I. Historie und gegenwärtige Strukturen der staatli-
chen Hochschulmedizin in Deutschland
Das dem Beitrag zugrundeliegende aktuelle, der Struk-
tur der Hochschulmedizin zuzuordnende Thema kann
ohne eine kurze Befassung mit seiner Historie und der
gegenwärtigen Situation der staatlichen Hochschulme-
dizin in Deutschland nicht eingeordnet werden.
1. Überkommene Strukturen auf dem Prüfstand
Vor ca. 25 Jahren setzte in Deutschland eine Entwicklung
ein, die dazu führte, dass die für die staatliche Hoch-
schulmedizin maßgeblichen Strukturen massive Ände-
rungen erfuhren. Seitdem wurden in den 14 Bundeslän-
dern, in denen bisher staatliche hochschulmedizinische
Einrichtungen vertreten sind, sukzessive und bis in die
jüngste Vergangenheit hinein unterschiedliche Organi-
sationsmodelle umgesetzt. Bevor der Blick darauf
gewendet wird, soll kurz skizziert werden, wie die staat-
liche Hochschulmedizin vor Eintritt der Änderungen
organisiert war und welche wesentlichen Gründe bestan-
den, neue Strukturen in der Hochschulmedizin zu
suchen.
a. Ursprünglicher Rechtscharakter hochschulmedizini-
scher Einrichtungen
Bis Ende der 90er Jahre waren die die Hochschulmedizin
bestimmenden staatlichen Medizinischen Einrichtun-
gen, von wenigen rechtlichen Besonderheiten abgese-
hen, in hochschulrechtlicher Hinsicht unselbständige
Anstalten ihrer jeweiligen Universitäten, soweit sie mit
Aufgaben der Krankenversorgung betraut waren. Haus-
haltsrechtlich trugen sie bezogen auf diese Aufgabenstel-
lung anknüpfend an den Umstand, dass die Universitä-
ten nicht nur Körperschaften des öffentlichen Rechts,
sondern zugleich auch staatliche Einrichtungen waren -
und im übrigen von wenigen Ausnahmen abgesehen (so
z.B. in Nordrhein-Westfalen und überwiegend in Nie-
dersachsen) in den meisten Bundesländern immer noch
sind -, den Charakter von Landesbetrieben; sie waren
damit rechtlich gesehen unselbständige Bestandteile der
jeweiligen Landesverwaltung. Zwar verfügte der von der
Medizinischen Fakultät, die der Universität in ihrem
Rechtsstatus als Körperschaft zuzuordnen war, zu unter-
scheidende krankenversorgende Teil, der im übrigen nur
in ganz seltenen Fällen bereits die Bezeichnung „Univer-
sitätsklinikum“ aufwies, über eigene, wenn auch in den
Ländern unterschiedlich ausgestaltete Organe (in Nord-
rhein-Westfalen z.B. über einen Klinischen Vorstand).
Dies bedeutete jedoch nicht, dass damit in jeder Hinsicht
autonom zu treffende Entscheidungen verbunden waren.
Vielmehr führte der Rechtscharakter des Krankenhaus-
betriebes dazu, dass die von diesem in der Krankenver-
sorgung wahrzunehmenden Aufgaben vor allem mit
Blick auf maßgebliche finanz‑, personal- und organisati-
onsrechtliche Aspekte einer umfassenden Staats- und
damit insbesondere einer Fach- und Dienstaufsicht
unterworfen waren.
b. Änderungsbedarf und zu beachtende Grundsätze
Im Ergebnis — wenn auch mit unterschiedlichen Lösungs-
ansätzen — waren sich im Zuge einer in den 90er Jahren
intensiv geführten Debatte sowohl die Kultusminister-
konferenz als auch der Wissenschaftsrat im Rahmen
ihrer jeweiligen Analyse der Hochschulmedizin jeden-
falls darin einig, dass deren bis dato geltende Struktur
nicht mehr tragfähig sei. Vor dem Hintergrund in diesen
Jahren greifender, massiver, im Einzelnen nicht darzu-
stellender Veränderungen der Rahmenbedingungen in
der Krankenhausfinanzierung einschließlich der Ein-
führung neuer Vergütungsstrukturen wurde vorgeschla-
gen, die Hochschulklinika rechtlich zu verselbständigen.
Auf diese Weise sollte ihnen eine größere Flexibilität und
wirtschaftliche Handlungsfähigkeit gegeben werden,
auch um im Wettbewerb mit konkurrierenden kranken-
versorgenden Einrichtungen bestehen zu können.
Die bisherigen Weisungs- und Verantwortungsstruk-
turen im Verhältnis zwischen dem Land und den Medi-
zinischen Einrichtungen sollten einer klaren Abgren-
zung zwischen Träger- und Betreiberverantwortung so-
wie zwischen Aufsichts- und Geschäftsführungskompe-
tenz weichen. Eine Trennung der Verantwortungs-
bereiche von medizinischer Forschung und Lehre einer-
seits und der Krankenversorgung andererseits sollte vor
allem im Wege getrennter Finanzkreisläufe auf der
Grundlage einer sog. Trennungsrechnung erfolgen.
Auch wenn nach allem das Bestreben bestand, den
universitären Krankenhausbetrieb zu einem selbständig
Ulf Pallme König
Medizinische Universität in Brandenburg — ein
wissenschaftspolitisches Neuland
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 0 7 — 2 1 2
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handlungsfähigen Wirtschaftsbetrieb zu machen, sollten
gleichwohl alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft
werden, um die Universität, die Medizinische Fakultät
und das Universitätsklinikum in sachgerechter Weise or-
ganisatorisch miteinander zu verbinden. Dabei sollte ei-
nerseits gewährleistet werden, dass die die Hochschul-
medizin kennzeichnende Aufgabentrias von Forschung,
Lehre und Krankenversorgung mit ihren häufig nicht
miteinander in Einklang zu bringenden wissenschaftli-
chen und ökonomischen Herausforderungen funktions-
gerecht wahrgenommen werden kann. Andererseits soll-
te aber auch sichergestellt werden, dass die Gesamtver-
antwortung der Universität für ihre Medizin gewahrt
bleibt.
2. Gegenwärtige Hochschulmedizin mit einer Vielfalt
von Strukturen
Auf dieser Grundlage gibt es derzeit in Deutschland im
staatlichen Bereich 38 Medizinische Fakultäten und 36
Universitätsklinika, sofern man bei der Ermittlung die-
ses Zahlenverhältnisses von gewissen, hier nicht weiter
zu erörternden Sonderregelungen einmal absieht. Die
Divergenz ist dadurch zu erklären, dass die Medizini-
schen Fakultäten der Universitäten Kiel und Lübeck
sowie Marburg und Gießen jeweils ein gemeinsames
Universitätsklinikum haben, nämlich das Schleswig-
Holsteinische Universitätsklinikum und das 2006 priva-
tisierte Universitätsklinikum Marburg/Gießen, dessen
Betreiber die Rhönklinikum Aktiengesellschaft ist.
Demgegenüber spielen die wenigen privaten Hochschu-
len in Deutschland, an denen eine relevante Medizinfor-
schung und eine medizinische Ausbildung erfolgen
kann, kaum eine nennenswerte Rolle. Eine Ausnahme
mag insoweit die vor 40 Jahren gegründete und insbe-
sondere in ihren Anfängen eher kritisch gesehene Uni-
versität Witten-Herdecke sein mit ihrer mittlerweile -
auch nach jüngster Auffassung des Wissenschaftsrates -
gewachsenen Struktur.
Die dafür allein zuständigen Länder haben in den
letzten Jahrzehnten zur Realisierung der genannten
Überlegungen und Empfehlungen der Kultusminister-
konferenz und des Wissenschaftsrates unterschiedliche
Strukturmodelle in der staatlichen Hochschulmedizin
entwickelt. Ohne in diesem Zusammenhang auf zum
Teil sehr komplexe rechtliche Fragestellungen und darü-
ber hinaus auf den sich als wenig ergiebig erweisenden,
bis heute — so scheint es — nicht ausgetragenen Streit ein-
zugehen, welches der Modelle den Zielsetzungen der
Hochschulmedizin am ehesten entspricht, können
grundsätzlich zwei Organisationsmodelle unterschieden
werden: Das sog. Kooperationsmodell und das sog.
Integrationsmodell.
a. Kooperationsmodelle
Das Kooperationsmodell sieht von seiner Grundstruktur
her vor, dass das — wie dargelegt, zuvor nur an wenigen
Standorten als solches so bezeichnete — Universitätsklini-
kum (zumeist) als rechtsfähige öffentlich-rechtliche
Anstalt verselbständigt wird. Dagegen verbleibt die
Medizinische Fakultät Im Verbund der Universität als
deren integraler Bestandteil. Die Kooperation zwischen
der Universität einschließlich ihrer Medizinischen
Fakultät und dem Universitätsklinikum wird einerseits
gesetzlich vorgeregelt und zudem im Wege eines öffent-
lich-rechtlichen Kooperationsvertrages mit Blick auf
örtliche Besonderheiten konkretisiert. In dieser Ausprä-
gung wird dieses Modell derzeit in den Ländern Bayern,
Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen,
Sachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und im
Saarland sowie an einem Hochschulstandort in Nieder-
sachsen (Oldenburg) praktiziert. Es weist zum Teil stark
divergierende, hier nicht weiter zu vertiefende gesetzli-
che Ausgestaltungen und Variationen auf. Zu nennen
sind in diesem Zusammenhang das sog. Bochumer,
Regensburger und Mannheimer Modell und neuerdings
die vor allem zusätzliche Studienplätze in der Human-
medizin generierenden sog. Zweitcampus-Modelle z.B.
an den bisher nicht hochschulmedizinisch ausgewiese-
nen Standorten in Siegen, Bayreuth und Chemnitz. Die-
se wirken eng mit den räumlich jeweils in einiger Entfer-
nung liegenden hochschulmedizinischen Einrichtungen
der Universitäten in Bonn, Erlangen und Dresden
kooperativ zusammen.
b. Integrationsmodelle
Demgegenüber steht das Integrationsmodell, demzufol-
ge das Universitätsklinikum zusammen mit der Medizi-
nischen Fakultät als Körperschaft des öffentlichen Rechts
zwar rechtlich verselbständigt, diese zugleich aber auch
eine Gliedkörperschaft der Universität ist. Für dieses
Modell haben sich die Länder entschieden, die entweder
nur über eine hochschulmedizinische Einrichtung ver-
fügen, wie Berlin, Hamburg, Thüringen (Jena) und
Rheinland-Pfalz (Mainz) oder maximal zwei dieser Ein-
richtungen aufweisen, so Mecklenburg-Vorpommern
(Rostock und Greifswald) sowie — mit der bereits erwähn-
ten Ausnahme in Oldenburg — Niedersachsen (Hannover
und Göttingen). Auch dieses Modell weist unterschiedli-
che, hier im Einzelnen ebenfalls nicht weiter zu erörtern-
de gesetzliche Ausgestaltungen und Ausprägungen auf.Pallme König · Medizinische Universität in Brandenburg 2 0 9
II. Errichtung einer Medizinischen Universität in
Brandenburg
Danach verfügten bisher nur noch die Bundesländer
Brandenburg und Bremen über keine eigene staatliche
Hochschulmedizin. Nun hat sich allerdings auch das
Land Brandenburg als letztes Flächenland entschlossen,
am Standort Cottbus eine eigene staatliche hochschul-
medizinische Einrichtung zu errichten.
1. Anlass, Struktur, Inhalte und Finanzierung
Hintergrund für diese politische Entscheidung ist fol-
gender:
Mit dem 2020 beschlossenen Braunkohleausstieg be-
findet sich u.a. die Lausitz in einem tiefgreifenden Struk-
turwandel. Damit der Kohleausstieg in den betroffenen
Regionen als echte Chance genutzt werden kann, die
Weichen für die Zukunft zu stellen, fördert der Bund bis
2038 Projekte für einen nachhaltigen Strukturwandel.
Die Modellregion Gesundheit Lausitz befindet sich un-
ter der Bezeichnung „Innovationszentrum Universitäts-
medizin Cottbus (IUC)“ im Investitionsgesetz Kohleregio-
nen (einem Bundesgesetz) als Vorhaben wieder.
a. Selbständige Körperschaft und Studienbetrieb
Auf dieser Grundlage hat die Regierung des Landes
Brandenburg, so wie im dortigen Koalitionsvertrag ver-
einbart, beschlossen, am Standort Cottbus eine staatli-
che Universitätsmedizin durch die Errichtung einer
Medizinischen Universität als rechtlich selbständige Kör-
perschaft des öffentlichen Rechts aufzubauen. Demgegen-
über ist der anfängliche Plan, an diesem Standort mit
Hilfe der dort bereits bestehenden Technischen Univer-
sität ein Integrationsmodell in dem dargelegten Sinne zu
etablieren, aufgegeben worden. Die Medizinische Uni-
versität soll aus einem wissenschaftlichen Teil und dem
derzeit kommunal getragenen, in Landesträgerschaft zu
überführenden und zu einem Universitätsklinikum aus-
zubauenden Carl-Thiem-Klinikum Cottbus bestehen.
Die Universität, die auf der Grundlage eines öffentlich-
rechtlichen Kooperationsvertrages eng mit der Branden-
burgischen Technischen Universität Cottbus zusam-
menarbeiten soll, soll am 1.7.2024 und damit noch vor
der nächsten Landtagswahl im Herbst 2024 errichtet
werden und vorläufig den Namen „Medizinische Uni-
versität Lausitz — Carl Thiem“ tragen. Der Studienbetrieb
im humanmedizinischen Studiengang soll auf der
Grundlage der sich derzeit noch in einem Entwurfssta-
dium befindlichen neuen Approbationsordnung zum
WS 2026/2027 aufgenommen werden. Im Endausbau
soll die Universität 80 Professuren umfassen und unter
Einschluss einer auch in anderen Ländern geltenden
Landarztquote 200 humanmedizinische Studierende pro
Jahr aufnehmen. Daneben sind auch Studiengänge zur
Ausbildung in nichtärztlichen Gesundheitsberufen
geplant. Mit ihnen soll ab WS 2028/2029 begonnen wer-
den.
b. Forschungsschwerpunkte, Versorgung und Arbeits-
plätze in einer Modellregion
Als Forschungsschwerpunkte soll sich die Universität -
im Wesentlichen der Empfehlung einer vom Land früh-
zeitig eingesetzten Expertenkommission folgend — der
Gesundheitssystemforschung und der Digitalisierung
des Gesundheitswesens widmen. In dieser Verbindung
soll sie im Vergleich zu den anderen hochschulmedizini-
schen Einrichtungen in Deutschland nicht nur ein
Alleinstellungsmerkmal aufweisen, sondern auch eine
internationale Sichtbarkeit erzeugen. Dies gilt auch des-
wegen, weil sich mit Hilfe der Medizinischen Universität
die Region Lausitz zu einer Modellregion Gesundheit
entwickeln soll. Durch den Aufbau eines digitalen Netz-
werkes der regionalen Leistungserbringer der Gesund-
heitsversorgung sowie durch den Ausbau des Universi-
tätsklinikums zu einem sog. digitalen Leitkrankenhaus
soll die infrastrukturelle Anbindung der Modellregion
realisiert werden. Ziel dieser Bemühung soll sein, im
Wege des genannten, in der Medizinischen Universität
zusammenlaufenden Netzwerkes neue Versorgungsmo-
delle in der Region datenbasiert zu erproben, damit
einen Beitrag zur Weiterentwicklung (nicht nur)
des deutschen Gesundheitssystems zu leisten und die
gesundheitliche Versorgung, insbesondere im ländlich
geprägten Raum, zu stabilisieren und zu verbessern.
Dass im Übrigen mit der Gründung der Universität
auch ein Beitrag zur Erfüllung der immer intensiver wer-
denden bundesweiten Forderung geleistet werden soll,
die Studienplatzkapazität in der Humanmedizin zu er-
höhen, um damit auch der problematischen ärztlichen
Unterversorgung in Brandenburg und hier insbesondere
in der Lausitz entgegenzuwirken, liegt auf der Hand. Da-
neben besteht das mindestens ebenso wichtige Bestre-
ben des Landes, dass sich die Universität mit der Schaf-
fung von 1300 neuen Arbeitsplätzen in der Region zu ei-
nem „Jobmotor“ für die Lausitz entwickelt.
c. Finanzierung
Für dieses Vorhaben stehen bis 2038 insgesamt ca. 3,7
Mrd. Euro zur Verfügung, davon rund 1,9 Mrd. Euro
Bundes- und rund 1,8 Mrd. Euro Landesmittel. Die Vor‑O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 0 7 — 2 1 2
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aussetzungen dafür, dass diese Mittel bereitgestellt wer-
den und auch eine mögliche Folgefinanzierung ab 2038
sichergestellt werden kann, sind jetzt auf Grund einer
positiven Begutachtung des Vorhabens durch den Wis-
senschaftsrat erfüllt. Dessen zustimmende, mit einigen
grundlegenden, sehr beachtenswerten Empfehlungen
versehene Entscheidung, die mit Blick auf die Realisie-
rung des Vorhabens aus der Sicht des Bundes und des
Landes eine unabdingbare Voraussetzung ist, ist Ende
April 2024 getroffen worden.
Betrachtet man die Finanzierungsmodalitäten für
sich, erweist sich das brandenburgische Vorhaben be-
reits finanzpolitisch als singulär. Erstmals wird sich der
Bund mit Blick auf die genannte Sicherstellung des
Strukturwandels in der Lausitz über einen längeren Zeit-
raum hinweg und darüber hinaus mit der Option einer
Weiterfinanzierung an der (Grund-) Finanzierung einer
staatlichen hochschulmedizinischen Einrichtung beteili-
gen, soweit Bestandteile der Forschung betroffen sind.
Demgegenüber obliegt in allen sonstigen Fällen die
Grundfinanzierung der Hochschulmedizin auf Grund
der verfassungsrechtlich geregelten Zuständigkeiten aus-
schließlich den Ländern.
2. Wissenschaftspolitisches Neuland
Das Land Brandenburg betritt neben dieser finanzpoliti-
schen Besonderheit vor allem aber auch wissenschaftspo-
litisches Neuland mit wissenschaftsrechtlicher Relevanz.
Erstmals wird in Deutschland eine rechtlich eigen-
ständige, mit Arbeitgeber‑, Dienstherrn- und Bauherrn-
funktion ausgestattete Medizinische Universität errichtet
werden. Damit wird das bisher vorhandene Spektrum an
Strukturmodellen in der Hochschulmedizin um ein wei-
teres, singuläres Modell bereichert. Ihm am nächsten
kommt — ebenfalls als sog. institutionelles Integrationsmo-
dell — die Medizinische Hochschule Hannover (MHH).
Diese stellt sich zwar ebenso als eine ausschließlich staat-
liche hochschulmedizinische Einrichtung mit einem für
eine Hochschule unverzichtbaren körperschaftsrechtli-
chen Status dar. Sie erweist sich jedoch im Unterschied
zur geplanten Medizinischen Universität in Cottbus be-
zogen auf einen Teilbereich, nämlich dem der Kranken-
versorgung, zugleich als niedersächsischer Landesbe-
trieb gemäß der dortigen Landeshaushaltsordnung. Da-
mit fehlt der MHH jedenfalls die vollständige rechtliche
Selbständigkeit, die der geplanten Medizinischen Ein-
richtung in Brandenburg — mit der Absicherung durch
ein eigenständiges Universitätsmedizingesetz des Landes
- zugesprochen werden soll.
III. Verselbständigungstendenzen in der staatlichen
Hochschulmedizin in Deutschland
Der guten Ordnung halber ist allerdings festzustellen,
dass die Hochschulmedizin immer schon innerhalb der
Universitäten auf Grund der für sie charakteristischen
Aufgabentrias einen gewissen Sonderstatus eingenom-
men hat bzw. einnimmt, der auch noch dadurch ver-
stärkt wird, dass die Medizinischen Fakultäten im Ver-
gleich zu anderen Fakultäten grundsätzlich über den
größten Personalbestand und über die meisten sonstigen
Ressourcen innerhalb der Universitäten verfügen. Über-
dies haben sich mittlerweile an einigen Standorten in
Deutschland hochschulmedizinische Einrichtungen -
losgelöst von ihren jeweiligen „Mutteruniversitäten“ — zu
eher selbständigen hochschulischen Einrichtungen hin
entwickelt. Es dürften daher durchaus Zweifel ange-
bracht sein, ob gerade in diesen Fällen wirklich noch von
einer Verantwortungsgemeinschaft von Universität,
Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum für die
Hochschulmedizin, so wie sie nicht zuletzt auch von der
Hochschulrektorenkonferenz in mehreren grundlegen-
den Stellungnahmen gefordert worden ist, gesprochen
werden kann.
1. Einrichtungen im Integrationsmodell
Dies gilt zunächst vor allem für Einrichtungen, die dem
Integrationsmodell folgen. Ohne auf Einzelheiten gesetz-
licher Regelungen einzugehen, ist in diesem Zusammen-
hang insbesondere auf die Charitè Universitätsmedizin
Berlin mit ihrer nur noch sehr „losen“ Verbindung zur
Humboldt-Universität und Freien Universität Berlin
hinzuweisen. Ähnliches dürfte für die Universitätsmedi-
zin Hamburg-Eppendorf mit ihrer ebenfalls lediglich
formalen Anbindung an die Universität Hamburg und
für die Universitätsmedizin Göttingen gelten. Mit derem
Universitätsklinikum und der dortigen Medizinischen
Fakultät erweist sich diese als ein mit großer Selbstän-
digkeit ausgestatteter Teil der seit 2002 existierenden
„Stiftung Georg-August-Universität Göttingen“.
2. Einrichtungen im Kooperationsmodell
Solche Verselbständigungstendenzen sind aber durchaus
auch bei hochschulmedizinischen Einrichtungen im
Rahmen des in Deutschland nach wie vor vorherrschen-
den Kooperationsmodells zu beobachten. Ein gutes Bei-
spiel dafür bietet die durch die Gesetzgebung begünstig-
te Stellung der staatlichen Hochschulmedizin in Nord-
rhein-Westfalen. Sie ermöglicht — jedenfalls in dem
aufgezeigten klassischen Kooperationsmodell — nur einePallme König · Medizinische Universität in Brandenburg 2 1 1
begrenzte Einflussnahme der Universitäten auf ihre
Medizinischen Fakultäten. Diese erfahren im Vergleich
zu den anderen Fakultäten der Universitäten eine nicht
unerhebliche Sonderbehandlung. Dies zeigt sich maß-
geblich bei der staatlichen Zuführung des Betrages für
Forschung und Lehre, den die Medizinische Fakultäten
aus dem Landeshaushalt erhalten. Dieser wird zwar vom
Land den jeweiligen Universitäten zugewiesen, ist von
diesen dann aber unverzüglich und ungeschmälert an
die dazugehörigen Universitätsklinika, die für die
Bewirtschaftung dieser Mittel allein zuständig sind, wei-
terzuleiten. Die Folge ist, dass die zentralen Organe der
Universitäten (Hochschulräte, Rektorate und Senate)
bezogen auf ihre Medizinische Fakultäten über keine
Budgethoheit verfügen und damit auch kaum einen Ein-
fluss darauf haben, wie die Mittel in den Medizinischen
Fakultäten verwendet werden. M.a.W.: Eine der Hoch-
schulmedizin in Nordrhein-Westfalen kraft Gesetzes
eingeräumte Finanzautonomie schließt nennenswerte
finanzielle Steuerungsmöglichkeiten der Universitäten
bezogen auf ihre Medizinische Fakultäten aus. Sie för-
dert — gewissermaßen im Wege eines verkappten Integra-
tionsmodells — die Tendenz einer schleichenden Loslö-
sung dieser Fakultäten von den Universitäten im Ver-
bund mit den Universitätsklinika.
IV. Die Struktur der staatlichen Hochschulmedizin in
Österreich
Unabhängig von dieser in Deutschland zu beobachten-
den, vielfältigen Entwicklung von Strukturen in der
Hochschulmedizin bietet es sich an, insbesondere im
Vergleich mit der in Brandenburg geplanten Medizini-
schen Universität noch einen kurzen Blick auf die staat-
liche Universitätsmedizin in Österreich zu werfen.
Im Zuge einer 2002 verabschiedeten großen Univer-
sitätsreform wurden in dem Nachbarland 2004 die dor-
tigen staatlichen Medizinischen Fakultäten der Universi-
täten Graz, Innsbruck und Wien, die in Österreich unter
der Verantwortung des Bundes stehen, zu rechtlich ei-
genständigen Medizinischen Universitäten umgewan-
delt. Damit wurde jedoch nur der wissenschaftliche Teil
der Medizin, wurden mithin die Bereiche von Forschung
und Lehre erfasst. Die seinerzeit mit den Medizinischen
Fakultäten und auch heute mit den an ihre Stelle getrete-
nen Medizinischen Universitäten kooperierenden Uni-
versitätsklinika an den drei Standorten behielten ihren
bisherigen Status und verblieben in der Trägerschaft des
jeweiligen Bundeslandes bzw. der Stadt/dem Land Wien
- wenn auch mit unterschiedlichen rechtlichen Ausge-
staltungen. Damit unterscheiden sich auch diese Konst-
rukte in einem entscheidenden Punkt von der in Bran-
denburg geplanten Medizinischen Universität, weil — an-
ders als in Österreich — in diesem Bundesland das Uni-
versitätsklinikum unter der (Gewährs-) Trägerschaft des
Landes integraler Bestandteil der Universität sein wird.
V. Zurück zum Vorhaben in Brandenburg
Es bleibt zunächst abzuwarten, welche Entwicklung die
geplante Medizinische Universität in Brandenburg neh-
men und ob sie in der Lage sein wird, die ambitionierten
Ziele, die das Land mit ihr verwirklichen will, zu errei-
chen. Bei einer ersten summarischen Analyse dürften
die Herausforderungen, die sich dem nach dem Univer-
sitätsmedizingesetz zuständigen Gründungsvorstand
zusammen mit einem Übergangsaufsichtsrat und einer
die Aufgaben eines Senates wahrnehmenden Grün-
dungskommission im Rahmen der praktischen Umset-
zung des Vorhabens in vielerlei Hinsicht stellen, immens
sein. Sie im Einzelnen aufzuzeigen, wäre einen geson-
derten Beitrag wert.
Die Vielfalt der zu lösenden Probleme ist groß. Zu ih-
nen gehören nach Maßgabe der Empfehlungen des Wis-
senschaftsrats insbesondere die Schaffung von Interims-
flächen und eine rasche Umsetzung der Bauplanung zur
Gewährleistung von Studium, Lehre und Forschung ein-
schließlich der mit Vorrang zu betreibenden sukzessiven
Besetzung von Professuren, der zügige Aufbau ein-
schließlich der digitalen Anbindung der „Modellregion
Gesundheit Lausitz“, die Bewältigung des Transformati-
onsprozesses im Rahmen des Übergangs von einem
kommunalen Krankenhaus zu einem Universitätsklini-
kum und die Herstellung einer vertrauensvollen Part-
nerschaft mit der Brandenburgischen Technischen Uni-
versität Cottbus.
Darüber hinaus soll wenigstens auf drei weitere, als
besonders bedeutsam zu erachtende Gesichtspunkte
hingewiesen werden:
Entscheidend wird es sein, ob es — nicht zuletzt auch
mit Blick auf den geplanten Studienbeginn WS 2026/2027
- mit den dafür notwendigen (hochschulrechtlichen)
Verfahrensweisen gelingt, schnellstmöglich qualifizier-
tes wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Per-
sonal zu gewinnen, das bereit sein wird, den Weg nach
Cottbus zu gehen, einer Stadt, die nicht zuletzt einige
strukturelle Probleme zu bewältigen hat. Vor diesem
Hintergrund wird es insoweit die Personalentwicklung
der Medizinischen Universität unterstützend eine we-
sentliche Aufgabe der Stadt sein, vor allem durch geeig‑O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 0 7 — 2 1 2
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nete infrastrukturelle Maßnahmen einen eigenen Bei-
trag zu leisten, um auch und gerade für den Zuzug von
Familien eine Attraktivität zu erzeugen.
Überdies wird die Medizinische Universität mit ih-
rem besonderen, in die genannte Modellregion hinein-
reichenden digitalen Anspruch beweisen müssen, inwie-
weit sie mit weiteren Einrichtungen vor allem mit Blick
auf ihre angestrebten Forschungsschwerpunkte koope-
rieren und damit im Wettbewerb mit anderen hoch-
schulmedizinischen Einrichtungen konkurrieren kann.
Immerhin können diese jedenfalls überwiegend — unge-
achtet der aufgezeigten Verselbständigungstendenzen -
auf vielfältige und gewachsene interdisziplinäre Struktu-
ren und Fächerverbünde ihrer jeweiligen „Mutteruni-
versitäten“ zurückgreifen.
Dies gilt insbesondere mit Blick auf die für die Medi-
zin bedeutsamen Lebens- und Naturwissenschaften. Die
jüngsten Erfolge z.B. der Charité Universitätsmedizin
Berlin im Rahmen der Exzellenzinitiative sind dafür ein
Beleg. Überdies kooperieren mittlerweile nahezu alle
hochschulmedizinischen Einrichtungen in mannigfalti-
ger Weise mit außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen. Vor diesem Hintergrund können zahlreiche
Standorte der Hochschulmedizin in Deutschland be-
nannt werden, die bezogen auf ihre jeweiligen For-
schungsschwerpunkte hervorragend aufgestellt sind und
auch international sichtbare Leistungen hervorbringen.
Daher dürften diese Einrichtungen — jedenfalls zunächst
- gegenüber der Medizinischen Universität in Branden-
burg nicht unerhebliche Vorteile beanspruchen, auch
weil diese zumindest in der Anfangsphase bezogen auf
ihre zwei, in der angestrebten Kombination sicherlich
singulären Forschungsschwerpunkte unter Verzicht auf
die Etablierung einer ausgeprägten biomedizinischen
Forschung naturgemäß nur auf wenige Kooperations-
partner zurückgreifen kann.
Und schließlich muss das Land Brandenburg im
Rahmen seines Haushaltes rechtzeitig dafür Sorge tra-
gen, dass auch nach 2038 die Finanzierung der jetzt auf-
zubauenden staatlichen Hochschulmedizin gesichert ist.
Dies gilt insbesondere für den Fall, dass dann die bishe-
rige Bundesfinanzierung entweder nur noch zum Teil
erfolgen kann oder aber — im äußersten Fall — ganz weg-
fällt. Bei allem dürfte die Erwartung des Wissenschafts-
rates, der beabsichtigt, das Vorhaben in der Lausitz
2031/2032 zu evaluieren, zu beachten sein, dass die Fi-
nanzierung der Universitätsmedizin in Cottbus nicht zu
Lasten der anderen Hochschulen in Brandenburg gehen
darf.
Prof. Ulf Pallme König ist seit 2014 Rechtsanwalt in
Düsseldorf und in dieser Funktion u.a. beratend in der
Hochschulmedizin tätig. Er war von 1991 — 2013 Kanzler
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ist Hono-
rarprofessor der dortigen Juristischen Fakultät und
Ehrenvorsitzender des Vereins zur Förderung des
deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts, des-
sen Vorsitzender er von 2008 — 2022 war. Zudem gehör-
te er von 2007 — 2013 dem Medizinausschuss des Wis-
senschaftsrats als sachverständiges Mitglied an und
war er von 2005 — 2012 Vorsitzender des Arbeitskreises
Hochschulmedizin der Kanzlerinnen und Kanzler der
Universitäten in Deutschland.