Wissenschaft wird zumeist als ein gesellschaftliches Subsystem beschrieben, dessen Entwicklung und Qualitätssicherung primär durch interne Selbstkontrolle erfolgt.[2] Die Kontrollmechanismen, etwa das Peer-Review-Verfahren, sind seit langem Gegenstand von Debatten, Auseinandersetzungen und Analysen. Dabei geht es zum einen um strukturelle Defizite, bei der Peer Review z.B. die unter Umständen fehlende Neutralität der Gutachterinnen und Gutachter. Zum anderen wird auch auf Probleme aufmerksam gemacht, die sich der Expansion der Wissenschaft verdanken. So wird diskutiert, ob angesichts der Zunahme von Zeitschriften und Artikeleinreichungen die Qualitätssicherung noch umfassend durch Review-Verfahren erfolgen könne.[3] Vergleichbare Problematisierungen und Untersuchungen gibt es für Zitationsanalysen, Evaluationen von Forschungseinrichtungen oder die Aussagekraft von Drittmitteleinwerbungen.
Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass zu einem Instrument, das gleichermaßen der wissenschaftlichen Selbstkontrolle wie der Qualitätsentwicklung dienen soll, bisher Untersuchungen nahezu vollständig fehlen – den Wissenschaftlichen Beiräten innerhalb der Wissenschaft.[4] Überraschend ist es nicht zuletzt, weil diese schätzungsweise 2.000 Beiräte erhebliche Ressourcen binden: Die circa 14.500 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die als Mitglieder oder wissenschaftliche Koordination in ihnen tätig sind, investieren jährlich schätzungsweise 163.000 Stunden Arbeitszeit, was Personalkosten von rund 9,3 Millionen Euro entspricht. Dazu kommen knapp unter 18 Millionen Euro Durchführungskosten (vornehmlich Reise- und Übernachtungskosten) für die im Durchschnitt einmal jährlich tagenden Beiräte.
In diesen Beiräten werden Wissenschaftler von anderen Wissenschaftlern in wissenschaftlichen Fragen wissenschaftlich beraten. Es findet mithin eine Selbstberatung des Wissenschaftssystems statt. Solche Beiräte dienen – so auch ihre Selbstbeschreibung – der wissenschaftlichen Beratung wissenschaftlicher Einheiten (wie hochschulischen und außeruniversitären Instituten, Forschungsprojekten, Förderprogrammen, Zeitschriften, Studiengängen usw.) durch externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie dienen mithin nicht der Selbstverwaltung (wie interne Forschungsräte) und repräsentieren nicht die Interessen anderer gesellschaftlicher Subsysteme (wie stakeholderdominierte Fachbeiräte oder Hochschulräte).
Vor diesem Hintergrund verstehen wir Wissenschaftliche Beiräte als kollegiale Gremien, die (a) Beratungsleistungen für wissenschaftliche Einheiten bzw. Akteure erbringen, (b) mehrheitlich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammengesetzt sind, wobei © die Rolle letzterer dadurch definiert ist, dass nicht nur eine akademische Ausbildung durchlaufen wurde, sondern gegenwärtig – neben der Beiratsmitgliedschaft – eine Position im Wissenschaftsbetrieb besetzt wird bzw. bis vor der Pensionierung besetzt wurde.
Festlegung (a) unterstellt, dass Beiräte im Kern stets mit Beratungsaufgaben betraut sind, was nicht ausschließt, dass sie auch andere Funktionen übernehmen können, z.B. die Stärkung der Legitimation im Falle einer institutionellen Krise. Festlegung (b) wurde getroffen, um Wissenschaftliche Beiräte von Praxisbeiräten, Hochschulräten und anderen Beiratsformen abzugrenzen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Minderheit sind. Unterstellt wird, dass in wissenschaftlerdominierten Beiräten Qualitätsfragen unter dem Primat wissenschaftsinterner (und nicht z.B. betriebswirtschaftlicher) Logiken diskutiert werden. Festlegung © grenzt Wissenschaftliche Beiräte von Akteuren ab, welche sich hauptberuflich der Beratung innerhalb des Wissenschaftssystems widmen. Diese Akteure können durchaus auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, bieten jedoch mit eigenen Beratungseinrichtungen (teil-)selbstständig ein Beratungsportfolio an.
II. Funktionen
1. Kernfunktionen
Wissenschaftliche Beiräte haben im Wesentlichen drei Funktionen: Sie werden als ‚kritische Freunde‘ beratend tätig oder/und zur Evaluation eingesetzt oder/und für Reputationszwecke unterhalten.
Entsprechend der professionellen Normen der Wissenschaft erfolgt die Tätigkeit Wissenschaftlicher Beiräte meist in der Form der Peer-Beratung, d.h. einer Begutachtung durch möglichst anerkannte Kolleginnen und Kollegen desselben oder eines angrenzenden Fachgebiets. Diese Art der Beratung setzt voraus, dass die Beratenden keine Angehörigen der beratenen Einheit, wohl aber der Disziplin oder des Feldes sind. Diese minimale Unabhängigkeit stellt eine Sonderform der Beratung dar, denn Beratung basiert ‚eigentlich‘ auf einer klaren Trennung von Berater- und Klientensystem.[5] Bei letzterer sollen die Beratenden die „Wirklichkeitskonstruktionen“ der Beratenen „mit anderen Vorstellungen und Erfahrungen beobachten und aus der Differenz geeignete Interventionen ableiten“ können.[6] Solche Interventionen können „Problemlösung durch Kommunikation und Interaktion“, „Transfer von Informationen“ oder „Bestätigung bzw. Legitimation von Handlungen“ umfassen.[7] Sie können aber auch einfach Zeitgewinn für die (zeitaufwendig) beratene Organisation bieten, indem sie es zum Beispiel erlauben, anstehende Entscheidungen vorerst aufzuschieben.[8] Stets nötig ist dabei eines: Die Grenzen der „Sozialsysteme“[9] bzw. „Handlungssysteme“[10] des Klienten und des Beraters müssen überschritten werden, um die Herausbildung eines temporären Beratungssystems als middle ground[11] zu ermöglichen, in dem unterschiedliche Logiken und Relevanzgesichtspunkte aufeinandertreffen.[12] Wissenschaftliche Beiräte stellen vor diesem Hintergrund also eine Anomalie dar, wobei solche Anomalien aber auch in einigen anderen Beratungskontexten zu finden sind, z.B. bei praxisnaher Wirtschaftsberatung.
Wissenschaftliche Beiräte beraten jedenfalls, sanktionieren jedoch nicht. Selbst evaluativ tätige Beiräte richten ihre Empfehlungen an Dritte, welche in der Umsetzung der Empfehlungen frei sind. Gerade die Entkopplung der Leistungsbeurteilung von darauf basierenden (Ressourcen-)Entscheidungen sowie die Orientierung auf fachliche Fragen ist zumeist Voraussetzung der Bereitschaft, an solchen Beiräten mitzuwirken.[13]
2. Latente Funktionen
Die Beratung der Wissenschaft durch Wissenschaft entspricht der klassischen Vorstellung der Qualitätssicherung und ‑entwicklung der Wissenschaft durch Selbststeuerung. Allerdings ist zu beobachten, dass die Funktionen Wissenschaftlicher Beiräte über Qualitätssicherung hinausgehen und auch im Bereich dessen liegen, was man ‚strategische Qualitätserweiterungsreserve‘ nennen könnte. Wissenschaft agiert in einem kontingenten gesellschaftlichen Umfeld. In diesem werden verschiedene, bisweilen widersprüchliche Erwartungen an Qualität der bzw. in der Wissenschaft formuliert. Hier bieten Beiräte die Möglichkeit, flexibel auf solche externen Anforderungen zu reagieren.
Es zeigen sich zudem verschiedene latente Beiratsfunktionen auf der individuellen Ebene. Diese umfassen die Möglichkeit zum Austausch über Forschungsthemen und damit Folgekommunikationen über (bestehende oder zukünftige) Forschung bis hin zur Karriereoptimierung – letzteres insbesondere für die vergleichsweise wenigen nichthabilitierten Beiratsmitglieder, die z.B. bei Zeitschriften- und in Fachgesellschaftsbeiräten zu finden sind. Die Motivation der Beiratsmitglieder speist sich vor allem aus professioneller Sachlichkeit und individuellem Anerkennungsbedürfnis: Da die Form der Qualitätssicherung durch einen Beirat starke Ähnlichkeiten zu anderen Formen wissenschaftlicher Selbstkontrolle aufweist, entspringt die Bereitschaft, an solchen Beiräten mitzuwirken in der Regel und vorrangig dem professionellen Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Diese Bereitschaft nimmt zu, wenn – abhängig von der Größe und Bedeutung der beiratsunterhaltenden Einheit – die Beiratsmitgliedschaft als Anerkennung und Auszeichnung der eigenen wissenschaftlichen Leistungen erfahren wird. Eine weitere latente Beiratsfunktion kann also auch der wechselseitige Reputationstransfer sein.
III. Verortung im Nexus zwischen Funktionen und Organisationsformen
Wissenschaftliche Beiräte variieren nicht nur nach ihrer jeweiligen Funktion, wobei die Organisationsform der beiratsunterhaltenden Einrichtung wesentlich die Funktion des Beirats mitbestimmt. Vielmehr zeigen sich auch Unterschiede in den Organisationsformen der Beiräte. Um beides einzufangen, differenzieren wir Im Folgenden bei den beiratsunterhaltenden Einrichtungen zwischen den Formen ‚wissenschaftlicher Organisation‘ und ‚organisierter Wissenschaft‘.
Typische Beispiele für wissenschaftliche Organisationen sind universitäre oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Diese Einrichtungen bilden den organisatorischen Rahmen wissenschaftlicher Aktivitäten und dienen den beteiligten Akteuren als zentraler Bezugspunkt ihres wissenschaftlichen Arbeitens. Als Teil wissenschaftlicher Organisationen gelten auch jene Strukturen, die wesentlich durch diese Organisationen unterhalten werden und zur Funktionserfüllung der Organisation beitragen, z.B. Studiengänge an Hochschulen.
Die organisierte Wissenschaft umfasst Einrichtungen, die primär der Kommunikation innerhalb der relevanten Community und der Reputationsvergabe dienen. Auch diese können Organisationscharakter haben. Allerdings dienen sie wesentlich dazu, Interessen zu organisieren, zumeist einer Disziplin oder eines Fachgebiets. Mitglieder von Fachgesellschaften etwa werden nicht nur nicht für ihr Engagement entlohnt, sondern zahlen im Regelfall für ihre Mitgliedschaft, was dann ebenso gilt, wenn sie Mitglieder eines Beirats der Gesellschaft sind (womit zugleich ein Ausnamefall benannt ist, da Beiräte von Fachgesellschaften typischerweise intern besetzt werden). Auch bei Zeitschriften erfolgt das Engagement zumeist unentgeltlich – in der Regel durch den Umstand ermöglicht, dass die Beteiligten ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit in einer wissenschaftlichen Organisation sichern.
Die Unterscheidung von wissenschaftlicher Organisation und organisierter Wissenschaft schließt an die Unterscheidung von Organisation und Profession an. Folgt man der Unterscheidung von Rollen in organisierter Wissenschaft (Profession) und wissenschaftlicher Organisation (Beruf), dann fungieren Beiräte primär als Instrument, um die jeweils andere Seite zu integrieren: Organisationen bedürfen einerseits der Rückbindung an die Normen des Wissenschaftssystems auf organisationaler Ebene, denn wissenschaftliche Organisationen weisen – wie jede Organisation – Limitierungen auf, die sich aus ihrem Organisationscharakter ergeben. Die Minimierung organisationsspezifischer Limitierungen kann durch Beiratsaktivitäten geschehen, wenn diese gegenüber der Orientierung an der organisationalen Logik eine Orientierung an Wahrheit und Reputation – also den wesentlichen Bezugsgrößen des Wissenschaftssystems – sicherstellen und kommunizieren.
Andererseits bedarf die Profession der Organisation: Einrichtungen der organisierten Wissenschaft bestimmen wesentlich die Prüfung von Wahrheit und Vergabe von Reputation mit, verfügen aber nur selten über hinreichende Organisationsstrukturen, um alle wesentlichen Arbeitsschritte intern durchzuführen. Entsprechend müssen sie einen kontinuierlichen Zugriff auf Personal und Ressourcen der Wissenschaftsorganisationen absichern, die im Sinne der Community zusammengeführt werden. Im Fall der organisierten Wissenschaft geschieht diese Absicherung unter anderem durch Wissenschaftliche Beiräte, welche die Handlungsfähigkeit der unterhaltenden Einrichtungen erweitern, bei Zeitschriften z.B. durch die Nutzung der Mitglieder als Reviewerinnen und Reviewer.
Die zentralen Funktionen und Ressourcen der Wissenschaftlichen Beiräte stellen die zweite Dimension ihrer Verortung dar. Wo Beiräte zur Qualitätsentwicklung eingesetzt werden, betreiben sie Kommunikation, welche sich an der Leitunterscheidung wahr/falsch orientiert und somit inhaltliche, oftmals fachlich sehr spezifische Expertise voraussetzt. Diese Expertise bildet eine Grundvoraussetzung, damit Wissenschaftliche Beiräte zur Qualitätsentwicklung der beratenen Einrichtung beitragen können. Da die Rezeptionsressourcen wissenschaftlicher Akteure begrenzt sind, wird im Wissenschaftssystem wichtige Kommunikation durch Auszeichnung mit Reputation markiert. Diese Orientierung an Reputation vollzieht eine Positivauslese, steuert die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Akteure und reduziert Informationslasten. Reputation eignet sich zudem, um Qualität gegenüber disziplinfremden oder gar wissenschaftsexternen Adressaten zu signalisieren.[14] Ein Indiz für starke Reputationsorientierung eines Beirats ist das Herausstellen reputierlicher Beiratsmitglieder in der öffentlichen Kommunikation über diese Beiräte.[15] Die Bereitstellung von Reputation durch Wissenschaftliche Beiräte bildet – gerade gegenüber einem fachfremden Publikum, z.B. Förderern – die zweite Voraussetzung, damit diese zur Qualitätsentwicklung einer wissenschaftlichen Einheit beitragen können.
Um wissenschaftsintern oder ‑extern Vertrauen zu generieren, akzentuieren Wissenschaftliche Beiräte wahlweise wissenschaftliche Kommunikation, die primär an der Unterscheidung von wahr und falsch orientiert ist, oder sie stellen die Reputation der Beiratsmitglieder heraus (bzw. lassen sie herausstellen). Beide Kommunikationsvarianten erhöhen die Anschlusschancen für weitere Kommunikation, d.h. der betreffende Beirat bleibt gefragt. Betont werden muss dabei, dass sich die Orientierungen an Wahrheit oder Reputation nicht gegenseitig ausschließen, sondern ein Kontinuum darstellen, schließlich ist Reputation Ergebnis positiv markierter Wahrheitskommunikation.
Für die Verortung einer Einrichtung mit Beirat fragten wir zunächst nach ihrer Organisationsform: Ist sie eine wissenschaftliche Organisation oder Teil der organisierten Wissenschaft? Von den acht Typen wissenschaftlicher Einheiten, die in unsere Erhebungen einbezogen waren, fallen fünf in die Kategorie wissenschaftliche Organisation: außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (auFE), Förderprogramme, Forschungsprojekte, hochschulische Institute und Studiengänge. Drei hingegen – Fachgesellschaften, Fachzeitschriften und wissenschaftliche Preise (Preisjurys) – stellen Einrichtungen der organisierten Wissenschaft dar.
Als zweites Kriterium einer Verortung nutzten wir die zentralen Ressourcen des jeweiligen Beirats. Die Nutzung dieser Ressourcen resultiert aus der Fokussierung der Beiratstätigkeit auf entweder wissenschaftliche Fragestellungen oder das Generieren von Vertrauen auf Grundlage von Reputation. Für diese Einordnung haben wir auf zwei Daten zurückgegriffen: den Verbreitungsgrad der Wissenschaftlichen Beiräte und deren Präsentation durch die beratene Einheit. Der Verbreitungsgrad hängt stark davon ab, ob die Einrichtung der Beiräte obligatorisch (und damit stark formalisiert, z.B. bei der Max-Planck-Gesellschaft) oder fakultativ erfolgt, arbeitsorganisatorische Aspekte die Einrichtung eines Beirats nahelegen (etwa die Kontrolle und Unterstützung der Leitungen von Fachgesellschaften) oder mittels Transparenz und Reputation extern Aufmerksamkeit und Vertrauen erzeugt werden sollen.
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Wahrheitsorientierung der Beiratsaktivitäten am eindeutigsten bei außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist. Dank ihrer Orientierung auf wissenschaftliche Expertise sind die dortigen Beiräte durch Bereitstellung von (oftmals interdisziplinärer und internationaler) Expertise an der Qualitätsentwicklung beteiligt; die Reputation der Beiratsmitglieder wird kaum für Auseinandersetzungen mit externen Anforderungen mobilisiert. Zwar verweisen die beiden Forschungsorganisationen Max-Planck-Gesellschaft und Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz in ihrer Öffentlichkeitsarbeit stets auf ihre Beiräte und weisen auch deren Mitglieder aus. Dabei geht es jedoch weniger um das Generieren von Vertrauen in die individuelle Einrichtung als vielmehr darum, den Vollzug der Organisationsregeln zur Qualitätssicherung zu dokumentieren. Dieser routinisierte Vollzug und dessen ebenso routinisierte Kommunikation erzeugt Legitimation und damit Legitimität durch Verfahren.
Eine weniger eindeutige Orientierung lässt sich hinsichtlich der Beiratsausrichtung bei hochschulischen Instituten feststellen. In den wenigen Fällen, in denen nach unseren Erhebungen überhaupt ein Wissenschaftlicher Beirat unterhalten wird, bleibt die Außendarstellung relativ vage. Dies kann verschiedene Ursachen haben: Entweder wird die Außendarstellung als unwichtig bewertet, da der Beirat als internes Beratungsinstrument verstanden wird. Oder die Unbestimmtheit dient dazu, die Einbeziehung und Aufgaben der Mitglieder flexibel zu gestalten – was auch die Möglichkeit einschließt, den Beirat als inaktive Fassade zu nutzen und lediglich im Bedarfsfall zu aktivieren. Gerade in solchen Situationen ist dann damit zu rechnen, dass dies mit Verweis auf die Reputation der Beiratsmitglieder erfolgt.
Eine starke Reputationsorientierung Wissenschaftlicher Beiräte ist, ausgehend von unseren Erhebungen, sowohl bei Förderprogrammen als auch Forschungsprojekten gegeben. Zunächst lässt sich für beide festhalten, dass Wissenschaftliche Beiräte nur selten unterhalten werden. Wo dies der Fall ist, zeigen sich Unterschiede je nach Förderer: Bei Förderprogrammen, die von Bundesministerien unterhalten werden, agieren Beiräte in einer Doppelfunktion aus Wissenschafts- und Politikberatung und damit in großer Nähe zu politischen Akteuren. Ihre Beratung während der Durchführung des Förderprogramms kommt den wissenschaftlichen Projekten und damit der Wissenschaft zugute, während ihre Tätigkeit vor und ggf. nach der Programmdurchführung auf politische Akteure fokussiert ist. Öffentlich dokumentiert wird in der Regel nicht die konkrete Arbeitsweise der Beiräte, sondern nur deren Zusammensetzung. Das dient vermutlich dazu, die Unabhängigkeit der Mitglieder als Garanten für die wissenschaftliche Qualität und Relevanz des Förderprogramms herauszustellen.
Verbreiteter sind Wissenschaftliche Beiräte bei Projekten von Programmen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden. Vonseiten der DFG gibt es keine verbindlichen Vorgaben für deren Gestaltung. Ihre öffentliche Darstellung beschränkt sich zumeist darauf, die Beiratsmitglieder zu benennen. Entsprechend lässt sich vermuten, dass die Beiräte lediglich punktuell mobilisiert werden, etwa um im Rahmen von Förderanträgen – sei es bei Erstbewilligung oder bei Verlängerung – vor allem mittels Reputation die Bewilligungschancen zu erhöhen. Eine Ausnahme stellen die Langzeitprojekte der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften dar. Hier sind Beiräte obligatorisch und orientieren – analog zu Beiräten bei Instituten von Forschungsorganisationen – als Qualitätssicherungsinstrumente nahezu ausschließlich auf die Nutzung von Expertise. Reputationsfragen spielen daher eine im Vergleich sekundäre Rolle.
Bei der Organisationsform der organisierten Wissenschaft variieren die dominanten Orientierungen der Wissenschaftlichen Beiräte gleichfalls. Hier lassen sich zu den drei Einrichtungen wissenschaftliche Preise, Fachgesellschaften und Fachzeitschriften auch drei verschiedene Einschätzungen treffen: primär Vertrauen/Reputationsorientierung, primär Expertise/Wahrheitsorientierung und sowohl-als-auch.
Die Jurys wissenschaftlicher Preise sind als die Beiräte mit der deutlichsten Reputationsorientierung einzuordnen – was nicht überraschen kann, zielt die Verleihung von Preisen doch gerade auf die Zuweisung von Reputation. Die Auswahl der Jurymitglieder dient der Herstellung von Anschlussfähigkeit für wissenschaftliche und teilweise außerwissenschaftliche Communities durch die Lenkung von Aufmerksamkeit. Preisjurys prämieren nicht nur wissenschaftliche Leistungen, sondern reagieren auch auf soziale Signale aus der wissenschaftlichen Community. Um dies umsetzen zu können, werden die Vergabekriterien oftmals bewusst uneindeutig gehalten, so dass sich ihre Anwendung kaum überprüfen lässt.[16] Nicht zuletzt, um diese Unbestimmtheit abzufangen, muss auf die Reputation der Jury (d.h. des Beirats) verwiesen werden.
Beiräte von Fachgesellschaften stellen, wie erwähnt, insofern eine Ausnahme dar, als ihre Mitglieder nicht organisationsextern rekrutiert werden (können). Die Auswahl der Beiratsmitglieder zielt hier auf gleichmäßige Repräsentation unterschiedlicher Schulen und/oder Belange innerhalb der Disziplin. Kandidatur wie auch Wahl der Mitglieder verdankt sich weit mehr als bei anderen Beiräten – neben der Einbindung in die Community – sozialen Kriterien, z.B. Netzwerken. Einmal konstituiert, ist die Fokussierung auf das Wahrheitskriterium jedoch zentral. Die Beiräte beraten mit ihrer Expertise Vorstand oder Präsidium und führen wissenschaftliche Aktivitäten (Tagungen, Arbeitskreise, Verfassen von Stellungnahmen) durch. In ihrer praktischen Arbeit spielen Reputationsfragen nur eine untergeordnete Rolle.
Bei Fachzeitschriften lässt sich keine eindeutige Orientierung der Beiräte an Wahrheit oder Reputation erkennen. In den Beschreibungen der Verlage, aber auch in der Bezeichnung und der Besetzung wird eine starke Heterogenität der zugedachten Aufgaben erkennbar. Diese reichen von der direkten Mitwirkung an der redaktionellen Kernarbeit über die Beratung hinsichtlich der Grundausrichtung der Zeitschrift bis zum Unterhalten von Beiräten ausschließlich zur Generierung von Vertrauen und Aufmerksamkeit in der relevanten Community mittels Reputation.
Fachzeitschriften unterhalten daher nicht selten mehrere voneinander unabhängige Beiratsarten: Die eine dient primär der Einwerbung und Begutachtung von Beiträgen und ist so dem Kriterium Expertise und damit Wahrheitsorientierung zuzuordnen. Die zweite Art von Zeitschriftenbeiräten wird dagegen parallel zur ersten sowie zur eigentlichen Redaktion unterhalten und weist eine eindeutige Reputationsorientierung auf. Diese Beiräte übernehmen – ähnlich wie Preisjurys – die Funktion, durch Aufnahme möglichst prominenter Mitglieder die Reputation der Zeitschrift zu steigern und damit Vertrauen und Aufmerksamkeit zu generieren. Sie sind in der Praxis oft inaktiv und fordern auch kein Engagement ihrer Mitglieder. Diese wiederum erhalten ihre Mitgliedschaft nur aufgrund dieser Prämisse aufrecht. Ein Wechsel zwischen beiden Beiratsformen ist kaum möglich, da die Mitglieder des ersten Typs oftmals weniger Reputation aufweisen als die des zweiten. Mitglieder des zweiten wären aufgrund eingeschränkter Zeitressourcen nicht zu (relativ konstanter) aktiver Mitarbeit zu bewegen.
Daher fallen Beiräte bei Fachzeitschriften in unserer Auswertung sowohl ins Feld der Wahrheits- als auch in das der Reputationsorientierung. Wohlgemerkt: Welcher Art der jeweilige Beirat einer Zeitschrift zuzuordnen ist, lässt sich nicht an seiner Bezeichnung festmachen. Ein Advisory Board kann Expertise oder Reputation beisteuern, ebenso ein Scientific Committee oder External Advisors. Gerade diese Unschärfe zwischen Bezeichnung und Funktion ermöglicht es Fachzeitschriften, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf unterschiedlichste Weise einzubinden.
Die Einordnung der Untersuchungseinheiten auf den Achsen Wahrheitsorientierung und Reputationsorientierung ergibt folgende Verteilung:
Damit können wir vier grundlegende Typen von Wissenschaftlichen Beiräten identifizieren. Zuerst den Typus des an wissenschaftlichen Wahrheitskriterien orientierten Beirats bei wissenschaftlichen Organisationen; dieser ist bei den meisten der untersuchten Einheiten anzutreffen. Wahrheitsorientierte Beiräte finden sich auch in Einheiten der organisierten Wissenschaft. Diese stellen den zweiten Typus Wissenschaftlicher Beiräte dar. Der dritte und der vierte Typus werden von Beiräten gebildet, die stärker reputationsorientiert sind und sich entweder in wissenschaftlichen Organisationen oder der organisierten Wissenschaft finden. Empirisch ist jedoch der Typ des Beirats, der von Wissenschaftsorganisationen unterhalten wird und primär oder ausschließlich der Generierung von Vertrauen via Reputation dient nicht auffindbar. Diese Funktion wird bedarfsweise von Beiräten abgedeckt, die wahrheitsorientiert sind.
IV. Umgang mit Dysfunktionalitäten
Mittels unserer Untersuchungen konnte vornehmlich ein Einblick in aktive und damit funktionierende Beiratsstrukturen gewonnen werden. Durch Nachfragen konnten jedoch auch Erfahrungen von Beiratsmitgliedern sowie ‑koordinatoren mit Beiräten, aus denen sie ausgeschieden sind, aufgenommen werden. Dabei zeigte sich: Unzufriedenheit bei Beiratsmitgliedern stellt sich meist aus zwei Gründen ein – einerseits eine negative Zeitbilanz, andererseits der Wahrnehmung der Beratungsarbeit als einflusslos, was wiederum als Malus für die durch Beiratsaktivitäten vernutzte Zeit verbucht wird. Wenn Mitglieder eines Beirats den Eindruck der Wirkungslosigkeit gewinnen, so reagieren sie mit Abwanderung in der Form stark eingeschränkter oder komplett ausbleibender Mitarbeit, jedoch kaum mit formellem Austritt (Widerspruch wurde nicht thematisiert). Jedenfalls beeinflusst das dann die (ggf. latenten) Funktionen des Beirats für die beratene Einrichtung negativ.
Der Abwanderung als Reaktion auf (gefühlte) Einflusslosigkeit steht jedoch ein sehr hohes Loyalitätsempfinden gegenüber. Dieses kann sich auf die konkrete beratene Einrichtung, auf die vertretene Forschungsdisziplin (bzw. das Forschungsfeld) oder auf das Wissenschaftssystem insgesamt beziehen. Die Wahrnehmung der eigenen Rolle als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler impliziert für die große Mehrzahl der Befragten die Peer-Beratung – und Wissenschaftliche Beiräte werden als eine Ausprägung dieser Beratungsform in Gestalt von Gremien wahrgenommen. Somit besteht eine hohe Hemmschwelle, bei Unzufriedenheit die Option der Abwanderung zu wählen. Mit anderen Worten: Dadurch, dass die übergroße Mehrheit der Wissenschaftlichen Beiräte die wissenschaftliche Funktion der Wahrheitsgenerierung unterstützt, werden sie von ihren Mitgliedern als Bestandteil der eigenen Rollenidentität aufgefasst. So ist selbst bei einer wahrgenommenen Fehlentwicklung des Beirats – kein oder ein nur geringer Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Verhältnis zu hohem Zeitaufwand – Loyalität die am häufigsten verbreitete Umgangsweise.[17]
Damit handeln die Beiratsmitglieder adäquat, denn laut Luhmann stellt sich ein System auf seine Mängel ein, isoliert Probleme, absorbiert Verhaltensschwierigkeiten, die im Gefolge von Strukturentscheidungen auftreten, und „gewinnt seine Stabilität unter Umständen daraus, daß die Aktionsbeteiligten es lernen, gewisse Nachteile ‚systematisch‘, das heißt: als Kehrseite von Vorteilen des Systems zu betrachten und gegen sie dann nicht mehr zu rebellieren“.[18]
Beiräte, die vornehmlich dem Reputationstransfer und damit nahezu ausschließlich der beratenen Einrichtung dienen, zeichnen sich dagegen durch minimale Zeitinvestitionen der Beiratsmitglieder aus: Insbesondere rein dekorative Fachzeitschriftenbeiräte werden in der Außendarstellung präsentiert, aber nicht durch Aktivitätsanfragen behelligt.
Wenn es die beratene Einrichtung ist, die Wirkungslosigkeit oder unbefriedigende Funktionserfüllung des Beirats wahrnimmt, dann besitzt sie – so ließ sich unseren Tiefensondierungen entnehmen – kontextabhängig verschiedene Umgangsoptionen: Der Beirat kann (teilweise) personell neu besetzt werden; bisher unklare Anforderungen lassen sich den Mitgliedern gegenüber explizit machen (in formalisierter Form wie einer Satzung oder informell); die Beiratsaktivitäten können auf unbestimmte Weise suspendiert werden, indem sich keine Sitzungen mehr anberaumt finden. Die Auflösung eines Beirats kann ebenfalls eine Option darstellen. Sie ist jedoch in den Fällen, die wir in unseren Untersuchungen erfassen konnten, nie genutzt oder erwogen worden.
V. Gründe für die Proliferation Wissenschaftlicher Beiräte
Wissenschaftliche Beiräte sowie die Mitgliedschaft in ihnen werden selten problematisiert. Daraus kann abgeleitet werden, dass sie entweder relativ problemlos funktionieren oder alle Beteiligten Umgangsweisen mit bestehenden Problemen finden. Diesem problemlosen Funktionieren steht gegenüber, dass Wirkungen einzelner Beiräte schwer bis kaum zu belegen sind. Dennoch gehen wir davon aus, dass das Beiratswesen aufgrund der folgenden Punkte in absehbarer Zukunft weiterhin proliferieren wird:
Kulturelle Akzeptanz und ‚gefühlte‘ Funktionserfüllung: Wissenschaftliche Beiräte sind eine in der Wissenschaft und dabei besonders in der Forschung kulturell weitgehend akzeptierte Form der Qualitätssicherung und ‑entwicklung. Dies resultiert vor allem daraus, dass ein Beirat mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand die Legitimität einer wissenschaftlichen Einheit bedeutsam stärken kann. Doch auch bei externen Akteuren, etwa Wissenschaftsadministrationen, werden Beiräte geschätzt. Aus deren Sicht nehmen sie eine Entlastungsfunktion wahr, da dort, wo ein Beirat existiert, gesonderte Qualitätsprüfungen nicht oder seltener vonnöten sind, zumal solche adäquat auch kaum mit eigenen Ressourcen erbracht werden könnten. Das Vertrauen in die Beiratstätigkeit speist sich vor allem aus einer ‚gefühlten‘ Funktionserfüllung: Systematisches Wissen über die konkrete Arbeit Wissenschaftlicher Beiräte oder gar ihre Wirkungen ist kaum vorhanden.
Direkte Qualitätssicherung und ‑entwicklung: Die Qualitätssicherung und ‑entwicklung durch Wissenschaftliche Beiräte geschieht in direkter oder indirekter Form. Direkt findet sie als Gutachtungsprozess unter tendenziell gleichrangigen Kolleginnen und Kollegen statt, bei der die Beiratsmitglieder als kritische Freunde agieren. Evaluativ tätige Beiräte stellen zwar Expertise bereit, die für Entscheidungen zuungunsten der beratenen Einrichtung relevant sein kann (Qualitätssicherung); dabei wird jedoch sowohl von Beiratsmitgliedern als auch koordinierender Seite auf die Trennung zwischen Beratung (durch den Beirat) und möglichem Sanktionspotenzial (durch den Adressaten der Evaluierung) geachtet.
Indirekte Qualitätssicherung und ‑entwicklung: Indirekt tragen Beiratsaktivitäten zur Qualitätsentwicklung bei, indem sie – nicht zuletzt durch die Reputation der Beiratsmitglieder – für Fachfremde klare Signale wissenschaftlicher Expertise generieren. Damit helfen sie, Unterstützung für die Entwicklung der beratenen Einrichtung abzusichern. Da der Aktivitätsmodus „Begutachtung“ dominiert, ist sowohl in wissenschaftlichen Organisationen als auch in Einrichtungen der organisierten Wissenschaft die wissenschaftliche Wahrheitsorientierung mehrheitlich konstitutiv. Das Einbringen von Reputation dagegen wird lediglich situativ zur Qualitätssicherung eingesetzt.
Unsicherheitsabsorption: Die Neigung zur Übernahme erfolgreicher Instrumente der Unsicherheitsabsorption nimmt zu, je stärker in der Organisation oder ihrer Umwelt Unsicherheiten wahrgenommen werden.[19] Organisationen absorbieren Unsicherheiten durch Entscheidungen, mit denen alternative Möglichkeiten ausgeschlossen werden. Auf organisationaler Ebene erleichtern es Wissenschaftliche Beiräte mit ihrer Beratungsleistung, Entscheidungen unter Bedingungen der Unsicherheit zu treffen. Damit erzeugen Organisationen für sich selbst Sicherheit, an der sie dann nur selten rütteln, was zu einer gewissen Trägheit führt. Irritierbarkeit ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Aber sie muss sich auf Ereignisse berufen können, die sich als neu und unvorhergesehen darstellen lassen. Dies kann mitunter zur Einrichtung mehrerer Ebenen von Qualitätsinstrumenten führen. Ein solchermaßen geschaffenes komplexes Gebilde kann dann zur Abweisung von externen Entscheidungszumutungen genutzt werden kann. In diesem Falle wird stets implizit der Hinweis „don’t touch them, they are so complicated“ kommuniziert.[20] Das Ziel, Unsicherheit durch Beratung zu absorbieren, muss nicht aufseiten der Einrichtung liegen, sondern kann ebenso bei Mittelgebern verortet sein. Diese nehmen Unsicherheit in Hinblick auf ihre Kompetenz zur Einschätzung der wissenschaftlichen Qualität bzw. (Praxis‑)Relevanz von Forschungsvorhaben wahr, die durch die Beratungsleistung eingehegt werden soll. Durch die Ausrichtung sowohl auf die Organisation als auch auf die jeweilige Organisationsumwelt (mindestens Wissenschaft, teilweise auch gesellschaftliche Anspruchsgruppen), können Beiräte diese Doppelfunktion wahrnehmen.
Irritation versus Unsicherheitsabsorption: Beiräte können in zweifacher Hinsicht wirksam werden. Zum einen erzeugen sie Irritationen, indem sie durch die Beratung auf Möglichkeiten aufmerksam machen, die durch bisherige Entscheidungen der Organisation nicht berücksichtigt wurden. Dies kann Teil der wissenschaftlichen Selbstkontrolle sein und/oder auf die Initiative von Stakeholdern zurückgehen. Auf diese Weise erzeugen Beiräte Veränderungsbereitschaft innerhalb der Organisation. Dieser Funktion des Beirats als Generator von Irritation steht, zum anderen, seine Aufgabe gegenüber, bei der Bearbeitung neuer Ereignisse mitzuwirken, die durch die Organisation selbst in ihrer Umwelt (innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft) wahrgenommen werden. Diese Beratung durch den Beirat dient nicht der Sensibilisierung der Organisation, sondern dem Absorbieren von Unsicherheit, etwa durch Empfehlungen, welche als Prämissen für künftiges Handeln der Organisation behandelt werden können.
Absichern oder Abfedern von Veränderungen in Entscheidungsprozessen: Gerade Mitglieder und Beratene von Beiräten, die auch evaluativ tätig sind, operieren mit dem, was Martin Reinhart und Daniel Sirtes als „notwendige Intransparenz“ beschrieben haben.[21] Mit Blick auf Peer-Review-Verfahren in der Forschungsförderung konstatieren sie, dass ein gewisses Maß an Intransparenz strategische Vorteile durch Autonomiegewinne bringe. Wo organisationale Entscheidungsprozesse pyramidal und stets lediglich mit Bezug auf die direkt vorangegangene Entscheidung entwickelt werden, besteht die Möglichkeit, die Expertise verschiedener Gremien an unterschiedlichen Stellen in Entscheidungsprozesse einzubinden und deren Entscheidungen als jeweils aktuellste einzuspeisen. Beiräte, die als Evaluationsgremien mit relativ starkem Einfluss darauf ausgestattet sind, welche Forschung auf der Grundlage von Qualitätskriterien weiterverfolgt werden soll, können in ‚notwendig intransparente‘ Kontexte mit mehreren Beratungsgremien eingebunden werden, so dass ihre Entscheidungen revidierbar werden.
Beiräte können ebenso der Förderung wie der Verhinderung von organisationaler Veränderung dienen. Im ersten Fall unterstreicht ein Beirat die Signifikanz wahrgenommener Irritationen (z.B. aufkommende Themenfelder, neue Methoden, veränderte Umwelterwartungen) und erbringt durch seine Stellung als (kritischer) Freund eine Übersetzungsleistung. Diese erleichtert es Organisationsmitgliedern, Irritationen produktiv in bestehende organisationale Kontexte einzubringen und diese Kontexte entsprechend zu modifizieren. An dieser Schnittstelle kann die Distanz des Beirats zur Organisation auch negativ zu Buche schlagen, wenn allgemeine Trends der Organisationsentwicklung trotz fehlender konkreter Passung empfohlen werden. Da Beiräte jedoch keine Weisungsbefugnis besitzen, kann ihr Votum letztlich auch abgelehnt werden. Im Modus des Verhinderns von Veränderung dagegen wird ein Beirat als Verbündeter wirksam, der durch die Verbindung von fachlicher und symbolischer Autorität der beratenen Einheit Konfliktlasten abnimmt: Irritationen aus der Umwelt (etwa von politischen Akteuren), welche sowohl Organisation als auch Beirat als unpassend wahrnehmen, werden unter Einbezug des Beirats so gekonnt zurückgewiesen, dass diese Weigerung nicht negativ auf die Organisation zurückfällt.
Dr. Andreas Beer und Daniel Hechler M.A. sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle-Wittenberg. Prof. Dr. Peer Pasternack ist Direktor des HoF
[1] Der Beitrag beruht auf den Ergebnissen eines vom BMBF geförderten Forschungsprojekts. Die explorative Untersuchung umfasste (a) eine Landschaftskartierung zum Vorhandensein und den Charakteristika Wissenschaftlicher Beiräte im deutschen Wissenschaftssystem, (b) Tiefensondierungen zur Ermittlung des Nutzens und der (monetären und zeitlichen) Kosten solcher Beiräte, © die Entwicklung eines Abschätzungsmodells zwischen unterschiedlichen Kosten- und Nutzenarten. Die Ergebnisse wurden kürzlich in Form einer Monografie veröffentlicht, Informationen zu dieser sowie zum Projekt unter https://www.hof.uni-halle.de/publikation/der-wissenschaftliche-beirat/.
[2] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main, 1990.
[3] Starck, Peer Review für wissenschaftliche Fachjournale, Wiesbaden, 2018, S. 39.
[4] Diese Beiräte werden im Folgenden stets als Wissenschaftliche Beiräte bezeichnet, um sie von anderen Beiratsarten abzugrenzen.
[5] Ahlemeyer, Systemische Organisationsberatung und Soziologie, S. 82, in: von Alemann/Vogel (Hrsg.), Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen, 1996. Kahlert, Entgrenzung zwischen Wissenschaft und Praxis? Kritische Reflexionen am Beispiel der soziologischen Beratung, S. 132–133, in: Hölscher/Suchanek (Hrsg.), Wissenschaft und Hochschulbildung im Kontext von Wirtschaft und Medien, Wiesbaden, 2011. Lentsch, Wissenschaftliche Politikberatung: Organisationsformen und Gestaltungselemente, S. 321, in: Simon et al. (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftspolitik, 2. Auflage, Wiesbaden, 2016.
[6] Ahlemeyer, Systemische Organisationsberatung und Soziologie, S. 79, in: von Alemann/Vogel (Hrsg.), Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen, 1996.
[7] Kahlert, Entgrenzung zwischen Wissenschaft und Praxis? Kritische Reflexionen am Beispiel der soziologischen Beratung, S. 124, in: Hölscher/Suchanek (Hrsg.), Wissenschaft und Hochschulbildung im Kontext von Wirtschaft und Medien, Wiesbaden, 2011.
[8] Calle, Zur sozialen Wirksamkeit soziologischer Beratung, S. 151, in: Alemann/Vogel (Hrsg.), Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen, 1996.
[9] Ahlemeyer, Systemische Organisationsberatung und Soziologie, S. 79–80, in: von Alemann/Vogel (Hrsg.), Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen, 1996.
[10] Kahlert, Entgrenzung zwischen Wissenschaft und Praxis? Kritische Reflexionen am Beispiel der soziologischen Beratung, S. 132, in: Hölscher/Suchanek (Hrsg.), Wissenschaft und Hochschulbildung im Kontext von Wirtschaft und Medien, Wiesbaden, 2011.
[11] Ahlemeyer, Systemische Organisationsberatung und Soziologie, S. 80, in: von Alemann/Vogel (Hrsg.), Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen, 1996.
[12] Zu den dabei nicht hintergehbaren Problemen struktureller Kopplung siehe Buchholz, Professionalisierung der wissenschaftlichen Politikberatung? Interaktions- und professionssoziologische Perspektiven, Bielefeld, 2008.
[13] Vgl. Schimank, Leistungsbeurteilung von Kollegen als Politikberatung. Am Beispiel von Evaluationen im Hochschulsystem, in: Schützeichel/Brüsemeister (Hrsg.), Die beratene Gesellschaft, Wiesbaden, 2004.
[14] Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main, 1990, S. 167ff.
[15] Reputation wird zwar in erster Linie an Forschende verliehen, aber auch Organisationen wie Institute oder auch Tagungen können von ihr profitieren.
[16] Beck, Gütekriterien zur Bewertung von Wissenschaftspreisen, Ulm, S. 20, 2013.
[17] Einen konfliktarmen Anlass, um aus Beiräten auszuscheiden – mithin für einen unauffälligen exit –, bietet der leicht zu begründende Verzicht auf eine erneute Beteiligung nach dem Ende einer Amtsperiode.
[18] Luhmann, Die Grenzen der Verwaltung, Frankfurt am Main, 2021, S. 98f.
[19] DiMaggio/Powell, The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields, in: American Sociological Review 2/1983, 1983.
[20] Wissel, Hochschule als Organisationsproblem. Neue Modi universitärer Selbstbeschreibung in Deutschland, Bielefeld, 2007, S. 32. Krücken/Röbken, Neo-institutionalistische Hochschulforschung, in: Koch/Schemmann (Hrsg.), Neo-Institutionalismus in der Erziehungswissenschaft. Grundlegende Texte und empirische Studien, Wiesbaden, 2009.
[21] Reinhart/Sirtes: Wie viel Intransparenz ist für Entscheidungen über exzellente Wissenschaft notwendig?, in: Hornbostel/Simon (Hrsg.), Wie viel (In-)Transparenz ist notwendig? Peer Review revisited, Berlin, 2006.