I. Einleitung II. Vorgeschichte: Die Bildungsexpansion III. Gründung der Fachhochschulen IV. Differenzierungs- und Aufwertungsschritte V. Der Transfer als neu geforderte Leistungsdimension einer Hochschule VI. Die neue Bedeutung von Region und die Strategie einer intelligenten Spezialisierung VII. Die Mission der HAW und ihre Abgrenzung zu anderen Hochschultypen VIII. Ausblick I. Einleitung Es ist ein merkwürdiges Jubiläum, welches in diesem Jahr begangen wird. Vor 50 Jahren wurde bundesweit ein neuer Hochschultyp, die Fachhochschule, gegründet, aber in Feierlaune waren damals nur wenige. Denn was sich in den Jahren 1969 bis 1971 an vielen Orten Deutschlands vollzog, waren keine Neugründungen von Hochschulen, sondern Zusammenführungen von bislang selbstständigen und zum Teil traditionsbewussten Fachschulen. Sie bekamen einen neuen Namen, wurden formal zu Hochschulen aufgewertet, jedoch nicht in die Lage versetzt, diesen Anspruch erfüllen zu können. Bis heute erwächst aus der überhastet durchgeführten Gründung auch ein Teil der Profilierungsschwäche, unter der der Hochschultyp bis heute vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung leidet. Diese These soll im ersten Drittel dieses Aufsatzes erläutert werden. Das Problem der Fachhochschulen war über Jahrzehnte ihr diffuser gesetzlicher Auftrag, der zwar zu einer Schule, aber nicht zu einer Hochschule passen wollte. Eine anwendungsbezogene Lehre zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit bereitzustellen – das reichte als Auftrag für eine vollwertige Hochschule nicht aus. Noch in den achtziger Jahren unterschied das Bundesverfassungsgericht zwischen „Fachhochschulen“ und „wissenschaftlichen Hochschulen“, womit es öffentlich feststellte, dass Fachhochschulen eben keine wissenschaftlichen Hochschulen waren. Aber was waren sie dann? Die Frage blieb lange ungeklärt und führte zu einem erheblichen Reputations- und Imageproblem für die Fachhochschule – zumindest in den ersten 20 Jahren ihres Bestehens. Erst nach der deutschen Einheit setzte eine Hochschulgesetzgebung ein, die den Hochschultyp Fachhochschule systematisch aufwertete und aus dieser Verlegenheit herausführte. Die damit gestartete Reifung zu einer wissenschaftlichen Hochschule, die bis heute anhält und die schließlich dazu geführt hat, dass man heute weit besser als vor 50 Jahren definieren kann, was eine Fachhochschule ausmacht und wie sie sich von der Universität abgrenzt, soll in dem vorliegenden Aufsatz nachgezeichnet werden: über die Hochschulgesetzgebung der frühen 90er Jahre, die den Fachhochschulen auch angewandte Forschung als Aufgabe zuwiesen, den mit der Jahrtausendwende einsetzenden Bologna-Prozess, der die Abschlüsse in Europa und in Deutschland harmonisierte und die Gleichwertigkeit der Fachhochschulabschlüsse zur Folge hatte, den Transfer, der neben Forschung und Lehre zur dritten Leistungsdimension einer Hochschule heranwuchs bis zu den von der Europäischen Kommission eingeforderten Innovationsanstrengungen der einzelnen Regionen, die wiederum den regional positionierten Hochschulen zu Gute kommen. II. Vorgeschichte: Die Bildungsexpansion Schon in den frühen 50er Jahren geriet das Thema Bildung mehr und mehr in den Blickpunkt der Politik. Die Bildungsgesellschaft zog herauf, der Arbeitsmarkt erforderte andere, häufig mehr theoretische Qualifikationen. Während breite gesellschaftliche Schichten zu ahnen begannen, dass eine akademische Bildung sich als „Königsweg für den sozialen Aufstieg“1 erweisen könnte, verharrte die bundesdeutsche Politik mindestens bis Hans-Hennig von Grünberg / Christian Sonntag 50 Jahre Fachhochschule Über das langsame Entstehen eines neuen Hochschultyps 1 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 5, S. 380–385. Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197 158 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 2 Hildegard Hamm-Brücher: Der Weg zur demokratischen Bildungsgesellschaft, in: DIE ZEIT, 2. April 1965. 3 Nach DIE ZEIT: Hat Georg Picht Recht behalten? 30.1. 2014. 4 Werner Mayer: Bildungspotential für den wirtschaftlichen Wandel. Die Entstehung des Hochschultyps „Fachhochschule“ in Nordrhein-Westfalen 1965–1971. Essen 1997, S. 98. 5 Ebd., S. 23/27. 6 Ebd., S. 79. 7 Ebd., S. 50. zur Mitte der 60er Jahre in einem „Zustand der Restauration“, wie die FDP-Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher in einem Grundsatzreferat kritisierte.2 Ein Jahr zuvor hatte der Lehrer Georg Picht in der evangelischen Wochenzeitung „Christ und Welt“ in einer Artikelserie zum deutschen Bildungswesen vor einer „Bildungskatastrophe“ gewarnt. Es werde zu wenig Geld in Bildung investiert, es bestünde im deutschen Bildungswesen keine Chancengleichheit, der Bund müsse mehr Mitsprache erhalten – und mehr junge Menschen müssten studieren, schrieb er.3 Dabei wuchsen die Studierendenzahlen: Von 133.000 im Jahr 1953/54 auf 295.000 im Jahr 1963/64. Zehn Jahre später waren es sogar schon 726.000 Studierende. Es war absehbar, dass es ohne eine aktive Bildungspolitik – einen Bundesbildungsminister sollte es erst ab 1969 geben – nicht weitergehen konnte. Die einstigen Eliteuniversitäten mussten sich zu Massenuniversitäten wandeln. Hinzu kam die Forderung nach mehr Demokratie innerhalb der Universitäten. Kurz: Der Ruf nach einer umfassenden Hochschulreform wurde lauter.4 Daneben gab es eine weitere, nicht minder brisante Entwicklung. Das Wirtschaftswunder benötigte immer mehr gut ausgebildete, technisch versierte und spezialisierte Fachkräfte. Die Rationalisierungs- und Automatisierungswelle, die die deutsche Wirtschaft ergriff, verlangte nach entsprechend ausgebildeten Experten. Die traditionellen Ingenieurschulen, zum größten Teil Gründungen aus dem Kaiserreich, konnten den wachsenden Anforderungen nur unzureichend Herr werden. Überlastung der Studierenden und Dozenten war die Folge. Mittelfristig, das wurde Ende der 50er Jahre immer deutlicher, musste diese im Wesentlichen von den Anforderungen der Wirtschaft bestimmte Entwicklung zu einer Aufwertung der Ingenieurschulen führen. Denn diese führten ein zunehmend unbefriedigendes Dasein irgendwo zwischen Fachschule und Technischer Hochschule, wie die Kultusministerkonferenz dies zuletzt 1953 noch einmal bestätigt hatte. Verwaltet wurden sie wie Volksschulen. Sie waren nicht-rechtsfähige Anstalten ohne Selbstverwaltungsrechte. Weisungsbefugte Aufsichtsbehörde war der Regierungspräsident. Die Schüler drückten 36 bis 40 Stunden in der Woche die Schulbank, kamen sechs Tage pro Woche in die Schule, erhielten Klassenunterricht, welcher „seminaristisch“ angelegt war, was bedeutete, dass der Dozent einen Vortrag hielt und ein anschließendes Lehrgespräch dazu erfolgte. Lehrpläne und Prüfungsordnungen waren vorgegeben.5 Auf den Schulbänken saßen aber keine jungen Pennäler, sondern erwachsene Menschen, die neben ihrer Fachschulreife oft schon eine Lehre abgeschlossen oder sogar schon in einem Beruf gearbeitet hatten. Altersmäßig war der Großteil zwischen 20 und 25 Jahre alt, zehn Prozent waren sogar über 30 Jahre. Hinzu kam eine von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) geplante Neuregelung des Niederlassungsrechts für selbstständige Ingenieure in den Beneluxländern, Italien, Frankreich und der BRD, wonach dies nur Ingenieuren mit Hochschulausbildung zugestanden werden sollte. Die Ingenieurschul-Absolventen wären zu Technikern, zu Ingenieuren zweiter Klasse degradiert worden.6 Die Direktoren der Ingenieurschulen, ihre Dozenten und Studenten wollten das verhindern. Sie einte der Wunsch, an einer Institution zu lernen und zu lehren, die mehr einer Hochschule denn einer Schule ähnelte. Dazu war es nötig, die Ingenieurschulen aus dem Schulverwaltungsgesetz herauszunehmen, sie als eigenständige Körperschaften anzuerkennen, ihre Eingangsvoraussetzungen zu erhöhen, Studien- und Prüfungsordnungen zu ändern, allgemeinbildende Unterrichtsteile zu etablieren und vieles mehr. Alleine: Für maßgebliche Bereiche in der Politik war dies nicht vorstellbar. Noch bis in die Mitte der 1960er Jahre war beispielsweise die Haltung des Düsseldorfer Landtags in dieser Frage eindeutig: Die Ingenieurschulen sollten zwar ausgebaut, aber aus Kostengründen ihr derzeitiger Status unangetastet bleiben. Zumal ihre Aufwertung in Richtung einer wissenschaftlichen Einrichtung auch die Frage aufgeworfen hätte, was mit den übrigen Höheren Fachschulen geschehen sollte. Das gesamte berufliche Bildungswesen, und damit auch das Hochschulwesen hätte auf den Prüfstand gemusst.7 Zu solch einschneidenden Maßnahmen war aber zu diesem Zeitpunkt niemand bereit. Einer, der wie kein anderer die Notwendigkeit dazu erkannt hatte, war Ralf Dahrendorf, streitbarer Soziologe und Philosoph. Sein Buch „Bildung ist Bürgerrecht“ von 1965 entfaltete die Vision einer Bildungsgesellschaft. Einer seiner revolutionären Gedanken: Wenn immer mehr junge Menschen studierten, müssten Universitäten „zunächst einmal Ausbildungsstätten“ werden. Eine Reform müsse daher dafür Sorge tragen, dass möglichst viele junge Menschen innerhalb kurzer Zeit zu einem berufs- von Grünberg/Sonntag · 50 Jahre Fachhochschule 159 8 Ebd., S. 100f. 9 Holuscha: Das Prinzip Fachhochschule. Erfolg oder Scheitern? Eine Fallstudie am Beispiel Nordrhein-Westfalen. Dissertation Marburg 2012 , S. 71ff. 10 Zitiert nach Holuscha, S. 84. befähigenden Abschluss kämen. Im Auftrag des badenwürttembergischen Kultusministers leitete Dahrendorf einen Arbeitskreis von Professoren, der am 30. Juli 1967 einen Gesamtplan für die Hochschulentwicklung vorlegte. Auch wenn dieser nicht unmittelbar umgesetzt wurde, führte er doch zwei wesentliche Entwicklungen zusammen – nämlich die Reform der Ingenieurschulen mit der des Hochschulwesens. Im Kern ging es darum, verschiedene Hochschultypen miteinander zu verbinden, bei hoher Durchlässigkeit Kurz- und Langstudiengänge einzuführen sowie zwischen praxisnahen und überwiegend theoretischen Kurzstudiengängen zu unterscheiden.8 Studenten der Ingenieurschulen und Höheren Fachschulen erkannten darin die Chance, dass ihre Bildungsstätten zu gleichberechtigten Hochschulen im tertiären Bildungsbereich aufgewertet würden. Mit der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie einer Erhöhung der Eingangsvoraussetzungen sahen sie zudem ihre Chancen erhöht, auf EWG-Ebene anerkannt zu werden. Die Studenten trugen ihren Protest auf die Straße, friedlich demonstrierten sie für die Aufwertung ihrer Ausbildung. Einen Tag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke zu Ostern 1968 kündigten sie einen unbefristeten Streik an. Die Ingenieurschüler wollten diese Chance nicht ungenutzt lassen. III. Gründung der Fachhochschulen Am 5. Juli 1968 einigten sich die Ministerpräsidenten der Länder darauf, den neuen Hochschultyp Fachhochschule einzuführen. Am 31. Oktober folgte das „Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Fachhochschulwesen“, das zentrale Dokument zur Entwicklung der Fachhochschulen. Seine Grundaussagen waren erschreckend substanz- und ambitionslos. Der Bildungsauftrag des neuen Hochschultyps: „Sie vermitteln eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Bildung.“ Kein Wort zu Forschung, kein Wort zu gesellschaftlichem Auftrag, kein Gedanke auch zur Notwendigkeit, künftige Wissenseliten zu fördern oder regionale Innovationspotentiale zu schöpfen. Von der ersten Stunde war und blieb das Problem der Fachhochschulen: ein offensichtlich rein schulischer Auftrag für eine Institution, die eigentlich eine wissenschaftliche Hochschule sein sollte. Nicht einmal einen Status als rechtsfähige Körperschaft billigte man dem neuen Hochschultyp zu. Die Durchlässigkeit zwischen den Hochschularten tauchte zwar an drei Stellen auf, näher spezifiziert wurde sie nicht.9 Die Lehrkräfte hießen statt Bauräte oder Räte jetzt Lehrkräfte oder Dozenten, an ihren Einstellungsvoraussetzungen aber änderte sich ebenfalls nichts. Als einzige Hochschulgruppe gelang es den Studierenden, mit Rechten und Aufgaben ihren Kommilitonen an den wissenschaftlichen Hochschulen gleichgestellt zu werden. Dass hiermit eine durch ihre bloße Quantität besonders wichtige Gruppe auf eine kostengünstige Art und Weise zufrieden gestellt werden sollte, liegt wohl auf der Hand. Ab jetzt war es den Ländern überlassen, das Abkommen auszugestalten. Nordrhein-Westfalen tat dies mit dem Fachhochschulgesetz vom 29. Juli 1969 (und dem Gesetz über die Errichtung von Fachhochschulen vom 8. Juni 1971), die anderen Bundesländer zogen nach und wichen dabei nicht wesentlich von dem Düsseldorfer Gesetz ab. Die wichtigste Veränderung gegenüber dem Abkommen: Fachhochschulen sollten eigene Körperschaften des öffentlichen Rechts werden. In §2 wurden der Bildungsauftrag ein wenig konkreter, aber insgesamt keineswegs ambitionierter festgeschrieben: „Die Fachhochschulen vermitteln durch praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher oder künstlerischer Grundlage beruhende Bildung, die zur selbstständigen Tätigkeit im Beruf befähigt. Sie betreiben auch Fortbildung und Weiterbildung. Sie können im Rahmen ihres Bildungsauftrags eigene Untersuchungen durchführen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wahrnehmen.“10 Neu war, dass Fort- und Weiterbildung als Status quo formuliert wurde und Forschungs- und Entwicklungsaufgaben als vage Kann-Option auftauchte. Die KannOption war natürlich insofern gerechtfertigt, als dass es ja kaum Personal gab, welches diese Forderung hätte umsetzen können. Lehrende waren die ehemaligen Räte, die zwar studiert, aber in aller Regel nicht promoviert oder irgendeine andere nennenswerte wissenschaftliche Tätigkeit ausgeübt hatten. Andere Unzulänglichkeiten kamen hinzu: Die Herausforderungen beim Übergang Schule / Hochschule wurden nicht thematisiert. Es gab keine Verwaltung, die Erfahrung in der Selbstverwaltung hatte. Es gab zu wenig Sach- und Personalmittel, ganz zu schweigen von der räumlichen Situation, die vielerorts zu jahrelangen Improvisationen führte. Es gab aber auch kein theoretisches Fundament, auf dem man einen Bildungsauftrag hätte formulieren können, keine überragende Persön- 160 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 11 Hermann Ostendorf: Aus der Region gewachsen. 40 Jahre Hochschule Niederrhein, Krefeld 2011, S. 166f. 12 Jörg-Peter Pahl: Fachhochschule: Von der Fachschule zur Hochschule für angewandte Wissenschaften, Bielefeld 2018, S. 70. 13 Der Spiegel, 41/1971: „Mit dem Latein am Ende“, S. 92–105. lichkeit, die als Mr. oder Mrs. Fachhochschule den Hochschultyp an sich gerissen und eine klare Position in der Bildungslandschaft besetzt hätte. Für NRW kam erschwerend hinzu, dass die Fachhochschulen von vorneherein als Zwischenlösung angesehen wurden. In §5 des Fachhochschul-Errichtungsgesetzes stand: „Alle Gründungsmaßnahmen erfolgen mit dem Ziel der späteren Einbeziehung der Fachhochschulen in integrierte Gesamthochschulen.“ Im Klartext: Was man gerade gegründet hatte, war nur für den Übergang geschaffen und sollte eigentlich bald wieder verschwinden. Wer so startet, braucht eigentlich gar nicht loszulaufen. Die Entstehung der Fachhochschule Niederrhein zum 1. August 1971 ist ein Musterbeispiel für eine verkorkste Gründung. Sie wurde von vorneherein überlagert von der Diskussion über die Integration der neuen Hochschule in eine Gesamthochschule Düsseldorf. Am 30. April 1971 titelte die Westdeutsche Zeitung: „Krefeld kommt zu Düsseldorf. Fachhochschule ist gelaufen“. Ende Juni besuchte Kultusminister Johannes Rau Krefeld. Dort erteilte er den Krefelder Bestrebungen nach einer Gesamthochschule Niederrhein eine Absage. Aufmerksam wurde jedoch Raus Ankündigung registriert, Krankenhäuser zu akademischen Lehranstalten umzuwandeln, weil man darin die Aussicht auf eine Universität erkennen wollte. Dass in nicht einmal sechs Wochen eine Fachhochschule in Krefeld gegründet werden sollte, darüber fiel kaum ein Wort. Planmäßig sollte diese nach dem Gesamthochschulerrichtungsgesetz vom 30. Mai 1972 in die Gesamthochschule Düsseldorf integriert werden. Gründungsrektor Dr. Karlheinz Brocks plädierte vehement dagegen, forderte wegen der Größe von 4000 Studierenden – das waren mehr, als die Universität Düsseldorf hatte – eine eigene Gesamthochschule Niederrhein, arbeitete aber zugleich an der Integration der verschiedenen Fachschulen zu einer Fachhochschule. So war letztlich erst 1975 klar, dass es in Krefeld und Mönchengladbach dauerhaft eine Fachhochschule geben würde.11 Damit war man zwar von Düsseldorf unabhängig, hatte aber den Sprung zur Gesamthochschule nicht geschafft. Neben der Verwirrung darüber, was denn nun mit dieser neuen Institution Fachhochschule erreicht war, trat zugleich ein Gefühl der Enttäuschung ein, es nicht zu einer Gesamthochschule geschafft zu haben. Man kann sich vorstellen, dass die ersten Jahre des neuen Hochschultyps alles andere als glänzende waren. Ziele, Zuständigkeiten, Aufgaben, gesellschaftlicher Auftrag – all dies war nicht eindeutig formuliert und konnte auch nicht aus den Gründungsdokumenten abgeleitet werden. Zwar nannte man sich fortan Hochschule, nannte die ehemaligen Lehrer nun Professoren, die vormaligen Direktoren nun Rektoren. Zwar sprach man ab sofort von Fachbereich, Senat und Kuratorium. Zwar war nun nicht mehr das Schulministerium, sondern das Wissenschaftsministerium zuständig. Aber letztlich blieb das Etikettenschwindel. Denn wo war das Neue? Da war der von den Höheren Fachschulen übernommene Auftrag, „praxisorientierte, wissenschaftliche Ausbildungsgänge“12 anzubieten. Aber wie sollte man mit einem dezidiert schulischen Auftrag eine Hochschule sein, wie sollte sich der neue Hochschultyp überhaupt von den vormaligen Schulen abgrenzen? Wie von den anderen Hochschultypen? Und musste nicht jedem klar sein: Wer eine Institution lediglich sprachlich aufwertet, lässt sie mit der schlechtmöglichsten Reputation starten. Und das in der akademischen Welt, in der Reputation eigentlich alles ist. Aufmerksamen Zeitgenossen blieb die Unzulänglichkeit der Neu-Gründung indes nicht verborgen. Der Spiegel schrieb am 6. Oktober 1971: „Fachhochschulen mögen billiger werden, wenn sie auf Forschung weitgehend verzichten; ohne Forschung oder Zugang zur Forschung aber scheint wissenschaftlich orientierte Lehre heute kaum noch möglich.“ Das „Sozialprestige-Gefälle“ zwischen Universität und Fachhochschule bestand fort, der Gymnasiast aus bürgerlichem Hause mied die Fachhochschule genauso wie zuvor die Ingenieurschule.13 Fortan pflegte man den schönen Schein „Hochschule“, blieb aber im Alltag Schule, litt unter dem aus diesem Widerspruch resultierenden Image- und Reputationsproblem und baute innerhalb des vorgegebenen Rahmens trotzdem sein Studienangebot konsequent aus. Immer von dem Auftrag getrieben, der regionalen Wirtschaft durch passende Studiengänge und Ausbildungswege Fachkräfte zur Verfügung stellen zu können. Als Schule betrachtet entwickelten sich die Fachhochschulen dabei durchaus erfolgreich: Der Bedarf in den Unternehmen nach praxisnah und akademisch gebildeten jungen Menschen schien unersättlich. IV. Differenzierungs- und Aufwertungsschritte Die Unternehmensnähe als Stärke erkennend und systematisch ausbauend, kam es zu einem ersten wichtigen von Grünberg/Sonntag · 50 Jahre Fachhochschule 161 14 Siehe hierzu: 30 Jahre Ingenieur-Ausbildung in Krefeld, Krefeld 1988. 15 Pahl, S. 71. 16 Johanna Wanka: 25 Jahre Wiedervereinigung in Wissenschaft und Forschung, Rede 2015. Zitiert nach Pahl, S. 72. 17 Christian Braun: Promotionsrecht für Fachhochschulen? Bonn 1994, S. 146–153 sowie die Auflistung der Gesetzesänderungen im Anhang, S. 226–231. 18 Ebd., S. 150. 19 Ebd., S. 163f. In den nachfolgenden Hochschulgesetzesnovellierungen wurde dann das Aufgabenfeld Forschung an Fachhochschulen nach und nach erweitert. 2010 stellte das Bundesverfassungsgericht fest: „Heute gestattet die Mehrheit der Bundesländer in ihren Hochschulgesetzen den Fachhochschulen nicht lediglich zu forschen, Forschung wird den Fachhochschulen vielmehr als Aufgabe, teilweise sogar ohne funktionale Bindung an ihren Ausbildungsauftrag, ausdrücklich zugewiesen. Damit haben sich auch die dienstrechtlich vermittelten Aufgaben von Fachhochschullehrern inhaltlich erweitert.“ (BverfG, BvR 216/07, III, 32). Differenzierungsschritt, der bezeichnenderweise von einer regionalen Industrie- und Handelskammer angestoßen und von vielen Fachhochschulen übernommen wurde. In Krefeld wurde zu Beginn der 80er Jahre ein duales Studium entwickelt, das eine besondere Form der Zusammenarbeit von Unternehmen und Fachhochschulen schuf und die Studierenden noch enger an die Unternehmen band.14 Das kooperative Ingenieurstudium sah vor, dass die Studierenden parallel zu ihrem Studium einen von der IHK anerkannten Ausbildungsberuf in einem kooperierenden Unternehmen erlernten, um nach zehn Semestern zwei Abschlüsse – das Diplom und den IHK-Abschluss – vorweisen zu können. Das sogenannte Krefelder Modell, die kooperative Ingenieurausbildung, wurde von den Unternehmen gerne angenommen und führte dazu, dass eine wachsende Zahl nichttraditioneller Studierender ein Studium aufnahm. Die Einführung des dualen Studiums half auch dabei, die Fachhochschulen als eigenständige, praxisorientierte Hochschulen aufzuwerten und ihnen in Abgrenzung zu den Universitäten ein eigenes Profil zu geben. Noch heute finden sich duale Studiengänge vor allem in den Studienprogrammen von Fachhochschulen. Der nächste relevante Entwicklungsschritt hatte mit der Wiedervereinigung zu tun. In der DDR hatte es keine Fachhochschulen gegeben, neben den Universitäten und Hochschulen gab es die Fachschulen und die polytechnischen Institute, die aus den Ingenieurschulen hervorgegangen waren. Mit der deutschen Einheit wurden nun zum Teil – ähnlich wie 1971 in Westdeutschland – einzelne Institute zu Fachhochschulen zusammengelegt. Andere Hochschulen wurden zu Fachhochschulen herabgestuft und verloren ihr Promotionsrecht.15 Das mochte bitter für die herabgestuften Hochschulen sein, führte aber in der Fläche dazu, dass die Bedeutung von Forschung an den ostdeutschen Fachhochschulen – und damit in der Folge auch an den Westdeutschen – stieg. Denn ein Großteil des Personals kam von Universitäten oder Hochschulen, darunter nicht wenige habilitierte Wissenschaftler, die ihre Forschung nicht aufzugeben bereit waren, sondern die Forschungskultur an ihre neuen Wirkungsstätten mitnahmen.16 In allen Bundesländern wurden in den Jahren 1990 bis 1993 neue Hochschulgesetze auf den Weg gebracht, die – bis auf Bayern – alle der anwendungsbezogenen Forschung und Entwicklung an den Fachhochschulen größeren Raum gaben.17 Dabei wurde Forschung in vielen Ländern erstmals als Pflichtaufgabe benannt. So dienten beispielsweise in Nordrhein-Westfalen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „der wissenschaftlichen Grundlegung und Weiterentwicklung der anwendungsbezogenen Lehre und des Studiums und haben in der Regel die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden in der Praxis zum Gegenstand“.18 Damit war aber auch gesagt, dass die Forschung der Lehre nachgeordnet war, dass sie ausschließlich anwendungsorientiert zu sein habe und im Übrigen der Aktualität der Lehre dienen solle. Das war kein Freibrief für die Fachhochschulen, jetzt erkenntnisorientierte Forschung zu betreiben. Aber es bedeutete auch nicht, dass Forschung lediglich ein Feld für professorale Nebentätigkeit sein sollte. Die Professoren waren zwar weiterhin nicht zur Forschung verpflichtet; aber indem es die Fachhochschulen waren, konnten die Professoren daraus ihr Recht zu forschen ableiten.19 Es dauerte wiederum nur wenige Jahre, bis der nächste große Entwicklungsschub einsetzte: Bologna. Bisher schlossen die Fachhochschulstudenten ihr Studium mit einem Diplom ab. Es gab den „Diplom-Ingenieur (FH)“, der allerdings im öffentlichen Dienst nur für eine Laufbahn im gehobenen Dienst berechtigte. Der höhere Dienst blieb den Universitäts-Absolventen vorbehalten. Auch international war die Anerkennung der FH-Abschlüsse nicht eindeutig geregelt. Die 1999 in Bologna verabschiedete europäische Hochschul-Reform sah nun unter anderem ein zweistufiges System berufsqualifizierender Studienabschlüsse (Bachelor und Master), die Etablierung des European Credit Transfer System (ECTS) sowie eine auf Beschäftigungsfähigkeit (Employability) zielende Ausrichtung der Studiengänge vor. Das glich einem Konjunkturprogramm für die Fachhochschulen, die damit nicht nur die Debatten über die Gleichwertigkeit ihrer Abschlüsse über Nacht loswurden, sondern vor allem die herausgehobene Relevanz ihrer auf Beschäftigungsfähigkeit zielenden Studiengänge bestätigt bekamen. Es kann nicht verwundern, dass die 162 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 20 Georg Etscheit: Wir haben die Nase weit vorn. Vorbei ist die Zeit der Minderwertigkeitskomplexe: Fachhochschulen sind die Reformmotoren im deutschen Hochschulsystem, in: DIE ZEIT, 4. August 2005. 21 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010. 1 BvR 216/07 – Rn. (1–69), http://www.bverfg.de/e/rs20100413_ 1bvr021607.html (abgerufen 14.5.2019). 22 Ebd. C.I45. 23 Siehe dazu auch Pahl, S. 108–112, der eine detaillierte Abgrenzung von angewandter und grundlagenorientierter Forschung vornimmt. Fachhochschulen als die großen Gewinner der BolognaReform gesehen wurden. Ihnen wird noch heute allgemein zuerkannt, die Reformen besser und schneller umgesetzt zu haben. Denn während der berufsqualifizierende Bachelor an den Universitäten nur über einen erheblichen „Selbstfindungsprozess“ eingeführt werden konnte, war er an den Fachhochschulen in Form des Diplomstudiengangs quasi schon da. Die Fachhochschulen brannten zudem darauf, bei der Entwicklung von Masterstudiengängen ihre wissenschaftliche Qualität unter Beweis zu stellen. Zumindest formal führte Bologna dazu, dass sich die beiden Hochschultypen Fachhochschule und Universität mit jetzt gleichrangigen Abschlüssen einen Wettbewerb „oft auf gleicher Augenhöhe“ um die besten Studierenden liefern konnten.20 Eben diese Gleichrangigkeit war auch ein wesentliches Argument in dem vielbeachteten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 13. April 2010, in dem festgestellt wurde, dass auch Fachhochschulprofessoren sich auf den Artikel 5 Abs.3 GG berufen können. „Schließlich haben sich Annäherungen zwischen Universitäten und Fachhochschulen im Zuge des so genannten Bologna-Prozesses ergeben, die erkennen lassen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch Fachhochschulen als wissenschaftliche Ausbildungsstätten angesehen werden sollen.“21 Das Urteil kann nur zur Lektüre empfohlen werden, auch deswegen, weil es sehr unvoreingenommen die Bedeutungsänderung schildert, die der Hochschultyp Fachhochschulen in den vergangenen dreißig Jahren erfahren hat. In Urteilen aus den Jahren 1982 und 1983 hatte das Gericht noch unterschieden zwischen wissenschaftlichen Hochschulen, die durch Forschung und Lehre die Wissenschaften entwickeln und pflegen sollen, und Fachhochschulen, die allein durch anwendungsbezogene Lehre auf eine berufliche Tätigkeit vorbereiten sollen. Am 13. April 2010 wurde festgestellt, dass diese Unterscheidung überholt sei: „Einerseits sind auch für die Universitäten Ausbildungsaufgaben zentral, so dass die Universitätslehre notwendig auf Prüfungsordnungen ausgerichtet und durch Studienpläne gesteuert wird, ohne dass dadurch der Wissenschaftscharakter der Lehre an Universitäten in Frage gestellt würde. Andererseits kann es ebenso wie bei Universitäten Aufgabe einer Fachhochschule oder der in ihr tätigen Professoren sein, ihren Studierenden im Rahmen der Ausbildungsaufgaben wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zu vermitteln sowie sie zu wissenschaftlicher Arbeit zu befähigen.“22 Dieses Urteil war eine weitere bedeutende Wegmarke der Fachhochschulen auf ihrem mühsamen Weg des Erwachsenwerdens, denn in ihm und mit ihm wurde höchstrichterlich festgestellt, dass sich Fachhochschulprofessoren zu Professoren und Fachhochschulen zu wissenschaftlichen Hochschulen entwickelt hatten. Man mache sich klar, dass dies erst 40 Jahre nach Gründung der Fachhochschulen so festgestellt werden konnte, was einmal mehr zeigt, dass der 1971 gegründete Hochschultyp „Fachhochschule“ ein Homunkulus war und vergleichsweise wenig mit dem zu tun hatte, was man gemeinhin unter Hochschule versteht. Mit dem zitierten Bundesverfassungsgerichtsurteil und dem darin enthaltenen Ritterschlag als vollwertige wissenschaftliche Hochschule hatte nun eine Reifeentwicklung auch einen formalen Abschluss erreicht, die im Wesentlichen über zwei wichtige Stationen gelaufen war, nämlich dass den Fachhochschulen Forschung als zusätzliche Aufgabe – und zwar ohne Bindung an ihren Ausbildungsauftrag – in den Landesgesetzen ausdrücklich zugewiesen und dass die Gleichrangigkeit ihrer Abschlüsse durch den Bologna-Prozess erreicht worden war. V. Der Transfer als neu geforderte Leistungsdimension einer Hochschule Der vierte große Entwicklungsschub hat mit einer vor etwa zehn Jahren einsetzenden Bedeutungsaufwertung des Transfers als dritter Leistungsdimension einer modernen Hochschule zu tun. Davon konnten besonders die Fachhochschulen profitieren, nicht zuletzt, weil sie mit Hilfe dieser neuen Dimension ihr anwendungsorientiertes Forschungsverständnis von dem anderer Hochschultypen abgrenzen konnten.23 Was unter dem Begriff „Transfer“ zu verstehen ist, hat der Wissenschaftsrat 2013 wie folgt dargelegt: „Transfer bezieht sich nicht allein auf den technologischen Transfer […]. Die Leistungsdimension Transfer bezieht in einem breiteren Sinne die dialogische Vermittlung und Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus allen Wissenschaftsbereichen in Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik ein – von der Translation in der Medi- von Grünberg/Sonntag · 50 Jahre Fachhochschule 163 24 Wissenschaftsrat: Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems, Braunschweig 2013, S. 25f.; https://www.wissenschaftsrat. de/download/archiv/3228–13.pdf (abgerufen 14.5.2019). 25 Wissenschaftsrat: Empfehlung zur Differenzierung der Hochschulen, Lübeck 2010; https://www.wissenschaftsrat.de/download/ archiv/10387–10.pdf (abgerufen 14.5.2019). 26 Wissenschaftsrat 2013, S. 22. 27 Wissenschaftsrat 2010, S. 6–8. 28 Wissenschaftsrat 2013, S. 28. zin über den technologischen Transfer, die Anregung von öffentlichen Debatten und gezielte Politikberatung oder vergleichbare Beratungsaktivitäten bis hin zur öffentlichen Vermittlung von Erkenntnissen und Erkenntnisprozessen, etwa in Museen und Ausstellungen.“24 Um es mit Beispielen aus dem Alltag einer Hochschule zu illustrieren: Das reicht von marktnahen Innovationen (Wie präpariert man Stoffe so, dass sie zu selbstleuchtenden Textilien werden?), von der technischen Lösung eines praktischen Problems (Wie muss ein Tank beschichtet sein, damit die Korrosion minimiert wird?) über Weiterbildungsangebote (Zertifikatskurse zum Thema 4.0 für die Baubranche) und größere Beratungsprojekte (Wie kann ein Mittelständler die RFID-Technik in seinem Unternehmen anwenden?) bis hin zu komplexen Verbundprojekten, die auf der Zusammenarbeit von Hochschulen mit großen Gruppen von Unternehmen beruhen (Wie funktionalisiert man Oberflächen?). Wesentliches Merkmal des Transfers ist seine Brückenfunktion zwischen zwei Welten: der Welt des „Woher“, also des Ortes, wo das Wissen entsteht, und der Welt des „Wohin“, jenes Ortes, wo das Wissen genutzt wird. Die Aufwertung des Transferbegriffs in Anwendung auf die Hochschulwelt geschah wesentlich durch zwei wichtige Empfehlungen des Wissenschaftsrates: „Empfehlung zur Differenzierung der Hochschulen“25 und „Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems“. Sie nimmt ihren Ausgang in einem radikal geänderten Grundverständnis von Wissenschaft, was am besten in den folgenden Sätzen aus dem Wissenschaftsratspapier von 2013 zum Ausdruck kommt: „Wissenschaft leistet auch einen wesentlichen Beitrag zur Innovationsfähigkeit, also zur Erneuerung und weiteren Entwicklung der Gesellschaft, nicht zuletzt der Wirtschaft. Sie zeigt sich in der Fähigkeit des Wissenschaftssystems, Ideen, Einsichten, Erkenntnisse und Handlungsweisen in die Gesellschaft zu tragen, etwa in Form neuer Produkte, Prozesse und Dienstleistungen. Die systematisch verfolgte Orientierung an Wissenstransfer und Innovation ist eine wesentliche Voraussetzung, um den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, die Wirtschaft zu stimulieren und ihre Innovationskraft zu erhalten.“26 Im Jahr 2010 ging es dem Wissenschaftsrat wesentlich um eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Hochschulgesamtsystems durch die funktionale Differenzierung der das System ausmachenden Hochschulen. Die Gesellschaft erwarte weit mehr von ihren Hochschulen als Lehre und Spitzenforschung. Die bestehende Differenzierung wird bestimmt durch die Typendifferenz Universität versus Fachhochschule, wobei eine wachsende Unterschiedlichkeit und Binnendifferenzierung der Hochschulen eines Typs festgestellt werden könne. Aber die Differenzierung des Gesamtsystems müsse sich weiterentwickeln und sich auf unterschiedliche Leistungsbereiche wie „Forschung, Lehre, Weiterbildung, Ausbildung, Wissenstransfer, Internationalisierung, Bildungsbeteiligung und gesellschaftlicher Integration“ erstrecken.27 Während der Transfer hier also noch als ein Leistungsbereich von vielen Bereichen einer Hochschule dargestellt wurde, wurde er drei Jahre später in dem Papier „Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems“ zu der dritten und eigentlich neuen Leistungsdimension gekürt: „Die herausgehobene Funktion der Hochschulen für das Wissenschaftssystem erfordert […] eine inhaltliche Differenzierung im Hinblick auf die wesentlichen Leistungsdimensionen Forschung, Lehre, Transfer und Infrastrukturleistungen.“28 Mit anderen Worten: Eine moderne Hochschule erbringt Leistungen nicht allein in Hinsicht auf Forschung und Lehre, sondern wesentlich auch entlang zweier weiterer „Leistungsdimensionen“, nämlich „Transfer“ und „Bereitstellung wissenschaftlicher Infrastruktur“. Innerhalb des durch diese vier Leistungsdimensionen aufgespannten Raumes sollen sich die Universitäten und Fachhochschulen in Zukunft profilieren, so dass die gesamte deutsche Hochschullandschaft sich über die Jahre mehrdimensional ausdifferenzieren kann. Keine Hochschule würde dann wie die andere sein und nur wenige Hochschulen könne es geben, die sich allein entlang der beiden Humboldt‘schen Leistungsdimensionen von Forschung und Lehre profilieren können. Allen anderen Hochschulen stünden Profilierungs- und Kombinationsmöglichkeiten entlang der übrigen Leistungsdimensionen offen. Das vom Wissenschaftsrat verwendete Wort einer „Leistungsdimension“ macht dabei das eigentlich Neue aus: Eine Dimension, das ist ihr Wesen, kann unmöglich durch eine andere ersetzt werden und steht demnach für etwas den Raum originär Erweiterndes. In dieser neuen Sicht sind die zwei bekannten Dimensionen einer Hochschule, nämlich Forschung und Lehre, ergänzt durch eine völlig neue und eigenständige, vor allem gleichwer- 164 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 29 Konrad Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, 2006, S. 43. 30 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 — 1 BvR 216/07 — Rn. (1–69), S. 18/23; http://www.bverfg.de/e/rs20100413_1bvr021607.html (abgerufen 14.5.2019). tige Dimension, nämlich den Transfer. Wie revolutionär diese Erweiterung ist, wird klar, wenn man sich das Selbstverständnis der klassischen Universität vor Augen führt, das auf „einem Konzept von Wissenschaft fußt, das diese aus allen politischen, religiösen und merkantilen Bindungen befreien wollte.“29 Eine solche Wissenschaft – befreit aus allen Bindungen und ganz sich selbst überlassen – steht im Widerspruch zu den im Transferbegriff angelegten Nützlichkeitserwartungen, die kaum mit der Idee verträglich sind, dass Wissenschaft allein „ihrer eigenen Logik folgen“ darf. Diese Erweiterung des hochschulischen Leistungsraumes um die neue Dimension des Transfers kann als ein Angriff auf das klassische Selbstverständnis von Wissenschaft verstanden werden. Wer Wissenschaft im reinen und ursprünglichen Sinne versteht, nämlich als die systematische Suche nach Wahrheit, kann sie durch Nützlichkeitserwartungen nur geknebelt und in ihrem Wesen in Frage gestellt sehen. Denn wie soll eine Wissenschaft, die sich bei der Suche nach der Wahrheit allein von der Erkenntnis leiten lassen darf, gleichzeitig auf den Nutzen achten können? Fraglos kann eine erkenntnisgeleitete Wissenschaft dabei auch nützliche Resultate liefern, aber der Nutzen leitet eben nicht. Und andersherum vermag eine nutzengeleitete Wissenschaft durchaus Erkenntnisse mit sich bringen, auch wenn es darum nicht primär geht. Diese Einsicht zwingt dazu, die Wissenschaft in zweierlei Perspektiven zu setzen: Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen einer auf den Nutzen zielenden Wissenschaft, der angewandten Wissenschaft, und einer auf Erkenntnis abzielenden Wissenschaft. Während Letztere kaum mit der Transferforderung vereinbar ist, führt die angewandte Wissenschaft zu dem neuen Begriff des Transfers. Und insofern zerfällt der mehrdimensionale Raum, innerhalb dessen sich das Hochschulsystem differenzieren soll, wie von selbst in voneinander getrennte und nicht miteinander verträgliche Unterräume: der eine dominiert von einer erkenntnisgeleiteten Forschung (Grundlagenforschung) und der andere dominiert von einer transferorientierten Forschung (angewandte Forschung). In dem schon zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom April 2010 wird betont, dass die anwendungsbezogene Forschung der Grundlagenforschung in Hinsicht auf den Art. 5 Abs. 3 GG völlig gleichgestellt ist. Das Gericht wendet sich ausdrücklich „gegen einen restriktiven, statischen und abschließend definierten Forschungsbegriff.“ Forschung, so weiter, „war schon immer nicht nur reine Grundlagenforschung, sondern setzte auch an bestimmten praktischen Fragestellungen an.“30 Ob man diesen Überlegungen nun zustimmen mag oder nicht, fest steht in jedem Falle, dass sich die Fachhochschulen mit der durch den Wissenschaftsrat vorgenommenen Dimensionserweiterung plötzlich integriert und eingebunden fühlten in ein Gesamtkonzept von Hochschule, was neben einer rein auf den Erkenntnisgewinn optimierten Wissenschaft auch einen den Nutzen von Wissenschaft maximierenden Hochschultyp mit einschließen wollte. VI. Die neue Bedeutung von Region und die Strategie einer intelligenten Spezialisierung Eine parallele Entwicklung, die ebenfalls über eine Bedeutungsaufwertung den deutschen Fachhochschulen zugutekam, ging von der Europäischen Union aus und beruht auf einem neuen Verständnis von den Regionen und ihrer Bedeutung für die Innovationsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang im Sommer 2010 mit der Wachstumsstrategie „Europa 2020“ und mündete in ein unter dem Stichwort RIS3 bekannt gewordenes Strategiekonzept der EU zur Entwicklung der Regionen, die sich auf Ihre Stärken besinnen und diese gezielt weiterentwickeln sollten. So wurden alle 271 europäischen Regionen von der EU-Kommission aufgefordert, jeweils eine ureigene, regionale Innovationsstrategie (RIS3) zu erarbeiten, die auf einer intelligenten Spezialisierung beruht, die Wettbewerbsvorteile der einzelnen Regionen herausstellt und das regionale Innovationssystem mit seinen Akteuren und Ressourcen auf das neu gefundene, unverwechselbare, intelligente Spezialisierungsprofil einstellt. Dabei sind regional orientierte und vernetzte Hochschulen allgemein anerkannt als die Schlüsselinstitutionen für diese „smart specialisation strategies“, weil sie zusammen mit dem Netzwerk ihrer regionalen Unternehmenspartnern die eigentlichen Motoren für die regionale Entwicklung darstellen. Damit diese Strategien zur Wirkung kommen können, wurde die Vorlage einer RIS3-Strategie zur Voraussetzung gemacht, um in der Förderperiode 2014–2020 EFRE-Mittel für Forschung, Entwicklung und Innovation beantragen zu können. Dabei muss der Nachweis geführt werden, dass die regionalen Hochschulen in die RIS3-Strategien sinnvoll eingebunden sind. Insofern kann es nicht verwundern, dass die regionalen Universitäten eine zentrale, ja führende von Grünberg/Sonntag · 50 Jahre Fachhochschule 165 31 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Mai 2017, S. 4; http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/COM-2017–247-F1-DE-MAINPART‑1.PDF (abgerufen 14.5.2019). 32 Ebd., S. 10. 33 Centrum für Hochschulentwicklung (Hg.): Hochschulbildung wird zum Normalfall – auch in räumlicher Hinsicht? Eine Analyse der Ausbreitung von Hochschulstandorten seit 1990, März 2017. Dort heißt es: „2016 existierte in Deutschland kein Postleitzahlbezirk, der vom nächstgelegenen Hochschulstandort weiter als eine gute Autostunde (59 Kilometer per Luftlinie) entfernt lieg, ebd. S. 4. Rolle für alle jene spielen, die EFRE-Mittel beantragen wollen, also angefangen von dem lokalen Wirtschaftsförderer über die Ministerialbürokratie bis hin zur Kommunalpolitik. Nicht nur in Hinsicht auf lokale Innnovationsstrategien trat die Europäische Kommission in den vergangenen zehn Jahren als Anwalt von Hochschuleinrichtungen mit stark regionalem Bezug auf. In Europa erwartet man ganz eindeutig eine Wissenschaft, die sich nicht auf sich selbst zurückzieht, sondern den Nutzen für andere in den Mittelpunkt stellt; also Hochschulen, die einen Innovationsbeitrag zur Wirtschaft leisten, vor allem in ihrer Region. Dass es in dieser Hinsicht in Europa noch Nachbesserungsbedarf gibt, macht die Kommission dabei unmissverständlich klar: „Hochschuleinrichtungen leisten häufig nicht den von ihnen erwarteten Innovationsbeitrag zur Wirtschaft insgesamt und vor allem zur Wirtschaft in ihrer Region“.31 Um diesem Mangel abzuhelfen, hat sich die Europäische Kommission für die nächsten Jahre eine Reihe von Maßnahmen vorgenommen. So heißt es in einer Mitteilung vom Mai 2017: „Hochschuleinrichtungen können mehr tun, […] um ihr Bildungsangebot auf den anhand von Strategien für eine intelligente Spezialisierung ermittelten Bedarf abzustimmen, um Chancen für Innovation in vorrangigen Bereichen zu nutzen und um lokalen Unternehmen und anderen Organisationen dabei zu helfen, neue Denkweisen zu verstehen und zu übernehmen. Die Realisierung all dieser Ziele sollte Teil eines umfassenderen kulturellen Wandels sein, in dessen Zuge Hochschuleinrichtungen zu unternehmerischen Akteurinnen werden.“32 Diese Entwicklung wird den Fachhochschulen nützen, die mit ihren knapp 217 Hauptstandorten und zusätzlichen 204 Substandorten über die ganze Republik verteilt sind.33 Keine andere akademische Einrichtung ist so fein über das Land verteilt. Und da der Hochschultyp zudem bekannt ist für seinen stark regionalen Bezug, sein lebendiges Netzwerk in die regionale Industrie hinein und für seine nutzstiftende, transferorientierte Forschung, liegt es nahe, ihn als die natürliche Schnittstelle zu verstehen zwischen der Wissenschaft und der in gleicher Weise über das Land verteilten mittelständischen Industrie. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Fachhochschulen zukünftig mit einer weiteren Bedeutungsaufwertung zu rechnen haben, wenn es ausgehend von Brüssel zukünftig verstärkt um lokale Innovation, um die Wechselwirkung von Wissenschaft und Wirtschaft und um regionale Spezialisierungsstrategien gehen wird. VII. Die Mission der HAW und ihre Abgrenzung zu anderen Hochschultypen Wie beschrieben bestand die eigentliche Unzulänglichkeit bei der Gründung der Fachhochschulen in den Jahren 1969 bis 1971 darin, dass man mit ihrer Gründung Schulen zu Hochschulen aufwertete, ihnen aber keinen neuen hochschulischen Auftrag in das Gesetz schrieb, sondern es bei dem rein schulischen Auftrag beließ. Bei der jahrzehntelangen Suche nach ihrem Auftrag half den Fachhochschulen die schon erläuterte Trennlinie zwischen angewandter und grundlagenorientierter Forschung. Wenn der Wissenschaftsrat die Hochschulen auffordert, sich in dem durch die Dimensionen „Forschung“, „Lehre“, „Transfer“ und „Bereitstellung wissenschaftlicher Infrastruktur“ zu profilieren, so findet sich der Auftrag für die Fachhochschulen fast von selbst. Betrachten wir dazu die möglichen Kombinationen innerhalb der vier angebotenen Leistungsdimensionen, um einen Überblick über mögliche Differenzierungskonzepte zu bekommen: Die Lehre wird jede Hochschule an Bord behalten müssen, denn ohne Lehre keine Hochschule. So gelangt man zu zwei weiteren Profilierungsmodellen jenseits der klassischen Humboldt-Kombination „Forschung und Lehre“, nämlich: „Infrastrukturleistung und Lehre“ und „Transfer und Lehre“. Während einem die Phantasie zum ersten Modell fehlt – auch weil der Wissenschaftsrat vergleichsweise wenig zur wissenschaftlichen Infrastrukturleistung als neuer Leistungsdimension schreibt – strebt das zweite Paar wie von selbst auf die Fachhochschulen hin. Ist das nicht der gesuchte Auftrag an die Fachhochschulen? Wie sich der junge Mensch bei Humboldt durch die aktive Teilhabe an der Forschung bildet, so wird er an einer modernen Fachhochschule für seine berufliche Tätigkeit akademisch ausgebildet, indem er teilnimmt an einem der vielen Transferprozesse aus der Hochschule hinein in die Wirtschaft, Gesellschaft oder 166 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 34 Manfred Prenzel: Fachhochschulen in Deutschland: Entwicklungen, Trends und Perspektiven. In: Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie, 30.9. 2015. https://forscher.de/fachhochschulenin-deutschland-entwicklungen-trends-und-perspektiven‑2/ (abgerufen 14.5.2019). 35 Auch das Wort „Fach“ verliert übrigens seine Bedeutung, wenn man die große Zahl an Fachbereichen bedenkt, die eine moderne Fachhochschule heute hat. Politik. Was in dem universitären Modell Bildung und Forschung ist, wäre in dem fachhochschulischen die akademische Ausbildung und der Transfer. Natürlich ist Transfer nicht ohne Forschung und Forschung nicht ohne Transfer denkbar. Aber die Schwerpunkte der beiden Hochschultypen unterscheiden sich in dieser Sichtweise erheblich: erkenntnisorientierte Forschung hier, anwendungsorientierte dort. Netzwerk mit der internationalen Scientific Community hier, Netzwerk mit regionalen Anwendungspartnern dort. Eine weitere Unterscheidung geht damit einher: Während das Miteinander von Lernendem und Lehrendem bei Humboldt allein auf die Wissenschaft zielt und in der Wissenschaft bleibt, braucht der Transfergedanke zwingend ein Gegenüber, zu dem hin man sein Wissen transferieren kann. Das sind die Politik, der öffentliche Raum, die Wirtschaft, meist die regionale Wirtschaft, die eine wichtige, partnerschaftliche Rolle in dem Bildungsund Ausbildungskonzept der Fachhochschule spielt. Und eben in diesem transferbedingten Bezug auf die regionale Wirtschaft liegen weitere Stärken der Fachhochschulidee: In anwendungsbezogener Projektarbeit bewährt sich der Studierende, begleitet von dem ihn betreuenden Professor, schon in seinem späteren beruflichen Umfeld, während sein späterer Arbeitgeber ihn früh einschätzen, einarbeiten und einplanen kann. Wenn man das Hochschulsystem als Ganzes betrachtet, könnte es – wenn man die Differenzierungsideen des Wissenschaftsrates weiterdenkt – irgendwann ein System geben, wo an einigen Zentren die Wissenschaft um ihrer selbst willen gelehrt und vorangetrieben wird, während ein zweites, daran angekoppeltes Subsystem von weit über das Land verteilten Zentren die Ideen und Erkenntnisse der Wissenschaft zusammen mit regionalen Partnern aus der Praxis zum Nutzen der Gesellschaft weiterentwickeln und damit wissenschaftliche Ergebnisse nützlich machen würden. In diesem Bilde wären Fachhochschulen die regionalen Entwicklungs- und Anwendungszentren. Manfred Prenzel, für einige Jahre Vorsitzender des Wissenschaftsrates, denkt in ganz ähnlicher Richtung, wenn er schreibt: „Eine besondere Chance für die Fachhochschulen besteht im Wissens- und Technologietransfer. Die Fachhochschulen sollten den Transferbereich gezielt mitgestalten und sich damit profilieren. Für die Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft spielen sie eine elementare Rolle.“34 Wenn Fachhochschulen neben berufsbezogenen Lehr-Institutionen als regionale Zentren einer entwicklungsorientierten Forschung gesehen würden, wäre die Typenbezeichnung „Hochschule für angewandte Wissenschaften“ passender als der Name „Fachhochschule“, weil damit der wesentliche Unterschied zur Universität auf den Punkt gebracht würde.35 Es kann nicht verwundern, wenn sich dieser Name derzeit auch innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz durchsetzt. Es wird gewiss noch dauern, bis wirklich ein Konsens hergestellt ist, dass das wesentlich Eigene von Fachhochschulen irgendwo zwischen einer berufsnahen Lehre und einer auf den Transfer hin getrimmten Forschung zu finden ist. Doch wäre diese eigene Mission einmal festgestellt, wäre zu fragen, wie man den Hochschultyp gegen erratische Driftbewegungen hin zu Schulen beziehungsweise Universitäten sichern kann. Zwei Antworten sind naheliegend: einmal, indem man eine Förderinstitution – zum Beispiel die Deutsche Transfergemeinschaft – schafft, die gezielt transferrelevante Forschungsprojekte finanziert, eine entsprechende neue Kultur angewandter Forschungsprojekte an Hochschulen stiftet, einen Reputationsmechanismus zur Aufwertung des Transfers gründet und in dieser Weise Hochschulen auch in ihrer Rolle als innovationsstimulierende regionale Entwicklungszentren ernst nimmt und systematisch fördert. Und zum Zweiten, indem man den professoralen Nachwuchs gezielt auf den eigenen Auftrag hin ausbildet. Hier liegt nämlich eine Ursache für die oft beobachtete Missionsvergessenheit der Fachhochschulen: Es gibt keinen verlässlichen Karriereweg zur Fachhochschulprofessur. Kaum ein Professor an diesem Hochschultyp hätte sich zwei Jahre vor seinem Ruf träumen lassen hier einmal zu landen. Akademisch groß geworden an einer Universität, betreten sie eine Fachhochschule das erste Mal, um im Rahmen ihres Berufungsverfahrens ihre Probevorlesung zu halten. Keinerlei eigene Erfahrung in der Lehre, in der Forschung, in der Drittmitteleinwerbung und vor allem in Hinsicht auf die Eigenart des Hochschultyps, auf den lebenslang sich einzulassen sie sich da anschicken. Nur mühselig abzuhalten von der Versuchung, zunächst einmal ihre eigene Universitätsvergangenheit zu reproduzieren. Wie soll sich bei diesen gegenläufigen Kräften eine eigene Identität ausbilden, wie sich eine eigene Mission durchsetzen? von Grünberg/Sonntag · 50 Jahre Fachhochschule 167 36 Mit dem Programm werden Fachhochschulen bei der Personalentwicklung und Gewinnung von Professorinnen und Professoren unterstützt. Bund und Länder stellen hierfür gemeinsam insgesamt über 430 Mio. Euro zur Verfügung, Pressemitteilung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz Berlin/Bonn, 16. November 2018 PM 11/2018. 37 Wissenschaftsrat, 21.10. 2016: Empfehlungen zur Personalgewinnung und –entwicklung an Fachhochschulen. https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5637–16.pdf (abgerufen 14.5.2019). Um eines differenzierten Gesamtsystems willen müssen die Fachhochschulen zukünftig mehr Anteil an einer systematischen Ausbildung ihres eigenen professoralen Nachwuchses haben. Das kann man weder der Universität noch der Unternehmenswelt alleine überlassen. Praxiserfahrung ist zwingend erforderlich, trotzdem sollte man sich zwischen exzellenter Promotion und erstem Ruf gezielt auf eine solche Professur vorbereiten und auf die Mission seines zukünftigen Arbeitgebers einstimmen können. Dass Bund und Länder hier nun ein millionenschweres Programm auflegen, mit dem neue Ideen für solche Karrierewege erprobt werden können, kann nur begrüßt werden.36 Gibt es einmal diesen Karriereweg, so kann man eine Hochschulprofessur zwar gezielt anstreben. Ob sie auch wirklich attraktiv ist, bleibt hingegen eine andere Frage. Ihre Attraktivität scheint nämlich erheblich nachzulassen: In manch einem Fachbereich ist man froh, wenn sich wenigstens zwei Kandidaten auf eine ausgeschriebene Professur bewerben. Mit der abnehmenden Attraktivität von Fachhochschulprofessuren hat sich der Wissenschaftsrat im Jahr 2016 beschäftigt und empfiehlt als Remedur: (i) Schwerpunktprofessuren, deren Inhaberinnen und Inhaber Aufgabenschwerpunkte in definierten Leistungsdimensionen und nur ein reduziertes Lehrdeputat von 11 SWS übernehmen sollen, (ii) die Einrichtung von Teilzeitprofessuren und gemeinsamen Professuren mit außerhochschulischen Partnern, (iii) das Angebot einer leistungsorientierten Besoldung auf der Höhe eines W3-Gehalts, (iv) eine frühzeitige aktive Ansprache potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten und deren Bindung durch Lehraufträge, (v) internationale Rekrutierungen, (vi) kooperative Promotionen und anschließende begleitete berufliche Phasen bei gleichzeitiger Anbindung, (vii) eine enge Anbindung potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten an die Fachhochschule während der Erlangung der Berufungsvoraussetzungen.37 Gerade Letzteres hat interessante Varianten, für die der Wissenschaftsrat unter dem Stichwort „Tandem Programme“ wirbt. Sie sollen einerseits den Zugang der Fachhochschulen zu potenziellen Professorinnen und Professoren und andererseits den Zugang von Unternehmen oder Einrichtungen zu Studierenden und zur Forschung an Fachhochschulen verbessern. Drei Maßnahmen erscheinen hierbei besonders erfolgsversprechend: Ein nennenswerter Anteil der Professuren jeder Hochschule sollte zukünftig als W3-Stellen vorgehalten werden. Einzelne Bundesländer haben damit bereits begonnen. Zweitens braucht es deutlich mehr Flexibilität beim Thema Deputatsreduktion, um individuell mehr Freiräume für die Forschung schaffen zu können. Erfolgreich forschenden Professoren sollte man das Lehrdeputat standardmäßig von 18 auf 9 Wochenstunden absenken. Und drittens muss man dem Berliner Vorbild folgen und einen wissenschaftlichen Mittelbau an Fachhochschulen einrichten, der in der Lehre wie in der Forschung unterstützend tätig ist und sich dabei und damit auf eine spätere Fachhochschulprofessur vorbereitet. VIII. Ausblick Wenn man die letzten Koalitionsverträge im Bund und in den Ländern NRW, Hessen und Berlin auf das Thema Fachhochschule hin durchsieht, erkennt man eine bemerkenswerte Veränderungsbereitschaft der Politik: Promotionsrecht in Hessen, Mittelbau in Berlin und Hessen, neue Stellen, Unterstützung bei der Rekrutierung neuer Professoren, Verstetigung der Hochschulpaktmittel. Und auch in NRW wird im laufenden Gesetzgebungsverfahren die Einführung des Promotionsrechts zwar nicht für einzelne Fachhochschulen, aber für ein von allen Fachhochschulen getragenes Promotionskolleg diskutiert. Der eigentliche Grund für dieses breite Entgegenkommen gegenüber Fachhochschulen ist nicht allein der Tatsache geschuldet, dass sich deren Absolventen auf dem Arbeitsmarkt bewährt haben und gefragter denn je sind, sondern auch darin, dass man verstanden hat, wie mit dem feinmaschigen Netzwerk von Fachhochschulen Wissenschaft in die regionale Wirtschaft gebracht und somit das dortige Innovationsgeschehen stimuliert werden kann. Dies haben die Fachhochschulen der Europäischen Union zu verdanken, der sie ohnehin fast alle wesentlichen Entwicklungsschübe zu verdanken haben: den Bologna-Schub, die Bedeutungsaufwertung von regionalen Hochschulen, die Wertschätzung von nutzstiftender Wissenschaft. Die Fachhochschulen sind gut beraten, sich in Brüssel einen Namen zu machen und die dortigen Entwicklungen aktiv zu begleiten. Und auch in Hinsicht auf das in der Hochschulgemeinschaft so leidenschaftlich diskutierte Thema „Pro- 168 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 157–168 38 http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/COM2017-247-F1-DE-MAIN-PART‑1.PDF 39 Siehe dazu Oliver Günther, Hans Hennig von Grünberg im Handelsblatt vom 21. Mai 2018, https://www.handelsblatt.com/ meinung/gastbeitraege/kommentar-zur-hochschulpolitik-studienanfaenger-sollten-besser-auf-universitaeten-und-fachhochschulen-verteilt-werden/22582776.html?ticket=ST-171868-NPInhgBfod6ujzE7aaSh-ap4 (abgerufen 14.5.2019). motionsrecht für Fachhochschulen“ wird die Europäische Union irgendwann einmal der entscheidende Akteur sein. Längst schon wird die Promotion als ein Qualifikationsschritt in Hinsicht auf berufliche Karrieren gesehen, nur etwa 20 Prozent aller von den Universitäten promovierte Wissenschaftler verbleiben nämlich in der Wissenschaft. Folgerichtig verlangt die Europäische Kommission, die Doktorandenausbildung verstärkt als Teil einer beruflichen Ausbildung anzusehen: „Aus ihnen gehen Forscher, Entwicklerinnen und Innovationsmanager hervor, die wissenschaftliche Entdeckungen vorantreiben und neue Ideen fördern und übernehmen. Im Vergleich zu den USA und Japan nehmen in der EU zu wenige Promovierte eine Arbeit außerhalb der akademischen Gemeinschaft auf. Hochschuleinrichtungen müssen dem entgegenwirken, indem sie in den Doktorandenprogrammen größeres Gewicht auf die Anwendung von Wissen und die Interaktion mit künftigen Arbeitgebern legen.“38 Wenn die Promotion diese (relativ naheliegende) Bedeutungsumwertung in Deutschland tatsächlich einmal erführe, dann kann niemand mehr in Frage stellen, dass auch Fachhochschulen eine arbeitsmarktbezogene Doktorandenausbildung organisieren können müssen. Und der Zug in diese Richtung scheint schon zu fahren. Angesichts all dieser anstehenden Veränderungen mag man kritisch die Finanzierungsfrage stellen. Dem mag entgegenkommen, dass die Zahl der Studierenden und damit die Auslastung der Hochschulen perspektivisch leicht zurückgehen werden. Überdies könnten die Fachhochschulen zu dieser Finanzierung beitragen, wenn sie ein überraschend teures Privileg aufzugeben bereit wären: ihre günstigen curricularen Normwerte. Das Privileg hat mit dem alten Schulmodell für Fachhochschulen zu tun und ist wie dieses überholt. Man kann doch niemandem erklären, warum ein Universitätsstudent der Betreuung durch seinen Professor weniger bedarf als ein Fachhochschulstudent.39 Auch diese Diskussion wird in Zukunft zu führen sein, auch wenn sie in diesem Falle einmal auf Kosten der Fachhochschulen gehen wird. Fachhochschulen versorgen mittlerweile 34 Prozent aller Studierenden, verfügen in der Republik über 44 Prozent aller Professuren und über 72 Prozent aller ingenieurwissenschaftlichen Professuren. Wäre der 50. Geburtstag nicht der richtige Moment, diesen Hochschultyp zu vollwertigen Hochschulen sich entwickeln zu lassen? Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg ist Präsident der Hochschule Niederrhein und Vorsitzender der Hochschulallianz für den Mittelstand. Dr. Christian Sonntag ist Leiter des Referats Hochschulkommunikation der Hochschule Niederrhein.