Übersicht
Einleitung
I. Begriff und Gegenstand des Konkurrentenstreitverfahrens im öffentlichen Dienst
1. Das Konkurrentenstreitverfahren allgemein und bei der be- setzung von Hochschulprofessuren
2. Gegenstand des Konkurrentenstreitverfahrens
II. Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs nach der Auswahlentscheidung im Berufungsverfahren
1. Mitteilungspflicht der Hochschulen
a) Zeitpunkt der Mitteilungen und Wartefristen
b) Rechtscharakter der Mitteilung an die Bewerber*innen c) Umfang der Mitteilungspflicht der Hochschulen
2. Akteneinsicht a) Allgemein
b) Kein Geheimhaltungsrecht der externen Gutachter*innen
III. Prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags nach § 123 VwGO
1. Rechtsweg
2. Die Statthaftigkeit des Antrags nach § 123 VwGO in stritti- gen Berufungsverfahren
3. Die Antragsbefugnis
4. Das (Eil-) Rechtsschutzbedürfnis
5. Die Hochschule oder das Land als Antraggegner 6. Sonstige Voraussetzungen
IV. Begründetheit des Antrags: Anordnungsanspruch und An- ordnungsgrund
1. Der Anordnungsgrund
2. Der Anordnungsanspruch
3. Besondere Fallkonstellationen / Probleme
a) Befangenheit
aa) Von Gesetzes wegen ausgeschlossene Personen (absolu- te Befangenheit) gem. § 20 VwVfG
* Der vorliegende Beitrag basiert auf dem entsprechenden Ab- schnitt des Buches von Mathias Neukirchen und Etienne Emm- rich (Hrsg.), Berufungen, Befangenheit und Bewerbungsverfah- rensanspruch – Ein Kompendium für Berufungskommissionen, Bewerberinnen und Bewerber, erschienen 2021 im Nomos Verlag.
bb) Besorgnis der Befangenheit (realtive Befangenheit) gem. § 21 VwVfG im Allgemeinen
cc) Fälle und Beispiele, in denen nicht per se eine Besorgnis der Befangenheit besteht
dd) rechtliche Würdignung
b) Juniorprofs mit Tenure Track
c) Tenure Track
d) Zu hohe Forderungen bei den Berufungsverhandlungen: Grund für Abbruch?
e) Rechtswidrigkeit des Abbruchs des Verfahrens
f) Fehlende Passgenauigkeit und Ausschluss aus dem weite- ren Verfahren bei der 1. Stufe
g) Akademisches Alter: Diskriminierung h) Listendrehen durch den Rektor
i) Unzureichende Dokumentation
V. Der Beurteilungsmaßstab des Verwaltungsgerichts
1. Eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Berufungskommission
2. Mindestens potentielle Kausalität des Verfahrenfehlers für die unterbliebene Auswahl des*der unterlegenen Bewerber*in**
VI. Die Wirkung der einstweiligen Anordnung
VII. Die weitere Verfolgung des Bewerbungsverfahrensan- spruchs vor Gericht
1. Primärrechtsschutz und Verfassungsbeschwerde
2. Sekundärrechtsschutz und Schadensersatzansprüche
a) Amtshaftungsanspruch
b) Schadensersatzanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG
VIII. Zusammenfassung
Einleitung
Berufungsverfahren sind ein wesentlicher Baustein der hochschulischen Freiheit von Forschung und Lehre,
** Um eine Gleichstellung der Geschlechter auch in der geschriebe- nen Sprache zum Ausdruck zu bringen, haben sich die Autoren dazu entschlossen, den vorliegenden Text unter Verwendung des Gendersterns zu verfassen und zugunsten einer gendergerechten Sprache die gelegentlich damit einhergehenden sprachlichen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.
Mathias Neukirchen, Torsten Breder und Felix Hornfischer
Gerichtlicher Rechtsschutz zur Sicherung des Bewer- bungsverfahrensanspruchs von Hochschullehrerin- nen und ‑lehrern im Berufungsverfahren*
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
252 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
denn sie dienen der Auswahl der eigentlichen Träger*innen dieses Grundrechts gem. Art. 5 Abs. 3 GG.3 Aus Art. 33 Abs. 2 GG folgt, dass die Auswahlentschei- dungen der Berufungskommissionen rechtlich über- prüfbar sein müssen. Sachfremde Einflüsse auf die Aus- wahlentscheidung verletzen nicht nur den Bewerbungs- verfahrensanspruch, sondern gefährden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch unmittelbar die Wissenschaftsfreiheit.4 Ein Listenplatz und vielmehr noch ein Ruf auf eine Professur sind Qua- litätsnachweise für eine*n Wissenschaftler*in. Dement- sprechend hat auch die Neigung der Bewerber*innen, Berufungsverfahren bei subjektiv unbefriedigendem Verlauf gerichtlich überprüfen zu lassen deutlich zuge- nommen. Es wird daher eine wachsende Bereitschaft konstatiert, gegen ungünstige Auswahlentscheidungen mit der sog. Konkurrentenklage vorzugehen.5
Dieser Beitrag widmet sich den Rechtsschutzmög- lichkeiten des*der unterlegenen Konkurrenten*in in Be- rufungsverfahren an staatlichen Hochschulen in Deutschland und beleuchtet entsprechende spezifische verfahrensrechtliche Fragestellungen sowie die Antwor- ten, die von der verwaltungsgerichtlichen Rechtspre- chung darauf bislang gegeben worden sind.
Dazu wird zunächst kurz auf das gerichtliche Kon- kurrentenstreitverfahren und seine Bedeutung für un- terlegene Konkurrenten*innen in Berufungsverfahren eingegangen (unter I.), um sodann anhand der Prü- fungskriterien der Verwaltungsgerichte zu erläutern, wie sich der Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber*innen vor Gericht im Konkurrentenstreitver- fahren sichern lässt (unter II.). Weiterhin werden die prozessualen Zulässigkeitsvoraussetzungen (unter III.) und die Anforderungen an die Begründetheit eines An- trags, also der Anordnungsanspruch und der Anord- nungsgrund (unter IV.) dargestellt. Sodann wird der Be- urteilungsmaßstab des Verwaltungsgerichts erläutert (unter V.) und die Wirkung einer gerichtlichen Entschei- dung im Eilrechtsschutz auf das Auswahlverfahren und die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten der Hoch- schulen behandelt (unter VI.), um dann abschließend noch auf den weiteren gerichtlichen Instanzenzug sowie auf mögliche Schadensersatzansprüche im Rahmen des
- 3 Näher zum Grundrechtsschutz von Wissenschaftler*innen BVerfG, Urt. v. 29.5.1973, 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 (= BVerfGE 35, 79), Rn. 92 ff. – juris.
- 4 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer- bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 25; BVerfG, a.a.O., Rn. 115 ff. – juris.
Sekundärrechtsschutzes einzugehen (unter VII.). Der Beitrag endet mit einer kurzen Zusammenfassung (un- ter VIII.).
I. Begriff und Gegenstand des Konkurrentenstreitver- fahrens im öffentlichen Dienst
1. Das Konkurrentenstreitverfahren allgemein und bei der Besetzung von Hochschulprofessuren
Die Personalgewinnung im öffentlichen Dienst hat sich am Prinzip der Bestenauslese zu orientieren und unter- liegt dabei strengen formalen Kriterien für Stellenbeset- zungsverfahren, die – im Gegensatz zur fachlichen Bewertung eines*einer Kandidaten*Kandidatin – auch weitestgehend gerichtlich überprüfbar sind. Wer also bei einer Bewerbung um ein Eingangs- oder Beförderungs- amt gegen eine*n konkurrierende*n Bewerber*in unter- liegt, kann gegen die Auswahlentscheidung der Behörde gerichtlich vorgehen, um sein*ihr Recht auf ein ord- nungsgemäßes Verfahren bestmöglich zu wahren. In diesem Zusammenhang wird oft von der sog. Konkur- rentenklage gesprochen; sie hat in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich des öffentlichen Dienstes zuneh- mend an Bedeutung gewonnen.6 Die Bezeichnung wird umgangssprachlich häufig verwendet, ohne dass sich dabei ohne weitere Erläuterungen schon ableiten ließe, was im jeweiligen Einzelfall das konkrete Klageziel wäre und welcher Weg nach der Verwaltungsgerichtsordnung oder auch nach dem Arbeitsgerichtsgesetz zur Errei- chung des Ziels zu beschreiten ist.
Unabhängig davon, ob nun von einem Konkurren- tenstreitverfahren, einer Konkurrentenklage, einer Mit- bewerberklage oder auch von einer Konkurrentenver- drängungsklage die Rede ist, dem begehrten gerichtli- chen Rechtsschutz liegt stets die Ausgangssituation zu- grunde, dass zunächst mehrere Personen einen begünstigenden Verwaltungsakt oder den Abschluss ei- nes Arbeitsvertrages begehrt haben, der am Ende jedoch nur an eine Person erteilt bzw. mit einer Person geschlos- sen werden kann.7
Diese Einordnung und die dahinter liegenden Grundsätze liegen auch den Auswahlverfahren und den bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Beset-
5 Geis, OdW 2020, 23 (23) m. w. N.
6 Vgl. Geis, OdW 2020, 23 (23), oder auch Detmer, in: Hartmer/
Detmer, Hochschulrecht, 4. Aufl. 2022, Kap. 4, Rn. 103. 7 Brinktrine, JA 2015, 1192 (1192) m.w.N.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 5 3
zung von Hochschulprofessuren an staatlichen Hoch- schulen – als ein Teil des öffentlichen Dienstes – zugrunde.8 Auch hier geht es in der Regel um ein Verfah- ren zur Auswahl für ein öffentliches Amt, das mit der Ernennung des*der obsiegenden Bewerbers*Bewerberin abschließt.
2. Gegenstand des Konkurrentenstreitverfahrens
Allein die Auswahlentscheidung ist Gegenstand des dienstrechtlichen Konkurrentenstreits.9Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung10– den sog. Bewerbungsverfahrensanspruch11. Damit ist der Auswahlmaßstab des Verfassungsrechts abschließend vorgegeben, wobei aufgrund teilweiser inhaltlicher Überschneidungen der drei Kriterien sich diese auch unter dem Oberbegriff der Eignung im weite- ren Sinne zusammenfassen lassen.12 Dieser Maßstab gilt auch uneingeschränkt, wenn es um die Personalauswahl der Hochschullehrer*innen für die Besetzung von Pro- fessuren geht, soweit ein öffentliches Amt im Sinne der Norm vorliegt.13 Dabei steht den Hochschulen aus der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch eine besondere Beurteilungskompetenz bzgl. der (fachli- chen) Qualifikation von Bewerber*innen zu.14 Die Aus- wahlentscheidung ist insoweit als Ermessensentschei- dung nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar,15 ein Fehler im Berufungsverfahren kann aber zu dessen Rechtswidrigkeit und zum Abbruch des (personal- und zeitaufwändigen) Verfahrens führen. Aufgrund dieser Einschätzungsprärogative der Hochschule in fachlicher Hinsicht und ihres Ermessensspielraums zielen solche Klagen in der Regel auf die Rüge von Verfahrensfehlern, um die Auswahlentscheidung anzugreifen oder deren Umsetzung zeitlich zu verzögern, was wiederum zu
- 8 Zur entsprechenden Übertragbarkeit OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2012, 5 S 12/11, Rn. 4 – juris m.w.N. zur überein- stimmenden Rspr. des OVG Münster und des VGH München.
- 9 Vgl. Kenntner, ZBR 2016, 181 (182) unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 18.11.2004, III ZR 347/03, Rn. 14 bzgl. der entsprechenden Eingrenzung im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs.
- 10 Vgl. bspw. BVerwG, Urt. v. 21.08.2003, 2 C 14.02 (= BVerwGE 118, 370), Rn. 16 – juris m.w.N. zur Rspr. von BVerfG und BVerwG.
- 11 Vgl. zur Terminologie etwa BVerwG, a.a.O. oder auch BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09 (= BVerwGE 138, 102), Rn. 21 – juris.
- 12 Neuhäuser, WissR 45 (2012), 248 (251) m.w.N.
- 13 Neuhäuser, WissR 45 (2012), 248 (252 f.).
- 14 Neuhäuser, WissR 45 (2012), 248 (253) unter Hinweis auf BVer-wG, Urt. v. 9.5.1985, 2 C 16.83.
- 15 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2012, 5 S 12.11, Rn. 4 –juris.
einer immer stärkeren Verrechtlichung des Verfahrens geführt hat.16
Die gerichtliche Prüfung der Auswahlentscheidung wird dabei regelmäßig auf den vorläufigen Rechtsschutz vorverlagert.17 Denn mit der beamtenrechtlichen Ernen- nung des*der ausgewählten Bewerbers*Bewerberin wird das Auswahlverfahren durch den entsprechenden Ver- waltungsakt formal verbindlich abgeschlossen – der Be- werbungsverfahrensanspruch erlischt.18 Der sog. Grund- satz der Ämterstabilität steht der Verhinderung der Ein- weisung in eine entsprechende Planstelle und einer Wie- derholung des Verfahrens aufgrund von vorangegangenen Fehlern ab diesem Zeitpunkt regelmäßig entgegen.19 Ei- ner Klage gegen eine bereits erfolgte Ernennung wird daher nur selten zum Erfolg führen, da es in der Regel bereits am Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG verbleibt bei Konkurrentenstreitigkeiten, soweit es um Ersteinstellun- gen bzw. Erstberufungen und nicht um Beförderungen geht, im Wesentlichen nur eine Fallkonstellation, in der eine Anfechtungsklage, mit dem Ziel, die Ernennung des*der Konkurrenten*in aufzuheben, ausnahmsweise als zulässiger Rechtsbehelf in Betracht kommt: Wenn der Dienstherr den*die ausgewählte*n Bewerber*in unter Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Konkur- rentenmitteilung oder unter Verletzung der Wartepflicht vorschnell ernennt, wird das verfassungsrechtlich garan- tierte Recht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt.20 Der Grundsatz der Ämterstabilität kann dem*der übergangenen Bewerber*in dann nicht entgegengehalten werden, son- dern es gilt, dem verfassungsrechtlich gebotenen Rechts- schutz auch noch nach der Ernennung Geltung zu ver- schaffen und diese Entscheidung des Dienstherrn im Erfolgsfall aufzuheben. Allein dann, wenn der*die unter Verletzung der Wartepflicht vorschnell ernannte
16 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer- bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 25.
17 Zu den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an den Um- gang mit dieser besonderen Situation geknüpft werden, sogleich unter II.; kritisch zur herrschenden Dogmatik: Schoch, in: Schoch/ Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwGO, 44. EL März 2023, § 123 Rn. 41 ff.
18 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 27 – juris.
19 Vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7.
Aufl. 2017, § 61, Rn. 1343.
20 Grundlegend BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09 – juris; vgl.
etwa auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2018, 4 N 2.16 – juris.
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Bewerber*in die Stelle wieder verlassen hat, ist eine Anfechtung im Hauptsacheverfahren nicht statthaft, sondern der Hauptsacherechtsbehelf auf die Verpflich- tung zur Neuentscheidung über die Bewerbung zu rich- ten.21
Für den Bereich der Hochschulen deutet nichts dar- auf hin, dass ihnen bzw. den zuständigen Ministerien der Fehler einer unterbliebenen oder nicht ordnungsgemä- ßen Konkurrentenmitteilung häufiger unterläuft.22
II. Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs nach der Auswahlentscheidung im Berufungsverfah- ren
Seinen Ausgang nimmt ein Konkurrentenstreitverfahren regelmäßig mit der Information an die Bewerber*innen, dass sie bei der weiteren Auswahl nicht berücksichtigt werden bzw. ein*e andere*r Kandidat*in die Professur erhalten soll. Insoweit stellt sich zunächst die Frage, wel- che Anforderungen an die Hochschulen gestellt werden, im Hinblick darauf, wann, auf welche Weise und in wel- chem Umfang unterlegene Bewerber*innen zu informie- ren sind, damit sie sich nicht dem Vorwurf der Vereite- lung des Bewerbungsverfahrensanspruchs entgegenhal- ten lassen müssen (dazu unter 1.). Damit die Bewerber*innen bewerten können, ob die für sie ungünstige Auswahlentscheidung fehlerhaft gewesen ist, bedarf es in der Regel der Einsicht in die Akten, die von der Hochschule zu dem Berufungsverfahren geführt werden (dazu unter 2.). Erst daran anknüpfend können die Erfolgsaussichten einer Sicherung des Bewerbungs- verfahrensanspruchs durch ein gerichtliches Verfahren vollständig geprüft werden, indem bewertet wird, ob die prozessualen (dazu unter 3.) und materiellen (dazu unter 4.) Voraussetzungen für einen entsprechenden Antrag an das zuständige Gericht vorliegen.
- 21 VG Bayreuth, Urt. v. 18.7.2023, B 5 K 22.719, UA S. 18 – n.v.; vgl. hierzu ferner die Besprechung von Wertheimer, OdW 2025, Heft 1
- 22 Vgl. aber zu einem entsprechenden Fall VG Bayreuth, Urt. v. 18.7.2023, a.a.O., UA S. 18 f. n.v.
- 23 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 34 – juris.
- 24 BVerwG, a.a.O., Rn. 34 f. – juris.
- 25 Vgl. auch Herrmann, NJW 2011, 653 (654).
- 26 Die Ansicht, dass sich die Informationspflicht in gestuften Aus-wahlentscheidungen auf alle Verfahrensabschnitte erstreckt
1. Die Mitteilungspflicht der Hochschulen
Um zu verhindern, dass der Bewerbungsverfahrensan- spruch durch die Ernennung des*der erfolgreichen Kandidaten*in vereitelt wird, ist das in diesem Zusam- menhang aus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ableitbare Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz durch die Rechtsprechung verschiedentlich gesichert worden. So verpflichtet die verfassungs- und verwaltungsgericht- liche Rechtsprechung die ernennende Stelle dazu, nach Abschluss des Auswahlverfahrens den unterlegenen Bewerbern*Bewerberinnen zur Wahrung des verfas- sungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes die Auswahlentscheidung und damit einhergehend die beabsichtigte Ernennung einer anderen Person mitzu- teilen23 und diese Ernennung erst nach Ablauf einer Still- haltefrist durchzuführen.24
a) Zeitpunkt der Mitteilung und Wartefristen
Die Mitteilung über die Auswahlentscheidung muss jedenfalls so rechtzeitig vor der Ernennung des*der erfolgreichen Bewerbers*in erfolgen, dass für den*die unterlegene*n Bewerberin noch die Chance besteht, die Ernennung durch einen Antrag auf Erlass einer einst- weiligen gerichtlichen Anordnung gem. § 123 VwGO (zumindest vorläufig) erfolgreich zu verhindern.25
Im Rahmen von Berufungsverfahren ist die Mittei- lung spätestens dann abzugeben, wenn die Berufungslis- te durch alle zuständigen Stellen bestätigt wurde und die Ernennung des Erstplatzierten vorgenommen werden soll.26
Die vom Berliner VG/OVG vertretene Rechtsauffas- sung27, dass bereits vor Abschluss des Berufungsverfah- rens und ab der Mitteilung eines Sachstands für den*die Bewerber*in die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels zu laufen beginne, selbst wenn eine Liste noch gar nicht erstellt ist, wurde vom BVerfG verworfen.28 Auch eine
und im Rahmen von Berufungsverfahren daher schon bei der Einladung zum Probevortrag eine Information an die nicht eingeladenen Kandidaten*Kandidatinnen erfolgen müsste, wurde von der Rechtsprechung soweit ersichtlich nicht aufgenommen. Vgl. dazu Brinktrine, JA 2015, 1192 (1196).
27 VG Berlin Beschl. v. 10.6.2013, 5 L 122.13 – juris; OVG Berlin- Brandenburg, Beschl. v. 5.12.2013, 4 S 53.13 – n.v..
28 BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13 – juris.
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Mitteilung der Fakultät, dass ein*e Bewerber*in z. B. nicht zum Probevortrag eingeladen wird, erfolgt zu ei- nem Zeitpunkt, in welchem das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.29 Es ist lediglich ein Zwischenstand und es handelt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG um „eine bloße Wissenserklärung und nicht um einen Verwaltungsakt zum Abschluss eines beamtenrechtli- chen Verfahrens“.30 Vor diesem Hintergrund handele es sich „auch bei der Erstellung der Berufungsliste um ei- nen rechtlich unselbständigen Zwischenschritt“ auf den regelmäßig viele weitere Zwischenschritte und Entschei- dungen folgen (Zustimmung Fachbereichsrat, Akademi- scher Senat, Hochschulleitung) und jede dieser Ent- scheidungen könne das Verfahren verändern.31
Erst mit dem vollständigen Abschluss des Verwal- tungsverfahrens und durch die Bekanntgabe der erfolg- reichen Person verbunden mit der ablehnenden Beschei- dung der weiteren Bewerberinnen und Bewerber in der sogenannten „Konkurrentenmitteilung“ komme zum Ausdruck, dass das Verfahren abgeschlossen sei.32 Dies gelte „auch in den zweigeteilten Stellenbesetzungsver- fahren wie dem hochschulinternen Berufungsverfahren und der Ernennung für Professuren“.
Teilt das Sekretariat eines Fachbereichs Bewerberin- nen und Bewerbern vor einem Beschluss weiterer zu be- teiligender Gremien und der Hochschulleitung mit, dass sie nicht zu Anhörungen eingeladen oder auf einer Liste der Berufungskommission oder des Fachbereichs be- rücksichtigt worden sind, so stellt dies eine Information dar, aber eben keine abschließende Sachentscheidung gegen die gerichtlich vorgegangen werden könnte. Ge- gen die Information selbst kann bereits nach § 44a Satz 1 VwGO nicht selbständig vorgegangen wer- den, weil sei eine behördliche Verfahrenshandlung dar- stellt, die nur im Zusammenhang mit der Sachentschei- dung angefochten werden kann. Die Information kann aber auch nicht vorbeugend mit Blick auf die noch zu treffende abschließende Sachentscheidung gerichtlich überprüft werden. Dies liegt daran, dass zu diesem Zeit- punkt noch weitere Verfahrensschritte folgen (können oder müssen):
29 Teilt etwa das Sekretariat einer Fakultät Bewerber*innen vor einem Beschl. weiterer zu beteiligender Gremien und der Hochschulleitung und ggf. des Ministeriums mit, dass sie nicht zu Anhörungen eingeladen oder auf einer Liste der Berufungskom- mission oder der Fakultät berücksichtigt worden sind, handelt es sich um eine bloße Wissenserklärung und nicht um einen Ver- waltungsakt zum Abschluss eines beamtenrechtlichen Verfahrens, BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13, Rn. 20 – juris unter Verweis auf OVG Münster, Beschl. v. 3.4.2008, 6 B 159/08, Rn. 6 ff. – juris; VGH München, Beschl. v. 30.4.2009, 7 CE 09.661, 7 CE 09.662, Rn. 21 – juris.
– weitere Personen werden zu Anhörungen nachgela- den,
– (weitere) Gutachten werden eingefordert,
– die Liste muss noch erstellt werden,
– die einmal erstellte Liste der Berufungskommission
wird durch den Fachbereich, oder den Akademi-
schen Senat verändert.
Der*die Bewerber*in ist nach der Rechtsprechung
des BVerfG und auch nach der „herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung“ daher im Gegenteil gerade gehalten, die abschließende Auswahlentschei- dung abzuwarten, die sich in der Erteilung des Rufes ma- nifestiert. Erst dann ist die Auswahlentscheidung einer Überprüfung zugänglich.33 Dies stimmt auch mit dem allgemeinen verwaltungsprozessrechtlichen Grundsatz überein, wonach gegen behördliche Maßnahmen oder Handlungen schon aus Gründen der Verfahrensökono- mie grundsätzlich erst nachträglich Rechtsschutz ge- währt wird34 und ein vorbeugender Rechtsschutz ausge- schlossen ist.
Das Urteil des BVerwG vom 20.12.201635 hat diese klare Rechtsprechung des BVerfG leider verwässert und nicht Klarheit, sondern eher Verwirrung geschaffen.36 In der Literatur wird erörtert wie die neue Rechtsprechung des BVerwG zu der oben erwähnten Rechtsprechung des BVerfG steht.37 Mit Urteil vom 20.10.2016 vertritt das BVerwG die Auffassung, zwar müsse das hochschulin- terne Berufungsverfahren abgeschlossen sein, jedoch entspreche es
„sowohl dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes als auch dem Gebot der Effektivität des Verfahrens zur Be- setzung der Stelle eines Hochschullehrers, dass vorläufi- ger gerichtlicher Rechtsschutz im Anschluss an die ver- bindliche Bestimmung der gelisteten Bewerber durch das hierfür maßgebliche Gremium und die Bekanntgabe dieser Entscheidung sowie der maßgeblichen Auswahl- erwägungen in Anspruch zu nehmen ist. Maßgeblich ist insoweit grundsätzlich die sog.‚Konkurrentenmitteilung‘, in der die Verwaltung den vollständigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch die Bekanntgabe der er- folgreichen Person verbunden mit der ablehnenden Be-
30 BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014 — 1 BvR 3606/13, Rn. 29 – juris; dazu auch näher sogleich unter b).
31 BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014 — 1 BvR 3606/13, Rn. 29 – juris.
32 BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014 — 1 BvR 3606/13, Rn. 29 – juris.
33 BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13, Rn. 19 – juris unter
Verweis auch auf Beaucamp/Seifert, WissR 44, 2011, 24 (37) m. w.
N.
34 VG Osnabrück, Beschl. v. 16.4.2015, 3 B 20/14, Rn. 58 – juris.
35 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15.
36 Noack, NVwZ 2018, 1190 (1190).
37 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Noack, NVwZ 2018, 1190 ff.
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scheidung der weiteren Bewerber zum Ausdruck bringt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2014 — 1 BvR3606/13 — NVwZ 2014, 785 Rn. 19 f.). Durch den Be- schluss des Rektorats über den Berufungsvorschlag nach § 10 BO bindet sich die Beklagte insoweit, als nur die dort aufgeführten Bewerber für die Vergabe der Stelle in Be- tracht kommen. Führen die nach der Reihenfolge der Lis- te zu führenden Berufungsverhandlungen mit den Be- werbern nicht zum Erfolg, ist diese Ausschreibung gescheitert.“38
Demnach muss die Hochschule nach der Rechtspre- chung des BVerwG bereits nach dem Beschluss der Liste im Rektorat die Konkurrentenmitteilung versenden. Dies entspräche der Interessenslage aller Beteiligten in einem Berufungsverfahren, und es sei auch aus zeitli- chen Gründen richtig, nicht erst langwierige Berufungs- verhandlungen abzuwarten.39
Dies lässt außer Acht, dass nach der Entscheidung der Hochschulleitung über den Berufungsvorschlag je nach Landeshochschulgesetz noch die Zustimmung des Ministeriums erforderlich ist. So ist in Berlin die Hoch- schule zwar als Dienstherr auch die ernennende Behör- de, das Ministerium (vorliegend das für Hochschulen zuständige Mitglied des Senats von Berlin) jedoch die ruferteilende Stelle, deren Einvernehmen erforderlich ist.40 Auch wäre der*die zweitplatzierte Bewerber*in bei einem fehlerhaften Berufungsverfahren gezwungen, um einstweiligen Rechtsschutz zu ersuchen, noch bevor der*die erstplatzierte Bewerber*in überhaupt den Ruf angenommen hat.41 Der*die im einstweiligen Rechts- schutzverfahren nach § 65 Abs. 2 VwGO beizuladende erstplatzierte Bewerber*in könnte durch die Erklärung, den Ruf nicht annehmen zu wollen, dem Rechtsschutz- antrag des*der zweitplatzierten Bewerber*in das Rechts- schutzbedürfnis entziehen, was das Prozessrisiko zusätz- lich erhöht.
Nach alledem spricht einiges dafür, der Rechtspre- chung des BVerfG folgend, die bei der Auswahl übergan- genen Bewerber*innen erst nach Rufannahme durch den*die ausgewählten Bewerber*in nach erfolgreichen Berufungsverhandlungen und rechtzeitig vor der Ernen- nung zu informieren. Man mag dem allerdings entge- genhalten, dass ein Berufungsverfahren so erst sehr spät gerichtlich überprüft werden kann.
Die Entscheidungen des BVerfG und des BVerwG er- öffnen letztlich den Hochschulen einen Spielraum, zu
- 38 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 30 – juris.
- 39 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 30 – juris.
- 40 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer-bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 80 f.
welchem Zeitpunkt sie die Auswahlentscheidung einem prozessrechtlichen Angriff aussetzen wollen. Sie können der Rechtsprechung des BVerwG folgend die Mitteilun- gen bereits nach dem Beschluss der Liste im Rektorat versenden und somit das Verfahren zeitlich beschleuni- gen. Sie nehmen dann aber in Kauf, dass es ggf. rechtli- che Streitigkeiten gibt, die hinfällig sind, wenn sich Än- derungen ergeben, auf die prozessrechtlich gegebenen- falls darauf zu reagieren ist, dass die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für er- ledigt erklären. Die Hochschulen können aber auch der Rechtsprechung des BVerfG folgen und erst nach der Ei- nigung in der Berufungsverhandlung und Ernennungs- absicht die Konkurrentenmitteilung versenden. Diese Unklarheit ist unmittelbare Folge der Rechtsprechung des BVerwG, welches die Rechtsprechung des BVerfG zi- tiert, aber sich im Gegensatz dazu bringt.42
Als angemessene Wartefrist, die von den Hochschu- len bzw. Ministerien einzuhalten ist, bevor sie durch die Ernennung des*der erfolgreichen Bewerbers*in die Rechtslage ändern, werden mittlerweile mindestens zwei Wochen ab Zugang der Mitteilung über die Ablehnung der Bewerbung angesehen.43 In der Praxis dürfte dies zu- nächst seltener zu Problemen führen, da zwischen Ruf und Ernennung i.d.R. noch Berufungsverhandlungen, die offizielle Rufannahme und weitere beamtenrechtli- che Präliminarien liegen, die bisweilen kompliziert und langwierig sein können.
Die Wartepflicht des Dienstherrn kann sich jedoch ungewollt verlängern, wenn tatsächlich ein oder mehre- re unterlegene Bewerber*innen gegen die getroffene Auswahlentscheidung gerichtlich vorgehen. Nicht nur ergibt sich dann eine Verzögerung für die Dauer des ge- richtlichen Verfahrens, sondern auch im Falle des Obsie- gens des Dienstherrn in der ersten Instanz vor dem Ver- waltungsgericht. Denn er ist auch in diesem Fall gehal- ten, die Ernennung frühestens nach ereignislosem Ver- streichen der zweiwöchigen Beschwerdefrist gem. §§ 146, 147 VwGO vorzunehmen und bis dahin abzuwar- ten, ob der*die unterlegene Bewerber*in Beschwerde bei der nächsten Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, ein- legt.
Unterliegt der*die Bewerber*in auch vor dem Ober- verwaltungsgericht, verlängert sich die Wartepflicht des Dienstherrn ein weiteres Mal, in diesem Fall um den Zeitraum, innerhalb dessen dem*der unterlegenen
41 Noack, NVwZ 2018, 1190 (1191).
42 Noack, NVwZ 2018, 1190 (1191).
43 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 34 – juris unter Verweis
auf die verwaltungsgerichtliche Praxis.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 5 7
Bewerber*in noch die Erhebung einer Verfassungsbe- schwerde möglich ist. Teilt der*die unterlegene Bewerber*in also bereits vor oder spätestens zwei Wo- chen nach Bekanntgabe der obergerichtlichen Entschei- dung mit, dass er*sie das Bundesverfassungsgericht an- rufen wird, muss ihm*ihr Gelegenheit gegeben werden, die Monatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbe- schwerde nach § 93 Abs. 1 BVerfGG auszuschöpfen.44
Je länger sich die Verfahren hinziehen, desto mehr steigt für den Dienstherrn also das Risiko – auch wenn er am Ende vor Gericht obsiegen sollte –, dass der*die ursprünglich ausgewählte Kandidat*in und evtl. auch weitere Listenkandidaten*innen abspringen und das Verfahren schon aus diesem Grund wiederholt werden muss.
b) Rechtscharakter der Mitteilungen an die Bewerber*innen
Das Auswahlverfahren an der Hochschule ist ein dem Ernennungsverfahren vorgelagertes Verfahren. Die Mit- teilung an die unterlegenen Bewerber*innen über die getroffene Auswahlentscheidung sowie die beabsichtigte Ernennung eines*r Konkurrenten*in enthält keine recht- lich verbindliche Regelung für die Adressaten*innen, sodass es bereits an diesem Merkmal für die Annahme des Vorliegens eines Verwaltungsakts i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG fehlt45. Denn sie enthält lediglich die Mitteilung der Absicht, einen Verwaltungsakt – in Gestalt der Ernennung – adressiert an eine dritte Person zu erlassen.
Ihr kann daher nicht erfolgreich mit der Einlegung eines Widerspruchs bei der Hochschule oder der Erhe- bung einer Anfechtungsklage begegnet werden. Auch
- 44 So BVerwG, Beschl. v. 8.12.2011, 2 B 106.11, Rn. 10 – juris.
- 45 So bspw. OVG Koblenz, Beschl. v. 18.9.2006, 2 B 10840/06, Rn.4 – juris; ebenfalls verneinend VGH München, Beschl. v. 1.2.2022, 3 CE 22.19, Rn. 7 – juris; a.A. unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, noch Kenntner, ZBR 2016, 181 (183 ff.) und v. Roetteken, ZBR 2011, 73 (74), die dies aus einer Unschärfe des BVerwG-Entscheidung ableiten. Das BVerwG spricht der ausgewählten Person aufgrund der Auswahlentscheidung einen Anspruch auf Verleihung des entsprechenden Amtes zu (siehe dort Rn. 27), das hieße auf die als Verwaltungsakt zu qualifi- zierende Ernennung. Daraus wird von den Autoren gefolgert, dass dann auch die mit der Auswahlentscheidung verbundene Ablehnung der unterlegenen Bewerber*innen Regelungscha- rakter habe. Hier dürfte jedoch vielmehr infrage zu stellen sein, ob das BVerwG mit seiner Aussage an der Stelle tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, dass regelmäßig bereits die Auswahl- entscheidung einen Verwaltungsakt darstellt, zumal es an gleicher Stelle im nachfolgenden Satz ausführt, dass der Bewerbungs- verfahrensanspruch [erst] durch die Ernennung untergehe,wenn diese das Auswahlverfahren endgültig abschließe. Wie
die Ruferteilung an den*die erfolgreiche*n Bewerber*in stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne des Verwaltungs- verfahrensrechts dar.46 In beiden Fällen handelt es sich lediglich um formlose Mitteilungen über die getroffene Auswahlentscheidung.47 Auch mit dem Ruf wird zu- nächst nur die Bereitschaft bekundet, in Berufungsver- handlungen einzutreten; eine rechtsgestaltende Wirkung wohnt ihm nicht inne.48 Die Hochschulen sind daher auch nicht gehalten, diese Mitteilungen mit Rechtsbe- helfsbelehrungen zu versehen.49
Den Hochschulen ist jedoch dringend zu empfehlen, die Mitteilungen, auch wenn sie keine Verwaltungsakt- qualität haben und ihr Zugang keine förmlichen Rechts- behelfsfristen auslösen, den unterlegenen Mitbewerber*innen rechtsförmlich zuzustellen. Denn wegen der Bedeutung der Konkurrentenmitteilung für die Wahrnehmung des Rechtsschutzes durch die unter- legenen Bewerber*innen liegt die Beweislast für den Zu- gang der Mitteilung beim Dienstherrn. Kann der Zu- gang der Konkurrentenmitteilung nicht nachgewiesen werden, kann dies dazu führen, dass zugunsten des*der betreffende*n Bewerber*in der Grundsatz der Ämtersta- bilität durchbrochen wird und eine kombinierte Anfech- tungs- und Verpflichtungsklage gegen die Ernennung des*der beigeladenen Bewerbers*in zulässig ist.50 Gänz- lich unzureichend dürften bloße mündliche oder telefo- nische Konkurrentenmitteilungen sein, auch wenn es keine gesetzlichen Vorschriften über ihre Form gibt und sie mithin grundsätzlich formlos, also auch mündlich er- gehen können. Denn naturgemäß lassen sich weder die mündliche Mitteilung an sich noch deren konkreter In- halt in einem späteren gerichtlichen Verfahren hinrei- chend sicher aufklären, was zu Lasten der Hochschule
auch Kenntner selbst zutreffend anmerkt, kann es noch andere
– nach der Auswahlentscheidung [bzgl. der fachlichen Eignung, die durch die Berufungskommission zu treffen ist] liegende – Faktoren, wie bspw. eine fehlende gesundheitliche Eignung die Ernennung noch verhindern können. In solchen Fällen oder auch, wenn der*die Kandidat*in einem Berufungsverfahren den erteilten Ruf nicht annimmt, wird die Hochschule möglw. eher auf weitere Listenkandidaten zurückgreifen wollen, bevor sie
ein neues Verfahren durchführt. Insoweit können auch zunächst unterlegene Bewerber*innen im selben Verfahren doch noch zum Zuge kommen, sodass die ursprüngliche, negative Mitteilung hinfällig wird. Auch für diesem Hintergrund spricht wenig dafür, dass die Hochschulen bereits in diesem Stadium des Verfahrens verbindliche Regelungen treffen wollen.
46 BVerwG, Urt. v. 19.2.1998, 2 C 14.97, Rn. 20 – juris.
47 BVerwG, Urt. v. 19.2.1998, 2 C 14.97, Rn. 24 ff. – juris.
48 BVerwG, Urt. v. 19.2.1998, 2 C 14.97, Rn. 25 – juris.
49 Dazu VGH München, Beschl. v. 1.2.2022, 3 CE 22.19, Rn. 7 – juris. 50 Vgl. etwa VG Stuttgart, Urt. v. 30.6.2021, 6 K 1377/20, Rn. 36 –
juris.
258 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
geht.51 Aus der Praxis ist bekannt, dass bloße „Abvermer- ke“ über die Aufgabe zur Post häufig nicht zuverlässig Eingang in die Verwaltungsakte finden. Ein solcher „Ab- vermerk“ kann zwar nach dem Rechtsgedanken des § 41 Abs. 2 VwVfG bzw. den entsprechenden landes- rechtlichen Vorschriften die Vermutung tragen, dass der Verwaltungsakt – hier das Schriftstück –, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Die entspre- chende Heranziehung dieses Rechtsgedankens scheitert jedoch schon dort, wo der*die Mitbewerber*in im Aus- land wohnt.52
Die fehlende Verwaltungsaktqualität hat Auswirkun- gen auf die Formulierung des Klage- bzw. Antragsgegen- stands; es ist nicht gegen diese Mitteilung vorzugehen, sondern gegen die (drohende) Ernennung des*der Konkurrenten*in,53 denn die „Ernennung eines nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG ausgewählten Bewerbers für ein Amt stellt einen Verwaltungsakt dar, der darauf gerichtet ist, unmittelbare Rechtswirkungen für die durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Bewerbungs- verfahrensansprüche der unterlegenen Bewerber zu entfalten“.54
Bei dem Ruf handelt es sich auch nicht um eine Zusi- cherung (der Ernennung) im Sinne des § 38 VwVfG, so- dass folglich auch noch kein Anspruch auf Ernennung zum*zur Professor*in durch das Ministerium oder die Hochschule begründet wird, der eingeklagt werden könnte.55 Auch der*die Zweitplatzierte hat keinen An- spruch auf eine Ernennung, wenn der* die Erstplatzierte abgesagt hat, denn auch die Liste entfaltet keine rechtli- che Bindungswirkung gegenüber den Bewerber*innen.56
c) Umfang der Mitteilungspflicht der Hochschulen
Unterlegene Bewerber*innen haben, wie eingangs unter II.1. dargelegt, Anspruch auf eine verbindliche Informa- tion des Dienstherrn über das Ergebnis des Auswahlver- fahrens, damit er nicht Gefahr läuft, ein Rechtsmittel auf ungesicherter tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage zu ergreifen57. Daraus folgert z.B. das OVG Lüneburg
- 51 Vgl. etwa den bemerkenswerten Sachverhalt bei VG Bayreuth, Urt. v. 18.7.2023, B 5 K 22.719, UA S. 20 – n.v.
- 52 VG Stuttgart, Urt. v. 30.6.2021, 6 K 1377/20, Rn. 36 – juris.
- 53 Vgl. Beaucamp/Seifert, WissR 44, 2011, 24 (27).
- 54 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 17 – juris.
- 55 Wernsmann/Gatzka, DÖV 2017, 609 (611) m.w.N.
- 56 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 15.10.2008, 4 K 1940/06, Rn. 28 – juris.
- 57 Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 1.4.2004, 2 C 26.03, Rn. 15 und BVerfG,Beschl. v. 9.7.2007, 2 BvR 206/07, Rn. 21 – juris.
- 58 OVG Lüneburg, Urt. v. 25.11.2014, 5 LB 7/14, Rn. 44 – juris.
- 59 Zugrunde lagen hier mehrere Beförderungsentscheidungen einerBehörde, bei denen der Kläger nicht zum Zuge gekommen war.
weiter, dass es dem Begründungserfordernis noch nicht genüge, wenn dem*der abgelehnten Bewerber*in die Gründe für die Auswahlentscheidung durch mündliche Auskunft oder Einsichtnahme zugänglich gemacht wer- den58. Vielmehr seien dem erfolglosen Bewerber bereits [in der schriftlichen Konkurrentenmitteilung] diejeni- gen wesentlichen Auswahlerwägungen mitzuteilen, die dafür maßgeblich waren, dass gerade dem Adressaten des ablehnenden Bescheides59 der Auserwählte vorgezo- gen wurde.60 Bereits die Konkurrentenmitteilung solle den Unterlegenen in die Lage versetzen, sachgerecht darüber entscheiden zu können, ob er gerichtlichen Eil- rechtsschutz in Anspruch nehmen will.61 Der VGH Kas- sel folgert aus dem Sinn und Zweck der Mitteilung, die den unterlegenen Mitbewerber in den Stand setzen soll, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen,62 dass diese Mitteilung mit einer hinreichend aussagekräf- tigen Begründung zu versehen ist.63
Allerdings ist zu beachten, dass der Entscheidung die Klage gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid zugrunde lag, nachdem der Kläger beantragt hatte, dem beförderten Konkurrenten gleichgestellt zu werden. We- niger weitgehend hat insoweit bspw. das OVG Koblenz das Erfordernis einer Begründung i.S.v. § 39 VwVfG ver- neint, wenn es lediglich um die bloße Mitteilung über eine beabsichtigte Ernennung gehe, da es sich dabei eben nicht um einen Verwaltungsakt handele (siehe bereits oben unter b)).64 Selbst wenn die verbindliche Ableh- nung einer konkreten Bewerbung ausgesprochen werde und dann u.U. ein entsprechender Regelungsgehalt an- zunehmen sei, reiche der Hinweis auf weitere Auskünfte und Möglichkeiten der Akteneinsichtnahme aus.65
Die Ausführungen des OVG Lüneburg geben auf- grund der abweichenden Ausgangslage keinen Anlass, die Anforderungen an die Konkurrentenmitteilung an unterlegene Bewerber*innen in Berufungsverfahren in dem unter b) verstandenen Sinne auszuweiten. Etwaige Begründungsmängel können nach dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften auch noch während des
Dabei sei er aufgrund krankheitsbedingter dienstlicher Abwe- senheit gar nicht bzw. unzureichend und verspätet informiert worden.
60 OVG Lüneburg, Urt. v. 25.11.2014, 5 LB 7/14, Rn. 44 – juris, unter Hinweis auf Beschl. v. 14.1.2008, 5 ME 317/07 sowie Beschl. v. 8.4.2010, 5 ME 277/09.
61 OVG Lüneburg, a.a.O.
62 BVerwG, Beschl. v. 8.12.2011, 2 B 106.11, Rn. 13 – juris.
63 VGH Kassel, Beschl. v. 2.10.2014, 1 B 774/14, Rn. 18 – juris.
64 OVG Koblenz, Beschl. v. 18.9.2006, 2 B 10840/06, Rn. 4 – juris. 65 OVG Koblenz, a.a.O.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 5 9
gerichtlichen (Eilrechtsschutz-)Verfahrens nachträglich geheilt werden.66 Eine Verkürzung von Rechtsschutz- möglichkeiten geht damit nicht einher, da bei einem feh- lerhaften Auswahlverfahren jedenfalls nicht unmittelbar die Ernennung der eigenen Person verlangt werden kann, sondern lediglich die Wiederholung des Verfah- rens. Entscheidend ist vielmehr, dass die unterlegenen Bewerber*innen überhaupt und rechtzeitig über die ge- troffene Auswahlentscheidung informiert werden. Denn die Einsichtnahme in die Akten der Hochschule ist oh- nehin unerlässlich, wenn die Entscheidung angezweifelt wird; das gilt für die Entscheidungsfindung, gerichtli- chen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen ebenso wie in der weiteren Folge für den Vortrag einer substantiier- ten Begründung vor Gericht. Verwaltungsverfahrens- rechtlich wird ein etwaiger Begründungsmangel wohl auch unbeachtlich, wenn der*die unterlegene Bewerber*in die Möglichkeit hatte, Akteneinsicht zu nehmen und dabei die Begründung für sein*ihr Unter- liegen zu entnehmen.67 Ein etwaiger Begründungsman- gel bei der Konkurrentenmitteilung birgt daher vor al- lem die Gefahr, dass der Antragsgegner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach dem Rechtsgedan- ken des § 155 Abs. 4 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, wenn ein Begründungsmangel vorliegt und dieser erst im gerichtlichen Verfahren geheilt oder unbe- achtlich wird und der*die Antragsteller*in daraufhin den Antrag zurücknimmt oder das Verfahren für erle- digt erklärt.68
Vor diesem verwaltungsverfahrensrechtlichen und prozessrechtlichen Hintergrund dürften die im Schrift- tum gestellten und zunehmend wachsenden Anforde- rungen an eine rechtskonforme Konkurrentenmittei- lung69 in der (verwaltungsgerichtlichen) Praxis keine all- zu große Bedeutung haben. Demnach soll die Mitteilung so gefasst sein, dass sie bereits aus sich heraus grundsätz- lich geeignet sei, den*die unterlegene*n Bewerber*in die Lage zu versetzen zu erkennen, ob es Anhaltspunkte für eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gebe.70 Die bloße Mitteilung, dass eine*r anderer berufen
- 66 Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.2.2016, 5 ME 2/16, Rn. 8, 12 – juris; VGH Kassel, Beschl. v. 2.10.2014, 1 B 774/14, Rn. 18 – juris.
- 67 VGH Kassel, Beschl. v. 26.2.2016, 1 B 43/16, Rn. 8 – juris.
- 68 Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.2.2016, 5 ME 2/16, Rn. 12 –juris.
- 69 Böhmann, Forschung & Lehre 2020, S. 516, 518.
- 70 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer-bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 81.
werde, reiche nicht aus, ebenso wenig der Verweis auf das Akteneinsichtsrecht.71
2. Akteneinsichtsrecht
Neben den allgemeinen Fragen zum Akteneinsichts- recht, stellte sich in hochschulrechtlichen Verfahren ins- besondere die Frage, ob es ein Recht der Hochschule gibt, die Namen von Gutachter*innen geheim zu halten.
a) Allgemein
Damit unterlegene Bewerber*innen ihre Rechte sichern können, kommt es für die Vorbereitung einer Klage oder eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz auf die genaue Kenntnis des Sachverhalts an, der in der Verfah- rensakte der Hochschule niedergelegt ist.72 Erst nach der Akteneinsicht können von dem*der unterlegenen Bewerber*in oder einem*einer beauftragten Rechtsanwalt*Rechtsanwältin die Erfolgschancen einge- schätzt und substantiierte Einwände geltend gemacht werden.73 Das Recht auf Akteneinsicht folgt grundsätz- lich bereits aus § 29 VwVfG bzw. den entsprechenden Regelungen in den LVwVfG. Teilweise kann die Anwend- barkeit von § 29 VwVfG in den LVwVfG oder durch das jeweilige Landeshochschulgesetz als lex specialis ausge- schlossen sein.74 Im Rahmen des verwaltungsgerichtli- chen Verfahrens ergibt sich das Recht auf Akteneinsicht aus § 100 VwGO.75 Es stellt sich in der Regel also nicht die Frage, ob ein Recht auf Akteneinsicht für die unterle- genen Bewerber*innen besteht, sondern lediglich in wel- chemStadiumdesVerfahrensaufwelchereinfachgesetz- lichen Grundlage das Recht fußt. Letztlich folgt es spä- testens aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 19 Abs. 4 GG.76
Um einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten zu können, muss das Recht auf Akteneinsicht auch insoweit umfassend sein, als dass die für das Auswahlverfahren dokumentierten Angaben zu den Mitbewerber*innen eingesehen werden können, denn nur so können eigene Rechte in einem Konkurrentenstreitverfahren substanti- iert geltend gemacht werden.
71 Böhmann, Forschung & Lehre 2020, S. 516, 518 unter Verweis auf VG Schleswig, Beschl. v. 11.11.2019, 12 B 51/19.
72 Vgl. VG Halle, Beschl. v. 29.9.2020, 5 B 222/19 -, Rn. 11 – juris. 73 BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007, 2 BvR 206/07, Rn. 21 – juris.
74 Bspw. in Hamburg durch § 2 Abs. 3 Nr. 3 HmbVwVfG.
75 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer-
bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 8.
76 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007, 2 BvR 206/07, Rn. 20 ff. – juris
oder auch OVG Münster, Beschl. v. 10.2.2016, 6 B 33/16, Rn.8 juris.
260 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
Verfahrensfehler sind unverzüglich zu rügen, zudem wird der Hochschule im Regelfall daran gelegen sein, ein Berufungsverfahren nicht länger als nötig zu unterbre- chen. Daher ist in der Praxis stets Eile bei der Bereitstel- lung von Unterlagen geboten, sodass den zuständigen Berufungskommissionen eine in jedem Verfahrensstadi- um lückenlose und hinreichende Dokumentation anzu- raten ist.77
b) Kein Geheimhaltungsrecht der externen Gutachter*innen
Aus dem unter a) Gesagten folgt, dass einfachgesetzliche Beschränkungen des Akteneinsichtsrechts sich als ver- fassungswidrig und damit nicht anwendbar erweisen können;78 dies kann auch Auswirkungen auf die im Rah- men von Berufungsverfahrungen bedeutsame Frage haben, ob die Namen der für das Auswahlverfahren her- angezogenen Gutachter*innen gegenüber den unterlege- nen Bewerber*innen geheim zu halten sind.79
Nicht selten wurde den Gutachter*innen von der Hochschule Vertraulichkeit zugesichert, sodass in der Folge bei einer Akteneinsicht zwar die Gutachten, nicht aber die Namen der Gutachter*innen bekannt gegeben wurden.80 Denn davon, ob die Begutachteten den Na- men des*der Gutachters*Gutachterin erfahren oder nicht, könne die Deutlichkeit des Gutachtens abhängen.81
Das BVerwG hat diese Frage am Maßstab des § 99 VwGO für die Offenlegung im verwaltungsgericht- lichen Verfahren geklärt und erkennt in der Anonymität von Gutachter*innen kein anerkanntes Prinzip, welches derzeit die Qualitätssicherung im Hochschulbereich garantiere.82 Das Interesse der Gutachter*innen an der Schwärzung ihres Namens ist auch deshalb von gerin- gem Gewicht, da sie ihre Expertise in den Dienst der Wissenschaftsverwaltung stellen und nicht ohne Weite- res davon ausgehen dürfen, dass ihnen die möglicher- weise im Verwaltungsverfahren noch gewährte Anony- mität auch in einem verwaltungsgerichtlichen Recht- schutzverfahren Bestand hat.83 Es verweist dazu auf
- 77 Zur nicht ausreichenden Dokumentation als Verfahrensfehler siehe unten unter IV 3 j.
- 78 Darauf weisen auch schon Beaucamp/Seifert, WissR 44 (2011), 24 (29) hin. Ähnlich Geis, OdW 2020, 23 (29).
- 79 Näher dazu BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3/16, Rn. 8 ff. – juris.
- 80 Eingehend zu dem Thema Wolff/Stemmer, WissR 47, 2014, 361.
- 81 So etwa Wolff/Stemmer, WissR 47, 2014, 361, 365 f.
- 82 BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3/16, Rn. 13.
- 83 BVerwG, a.a.O., Rn. 16 – juris.
- 84 BVerwG, a.a.O., Rn. 13 – juris.
- 85 BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3.16, Rn. 14 – juris.
Gerichtsentscheidungen aus verschiedenen Bundeslän- dern, welche die Besetzung von Professuren zum Gegen- stand hatten, in denen die Namen der Gutachter*innen offengelegt worden waren:84
„Denn von einem Gutachter ist gerade in einem sol- chen Verfahren zu erwarten, dass er in der Lage ist, frem- de wissenschaftliche Leistungen auch dann nach Maßga- be nachvollziehbarer Kriterien hinreichend differenziert unter offener Benennung von deren Stärken und Schwä- chen zu bewerten, wenn er später insbesondere auch im größeren Kollegenkreis zu dieser Beurteilung stehen muss. Die Fähigkeit und Bereitschaft, eine nach gründli- cher Prüfung gewonnene eigene Einschätzung fremder Thesen und Ansichten ihrerseits einer kritischen Würdi- gung durch andere auszusetzen, prägt die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs“.85
Knapper ausgedrückt: „Wer sich als Gutachter öffent- lichkeitswirksam (und reputationsfördernd) zur Verfü- gung stellt, sollte dafür auch mit seinem Namen gerade- stehen und sich nicht verstecken“.86
Dem lässt sich kaum widersprechen; beachtliche Nachteile, die dem*der Gutachter*in durch den*die Begutachteten*Begutachtete oder sein*ihr Umfeld als Reaktion auf eine ungünstige Bewertung bereitet werden könnten, sind jedenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn ausderBekanntgabedesGutachternamensfolgende„at- mosphärische“ Störungen nicht ausgeschlossen sein mö- gen,87 rechtfertige dies nicht, den Geheimhaltungsinter- essen den Vorrang einzuräumen.88
Das Bundesverwaltungsgericht zieht hier weiterhin den Vergleich zur Bewertung etwa einer Habilitations- schrift als akademischer Qualifikationsschrift. In diesem Kontext sei seit langem anerkannt, dass die Namen der hieran beteiligten Gutachter*innen jedenfalls im Ver- waltungsprozess im Interesse einer umfassenden Sach- verhaltsaufklärung offenzulegen seien.89 Da sich das Be- rufungsverfahren in Teilen ebenfalls als prüfungsähnli- ches Verfahren darstellt,90 lässt das Beispiel als weiteres Argument für eine Offenlegung heranziehen.91 Schließ- lich ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch in Ver-
86 Geis, OdW 2020, 23 (29).
87 Dazu Wolff/Stemmer, WissR 47, 2014, 361 (366).
88 BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3.16, Rn. 14 – juris.
89 Dazu bereits BVerwG, Urt. v. 16.3.1994, 6 C 1.93; für den Verwal-
tungsprozess zustimmend Wolff/Stemmer, WissR 47, 2014, 361
(361 f.).
90 So Detmer, WissR 28, 1995, 1 (2).
91 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3.16, Rn. 16 – juris, unter
Verweis auf Pernice-Warnke, WissR 47, 2014, 371 (389); krit. in diesem Punkt Danz in seiner Anmerkung zu BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017, 20 F 3.16, in: jM 2017, 384 (386).
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 6 1
fahren wegen des Widerrufs der Promotion oder der Ha- bilitation aufgrund eines Plagiats die in der Regel von der jeweils zuständigen Kommission eingesetzten Gutachter*innen zur Feststellung der Qualität und des Ausmaßes der Plagiate nicht geheim gehalten werden.
Mit dem Beschluss hat der Fachsenat des BVerwG die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt, und die Universität verpflichtet die Namen des Fachgut- achters offenzulegen; auch damit das Gericht den Ein- wänden des Klägers hinsichtlich der (fachlichen) Zu- sammensetzung der Kommission und der Auswahl des externen Gutachters nachgehen kann.92 Eine solche Fest- stellung kann naturgemäß nur getroffen werden, wenn zuvor die Namen offengelegt werden. Die Hochschulen sind zudem im Rahmen solcher Verfahren auf Auskünf- te und Einschätzung durch Fachkollegen angewiesen, es kann daher kein (öffentliches) Interesse an Anonymität geben.93 Es liegen auch keine grundrechtlich geschützten Interessen vor und auch keine personenbezogene Daten Dritter, die ein durch die informationelle Selbstbestim- mung gesichertes Interesse an Geheimhaltung besitzen. Die (angebliche) „akademische Regel“, wonach die Ano- nymität von Gutachtern vorausgesetzt werde, genügt solchen rechtlichen Anforderungen nicht.94
Anders kann es sich noch im Verwaltungsverfahren – also dem Berufungsverfahren selbst – darstellen; hier werden das allgemeine Akteneinsichtsrecht gemäß § 29 VwVfG bzw. entsprechende landesrechtliche Rege- lungen oder auch ein unmittelbarer verfassungsrechtli- cher Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht ohne Weite- res als Rechtsgrundlagen für eine entsprechende Aus- kunftspflicht gegenüber Bewerber*innen in Berufungsverfahren gesehen, sondern die Geheimhal- tungsbedürftigkeit als überwiegendes Interesse beur- teilt.95 Dies beruht auch darauf, dass die meisten landes- rechtlichen Verwaltungsverfahrensgesetze die Anwen- dung des jeweiligen § 29 LVwVfG in den Bestimmungen zum Anwendungsbereich für Berufungsverfahren der Hochschulen ausnehmen. Ein weitergehender Schutz des objektiven wissenschaftlichen Bewertungsverfah- rens als Institution lässt sich den bestehenden rechtli- chen Grundlagen nicht entnehmen und kann daher auch nicht tauglicher Gegenstand etwaiger Zusicherun-
- 92 Danz, jM 2017, 384 (386).
- 93 Danz, jM 2017, 384 (386).
- 94 Danz, jM 2017, 384 (386).
- 95 So etwa Wolff/Stemmer, WissR 44, 2011, 361 (367 f.) m.w.N. zurRspr.; vgl. dazu auch Danz, jM 2017, 384 (386).
- 96 Vgl. Wolff/Stemmer, WissR 44, 2011, 361 (367).
gen einer Hochschule gegenüber einem*einer Gutachter*in sein, den Namen geheim zu halten.96 Dabei dürfte wohl auch zu berücksichtigen sein, dass die betref- fenden Gutachter*innen aufgrund eines zivilrechtlichen Vertrags mit der Hochschule tätig werden. Dort getroffe- ne Zusagen über die Geheimhaltung des Namens kön- nen verwaltungsverfahrens- und verwaltungsprozess- rechtliche Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte Dritter — nämlich unterliegender Bewerber*innen — nicht beschneiden. Das Zivilrecht kennt keine Verträge zu Lasten Dritter und die Hochschule hat keine Befugnis, diese Rechte einseitig zu beschneiden.
Es gibt insoweit keinen Gleichlauf zwischen den (lan- des-) rechtlichen Verwaltungsverfahrensregelungen und den bundesrechtlichen Bestimmungen des Prozess- rechts. Dies rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass der Rechtsschutzsuchende durch die Anrufung des Gerichts mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG ein besonderes, verfas- sungsrechtlich verbürgtes Interesse an der Kenntnis des Akteninhalts einschließlich der Gutachternamen hat.
Auch die jeweiligen Informationsfreiheitsgesetze bie- ten einem*r unterlegenen Bewerber*in keine Möglich- keit, über den dort begründeten allgemeinen Informati- onsfreiheitsanspruch außerhalb eines gerichtlichen Ver- fahrens die Namen der Gutachter*innen zu erfahren. So- weit die Informationsfreiheitsgesetze der Länder bzw. des Bundes Bereichsausnahmen für Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung sowie Hochschulen nach dem jeweiligen LHG formulie- ren, gelten diese uneingeschränkt. Betreffen die begehr- ten Informationen einen Vorgang, der – wie etwa die AuswahlentscheidungineinemBerufungsverfahrenauf eine Hochschulprofessur – dem Bereich der wissen- schaftlichen Forschung und Lehre unterfällt, werden von der Bereichsausnahme auch die Namen der Gutachter*innen erfasst.97
Kommt es in einem verwaltungsgerichtlichen Ver- fahren dazu, dass die Hochschule bzw. das Ministerium hinsichtlich der Namen der Gutachter eine sog. Sperr- erklärung abgeben, gibt das Verwaltungsgericht auf An- trag eines Beteiligten das Verfahren gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4, § 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat beim
97 Vgl. zu § 2 Abs. 3 Nr. 2 LIFG BW VGH Mannheim, Urt. v. 25.10.2023, 10 S 314/23, Rn. 51 ff. – juris, wobei Gegenstand der Entscheidung das Informationsbegehren in Bezug auf die Namen der Gutachter*innen im Rahmen einer Bestellung eines Honorar- professors war.
262 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
zuständigen Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungs- gerichtshof ab, der dann darüber zu befinden hat, ob die Sperrerklärung rechtswidrig ist. Soweit die landesrecht- lichen Verwaltungsverfahrensgesetze den jeweiligen § 29 LVwVfG für Berufungsverfahren der Hochschulen ausnehmen, rechtfertigt dies nicht die Abgabe einer sog. Sperrerklärung im Verwaltungsprozess nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO bezüglich der Namen der Gutachter*innen. Mit diesen verwaltungsverfahrens- rechtlichen Bestimmungen wird in der Regel nicht beab- sichtigt gewesen sein, ein Aktenvorlageverweigerungs- recht in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu begrün- den.98
II. Prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags nach § 123 VwGO
Wie in der Einleitung angerissen und auch in den nach- folgenden Ausführungen bereits deutlich wurde, spielt im Rahmen von Berufungsverfahren an Hochschulen für unterlegene Bewerber*innen der Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten faktisch die größte Rolle. Das rührt letztlich schlicht daher, dass die überwiegende Anzahl an Professorenstellen in Deutschland – trotz einer bunter werdenden Hochschullandschaft – von staatlichen Hochschulen vergeben werden und es sich dabei in der Regel auch um Beamtenstellen handelt. Gleichzeitig hat sich durch die Entwicklung der Recht- sprechung zum Öffentlichen Dienstrecht das Eilverfah- ren als maßgebliche Rechtsschutzmöglichkeit in diesem Zusammenhang herausgestellt. Deshalb wird hier unter III. und auch anschließend unter IV. allein auf die not- wendigen Voraussetzungen für einen zulässigen und begründeten Antrag auf Eilrechtsschutz vor den Verwal- tungsgerichten eingegangen.99
- 98 Vgl. etwa zur landesrechtlichen Regelung in Niedersachsen OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.2.2016, 14 PS 6/15, Rn. 28 f. – juris.
- 99 Zu den Voraussetzungen bei privatrechtlichen Dienstverträgen siehe Feldmann, OdW 2019, 55.
- 100 So zuletzt etwa BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3.21, Rn. 11 – juris; siehe auch Brinktrine, JA 2015, 1192 (1198 f.).
- 101 Siehe etwa BAG, Urt. v. 12.4.2016, 9 AZR 673/14, Rn. 16 – juris oder Urt. v. 3.12.2019, 9 AZR 78/19, Rn. 26 – juris.
- 102 Siehe BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3/21, Rn. 12 sowie BAG, Beschl. v. 21.7.2021, 9 AZB 19/21, Rn. 18 – juris.
- 103 So BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3.21, Rn. 19 – juris, sowie im Anschluss daran BAG, Beschl. v. 21.7.2021, 9 AZB 19/21, Rn. 14 – juris; a.A. zuletzt OVG Koblenz, Beschl. v. 19.1.2018, 2 E 10004/18, Rn. 4 – juris , das den Verwaltungsrechtweg als eröffnet ansah,
1. Der Rechtsweg
Sofern ein Berufungsverfahren mit der Ernennung des*der obsiegenden Bewerbers*in abgeschlossen und damit ein Beamtenverhältnis begründet werden soll, wird die Generalklausel des § 40 Abs. 1 VwGO durch die spezialgesetzlichen Regelungen aus dem Beamtenrecht verdrängt. Sind die Hochschulen des Bundes betroffen, greift § 126 BBG; für Beamtenstellen der Länder ist auf § 54 Abs. 1 BeamtStG abzustellen. Denn zu den „Klagen aus dem Beamtenverhältnis“ zählen auch Streitigkeiten über Maßnahmen zur Begründung des Beamtenverhält- nisses.100
Sofern eine staatliche Hochschule oder eine staatlich anerkannte Hochschule in öffentlicher Trägerschaft zur Besetzung einer Professur ein privatrechtliches Arbeits- verhältnis begründen möchte, bleibt sie gleichwohl grundrechtsgebunden und vergibt weiterhin ein öffent- liches Amt nach Art. 33 Abs. 2 GG, sodass auch eine Auswahl nach dessen Maßstäben geboten ist.101 Zustän- dig für die Durchführung von Konkurrentenstreitver- fahren zur Durchsetzung des Bewerbungsverfahrensan- spruchs unterlegener Bewerber*innen sind insoweit je- doch gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG die Arbeitsgerichte; ihre bisherige Rechtsprechung zur Rechtswegzuständig- keit in solchen Verfahren haben die Bundesgerichte in jüngster Zeit bestätigt und weiter ausdifferenziert.102 Der von der Rechtsprechung aus Art. 33 Abs. 2 GG entwi- ckelte Bewerbungsverfahrensanspruch ist danach weder von vornherein öffentlich-rechtlich noch bürgerlich- rechtlich zu verorten.103 Ob es sich um eine öffentlich- oder bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handele, richte sich vielmehr nach dem Charakter des Rechtsverhältnis- ses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird.104 Dass eine zu besetzende Stelle die Qualität eines
indem es darauf abstellte, dass Art. 33 Abs. 2 GG eine einseitige Verpflichtung von Trägern staatlicher Gewalt darstelle und als anspruchsbegründende Norm damit dem öffentlichen Recht zu zuordnen sei; dem OVG seinerzeit folgend Feldmann, OdW 2019, 55 (59). Das BVerwG hat die Auffassung des OVG Koblenz – der auch das OVG Bremen in der Vorinstanz gefolgt war – in seiner Entscheidung explizit verworfen.
104 BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3.21, Rn. 17 – juris; hat sich der „staatliche Arbeitgeber“ noch nicht festgelegt, ob ein öffentli ches Amt mittels Arbeitsvertrag oder durch Übertragung eines Statusamtes verliehen werden soll, ist auf das Bewerberfeld bzw. den*die Betroffene*n zu schauen, vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3.21, Rn. 19 f. – juris.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 6 3
öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG habe, sei für die Bestimmung des Rechtswegs unerheblich.105
Unzweifelhaft gilt die Zuständigkeit der Arbeitsge- richte auch für Konkurrentenstreitverfahren bei der Be- setzung von Professuren an privaten Hochschulen, für die von vornherein nur der Status als Angestellter zur Verfügung steht.106
2. Die Statthaftigkeit des Antrags nach § 123 VwGO in strittigen Berufungsverfahren
Ob ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft ist, beurteilt das Gericht nach dem Begehren des*der Antragstellers*in unter verständiger Würdigung der Sach- und Rechtsla- ge.107 Bei einem Konkurrentenstreit geht es dem*der unterlegenen Bewerber*in kurzfristig zunächst um die Beibehaltung des Status quo, indem die Ernennung des*der Konkurrenten*in verhindert wird. Somit kommt im Wesentlichen nur der Antrag auf Erlass einer einst- weiligen Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO108 in Betracht.
Denn eine Verpflichtungsklage auf Ernennung der eigenen Person ergäbe nur dann Sinn, wenn der*die un- terlegene Bewerber*in zweifelsfrei darlegen kann, dass er*sie eigentlich der*die Bessere sei und diesbezüglich für die Hochschule bzw. das zuständige Ministerium bei der Entscheidung über die Ernennung eine Ermessens- reduzierungaufNullvorliegt.109DaeinesolcheKonstel- lation so gut wie nie vorkommen dürfte,110 spielt sie in der Judikatur letztlich keine Rolle.
Eine Anfechtungsklage ist vor der Ernennung des*der ausgewählten Konkurrenten*in unstatthaft, da es ohne die wirksame Ernennung am Vorliegen eines Verwal- tungsakts und damit an einem tauglichen Klagegegen- stand mangelt. Wie bereits dargelegt, bleibt die die An- fechtungsklage aufgrund des Grundsatzes der Ämtersta- bilität auch nach der Ernennung im Regelfall unzulässig.
- 105 BVerwG, Beschl. v. 17.3.2021, 2 B 3/21, Rn. 18 – juris.
- 106 Wertheimer/Meißner, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 4.Aufl. 2022, Kap. 11, Rn. 4; in diesen Fällen sieht das BAG die Hochschule auch nicht an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden, vgl. BAG, Urt. v. 12.10.2010, 9 AZR 554/09, Rn. 44 ff., wobei über das Bestehen eines Bewerbungsverfahrensanspruch gegenüber einer kirchlichen Hochschule zu entscheiden war.
- 107 Vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO.
- 108 Vgl. dazu allg. sowie zum Anwendungsfall ‚Konkurrentenrechts-streit‘ Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, BandVwGO, 44. EL März 2023, § 123 Rn. 52 f.
- 109 Siehe Brinktrine, JA 2015, 1192 (1198).
- 110 Ähnlich Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechts-schutz, 7. Aufl. 2017, § 61, Rn. 1361.
- 111 Siehe BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 31 ff. – juris.
- 112 Vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7.Aufl. 2017, § 61, Rn. 1349 auch zu Fällen, in denen eine Stelle nicht ausgeschrieben wurde; insoweit seien diejenigen antragsbefugt, die der Dienstherr in die Auswahl hätte einbeziehen müssen.
Es sei denn, der*die unterlegene Bewerber*in wurde, etwa durch eine unterlassene Konkurrentenmitteilung, an der Wahrnehmung anderer effektiver Rechtsschutz- maßnahmen gehindert.111
Um in der Praxis die für ihn*sie relevante Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs zu gewährleisten, ist der*die in einem Berufungsverfahren unterlegene Bewerber*in gehalten, einen Eilantrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu stellen.
3. Die Antragsbefugnis
Antragsbefugt sind die Bewerber*innen und Bewerber, die sich in einem Berufungsverfahren zur Auswahl gestellt haben und in diesem Zusammenhang die Verlet- zung des Bewerbungsverfahrensanspruchs als ein ihnen subjektiv zustehendes Recht geltend machen können.112
Diesbezüglich hat das OVG Bautzen in einer seiner Entscheidungen die Frage aufgeworfen, inwieweit der aus Art. 33 Abs. 2 GG hergeleitete Bewerbungsverfah- rensanspruch auch von Personen als subjektives Recht geltend gemacht werden kann, die keine Deutschen i.S.d. Art. 116 GG sind.113 Das OVG lehnt – wenig überzeugend – einen subjektiv einklagbaren Anspruch auf chancen- gleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren für Perso- nen ab, die nicht deutsche Staatsangehörige oder Status- deutsche sind und verneint in diesem Zusammenhang auch die Herleitung des Bewerbungsverfahrensan- spruchs aus § 9 i. V. m. § 7 Abs. 3 Nr. 2 BeamtStG, wenn es vorrangig um die Auswahlentscheidung gehe und nicht die beamtenrechtliche Ernennung in Streit stehe, um letztlich einen möglichen Anspruch im Landeshoch- schulrecht zu erblicken.114 Dabei bleibt offen, inwieweit diese einfachgesetzlichen Normen dann noch mit Art. 33 Abs. 2 GG im Einklang stünden; und es bleibt weiterhin außer Betracht, dass § 7 Abs. 3 Nr. 2 BeamtStG leer liefe, wenn Personen, die keine Deutschen im Sinne
113 OVG Bautzen, Beschl. v. 8.4.2022, 2 B 41/22, Rn. 10 – juris. Die Frage wird vom OVG vor dem Einstieg in die Beurteilung, ob (materiell-rechtlich) ein Anordnungsanspruch bestand, geprüft und im Ergebnis offengelassen, weil ein solcher Anspruch mangels Fehlern im Berufungsverfahren in dem konkreten Fall nicht bestehe. Insoweit erscheint die dogmatische Einordnung der Ausführungen zumindest zweifelhaft; wenn jemandem
der Bewerbungsverfahrensanspruch nicht als subjektives Recht zustehen soll, kann es vielmehr umgekehrt in Bezug auf den*die Rechtsschutz Suchende*n dahinstehen, ob das Berufungsverfah- ren fehlerhaft gewesen ist oder nicht.
114 OVG Bautzen, Beschl. v. 8.4.2022, 2 B 41/22, Rn. 11 f. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 BeamtStG können ausnahmsweise Personen in ein Beamtenverhältnis berufen werden, die keine Deutschen i. S. v. Art. 116 Abs. 1 GG sind, wenn bei der Berufung von Hochschul- lehrerinnen und Hochschullehrern […] andere wichtige Gründe vorliegen. Zu den entsprechend hohen Hürden vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 5.8.2019, 2 B 130/19, Rn. 6 ff. – juris.
264 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
des Art. 116 Abs. 1 GG sind, schon kein Anspruch auf Teilnahme an einem Bewerbungsverfahren zugespro- chen würde, das sich an den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG auszurichten hat – unabhängig davon, ob am Ende ein Beamtenverhältnis oder ein privatrecht- liches Arbeitsverhältnis begründet werden soll.
4. Das (Eil-)Rechtsschutzbedürfnis
Durch die Ankündigung in der Konkurrentenmittei- lung, den*die ausgewählte Bewerber*in alsbald ernen- nen zu wollen, sind die unterlegenen Bewerber*innen gehalten, kurzfristig einen Antrag auf Eilrechtsschutz zu stellen, wenn sie Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Aus- wahlverfahren sehen und ihren Bewerbungsverfahrens- anspruch rechtzeitig vor der Ernennung sichern wollen. Wie bereits erwähnt, kommt hierfür regelmäßig ein Antrag gem. § 123 VwGO in Betracht. Das hierfür u.a. erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit in der Regel vor, wenn eine Auswahl des*der Antragstellers*in im Falle einer erneuten Entscheidung immerhin möglich erscheint bzw. nicht ausgeschlossen ist.115 Ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis dürfte das zuständige Gericht daher allenfalls annehmen, wenn der Antrag sinnlos ist und das Ziel des*der Antragsteller*in aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erreichbar ist.116
In diesem Zusammenhang wäre diese Annahme ge- geben, wenn ein Antrag auf Eilrechtsschutz noch gestellt wird, obwohl die Wartefrist für den Dienstherrn bereits verstrichen und die Ernennung schon erfolgt ist.
5. Die Hochschule oder das Land als Antragsgegner
Es gilt, den richtigen Antragsgegner, eine juristische Per- son des öffentlichen Rechts, zu ermitteln, gegen den der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu richten ist. Jener ist zugleich der Klagegegner in der Hauptsache.
Zwar streiten sich in der Sache auch zwei Bewerber*innen darum, wer das Amt bekommt, recht- lich betrachtet steht jedoch der*die unterlegene Bewerber*in als Antragsteller*in im Eilverfahren und als Kläger*in der Hauptsache einer Behörde bzw. deren
- 115 BVerfG, Beschl. v. 1.8.2006, 2 BvR 2364/03, Rn. 17 – juris.
- 116 Brinktrine, JA 2015, 1192 (1200).
- 117 Laubinger, ZBR 2010, 289 (291).
- 118 Zum Dienstherrn Epping/Nölle, in: Epping, NHG-Kommentar, 2.Aufl. 2023, § 26 Rn. 255.
- 119 Vgl. zur Mehrstufigkeit des Stellenbesetzungsverfahrens etwaOVG Münster, Urt. v. 22.7.2014, 6 A 815/11, Rn. 67 – juris.
- 120 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 17 – juris.
Rechtsträger gegenüber.117
Hierbei stellt sich nun regelmäßig die Frage, ob dies
die Hochschule selbst oder das jeweilige Landesministe- rium ist. Sie lässt sich nur durch einen Blick in das jewei- lige Landeshochschulgesetz (und ggf. auch die Grund- ordnung der Hochschule) beantworten; es kommt dar- auf an, wer von beiden den*die Professor*in ernennt.118 Dies ist insbesondere dann beachtlich, wenn ruferteilen- de und ernennende Behörde auseinanderfallen. Wie be- reits ausgeführt, ist die Mitteilung der ernennenden Be- hörde über die Nichtberücksichtigung kein Verwal- tungsakt; sie wird daher auch nicht Gegenstand des ge- richtlichen Verfahrens.119 Lediglich die Ernennung des*der Konkurrenten*in stellt einen Verwaltungsakt dar, und zwar mit Drittwirkung gegenüber den nicht be- rücksichtigten Bewerber*innen.120 Daher hat sich der ge- richtliche Eilantrag – je nach Zuständigkeit für die Vor- nahme der Ernennung – nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (Rechtsträgerprinzip) entweder gegen die Hochschule als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder gegen das jeweilige Bundesland als Rechtsträger des Ministeriums zu richten.121 Hat das betreffende Bundesland von der Er- mächtigung des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (Behördenprin- zip) Gebrauch gemacht,122 ist die Klage unmittelbar ge- gen die Behörde als gesetzlichen Prozessstandschafter der jeweiligen Körperschaft zu erheben.
Dass Antragsgegner zwar die ernennende Behörde ist, ändert jedoch nichts daran, dass gerichtlicher Prü- fungsgegenstand im Wesentlichen die endgültige Aus- wahlentscheidung der Hochschule ist, die in der Regel durch das Präsidium erfolgt. Aus hochschulrechtlicher Sicht betrachtet handelt es sich – sofern das Landeshoch- schulgesetz oder die Grundordnung nichts Abweichen- des regeln – um die Entscheidung der Hochschulleitung, die unter Beteiligung der gesetzlich vorgeschriebenen Gremien (Berufungskommission, Fakultätsrat) zu erfol- gen hat.123
6. Sonstige Voraussetzungen
Das Gericht prüft die Beteiligten- und Prozessfähigkeit des*der Antragstellers*in gemäß §§ 61 f. VwGO, was in der Praxis selten zu Problemen führen dürfte, sowie über
121 Vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2015, 2 B 300/15, Rn. 8 – juris. 122 Dies sind Brandenburg, das Saarland, Mecklenburg-Vorpom- mern, Niedersachen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein,
vgl. Kintz, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, 67. Ed, Stand:
01.04.2023, § 78 Rn. 34, 36 m.w.N.
123 Näher dazu Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und
Bewerbungsverfahrensanspruch, 2021, S. 154 f.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 6 5
die Beiladung des*der erfolgreichen Bewerbers*in, dem*der die Hochschule bzw. das Ministerium die Pro- fessur übertragen möchte.
Nicht zuletzt muss sich das Gericht für sachlich und örtlich zuständig erklären. Sofern es den Verwaltungs- rechtsweg in der Sache für eröffnet hält, ist die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts in erster Instanz gemäß § 45 VwGO gegeben. § 52 Nr. 4 VwGO regelt die örtliche Zuständigkeit für alle Klagen aus einem gegen- wärtigen oder früheren Beamten‑, Richter‑, Wehr- pflicht‑, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen und kennt insoweit die folgenden Alternativen: Entweder ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienst- lichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Oder es ist das Gericht zuständig, in des- sen Bezirk die betreffende Behörde ihren Sitz hat. Letzte- res gilt in den Fällen, in denen der*die Kläger*in oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Be- hörde hat. In der Regel werden unterlegene Bewerber*innen, die Rechtsschutz gegen die Ernennung des*der erfolgreichen Konkurrenten*in suchen, noch keinen „dienstlichen“ Wohnsitz mit Bezug auf den po- tentiellen Dienstherrn haben, der das Berufungsverfah- ren durchgeführt hat. Liegen der Wohnsitz des*der Antragstellers*in und die Hochschule bzw. das Ministe- rium also nicht zufällig im gleichen Gerichtsbezirk, bleibt der Sitz der Hochschule bzw. des zuständigen Mi- nisteriums für die Bestimmung der örtlichen Zuständig- keit maßgeblich.
IV. Begründetheit des Antrags: Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
Gem. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind neben der besonderen Eilbedürftigkeit (Anord- nungsgrund) die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsan- spruch) glaubhaft zu machen.
1. Der Anordnungsgrund
Um einen Anordnungsgrund annehmen zu können, muss die Auswahlentscheidung bereits getroffen worden sein; bei Hochschulprofessor*innen ist dies der Fall,
- 124 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13, Rn. 19 f. – juris; dem folgend: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, § 61, Rn. 1348.
- 125 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, § 61 Rn. 1348, m.w.N. zur Rspr.
wenn das Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der Ernennung abgeschlossen ist.124 Vorbeugender Rechts- schutz kommt nicht ohne Weiteres in Betracht, sondern nur, wenn bspw. durch ein abgeschichtetes Verfahren einzelne Bewerber*innen vorab ausgeschieden wer- den.125 Das Bestehen eines Anordnungsgrundes ist übli- cherweise also (erst) dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Bewerbungsverfahrensan- spruch durch die drohende Ernennung untergeht.126 Das wird regelmäßig der Fall sein. Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes kann im Rahmen der Antrag- stellung bei Gericht etwa durch Vorlage der Konkurren- tenmitteilung erfolgen.
2. Der Anordnungsanspruch
Auch wenn zu unterstellen ist, dass der*die unterlegene Bewerber*in darum kämpfen möchte, die Professur zu bekommen, durchsetzen lässt sich mit der Geltendma- chung seines*ihres aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Bewerbungsverfahrensanspruchs regelmäßig nur die fehlerfreie Berücksichtigung seiner*ihrer Bewerbung, sodass im Erfolgsfall das Auswahlverfahren zu wieder- holen ist. In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitver- fahren wird daher vom Bestehen eines Anordnungsan- spruchs des*der im Stellenbesetzungsverfahren unterle- genen Bewerbers*in ausgegangen, wenn die getroffene Auswahl zu seinen*ihren Lasten fehlerhaft erscheint und die Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine*ihre Auswahl also möglich erscheint.127 Dies gilt auch bei Konkurrentenstreitigkeiten im Rahmen von Berufungsverfahren.
3. Besondere Fallkonstellationen / Probleme
Viele Fallkonstellationen sind für eine Konkurrenten- streitigkeit bei Berufungsverfahren denkbar. Einige besondere sind untenstehend aufgeführt. Allgemein gilt für alle Verfahren das oben Gesagte, das kurz zusam- mengefasst werden soll:
Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Das hierin zum Ausdruck kommen- de Leistungsprinzip, welches auch bei der mit der Ernen- nung zum Professor verbundenen Besetzung von Lehr- stühlen an Universitäten gilt,128 eröffnet dem Einzelnen keinen Anspruch auf Beförderung bzw. auf Übertragung
126 Brinktrine, JA 2015, 1192 (1205).
127 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.8.2006, 2 BvR 2364/03, Rn. 17 – juris. 128 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. vom 1.8.2006, 2 BvR 2364/03 – juris
Rn. 17.
266 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
des begehrten Amtes, sondern gibt ihm lediglich An- spruch darauf, dass über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei nach Maßgabe dieser Kriteri- en entschieden wird (sog. Bewerbungsverfahrensan- spruch).129 Die konkrete Stellenausschreibung und das daran anschließende Auswahlverfahren dienen der ver- fahrensmäßigen Absicherung des Bewerbungsverfah- rensanspruchs der Bewerber,130 der eine angemessene Gestaltung des Auswahlverfahrens erfordert.131
a) Befangenheit
Ein relevanter Verfahrensfehler liegt vor, wenn ein Ver- fahrensfehler die Rechtswidrigkeit der streitgegenständ- lichen Auswahlentscheidung bewirkt. Dies ist dann der Fall, wenn ein Mitglied oder der Vorsitzende der Beru- fungskommission, wegen Besorgnis der Befangenheit nicht an der Berufungsentscheidung hätte mitwirken dürfen. Hinsichtlich der hier relevanten Fragen sei aus- führlich auf das Werk von Neukirchen/Emmrich zu Berufungen, Befangenheit und Bewerberverfahrensan- spruch verwiesen.132
Nur unparteiische und neutrale Personen dürfen in der Verwaltung tätig sein133, ergänzend normieren §§ 20 f. VwVfG die Ziele der Neutralität und Objektivität des Verwaltungshandelns.134 Daraus ergeben sich ent- sprechende Konsequenzen für die (Mit-) Arbeit in der Berufungskommission.135
Jedes Mitglied einer Berufungskommission ist ver- pflichtet, dem*der Vorsitzenden der Berufungskommis- sion sowohl Sachverhalte aus der abschließenden Auf- zählung des § 20 VwVfG von sich aus mitzuteilen als auch solche Sachverhalte, die geeignet sind, die Besorg- nis der Befangenheit gem. § 21 VwVfG zu begründen.136 Das Mitglied muss also proaktiv handeln und der*die Vorsitzende der Berufungskommission ist verpflichtet,
- 129 BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011, 2 BvR 1181/11 – juris Rn. 20.
- 130 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.2.2007, 2 BvR 2494/06 – juris Rn. 7.
- 131 BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011, 2 BvR 1181/11 – juris Rn. 21.
- 132 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer-bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 25
- 133 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl 2023, § 20 Rn. 6. Für eineunionsrechtliche Einordnung des Gebots der Unbefangenheit als Ausfluss von Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU vgl. Kuntze/Beichel-Benedetti, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwV fG, 6. Aufl. 2021, § 20 Rn. 158 ff. und § 21 Rn. 2 sowie Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 20 Rn. 67 und § 21 Rn. 27 m. w. N.
- 134 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 172 m. w. N.
- 135 Siehe hierzu allgemein Neukirchen/Emmerich, a.a.O. S. 92. ff.
- 136 Neukirchen/Emmrich, a.a.O. S. 92 ff..
- 137 Wernsmann/Gatzka, DÖV 2017, 609 (616).
- 138 Vgl. auch Kuntze/Beichel-Benedetti, in: Obermayer/Funke-Kaiser,VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23.
die Mitglieder aufzufordern, entsprechende Angaben zu machen. Dies ist in den Berufungsordnungen oder den Berufungsleitfäden der meisten Hochschulen nor- miert137. Der*die Vorsitzende der Berufungskommission hat den Sachverhalt aufzuklären.138 Hinsichtlich der Vor- aussetzungen der §§ 20 f. VwVfG können die im Folgen- den behandelten Sachverhalte unterschieden werden.139
aa) Von Gesetzes wegen ausgeschlossene Personen (absolute Befangenheit) gem. § 20 VwVfG
Damit die Neutralität der Verwaltung, in diesem Fall der Hochschule, gesichert ist, enthalten § 20 VwVfG des Bundes und die inhaltsgleichen LVwVfG die unwider- legbare Vermutung, dass bei bestimmten Interessenkol- lisionen und Sachverhalten eine neutrale Amtsführung unmöglich ist und daher bestimmte Personen qua Gesetz vom Verfahren ausgeschlossen sind.140
bb) Besorgnis der Befangenheit (relative Befangenheit) gem. § 21 VwVfG im Allgemeinen
Es kann zudem die Besorgnis der Befangenheit gem. § 21 VwVfG bestehen.141 Ausreichend hierfür ist der böse Anschein. Dies ist dann der Fall, wenn ein Grund vor- liegt, der geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Wür- digung aller Umstände aus der Sicht eines*r Bewerbers*in Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit zu zwei- feln.142
Die Besorgnis der Befangenheit kann auch erst im Zuge des Verfahrens eintreten, beispielsweise durch un- sachliche Äußerungen oder Verhaltensweisen eines Kommissionsmitglieds, die geeignet sind, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des*der Betreffenden auszulö- sen.143 Ferner kann die (bewusst) fehlerhafte Durchfüh- rung des Verwaltungsverfahrens die Besorgnis der Be-
139 Neukirchen/Emmrich, a.a.O., S. 93.ff..
140 Siehe hierzu ausführlich Neukirchen/Emmrich, a.a.O., S. 92 ff. 141 § 20 entfaltet auch keine Sperrwirkung gegenüber § 21 für
vergleichbare Umstände, so Ritgen, in: Knack/Henneke, 11. Aufl.
2019, VwVfG, § 21 Rn. 4.
142 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 5.12.2019, 1 BvL 7/18, zur Besorgnis
der Befangenheit eines Richters; VG Münster, Beschl. v. 22.4.2015, 5 K 2799/12. Vgl. allg. zum Maßstab Kopp/Ramsauer, VwVfG,
24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 13, 16; Epping/Nölle, in: Epping, NHG, 2. Aufl. 2023, § 26 Rn. 61 mit Verweis auf OVG Koblenz Beschl. v. 28.9.2007, 2 B 10825/07, Rn. 5 ff. – juris.
143 Kuntze/Beichel-Benedetti, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 21 Rn. 20. Es ist ferner davon abzuraten, jede Meinung einzelner Mitglieder einer Berufungskommission zu bestimmten Bewerber*innen zu protokollieren. Ein abwei- chendes Sachurteil und dessen fachliche Begründung dagegen kann Eingang in das Protokoll finden, vgl. auch Kuntze/Beichel- Benedetti, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 6 7
fangenheit rechtfertigen, sofern aus dem jeweiligen Ver- fahrensfehler auf eine mangelnde Objektivität und Dis- tanz des Amtsträgers gegenüber dem Beteiligten geschlossen werden kann.144 Allein auf die Art und Wei- se der Verfahrensführung des Amtsträgers kann im All- gemeinen eine Befangenheit zwar nicht gestützt werden. Entfernt sich indes die Gestaltung des Verfahrens so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen, dass für den davon betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhende Be- nachteiligung entsteht, gilt dies nicht.145 Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Verhalten des Amtsträgers darauf abzielt, Beteiligte in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu behindern oder das Verfahren intransparent zugunsten oder zulasten einzelner Beteiligter zu gestalten.146
cc) Fälle und Beispiele, in denen nicht per se eine Besorgnis der Befangenheit besteht
Nicht hinreichend für die Besorgnis der Befangenheit sind beispielsweise die Staatsangehörigkeit, das Geschlecht oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession – ebenso wenig die Zugehörigkeit zu einer bestimmten wissenschaftlichen Schule.
Die Verwaltungsgerichte differenzieren hinsichtlich einer möglichen Parteilichkeit zwischen zulässigem „ge- legentlichem beruflichen Zusammenwirken“ und unzu- lässiger „besonderer kollegialer Nähe“ in dienstlicher Hinsicht und zwischen zulässigen „gelegentlichen priva- ten Kontakten“ und unzulässigen „freundschaftlichen Kontakten“.147 Dabei können auch wissenschaftliche Konkurrenz oder Konflikte eine besondere kollegiale Nähe darstellen. Den freundschaftlichen Kontakten ste- hen persönliche Anfeindungen hinsichtlich der Besorg- nis der Befangenheit gleich.
Neukirchen/Emmrich haben hierbei folgende Aspekte sorgfältig aufgearbeitet:148
– Lehrer*innen-Schüler*innen-Verhältnis oder dienstliches Abhängigkeitsverhältnis
– Gemeinsame Assistenzzeiten oder gleiche akade- mische Schule
– Wissenschaftliche Kooperation oder Konkurrenz oder Konflikt
– Scheidende Stelleninhaber*innen
- 144 Vgl. Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwVfG, 4. EL. November 2023, § 21 Rn. 24.
- 145 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.12.2015, VI‑W(Kart) 8/15, Rn. 3 – juris.
- 146 Vgl. Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 40; VG Freiburg Beschl. v. 12.12.2023, 2 K
– Besondere persönliche Nähe
– Wirtschaftliche Geschäftsbeziehungen – Weitere schädliche Sachverhalte
Unschädlich ist nach Neukirchen/Emmrich folgendes:149 – Die bloße Mitwirkung an einer für eine*n
Bewerber*in früher ergangenen Entscheidung
– die Mitwirkung eines*r wissenschaftlichen Mitarbeiters*in der Berufungskommission, der*die dem Fach- oder Lehrgebiet der Professur zugeord-
net ist
– „eine parallele Autorenschaft in einem wissenschaft-
lichen Sammelband;
– eine gewöhnliche Herausgeber-Autoren-Beziehung; – gelegentliches berufliches Zusammenwirken, etwa
in Kommissionen oder Arbeitsgruppen, bei parla- mentarischen Anhörungen oder bei Begegnungen auf Tagungen;
– auch die Mitwirkung des Ehegatten des*der vorhe- rigen Stelleninhabers*in in der Berufungskommissi- on begründet ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Befangenheit, desgleichen nicht die gemeinsa- me Mitwirkung von Ehegatten in der Berufungs- kommission, auch nicht von geschiedenen, weil insofern keine gesteigerte Beziehung zum*zur Bewerber*in vorliegt;
– auch die frühere Mitwirkung an einem wegen Ver- fahrensfehlers abgebrochenen und wiederholten Verfahrens begründet für sich keine Befangenheit, da insoweit zum einen von einem professionellen Umgang der Kommissionsmitglieder mit Verfah- rensrügen auszugehen ist und ansonsten ein Ersatz- verfahren unmöglich wäre“
– 15 Jahre zurückliegendes Lehrer*innen- Schüler*innen-Verhältnis150
dd) Rechtliche Würdigung
Die Frage, ob Mitglieder der Berufungskommission einer Hochschule an der Mitwirkung in diesem Gremi- um gehindert sind, richtet sich je nach landesgesetzli- chen Vorschriften nach dem landesrechtlichen Verwal- tungsverfahrensrecht und bzw. ausschließlich nach dem jeweiligen LHG und kann in der Berufungsordnung oder Berufungsleitfaden der Hochschule konkretisiert
3207/23, Rn. 48 – juris.
147 Siehe OVG Greifswald, Beschl. v. 21.4.2010, 2 M 14/10, Rn. 26 –
juris.
148 Siehe hierzu ausführlich Neukirchen/Emmrich, a.a.O., S. 111 f. 149 Siehe hierzu ausführlich Neukirchen/Emmrich, a.a.O., S. 111 f. 150 VG Bremen, Beschl. v. 12.6.2019, 6 V 596/19, Rn. 34 ff. – juris.
268 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
sein.151 Ein Mitglied der Berufungskommission ist nach diesen Regelungen in der Regel dann an der Mitwirkung gehindert, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsführung zu rechtfertigen.152
Versäumt es ein Mitglied der Berufungskommission einen entsprechenden Hinweis anzuzeigen und verhin- dert damit, dass die Berufungskommission eine Einzel- fallentscheidung über die Frage des Ausschlusses treffen kann, liegt ein Verstoß gegen die entsprechenden Vor- schriften vor. Die Rechtswidrigkeit der Auswahlent- scheidung folgt jedoch nicht bereits allein aus dem Ver- stoß gegen eine untergesetzliche Norm wie zum Beispiel einer „Präsidiumshandreichung Befangenheiten“, denn nicht jede Verletzung der Offenbarungspflicht stellt ohne Weiteres zugleich einen selbstständigen weiteren Befan- genheitsgrund dar.153
Die relativen Ausschlussgründe des § 21 VwVfG un- terscheiden sich von den absoluten Ausschlussgründen des § 20 VwVfG dadurch, dass das Mitwirkungsverbot nicht schon kraft Gesetzes eintritt, sondern es hierfür zunächst einer konstitutiven Entscheidung des Aus- schusses bedarf.
Sobald die Berufungskommission Kenntnis von objekti- ven Umständen erhält, die potentiell geeignet erschei- nen, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen, hat die Kommission über die Frage eines Ausschlusses des Betroffenen zu beraten und zu entscheiden. Im Rahmen dessen hat sie zu prüfen, ob die Besorgnis der Befangen- heit tatsächlich begründet ist.154
Die Entscheidung ist gerichtlich voll überprüfbar; ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum besteht inso- weit nicht.155 Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens sowie der getroffenen Endentscheidung hängt somit letztlich nicht von dem Beschluss der Beru- fungskommission ab, sondern davon, ob tatsächlich eine (begründete) Besorgnis der Befangenheit bestand.156
- 151 OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.6.2021, 5 ME 50/21, Rn. 30 – juris.
- 152 Eine Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn aufgrund objek tiv feststellbarer Tatsachen nach den Gesamtumständen aus derSicht eines vernünftigen Beteiligten des Verfahrens die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden, OVG Greifswald, Beschl. v. 21.4.2010, 2 M 14/10, Rn. 25 – juris; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 13, 16.
- 153 Vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 12.5.2015, 2 B 40/15, Rn. 12 – juris.
- 154 VGH München, Beschl. v. 1.2.2022, 3 CE 22.19 unter Verweis aufHerrmann/Tietze, LKV 2015, 337, 342.
- 155 VGH München, Beschl. v. 1.2.2022, 3 CE 22.19 unter Verweis aufSchuler-Harms, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwVfG, 4. EL November 2023, § 21 VwVfG Rn. 36, 45.
Eine tatsächliche Befangenheit ist hierfür nicht erforder- lich. Es genügt — wie schon ausgeführt — bereits der „böse Schein“.
Die (begründete) Besorgnis der Befangenheit kann sich aus einer besonderen persönlichen Beziehung erge- ben; Bekanntschaft, berufliche oder fachliche Zusam- menarbeit oder auch ein kollegiales Verhältnis reichen für sich allein nicht aus, um die Unparteilichkeit in Zwei- fel zu ziehen157. Dementsprechend kann etwa allein die Zugehörigkeit zu ein und derselben Dienststelle die Be- sorgnis der Befangenheit nicht begründen. Auch gele- gentliche private Kontakte sind insoweit unschädlich.158 In diesem Sinne gilt für akademische Berufungsverfah- ren, dass nicht jede Form von wissenschaftlicher Zusam- menarbeit oder jede (frühere) berufliche oder akademi- sche Verbundenheit eines Mitglieds der Berufungskom- mission mit einem Bewerber gleichsam automatisch die Annahme der Befangenheit begründet, weil ein gewisser wissenschaftlicher oder beruflicher Kontakt im wissen- schaftlichen und universitären Bereich üblich ist.159 Et- was anderes kann aber dann gelten, wenn sich aus dem beruflichen bzw. fachlichen Zusammenwirken eine be- sondere kollegiale Nähe, ein besonderes kollegiales Nä- heverhältnis entwickelt hat.160 Umgekehrt vermag auch eine persönliche Abneigung oder gar Feindschaft nach den Umständen des Einzelfalls eine Besorgnis der Befan- genheit zu rechtfertigen, sofern sie sich in nachprüfba- ren Tatsachen manifestiert hat.161 Entscheidend sind letztlich immer die Umstände des konkreten Einzelfalls, d. h. es ist danach zu fragen, ob in der Person des betref- fenden Kommissionsmitglieds individuelle Gründe vor- liegen, die seine Mitwirkung hinsichtlich eines Bewer- bers angreifbar machen.162
Die Entscheidung der Berufungskommission ist rechtswidrig, wenn gegen die Regeln der Befangenheit verstoßen wird, wenn also ein Mitglied mitwirkt, ob- gleich insoweit die Besorgnis der Befangenheit besteht.
156 VGH München 1.2.2022, 3CE 22.19 unter Verweis auf Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG Kommentar, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 45, 55; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 25b f.
157 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 17.
158 OVG Greifswald, Beschl. v. 21.4.2010, 2 M 14/10, Rn. 26 – juris. 159 Vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 8.7.2005, 1 Bs 89/05, Rn. 16 – juris. 160 OVG Greifswald, Beschl. v. 21.4.2010, 2 M 14/10, Rn. 26 – juris;
OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.6.2021, 5 ME 50/21, Rn. 32 – juris;
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 17.
161 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 21 Rn. 17.
162 OVG Hamburg, Beschl. v. 9.10.1998, 1 Bs 214/98, Rn. 3 – juris und
Beschl. v. 8.6.2005 — 1 Bs 89/05, Rn. 16 – juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.6.2021, 5 ME 50/21, Rn. 32 – juris.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 6 9
Die Befangenheit kann sich auch aus einem mit Schärfe ausgetragenen wissenschaftlichen Disput in sozialen Medien nebst der Androhung rechtlicher Schritte erge- ben.163 Daraus ergibt sich der Anschein, dass der Betrof- fene in einem Berufungsverfahren nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden wer- de. Maßstab ist dabei weder die Frage, ob das betreffen- de Mitglied der Berufungskommission tatsächlich be- fangen gewesen ist und zum Beispiel der Beigeladenen Erstplatzierten Vorteile im Berufungsverfahren ver- schafft hat oder nicht; die reine Besorgnis der Befangen- heit gegenüber dem Antragsteller ist ausreichend.164
Die Mitwirkung eines befangenen Mitglieds der Be- rufungskommission hat dann die Fehlerhaftigkeit aller Entscheidungen der Berufungskommission zur Folge, weil das Mitglied der Berufungskommission dies pflicht- widrig nicht mitgeteilt hat und sein Ausschluss rechts- widrig unterblieben ist. Der Mangel kann unter Umstän- den später im Verfahren geheilt werden, z.B. durch den Austausch und die Wiederholung verschiedener Verfah- rensschritte. Eine Unbeachtlichkeit im Sinne von § 46 VwVfG oder entsprechender landesrechtlicher Nor- men greift jedoch explizit nicht, weil sich nicht verläss- lich einschätzen lässt, ob und wie sich die Mitwirkung des befangenen und beteiligten Ausschussmitglieds auf die Ergebnisfindung im Kollegialorgan ausgewirkt hat. Es ist vielmehr offen, zu welchem Ergebnis die Beru- fungskommission ohne das befangene Mitglied und ggf. mit einem Ersatzmitglied gekommen wäre. Dies gilt ins- besondere für den Vorsitzenden der Berufungskommis- sion.165 Bei einem solchen Mangel im Auswahlverfahren erscheint es daher ernsthaft möglich, dass der Antrag- steller bei rechtsfehlerfreiem Verlauf des Berufungsver- fahrens bei der Antragsgegnerin zu ernennen wäre.166
Wenn die Berufungskommission unter Berücksichti- gung dieser Grundsätze ein Mitglied wegen der Besorg- nis der Befangenheit im Beschlusswege von der weiteren Mitwirkung hätte ausschließen müssen, ist die Beru- fungskommission fehlerhaft besetzt. Dieser Verfahrens- fehler hat auch die Fehlerhaftigkeit der Auswahlent- scheidung zur Folge.167 Damit bestünde ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Entsprechen-
- 163 VG Münster, Beschl. v. 24.8.2022, 5 L 414/22, Rn. 5 ff.
- 164 VG Münster, Beschl. v. 24.8.2022, 5 L 414/22, Rn. 20 ff.
- 165 VG Münster, Beschl. v. 24.8.2022, 5 L 414/22, Rn. 20 ff.
- 166 VG Münster, Beschl. v. 24.8.2022, 5 L 414/22, Rn. 20 ff unterVerweis auf das Erfordernis der Möglichkeit der Auswahl nach der Rspr. des BVerfG, Beschl. v. 16.12.2015, 2 BvR 1958/13, Rn. 57 – juris; OVG Münster, Beschlüsse v. 17.4.2018 — 1 B 189/18, Rn. 15 ff. – juris, und vom 22.7.2019 — 6 B 708/19, Rn. 18 – juris.
- 167 OVG Lüneburg Beschl. v. 10.6.2022, 5 ME 4/22.
des gilt, wenn die Berufungskommission ein Mitglied von der Mitwirkung wegen einer fehlerhaft angenom- menen Besorgnis der Befangenheit ausschließt, etwa weil sie ein kollegiales Verhältnis des Mitglieds zum*zur Bewerber*in überbewertet.
Selbst wenn die Entscheidung, dass der*die Antragsteller*in nicht listenfähig sei, einstimmig getrof- fen wurde kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine von der Mitwirkung ausgeschlossene Person schon durch ihre Teilnahme an der Beratung Einfluss auf die anderen Organmitglieder ausübt und diese zu einem be- stimmten Abstimmungsverhalten veranlasst.168
Der*die Antragsteller*in kann in einem solchen Fall daher beanspruchen, dass über seine*ihre Bewerbung erneut rechtsfehlerfrei entschieden wird.
Dem entsprechenden Anordnungsanspruch steht nur dann eine fehlende Erfolgsaussicht entgegen, wenn bei einer erneuten Auswahlentscheidung die Auswahl des*der unterlegenen Bewerbers*in vollkommen ausge- schlossen erscheint.169
Eine entsprechende Rüge ist jedoch ausgeschlossen, wenn der*die Antragsteller*in die ihm*ihr obliegenden Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren verletzt hat, indem er*sie einen ihm*ihr bekannten Ablehnungs- grund z.B. die Befangenheit eines Mitglieds der Beru- fungskommission nicht unverzüglich, d.h. ohne schuld- haftes Zögern vor der Verwaltungsentscheidung oder einer bestimmten Verfahrenshandlung gerügt hat. Dies ist in den verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestim- mungen der Länder normiert und wird von der Recht- sprechung mit Verweis auf § 71 Abs. 3 Satz 3 VwVfG bzw. seinen landesrechtlichen Parallelvorschriften170 daher abgelehnt.171 Es ist allerdings streitig, ob § 71 Abs. 3 Satz 3 VwVfG und seine landesrechtlichen Entsprechungen auch eine materielle Präklusion im Prozess bewirken. Im Schrifttum wird von beachtlichen Stimmen die Auffas- sung vertreten, ein Verstoß gegen §§ 20, 21 VwVfG und die landesrechtlichen Parallelbestimmungen seien vom Verwaltungsgericht ggf. auch von Amts wegen zu berücksichtigen.172
Der Bewerber ist jedoch immer gehalten, einen ihm bekannten Ablehnungsgrund unverzüglich, d.h. ohne
168 OVG Münster, Beschl. v. 26.5.2014, 19 B 203/14, Rn. 31 – juris.
169 OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.6.2022, 5 ME 4/22.
170 Mit Verweis auf Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl.
2018, § 21 Rn. 6, 15 m.w.N., dem widerspricht jedoch Sachs/Kamp,
in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 71 Rn. 32. 171 BVerwG, Urt. v. 2.7.1992, 5 C 51.90, VGH München, Beschl. v.
1.2.22, 3 CE 22.19, Rn. 5 bzgl. Befangenheit.
172 Vgl. etwa Sachs/Kamp, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl.
2023, § 71 Rn. 32; Reimer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 4. EL November 2023, § 71 VwVfG Rn. 28.
270 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
schuldhaftes Zögern zu rügen; dieser allgemeine Verfah- rensgrundsatz gilt unabhängig davon, ob die Regelung des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensrechts für hochschulrechtliche Berufungsverfahren direkt anwend- bar ist173 oder nicht.174 Diese Rügeobliegenheit entspricht dem aus dem Prüfungsrecht bekannten Grundsatz, dass sich der*die Betreffende nicht in Widerspruch zu seinem*ihren eigenen Verhalten setzen darf. Insbeson- dere ist es treuwidrig, einen erkannten Verfahrensfehler zunächst hinzunehmen, um ihn anschließend nur dann geltend zu machen, wenn das Ergebnis des Verfahrens dem*der Betreffenden missfällt.175
Im Übrigen muss die Besorgnis über die Voreinge- nommenheit der Berufungskommissionsmitglieder je- denfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Beru- fungsveranstaltung stehen und darf nicht erst über ein Jahr später im gerichtlichen Verfahren zu Tage treten.176 Denn in diesem Fall scheint es als ausgeschlossen, dass sich die Besorgnis der Befangenheit auf das weit vergan- gene Verfahrensergebnis ausgewirkt hat.
b) Juniorprofs mit Tenure Track
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 3. März 2022177 entschieden, dass ein zum Junior- professor mit Tenure-Track-Option ernannter Bewerber gegenüber der Hochschule einen Anspruch auf Aus- schreibungsverzicht für die (spätere) Lebenszeitprofes- sur erwerbe und insoweit „konkurrenzlos“ gestellt sei, sofern er für die vorhandene Stelle nachweislich geeignet sei.178 Das Tenure-Evaluierungsverfahren stelle ein besonders ausgestaltetes Berufungsverfahren dar.
Der Juniorprofessor habe zwar einen Anspruch auf die Durchführung eines formell und materiell rechtmä- ßigen Evaluierungsverfahrens, auf dessen Grundlage die Hochschule ermessens- und beurteilungsfehlerfrei über die Bewerbung entscheiden müsse. Ein darüberhinaus- gehender Anspruch bestehe jedoch nicht.179
- 173 So für das jeweilige Landesrecht ausdrücklich VGH München, Beschl. v. 1.2.2022, 3 CE 22.19, Rn. 5 – juris; OVG Koblenz, Beschl. v. 28.9.2007, 2 B 10825/07, Rn. 11 – juris.
- 174 offen gelassen von OVG Greifswald, Beschl. v. 21.4.2010, 2 M 14/10, Rn. 21, 31 f. – juris.
- 175 Vgl. nur Jeremias, in: Fischer/Jeremias/Dietrich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 216 m.w.N.
- 176 VGH Mannheim, Beschl. v. 27.7.2022, 4 S 713/22.
- 177 OVG Koblenz, Beschl. v. 3.3.2022, 2 B 10062/22.
- 178 OVG Koblenz, Beschl. v. 3.3.2022, 2 B 10062/22, siehe Leitsatz.
- 179 Auch unter Verweis auf vergleiche OberverwaltungsgerichteOVG Münster, Beschl. v. 24.6.2019, 6 B 401/19 und BVerfG,Beschl. 12.7.2011, 1 BvR 1616/11.
- 180 OVG Koblenz Beschl. vom 3.3.2022, 2 B 10062/22, auch unterVerweis auf VGH München, Beschl. v. 25.10.2021, 7 CE 21.2503,
Ein Anordnungsgrund kann dann glaubhaft gemacht werden, wenn in einem lang andauernden und ggf. sogar schon einmal unterbrochenen Evaluierungs- und Beru- fungsverfahrens die Gefahr besteht, dass das Recht des Antragstellers auf Erhalt der Konkurrenzfreiheit vereitelt werden könnte.180
Ein Anordnungsanspruch kann jedoch nur dann glaubhaft gemacht werden, wenn der Anspruch auf Durchführung eines formell und materiell rechtmäßigen Evaluierungsverfahrens verletzt wurde. Das Tenure Track-Verfahren ist ein spezielles hochschulbeamten- rechtliches „Verfahren zur Anstellung“, dass die rechtlich garantierte Chance beinhaltet, nach einer befristeten Be- währungszeit eine Lebenszeitprofessur zu erhalten. Der zunächst zum Juniorprofessor ernannte Bewerber er- wirbt daher gegenüber der Hochschule zunächst einen „Anspruch auf Ausschreibungs-Verzicht“ für die Le- benszeitprofessur und damit das Recht das Berufungs- verfahren (Abschlussevaluation) ohne unmittelbare Konkurrenz zu durchlaufen.181
Die Tenure-Evaluierung stellt somit ein „wissen- schaftsadäquates Äquivalent zu einem Berufungsverfah- ren“ dar. Sie vermittelt aber eben nicht mehr als den An- spruch auf die Durchführung eines formell und materi- ell rechtmäßigen Evaluierungsverfahrens, auf dessen Grundlage die Hochschule ermessens- und beurtei- lungsfehlerfrei über die Bewerbung entscheiden muss.182
Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Hochschule das Bewerbungsverfahren abbrechen kann, wenn sich der im Tenure Track-Verfahren einzige Bewerber im Rah- men des Evaluierungsverfahrens als ungeeignet für die angestrebte Planstelle erweist.183 Diesbezüglich ist die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte zurückgenom- men, da der Hochschule verfassungsrechtlich eine ge- schützte Beurteilungskompetenz über die Qualifikation eines Bewerbers für eine Hochschullehrerstelle zusteht. Die Auswahlentscheidung kann dementsprechend ge-
Rn. 10 – juris.
181 OVG Koblenz Beschl. v. 3.3.2022, 2 B 10062/22, auch unter
Verweis auf Herkommer, WissR 40, 2007, 36, (53); Hartmer, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 4. Aufl. 2022, Kap. 5 Rn. 122. Zur Frage, ob dies eine Diskriminierung anderer (habilitierter) Bewerber darstellt, und hinsichtlich verfassungsrechtlichen Zwei- fel an einer solchen Praxis siehe Herkommer, WissR 40, 2007, S. 36, 59 ff.; Neuhäuser, WissR 45, 2012, S. 248, 271; Hartmann, DÖV 2020, 137 ff.; Detmer, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 4. Aufl. 2022, Kap. 4 Rn. 91.
182 OVG Koblenz, Beschl. v. 3.3.2022, 2 B 10062/22.
183 Auch unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 26.1.2012, 2 A 7.09, Rn.
27 – juris; OVG Münster, Beschl. v. 24.6.2019, 6 B 401/19, Rn. 7 – juris m.w.N.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 7 1
richtlich nur daraufhin überprüft werden, ob sie verfah- rensfehlerfrei zustande gekommen und ob der Beurtei- lungsspielraum überschritten worden ist.
In der erwähnten Entscheidung wurde die gerügte Befangenheit als nicht belegt erachtet. Auch auf die feh- lende Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten des Fachbereichs, und deren nicht ordnungsgemäße Beteili- gung konnte der Antragsteller sich nicht mit Erfolg be- rufen, da diese das Verfahren nicht beanstandet hatte. Ebenso wenig wurde vom Gericht beanstandet, dass die Dokumentation der Lehrprobe und des Gespräch mit der Kommission nicht vollständig sei, da eine rechtliche Pflicht zur nahezu lückenlosen Protokollierung dieser einzelnen Prüfungsteile nicht bestehe.184 Hinsichtlich der inhaltlichen Kritik an der kritischen Wertung der Leis- tungen und Publikationen verwies das Gericht auf den weiten Beurteilungsspielraum der Hochschule und dass sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle darauf be- schränke, ob der Beurteilungsspielraum überschritten worden sei, etwa weil die Entscheidung ersichtlich auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfremden Erwägungen beruhe.
c) Tenure Track
Das Tenure-Track-Verfahren ist mit beamten- und hochschulrechtlichen Besonderheiten verbunden, die regelmäßig im LHG angelegt und in der Grundordnung oder Berufungsordnung oder speziellen Tenure-Track- Ordnung der Hochschule rechtlich normiert sind. Die Tenure-Track-Professur beginnt regelmäßig in der Besoldungsgruppe W2 und in einem Beamtenverhältnis auf Zeit i.d.R. für die Dauer von sechs Jahren. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden- Württemberg kann im Berufungsverfahren auf eine als Tenure-Track-Juniorprofessur ausgeschriebene Stelle ohne Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG ein habilitierter Privatdozent ausgeschlossen werden, wenn und weil er aufgrund seiner Qualifikation ohne Weiteres für eine W3-Professur berufungsfähig und in einem Tenure- Track-Verfahren damit nicht (mehr) förderfähig ist.185
Bei erfolgreichem Verlauf durchlaufen die Tenure- Professuren vor Ablauf der sechs Jahre in einem geson- derten Verfahren und ohne Ausschreibung und unmit- telbare Konkurrenz ein Berufungsverfahren auf eine Professur der Besoldungsgruppe W3. Es handelt sich
- 184 OVG Koblenz, Beschl. v. 3.3.2022, 2 B 10062/22.
- 185 VGH Mannheim, Beschl. v. 7.7.2021, 4 S 1541/21, Rn. 7 – juris; vgl.auch Saigner/Schneider, WissR 55, 2022, 141 ff.
- 186 Gestützt wurde diese Entscheidung auf das LHG, das BayHSchPG, die Tenure-Satzung und entsprechende Verstöße, die zum
also um eine Entfristung verbunden mit einem Karrie- reaufstieg, der jedoch eine positive Tenure-Evaluierung voraussetzt. Die Entscheidung erfolgt in einem speziel- len Evaluierungsverfahren, das je nach Satzung mit ei- nem Selbstbericht beginnt und mit einer Entscheidung der Hochschulleitung nach Anhörung des*r Antragsteller*in endet. Im Falle einer negativen Tenure- Evaluierung endet das Beamtenverhältnis und die Pro- fessur auf Zeit, sofern nicht eine Anschlussbeschäftigung gewährt wird.
Als Rechtsmittel kann bei negativer Entscheidung zunächst Widerspruch eingelegt werden und gegen den Widerspruchsbescheid Klage vor dem VG erhoben wer- den. Dann stellt sich die Frage, wie sich dies auf die Be- schäftigung und den akademischen Titel auswirkt.
In einem bayerischen Fall hat das VG München auf Antrag der Hochschullehrerin die Hochschule im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet, die Professorin unter Beibehaltung ihres Rechts, den Titel „Professorin“ zu führen, weiter im An- gestelltenverhältnis der Besoldungsgruppe W2 zu be- schäftigen, bis die Wiederholung der Tenure-Evaluie- rung erfolgt ist, jedenfalls aber bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.186 Der VGH Mün- chen entschied jedoch überzeugend anders und vernein- te einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, da zur Si- cherung des Anspruchs auf erneute Durchführung des Tenure Verfahrens eine Weiterbeschäftigung weder er- forderlich sei, weil die Leistung außerhalb der Tenure Zeit nicht zu berücksichtigen sei, noch sei sie beamten- rechtlich zulässig.187
Erfolgreich kann sich ein Antragsteller daher nur ge- gen Verfahrensfehler und gegen eine erneute und offene Ausschreibung der eigenen Stelle wehren. Droht die Be- setzung der vorgesehenen Stelle durch eine anderweitige Bewerberin ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gerechtfertigt, bis sichergestellt ist, dass der Anspruch auf Durchführung eines formell und materiell rechtmä- ßigen Evaluierungsverfahrens gesichert ist. Ist der An- trag solchermaßen zulässig und begründet, muss das Verwaltungsgericht die Hochschule verpflichten, sicher- zustellen, dass für den Antragsteller eine haushaltsrecht- liche Planstelle zur Verfügung steht, um darauf gegebe- nenfalls die begehrte W3-Professur führen zu können.188
Erfolg in der Hauptsache führten, vgl. VG München, Beschl. v. 16.9.2021, M 3 E 21.4116 – juris.
187 VGH München, Beschl. v. 25.10.2021, 7 CE 21.2503 – juris. 188 VGH München, Beschl. v. 25.10.2021, 7 CE 21.2503 – juris.
272 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
d) Zu hohe Forderungen bei den Berufungsverhandlun- gen: Grund für Abbruch?
Es stellt sich die Frage, ob „überzogene“ Forderungen des zu Berufenden in der Berufungsverhandlung eine Rechtfertigung dafür sind, mit dem Nächstplatzierten zu verhandeln und diesen zu berufen.
Bei einer im Jahr 2020 ausgeschriebenen, unbefriste- ten Professur mit der Besoldung nach W 2 wurde in ei- nem Bewerbungsverfahren eine Bewerberin auf Platz 1 des Berufungsvorschlags gesetzt und eine weitere Be- werberin auf Platz 2. Nach Beteiligung der Gremien er- teilte der Rektor der Erstplatzierten mit Schreiben vom 1. Juli 2021 den Ruf. In den folgenden Berufungsverhand- lungen kam es zu einem Dissens insbesondere bezüglich der Ausstattung und Besoldung. In der Folge brach der Rektor daher die Berufungsverhandlung „aus sachlichen Gründen“ ab und informierte die Antragstellerin in der Folge, dass das Berufungsverfahren mit einer Rufertei- lung und Einladung zu einer Berufungsverhandlung an die weitere Platzierte fortgesetzt werde. Den Antrag der Antragstellerin auf Eilrechtsschutz lehnte das Verwal- tungsgericht189 ab. Der Rektor habe die Berufungsver- handlung rechtswirksam abgebrochen, da die Antrag- stellerin bei der Berufungsverhandlung und in der Fol- gezeit auf ihren Forderungen beharrt habe und dies ei- nen hinreichenden sachlichen Grund für den Abbruch der Berufungsverhandlung darstelle.190 Das OVG Baut- zen gab der Beschwerde der Antragstellerin jedoch statt,191 da der Rektor die Vorschriften der Berufungsord- nung nicht eingehalten habe, sondern unter deren Miss- achtung kein Protokoll der Berufungsverhandlungen mit Fristsetzung zur Rückäußerung an die Erstplatzierte gesandt und ohne erneute Anhörung des Senats der Zweitplatzierten den Ruf erteilt habe. Durch diese Vor- schrift werde aber ausgeschlossen, dass die von der Be- rufungskommission und den weiteren beteiligten Gre- mien getroffene Auswahlentscheidung nachträglich (durch den Rektor) geändert werde. Bei Dissens (bzgl. der Ausstattung und Besoldung) müsse die Hochschule aufgrund der Berufungsordnung die Berufungsverhand- lung ordnungsgemäß beenden, indem die Hochschule der Erstplatzierten, mit der verhandelt wurde, ein ab- schließendes Angebot unterbreite, das diese annehmen oder ablehnen könne. Da die Abbruchentscheidung den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin ver-
189 VG Chemnitz, Beschl. v. 21.12.2021, 3 L 513/21, n.v.
190 Ebenda.
191 OVG Bautzen, Beschl. v. 18.3.2022, 2 B 20/22 – juris.
192 OVG Bautzen, Beschl. v. 22.3.2023, 2 B 22/23 – juris unter Verweis
auf BVerwG, Urt. v. 3.12.2014, 2 A 3.13, Rn. 22 ff. – juris; OVG
letzt habe, war dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Beschwerde stattzugeben.
e) Rechtswidrigkeit des Abbruchs des Verfahrens
Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens ver- letzt den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrens- anspruch. Die Bewerber können daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen. Effekti- ver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gegen den unbe- rechtigten Abbruch eines Auswahlverfahrens kann nur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erlangt werden. Der Bewerber begehrt die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis. Dies kann selbst im Erfolgsfall durch eine Klage in der Hauptsache nicht erreicht werden.
Auch bei einem Abbruch des Verfahrens kann das Gericht eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des beste- henden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wer- den könnte. Dies setzt einen Anordnungsanspruch und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anord- nungsgrund) voraus, die glaubhaft zu machen sind.
Der Anordnungsgrund kann bei einem Abbruch des Berufungsverfahrens nur glaubhaft gemacht werden, wenn im Interesse der Rechtssicherheit umgehend zu klären ist, ob die betreffende Stelle nicht doch in dem von der Antragsgegnerin abgebrochenen Auswahlver- fahren zu vergeben ist.192 Dabei ergibt sich die Dringlich- keit der gerichtlichen Entscheidung aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens selbst, das auf eine sofortige Ver- pflichtung des Dienstherrn gerichtet ist und bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschut- zes verwirklicht werden kann.193 Ein Anordnungsan- spruch kann sich allein aus einer Verletzung des dem Antragsteller zustehenden Bewerbungsverfahrensan- spruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG ergeben. Aufgrund des der Hochschule verfassungsrechtlich zustehenden Beurtei- lungskompetenz über die Qualifikation eines*einer Bewerber*in für eine Hochschullehrerstelle194 kann die Auswahlentscheidung gerichtlich nur daraufhin über- prüft werden, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande ge- kommen und ob der Beurteilungsspielraum überschrit- ten worden ist, etwa weil die Entscheidung ersichtlich
Bautzen, Beschl. v. 29.5.2020 — 2 B 97/20, Rn. 9 – juris.
193 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23.06.2022, 12 L 237/22, Rn. 14 ff.
– juris.Vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.2014, 2 A 3/13, Rn. 22 f. – juris;
OVG Münster, Beschl. v. 12.7.2018,1 B 1160/17, Rn. 50 – juris. 194 BVerwG, Urt. v. 9.5.1985, 2 C 16.83 – juris.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 7 3
auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfrem- den Erwägungen beruht.195
Nach der vom BVerfG gebilligten Rechtsprechung des BVerwG kommt dem Dienstherrn hinsichtlich der Been- digung eines eingeleiteten Bewerbungs- und Auswahl- verfahrens ein weites organisations- und verwaltungspo- litisches Ermessen zu.196 Der Abbruch des Besetzungs- verfahrens bedarf jedoch eines sachlichen Grundes. Nach der Rechtsprechung des BVerwG197 kann der Abbruch des Auswahlverfahrens in materieller Hinsicht sowohl aus der Organisationsgewalt des Dienstherrn als auch aus Gründen gerechtfertigt werden, die aus Art. 33 Abs. 2 GG hergeleitet werden. Der Dienstherr kann das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehler- haft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Aus- wahlentscheidung führen kann oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren ist fortzuführen. Eine Abbruch und eine Neuausschrei- bung dürfen dann nicht erfolgen.198
In formeller Hinsicht müssen die Bewerber vom Ab- bruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis er- langen; erforderlich ist in der Regel die hinreichende schriftliche Dokumentation der Gründe.199 Wenn die Abbruchentscheidung dem Bewerber mitgeteilt wurde und schriftlich dokumentiert ist, sind die Gründe mate- riell-rechtlich zu prüfen.
Sofern der Abbruch auf einem Beschluss der Beru- fungskommission basiert, weil die Berufungskommissi- on alle Bewerber für ungeeignet hält und auch die besten Kandidaten von z.B. auch aufgrund externer Gutachten nicht über die fachliche Breite und Passfähigkeit verfü- gen, um die ausgeschriebene Professur vollumfänglich in Lehre und Forschung zu vertreten, sind diese Gründe materiell-rechtlich ausreichend.
Nur wenn eine Verletzung des Beurteilungsspiel- raums etwa durch sachfremde Erwägungen oder die Verkennung von Tatsachen vorliegt, ist die Abbruchent-
- 195 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 20 – juris m. w. N.
- 196 OVG Bautzen, Beschl. v. 22.3.2023, 2 B 22/23, – juris unterVerweis auf BVerwG, Urt. v. 22.7.1999, 2 C 14.98, Rn. 26 – juris;BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011, 2 BvR 1181/11, Rn. 22 – juris.
- 197 BVerwG, Urt. v. 29.11.2012, 2 C 6.11, Rn. 18 – juris; Urt. v.3.12.2014, 2 A 3.13, Rn. 16 – juris; Beschl. v. 10.5.2016, 2 VR 2.15, –juris.
- 198 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011, 2 BvR 1181/11, – juris
- 199 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.2012, 2 C 6.11, Rn. 19 – juris; Urt. v.3.12.2014, 2 A 3.13, Rn. 20 – juris.
- 200 OVG Bautzen, Beschl. v. 22.3.2023, 2 B 22/23, – juris.
scheidung materiell-rechtlich angreifbar.200
Die rechtliche Einordnung unterscheidet sich je
nachdem, ob die konkrete Stelle – auf der Grundlage ei- nes neuen Auswahlverfahrens – weiter besetzt werden soll oder nicht.201
Soll die konkrete Stelle nach dem Abbruch nicht mehr besetzt werden, ist der Dienstherr, auch wenn er das Stel- lenbesetzungsverfahren bereits begonnen hatte, keinen strengerenBindungenunterworfenalsbeidensonstigen personalwirtschaftlichen Entscheidungen. Eine solche Entscheidung unterfällt seinem weiten, dem Anwen- dungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Orga- nisationsermessen. Denn die Ausschreibung begründet nicht das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen, dass sich der Dienstherr mit der Ausschreibung hinsichtlich seiner Organisationsgewalt unwiderruflich bindet. Da die Entscheidung, einen bereits ausgeschriebenen Dienstposten nicht mehr wie ursprünglich geplant beset- zen zu wollen, der personalwirtschaftlichen Einschät- zung der Hochschule obliegt, ist die gerichtliche Kont- rolle insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob sich die Entscheidung als willkürlich oder rechtsmissbräuchlich erweist.203
Wenn der Dienstherr unbeschadet der getroffenen Abbruchentscheidung die Stelle aber weiterhin vergeben will, und hierfür ein neues Auswahlverfahren für erfor- derlich hält, bleibt Art. 33 Abs. 2 GG Prüfungsmaßstab. Die Entscheidung, das in Gang gesetzte Auswahlverfah- ren abzubrechen, bezieht sich insofern nicht auf Zu- schnitt und Gestaltung des Amtes, sondern auf die orga- nisatorische Ausgestaltung seiner Vergabe, die als we- sentliche Weichenstellung für die nachfolgende Auswah- lentscheidung bereits selbst den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung tragen muss. Deswegen bedarf es in einer solchen Fallgestaltung für die Abbruch- entscheidung in materieller Hinsicht eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genügt.204
Unsachlich sind Gründe für einen Abbruch, die das Ziel verfolgen, einen unerwünschten Kandidaten aus leis-
201 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 23.6.2022, 12 L 237/22, – juris.
202 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 23.6.2022, 12 L 237/22, Rn. 5 ff. – juris
unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 3.12.2014, 2 A 3.13, Rn. 26, 37 –
juris; OVG Münster, Beschl. v. 26.4.2018, 6 B 355/28, Rn. 11 – juris. 203 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 23.06.2022, 12 L 237/22, Rn. 14 ff. –
juris.
204 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 23.06.2022, 12 L 237/22, Rn. 17 ff. – juris
unter Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 10.5.2016, 2 VR 2.15, Rn. 16 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 14.6.2019, 1 B 346/19, Rn. 9 ff.; Beschl. vom 5.2.2021, 1 B 1256/20, Rn. 6 ff. sowie Beschl. v. 2.12.2020, 6 B 840/20, Rn. 9 ff.; jeweils juris.
274 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
tungsfremden Erwägungen von der weiteren Auswahl für die Stelle auszuschließen oder einen bestimmten Bewerber bei der späteren Auswahlentscheidung zu bevorzugen. Der Dienstherr kann das Auswahlverfahren hingegen abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann, wenn eine erneute Ausschreibung erfor- derlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungs- starker Bewerber zu erhalten, oder wenn kein Bewerber seinen Erwartungen entspricht bzw. er sämtliche Bewer- ber nach sachgerechter Prüfung für unzureichend geeig- net erachtet.205
f) Fehlende Passgenauigkeit und Ausschluss aus dem weiteren Verfahren bei der 1. Stufe
Wie bereits dargelegt, hat sich auch die Auswahlent- scheidung bei dem Statusamt eines Hochschulprofessors nach den in Art. 33 Abs. 2 GG206 genannten Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zu rich- ten.207
Aus dem Zusammenspiel der hochschulrechtlichen Bestimmungen wird deutlich, dass die Berufungskom- mission ihre Auswahl nach Maßgabe von fachlicher und persönlicher Eignung und Leistung der Bewerber, mit- hin nach dem Grundsatz der Bestenauslese trifft. Ent- sprechendes gilt für die Entscheidung des*der Rektors*in bei der Ruferteilung.
Die Entscheidung, eine Bewerbung bereits auf der ersten Stufe nicht weiter zu berücksichtigen, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Berufungskommission im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) geschützten Beurteilungskom- petenz über die Qualifikation der Bewerber*innen208 ihre Entscheidung getroffen hat und nach dem einge- schränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstab keine Fehler erkennen lässt. Die von der Berufungskommission getroffene Vorauswahl lässt keine Verfahrensfehler erkennen, wenn die von dem*der Antragsteller*in einge- reichten Bewerbungsunterlagen der Universität vollstän- dig vorliegen und den Mitgliedern der Berufungskom- mission vollständig zur Einsichtnahme zur Verfügung standen. Desweiteren ist auch erforderlich, dass die Berufungskommission ihre Bewertung, hinsichtlich der
- 205 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23.06.2022, 12 L 237/22, Rn. 17 ff. unter Verweis auf OVG Münster, Beschlüsse vom 18.5.2022, 6 B 231/22, Rn. 36 f. und vom 22.9.2021, 6 B 583/21, Rn. 24 f.; jeweils juris, m.w.N.
- 206 Und ggf. ebenso in den korrespondierenden Artikeln der jeweili-
Ausschreibungskriterien wie zum Beispiel der fachli- chen Passfähigkeit aufgrund einer ausreichenden Tatsa- chengrundlage getroffen und diese ausreichend doku- mentiert hat. Hinsichtlich der Dokumentation reicht auch einen knappe Begründung in stichpunktartiger tabellarischer Form,209 solange hierbei nicht einschlägige Qualifikationen übersehen werden.
Ein*e auf dieser Stufe des Verfahrens abgelehnte*r Bewerber*in hat dann keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über seine*ihre Bewerbung. Wenn der*die Antragsteller*in bei der Auswahl aber nach Entschei- dung der Berufungskommission das in der Ausschrei- bung erstellte Anforderungsprofil nicht erfüllt, ergibt sich kein weiterer Anspruch, selbst wenn der*die Erst- platzierte unzutreffend ausgewählt worden wäre.210
g) Akademisches Alter: Diskriminierung?
Das OVG Münster hat mit Beschluss vom 17.1.2022, 6 B 1512/21, u.a. auch über die Frage des akade- mischen Alters entschieden.
Dort stellte sich die Frage, ob mit der Argumentation zum akademischen Alter der Bewerber*innen eine Par- allele zu dem aus dem Laufbahnbereich bekannten Aus- wahlkriterium des Dienstalters gezogen werde. Das OVG verneint dies, wenn die Heranziehung des Dienst- alters lediglich als Hilfskriterium bei einem Qualifikati- onsgleichstand in Betracht kommt. Auf das Dienstalter oder Beförderungsdienstalter darf nicht abgestellt wer- den, soweit sich die dabei gewonnene Erfahrung nicht leistungssteigernd ausgewirkt hat. Als Hilfskriterium bei einem Qualifikationsgleich darf das akademische Alter jedoch herangezogen werden, um den Umfang der Lehr- und Forschungsleistungen, der Publikationen, Zitatio- nen, etc. ins Verhältnis zur hierfür zur Verfügung ste- henden bzw. aufgewandten Zeit zu setzen. Ein geringeres Alter wirkt sich insofern hier günstig aus. „Die Berück- sichtigung des Zeitraums, der für die Erbringung der Leistungen zur Verfügung stand, ermöglicht eine tragfä- hige Beurteilung der für die Eignung der Kandidaten maßgeblichen Frage, was von diesen in Zukunft zu er- warten ist, und vermeidet die Begünstigung von Bewer- bern am Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn bzw. mit nur geringen etwa familienbedingten Ausfallzeiten.
gen Landesverfassung.
207 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 17 – juris.
208 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 20 – juris m. w. N. 209 OVG Bautzen, Beschl. v. 8.4.2022, 2B 41/22 – juris.
210 OVG Bautzen, Beschl. v. 8.4.2022, 2B 41/22 – juris.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 7 5
Insoweit ist die Einbeziehung des akademischen Alters in die Betrachtung nachvollziehbar und aus Rechtsgrün- den nicht zu beanstanden.“211
h) Listendrehen durch den Rektor
Es stellt sich die Frage inwieweit sich ein Bewerber gegen die Entscheidung des Rektors wenden kann, von dem Vorschlag der Berufungskommission hinsichtlich der Reihung abzuweichen.
Ein*e Hochschulrektor*in ist regelmäßig an die Be- wertung der Berufungskommission gebunden und kann hiervon nur in begründeten Fällen abweichen und ist aufgrund der institutionellen Wissenschaftsfreiheit und der diesbezüglichen Selbstverwaltung der Hochschulen auf wenige Ausnahmekonstellationen beschränkt.212 Die Auswahlentscheidung bzw. Abweichung von der Rei- hung wahrt nur dann die fachliche Einschätzungspräro- gative der in der Berufungskommission und im Fakul- tätsrat beteiligten Hochschullehrer*innen, wenn der*die Rektor*in seinen*ihren Entscheidungsspielraum nicht überschreitet und sich insbesondere nicht in Wider- spruch zur Bewertung des Berufungsausschusses setzt.213 Dies setzt voraus, dass er*sie ebenso wie der Berufungs- ausschuss an alle zuvor aufgestellten Auswahlkriterien gebunden ist, diese vollständig in seine Entscheidungs- findung einbeziehen muss und den gegebenenfalls ab- weichenden Berufungsvorschlag sachgerecht begründen und dokumentieren muss. Es genügt nicht, dass sich der*die Rektor*in nur auf die Gutachten stützt und z.B. Probelehrveranstaltungen außer Betracht lässt. Andern- falls bestünde die Gefahr, dass die Abweichungsent- scheidung die fachliche Einschätzungsprärogative des Berufungsausschusses aushebelt.214
Der*die Rektor*in kann insbesondere nicht konstitu- tive Anforderungsmerkmale wie z.B. “habilitationsglei- che Leistungen“ selbst auslegen und – entgegen der Be- rufungskommission – verneinen. Diese Beurteilung un- terliegt notwendigerweise einem Bewertungsspielraum, der in erster Linie der Berufungskommission zukommt, und die der Rektor nicht an sich ziehen dürfe. Dies über- zeugt schon deshalb, weil der*die Rektor*in regelmäßig selbst aus einer anderen Fakultät bzw. Fachrichtung kommt. Dabei ist unerheblich, dass der*die Rektor*in in
- 211 OVG Münster, Beschl. v. 17.1.2022, 6 B 15/12, – juris.
- 212 VGH Mannheim, Beschl. v. 1.7.2022, 4 S 483/22, Rn. 1 – juris.
- 213 VGH Mannheim, Beschl. v. 1.7.2022, 4 S 483/22, Rn. 1 – juris; VGBayreuth, Urt. v. 18.7.2023, B 5 K 22.719, UA S. 23 – n.v.
- 214 VG Bayreuth, Urt. v. 18.7.2023, a.a.O.
- 215 VGH Mannheim, Beschl. v .1.7.2022, 4 S 483/22, Rn. 1 – juris.
- 216 VGH Kassel, Beschl. v. 28.11.2022, 1 B 1620/22, – juris.
- 217 VGH Kassel, Beschl. v. 28.11.2022, 1 B 1620/22, – juris unterVerweis auf: OVG Münster, Beschl. v. 20.4.2020, 6 B 1700/19, Rn.
seiner*ihrer Eigenschaft als Organ der Hochschule selbst Grundrechtsträger*in nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist, und ob entsprechende Gutachten diese Auffassung stüt- zen, da dies nicht seine*ihre Aufgabe sei.215
i) Unzureichende Dokumentation
Soweit es um die Dokumentation eines Berufungsver- fahrens für eine Professorenstelle geht, ist in erster Linie eine sorgfältige, d.h. nachvollziehbare und eingehende Begründung der Entscheidung der Berufungskommissi- on erforderlich. Diese muss dem Gericht auch im Lichte des oben dargelegten verfassungsrechtlich geschützten (Art. 5 Abs. 3 GG) und gerichtlich daher nur einge- schränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums der Hochschule eine Überprüfung ermöglichen, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten wur- den oder ob die Entscheidung auf falschen Tatsachen oder sachfremden Erwägungen beruht.216
Hieraus folgt jedoch keine Pflicht zur gleichsam lü- ckenlosen Protokollierung sämtlicher Abläufe – Probe- vorlesung, Probevortrag, Einzelgespräche – im Rahmen eines Auswahlverfahrens. Es genügt regelmäßig eine Protokollierung der Sitzungen der Berufungskommissi- on oder ein Besetzungsbericht.217 Dabei darf sich die Do- kumentation auf ein vertretbares Maß beschränken und Gesprächsinhalte zusammenfassen, den Fokus auf be- stimmte Aspekte legen oder weniger gewichtige Aspekte unerwähnt lassen.218 Eine diesen Anforderungen genü- gende Dokumentation der die Beschlussfassung der Be- rufungskommission tragenden Auswahlerwägungen ist ausreichend.
V. Der Beurteilungsmaßstab des Verwaltungsgerichts
Anders als in anderen Eilverfahren sind die Gerichte nach der Rechtsprechung des BVerfG gehalten, in Kon- kurrentenstreitverfahren nicht lediglich eine summari- sche Prüfung möglicher Ansprüche vorzunehmen; viel- mehr hat – wie in dem hier regelmäßig nicht mehr durchführbaren Hauptsacheverfahren – eine eingehen- de tatsächliche und rechtliche Prüfung zu erfolgen, ohne dabei die Anforderungen an einen Erfolg des unterlege- nen Bewerbers zu überspannen.219 Da das Eilverfahren
17 – juris; OVG Koblenz, Beschl. v. 6.8.2018, 2 B 10742/18, Rn. 15 f. – juris; VGH München, Beschl. v. 18.4.2012, 7 CE 12.166, Rn. 33 – juris.
218 VGH Kassel, Beschl. v. 28.11.2022, 1 B 1620/22, – juris unter Verweis auf OVG Münster, Beschl. v. 20.4.2020, 6 B 1700/19, Rn. 1 – juris.
219 BVerfG, Beschl. v. 29.7.2003, 2 BvR 311/03, Rn. 12 – juris; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 32 – juris.
276 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 251–282
vor der Ernennung die Funktion des Hauptsacheverfah- rens übernimmt, darf es im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG nach der Rechtsprechung des BVerwG „nachPrüfungsmaßstab,-umfangund-tiefenichthinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben“.220
1. Eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Berufungskommission
Aufgrund der in Art. 5 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützten Beurteilungskompetenz der Berufungs- kommission und der beteiligten Hochschulorgane über die fachliche Qualifikation eines*r Bewerbers*in besteht hier ein Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur ein- geschränkt überprüfbar ist.221 Insoweit verbleibt dem Verwaltungsgericht im Kern lediglich die Überprüfung, ob die Entscheidung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und ob der Beurteilungsspielraum nicht überschritten wurde. Letzteres ist nur dann nicht der Fall, wenn die Auswahlentscheidung ersichtlich auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfremden Erwä- gungen beruht hat.222 Dies gilt in besonderer Weise für die Feststellung und Beurteilung der wissenschaftlichen Eignung und der notwendigen Lehrbefähigung der Bewerber*innen. Die Bewertung, ob ein*e Bewerber*in besser geeignet ist als ein*e anderer*, hat das Gericht generell nicht vorzunehmen.223 Vor dem Hintergrund der Wissenschaftsfreiheit ist der Beurteilungsspielraum der Berufungskommission dort besonders weit, wo es darum geht, die Stärken und Schwächen der einzelnen Bewerber*innen um eine Professur zu gewichten. Dieser weite Spielraum schließt die Möglichkeit ein, die Eig- nung eines*r Kandidaten*in nur aufgrund angenomme- ner Defizite in einzelnen Bereichen als im Vergleich mit anderen Bewerbern*innen schwächer zu qualifizieren224.
2. Mindestens potentielle Kausalität des Verfahrensfeh- lers für die unterbliebene Auswahl des*der unterlege- nen Bewerber*in
Ein Fehler im Auswahlverfahren kann am Ende jedoch auch nur dann zugunsten des*der unterlegenen Bewerber*in zum begehrten Erlass einer einstweiligen
- 220 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, a.a.O., Rn. 32 – juris.
- 221 Vgl. bzgl. der Auswahl von Hochschullehrer*innen etwa VGHMünchen, Beschl. v. 5.1.2012, 7 CE 11.1432, Rn. 18 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2012, 5 S 12.11, Rn. 4 – juris; näher dazu auch Pernice-Warnke, WissR 47 (2014), 371 (374 f.).
- 222 VGH München, Beschl. v. 5.1.2012, a.a.O., Rn. 18 – juris. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2012, a.a.O., Rn. 4.
- 223 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 20.4.2020, 6 B 1700/19, Rn. 3 – juris.
Anordnung führen, wenn dieser Fehler berücksichti- gungsfähig und potentiell kausal für das Auswahlergeb- nis war. Nicht jeder Verfahrensfehler wird von den Gerichten als Verletzung des Anspruchs auf eine beur- teilungs- und ermessensfehlerfreie Auswahlentschei- dung bewertet, die einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese beinhaltet.225
Grundsätzlich kommt auch im Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs der in § 46 VwVfG kodifizierte Grundsatz zum Tragen, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht al- lein deshalb beansprucht werden kann, weil es Verfah- rensfehler gab, wenn offenkundig ist, dass diese Fehler die Entscheidung nicht beeinflusst haben. Dies schränkt die Rechtsprechung wiederum in der Weise ein, dass ein formeller Fehler nur dann offenkundig bzw. offensicht- lich im Sinne des § 46 VwVfG ohne Einfluss auf die Ent- scheidung gewesen ist, wenn bei hypothetischer Be- trachtung zweifelsfrei anzunehmen ist, dass auch ohne diesen Fehler dieselbe Entscheidung getroffen worden wäre.226 Die Verletzung von Verfahrensvorschriften kann eine Wiederholung des Auswahlverfahrens daher ‚nur‘ bzw. – je nach Perspektive ‚schon‘ dann rechtfertigen, wenn die Auswahl des*der unterlegenen Bewerbers*in tatsächlich möglich erscheint und seine*ihre Chancen, bei einem erneuten Auswahlverfahren zum Zuge zu kommen, zumindest offen sind.227
VI. Die Wirkung der einstweiligen Anordnung
Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO von dem*der unterlegenen Bewerber*in rechtzeitig beantragt, darf die Ernennung des*der ausge- wählten Kandidaten*in nicht bzw. erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens vorgenommen werden.228
Hält das Verwaltungsgericht den Antrag des*der un- terlegenen Bewerber*in für zulässig und begründet, wird es die Hochschule bzw. das Ministerium im Regel- fall verpflichten, die Ernennung zu unterlassen und die Auswahlentscheidung bzgl. der ausgeschriebenen Pro- fessur unter Berücksichtigung von Art. 33 Abs. 2 GG so- wie der dies präzisierenden Rechtsauffassung des Ge-
224 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 20.4.2020, a.a.O., Rn. 24 f. – juris; VGH München, Beschl. v. 3.7.2018, 7 C 17.2340, Rn. 62 – juris. 225 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 1.3.2016, 4 N 59.14, Rn. 12 –
juris.
226 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.11.2022, 1 BvR 2263/21, Rn. 33 – juris. 227 VGH München, Beschl. v. 10.1.2017, 7 CE 16.1838, Rn. 14 – juris. 228 Vgl. Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 101. EL
Mai 2023, Art. 33 Rn. 38.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 7 7
richts erneut zu treffen.229 Erlangt die einstweilige An- ordnung auf vorläufige Untersagung der Ernennung Rechtskraft, muss die Hochschule das Auswahlverfahren also „je nach Inhalt und Reichweite des Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 2 GG vollständig oder teilweise wiederholen und auf der Grundlage des wiederholten Verfahrens eine neue Auswahlentscheidung treffen“.230
Je länger das gerichtliche Verfahren bis zum Erlass ei- ner solchen Anordnung dauert, desto mehr erhöht sich am Ende auch die Wahrscheinlichkeit, dass der*die ur- sprünglich ausgewählte Kandidat*in sowie möglicher- weise auch weitere Listenkandidat*innen ihre Bewer- bungen zurückziehen, sodass sich für die Hochschule bereits dadurch die Entscheidung aufdrängt, das unter- brochene Verfahren abzubrechen und gegebenenfalls ein neues Verfahren durchzuführen, soweit an dem Zu- schnitt der Professur in der ursprünglich ausgeschriebe- nen Art festgehalten werden soll.
VII. Die weitere Verfolgung des Bewerbungsverfah- rensanspruchs vor Gericht
1. Primärrechtsschutz und Verfassungsbeschwerde
Wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord- nung durch das Verwaltungsgericht abgelehnt, steht dem*der unterlegenen Bewerber*in das Rechtmittel der Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht bzw. zum Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung . Die Überprü- fung durch das Oberverwaltungsgericht bzw. den Ver- waltungsgerichtshof beschränkt sich dabei gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die Gründe, die von dem*der Antragsteller*in dargelegt werden.232 Erforder- lich ist dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Hieran fehlt es etwa, wenn allein – wörtlich oder nur dem Sinn nach – das Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Ver- fahren wiederholt wird. Dies kann nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 4 VwGO sogar zur Verwerfung der Beschwerde als unzulässig führen. Ferner ist aus Sicht des*der unterlegenen Bewerbers*in darauf zu ach-
- 229 VG Ansbach, Beschl. v. 24.2.2019, AN 2 E 1900164, Rn. 43 – juris.
- 230 BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, 2 C 16.09, Rn. 31 – juris; VG Münster,Urt. v. 22.4.2015, 5 K 2799/12, Rn. 69 – juris.
- 231 Da die Anrufung des BVerwG im vorläufigen Rechtsschutz nichtzulässig ist und Hauptsacheverfahren praktisch nie stattfinden, gelangen Konkurrentenstreitigkeiten von Hochschullehrer*innen a.E. nur selten an das BVerwG, vgl. Laubinger, ZBR 2010, 289 (299).
- 232 Zu den Schwierigkeiten der Auslegung und Anwendung dieser Regelung sowie zu den Hürden für eine darüberhinausgehende Prüfung im Einzelnen Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwal- tungsrecht, Band VwGO, 44. EL März 2023, § 146 Rn. 13f ff.
ten, dass mit der Beschwerdebegründung alle vom Ver- waltungsgericht aufgeführten, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Gründe angefochten werden. Andernfalls läuft man Gefahr, dass die Beschwerde allein deshalb zurückgewiesen wird, weil sich die erstinstanzli- che Entscheidung aus den nicht angefochtenen, die Ent- scheidung selbständig tragenden Gründen als richtig darstellt. Greifen die dargelegten Gründe anderweitig nicht durch, ist die Beschwerde ebenfalls als unbegrün- det zurückzuweisen. Erst wenn die dargelegten Gründe durchgreifen, steigt das Oberverwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof – quasi in einer zweiten Stu- fe – in eine eigenständige Vollprüfung der Begründetheit des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ein.233 Auch dieseeigenständigeVollprüfungdesBeschwerdegerichts kann – dann ggf. aus anderen Gründen – zu dem Ergeb- nis kommen, dass der Antrag auf vorläufigen Rechts- schutz in der Sache unbegründet und die Beschwerde damit zurückzuweisen ist.
Lehnt auch das Oberverwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Hochschule bzw. dem Minis- terium ab, ist der Rechtsweg erschöpft und dem*der un- terlegenen Bewerber*in bleibt nur noch die Erhebung ei- ner Verfassungsbeschwerde.234 Mit der Verfassungsbe- schwerde wird bei Konkurrentenstreitigkeiten regelmä- ßig eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 33 Abs. 2 GG durch die angegriffenen Gerichtsent- scheidungen gerügt.
Stellt das Bundesverfassungsgericht eine solche Ver- letzung fest, hebt es die beiden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auf und verweist den Fall zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück.235
Das Bundesverfassungsgericht kann – ebenso wie die Fachgerichte – im Wege einer einstweiligen Anordnung in dem Fall gemäß § 32 BVerfGG untersagen, den*die ausgewählte*n Bewerber*in zu ernennen. Dieser Um- stand wurde in der Vergangenheit nicht immer beachtet, sodass sich das Bundesverfassungsgericht veranlasst sah, eine Wartefrist zu postulieren.236 Das heißt, die Ernen-
233 Vgl. zum Ganzen a.a.O., Rn. 15 f.
234 Neben der Beschwerde zum BVerfG kann alternativ auch die
Beschwerde zu den Landesverfassungsgerichten möglich sein, vgl. etwa Art. 19 Abs. 2 Verfassung von Berlin i.V.m. § 49 Abs. 1 und § 31 VerfGHG.
235 Vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13, Rn. 23 ff. Das Sitzland der Gerichte hat dann dem*der Beschwerdeführer*in die notwendigen Auslagen zu erstatten, vgl. § 34a BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren bemisst sich dabei nach
§ 37 Abs. 2 i .V. m. § 14 Abs. 1 RVG.
236 BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007, 2 BvR 206/07, Rn . 18 – juris.
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nung des*der Konkurrenten*in kann auf diese Weise ein weiteres Mal zumindest zeitweise verzögert werden.
Der Primärrechtszug dürfte bei überschlägiger Be- trachtung und unter Berücksichtigung der jeweiligen Begründungs- und Erwiderungsfristen nebst der Vorla- ge der Verwaltungsakten je Rechtszug drei bis fünf Mo- nate in Anspruch nehmen, so dass für die Ausschöpfung des Rechtswegs ein Zeitraum von sechs bis zehn Mona- ten zu veranschlagen sein wird. Hinzu tritt gegebenen- falls die Zeitspanne, die das Bundesverfassungsgericht für seine Entscheidung bedarf.
Die Gerichtskosten des Primärrechtszugs im Eil- rechtsschutz (ausschließlich der Verfassungsbeschwer- de) richten sich nach dem für die jeweilige Instanz fest- gesetzten Streitwert. Die Festsetzung bestimmt sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GKG. In Verfahren, die die Begründung, die Um- wandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Be- endigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisse betreffen ist Streitwert die Sum- me der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Ge- genstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhält- nis auf Lebenszeit ist (Nr. 1), im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnah- me nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen. Der Streitwert hängt also maßgeblich davon ab, ob es sich um ein Dienstverhältnis auf Lebenszeit oder auf Probe handelt, und auf welcher Besoldungsstufe die Stelle eingruppiert ist. In der Regel wird in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Bewerbungsver- fahrensanspruchs der Streitwert nicht – wie sonst üblich – halbiert, weil der Sache nach eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird.237 Im Verfahren des vorläufi- gen Rechtsschutzes fallen nach Nr. 5210 der Anlage 1 zum GKG (Kostenverzeichnis) beim Verwaltungsgericht 1,5 Gebühren und nach Nr. 5220 der Anlage 1 zum GKG beim Oberverwaltungsgericht 2,0 Gebühren an.
Beispielhaft betragen bei einer W3-Professur auf Le- benszeit und einer monatlichen Besoldung von etwa 7.220,00 EUR der jeweilige Streitwert 86.640,00 EUR (12 x 7.220,00 EUR), so dass für die erste Instanz Gerichtsge-
237 Vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, Ziffer 1.7.
238 Näher etwa zu Schadensersatzansprüchen bei Verfahrensabbruch Herrmann, LKV 2015, 97 (104 f.).
bühren i.H.v. 1.495,50 EUR (1,5 x 997,00 EUR [Anlage 2 zum GKG]) und für die zweite Instanz weitere Gerichts- gebühren i.H.v. 1.994,00 EUR (2,0 x 997,00 EUR [Anla- ge 2 zum GKG]) anfallen. Indes ist darauf hinzuweisen, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs re- gelmäßig (Fach-)Anwälte hinzugezogen werden, wobei es vor dem Verwaltungsgericht – anders als vor dem Oberverwaltungsgericht – keinen Anwaltszwang gibt. Hochqualifizierte Anwälte aus dem Bereich des öffentli- chen Dienst- und / oder Hochschulrechts werden in al- ler Regel auf Honorarbasis tätig. Es ist daher davon aus- zugehen, dass die anfallenden Anwaltskosten die Ge- richtskosten in der Regel bei weitem übersteigen werden und diese, soweit sie die Sätze nach dem Rechtsanwalts- vergütungsgesetz übersteigen, vom*von der Antragsteller*in selbst zu tragen sind, auch wenn er*sie obsiegt.
2. Sekundärrechtsschutz und Schadensersatzansprüche
Losgelöst davon, dass es in Fällen in denen zuvor effekti- ver Rechtsschutz vereitelt wurde unter Durchbrechung des Grundsatzes der Ämterstabilität dazu kommen kann, eine bereits erfolgte Ernennung im Rahmen des Primärrechtsschutz anzufechten, können auch Scha- densersatzansprüche im Raume stehen.238
Wenn der Dienstherr die ausgewählte Person entge- gen einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsge- richts oder ganz ohne Konkurrentenmitteilung „vorzei- tig“ ernennt, eröffnet Art 19 IV GG i.V.m. Art 33 II GG gleichwohl den Rechtsschutz.239 Unterbleibt eine erneute Auswahlentscheidung steht der übergangenen Person unter bestimmten Umständen Schadensersatz zu.
Bleibt beispielsweise aufgrund des Zeitablaufs wegen der verfassungsrechtlich geschützten Position des*der ausgewählten Bewerbers*in eine Anfechtungsklage er- folglos, kann aus dem untergegangenen Bewerbungsver- fahrensanspruch ein Schadensersatzanspruch entste- hen.240 Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Wahlrecht zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz.241
239 Hermann, NJW 2011, S. 653, 655.
240 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 1.3.2016, 4 N 59.14, Rn. 3 ff. –
juris.
241 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 27 – juris.
Neukirchen/Breder/Hornfischer · Rechtsschutz Bewerbungsverfahrensanspruch 2 7 9
Dabei muss zwischen dem Amtshaftungsanspruch gem. Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und dem Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch schuldhafte Verletzung des aus Art. 33 Abs. 2 GG folgen- den Bewerbungsverfahrensanspruch entsteht, unter- schieden werden. Letzterer folgt materiell und verfah- rensrechtlich unmittelbar aus Art. 33 Abs. 2 GG242 — auch bei der Besetzung einer Professur.243 Eine Rangfolge der Schadensersatzansprüche besteht nicht; sie können un- abhängig nebeneinander bestehen.
a) Amtshaftungsanspruch
Der Schadensersatzanspruch aus Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf dem Zivilrechtsweg gel- tend zu machen. Sachlich zuständig ist gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG das Landgericht in erster Instanz; örtlich gem. § 18 ZPO jenes Landgericht, in dessen Bezirk der Sitz der Körperschaft liegt, die dem*der die Pflicht verletzenden Amtsträger*in das Amt anvertraut hat (Sitz der Hochschule oder des Landes).244
Hier lässt sich eine gewisse Zurückhaltung von in Be- rufungsverfahren unterlegenen Bewerber*innen feststel- len, denn bislang sind – soweit ersichtlich – im Kontext von Stellenbesetzungsverfahren an Hochschulen nur wenige obergerichtliche Entscheidungen bekannt. Vor- liegend sind dies eine Entscheidung des OLG Dresden245 sowie zwei älteren Entscheidungen des OLG Koblenz.246 In allen Fällen fehlte es nach der Beurteilung der Gerich- te schon an einer haftungsbegründenden Pflichtverlet- zung im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. zum Teil bereits an einer drittschützenden Amtspflicht. Zum ei- nen wurde hervorgehoben, dass sich aus Erklärungen und Einschätzungen einzelner Kommissionsmitglieder gegenüber einzelner Bewerber*innen vor Abschluss des Verfahrens noch kein Vertrauenstatbestand ergebe.247 Zum anderen fehlt es an einem pflichtwidrigen Verhal- ten, wenn ein*eine Professurinhaber*in kurz vor Eintritt in den Ruhestand nicht auf eine neu geschaffene, höher dotierte Planstelle befördert wird.248 Schließlich hat das OLG Dresden festgestellt, dass es auch dann an einer Pflichtverletzung fehlt, wenn ein Berufungsverfahren
- 242 BVerwG, Urt. v. 25.2.2010, 2 C 22.09, Rn. 13 ff. – juris.
- 243 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, 1 BvR 3606/13, Rn. 15 ff. –juris sowie BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 17 – juris; dem folgend OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 69 ff. – juris.
244 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer- bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 169 ff.
245 OLG Dresden, Urt. v. 20.6.2018, 1 U 880/17, – juris.
246 OLG Koblenz, Urt. v. 24.6.1998, 1 U 307/97 und Urt. v. 25.11.1998,
1 U 1127/97, jeweil juris.
um die Besetzung einer Professur in rechtmäßiger Weise abgebrochen wurde, da sich ein anspruchsbegründender Verstoß bei der Begründung der Zurückweisung einer Bewerbung erst ergeben kann, wenn eine Ernennung vorgenommen wird.249
b) Schadensersatzanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG
Der Schadensersatzanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG ist vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen. So hat ein*e Kläger*in unter bestimmten Voraussetzungen beispiels- weise Anspruch darauf, im Wege des Schadensersatzes besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu wer- den, als wäre er*sie zum*zur Professor*in ernannt wor- den.250
Danach kann ein*e Bewerber*in nach der Rechtspre- chung des BVerwG251 vom Dienstherrn Ersatz des ihm durch die Nichtberücksichtigung bei der Auswahl ent- standenen Schadens verlangen, wenn
– der Dienstherr bei der Vergabe des Amtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des*der über- gangenen Bewerbers*in auf leistungsrechte Einbe- ziehung in die Bewerber*innenauswahl schuldhaft verletzt hat und
– diese Rechtsverletzung für seine *ihre Nichtberück- sichtigung kausal war und
– der*die Bewerber*in es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtmit- tels abzuwenden252.
Hinsichtlich des Verschuldens bei der Verletzung des Anspruchs auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerber*innenauswahl als Pflicht aus dem Beamten- verhältnis gilt der allgemeine Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB entsprechend. Danach hat der Schuld- ner bereits fahrlässiges Tun oder Unterlassen zu vertre- ten, wobei gem. § 276 Abs. 2 BGB fahrlässig handelt, wer die im Verkehr übliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das OVG Münster definiert hierzu eingrenzend wie folgt:
„Nach diesem objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab ist auf die Anforderungen abzustellen, deren Beachtung von dem verantwortlichen Beamten generell erwartet werden kann. […] Wird eine behördliche Maßnahme ge-
247 OLG Koblenz, Urt. v. 24.6.1998, 1 U 307/97, Rn. 21 f. – juris.
248 OLG Koblenz, Urt. v. 25.11.1998., 1 U 1127/97, Rn. 10 ff. – juris. 249 OLG Dresden, Urt. v. 20.6.2018, 1 U 880/17, Rn. 56 f. – juris.
250 Vgl. näher dazu Wertheimer, OdW 2016, 51 ff. mit einer Bespre-
chung des Urteils des OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11,
– juris.
251 BVerwG, Urt. v. 20.10.2016, 2 C 30.15, Rn. 18 – juris.
252 Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewer-
bungsverfahrensanspruch, 2021, S. 171.
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richtlich missbilligt, so kann daraus ein Verstoß des ver- antwortlichen Amtsinhabers gegen Sorgfaltspflichten nicht hergeleitet werden, wenn er die zugrunde liegende Rechtsauffassung aufgrund rechtlicher und tatsächli- cherPrüfung gewonnen hat und sie im Ergebnis als ver- tretbar angesehen werden kann“.253
Im Hinblick auf die Kausalität muss sich gerichtlich feststellen lassen können, dass dem*der unterlegenen Bewerber*in die angestrebte Hochschullehrerstelle ohne den Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre.254 Die Rechtsprechung fordert insoweit einen ad- äquat kausalen Zusammenhang zwischen der Rechtsver- letzung und dem Schaden, d.h. der unterbliebenen Er- nennung. Das Gericht versucht demgemäß im Einzelfall den hypothetischen Kausalverlauf zu ermitteln, den das Auswahlverfahren ohne den Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG voraussichtlich genommen hätte. Das erfordert die Beurteilung, welchem*welcher Bewerber*in der Dienstherr den Vorzug gegeben hätte, wenn er eine rechtmäßige Ausgestaltung des Auswahlverfahrens vor- genommen hätte.255 Danach wird ein Anspruch auf Scha- densersatz regelmäßig in Betracht zu ziehen sein, wenn der*die unterlegene Bewerber*in bei einer Entscheidung nach leistungsbezogenen Auswahlkriterien zumindest reelle Chancen gehabt hätte, wenn also die Auswahl ohne den schuldhaften Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG ernsthaft möglich gewesen wäre.256 Die Darlegung und Ermittlung eines derartigen hypothetischen Kausalver- laufs ist dabei desto schwieriger, je fehlerhafter das Aus- wahlverfahren im konkreten Fall gewesen ist.257 Be- weiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des*der Kläger*in sind möglich, wenn die Ermittlung des hypothetischen Kausalverlaufs gerade wegen der Zahl und der Tragweite der Verfahrensfehler auf Schwierigkeiten stößt oder gar unmöglich ist.258 Lässt sich anhand der vorhandenen Dokumentation auch nicht mehr aufklären, wie bei der Vermeidung der Fehler im Bewerbungsverfahren der Bewertungs- und Ent- scheidungsspielraum ausgefüllt worden wäre, so kann eine reelle bzw. ernsthafte Ernennungschance ausrei-
- 253 OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 130 – juris, unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 11.2.2009, 2 A 7.06, Rn. 21 f. – juris. Siehe auch Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewerbungsverfahrensanspruch, 2021, S. 171.
- 254 OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 134 – juris.
- 255 OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 134 – juris unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 19.3.2015, 2 C 12.14, Rn. 27 – juris.
- 256 OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 137 – juris unterVerweis auf BVerwG, Urt. v. 26.1.2012, 2 A 7.09 – juris.
- 257 BVerwG, Urt. v. 26.1.2012, 2 A 7.09, Rn. 43 – juris.
chen259 – ohne dass es dabei auf die (nachträgliche) Auf- fassung eines einzelnen Mitglieds oder mehrerer Mit- glieder der Berufungskommission ankäme.
Ausgeschlossen ist der Schadensersatzanspruch, wenn das Berufungsverfahren in rechtmäßiger Weise aus sachlichen Gründen vor der Ernennung eines*r Bewerber*in abgebrochen wurde.260
Ein schuldhaftes Unterlassen hinsichtlich der Inan- spruchnahme des Primärrechtsschutzes liegt dann nicht vor, wenn es dem*der unterlegenen Bewerber*in durch die Verfahrensgestaltung unmöglich oder erheblich er- schwert worden ist, um Primärrechtsschutz in Gestalt ei- nes Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nachzusuchen. Insbesondere kann dies der Fall sein, wenn ihm*ihr eine Konkurrentenmitteilung nicht zuge- gangen ist oder ihm*ihr Akteneinsicht verwehrt oder er- schwert wurde.261
Wird ein Schadensersatzanspruch bejaht, besteht in der Regel auch ein Anspruch auf Verzinsung des sich da- raus ergebenden Nachzahlungsbetrags ab des jeweiligen Fälligkeitszeitpunkts in entsprechender Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.262 Die Anwendbarkeit die- ser Vorschriften auch im Öffentlichen Recht wird in die- sem Zusammenhang jedenfalls dann angenommen, wenn das Begehren des Klägers gerade auf die (Nach-) Zahlung des besoldungsrechtlichen Differenzbetrages und damit unmittelbar und ausschließlich auf die Leis- tung einer fälligen Geldforderung gerichtet ist.263
VIII. Zusammenfassung
Das Berufungsverfahren auf Hochschulprofessuren ist für ausschreibende und berufende Hochschulen Aus- druck ihrer ihnen als Institution zustehenden Wissen- schaftsfreiheit. Für den*die einzelne*n Bewerber*in kommt ein Erfolg bzw. Misserfolg in einem Berufungs- verfahren einer zentralen Weichenstellung in der beruf- lichen Entwicklung und in der Verwirklichung der eige- nen, ebenfalls grundrechtlich geschützten wissenschaft- lichen Forschungs- und Lehrziele gleich. Überformt ist
258 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.2012, 2 A 7.09, Rn. 44 f. – juris.
259 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 144 ff. – juris. 260 BVerwG, Urt. v. 31.3.2011, 2 A 2.09, Urt. v. 29.11.2012, 2 C 6.11; krit.
Herrmann LKV 2015, 97 (104 f.). Siehe auch Neukirchen/Emmrich, Berufungen, Befangenheit und Bewerbungsverfahrensanspruch, 2021, S. 173.
261 Vgl. VG Bayreuth, Urt. v. 18.7.2023, B 5 K 22.719, UA S. 27 – n.v. 262 Siehe OVG Münster, Urt. v. 3.5.2018, 6 A 815/11, Rn. 148 – juris. 263 BVerwG, Beschl. v. 25.1.2006, 2 B 36.05, Rn. 18 – juris sowie OVG
Lüneburg, Urt. v. 10.1.2015, 5 LB 105/14, Rn. 76 – juris m.w.N.
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dieses Spannungsfeld durch die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG – dem Prinzip der Bestenauslese – und die Anforderungen an das Verfah- ren, um einem*r unterlegenen Bewerber*in den verfas- sungsrechtlich nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effek- tiven Rechtsschutz zu gewährleisten.
Ausgehend hiervon zeigen die voranstehenden Ausfüh- rungen auf, in welchen gerichtlichen Verfahrensformen eine rechtliche Kontrolle unter Wahrung des Beurtei- lungsspielraums der Hochschulen im Hinblick auf die wissenschaftliche Eignung der Bewerber*innen möglich ist. Die nahezu vollständige Vorverlagerung des effekti- ven Rechtsschutzes in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dabei eine Besonderheit des (wissen- schaftlichen) Beamtenrechts. Die detaillierte Darstellung potentieller Verfahrensfehler sowie die Skizzierung ver- waltungsgerichtlicher Problemstellungen sollen dabei allen an einem Rechtsschutzverfahren Beteiligten – seien es Rechtsanwält*innen, Justiziare der Hochschulen oder die zur Entscheidungen berufenen Richter*innen – eine Hilfestellung bieten.
Hieraus lässt sich auch die Empfehlung ableiten, trotz eines fehlenden Anwaltszwangs in der ersten verwal- tungsgerichtlichen Instanz, fachprofessionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn man als unterlegene*r Be- werberin um Rechtsschutz wegen der Verletzung des Be- werbungsverfahrensanspruchs nachsucht.
Dr. Mathias Neukirchen ist derzeit als Director Acade- mic Service am European University Institute in Flo- renz beschäftigt.
Dr. Torsten Breder ist Justitiar an der Helmut-Schmidt- Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg und neben Mathias Neukirchen, Etienne Emmrich, Hendrik Büggeln, Hans Kurlemann und Henning Rockmann ebenfalls als Autor an dem eingangs genannten „Kom- pendium für Berufungskommissionen, Bewerberinnen und Bewerber“ beteiligt gewesen.
Dr. Felix Hornfischer ist Richter am Verwaltungsgericht Freiburg i. Br. und Mitherausgeber der Zeitschrift Ord- nung der Wissenschaft (OdW).
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