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Der Bei­trag lie­fert eine Über­sicht über und Anmerkung

zum Beschluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin vom

1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –1 und dem zugrundelie-

gen­den Sach­ver­halt. Die streit­ent­schei­den­den Normen

sind Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 GG. Das Verfah-

ren war Gegen­stand eines bun­des­wei­ten media­len Inter-

esses.2 Grund hier­für ist die the­ma­ti­sche Ein­bet­tung in

die gesell­schafts­po­li­ti­schen Kon­flik­te über die Bedeu-

tung und Abgren­zung von Geschlechts­iden­ti­tät und bio-

logi­schem Geschlecht sowie über den Umgang von Uni-

ver­si­tä­ten mit kon­tro­ver­sen Mei­nun­gen ihrer korporier-

ten Mit­glie­der.

I. Sach­ver­halt (ver­ein­facht)

Die Antrag­stel­le­rin, Marie-Lui­se Voll­brecht, ist Promoti-

ons­stu­den­tin und war bis Okto­ber 2022 wissenschaftli-

che Mit­ar­bei­te­rin an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber-

lin (Antrags­geg­ne­rin).

Am 1. Juni 2022 ver­fass­te sie in der überregionalen

Tages­zei­tung Die Welt zusam­men mit ande­ren Wissen-

schaft­lern aus dem Bereich der Bio­lo­gie und Medi­zin ei-

nen als „Mei­nung“ gekenn­zeich­ne­ten Bei­trag mit der

Über­schrift „Wie ARD und ZDF unse­re Kin­der indoktri-

nie­ren“. Inhalt des Bei­trags ist der Vor­wurf an den öffent-

lich-recht­li­chen Rund­funk, dass in des­sen Sendungen

„die bestä­tig­te wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis der Zweige-

schlecht­lich­keit infra­ge gestellt“ und „eine bedrohliche

Agen­da“ ver­folgt würde.3

Am 2. Juli 2022 woll­te die Antrag­stel­le­rin unter dem

Titel „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gen­der und

war­um es in der Bio­lo­gie zwei Geschlech­ter gibt“ einen

Vor­trag im Rah­men der Lan­gen Nacht der Wissenschaft

hal­ten. Die Antrags­geg­ne­rin sag­te den Vor­trag kurzfris-

tig ab und begrün­de­te dies auf ihrer Web­site in folgender

Stel­lung­nah­me:

„[…] Der Vor­trag [der Antrag­stel­le­rin] muss­te im

Inter­es­se der Gesamt­ver­an­stal­tung Lan­ge Nacht der

Wis­sen­schaf­ten abge­sagt wer­den. Grund dafür waren

Pro­tes­te gegen die Vor­tra­gen­de, die wegen ihrer Mitar-

beit an einem Arti­kel in der „Welt“ Anfang Juni mas­siv in

die öffent­li­che Kri­tik gera­ten ist. […] Die Kri­tik an der

Vor­tra­gen­den war mit dem Vor­wurf ver­bun­den, die HU

wür­de trans­feind­li­chen Über­zeu­gun­gen eine Büh­ne bie-

ten. Grund­sätz­lich ver­steht sich die Humboldt-Universi-

tät als ein Ort, an dem kein Mensch dis­kri­mi­niert wer-

den soll­te, sei es wegen sei­ner Reli­gi­on, sei­ner vermeint-

lichen Ras­se, sei­ner sexu­el­len Iden­ti­tät oder wegen ir-

gend­ei­nes ande­ren Merk­mals, das als

Unter­schei­dungs­merk­mal ange­se­hen wird. Die HU hat

sich in ihrem Leit­bild dem „wech­sel­sei­ti­gen Respekt vor

dem/ der Ande­ren“ ver­pflich­tet. Die Mei­nun­gen, die Frau

Voll­brecht in einem „Welt“-Artikel am 1. Juni 2022 vertre-

ten hat, ste­hen nicht im Ein­klang mit dem Leit­bild der HU

und den von ihr ver­tre­te­nen Wer­ten. […]“4

Die Antrag­stel­le­rin behaup­tet, sie sei in der Folge

mas­siv ange­fein­det wor­den und bean­tragt im Rahmen

der einst­wei­li­gen Anord­nung die Unter­las­sung des

durch den Ver­fas­ser her­vor­ge­ho­be­nen Sat­zes der zitier-

ten Stel­lung­nah­me.

Theo­dor Lammich

Uni­ver­si­tä­ten haben kein Recht auf

Mei­nungs­kampf­teil­ha­be

1

Beck­RS 2023, 38682.

2

De la Riva, Marie-Lui­se Voll­brecht siegt vor Gericht im Genderstreit

gegen Hum­boldt-Uni, Faz.net, 08.12.2023, abruf­bar unter:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/vortrag-zu-geschlecht-und-

gen­der-an-der-hu-ber­lin-voll­brecht-siegt-vor-gericht-19369188.

html; Vahabzadeh, Was man sagen darf, Sz.de, 08.12.2023,

aruf­bar unter: https://www.sueddeutsche.de/medien/marie-

lui­se-voll­brecht-hum­boldt-uni­ver­si­taet-trans­gen­der-gericht-

1.6316610?reduced=true; Selbs­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­‌ t in der Schweiz wur­de die

Ent­schei­dung dis­ku­tiert: Maksan, Trans-Streit: Die Biologin

Marie-Lui­se Voll­brecht erringt einen Sieg gegen die Humboldt-

Uni­ver­si­tät, Nzz.ch, 07.12.2023, abruf­bar unter: https://www.nzz.

ch/international/trans‑s­­­­­­­­‌ treit-die-biologin-marie-luise-vollbrecht-

erringt-einen-sieg-gegen-die-humboldt-universitaet-ld.1769147.

3

Hüm­pel et al., Wie ARD und ZDF unse­re Kin­der indoktrinieren,

Welt.de, 01.06.2022, abruf­bar unter: https://www.welt.de/debatte/

kom­men­ta­re/­plus­239113451/Oef­fent­lich-recht­li­cher-Rund­funk-

Wie-ARD-und-ZDF-unsere-Kinder-indoktrinieren.html.

4

Urs‌‌­­­­­­­­­ prüng­lich: Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin, Zur Absa­ge des

Vor­trags „Geschlecht is‌ t nicht (Ge)schlecht: Sex, Gen­der und

war­um es in der Bio­lo­gie zwei Geschlech­ter gibt“ bei der Langen

Nacht der Wis­sen­schaf­ten 2022, Hu-berlin.de, damals abrufbar

unter: https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/juli-2022/

nr-2274–2. Inzwi­schen is‌ t der Text abruf­bar unter der Website

des Pro­zess­ver­tre­ters der Antrags‌ tel­lerin: HÖCKER Rechtsan-

wäl­te, Erfolg gegen Can­cel Cul­tu­re an Uni­ver­si­tä­ten, Hoecker.

eu, 05.12.2023, abruf­bar unter: https://www.hoecker.eu/news/

erfolg-gegen-cancel-culture-an-universit%C3%A4ten-verwal-

tungsgericht-berlin-verbietet-humboldt-uni-absch%C3%A4tzige-

pressemitteilung-%C3%BCber-biologin-marie-luise-vollbrecht.

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2024, ISSN 2197–9197O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8

2 2 4

5 Die Fra­ge des eröff­ne­ten Rechts­wegs is‌ t vor dem Hintergrund,

dass die Antrags‌ tel­lerin als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin tätig

war, eben­falls inter­es­sant, bleibt jedoch hier aus­ge­klam­mert. Be-

antragt wur­de urs‌ prüng­lich ein Ver­fah­ren vor dem ArbG Berlin,

wel­ches s‌ päter, bes‌ tätigt mit dem Beschluss des LAG Ber­lin an

das VG Ber­lin ver­wie­sen hat.

6

Beck­OK GG/Lang, 57. Ed. 15.1.2024, GG Art. 2 Rn. 66; Dürig/

Herzog/Scholz/Di Fabio, 102. EL Augus‌ t 2023, GG Art. 2 Abs. 1

Rn. 148; ErfK/Schmidt, 24. Aufl. 2024, GG Art. 2 Rn. 34; Martini,

Das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht im Spie­gel der jüngeren

Rechts‌ pre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, JA 2009, 839, 841

7

Beis‌ piels­wei­se § 44 LMG NRW, § 11 LMG RLP, § 11 LPG BW.

8

BVerfG, Urteil vom 15. Janu­ar 1958 – 1 BvR 400/51 –, BVerfGE 7,

198–230.

9

BVerfG, Beschluss vom 16. Janu­ar 1963 – 1 BvR 316/60 –, BVerfGE

15, 256–268, Rn. 22; Beck­OK GG/Kempen, 56. Ed. 15.8.2023,

GG Art. 5 Rn. 185.

10

BVerwG, Urteil vom 22. Okto­ber 2014 – 6 C 7/13 –, Rn. 20, juris;

BVerwG, Beschluss vom 29. April 1985 – 1 B 149/84 –, Rn. 9, juris.

II. Pro­ble­me

Im Fol­gen­den sol­len drei wesent­li­che Fragestellungen

des Rechts­streits erör­tert werden.5

1. Das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht, das sich aus

Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ablei­ten lässt, hat

viel­fäl­ti­ge Schutzdimensionen.6 Die wohl umfangreichs-

te Dimen­si­on ist das der Selbst­dar­stel­lung, gewährleistet

etwa durch das Recht am eige­nen Bild, am eige­nen Na-

men oder auch dem Schutz der per­sön­li­chen Ehre. Zur

Kon­kre­ti­sie­rung die­ser Schutz­be­rei­che fin­den sich etli-

che ein­fach­ge­setz­li­che etwa in §§ 22–24 Kunst­UrhG oder

in Form des Rechts auf Gegen­dar­stel­lung in den jeweili-

gen Landesmediengesetzen7. In beson­ders schwerwie-

gen­den Fäl­len greift auch das Straf­recht, etwa bei Belei-

digun­gen nach §§ 185 ff. StGB oder bei der Verletzung

der Ver­trau­lich­keit des Wor­tes nach § 201 StGB. Vorlie-

gend hat die Antrags­geg­ne­rin nach außen hin behauptet,

dass die Mei­nun­gen der Antrag­stel­le­rin nicht im Ein-

klang mit dem Uni­ver­si­täts­leit­bild des wechselseitigen

Respekts vor dem Ande­ren stün­den. Pro­ble­ma­tisch ist,

dass sich die­se Äuße­rung zwar zwei­fel­los abträg­lich auf

das Anse­hen der Antrag­stel­le­rin aus­wirkt, jedoch nicht

im enge­ren Sin­ne ehr­ver­let­zend ist, wie man es etwa im

straf­recht­li­chen Kon­text vor­fin­det. Damit stellt sich die

Fra­ge der Reich­wei­te des all­ge­mei­nen Persönlichkeits-

rechts.

2. Uni­ver­si­tä­ten sind juris­ti­sche Per­so­nen des öffent-

lichen Rechts. Damit fehlt ihnen grund­sätz­lich die

Grund­rechts­sub­jek­ti­vi­tät, denn Grund­rech­te sind in ers-

ter Linie Abwehr­rech­te des Bür­gers gegen den Staat.8

Eine Aus­nah­me gilt dann, wenn sie außer­halb des Dele-

gati­ons­mo­dells dezen­tra­li­sier­ter staat­li­cher Aufgaben-

wahr­neh­mung lie­gen und selbst Grund­rech­te in einem

Bereich ver­tei­di­gen, in dem sie vom Staat unabhängig

sind. Das ist bei den deut­schen Uni­ver­si­tä­ten der Fall. Sie

sind zwar regel­mä­ßig vom Staat gegrün­det und werden

von ihm unter­hal­ten, kön­nen sich aber in einer gleicher-

maßen grund­rechts­ty­pi­schen Gefähr­dungs­la­ge wie die

Bür­ger befinden.9 Es stellt sich die Fra­ge, inwie­fern die

Antrags­geg­ne­rin bei der Publi­ka­ti­on ihrer Stellungnah-

me aus­nahms­wei­se als Grund­rechts­sub­jekt agierte.

3. Schließ­lich ist die Antrags­geg­ne­rin nach

§ 5 Abs. 1 BerlHG dazu ver­pflich­tet, die freie Entfaltung

und Viel­falt der Wis­sen­schaf­ten und der Küns­te an den

Hoch­schu­len zu gewähr­leis­ten und sicher­zu­stel­len, dass

die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ver­bürg­ten Grundrechte

wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen. Soll­te sich die An-

trag­s­geg­ne­rin nicht bereits auf ein eige­nes Grundrecht

beru­fen kön­nen, so stellt sich die Fra­ge, ob sich die Stel-

lung­nah­me nicht durch die Pflicht der Wah­rung des öf-

fent­li­chen Ver­trau­ens in die genann­ten Aufgaben

recht­fer­tigt.

III. Lösung des VG Berlin

Die 12. Kam­mer des VG Ber­lin sah den Antrag nach

§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO als begrün­det an, da ein Anord-

nungs­an­spruch und ein Anord­nungs­grund glaubhaft

gemacht wor­den sei­en. Bei der Prü­fung des Anord-

nungs­an­spruchs wur­de der gewohn­heits­recht­lich aner-

kann­te öffent­lich-recht­li­che Unter­las­sungs­an­spruch her-

ange­zo­gen. Die­ser setzt die begrün­de­te Besorg­nis vor-

aus, der Antrags­geg­ner wer­de künf­tig durch sein

hoheit­li­ches Han­deln rechts­wid­rig in die geschützte

Rechts- und Frei­heits­sphä­re, hier das all­ge­mei­ne Persön-

lich­keits­recht, der Antrag­stel­le­rin eingreifen.10

1. Bei der Fra­ge zum sach­li­chen Schutz­be­reich des

Per­sön­lich­keits­rechts stellt das VG Ber­lin fest:

„Der Schutz­be­reich des all­ge­mei­nen Persönlichkeits-

rechts erfasst die per­sön­li­chen Lebens­sphä­ren und die

Erhal­tung ihrer Grund­be­din­gun­gen (vgl. BVerfG, Be-

schluss vom 25. Okto­ber 2005 – 1 BvR 1696/98 – juris

Rn. 25). Die­ses schützt, ohne sei­nem Trä­ger einen An-

spruch dar­auf zu ver­mit­teln, nur so dar­ge­stellt zu wer-

den, wie es ihm genehm ist, nicht nur die Ehre, sondern

auch wei­te­re Aspek­te des sozia­len Gel­tungs­an­spruchs ei-

ner Per­son. Nament­lich umfasst es den Schutz vor Äuße-

run­gen, die – ohne im enge­ren Sinn ehr­ver­let­zend zu

sein – geeig­net sind, sich abträg­lich auf das Anse­hen des

Ein­zel­nen in der Öffent­lich­keit aus­zu­wir­ken (vgl. BVer-

wG, Urteil vom 29. Juni 2022 – 6 C 11.20 – juris Rn. 20;

BVerfG, Beschluss vom 25. Okto­ber 2005 – 1 BvR 1696/98

– juris Rn. 25). So umfasst das all­ge­mei­ne Per­sön­lich-Lam­mich · Uni­ver­si­tä­ten haben kein Recht auf Mei­nungs­kampf­teil­ha­be 2 2 5

11

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 21, juris

12

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 24, juris.

13

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 28, juris.

14

Beis‌ piels­wei­se zur dis­kri­mi­nie­ren­den Wir­kung des Personen-

s‌ tands­rechts BVerfG, Beschluss vom 10. Okto­ber 2017 – 1 BvR

2019/16 –, BVerfGE 147, 1–31; zur Beein­flus­sung des juris‌ tischen

Sprach­ge­brauchs sie­he Lam­mich, Der Sexus im juris‌ tischen

Sprach­ge­brauch, OdW 2022, 55 ff.

keits­recht unter ande­rem den Anspruch, durch die

Staats­ge­walt nicht mit ruf­schä­di­gen­den Äußerungen

über­zo­gen zu wer­den, die sich außer­halb der verfas-

sungs­mä­ßi­gen Ord­nung bewe­gen und schützt insbeson-

dere vor ver­fäl­schen­den oder ent­stel­len­den Darstellun-

gen, die von nicht ganz uner­heb­li­cher Bedeu­tung für die

Per­sön­lich­keits­ent­fal­tung sind (BVerfG, Beschluss vom

17. August 2010 – 1 BvR 2585/06 – juris Rn. 21; Beschluss

vom 25. Okto­ber 2005 – 1 BvR 1696/98 – juris Rn. 25

m. w. N.).“11

2. Dem Gedan­ken, die Antrags­geg­ne­rin könn­te sich

hier auf ihre im wis­sen­schaft­li­chen Raum bestehende

Mei­nungs­frei­heit beru­fen, erteilt das VG Ber­lin eine

Absa­ge:

„Die voll­zie­hen­de Gewalt ist zu rufbeeinträchtigen-

den Äuße­run­gen grund­sätz­lich nur befugt, wenn und

soweit die­se auf einer gesetz­li­chen Ermäch­ti­gung beru-

hen, denn Hoheits­trä­gern steht man­gels Grundrechtsbe-

rech­ti­gung kein Recht zur Teil­ha­be am „Mei­nungs-

kampf “ zu. Sie befin­den sich nicht in einem „frei­en

Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Interaktionszusammenhang”

mit den Bür­gern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Au-

gust 2010 – 1 BvR 2585/06 – juris Rn. 23). Dies gilt auch

für Uni­ver­si­tä­ten, denen zwar im wissenschaftlichen

Kon­text Mei­nungs­frei­heit aus

Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zukommt,

wel­che sie jedoch nicht gegen­über ihren korporierten

Mit­glie­dern – hier der Antrag­stel­le­rin als Promotions-

stu­den­tin – in Ansatz brin­gen kön­nen. Denn im Verhält-

nis zu die­sen tre­ten sie selbst als Trä­ge­rin­nen hoheitli-

cher Gewalt auf; sie kön­nen inso­weit das ihnen zuste-

hen­de Abwehr­recht gegen Ein­grif­fe ande­rer Trä­ger ho-

heit­li­cher Gewalt nicht als Ein­griffs­recht gegenüber

Stu­die­ren­den anfüh­ren (vgl. Hes­si­scher Verwaltungsge-

richts­hof, Beschluss vom 19. Juli 2004 – 8 TG 107/04 –

juris Rn. 13).“12

3. Als gesetz­li­che Ermäch­ti­gung, die es für die An-

trag­s­geg­ne­rin, die sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen

kann, braucht, kann nach den Fest­stel­lun­gen der

12. Kam­mer auch nicht das Inter­es­se an der Wah­rung des

öffent­li­chen Ver­trau­ens in ihre Aufgabenwahrnehmung

nach § 5 Abs. 1 BerlHG her­an­ge­zo­gen werden:

„Es bestehen schon Zwei­fel, ob ein objek­ti­ver Emp-

fän­ger den bio­gra­phi­schen Zusatz „ist Dok­to­ran­din der

Bio­lo­gie an der (Antrags­geg­ne­rin)“ am Ende des Arti-

kels dahin­ge­hend ver­ste­hen darf oder gar muss, dass die

Antrag­stel­le­rin für sich bean­sprucht, ihre Mei­nung stell-

ver­tre­tend für die Antrags­geg­ne­rin zu ver­brei­ten oder

die­se mit ihrer Mei­nung zu asso­zi­ie­ren. Denn der Arti-

kel wur­de von vier wei­te­ren, nicht an der Antragsgegne-

rin beschäf­tig­ten Per­so­nen unter­zeich­net, nimmt in sei-

nem Voll­text Bezug auf „120 Wis­sen­schaft­ler, Mediziner,

Psy­cho­lo­gen, Päd­ago­gen und Ver­tre­ter ande­rer Professionen

aus ganz Deutsch­land“ und führt die Anstellung

als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin der Antragsgegnerin

nicht auf. Dass die Antrag­stel­le­rin als ein­fa­che Dokto-

ran­din offi­zi­ell für die Antrags­geg­ne­rin auf­tritt, wird der

durch­schnitt­li­che Leser danach nicht erwar­ten. Selbst

wenn man von einem sol­chen Ein­druck aus­ge­hen wollte,

hät­te im hier zu ent­schei­den­den Ein­zel­fall beispielsweise

der klar­stel­len­de Hin­weis genügt, dass die Antragstelle-

rin ledig­lich ihre pri­va­te Mei­nung ver­brei­tet und nicht

für die Antrags­geg­ne­rin gespro­chen habe. Einer inhaltli-

chen Bewer­tung der Ansich­ten der Antrag­stel­le­rin, zu-

mal unter Nen­nung ihres Namens, bedurf­te es hingegen

nicht.“13

IV. Anmer­kung zu Ent­schei­dung und Sachverhalt

Wie ein­gangs aus­ge­führt, genießt die Ent­schei­dung eine

beson­de­re öffent­li­che Auf­merk­sam­keit, da ihr Tatbe-

stand gleich zwei gesell­schafts­po­li­ti­sche Konfliktfelder

berührt: zum einen das Reiz­the­ma des Geschlechtsbe-

grif­fes, zum ande­ren die Fra­ge des Umgangs von Univer-

sitä­ten mit kon­tro­ver­sen Mei­nun­gen ihrer korporierten

Mit­glie­der.

Das ers­te The­ma ist in der Regel nur in Bezug auf

Kollateralfragen14 für eine umfas­sen­de juris­ti­sche Auf-

klä­rung emp­fäng­lich und soll hier nicht wei­ter themati-

siert wer­den. Anders ist das bei der Kon­tro­ver­se um den

Umgang der Alma Mater mit ihren Stu­den­ten und Pro-

fes­so­ren gela­gert. Die in mehr­fa­cher Hin­sicht tief ver-

grund­recht­lich­te Stel­lung der Uni­ver­si­tä­ten präsentiert

die­sen hoch­schul­be­zo­ge­nen Zweig der sog. Cancel-Cul-

ture-Debat­te als frei­heits­recht­li­ches Forschungsobjekt.

Auch wenn das VG Ber­lin vor­lie­gend nicht über die Ab-

sage des Vor­trags als sol­che ent­schie­den hat, so hat es in

über­zeu­gen­der Wei­se recht­li­che Gren­zen des­sen aufge‑O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8

2 2 6

15

So bezeich­net im Manifes‌ t des Netz­werks Wissenschaftsfreiheit,

einem Ver­ein von über 700 for­schen­den und leh­ren­den Wissen-

schaft­lern meis‌ t deut­scher Hoch­schu­len, abruf­bar unter: https://

www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/manifes‌ t/. Vgl.

auch die Grün­dungs­er­klä­rung des s‌ tuden­ti­schen Partnervereins

Stu­den­ti­sche Initia­ti­ve Hoch­schul­dia­log, abruf­bar unter: https://

www.sih-ev.de/gründungserklärung.

16

BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 185/77 –, BVerfGE 54,

148–158, Rn. 16.

17

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Janu­ar 1998 – 1 BvR 1861/93 –,

BVerfGE 97, 125–156; BVerfG, Beschluss vom 25. Okto­ber 2005

– 1 BvR 1696/98 –, BVerfGE 114, 339–356, Rn. 25; BVerfG, Stattge-

ben­der Kam­mer­be­schluss vom 17. Augus‌ t 2010 – 1 BvR 2585/06 –,

juris.

18

BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 185/77 –, BVerfGE 54,

148–158, Rn. 2.

19

BVerfG, Beschluss vom 10. Novem­ber 1998 – 1 BvR 1531/96 –,

BVerfGE 99, 185–202, Rn. 42.

20

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 26, juris.

21

BVerfG, Nicht­an­nah­me­be­schluss vom 8. Sep­tem­ber 2010

– 1 BvR 1890/08 –, BVerfGK 18, 33–42, Rn. 23.

22

Mar­ti­ni, Das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht im Spie­gel der jün-

geren Rechts‌ pre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, JA 2009,

839.

23

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Janu­ar 1963 – 1 BvR 316/60 –,

BVerfGE 15, 256–268, Rn. 23.

24

BVerwG, Urteil vom 13. Dezem­ber 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE

59, 231–240, Rn. 23.

25

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 24, juris.

26

BVerwG, Urteil vom 13. Dezem­ber 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE

59, 231–240, Rn. 24.

27

VG Ber­lin, Beschluss vom 1. Dezem­ber 2023 – 12 L 399/23 –,

Rn. 28, juris.

28

Ihnen is‌ t bei der Behand­lung hoch­schul­po­li­ti­scher The­men ein

„Brü­cken­schlag“ zu all­ge­mein­po­li­ti­schen Frages‌ tel­lun­gen erlaubt,

wenn und soweit hoch­schul­po­li­ti­sche Belan­ge im Schwerpunkt

betrof­fen sind. Dies is‌ t aller­dings kei­ne Fra­ge der Grundrechts-

sub­jek­ti­vi­tät als sol­che, son­dern eine Fra­ge des die­se eingren-

zen­den Kom­pe­tenz­um­fangs, vgl. VG Köln, Beschluss vom 24.

Novem­ber 2023 – 6 L 2352/23 –, Rn. 23, juris.

zeigt, was Inter­es­sen­ver­bän­de als „welt­an­schau­li­che Nor-

mie­rung von For­schung und Leh­re“ beklagen.15

Die­se recht­li­chen Gren­zen sind in dem vor­lie­gen­den Fall

das Ergeb­nis gefes­tig­ter Recht­spre­chung und fundamen-

taler staats­recht­li­cher Grundsätze.

Spä­tes­tens seit der Epp­ler-Ent­schei­dun­g16 ständige

Recht­spre­chung des Bundesverfassungsgerichts17 ist die

Erkennt­nis, dass sich das all­ge­mei­ne Persönlichkeits-

recht nicht im Ehr­schutz erschöpft, son­dern den gesam-

ten vom Betrof­fe­nen selbst defi­nier­ten sozia­len Gel-

tungs­an­spruch umfasst. So ging es in der Eppler-Ent-

schei­dung etwa um einen Poli­ti­ker, dem die – für sich

nicht uneh­ren­haf­te – For­de­rung in den Mund gelegt

wor­den ist, man möch­te „die Belast­bar­keit der Wirt-

schaft prüfen“.18 Auch ohne Ehren­rüh­rig­keit kön­nen sol-

che Äuße­run­gen im Ein­zel­fall das Anse­hen des Einzel-

nen schmä­lern, sei­ne sozia­len Kon­tak­te schwä­chen und

infol­ge­des­sen sein Selbst­wert­ge­fühl unter­gra­ben. Sie

sind für die Per­sön­lich­keit mit­hin nicht weni­ger konsti-

tuie­rend als die Ehre.19 Im vor­lie­gen­den Fall kann kein

Zwei­fel dar­an bestehen, dass die Aus­sa­ge, die Artikel-

Mei­nun­gen der Antrag­stel­le­rin stün­den nicht im Ein-

klang mit dem Leit­bild des wech­sel­sei­ti­gen Respekts vor

dem Ande­ren, das Anse­hen des Betrof­fe­nen schmälern

kann. Gar nicht erfor­der­lich war der vom Gericht heran-

gezogene20 Maß­stab, wonach die für die Antragsgegne-

rin ungüns­tigs­te Les­art zu bewer­ten ist21, da es nach hier

ver­tre­te­ner Auf­fas­sung schlicht an alter­na­ti­ven Lesarten

fehlt.

Weit­aus staats­kon­sti­tu­ie­ren­der als die Einzelfall-

reich­wei­te des sich ohne­hin stän­dig im Wan­del befindli-

chen all­ge­mei­nen Persönlichkeitsrechts22 ist die Grund-

rechts­sub­jek­ti­vi­tät staat­li­cher Ein­rich­tun­gen. Die von

der all­ge­mei­nen Ver­wal­tung daher auch losgelöste23 An-

trag­s­geg­ne­rin ver­tei­digt zwar ihrer Natur nach in be-

stimm­ten Fäl­len Grund­rech­te nach Art. 5 Abs. 3 GG. Die

ihr in die­sem Fall zuste­hen­den Frei­heits­rech­te können

aber nicht zu Ein­griffs­rech­ten zum Nach­teil derer per-

ver­tiert wer­den, die wie­der­um vor ihr Schutz suchen.24

Wäh­rend das VG Ber­lin hier­auf hinweist25, fin­det sich

aber noch ein wei­te­rer Grund für die feh­len­de Grund-

rechts­sub­jek­ti­vi­tät dar­in, dass jede Kör­per­schaft im Sin-

ne des Art. 19 Abs. 3 GG unge­ach­tet ihrer staatlichen

oder nicht-staat­li­chen Natur durch ihre Kom­pe­tenz be-

grenzt wird.26 Zwar beschäf­tigt sich das Gericht mit einer

mög­li­cher­wei­se zuge­wie­se­nen Kom­pe­tenz zur Wahrung

des öffent­li­chen Ver­trau­ens in die Wahr­neh­mung der

Auf­ga­ben nach § 5 BerlHG. Dies geschieht aber erst in-

ner­halb einer – letzt­lich auch sach­ent­schei­den­den – Ver-

hält­nis­mä­ßig­keits­prü­fung, die „jeden­falls“ zum Nachteil

der Antrags­geg­ne­rin ausfällt.27 Auch die vom Gericht zu-

recht ver­nein­te Fra­ge, ob ein objek­ti­ver Betrach­ter die

Antrag­stel­le­rin mög­li­cher­wei­se als Stell­ver­tre­te­rin der

Antrags­geg­ne­rin ver­ste­hen duf­te, ist folg­lich mittelbar

eine Fra­ge der Grund­rechts­sub­jek­ti­vi­tät. Denn nur unter

die­ser Bedin­gung kommt eine Handlungskompetenz

zwecks Wah­rung des öffent­li­chen Ver­trau­ens überhaupt

in Betracht.

All­ge­mein hoch­schul­po­li­tisch inter­es­sant bei dem

Selbst­ver­ständ­nis der Antrags­geg­ne­rin ist die Nähe zu

einem alt­be­kann­ten Streit­punkt: Seit den 1960er Jahren

wird das schier unstill­ba­re Bedürf­nis ver­fass­ter Studen-

ten­schaf­ten nach einem all­ge­mein­po­li­ti­schen Mandat

mit eben­je­ner geschil­der­ten Argu­men­ta­ti­on im Prinzip28Lammich · Uni­ver­si­tä­ten haben kein Recht auf Mei­nungs­kampf­teil­ha­be 2 2 7

29

Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Dezem­ber 1979 – 7 C 58/78 –,

BVerw­GE 59, 231–240, Rn. 23; Hes­si­scher Verwaltungsgerichts-

hof, Beschluss vom 5. Febru­ar 1998 – 8 TM 354/98 –, Rn. 6, juris;

VG Ber­lin, Beschluss vom 19. März 2008 – 12 A 22.08 –, Rn. 14,

juris; Ober­ver­wal­tungs­ge­richt der Frei­en Hanses‌ tadt Bremen,

Beschluss vom 26. Juli 1999 – 1 A 165/99 –, Rn. 5 juris.

30

Regel­mä­ßig Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen, aber auch völ­lig universi-

täts­fer­ne Akteu­re wie die Bun­des­wehr, vgl. VG Bre­men, Urteil

vom 12. Juni 2020 – 2 K 2248/17 –, Rn. 3, juris.

31

Manch einer wür­de sagen „fort­setzt“.

zurückgewiesen.29 Auch in die­sen Fäl­len ging es um

Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen durch Aus­sa­gen zulasten

poli­tisch unlieb­sa­mer Akteure30 und auch hier schlugen

Ver­su­che fehl, sich auf die par­ti­ell gestat­te­te Grund-

rechts­sub­jek­ti­vi­tät zu stüt­zen. Vor die­sem Hintergrund

bleibt es nur zu hof­fen, dass das Ver­hal­ten der Antrags-

geg­ne­rin kei­nen gleich­lau­fend zähen wie unergiebigen

Trend auf Ebe­ne der Uni­ver­si­täts­ver­wal­tun­gen in Gang

setzt31

.

Rechts­as­ses­sor Dr. Theo­dor Lam­mich absol­viert einen

Mas­ter of Laws (LL.M.) an der Uni­ver­si­tät Edin­burgh. Er

ist Post­gra­du­ier­ten­spre­cher der Edin­burgh Law School

sowie Vor­sit­zen­der des Ver­eins Stu­den­ti­sche Initiative

Hoch­schul­dia­log e.V.O R D N U N G D E R W I S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 4 ) , 2 2 3 — 2 2 8

2 2 8