Der Beitrag liefert eine Übersicht über und Anmerkung
zum Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –1 und dem zugrundelie-
genden Sachverhalt. Die streitentscheidenden Normen
sind Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 GG. Das Verfah-
ren war Gegenstand eines bundesweiten medialen Inter-
esses.2 Grund hierfür ist die thematische Einbettung in
die gesellschaftspolitischen Konflikte über die Bedeu-
tung und Abgrenzung von Geschlechtsidentität und bio-
logischem Geschlecht sowie über den Umgang von Uni-
versitäten mit kontroversen Meinungen ihrer korporier-
ten Mitglieder.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Die Antragstellerin, Marie-Luise Vollbrecht, ist Promoti-
onsstudentin und war bis Oktober 2022 wissenschaftli-
che Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Ber-
lin (Antragsgegnerin).
Am 1. Juni 2022 verfasste sie in der überregionalen
Tageszeitung Die Welt zusammen mit anderen Wissen-
schaftlern aus dem Bereich der Biologie und Medizin ei-
nen als „Meinung“ gekennzeichneten Beitrag mit der
Überschrift „Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktri-
nieren“. Inhalt des Beitrags ist der Vorwurf an den öffent-
lich-rechtlichen Rundfunk, dass in dessen Sendungen
„die bestätigte wissenschaftliche Erkenntnis der Zweige-
schlechtlichkeit infrage gestellt“ und „eine bedrohliche
Agenda“ verfolgt würde.3
Am 2. Juli 2022 wollte die Antragstellerin unter dem
Titel „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und
warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ einen
Vortrag im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft
halten. Die Antragsgegnerin sagte den Vortrag kurzfris-
tig ab und begründete dies auf ihrer Website in folgender
Stellungnahme:
„[…] Der Vortrag [der Antragstellerin] musste im
Interesse der Gesamtveranstaltung Lange Nacht der
Wissenschaften abgesagt werden. Grund dafür waren
Proteste gegen die Vortragende, die wegen ihrer Mitar-
beit an einem Artikel in der „Welt“ Anfang Juni massiv in
die öffentliche Kritik geraten ist. […] Die Kritik an der
Vortragenden war mit dem Vorwurf verbunden, die HU
würde transfeindlichen Überzeugungen eine Bühne bie-
ten. Grundsätzlich versteht sich die Humboldt-Universi-
tät als ein Ort, an dem kein Mensch diskriminiert wer-
den sollte, sei es wegen seiner Religion, seiner vermeint-
lichen Rasse, seiner sexuellen Identität oder wegen ir-
gendeines anderen Merkmals, das als
Unterscheidungsmerkmal angesehen wird. Die HU hat
sich in ihrem Leitbild dem „wechselseitigen Respekt vor
dem/ der Anderen“ verpflichtet. Die Meinungen, die Frau
Vollbrecht in einem „Welt“-Artikel am 1. Juni 2022 vertre-
ten hat, stehen nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU
und den von ihr vertretenen Werten. […]“4
Die Antragstellerin behauptet, sie sei in der Folge
massiv angefeindet worden und beantragt im Rahmen
der einstweiligen Anordnung die Unterlassung des
durch den Verfasser hervorgehobenen Satzes der zitier-
ten Stellungnahme.
Theodor Lammich
Universitäten haben kein Recht auf
Meinungskampfteilhabe
1
BeckRS 2023, 38682.
2
De la Riva, Marie-Luise Vollbrecht siegt vor Gericht im Genderstreit
gegen Humboldt-Uni, Faz.net, 08.12.2023, abrufbar unter:
gender-an-der-hu-berlin-vollbrecht-siegt-vor-gericht-19369188.
html; Vahabzadeh, Was man sagen darf, Sz.de, 08.12.2023,
arufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/medien/marie-
luise-vollbrecht-humboldt-universitaet-transgender-gericht-
1.6316610?reduced=true; Selbs t in der Schweiz wurde die
Entscheidung diskutiert: Maksan, Trans-Streit: Die Biologin
Marie-Luise Vollbrecht erringt einen Sieg gegen die Humboldt-
Universität, Nzz.ch, 07.12.2023, abrufbar unter: https://www.nzz.
ch/international/trans‑s treit-die-biologin-marie-luise-vollbrecht-
erringt-einen-sieg-gegen-die-humboldt-universitaet-ld.1769147.
3
Hümpel et al., Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren,
Welt.de, 01.06.2022, abrufbar unter: https://www.welt.de/debatte/
kommentare/plus239113451/Oeffentlich-rechtlicher-Rundfunk-
Wie-ARD-und-ZDF-unsere-Kinder-indoktrinieren.html.
4
Urs prünglich: Humboldt-Universität zu Berlin, Zur Absage des
Vortrags „Geschlecht is t nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und
warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ bei der Langen
Nacht der Wissenschaften 2022, Hu-berlin.de, damals abrufbar
unter: https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/juli-2022/
nr-2274–2. Inzwischen is t der Text abrufbar unter der Website
des Prozessvertreters der Antrags tellerin: HÖCKER Rechtsan-
wälte, Erfolg gegen Cancel Culture an Universitäten, Hoecker.
eu, 05.12.2023, abrufbar unter: https://www.hoecker.eu/news/
erfolg-gegen-cancel-culture-an-universit%C3%A4ten-verwal-
tungsgericht-berlin-verbietet-humboldt-uni-absch%C3%A4tzige-
pressemitteilung-%C3%BCber-biologin-marie-luise-vollbrecht.
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8
2 2 4
5 Die Frage des eröffneten Rechtswegs is t vor dem Hintergrund,
dass die Antrags tellerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig
war, ebenfalls interessant, bleibt jedoch hier ausgeklammert. Be-
antragt wurde urs prünglich ein Verfahren vor dem ArbG Berlin,
welches s päter, bes tätigt mit dem Beschluss des LAG Berlin an
das VG Berlin verwiesen hat.
6
BeckOK GG/Lang, 57. Ed. 15.1.2024, GG Art. 2 Rn. 66; Dürig/
Herzog/Scholz/Di Fabio, 102. EL Augus t 2023, GG Art. 2 Abs. 1
Rn. 148; ErfK/Schmidt, 24. Aufl. 2024, GG Art. 2 Rn. 34; Martini,
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Spiegel der jüngeren
Rechts prechung des Bundesverfassungsgerichts, JA 2009, 839, 841
7
Beis pielsweise § 44 LMG NRW, § 11 LMG RLP, § 11 LPG BW.
8
BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 –, BVerfGE 7,
198–230.
9
BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1963 – 1 BvR 316/60 –, BVerfGE
15, 256–268, Rn. 22; BeckOK GG/Kempen, 56. Ed. 15.8.2023,
GG Art. 5 Rn. 185.
10
BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 6 C 7/13 –, Rn. 20, juris;
BVerwG, Beschluss vom 29. April 1985 – 1 B 149/84 –, Rn. 9, juris.
II. Probleme
Im Folgenden sollen drei wesentliche Fragestellungen
des Rechtsstreits erörtert werden.5
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das sich aus
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ableiten lässt, hat
vielfältige Schutzdimensionen.6 Die wohl umfangreichs-
te Dimension ist das der Selbstdarstellung, gewährleistet
etwa durch das Recht am eigenen Bild, am eigenen Na-
men oder auch dem Schutz der persönlichen Ehre. Zur
Konkretisierung dieser Schutzbereiche finden sich etli-
che einfachgesetzliche etwa in §§ 22–24 KunstUrhG oder
in Form des Rechts auf Gegendarstellung in den jeweili-
gen Landesmediengesetzen7. In besonders schwerwie-
genden Fällen greift auch das Strafrecht, etwa bei Belei-
digungen nach §§ 185 ff. StGB oder bei der Verletzung
der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB. Vorlie-
gend hat die Antragsgegnerin nach außen hin behauptet,
dass die Meinungen der Antragstellerin nicht im Ein-
klang mit dem Universitätsleitbild des wechselseitigen
Respekts vor dem Anderen stünden. Problematisch ist,
dass sich diese Äußerung zwar zweifellos abträglich auf
das Ansehen der Antragstellerin auswirkt, jedoch nicht
im engeren Sinne ehrverletzend ist, wie man es etwa im
strafrechtlichen Kontext vorfindet. Damit stellt sich die
Frage der Reichweite des allgemeinen Persönlichkeits-
rechts.
2. Universitäten sind juristische Personen des öffent-
lichen Rechts. Damit fehlt ihnen grundsätzlich die
Grundrechtssubjektivität, denn Grundrechte sind in ers-
ter Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.8
Eine Ausnahme gilt dann, wenn sie außerhalb des Dele-
gationsmodells dezentralisierter staatlicher Aufgaben-
wahrnehmung liegen und selbst Grundrechte in einem
Bereich verteidigen, in dem sie vom Staat unabhängig
sind. Das ist bei den deutschen Universitäten der Fall. Sie
sind zwar regelmäßig vom Staat gegründet und werden
von ihm unterhalten, können sich aber in einer gleicher-
maßen grundrechtstypischen Gefährdungslage wie die
Bürger befinden.9 Es stellt sich die Frage, inwiefern die
Antragsgegnerin bei der Publikation ihrer Stellungnah-
me ausnahmsweise als Grundrechtssubjekt agierte.
3. Schließlich ist die Antragsgegnerin nach
§ 5 Abs. 1 BerlHG dazu verpflichtet, die freie Entfaltung
und Vielfalt der Wissenschaften und der Künste an den
Hochschulen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass
die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verbürgten Grundrechte
wahrgenommen werden können. Sollte sich die An-
tragsgegnerin nicht bereits auf ein eigenes Grundrecht
berufen können, so stellt sich die Frage, ob sich die Stel-
lungnahme nicht durch die Pflicht der Wahrung des öf-
fentlichen Vertrauens in die genannten Aufgaben
rechtfertigt.
III. Lösung des VG Berlin
Die 12. Kammer des VG Berlin sah den Antrag nach
§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO als begründet an, da ein Anord-
nungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft
gemacht worden seien. Bei der Prüfung des Anord-
nungsanspruchs wurde der gewohnheitsrechtlich aner-
kannte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch her-
angezogen. Dieser setzt die begründete Besorgnis vor-
aus, der Antragsgegner werde künftig durch sein
hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte
Rechts- und Freiheitssphäre, hier das allgemeine Persön-
lichkeitsrecht, der Antragstellerin eingreifen.10
1. Bei der Frage zum sachlichen Schutzbereich des
Persönlichkeitsrechts stellt das VG Berlin fest:
„Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeits-
rechts erfasst die persönlichen Lebenssphären und die
Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 25. Oktober 2005 – 1 BvR 1696/98 – juris
Rn. 25). Dieses schützt, ohne seinem Träger einen An-
spruch darauf zu vermitteln, nur so dargestellt zu wer-
den, wie es ihm genehm ist, nicht nur die Ehre, sondern
auch weitere Aspekte des sozialen Geltungsanspruchs ei-
ner Person. Namentlich umfasst es den Schutz vor Äuße-
rungen, die – ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu
sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des
Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. BVer-
wG, Urteil vom 29. Juni 2022 – 6 C 11.20 – juris Rn. 20;
BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005 – 1 BvR 1696/98
– juris Rn. 25). So umfasst das allgemeine Persönlich-Lammich · Universitäten haben kein Recht auf Meinungskampfteilhabe 2 2 5
11
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 21, juris
12
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 24, juris.
13
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 28, juris.
14
Beis pielsweise zur diskriminierenden Wirkung des Personen-
s tandsrechts BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR
2019/16 –, BVerfGE 147, 1–31; zur Beeinflussung des juris tischen
Sprachgebrauchs siehe Lammich, Der Sexus im juris tischen
Sprachgebrauch, OdW 2022, 55 ff.
keitsrecht unter anderem den Anspruch, durch die
Staatsgewalt nicht mit rufschädigenden Äußerungen
überzogen zu werden, die sich außerhalb der verfas-
sungsmäßigen Ordnung bewegen und schützt insbeson-
dere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellun-
gen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die
Persönlichkeitsentfaltung sind (BVerfG, Beschluss vom
17. August 2010 – 1 BvR 2585/06 – juris Rn. 21; Beschluss
vom 25. Oktober 2005 – 1 BvR 1696/98 – juris Rn. 25
m. w. N.).“11
2. Dem Gedanken, die Antragsgegnerin könnte sich
hier auf ihre im wissenschaftlichen Raum bestehende
Meinungsfreiheit berufen, erteilt das VG Berlin eine
Absage:
„Die vollziehende Gewalt ist zu rufbeeinträchtigen-
den Äußerungen grundsätzlich nur befugt, wenn und
soweit diese auf einer gesetzlichen Ermächtigung beru-
hen, denn Hoheitsträgern steht mangels Grundrechtsbe-
rechtigung kein Recht zur Teilhabe am „Meinungs-
kampf “ zu. Sie befinden sich nicht in einem „freien
Kommunikations- und Interaktionszusammenhang”
mit den Bürgern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Au-
gust 2010 – 1 BvR 2585/06 – juris Rn. 23). Dies gilt auch
für Universitäten, denen zwar im wissenschaftlichen
Kontext Meinungsfreiheit aus
Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zukommt,
welche sie jedoch nicht gegenüber ihren korporierten
Mitgliedern – hier der Antragstellerin als Promotions-
studentin – in Ansatz bringen können. Denn im Verhält-
nis zu diesen treten sie selbst als Trägerinnen hoheitli-
cher Gewalt auf; sie können insoweit das ihnen zuste-
hende Abwehrrecht gegen Eingriffe anderer Träger ho-
heitlicher Gewalt nicht als Eingriffsrecht gegenüber
Studierenden anführen (vgl. Hessischer Verwaltungsge-
richtshof, Beschluss vom 19. Juli 2004 – 8 TG 107/04 –
juris Rn. 13).“12
3. Als gesetzliche Ermächtigung, die es für die An-
tragsgegnerin, die sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen
kann, braucht, kann nach den Feststellungen der
12. Kammer auch nicht das Interesse an der Wahrung des
öffentlichen Vertrauens in ihre Aufgabenwahrnehmung
nach § 5 Abs. 1 BerlHG herangezogen werden:
„Es bestehen schon Zweifel, ob ein objektiver Emp-
fänger den biographischen Zusatz „ist Doktorandin der
Biologie an der (Antragsgegnerin)“ am Ende des Arti-
kels dahingehend verstehen darf oder gar muss, dass die
Antragstellerin für sich beansprucht, ihre Meinung stell-
vertretend für die Antragsgegnerin zu verbreiten oder
diese mit ihrer Meinung zu assoziieren. Denn der Arti-
kel wurde von vier weiteren, nicht an der Antragsgegne-
rin beschäftigten Personen unterzeichnet, nimmt in sei-
nem Volltext Bezug auf „120 Wissenschaftler, Mediziner,
Psychologen, Pädagogen und Vertreter anderer Professionen
aus ganz Deutschland“ und führt die Anstellung
als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Antragsgegnerin
nicht auf. Dass die Antragstellerin als einfache Dokto-
randin offiziell für die Antragsgegnerin auftritt, wird der
durchschnittliche Leser danach nicht erwarten. Selbst
wenn man von einem solchen Eindruck ausgehen wollte,
hätte im hier zu entscheidenden Einzelfall beispielsweise
der klarstellende Hinweis genügt, dass die Antragstelle-
rin lediglich ihre private Meinung verbreitet und nicht
für die Antragsgegnerin gesprochen habe. Einer inhaltli-
chen Bewertung der Ansichten der Antragstellerin, zu-
mal unter Nennung ihres Namens, bedurfte es hingegen
nicht.“13
IV. Anmerkung zu Entscheidung und Sachverhalt
Wie eingangs ausgeführt, genießt die Entscheidung eine
besondere öffentliche Aufmerksamkeit, da ihr Tatbe-
stand gleich zwei gesellschaftspolitische Konfliktfelder
berührt: zum einen das Reizthema des Geschlechtsbe-
griffes, zum anderen die Frage des Umgangs von Univer-
sitäten mit kontroversen Meinungen ihrer korporierten
Mitglieder.
Das erste Thema ist in der Regel nur in Bezug auf
Kollateralfragen14 für eine umfassende juristische Auf-
klärung empfänglich und soll hier nicht weiter themati-
siert werden. Anders ist das bei der Kontroverse um den
Umgang der Alma Mater mit ihren Studenten und Pro-
fessoren gelagert. Die in mehrfacher Hinsicht tief ver-
grundrechtlichte Stellung der Universitäten präsentiert
diesen hochschulbezogenen Zweig der sog. Cancel-Cul-
ture-Debatte als freiheitsrechtliches Forschungsobjekt.
Auch wenn das VG Berlin vorliegend nicht über die Ab-
sage des Vortrags als solche entschieden hat, so hat es in
überzeugender Weise rechtliche Grenzen dessen aufge‑O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8
2 2 6
15
So bezeichnet im Manifes t des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit,
einem Verein von über 700 forschenden und lehrenden Wissen-
schaftlern meis t deutscher Hochschulen, abrufbar unter: https://
www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/manifes t/. Vgl.
auch die Gründungserklärung des s tudentischen Partnervereins
Studentische Initiative Hochschuldialog, abrufbar unter: https://
www.sih-ev.de/gründungserklärung.
16
BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 185/77 –, BVerfGE 54,
148–158, Rn. 16.
17
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1861/93 –,
BVerfGE 97, 125–156; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005
– 1 BvR 1696/98 –, BVerfGE 114, 339–356, Rn. 25; BVerfG, Stattge-
bender Kammerbeschluss vom 17. Augus t 2010 – 1 BvR 2585/06 –,
juris.
18
BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 185/77 –, BVerfGE 54,
148–158, Rn. 2.
19
BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 – 1 BvR 1531/96 –,
BVerfGE 99, 185–202, Rn. 42.
20
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 26, juris.
21
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. September 2010
– 1 BvR 1890/08 –, BVerfGK 18, 33–42, Rn. 23.
22
Martini, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Spiegel der jün-
geren Rechts prechung des Bundesverfassungsgerichts, JA 2009,
839.
23
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1963 – 1 BvR 316/60 –,
BVerfGE 15, 256–268, Rn. 23.
24
BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE
59, 231–240, Rn. 23.
25
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 24, juris.
26
BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE
59, 231–240, Rn. 24.
27
VG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23 –,
Rn. 28, juris.
28
Ihnen is t bei der Behandlung hochschulpolitischer Themen ein
„Brückenschlag“ zu allgemeinpolitischen Frages tellungen erlaubt,
wenn und soweit hochschulpolitische Belange im Schwerpunkt
betroffen sind. Dies is t allerdings keine Frage der Grundrechts-
subjektivität als solche, sondern eine Frage des diese eingren-
zenden Kompetenzumfangs, vgl. VG Köln, Beschluss vom 24.
November 2023 – 6 L 2352/23 –, Rn. 23, juris.
zeigt, was Interessenverbände als „weltanschauliche Nor-
mierung von Forschung und Lehre“ beklagen.15
Diese rechtlichen Grenzen sind in dem vorliegenden Fall
das Ergebnis gefestigter Rechtsprechung und fundamen-
taler staatsrechtlicher Grundsätze.
Spätestens seit der Eppler-Entscheidung16 ständige
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts17 ist die
Erkenntnis, dass sich das allgemeine Persönlichkeits-
recht nicht im Ehrschutz erschöpft, sondern den gesam-
ten vom Betroffenen selbst definierten sozialen Gel-
tungsanspruch umfasst. So ging es in der Eppler-Ent-
scheidung etwa um einen Politiker, dem die – für sich
nicht unehrenhafte – Forderung in den Mund gelegt
worden ist, man möchte „die Belastbarkeit der Wirt-
schaft prüfen“.18 Auch ohne Ehrenrührigkeit können sol-
che Äußerungen im Einzelfall das Ansehen des Einzel-
nen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und
infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben. Sie
sind für die Persönlichkeit mithin nicht weniger konsti-
tuierend als die Ehre.19 Im vorliegenden Fall kann kein
Zweifel daran bestehen, dass die Aussage, die Artikel-
Meinungen der Antragstellerin stünden nicht im Ein-
klang mit dem Leitbild des wechselseitigen Respekts vor
dem Anderen, das Ansehen des Betroffenen schmälern
kann. Gar nicht erforderlich war der vom Gericht heran-
gezogene20 Maßstab, wonach die für die Antragsgegne-
rin ungünstigste Lesart zu bewerten ist21, da es nach hier
vertretener Auffassung schlicht an alternativen Lesarten
fehlt.
Weitaus staatskonstituierender als die Einzelfall-
reichweite des sich ohnehin ständig im Wandel befindli-
chen allgemeinen Persönlichkeitsrechts22 ist die Grund-
rechtssubjektivität staatlicher Einrichtungen. Die von
der allgemeinen Verwaltung daher auch losgelöste23 An-
tragsgegnerin verteidigt zwar ihrer Natur nach in be-
stimmten Fällen Grundrechte nach Art. 5 Abs. 3 GG. Die
ihr in diesem Fall zustehenden Freiheitsrechte können
aber nicht zu Eingriffsrechten zum Nachteil derer per-
vertiert werden, die wiederum vor ihr Schutz suchen.24
Während das VG Berlin hierauf hinweist25, findet sich
aber noch ein weiterer Grund für die fehlende Grund-
rechtssubjektivität darin, dass jede Körperschaft im Sin-
ne des Art. 19 Abs. 3 GG ungeachtet ihrer staatlichen
oder nicht-staatlichen Natur durch ihre Kompetenz be-
grenzt wird.26 Zwar beschäftigt sich das Gericht mit einer
möglicherweise zugewiesenen Kompetenz zur Wahrung
des öffentlichen Vertrauens in die Wahrnehmung der
Aufgaben nach § 5 BerlHG. Dies geschieht aber erst in-
nerhalb einer – letztlich auch sachentscheidenden – Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung, die „jedenfalls“ zum Nachteil
der Antragsgegnerin ausfällt.27 Auch die vom Gericht zu-
recht verneinte Frage, ob ein objektiver Betrachter die
Antragstellerin möglicherweise als Stellvertreterin der
Antragsgegnerin verstehen dufte, ist folglich mittelbar
eine Frage der Grundrechtssubjektivität. Denn nur unter
dieser Bedingung kommt eine Handlungskompetenz
zwecks Wahrung des öffentlichen Vertrauens überhaupt
in Betracht.
Allgemein hochschulpolitisch interessant bei dem
Selbstverständnis der Antragsgegnerin ist die Nähe zu
einem altbekannten Streitpunkt: Seit den 1960er Jahren
wird das schier unstillbare Bedürfnis verfasster Studen-
tenschaften nach einem allgemeinpolitischen Mandat
mit ebenjener geschilderten Argumentation im Prinzip28Lammich · Universitäten haben kein Recht auf Meinungskampfteilhabe 2 2 7
29
Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 58/78 –,
BVerwGE 59, 231–240, Rn. 23; Hessischer Verwaltungsgerichts-
hof, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 8 TM 354/98 –, Rn. 6, juris;
VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2008 – 12 A 22.08 –, Rn. 14,
juris; Oberverwaltungsgericht der Freien Hanses tadt Bremen,
Beschluss vom 26. Juli 1999 – 1 A 165/99 –, Rn. 5 juris.
30
Regelmäßig Studentenverbindungen, aber auch völlig universi-
tätsferne Akteure wie die Bundeswehr, vgl. VG Bremen, Urteil
vom 12. Juni 2020 – 2 K 2248/17 –, Rn. 3, juris.
31
Manch einer würde sagen „fortsetzt“.
zurückgewiesen.29 Auch in diesen Fällen ging es um
Kompetenzüberschreitungen durch Aussagen zulasten
politisch unliebsamer Akteure30 und auch hier schlugen
Versuche fehl, sich auf die partiell gestattete Grund-
rechtssubjektivität zu stützen. Vor diesem Hintergrund
bleibt es nur zu hoffen, dass das Verhalten der Antrags-
gegnerin keinen gleichlaufend zähen wie unergiebigen
Trend auf Ebene der Universitätsverwaltungen in Gang
setzt31
.
Rechtsassessor Dr. Theodor Lammich absolviert einen
Master of Laws (LL.M.) an der Universität Edinburgh. Er
ist Postgraduiertensprecher der Edinburgh Law School
sowie Vorsitzender des Vereins Studentische Initiative
Hochschuldialog e.V.O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8
2 2 8