I. Einleitung
In allen Lebensbereichen stellt die mündliche wie schrift- liche Sprache ein zentrales Medium zur Verständigung dar, sowohl im Austausch mit anderen Menschen als auch mit Medien und neuerdings auch mit Maschinen im Rahmen von Künstlicher Intelligenz (KI). Das bedeu- tet, dass Sprache in ganz unterschiedlichen Situationen und Kontexten stattfindet und je nachdem eine andere Funktion hat und dementsprechend angepasst und ein- gesetzt werden muss. Man spricht in diesem Zusammen- hang von Sprachregistern, die je kontextbezogen ihre eigene Funktion haben.1 „Ein übergeordnetes Ziel sprachlicher Bildung ist daher, die Fähigkeit der Lernen- den zur Differenzierung zwischen den sprachlichen Mit- teln, die ihnen zur Verfügung stehen, und zur Auswahl der passenden Mittel je nach sprachlichem, kulturellem und sozialem Kontext zu erhöhen.“2 Damit ist eine lebenslange Entwicklungsaufgabe beschrieben, in der Sprache nicht nur Lernmedium ist, sondern auch zum Lerngegenstand wird und gleichermaßen den Wissen- schaftsbereich betrifft. Bei Sprache in der Wissenschaft handelt es sich um ein eigenes Sprachregister, das bestimmte Merkmale aufweist und im spezifischen Kon- text der Scientific Community genutzt wird. Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern supranational, und wird von in- und ausländischen Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichermaßen erwartet.3
Im Folgenden werden verschiedene zentrale Sprach- register sowie deren Bedeutung für die Sprache (langua-
- 1 Kucharz, Alltags‑, Bildungs- und Fachsprache bei sachunter- richtlichen Themen im Übergang Kita – Grundschule. Eine Analyse exemplarischer Situationen, in: Blumberg/Niederhaus/ Mischendahl (Hg.), Mehrsprachigkeit in der Schule, 2024, S. 39 ff.; Lang-Groth, Register, 2019, verfügbar unter: https://epub. ub.uni-muenchen.de/61748/1/Lang-Groth_Register.pdf.
- 2 Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat, Grundlagen und normative Perspektiven auf Mehrsprachigkeit, in: dies. (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 15.
- 3 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in-
ge) näher betrachtet. Die Frage nach dem Erwerb dieser Sprachregister und der Unterstützung und Förderung dabei schließen den Beitrag ab.
II. Zentrale Sprachregister als Ausdruck von Sprach- varietäten
Neben der Unterscheidung verschiedener Nationalspra- chen (language) liegt jede Sprache auch in verschiedenen Varietäten vor. Am bekanntesten sind Dialekte, die je nach Region sehr unterschiedlich sein können und von der Hoch- oder Standardsprache abweichen. Daneben wird auch zwischen Alltags- oder Umgangssprache, Bil- dungssprache und Fachsprache unterschieden; aber auch Jugendsprache etc. sind Varietäten einer Sprache. Man nennt diese Sprachvarietäten auch Sprachregister; jeder Mensch erwirbt im Laufe seines Lebens nicht nur mehrere Sprachen, sondern auch mehrere Sprachregis- ter.4 „Ebenso verändern sich über die Zeit die Vorstel- lungen von ‚richtigem‘, für eine Situation passenden Sprachgebrauch. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis von ‚Standardsprache‘ und ‚Dialekt‘: Was als ‚Standard- sprache‘ bezeichnet wird, erfüllt zumeist Funktionen im öffentlichen und formellen Bereich, während ‚Dialekt‘ seit dem letzten Jahrhundert vor allem im informellen und privaten Bereich verankert ist. Beide Formen sind ‚richtig‘ – vorausgesetzt, dass sie im passenden Kontext, in der passenden Kommunikationssituation angewendet werden.“5
Die Grundlage für die Auseinandersetzung mit Sprachregistern lieferte in den frühen 1980er Jahren der
dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999.
pdf.
4 Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat, Grundlagen und normative
Perspektiven auf Mehrsprachigkeit, in: dies. (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023; Lang-Groth, Register, 2019, verfügbar unter: https://epub.ub.uni-muenchen.de/61748/1/Lang- Groth_Register.pdf.
5 Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat, Grundlagen und normative Perspektiven auf Mehrsprachigkeit, in: dies. (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 10.
Diemut Kucharz
Sprachverständnis und Sprachförderung in der Wissenschaft
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
304 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 303–308
kanadische Bildungsforscher Jim Cummins6, der mit BICS und CALP auf solche Unterschiede hinwies. Mit Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) be- schrieb er die alltägliche Kommunikation zwischen Menschen, mit Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) akademische sprachliche Kompetenzen. Wäh- rend im damaligen deutschsprachigen Diskurs diese Un- terscheidung von Cummins mit den Begriffen „restrin- gierter Code“ und „elaborierter Code“ eher hierarchisch gedacht wurde, werden heute die Funktionen betrachtet, die das jeweilige Sprachregister in einem bestimmten Kontext hat.7 Das bedeutet, dass je nach Kontext und Si- tuation ein anderes Sprachregister angemessen und pas- send ist. Alltagssprachlich kommuniziert man z. B. in der Familie, mit Freundinnen und Freunden; im berufli- chen Kontext kommt eher ein fachsprachliches Sprach- register zum Einsatz.
1. Mögliche Arten von Sprachregistern
Beispielhaft sollen im Folgenden einige Sprachregister herausgegriffen und beschrieben werden, wobei deutlich wird, dass diese Register weder trennscharf sind noch immer eindeutig eingesetzt werden.
Wie schon angesprochen gibt es ein zentrales Regis- ter, das der Alltags- oder Umgangssprache zugeordnet wird und das im engsten Umfeld erworben wird. Hier handelt es sich also um ein basales erstes Sprachregister, das alle Menschen in der Regel in den ersten Lebensjah- ren erwerben. Es ermöglicht ihnen, mit ihrem privaten Umfeld in Kontakt zu treten und zu kommunizieren.
Für die Kommunikation mit Peers (Gleichaltrigen, Ebenbürtigen) wird meist ein davon (leicht) abweichen- des Sprachregister eingesetzt; bei jungen Menschen kann z. B. häufig eine sog. Jugendsprache beobachtet werden, die sich von der Erwachsenensprache abgrenzt.
Deutlicher lässt sich von diesen beiden Sprachregis- tern die sog. Bildungssprache8 unterscheiden. Damit wird die Sprache benannt, die vor allem in Bildungsinstitutio- nen verwendet wird und am ehesten der von Cummins mit CALP bezeichneten Sprache ähnelt. Eng damit ver- bunden ist die sog. Fachsprache, die sich jeweils domä-
- 6 Cummins, The construct of language proficiency in bilingual education, in: Alatis (Hg.), Current Issues in Bilingual Education, 1980, S. 81–103.
- 7 Kucharz, Sprachliche Heterogenität im Klassenzimmer, in: Ziehm/Voet-Cornelli/Menzel/Goßmann (Hg.), Schule migrati- onssensibel gestalten. Impulse für die Praxis, 2019, S. 62 ff.
- 8 Gogolin/Lange, Bildungssprache und durchgängige Sprachbil- dung, in: Fürstenau/Gomolla (Hg.), Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit, 2011, S. 107–127.
nenspezifisch ausdifferenziert. Auch die Wissenschafts- sprache ist ein damit verwandtes Sprachregister, das für wissenschaftliche Kontexte erforderlich ist.
Relativ neu sind Sprachregister, die im Zusammenhang mit digitalen Tools zum Einsatz kommen, insbesondere in der Kommunikation mit Künstlicher Intelligenz (KI). Die Generierung von Prompts erfordert andere Sprach- regeln und ‑strategien als sie bspw. in Bildungsinstitutio- nen erforderlich sind. Gleichzeitig passt sich textbasierte KI zunehmend der von Menschen verwendeten Sprache an und kann vermutlich auch in verschiedenen Sprach- registern agieren, wenn sie das mit entsprechenden Daten erlernt hat.
Eine weitere Unterscheidung bei der Verwendung von Sprache liegt in ihrem mündlichen oder schriftlichem Gebrauch. Koch und Oesterreicher unterbreiteten be- reits 1985 einen Vorschlag zur Klassifizierung mit Hilfe eines Vierfelder-Schemas. Demnach kann mündliche und schriftliche Sprache sowohl medial als auch konzep- tionell auftreten. Die Kommunikation innerhalb der Fa- milie oder mit Peers geschieht konzeptionell und medial mündlich, während beispielsweise das Chatten konzep- tionell mündlich im Medium der Schrift erfolgt. Wissen- schaftliche Vorträge dagegen finden im Medium der Mündlichkeit statt, sind aber konzeptionell schriftlich gehalten, während wissenschaftliche Artikel medial und konzeptionell schriftlich verfasst sind.9
2. Merkmale einzelner Sprachregister
Die Beschreibung von Sprachregistern erfolgt meist „anhand von lexikalischen, syntaktischen und diskursi- ven (d.h. textbezogenen) Merkmalen“10. Dabei gelten die diskursiven Merkmale bildungs‑, fach- und wissen- schaftssprachlicher Register weitgehend unabhängig von der Nationalsprache, während die wortschatzbezogenen (lexikalischen) und den Satzbau betreffenden (syntakti- schen) Merkmale sprachspezifisch sind.
Das alltagssprachliche Register wird fast ausschließ- lich mündlich gebraucht. Es wird im direkten Gespräch mit einer oder mehreren Personen verwendet in einer gemeinsam geteilten Situation. Gestik und Mimik wer-
9 Koch/Oesterreicher, Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprach- theorie und Sprachgeschichte, Romanistisches Jahrbuch 1985, S. 15–43.
10 Heppt/Schröder, Bildungssprache als übergeordnetes Ziel sprachli- cher Bildung, in: Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 140.
Kucharz · Sprachverständnis und Sprachförderung in der Wissenschaft 3 0 5
den unterstützend eingesetzt. Die Verwendung von Satz- ellipsen oder Einwortäußerungen statt vollständiger Sät- ze, Verschleifung von Wortendungen, Gebrauch von Füll- und Ersatzwörtern statt präziser Begriffe sowie der Einsatz von Dialekt sind wesentliche Merkmale alltags- sprachlicher Kommunikation.11 Obwohl hierbei oft grammatikalisch inkorrekt gesprochen wird, wird es nicht so empfunden, weil durch den gemeinsamen Kon- text vollständige Sätze nicht notwendig sind, um sich zu verständigen, ja geradezu als merkwürdig erscheinen würden.12 Bsp.: Frage: „Hast du des auch gesehen?“. Ant- wort: „Ja, klar. Ich glaub’s ja nich!“. Damit geschieht All- tagskommunikation in der Regel sowohl konzeptionell als auch medial mündlich. Bildungssprache als Sprach- register in Bildungsinstitutionen dagegen entspricht den Regeln der Standardsprache und ist konzeptionell der Schrift zuzuordnen, auch wenn sie medial im Mündli- chen erfolgt. Neben der Verwendung vollständiger Sätze und differenzierter Begriffe werden noch weitere Merk- male von Bildungssprache genannt: Passivkonstruktio- nen, Substantivierungen, Komposita, Attribute etc. (z. B. das Sichern, Gesetzentwurf, im Einzelnen vorliegende Regeln).13 Dieses Sprachregister dient dazu, Arbeitsauf- gaben und ‑anweisungen zu verstehen, an Gesprächs- kreisen zu partizipieren sowie Erkenntnisse kohärent und kontextunabhängig zu formulieren und festzuhal- ten.14
Auch für die Wissenschaftssprache gelten solche Merkmale. Sie zeichnet sich in der Regel durch eine häu- figere Verwendung komplexer und passiver Satzstruktu- ren und von Fremdwörtern aus, weshalb sie sich immer wieder dem Vorwurf einer mangelnden Verständlichkeit ausgesetzt sieht.15 Wissenschaftssprache ist meist stark
- 11 Kucharz, Alltags‑, Bildungs- und Fachsprache bei sachunterricht- lichen Themen im Übergang Kita – Grundschule. Eine Analyse exemplarischer Situationen, in: Blumberg/Niederhaus/Mischen- dahl (Hg.), Mehrsprachigkeit in der Schule, 2024, S. 39 ff.
- 12 Heppt/Schröder, Bildungssprache als übergeordnetes Ziel sprach- licher Bildung, in: Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 139–151.
- 13 Heppt/Schröder, Bildungssprache als übergeordnetes Ziel sprachli- cher Bildung, in: Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 139–151.
- 14 Kucharz, Alltags‑, Bildungs- und Fachsprache bei sachunterricht- lichen Themen im Übergang Kita – Grundschule. Eine Analyse exemplarischer Situationen, in: Blumberg/Niederhaus/Mischen- dahl (Hg.), Mehrsprachigkeit in der Schule, 2024, S. 39 ff.
- 15 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
formalisiert und normiert.16 Da sie der Formulierung von Erkenntnissen und Definitionen, der Theoriebil- dung und Klassifizierung etc. dient, ist der Anspruch „nach Verlässlichkeit und Klarheit“17 besonders hoch. Diese textbezogenen Merkmale sind von supranationa- ler Bedeutung.18
Die Fachsprache als Teil des bildungs- und wissenschafts- sprachlichen Registers schließt daran unmittelbar an. Fachtermini als überwiegend lexikalische Merkmale (z. B. Onkologie, empirische Evidenz) werden zur Klassifika- tion und Darlegung verwendet, weichen aber teilweise vom alltagssprachlichen Verständnis ab (z. B. die Begrif- fe Kraft oder Energie). Damit zeigt die Verwendung einer spezifischen Fachsprache gleichzeitig die Zugehörigkeit zur Fach-Community an und schließt andere eher aus. Mit Hilfe des fachsprachlichen Registers sollen fachwis- senschaftliche Erkenntnisse präzise und unmissver- ständlich ausgedrückt, begründet und festgehalten wer- den.19
Ein für unsere Gesellschaft relativ neues Sprachregis- ter wird für die Kommunikation mit KI gestützten digi- talen Tools benötigt. Bisher umfasste das vor allem das Finden und Eingeben passender Suchbegriffe, um eine gewünschte Information zu erhalten („googeln“). Eine neue Ära ist durch die Software ChatGPT entstanden, die es mithilfe generativer KI erlaubt, dass man mit ihr kommunizieren kann. Diese Software reagiert nicht mehr auf vorgefertigte Textbausteine, sondern ihr liegt unser Sprachsystem in seiner Vielfalt zugrunde. Die Qualität der Antworten von einer Software wie ChatG- PT hängt von der Art und Weise ab, wie man mit ihr kommuniziert. Die dabei genutzten Befehle und Strate- gien, das Prompting, steuern diese Qualität.20 So zeigen
16 Graefen/Moll, Wissenschaftssprache Deutsch. Lesen – verstehen – schreiben, 2011.
17 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 9, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
18 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
19 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
20 Kalweit/Kalweit, Warum wir neu lernen müssen, mit Maschinen zu sprechen – eine Momentaufnahme der Generativen KI im Januar 2024, ODW 2024, S. 125 ff.
306 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 303–308
Kalweit und Kalweit in ihrem Aufsatz beispielsweise: Durch klare Anweisungen in der Art der Formatierung oder der Länge der erwarteten Antwort kann man auch die Qualität und den Detailgrad anpassen“,21 was an der Art des Algorithmus liegt. Das bedeutet, dass der Mensch in der Interaktion mit einer technischen Maschine durch auf generative KI gestützte Textsoftware eine spezifische Sprache erlernen muss, um mit KI sinnvoll zu kommu- nizieren, wobei sich die Art der Interaktion, seine Mög- lichkeiten und Erträge durch immer neuere Modelle auch verändert und weiterentwickelt. So zeigen Studien, dass die Art und Weise, wie höflich oder direktiv man mit der KI kommuniziert, Auswirkungen auf die Quali- tät der Antworten hat. „Generell gilt es, die Anfragen so strukturiert wie möglich zu stellen und durch kreative Zusätze die Antworten in die richtige Ecke zu lenken. Und nicht immer die erstbeste Antwort zu akzeptie- ren.“22 Im Gegensatz zu den anderen aufgeführten Sprachregistern haben wir es bei der generativen KI mit einer rasanten Entwicklung zu tun, so dass sich die Art der Kommunikation laufend ändern wird und damit auch das Prompting – nicht nur durch die Möglichkeit der mündlichen zusätzlich zur schriftlichen Kommuni- kation, sondern auch durch die Weiterentwicklung der den Algorithmen zugrundeliegenden Modelle. Somit befindet sich das Sprachregister in ständigem Wandel.
III. Bedeutung für Menschen mit Deutsch als Fremd- sprache
Die oben beschriebenen Sprachvarietäten gibt es in jeder Nationalsprache (language) in je spezifischen Formen. Überall wird unterschieden zwischen konzeptionell mündlicher und konzeptionell schriftlicher Sprache. Manche Sprachvarietäten liegen nur konzeptionell mündlich vor wie beispielsweise das Schwyzerdütsch oder Berbersprachen. Bei der Bildungssprache handelt es sich um ein Sprachregister, das sowohl Medium als auch Lerngegenstand von Bildungseinrichtungen ist, unabhängig von der Nationalsprache. Das bedeutet, dass Menschen, die eine Bildungseinrichtung besucht haben, über ein entsprechendes Sprachregister verfügen, das prinzipiell auf eine andere Language übertragbar ist hin-
- 21 Kalweit/Kalweit, Warum wir neu lernen müssen, mit Maschinen zu sprechen – eine Momentaufnahme der Generativen KI im Januar 2024, ODW 2024, S. 129.
- 22 Kalweit/Kalweit, Warum wir neu lernen müssen, mit Maschinen zu sprechen – eine Momentaufnahme der Generativen KI im Januar 2024, ODW 2024, S. 134.
- 23 Graefen/Moll, Wissenschaftssprache Deutsch. Lesen – verstehen – schreiben, 2011.
- 24 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12,
sichtlich textbezogener Merkmale wie vollständige und komplexere Sätze, Kohärenz, Dekontextualität, Orientie- rung an der Schriftsprache, differenzierte Begriffe, Auf- bau einer Argumentation etc. In der Alltags- bzw. Umgangssprache ist eine solche Übertragbarkeit weni- ger möglich, weil jede Language über typische Idioms verfügt, die sich von anderen unterscheiden.
Vergleichbares gilt für die Fach- und Wissenschafts- sprache. Ein wissenschaftliches Sprachregister folgt, was die Funktion und die textbezogenen Merkmale angeht, in jeder Language einem vergleichbaren Muster, es ist also quasi supranational. Nichtsdestotrotz unterliegt die Bildung komplexer Sätze den Regeln der jeweiligen Lan- guage, ebenso der erforderliche Wortschatz und die Aussprache.23
Die Fachsprache als eine stärker normierte Sprache ist dagegen in vielen Disziplinen noch deutlicher inter- national. Insbesondere die Naturwissenschaften und ihnen verwandte Disziplinen haben häufig international normierte Fachbegriffe und kommunizieren generell auf Englisch. Geisteswissenschaftliche Fachdisziplinen ver- fügen – bislang – noch stärker über eine nationalsprach- lich normierte Fachsprache, insbesondere auch über Fachbegriffe, die für ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Übertragbarkeit nicht immer einfach machen.24
IV. Sprachliche Unterstützung und Förderung
Alltagssprache erwirbt ein Mensch in den ersten Lebens- jahren in seinem natürlichen Umfeld „nebenbei“ (in der Familie, Kita, Schule und von Peers). Hierbei gelingt bei ausreichendem und qualitativ hochwertigem Input in der Regel auch der Erwerb mehrerer Sprachen problem- los und ohne Zusatzunterricht.25
In den schulischen Bildungseinrichtungen wird er- wartet, dass die Schülerinnen und Schüler ein bildungs- sprachliches Register aufbauen, was benötigt wird, um z. B. Arbeitsanweisungen und Schulbuchtexte verstehen, selbst Texte produzieren und Erkenntnisse verbalisieren zu können.26
Meist wird Bildungssprache nicht explizit vermittelt, sondern vorausgesetzt. Dies benachteiligt Schülerinnen
verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
25 Tracy, Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unter- stützen können, 2008.
26 Gibbons, Unterrichtsgespräche und das Erlernen neuer Register in der Zweitsprache, in: Mecheril/Quehl (Hg.), Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule, 2006, S. 269–290.
Kucharz · Sprachverständnis und Sprachförderung in der Wissenschaft 3 0 7
und Schüler aus bildungsferneren Familien. Hier liegt eine bedeutsame Aufgabe für schulischen Unterricht vor, um das Bildungspotential von Kindern und Jugendli- chen voll ausschöpfen zu können.27
Im universitären Kontext wird von Studierenden er- wartet, dass sie ein wissenschaftliches Sprachregister er- werben, wobei sie teilweise dabei unterstützt werden. Aber auch hier wird in der Regel davon ausgegangen, dass durch die stetige Beschäftigung mit wissenschaftli- cher Sprache diese auch beiläufig erworben wird. Expli- ziter wird dagegen der Erwerb von Fachsprache gesteu- ert und unterstützt.28 Zu erwerben sind vor allem der spezifische wissenschaftliche und fachliche Wortschatz (Lexik) sowie typische Merkmale der Syntax (Satzbau). Wortschatz umfasst hierbei sowohl die Vokabel als auch die Bedeutung(en) dieses Wortes; es geht also um Be- griffsbildung, die sowohl neue Worte (z. B. Gravitation) hervorbringt als auch alltagssprachlichen Wörtern neue Bedeutung(en) zuweist (z. B. Kraft). Bzgl. der Syntax ste- hen komplexe Satzstrukturen, die durch Verschachte- lungen und Attributionen etc. logische Beziehungen ver- deutlichen (z. B. „Wenn diese Bedingungen unter einer be- sonderen Ausprägung gegeben sind, dann folgt daraus je- nes, es sei denn …“).29
Um sowohl den eher „beiläufigen“ Erwerb von Wis- senschaftssprache als auch den expliziteren Erwerb von Fachsprache zu unterstützen, ist ein häufiger Kontakt mit diesen Sprachregistern notwendig.30 Durch die stän- dige Konfrontation damit werden diese Sprachregister entwickelt, indem sie zunehmend imitiert werden. Ex- pertinnen, Experten und Dozierende können zusätzlich unterstützen durch den Einsatz sogenannter Modellie- rungsstrategien. Das bedeutet, dass unzureichende oder fehlerhafte Äußerungen aufgegriffen werden und im Sinne eines positiven korrektiven Feedbacks wissen- schafts- und fachsprachlich erweitert und verändert werden. Auf diese Weise erfahren die Lernenden direkt auf ihre Gedankengänge bezogen eine Rückmeldung, die sie sprachlich weiterbringt und ihnen eine Umsetzung erleichtert.31
- 27 Heppt/Schröder, Bildungssprache als übergeordnetes Ziel sprachli- cher Bildung, in: Becker-Mrotzek/Gogolin/Roth/Stanat (Hg.), Grundlagen der sprachlichen Bildung, 2023, S. 139–151; Feilke, Bildungssprache, 2019, verfügbar unter: https://epub.ub.uni- muenchen.de/61963/1/Feilke_Bildungssprache.pdf.
- 28 Strecker, Sprache in der Wissenschaft, WGL-Journal 1998, S. 8–12, verfügbar unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/in- dex/docId/7186/file/Strecker_Sprache_in_der_Wissenschaft_1999. pdf.
- 29 Graefen/Moll, Wissenschaftssprache Deutsch. Lesen – verstehen – schreiben, 2011.
- 30 Feilke, Bildungssprache, 2019, verfügbar unter: https://epub. ub.uni-muenchen.de/61963/1/Feilke_Bildungssprache.pdf.
Solche Strategien können auch bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland eingesetzt wer- den, die die Umgebungssprache, also in unserem Fall die deutsche Sprache, noch nicht ausreichend beherrschen. Wenn sie in ihrer Herkunftssprache über wissenschaftli- che und fachliche Sprachregister verfügen, fällt der Transfer in der Regel nicht schwer. Herausforderungen liegen im Erwerb typischer deutscher Sprachstrukturen wie beispielsweise Komposita, aber auch von Fachbegrif- fen auf Deutsch mit gegebenenfalls abweichender Bedeu- tung (z. B. Bildung).32 Hierfür sind beispielsweise die Angebote der Goethe-Institute oder der an Universitä- ten angesiedelten Sprachinstitute von Bedeutung, die sich u.a. darauf spezialisieren, Erwachsenen berufsbezo- gen deutsche Sprache zu vermitteln.33 Hier werden gezielt neben allgemeinsprachlichen Lernangeboten Kurse zur Wissenschafts- und Fachsprache für Wissen- schaftler und Studierende aus Aus- und Inland gemacht.34
Gerade beim Fremdsprachenlernen werden bereits seit mehreren Jahren KI-gestützte Tools eingesetzt, die vor allem adaptives Lernen z. B. bei Vokabeln etc. unterstützen.
Aber auch das Prompting zur Kommunikation mit KI-generierten Chatbots muss erlernt und geübt werden, denn zukünftig wird der Gebrauch dieses Sprachregis- ters gerade in Bildungs- und Wissenschaftskontexten vo- rausgesetzt werden.
V. Fazit
Sprache liegt in vielfältigen Varietäten vor, auf die man in sog. Sprachregistern in den jeweils passenden Kontexten zurückgreift. Dabei gibt es angemessene und weniger passende Register, die die jeweilige Funktion besser oder weniger gut erfüllen. Die Akzeptanz der Sprachregister verändert sich sowohl gesellschaftlich bedingt als auch über das Lebensalter und den Kontext. Inzwischen wer- den Dialekte als schützenswert angesehen, während sie in der Mitte des letzten Jahrhunderts eher marginalisiert wurden. Sprachregister unterliegen einem ständigen
31 Kucharz, Alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Förderung im Elementarbereich, in: Titz/Geyer/Ropeter/Wagner/Weber/ Hasselhorn (Hg.), Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförde- rung entwickeln, 2018, S. 214 ff.
32 Graefen/Moll, Wissenschaftssprache Deutsch. Lesen – verstehen – schreiben, 2011.
33 Goethe-Institut Deutschland, Aufgaben und Ziele, https://www. goethe.de/ins/de/de/uun/auf.html.
34 S. z. B. Sprachenzentrum Universität Stuttgart, Angebot, www. sz.uni-stuttgart.de.
308 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2024), 303–308
Wandel, insbesondere Register wie die Jugendsprache, oder entstehen neu wie beispielsweise zur Kommunika- tion mit KI-generierten Chatbots. Je besser ein jeweiliges Sprachregister beherrscht wird, also je genauer kontext- und regelangemessen agiert wird, umso gewinnbringen- der kann kommuniziert werden. Auch die auf der Grundlage von Large Language Models trainierten Chat- bots verfügen über verschieden Sprachregister, was für den erwarteten Output relevant ist. Soll z. B. ein wissen- schaftlicher Output generiert werden, kann es entschei- dend sein, entsprechende sprachliche Mittel für das Prompting zu verwenden.
Für die Kommunikation im wissenschaftlichen Kon- text ist ein entsprechendes Sprachregister notwendig, das neben diskursiven Elementen über die relevanten fachspezifischen Termini und normierten Formulierun- gen verfügt. Durch die starke Standardisierung wissen- schaftlicher Fachsprache ist eine internationale Verstän- digung erleichtert, so dass es für Wissenschaftler mit grundlegenden Kenntnissen in der jeweiligen Fremd- sprache möglich ist, fachlich mit Kollegen in Austausch zu treten. Dies gelingt unter Umständen leichter als in ei- nem umgangssprachlichen Kontext, weil dort verwende- te Idioms und dialektale Einfärbungen etc. typisch für jede Sprache (language) sind und eine Verständigung unter Umständen erschweren.
Die Möglichkeiten, die sich durch die mit Large Langua- ge Models generierten Chatbots bieten werden, lassen sich bislang eher mutmaßen.35 So ist es denkbar, dass sich sowohl die Bedeutung von Nationalsprachen als auch von Sprachregistern verändert und abnimmt, weil KI- generierte Texte in jeweils andere Nationalsprachen und Sprachregister übertragen bzw. übersetzt werden kön- nen. Damit würde sich die Zugehörigkeit z. B. zu einer Fach-Community nicht mehr über die fachspezifische Wissenschaftssprache erweisen, denn Menschen mit anderenNationalsprachenundanderenSprachregistern könnten einen erleichterten Zugang erhalten. Welche Vor- und Nachteile bzgl. Verständlichkeit, Partizipation einerseits und Verwässerung, Uneindeutigkeit anderer- seits daraus folgen, wird zu diskutieren sein.
Diemut Kucharz, Professorin für Erziehungswissen- schaft mit den Schwerpunkten Grundschulpädagogik und Sachunterricht an der Goethe-Universität Frank- furt, forscht u.a. im Bereich alltagsintegrierte Sprach- bildung und ‑förderung in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen.
35 Verschiedene Institutionen, die sich mit Kultur und Sprache beschäftigen, setzen sich derzeit mit der Bedeutung von KI für
die Sprache auseinander: neben Universitäten, Goethe-Instituten, Zeitschriften und Verlagen auch kulturelle Einrichtungen wie z. B. die Stiftung Lyrik Kabinett München (https://www.lyrik-kabinett. de/veranstaltungen).