem Hochschulgesetz erwähnt. Auch hier sind die Regelungen eindeutig auf Einzelper- sonen bezogen. Dies gilt für die Option eines hauptamt- lichen Dekans, dessen Amt sowohl hochschulrechtlich als auch besoldungsrechtlich nur Einzelpersonen über- tragen werden kann. Soweit für das Dekansamt eine ne- benamtliche Wahrnehmung vorgesehen ist, bei dem die Amtsinhaber hauptberuflich der Fakultät als Professoren angehören und für die Übernahme des Dekansamtes eine Funktionszulage erhalten, stünden dienst- und be-
36 z.B Art. 30 Abs. 3 BayHIG.
37 Vgl. dazu M. E. Geis in: Geis (Hrsg.), Das Hochschulrecht in
Bund und Ländern, § 58 HRG, Rn. 65 ff.
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soldungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Dagegen bleibt die Frage offen, ob eine Doppelbesetzung mit den Aufgaben des Dekans oder der Dekanin und dem Ver- fahren der Bestellung und Abberufung vereinbar sind. Zu diesen Aufgaben gehört neben der Leitung und Ver- tretung der Fakultät nach außen und in der Hochschule der Vorsitz im Dekanat, die Sicherstellung der Erfüllung der Lehr- und Prüfungsverpflichtungen und Verpflich- tungen der zur Fakultät gehörenden Einrichtungen, das dazu gehörende Aufsichts- und Weisungsrecht, die Dienstaufsicht über die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter, das Beanstandungsrecht gegen Beschlüsse und Maß- nahmen im Falle von Rechts- und Haushaltsverstößen. Diese Funktionen sind entweder nicht oder nur bei ein- deutiger Zuordnung zu dem jeweiligen Amtsträger teilbar.
Regelungsbedürftige Fragen ergeben sich vor allem zu den Voraussetzungen einer Bestellung und vorzeiti- gen Beendigung durch ein Mitglied der Doppelspitze. Für die Wahl ist ein analoger Rückgriff auf die Wahl der Einzelperson möglich. Eine vorzeitige Beendigung durch ein Mitglied der Doppelsitze durch Wegberufung oder Rücktritt löst, soweit keine andere Regelung getrof- fen wird, auch die Beendigung des anderen Mitglieds aus. Gleiches gilt im Falle des Abwahlverfahrens auch wenn die Abwahlgründe nur ein Mitglied der Doppel- spitze betreffen.
Es bestehen erhebliche Zweifel an der Notwendigkeit für die Erreichung der mit einer Doppelspitze verfolgten Ziele. Spiegelbildlich zu den Gestaltungsmöglichkeiten auf der Ebene der Hochschulleitung kann auf Fakultätse- bene eine Entlastung des Dekans oder der Dekanin durch die Regelung der Stellvertretung und durch Bil- dung von Geschäftsbereichen der Prodekaninnen und Prodekane zur selbständigen Erledigung erreicht wer- den. Zuordnungskriterien für die Bildung der Ressorts können die zur Fakultät gehörenden fachlichen Unter- gliederungen oder bestimmte Aufgaben im Bereich von Lehre, Koordination der Forschung, Strukturplanung und Haushaltswirtschaft sein.
Die Einführung einer Doppelspitze im Dekansamt ist demnach bei hauptamtlicher Leitung ohne gesetzliche Änderung ausgeschlossen. Bei nebenamtlicher Leitung
38 Vgl. BVerfGE 35, 79, 124: Art. 5 Abs. 3 GG verbietet es dem Ge- setzgeber, den Wissenschaftsbetrieb organisatorisch so zu gestal- ten, dass „die Gefahr der Funktionsunfähigkeit besteht“. Daraus ergibt sich umgekehrt die Pflicht, mit einer gesetzlichen Regelung für eine funktionsfähige Hochschule zu sorgen. Bestätigt wird
bestehen klärungsbedürftige Anforderungen an das Be- stellungs- und Abwahlverfahren, den Fall der vorzeiti- gen Beendigung des Amtes durch ein Mitglied der Dop- pelspitze, vor allem aber an die Teilung der Aufgaben des Dekansamtes.
b) Lösungsansätze bei freier Gestaltung durch die Grundordnung bzw. im Rahmen sog. Experimentier- klauseln
Soweit Bundesländer die dezentrale Ebene der Regelung der Grundordnung überlassen, wäre die Einführung einer Doppelspitze im Dekansamt unter der Vorausset- zung denkbar, dass die damit verbundenen Folgefragen angemessen geklärt werden. Rechtliches Kriterium für die Zulässigkeit der Einführung einer Doppelspitze ist die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Fakultät oder der ihr gleichstehenden Einrichtung.38
Universitäten und Hochschulen in Bundesländern mit freier Gestaltung der dezentralen Ebene schreiben in ihren Grundordnungen teils monokratische, teils kolle- giale Fakultätsleitungen vor. Die Ludwig-Maximilians Universität München sieht für große Fakultäten eine kol- legiale Fakultätsleitung mit einer Dekanin oder einem Dekan als Vorsitzenden vor, in den kleineren Fakultäten gilt die monokratische Fakultätsleitung.39 Eine Doppel- besetzung des Dekansamtes ist in keiner stichprobenar- tig erfolgten Prüfung von Grundordnungen feststellbar. Damit folgen die Universitäten und Hochschulen den traditionellen Modellen, die in den meisten Bundeslän- dern kodifiziert sind.
Neben einer allgemeinen Erweiterung der Organisa- tionsautonomie der Hochschulen eröffnen einige Bun- desländer durch sog. Experimentierklauseln die Mög- lichkeit abweichender Gestaltung vom Regeltypus der zentralen und dezentralen Organisation der Hochschule.
Exemplarisch genannt sei die auf die Fachbereichsorga- nisation bezogene sog. Innovationsklausel des § 75 a BerlHG, § 71 BbgHG, 101 HambHG, § 117 HSG LSA,
§ 4 ThürHG und die Weiterentwicklungsklausel des
§ 76 LHG BW. Voraussetzung der Erprobung neuartiger Organisations- und Leitungsstrukturen ist nach § 76 LHG BW „die Verbesserung der Entscheidungsfähig-
dies in Folgeentscheidungen: BVerfGE 127, 87, Rn. 88, 93; 136, 338
Rn. 57; 149, 356 Rn. 45 ff.
39 Grundordnung der LMU, §§ 34 ff., 40.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 2 9 9
keit, die Beschleunigung von Entscheidungsprozessen, die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, die Profilbildung oder die Anpassung an legitime spezifische Erfordernis- se der jeweiligen Hochschule.“
Zu diesem Zweck können die Hochschulen mit Zu- stimmung des Hochschulrats und der Genehmigung des Ministeriums für die Dauer von 5 Jahren vom gesetzli- chen Regeltypus abweichende Regelungen treffen. Diese unterliegen einer Evaluation nach Ablauf der Erpro- bungsfrist, bevor sie endgültig etabliert werden können.
c) Beispiel einer Regelung auf Fakultätsebene
Eine zentrale Erfassung der auf der Grundlage der Erprobungsklauseln erlassenen Leitungsstrukturen besteht nicht. Transparenz besteht nur im Rahmen der vorgeschriebenen Bekanntmachungen der Hochschu- len.
Anhand einer 2023 von der Universität Tübingen auf § 76 LHG BW gestützten Weiterentwicklungssatzung für die Einrichtung und Wahrnehmung eines geteilten Amts als Dekanin oder Dekan bei nicht hauptamtlicher Besetzung40 lassen sich die mit der Einführung einer Doppelsitze verbundenen Regelungsnotwendigkeiten aufzeigen.
Anlass für die Satzung waren Schwierigkeiten der Wiederbesetzung des bisher hauptamtlich wahrgenom- menen Dekansamtes einer großen Fakultät mit 5 Fach- bereichen, 36 Fächern, über 7000 Studierenden, 380 VZÄ Stellen im wissenschaftlichen Dienst, davon 99 Professuren.
Eine Bereitschaft zur hauptamtlichen Wahrnehmung des Amtes durch eine Professorin oder einen Professor bestand wegen des damit verbundenen Verzichts auf die Weiterführung der Lehr- und Forschungstätigkeit und der Schwierigkeiten einer Rückkehr in das Fach nach Ablauf der sechsjährigen Amtszeit nicht. Auf der ande- ren Seite ließen die mit der Größe der Fakultät und de- ren zahlreichen Fächern verbundenen Aufgaben eine nebenamtliche Wahrnehmung durch eine Amtsinhabe- rin oder einen Amtsinhaber als Einzelperson nicht zu.
Auf diesem Erfahrungshintergrund entstand die von dem bisherigen Amtsinhaber initiierte Satzung. Ein Vor- bild dafür gab es nicht. Die Satzung sieht bei nicht haupt- amtlicher Besetzung die Teilung des Amtes der Dekanin
40 Amtliche Bekanntmachungen der Universität Tübingen 2023, Nr. 23, S.303 ff.
bzw. des Dekans vor. Im Falle, dass Einzelbewerber für das Amt zur Wahl stehen, scheidet die Besetzung durch eine Doppelspitze aus.
Voraussetzung für eine Wahl ist nach § 1, dass sich Bewerber zur Wahl stellen, die bereit sind, das Amt mit der anderen Person ungeteilt wahrzunehmen. Eine gleichzeitige Bewerbung als Einzelperson und als Dop- pelsitze ist ausgeschlossen. Für die Wahl bedarf es eines nicht bindenden Vorschlags der Rektorin oder des Rek- tors. Dies setzt eine vorherige Verständigung zwischen der Universitätsleitung und der Fakultät voraus.
Die Wahl durch den Fakultätsrat erfolgt nach § 2 en bloc mit den für Wahlen vorgeschriebenen Mehrheiten. Unterschiedliche Stimmen für einen der Bewerber kön- nen nicht abgegeben werden.
Bei einer vorzeitigen Beendigung des Amtes durch eine der beiden Personen, z. B. im Falle einer Wegberu- fung oder eines begründeten Rücktritts, endet nach § 2 Abs. 3 auch die Amtszeit der anderen Person.
Im Falle eines Abwahlverfahrens durch die Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern nach § 24 a LHG reicht es nach § 2 Abs. 2 aus, wenn sich der Vertrauensverlust nur auf eine Person bezieht.
Nach der Wahl legen nach § 3 die gewählten Amtsinha- ber im Einvernehmen mit den übrigen Mitgliedern des Dekanats und im Benehmen mit der Rektorin/dem Rek- tor die Aufteilung der Aufgaben fest. Als Gegenstand nennt die Satzung die in § 23 Abs. 3 LHG genannten Auf- gaben des Dekanats und alle Querschnittsaufgaben. Dies ist korrekturbedürftig, da die Zuständigkeit des Deka- nats durch eine Doppelspitze keine Änderung erfährt und die Aufgaben des Dekanats nach Maßgabe einer vom Dekanat erlassenen Geschäftsordnung geregelt werden müssen. Gegenstand der Aufgabenverteilung innerhalb der Doppelsitze sind vielmehr die in § 24 Abs. 1 und 2 LHG genannten Funktionen der Deka- nin/des Dekans: die Außenvertretung, der Vorsitz im Fakultätsrat, die Vorbereitung und der Vollzug der Beschlüsse, die Sicherstellung der Lehr‑, Forschungs- und Prüfungsverpflichtungen und das dazu gehörende Aufsichts- und Weisungsrecht, die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit sowie durch das Widerspruchsrecht, schließlich auch die Eilentschei- dungen.
300 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 289–302
Für die Außenvertretung enthält die Satzung wider- sprüchliche Aussagen. Grundsätzlich soll für die Außen- vertretung die Aufteilung der Aufgaben sein. Nach § 5 ist neben der gemeinsamen Vertretung auch eine Einzelver- tretung nach Absprache, bei unterbliebener Absprache unter den Voraussetzungen einer Eilentscheidung mög- lich. Ergänzt wird die Regelung der Vertretung durch § 8 für die Außenkommunikation. Mitteilungen an die Fakultät sind so zu adressieren, dass sie beide Amtsinha- ber möglichst zeitgleich erreichen; offizielle Mitteilun- gen nach Außen durch einen Amtsinhaber werden der oder dem anderen Amtsinhaber*in zugerechnet. Diese Regelung eignet sich für die Wahrnehmung von Reprä- sentationsaufgaben. Für eine rechtsgeschäftliche Vertre- tung erfordert nach den Grundsätzen der Gesamtvertre- tung gemeinschaftliches Handeln, das durch eine vorhe- rige Einwilligung zu einem Handeln als Einzelperson oder durch eine nachträgliche Zustimmung der anderen Person ersetzt werden kann.
Für die Vertretung im Aufgabenbereich sieht § 7 die wechselseitige Vertretung durch den anderen Amtsinha- ber vor, im wechselseitigen Einvernehmen können auch Prodekane/Prodekaninnen als Vertreter bestellt werden.
Für die Wahrnehmung des Vorsitzes im Dekanat und im Fakultätsrat enthält die Satzung keine explizite Rege- lung. Sie ist im Rahmen der Aufgabenverteilung zu regeln.
Für die Abstimmung im Dekanat und Fakultätsrat ist nach § 4 bei gleichzeitiger Anwesenheit eine abgestimm- te einheitliche Stimmabgabe anzustreben. Bei Mei- nungsverschiedenheiten über eine Zustimmung oder Ablehnung gilt die als Enthaltung. Votiert eine Person auf Enthaltung, die andere auf Zustimmung oder Ableh- nung, zählt die Ja oder Nein Stimme.
Der Vorsitz in Berufungskommissionen ist nach § 3 Abs. 2 für die Dauer der jeweiligen Berufungskom- mission zu regeln.
Das Beanstandungsrecht soll sich gem. § 5 Abs. 2 nach der Aufgabenverteilung für die betroffene Maßnahme richten. In Zweifelsfällen soll das Dekanat über die Zuständigkeit entscheiden.
Nach § 5 Abs. 3 ist zu Beginn der Amtszeit zwischen den beiden Amtsinhaber/innen festzulegen, wer von den beiden Amtsinhaber/innen in der ersten Hälfte der Amtszeit und wer in der zweiten Hälfte der Amtszeit die bzw. der Vorgesetzte der Mitarbeiter/innen der Fakul- tätsverwaltung im personalrechtlichen Sinne ist.
Für die Wahrnehmung der dienstaufsichtlichen Be- fugnisse nach § 24 Abs. 2 LHG ist nach § 5 Abs. 3 der Sat- zung eine Verständigung der Amtsinhaber über einen Wechsel nach der Hälfte der Amtszeit oder eine Verein- barung durch die Ausübung durch eine Person während der gesamten Amtszeit vorgesehen.
Für das Vorschlagsrecht zur Wahl einer Prodekanin oder eines Prodekans ist Einvernehmen herzustellen, ist dieses nicht erreichbar, soll alternativ das Los über die Zuteilung des Vorschlagsrechts oder der Fakultätsrat über die von jedem Amtsinhaber für die Stellung des Prodekans vorgeschlagene Person entscheiden.
Die Erprobung der Teilung des Amts des Dekans/der Dekanin ist nach § 9 zu dokumentieren und zu evaluie- ren. Hierzu ist vom Dekanat eine Zwischenevaluierung nach drei Jahren vorzunehmen. Über deren Ergebnis so- wie eine Stellungnahme des Fakultätsrats werden das Rektorat, der Senat und der Universitätsrat informiert. Anschließend erfolgt eine Vorlage an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Eine Endevalu- ation ist nach demselben Verfahren rechtzeitig vor Ab- lauf von fünf Jahren durchzuführen. Auf dieser Grund- lage erfolgt ein Antrag der Universität an das Ministeri- um, falls die Erprobungsphase nach erstmaligem Ablauf um weitere fünf Jahre verlängert werden soll.
d) Bewertung
Mit der Satzung wurde rechtliches Neuland betreten. Das Beispiel der Satzung zeigt, dass die Teilung des Dekansamtes bei nicht hauptamtlicher Besetzung hoch- schulrechtlich möglich ist. Die Gestaltung des Wahlver- fahrens, der Beendigung des Amtes, vor allem aber die Regelung der Aufgabenverteilung ist aber mit einem hohen Regelungsaufwand verbunden, um aus unklaren Führungsstrukturen entstehende Rechtsunsicherheit zu vermeiden.
Die Teilung des Amtes wird deshalb in der Satzung als die ultima ratio in Fällen vorgesehen, in denen weder Bewerber für eine hauptberufliche Besetzung gewonnen werden können noch bei nicht hauptamtlicher Beset- zung eine Entlastung durch eine ständige Vertretung des Dekans und Bildung von Geschäftsbereichen für Pro- dekane erreicht werden kann.
Soweit die Gründe dafür in der Größe der Fakultät. Viel- zahl der Fachbereiche und Fächer liegen, kommt als Alternative eine Aufteilung in zwei Fakultäten in Betracht.
Sandberger · Doppelspitze — Modell für die Leitungsorganisation von Hochschulen? 3 0 1
Die Funktionsfähigkeit einer Doppelspitze steht und fällt damit, dass die Bewerber für eine Doppelspitze ein enges Vertrauensverhältnis, die Fähigkeit zu uneinge- schränkter Kommunikation und Verständigungsbereit- schaft bei Meinungsverschiedenheit verbindet. Eine Doppelspitze muss auch von einem während der gesam- ten Amtszeit anhaltenden Vertrauen des Fakultätsrats, der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und des Rektorats in beide Amtsinhaber getragen sein.
Für die Regelung der Aufgabenteilung ist eine sorg- fältige Analyse der Aufgaben des Dekans, seiner Rechts- stellung in den Gremien der Hochschule und der Fakul- tät erforderlich. Die Aufgabenverteilung sollte nicht Ge- genstand einer Vereinbarung, sondern Teil der Ge- schäftsordnung des Dekanats sein. Insbesondere bedarf es eindeutiger Regelungen für die Außenvertretung, für die rechtsgeschäftliche Vertretung, für die Kommunika- tion und Repräsentation mit und im Namen der Fakul- tät. Soweit, wie für die Ausübung des Stimmrechts, eine Teilbarkeit ausgeschlossen ist, sollte im Konfliktfall ein objektives Kriterium, z. B. die Anciennität für die Aus- übung des Stimmrechts entscheiden. Eilentscheidungen können im Fall gleichzeitiger Anwesenheit nur gemein- sam getroffen werden. Im Verhinderungsfall ist eine Eil- entscheidung durch einen Amtsinhaber möglich, der Verhinderungsfall ist zu dokumentieren.
Auch das Beanstandungsrecht muss gemeinsam ausge- übt werden.
Der Vorsitz in permanent agierenden Kommissionen ist im Rahmen der Aufgabenteilung, bei Berufungskom- missionen ad hoc zu regeln.
Die Regelung der Vorgesetzteneigenschaft für die Mitarbeiter der Fakultätsverwaltung sollte nach Ge- schäftsbereichen erfolgen, deren Verantwortung in der Aufgabenverteilung festzulegen ist.
Gleiches gilt für die Regelung der Dienstaufsicht, die nach den zur Fakultät gehörenden Fachbereichen und weiteren Einrichtungen geordnet werden sollte.
VI. Zusammenfassung
Doppelspitze, definiert als Teilung eines Leitungsamts, hat eine zunehmende Bedeutung in der Organisation politischer Parteien. Gründe dafür sind vor allem die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in den Leitungsfunktionen und die Abbildung verschiede- ner politischer Strömungen. Das Parteiengesetz und das BGB lassen die Frage der Zulässigkeit offen. Rechts-
grundlage sind die jeweiligen Satzungen der Parteien. Im Unternehmensrecht ist die Doppelspitze häufig bei Familiengesellschaften, seltener bei anderen Gesell- schaften anzutreffen. Ihre Zulässigkeit bei der Rechts- form der Aktiengesellschaft ist umstritten. Im Schrift- tum wird in jedem Fall unter dem Stichwort der Organi- sationsfolgenverantwortung eine klare Verteilung der
Aufgaben gefordert.
Eine Übertragung der Grundsätze des politischen
und wirtschaftlichen Verbandsrechts auf das Hochschul- recht staatlicher Hochschulen ist nicht möglich. Verfas- sungsrechtliche Rechtsgrundlage für die Hochschulor- ganisation sind die Art. 5 Abs. 3, 20 Abs. 2 GG und die Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen. Die Grenzen der Organisationsautonomie ergeben sich aus der Pflicht des Gesetzgebers des jeweiligen Träger- landes für eine die Wissenschaftsfreiheit schützende, funktionsfähige Hochschulorganisation zu sorgen. Ge- staltungsfreiheit besteht deshalb nur im Rahmen der der Grundordnung überlassenen Gestaltungsoptionen.
Eine Doppelspitze ist in keinem der Hochschulgeset- ze explizit vorgesehen. Diese gehen für die Besetzung der Leitungsämter von Einzelpersonen aus.
Für die zentrale Leitung der Hochschule ist eine Dop- pelspitze ausgeschlossen. Als Alternative für die Entlas- tung der Rektorin oder des Rektors, der Präsidentin oder des Präsidenten bietet sich eine ständige Vertretung durch einen oder mehrere Mitglieder des Rektorats/ Prä- sidiums und die Bildung von Geschäftsbereichen an, die die Prorektorinnen oder Prorektoren, Vizepräsidentin- nen oder Vizepräsidenten in eigener Verantwortung leiten.
Soweit die Hochschulgesetze die dezentrale Organi- sation der Regelung durch die Hochschule überlassen oder durch Öffnungs- oder Experimentierklauseln Ge- staltungsfreiheiten einräumen, ist die Einführung einer Doppelspitze zulässig. Voraussetzung ist die Sicherung einer funktionsfähigen Leitungsorganisation. Dazu ge- hören klare Regelungen für das Verfahren der Bestellung und Abberufung, für den beamtenrechtlichen Rechtssta- tus und eine eindeutige Verteilung der mit dem Lei- tungsamt verbundenen Aufgaben.
Prof. Dr. iur. Dr. iur. h.c (Leipzig) Georg Sandberger, Kanzler der Eberhard Karls Universität Tübingen 1979- 2003, Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen.
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