Mit wissenschaftlicher Kooperation verhält es sich ähn- lich wie mit rechtswissenschaftlichen Methoden, von denen man bekanntlich sagt: „Über Methoden spricht man nicht – Methoden wendet man an“.1 Wissenschaftli- che Kooperation wird tagtäglich von Wissenschaftlern aller Disziplinen betrieben, aber vergleichsweise selten selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gemacht.2 Speziell in den Rechtswissenschaften mag For- schungskooperation zwar eine geringere Rolle spielen als namentlich in den Naturwissenschaften.3 So sind bei- spielsweise Beiträge von Einzelautoren ungleich häufiger als Ko-Autorenschaften, jedenfalls im Bereich der tradi- tionellen, dogmatisch orientierten rechtswissenschaftli- chen Forschung.4 Selbst in diesem Bereich gibt es aber seit jeher auch Mehr-Autorenwerke, etwa Gesetzeskom- mentare und Sammelwerke; die Anwaltspraxis ist selbst- verständlich ebenfalls von kooperativem Zusammenwir- ken geprägt.5 Zudem fördern die Wissenschaftsorganisa- tionen Netzwerkbildung und Verbundvorhaben,6 so dass Wissenschaftskooperation auch in den Rechtswissen- schaften an Bedeutung gewinnt.
Bemerkenswerter ist umgekehrt, dass der Rechtsrah- men von Wissenschaftskooperation, egal in welcher Dis- ziplin, bislang nur vereinzelt zu einem spezifischen Ge- genstand vertiefter rechtswissenschaftlicher Forschung gemacht wurde.7 Über wissenschaftliche Kooperation
- 1 Näher etwa Funk, in: Brix/Magerl (Hrsg.), Weltbilder in den Wissenschaften, 2005, S. 81, 82 f.
- 2 Vgl. jedoch Nachw. unten, Fn. 27.
- 3 Für empirische Belege, allerdings beschränkt auf die US-ameri-kanische Rechtswissenschaft, vgl. George/Guthri, Joining Forces: The Role of Collaboration in the Development of Legal Thought, J. Legal Educ. 52 (2002), 559.
- 4 Dazu, wiederum aus US-amerikanischer Perspektive: Edelman/ George, Six Degrees of Cass Sunstein: Collaboration Networks in Legal Scholarship, Green Bag 2d, 11 (2007), 19; Ginsburg/Miles, Empiricism and the Rising Incidence of Coauthorship in Law, Univ. Ill. L. Rev. (2011), 1785.
- 5 S. nur Henssler/Deckenbrock, DB 2007, 447 („Das Rätsel Anwalts- kooperation“).
- 6 So beispielsweise die Förderlinie „Wissenschaftliche Netzwerke“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): http://www. dfg.de/foerderung/programme/einzelfoerderung/wissenschaft- liche_netzwerke/; für einen konkreten Ertrag im Bereich des Privatrechts s. Möslein (Hrsg.), Private Macht, 2016.
forscht man in den Rechtswissenschaften offenbar nicht (oder nur wenig, ähnlich wie über Methoden) – obwohl ebendiese Kooperation als wichtige Triebfeder von Inno- vation und wirtschaftlicher Entwicklung gilt. So hieß es bereits vor zehn Jahren in einem gemeinsamen Positi- onspapier des Wissenschaftsrates: „Effektive For- schungskooperationen zwischen wissenschaftlichen Ins- titutionen und Wirtschaftsunternehmen bilden eine ent- scheidende Grundlage für die Sicherung und Steigerung der Innovationsleistung und damit für die Wettbewerbs- fähigkeit der zunehmend wissenschaftsbasierten deut- schen Volkswirtschaft“.8 Umso begrüßenswerter ist eine Initiative, die eine Kooperationsform für die Wissen- schaft endlich nicht nur vorantreiben, sondern rechts- wissenschaftlich fundiert vorbereiten will.9
Im Rahmen eines solchen Vorhabens stellen sich un- zählige inhaltliche Fragen, etwa nach der Ausgestaltung der Governance in einer solchen Kooperationsform, nach Regeln zu Transparenz und Verantwortlichkeit, oder auch nach der Zuordnung geistigen Eigentums.10 Zusätzlich stellen sich, wie immer bei neuen Regelungs- vorhaben, jedoch auch grundlegende Gestaltungsfragen. Sie betreffen die Art und Weise der Regelsetzung, insbe- sondere die Auswahl geeigneter Regelungsinstrumente, und sie dienen der Entwicklung zielführender Rege- lungsstrategien:11 „How to make rules work?“, so lautet
Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 693–717 (mit forschungspolitischem Fokus); aus wettbewerbsrechtlicher
– stärker unternehmensorientierter – Perspektive außerdem: Axs- ter, GRUR 1980, 343; Blaurock, Festschrift v. Caemmerer, 1978, S. 477; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989; Ullrich, Kooperative Forschung und Kartellrecht, 1988.
8 Wissenschaftsrat (Hrsg.), Innovation durch Kooperation – Maß- nahmen für eine effektive Nutzung des Forschungspotentials von Wissenschaft und Wirtschaft, Gemeinsames Positionspapier von Bundesverband der Deutschen Industrie, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutsche Forschungsgemein- schaft u.a., 2007, abrufbar unter: https://www.wissenschaftsrat.de/ download/archiv/Allianz-Positionspapier-12–11-07.pdf.
9 Eberbach/Hommelhoff/Lappe, OdW 1 (2017), 1; vgl. außerdem die Beiträge in diesem Heft.
10 Vgl. hierzu die Beiträge von Kumpan, Geibel und Ulrici in die- sem Heft.
11 Ausführlicher Binder, Regulierungsinstrumente und Regulie- rungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, bes. S. 42–48.
7 Vgl. jedoch Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher
Ordnung der Wissenschaft 2018, ISSN 2197–9197
Florian Möslein
Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissen- schaftlichen Kooperationsform:
Angebot des Gesetzgebers oder selbstgestaltetes Recht?
100 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112
also die Kernfrage.12 Bei der Suche nach einer Antwort kann sich der vorliegende Beitrag auf den Bereich des Privatrechts beschränken, gleichsam in arbeitsteiliger wissenschaftlicher Kooperation mit dem Beitrag von Max-Emanuel Geis.13 Insoweit fragt sich beispielsweise, ob entsprechende Regeln von den Beteiligten oder vom Gesetzgeber zu statuieren, und ob sie zwingender oder dispositiver Natur sind. Es fragt sich weiter, ob diese Re- geln generalklauselartig oder konkret zu formulieren sind, und ob sie inhaltliche Vorgaben machen oder le- diglich zur Offenlegung verpflichten sollen. Die Frage- stellung im Untertitel des Beitrags („Angebot des Ge- setzgebers oder selbstgestaltetes Recht?“) steht insofern nur als ein Beispiel für zahlreiche weitere Fragen der Re- gelsetzung. Solche Fragen sind typischerweise übergrei- fender Natur: Sie stellen sich nämlich für jeden inhaltli- chen Einzelbereich, lassen sich jedoch keineswegs ein- heitlich beantworten, sondern hängen vom jeweiligen Regelungszusammenhang ab. So mögen bestimmte Governancefragen sinnvoller dispositiv geregelt werden, während sich für Transparenzfragen oder die Zuord- nung geistigen Eigentums möglicherweise eher Regeln zwingender Natur empfehlen. Angesichts dieses über- greifenden Charakters lassen sich in einem Überblicks- beitrag keine konkreten Antworten geben, immerhin aber allgemeine Leitlinien für eine sinnvolle Regelungs- strategie entwickeln. Diese Leitlinien mögen ein metho- disches Grundgerüst liefern, das sich bei der Diskussion einzelner Sachfragen mit Inhalt und Gestaltungsvarian- ten füllen lässt, und das sich als Struktur für die Entwick- lung einer wissenschaftlichen Kooperationsform nutzen lässt.
I. Wissenschaftskooperation und Privatrecht
Die Rechtsgestaltung von Wissenschaftskooperation birgt erhebliche Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten bringt ein Zitat auf den Punkt, dass sich im Vorwort
- 12 Black, Rules and Regulators, 1997, S. 5.
- 13 Geis, in diesem Heft.
- 14 Winzer, Forschungs- und Entwicklungsverträge – Ein Vertrags-handbuch, 2. Aufl. 2011 (einleitend im Auszug aus dem Vorwortzur 1. Auflage).
- 15 So etwa Bachmann, Private Ordnung – Grundlagen ziviler Regel-setzung, 2006, S. 20 f.; vgl. außerdem Riesenhuber/Möslein, ERCL 3 (2009), 248, 269; Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 271; mit Blick auf das Gesellschaftsrecht Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 707.
- 16 Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 223.
- 17 Zu „Kooperationen im Grenzbereich von Vertrags- und Gesell-schaftsrecht“ zuletzt monographisch Thouvenin, Der Koopera- tionsvertrag, 2017; ferner ders., FS von der Crone, 2017, S. 785 (jeweils zum Schweizer Recht); s. außerdem Oetker, Das Dauer-
eines deutschen Standardwerks zu Forschungs- und Ent- wicklungsverträgen findet und dort einem kaliforni- schen Anwalt zugeschrieben wird: „An agreement for the joint development of new technology is probably the most difficult type of agreement for business-people and lawyers to negotiate, draft and administer“.14 Wenn nicht nur unternehmerische Akteure, sondern im Fall der Wissenschaftskooperation auch (oder nur) Universitä- ten und andere Forschungsinstitutionen beteiligt sind, wird diese Aufgabe gewiss nicht leichter.
Kooperation als solche ist dem Privatrecht freilich keineswegs fremd, ganz im Gegenteil. Vielmehr bezeich- net man dieses Rechtsgebiet als Ordnungsrahmen oder auch als Infrastruktur für die Kooperation Privater,15 und sieht den elementaren Zweck insbesondere des Vertrags- rechts darin, „die intensive Kooperation von Rechtssub- jekten durch Sicherung der Durchsetzbarkeit privater Versprechen […] zu ermöglichen“.16 Die Ermöglichung von Kooperation zählt demnach zu den Kernaufgaben des Privatrechts. Eine einheitliche Rechtsform der Ko- operation gibt es allerdings nicht. Es ist nicht einmal klar, welchem Rechtsgebiet Kooperation zuzuordnen ist, dem Vertrags- oder dem Gesellschaftsrecht: Erfolgt die Kooperation durch Transaktion auf Märkten, zählt sie zum Vertragsrecht, erfolgt sie im Rahmen unternehme- rischer Organisationen, gehört sie dagegen zum Gesell- schaftsrecht.17 Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist bekanntlich die Frage, ob ein gemeinsamer Zweck vorliegt oder nicht.18 Bei Kooperation scheint ein solcher gemeinsamer Zweck nahe zu liegen, ist aber keineswegs zwingend. So beinhaltet beispielsweise Franchising in- tensive Kooperation, ist aber vertraglicher Natur.19 Ver- trag oder Gesellschaft, so lautet also gewissermaßen die Gretchenfrage privater Kooperationsbeziehungen.20
Innovation erfolgt ebenfalls häufig in (wissenschaftli- cher) Kooperation.21 Wirkmächtige Innovationen wer- den zwar oft einzelnen Erfindern zugeschrieben, von Jo- hannes Guttenberg über Thomas Edison bis hin zu Steve
schuldverhältnis und seine Beendigung, S. 232 f.; Wiedemann/
Schultz, ZIP 1999, 1.
18 Allgemein zu diesem Merkmal Lenz, Personenverbände – Ver-
bandspersonen – Kartellverträge, 1987, bes. S. 51–70; vgl. ferner Fleischer/Hahn, NZG 2017, 1, 3; Wiedemann/Schultz, ZIP 1999, 1, 2f; MüKoBGB/Schäfer, § 705, Rn. 142 (eines der beiden „konsti- tutiven Merkmale des Gesellschaftsvertrags“).
19 Dazu ausführlich: Martinek, in: ders./Semler/Flohr (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Aufl. 2016, Rn. 15–26.
20 Eher apodiktisch hingegen: Windbichler, Gesellschaftsrecht, 23. Aufl. 2013, Rn. 1 („Gesellschaftsrecht ist privatrechtliches Koope- rationsrecht“).
21 Vgl. zum Folgenden, etwas ausführlicher: Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 440–442.
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 0 1
Jobs, und individuelle Kreativität bildet zweifelsohne die Keimzelle für die Entstehung neuer Ideen.22 Entspre- chend hat sich beispielsweise im Patentrecht seit langem das Erfinderprinzip durchgesetzt.23 Neue Ideen entste- hen indessen keineswegs ausschließlich im „stillen Käm- merlein“. In modernen, arbeitsteiligen Informationsge- sellschaften ist Innovation ohne gegenseitiges Zusam- menwirken kaum mehr denkbar. Technologische Erfin- dungen entstehen zumeist in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, in denen Teams hochspeziali- sierter Experten zusammenarbeiten.24 Ein eindrucksvol- les Beispiel liefert etwa der Nobelpreis für Physik, der am 3. Oktober 2017 verkündet wurde: Die Aufsatzveröffentli- chung, die als Durchbruch der Messung von Gravitations- wellengilt,stammtausderFedereinervierstelligenAnzahl von Autoren.25 Die größte Schwierigkeit für die Jury be- stand offenbar darin, dass ein Nobelpreis laut Statuten an nicht mehr als drei Wissenschaftler verliehen werden darf.26 Auch Rainer Weiss, einer der drei Preisträger, konzedierte, er betrachte die Verleihung „mehr als eine Sache, die die Arbeit von eintausend Menschen anerkennt“.27 Angesichts dieser zunehmenden Bedeutung wissenschaftlicher Ko- operation haben Ökonomen die Entstehung von Wissen- schaftskooperationen inzwischen zu einem eigenen For-
- 22 Zu entsprechenden rechtlichen Schutzmechanismen allgemein: Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2009.
- 23 Grundlegend O. Schanze, Der rechtliche Schutz der Erfinderehre, GRUR 7 (1902), 62; ders., Die Erfinderehre und ihr rechtlicher Schutz, 1906; monographisch zur historischen Entwicklung: A. Schmidt, Erfinderprinzip und Erfinderpersönlichkeitsrecht im deutschen Patentrecht von 1877 bis 1936, 2009.
- 24 Ähnlich Lüthje, Der Prozess der Innovation — Das Zusammenwir- ken von technischen und ökonomischen Akteuren, 2009.
- 25 Abbott u.a., Physical Review Letters 116 (2016), 061102.
- 26 S. die Mitteilung „Physik-Nobelpreis geht an Gravitationswellen-Forscher“, Spiegel Online v. 3. Oktober 2017, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/physik-nobelpreis- 2017-geht-an-rainer-weiss-kip-thorne-barry-barish-a-1170996. html.
- 27 Zitiert nach der Mitteilung „Preis für Entdecker der Gravitati- onswellen“, BR Wissen v. 3. Oktober 2017, abrufbar unter http:// www.br.de/themen/wissen/nobelpreis-2017-physik-physiknobel- preis-100.html.
- 28 Boudreau u.a., A Field Experiment on Search Costs and the Formation of Scientific Collaborations, Review of Economics and Statistics 99 (2017), 565; vgl. ferner, auch aus dem sozialwissen- schaftlichen Schrifttum: Barabási et al., Evolution of the social network of scientific collaborations, Physica A 311 (2002), 590; Ding, Scientific collaboration and endorsement: Network analysis of coauthorship and citation networks, Journal of Informetics 5 (2011), 187; Franceschet/Costantini, The effect of scholar colla- boration on impact and quality of academic papers, Journal of Informetics 4 (2010), 540; Lee/Bozeman, The Impact of Research Collaboration on Scientific Productivity, Social Studies of Science 35 (2005), 673.
- 29 In ähnliche Richtung Eberbach/Hommelhoff/Lappe, OdW 1 (2017), 1, 4 f.; allgemein: Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 („Vertragsrecht als Infrastruktur für Innovation“).
schungsgegenstand gemacht und unter anderem unter- sucht,aufwelcheWeiseSuch-undTransaktionskostenpro- hibitive Wirkung haben können, etwa auf die Stellung von Forschungsanträgen.28
Wenn der elementare Zweck des Privatrechts darin besteht, Kooperation zu erleichtern, so scheint dieses Rechtsgebiet geradezu berufen, solche Hürden zu über- winden, indem es insbesondere die Fragen der Eigen- tums‑, Informations- und Risikoallokation beantwortet, die kooperative Innovation aufwirft. Privatrecht würde dadurch auch der Wissenschaftskooperation als ermög- lichende Infrastruktur dienen.29 Bislang spielt die Förde- rung von Innovation in der vertrags- und gesellschafts- rechtlichen Diskussion allerdings kaum eine nennens- werte Rolle.30 Rechtswissenschaftliche Innovationsfor- schung wird stattdessen vor allem aus der Perspektive des öffentlichen Rechts betrieben,31 ergänzt um Beiträge aus dem Bereich des Immaterialgüter- und Wettbe- werbsrechts.32 Neue Impulse liefert immerhin die Recht- sökonomik, nachdem Robert Cooter, einer ihrer großen Exponenten, kürzlich die Frage aufgeworfen hat, ob In- novation nicht sogar wichtiger sei als Effizienz, immer- hin das Kernparadigma der Ökonomik.33
30 31
Für das Vertragsrecht demnächst jedoch die Beiträge von Grigo- leit, Riehm, Schweitzer, Engert, Kuntz, Reidt/Dauner-Lieb, Marti- nek und Schroeter in: Grundmann/Möslein (Hrsg.), Vertragsrecht und Innovation, in Vorbereitung für 2018.
Vgl. vor allem Hoffmann-Riem/Schneider (Hg.), Rechtswissen- schaftliche Innovationsforschung. Grundlagen, Forschungs- ansätze, Gegenstandsbereiche, Baden-Baden 1998; Eifert/ Hoffmann-Riem (Hg.), Innovation und rechtliche Regulierung. Schlüsselbegriffe und Anwendungsbeispiele rechtswissenschaftli- cher Innovationsforschung, Baden-Baden 2002; diess., Geistiges Eigentum und Innovation, Berlin 2008; diess., Innovationsför- dernde Regulierung, Berlin 2009; diess., Innovationsverant- wortung, Berlin 2009; diess., Innovation, Recht und öffentliche Kommunikation, Berlin 2011; Hoffmann-Riem, Innovationsof- fenheit und Innovationsverantwortung durch Recht. Aufgaben rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, AöR 131 (2006), 255; ders., Die Governance-Perspektive in der rechtswissenschaft- lichen Innovationsforschung, München 2011; ders., Innovation und Recht, 2016; ferner Errass, Innovationsfördernde Regu- lierung als Aufgabe des öffentlichen Rechts?, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 111 (2010), 203; Kahl, Die Innovationsfunktion des Rechts, ZRph 2004 (Heft 1), 1; Roßnagel, Innovation als Gegenstand der Rechtswissenschaft, in: Hof/Wengenroth (Hg.): Innovationsforschung – Ansätze, Metho- den, Grenzen und Perspektiven, Hamburg 2007, 9.
Mit diesem Fokus bspw. Hilty/ Jaeger/ Lamping (Hrsg.), Heraus- forderung Innovation – Eine interdisziplinäre Debatte, 2012; ähnlich bereits Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994.
Cooter, The Falcon‘s Gyre: Legal Foundations of Economic Innovation and Growth, 2014 (abrufbar unter http://www.law. berkeley.edu/library/resources/cooter.pdf), S. IX (Preface): „May- be efficiency is wrong and innovation is right“.
32 33
102 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112
Kurzum: Die Förderung wissenschaftlicher Koopera- tion verspricht, zu einer Zukunftsaufgabe des Privat- rechts zu werden, weil Innovation zunehmend in Ko- operationsbeziehungen erfolgt, und weil Kooperations- ermöglichung zu den elementaren Zwecken des Privat- rechts zählt. Um nun auszuloten, welche Beiträge das Privatrecht zur Förderung von Wissenschaftskooperati- on im Einzelnen leisten kann, geht dieser Beitrag nach- folgend in drei Schritten vor. Er gibt zunächst einen Überblick über die privatrechtlichen Regelungsinstru- mente und stellt damit sozusagen den verfügbaren Werkzeug- und Instrumentenkasten vor (unter II.), be- vor er sodann spezifische Regelungsprobleme der Wis- senschaftskooperation anspricht (unter III.), um schließ- lich am Ende mit Hilfe dieser Instrumente erste Leitlini- en für Strategien zur Bewältigung jener Regelungspro- bleme zu entwerfen (unter IV.), freilich vorerst nur grob und skizzenhaft.
II. Regelungsinstrumente
Was die Regelungsinstrumente angeht, liefert die privat- rechtliche Regelsetzungslehre wertvolle Denkanstöße. Dieses Forschungsfeld, das sich mit Methoden effektiver Regelsetzung beschäftigt, hat sich neuerdings als Teilbe- reich der Privatrechtswissenschaft etabliert und kraftvoll entwickelt.34 Einen Ausgangspunkt lieferte Julia Black, die bereits 1997 in ihrem Buch „Rules and Regulators“ die Losung ausgab: „Towards a Theory of Rule Making“.35 In Deutschland hat vor allem Holger Fleischer diesen Gedanken aufgegriffen, besonders in einem Aufsatz aus dem Jahr 2004 mit dem treffenden Untertitel „Prolego- mena zu einer Theorie gesellschaftsrechtlicher Regelset- zung“.36 Seitdem sind mehr als ein Dutzend einschlägige
- 34 Übergreifend demnächst die Beiträge in: Möslein (Hrsg.), Regel- setzung im Privatrecht, in Vorbereitung für 2018.
- 35 Black (Fn. 12), bes. S. 246–250; s. dazu auch die Rezension von Lessig, Modern Law Review 62 (1999), 803, 804 („analysis of the mechanics of rules“).
- 36 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673; vgl. außerdem Eidenmüller, JZ 2007, 487, 490 („Analyse von Regulierungsstrategien“).
- 37 S. vor allem (in chronologischer Reihenfolge): Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, 2010; Cziupka, Disposi- tives Vertragsrecht, 2010; Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010; Renner, Zwingendes transnationales Recht, 2010; Möslein, Dispositives Recht, 2011; Weiss, Hybride Regulierungsinstrumente, 2011; Binder (Fn. 11); Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, 2012; Kahnert, Rechtsetzung im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2012; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012; Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht, 2013; Podszun, Wirt- schaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014; Damler, Das gesetzlich privilegierte Muster im Privatrecht, 2015; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016; Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften
Monographien entstanden, die sich allesamt mit Regel- setzungsfragen befassen, etwa mit zwingendem und dis- positivem Recht, mit hybriden Regulierungsinstrumen- ten, gesetzlichen Mustern und Fragen der Normkonkre- tisierung – insgesamt über fünftausend Seiten, entstanden im Wesentlichen innerhalb der letzten fünf Jahre.37 Der gemeinsame Nenner besteht in einem moda- len Forschungsansatz, der nicht primär den Inhalt von Regeln, sondern die Art und Weise der Regelsetzung in den Blick nimmt und damit eben eine Art Werkzeug- oder Instrumentenkasten liefert – vergleichbar mit der öffentlich-rechtlichen Gesetzgebungslehre, aber mit pri- vatrechtlichem Fokus und unter Einbeziehung der Eigendynamiken privatautonomer Selbstbestimmung.38
1. Regelungsebene
Entsprechend finden im Hinblick auf die Regelungsebe- ne neben staatlichen besonders auch private Regelsetzer Berücksichtigung. Auf der einen Seite kann der staatli- che Gesetzgeber Regeln vollständig selbst erzeugen; er kann die Regelerzeugung aber auch ganz oder teilweise auf andere Regelgeber delegieren.39 Im modernen Staat setzen Legislative, Exekutive und Judikative gleicherma- ßen Recht, allerdings auf unterschiedliche Art und Wei- se.40 Was das vom Gesetzgeber selbst erlassene Recht auszeichnet, ist vor allem sein allgemeiner, nicht auf konkrete Sachverhalte bezogener Inhalt, sein weit rei- chender Zukunftsbezug und sein inhaltlich offener, nur durch Verfassungsvorgaben begrenzter Regelungsspiel- raum.41 Eine Alternative zu legislativer Rechtsetzung besteht darin, den Gerichten die Regelerzeugung zu überlassen. Kennzeichen dieser judikativen Normerzeu- gung, die besonders dort eine Rolle spielt, wo es primär auf die Bewertung des individuellen Einzelfalls
zwischen Freiheit und Zwang, 2016; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016; aus Perspektive des öffentlichen Rechts ferner Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003; Schuppert, Governance und Rechtsetzung – Grundfragen einer modernen Regelungswissenschaft, 2011.
38 Vgl. zum Folgenden auch Möslein, Regelsetzung und Ordnungs- ökonomik, in: Zweynert/Kolev/Goldschmidt (Hrsg.), Neue Ordnungsökonomik, 2016, S. 19, 28–33.
39 Näher, auch zu unterschiedlichen Rollenverteilungen: Augsberg (Fn. 37), S. 79–97; Bachmann (Fn. 14), S. 361–392.
40 Möllers, Gewaltengliederung, 2005, bes. S. 94–134 sowie andeu- tungsweise bereits Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, 1957,
S. 115, 134–137. Insbesondere zur exekutiven Rechtsetzung v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, bes. S. 55–106; zur judikativen Rechtsetzung Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, bes. S. 95–98; Maultzsch (Fn. 37), bes. S. 23–26; Röthel, Normkonkretisierung durch Privatrecht, 2004, bes. S. 56–60; Podszun (Fn. 37), bes. S. 132–158.
41 Möllers (Vorn.), S. 105–111 („verallgemeinernd, zukunftbezogen, offen“).
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 0 3
ankommt,42 sind vor allem die höhere Individualisierung (Geltung für einen konkreten Sachverhalt), ihr deshalb stärkerer Vergangenheitsbezug und schließlich die ungleich größere rechtliche Determination des materiel- len Gehalts.43 Die andere, ebenfalls staatliche Alternative zu legislativer Rechtsetzung besteht in exekutiver Regel- erzeugung. Typologisch steht diese Form zwischen den beiden anderen Erzeugungsmodi, da sie einerseits kon- kreter, vergangenheitsbezogener und stärker verrecht- licht ist als legislative Rechtserzeugung, andererseits jedoch allgemeiner, zukunftsorientierter und gestal- tungsoffener als Rechtserzeugung durch die Judikative.44
Andererseits kann der Staat die Ausgestaltung des Rechts jedoch auch privaten Akteuren überlassen. Man spricht dann oft bündig von Selbstregulierung, auch wenn deren Abgrenzung von hoheitlicher (Fremd-)Re- gulierung bei genauerem Hinsehen erstaunlich schwer fällt.45 Private Regelerzeugung kann nämlich institutio- nell ganz unterschiedlich mit der staatlichen Rechtsset- zung vernetzt und verschränkt sein.46 Der Gesetzgeber kann beispielsweise private Verkehrssitten kodifizieren, so dass staatlich normiertes, seinem Inhalt nach aber privates Recht entsteht.47 Private Regeln können von staatlichen Rechtsnormen jedoch auch durch offene, dy- namische Verweisung in Bezug genommen werden. Ein Beispiel ist der gesetzliche Bezug auf Handelsbräuche in der Vorschrift des § 346 HGB.48 Als dritte Möglichkeit kann der Staat die Regelerzeugung insgesamt an Einrich- tungen delegieren, die auf Grund ihrer Verfassung, Or-
- 42 Vgl. etwa, mit Blick auf das Vertragsrecht, Rittner, AcP 188 (1988), 101, 134 f. (wegen des Bedarfs an „Augenmaß, Phantasie und Sachkenntnis […] benötigt das Vertragsrecht den Richter noch dringender als den Gesetzgeber“); vgl. ferner die differen- zierte ökonomische Analyse bei Ackermann, in: Furrer (Hrsg.), Europäisches Privatrecht im wissenschaftlichen Diskurs, 2006, S. 417, 426–429.
- 43 S. nochmals Möllers (Fn. 40), S. 95–105; ferner Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 57.
- 44 Treffend heißt es deshalb, dass exekutive Rechtsetzung „das Spektrum an Regelungsreich-weite, Zeitorientierung und Verrechtlichung ausfüllt, das zwischen den Polen legislativer und judikativer Rechtserzeugung entsteht“, so Möllers (Fn. 40), S. 112.
- 45 Zu möglichen Differenzierungskriterien Möslein, Genuine Self-regulation in Germany: Drawing the Line, in: Baums/Bälz/ Dernauer (Hrsg.), Self-regulation in Private Law in Japan and Germany, in Vorbereitung für 2018, Arbeitspapier abrufbar unter http://ssrn.com/abstract=3119247.
- 46 Näher etwa Franzius, Gewährleistung im Recht, 2009, S. 646–650. Allgemein zur Klassifikation privater Regelsetzungsverfahren, mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen: Augsberg (Fn. 37), S. 124–126; Bachmann (Fn. 14), S. 39–41; Köndgen, AcP 206 (2006), 477, 479–506; Schwarcz, Nw. U. L. Rev. 97 (2002), 319, 324–329.
- 47 Jansen/Michaels, RabelsZ 71 (2007), 345, 348.
- 48 Dazu etwa Möslein (Fn. 37), S. 413.
- 49 Ausführlich zur entsprechenden Formenvielfalt: Augsberg (Fn.
ganisationsstruktur oder Besetzung mehr oder weniger privater Natur sind.49 Beispielsweise ist die Regierungs- kommission Corporate Governance ausschließlich mit privaten Experten besetzt, kann aber dennoch Kodexre- geln statuieren, die gesetzesähnliche Wirkung entfalten: Sie sind von den Regeladressaten zu befolgen, solange diese nicht die Abweichung erklären (sog. comply or exp- lain).50 Eine vierte Möglichkeit besteht schließlich darin, die Regelerzeugung privaten Akteuren ohne eine solche gesetzgeberische Anknüpfung zu überlassen.51 Entspre- chenden Regeln fehlt zwar der staatliche Rechtsanwen- dungsbefehl, so dass sie die rechtsnormtypische hetero- nome Geltung nicht für sich beanspruchen können. Sie haben aber immerhin eine privatautonome Selbstbin- dung der Beteiligten zur Folge.52 Selbst bei zweiseitigen Verträgen ist deshalb bisweilen von der „lex contractus“ die Rede.53 Das französische Vertragsrecht macht die Pa- rallelen noch deutlicher, indem es stautiert: „Les conven- tions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“.54 Erst recht entfalten Gesellschaftsverträge und besonders körperschaftliche Satzungen breitflächi- gere Regelungswirkung.55 Entsprechend bezeichnete von Giercke sie einst als objektives Lebensgesetz des Verban- des;56 der Bundesgerichtshof schreibt ihnen ein „rechtli- ches Eigenleben“ zu.57 Gesetz und Vertrag weisen dem- nach – bei aller Unterschiedlichkeit –durchaus auch funktionale Gemeinsamkeiten auf. Entsprechend be- zeichnet Holger Fleischer diese beiden Regelungsinstru- mente als „alternative Problemlösungsmodelle“.58 Hin-
37), S. 127–173; Schneider, Gesetzgebung – Ein Lehr- und Hand- buch, 3. Aufl. 2002, S. 190–204 (= § 10); speziell zu Standesord- nungen: Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 549–791.
50 S. etwa Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 525 f.; Möslein (Fn. 45), unter III.2.c); vgl. ferner Schüppen, ZIP 2002, 1269, sowie all- gemeiner Leyens, ZEuP 2016, 388. Zur Bindungsintensität und rechtlichen Qualifikation s. ferner die zahlreichen Nachweise bei Möslein (Fn. 37), S. 414 (in Fn. 430).
51 Näher Augsberg (Fn. 37), S. 227–277; Bachmann (Fn. 14), S. 259- 329; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 181–485.
52 Vgl. dazu Möslein (Fn. 37), S. 57–69; ferner ders., Vertragsbin- dung in der Krise?, in: Binder/Psaroudakis (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht in der Krise, in Vorbereitung für 2018, unter I.1.
53 In diesem Sinne bereits Manigk, Die Privatautonomie im Aufbau der Rechtsquellen, 1935, S. 18, 45; ähnlich Adomeit, Gestaltungs- rechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche, S. 19–21 (kein normlogischer Unterschied, da jeweils Sollenssätze).
54 Art. 1134 Code civil.
55 In diese Richtung auch Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 684 („Ge-
sellschaftsverträge als dritte Spur zwischen Gesetz und Vertrag?“). 56 v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, 1895, S. 150f, 486.
57 Vgl. BGHZ 47, 172, 179 f.; 106, 67, 71; allgemein zur Diskussion
um Vertrags- und Normentheorie etwa MüKoBGB/Reuter, § 25, Rn. 16–20.
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sichtlich ihrer Wirkung steht private Regelerzeugung, ähnlich wie exekutive Normsetzung, zwischen den bei- den äußeren Polen: Während der Grad ihrer Verrechtli- chung variiert, verbindet sie den Vorteil eines vergleichs- weise allgemeinen, wenngleich auf bestimmte Branchen oder Adressaten begrenzten Regelungsansatzes mit der Möglichkeit, sich relativ schnell an veränderte, spezifi- sche Umstände anpassen zu können, ohne ausschließ- lich vergangenheitsbezogen zu sein.59
2. Regelungsintensität
Alternativen im Sinne eines gegenseitigen Ausschluss- verhältnisses sind Gesetz und Vertrag allerdings nicht.60 Vielmehr erfolgt auch private Regelsetzung, die auf pri- vatautonomer Selbstbindung basiert, in Wahrheit nicht im rechtsfreien Raum, sondern auf der Grundlage einer rechtlichen Infrastruktur, die jene Regelsetzung erst ermöglicht, zugleich aber auch ihren Spielraum begrenzt.61 Im Hinblick auf diese Rahmenordnung unterscheidet man je nach Regelungsintensität grundle- gend zwischen zwingenden und dispositiven Regeln, auch wenn sich zahlreiche Mischformen finden.62 Zwin- gendes Recht herrscht beispielsweise im deutschen Akti- enrecht vor, wo § 23 Abs. 5 AktG bekanntlich den Grund- satz der Satzungsstrenge statuiert und deshalb nur wenig Raum für privatautonome Rechtsgestaltung lässt.63
Dispositive Regeln eröffnen privaten Akteuren dem- gegenüber die Möglichkeit, abweichende Vereinbarun- gen zu treffen. Sie beanspruchen nur dann Geltung, wenn privatautonom nichts anderes vereinbart ist. Die Erzeugung der jeweils anwendbaren, rechtlich verbindli-
- 58 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673.
- 59 Möslein (Fn. 38), S. 30. Ausführlicher zu den Vorteilen privaterRegelsetzung: Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, 2010, S. 220–240; Damrau, Selbstregulierung im Ka- pitalmarktrecht, 2003, S. 75–83; im Hinblick auf normersetzende Absprachen: Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, S. 203–228.
- 60 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 684 f. („Mittelschicht zwischen Gesetz und Vertrag“); vgl. außerdem Bachmann (Fn. 14), S. 9, 13–16.
- 61 Möslein (Fn. 37), S. 17 f.; ders., Privatrechtliche Regelsetzung, Governance und Verhaltensökonomik, Austrian Law Journal 1 (2014), 135, 138 f.; ders. (Fn. 45), unter I.2.
- 62 Zu diesem Facettenreichtum ausführlich Möslein (Fn. 37), S. 162- 264.
- 63 Dazu allgemein Hirte, in: Lutter (Hg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, 61 ff.; Hopt, in: Lutter (Hg.), Gestal- tungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, 123 ff.; H. Mertens, ZGR 1994, 426 ff.; Spindler, AG 1998, 53 ff.; ferner bereits Geßler, FS M. Luther 1976, 69; Luther, FG Hengeler 1972, 167.
- 64 Sie gilt gar als dessen „geniale Eigenschaft“, vgl. Zöllner, NZA 2006, 99; ferner K. Schmidt, in: Murakami/Marutschke/Riesenhu- ber (Hrsg.), Globalisierung und Recht, 2007, S. 153, 168 f. („Alles Recht – jedenfalls alles Privatrecht – speist sich aus zwei Quellen:
chen Regeln ist insofern zwischen staatlichen und priva- ten Regelgebern aufgeteilt. Diese Regelungstechnik ist für das Privat- und Wirtschaftsrecht keineswegs unüb- lich, sondern geradezu typisch.64 Im Personengesell- schaftsrecht eröffnet sie beispielsweise die Möglichkeit, bei der OHG abweichend von der gesetzlichen Regelung in §§ 114 f. HGB vom Grundsatz der Einzelgeschäftsfüh- rung abzugehen und beispielsweise Gesamtgeschäfts- führung vorzusehen.65 Eine äußere Grenze findet diese Gestaltungsfreiheit jedoch unter anderem im Grundsatz der Selbstorganschaft, der besagt, dass die Gesellschafter die Geschäfte grundsätzlich selbst zu führen haben, und der zwingend gilt.66 Eine Übertragung der Geschäftsfüh- rung ausschließlich an Nichtgesellschafter ist deshalb nicht möglich. In anderen Rechtsgebieten ist die Ab- dingbarkeit noch stärker eingeschränkt, weil nur noch in eine Richtung, etwa nur zu Gunsten von Verbrauchern, abgewichen werden darf: Entsprechende Regeln gelten nicht mehr vollumfänglich dispositiv, sondern halb- zwingend.67 Weitere Abstufungen zwischen zwingend und dispositiv können sich daraus ergeben, dass disposi- tive Regeln von inhaltlichen oder prozeduralen Kautelen abhängig gemacht werden, beispielsweise von der Infor- mation des Vertragspartners oder von der Einhaltung bestimmter Formvorschriften. Zusätzlich zur isolierten Disposition über einzelne Rechtsätze bekommen Regel- adressaten häufig auch die Wahl zwischen verschiedenen Regelungsmodellen eingeräumt, etwa zwischen ver- schiedenen Rechtsformen, zwischen unterschiedlichen Vertragstypen oder auch zwischen den Regelungsange- boten verschiedener Regelgeber.68 Insgesamt ermögli-
aus dem rechtspolitischen Willen des mit Normsetzungsbefugnis ausgestatten Gesetzgebers und aus dem Rechtsgeltungswillen der Rechtsgemeinschaft“).
65 Näher zu Gestaltungsspielraum und ‑grenzen: Oetker/Lieder, § 114 HGB, Rn. 64; MüKoHGB/Rawert, § 114, Rn. 19–31; Baum- bach/Hopt/Roth, § 114 HGB, Rn. 20–28.
66 BGHZ 146, 341, 360; 51, 198, 200; 41, 367, 369; 36, 292, 295; 33, 105, 108; 26, 330, 332; Huber, ZHR 152 (1988), 1, 13 f.; Reuter, FS Steindorff, 1990, 229, 232f; K. Schmidt, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 307, 310 f.; ders., Gesellschaftsrecht, § 14 II 2a; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 176; Wiedemann, FS Schilling, 1973, S. 105, 110; monographisch Werra, Zum Stand der Diskus- sion um die Selbstorganschaft, 1991; Heidemann, Der zwingende oder dispositive Charakter des Prinzips der Selbstorganschaft bei Personengesellschaften, 1999.
67 Vgl. etwa, besonders prominent, die Vorschrift des § 475 Abs. 1 S. 1 BGB; zum Ganzen näher Möllers, JZ 2001, 121, 131; Schürn- brand, JZ 2009, 133, 134 f.; v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, S. 129 f.; monographisch Nobbe, Das Günstigkeitsprinzip im Verbrauchervertragsrecht, 2007.
68 Umfassend zu allen diesen Abschattierungen Möslein (Fn. 37), S. 161–264.
69 Vgl. Ayres/Gertner, Yale Law Journal 99 (1989), 87, 125; auch
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 0 5
chen dispositive Regeln jedenfalls eine differenzierte Aufteilung der Regelerzeugung zwischen Staat und Pri- vaten.69 Letztlich ermöglichen sie Wettbewerb zwischen der gesetzlich vorgesehenen Lösung und privaten Alter- nativregeln70 – was manchmal auch dazu führt, dass der Gesetzgeber selbst solche Alternativregeln übernimmt. Ein Beispiel ist § 131 HGB, der früher einmal (in Abs. 1 Nr. 4 a.F.) die dispositive Regelung vorsah, dass der Tod eines Gesellschafters zur Auflösung der Gesellschaft führt, heute aber (in Abs. 3 S. 1 Nr. 1) genau das Gegenteil besagt, und zwar deshalb, weil die frühere Vorschrift aus naheliegenden Gründen massenhaft abbedungen wurde.71
Während bei dispositivem Recht die Regelerzeugung demnach aufgeteilt ist, sind noch stärkere Abstriche bei der Regelungsintensität denkbar. Gesetzliche Muster beispiels- weise finden nicht „automatisch“ – vorbehaltlich einer Ab- bedingung – Anwendung, sondern nur dann, wenn die Re- gelungsadressaten sie explizit übernehmen; neudeutsch ge- sprochen also ein Regelungsmodell des Opting-In, nicht des Opting-Out.72 Die Adressaten dürfen sich allerdings ge- wisse Vorteile erwarten, wenn sie das Muster übernehmen, etwa weil ihnen der Gang zum Notar oder aber Unwirk- samkeitsrisiken erspart bleiben. Prominente Beispiele lie- fern die Muster für die Widerrufsinformation bei (Im- mobiliar-)Verbraucherdarlehensverträgen, die sich in Ergänzung zu § 492 BGB in den Anlagen 7 und 8 zum EGBGB finden.73 Noch geringere Regelungsintensität haben Regelungsaufträge, bei denen das Gesetz sich jeg- licher inhaltlicher Vorgabe enthält und stattdessen nur vorschreibt, dass bestimmte Fragen privatautonom zu regeln seien, beispielsweise Firma, Sitz, Unternehmens- gegenstand und Höhe des Garantiekapitals in kapitalgesell- schaftlichen Satzungen.74 Abermals geringer ist die Rege- lungsintensität schließlich bei Anregungsnormen, bei de-
McDonnell, SMU L.R. 60 (2007), 383, 385: “Altering rules can be arrayed on a spectrum from not at all sticky (Teflon rules) to quite sticky”.
- 70 Zu diesem Gedanken näher Möslein, in: Eidenmüller (Hrsg.), Regulatory Competition in Contract Law and Dispute Resoluti- on, 2013, S. 147.
- 71 Näher zum Ganzen, besonders zur Kautelarpraxis: Lamprecht, ZIP 1997, 919; Sethe, JZ 1997, 989; MüKoHGB/K. Schmidt, § 131, Rn. 62; Oetker/Kamanabrou, § 131 HGB, Rn. 2.
- 72 Zu diesen Begriffen vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 695 f.; näher zum Regelungsansatz selbst vor allem Schürnbrand, JZ 2015, 974; demnächst auch ders., in: Möslein (Hrsg.), Regelset- zung im Privatrecht, in Vorbereitung für 2018.
- 73 Hierzu statt aller Masuch, NJW 2008, 1700; ders., NJW 2002, 2931; Schmidt-Kessel/Gläser, WM 2014, 965; MüKoBGB/Schürn- brand, § 492, Rn. 29.
- 74 Hierzu monographisch Baier, Der Regelungsauftrag als Gesetzge- bungsinstrument im Gesellschaftsrecht, 2002; vgl. ferner Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 696 f.; Hommelhoff, in: Lutter/Wiedemann
nenderGesetzgeberlediglichaufdieMöglichkeiteinerRe- gelung hinweist, etwa auf die Einrichtung eines fakultativen Aufsichtsrats oder fakultativer Aufsichtsratsausschüsse.75
3. Regelungszuschnitt
Ein drittes Differenzierungskriterium, das hier nur noch kurz skizziert werden kann, betrifft schließlich den Regelungszuschnitt, insbesondere die Dichte, Komplexi- tät und Präzision einer Regelung.76 Rechtsvorschriften können detailliert und abschließend formuliert sein; sie können aber auch offen und konkretisierungsbedürftig gefasst sein.77 Im zweiten Fall spricht man von unbe- stimmten Rechtsbegriffen oder Generalklauseln; ein Paradebeispiel ist der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben. Zwischen beiden Polen sind wiederum zahlreiche Abschattierungen möglich.
Den Regelungszuschnitt betreffen auch Typisierungs- fragen, also die Überlegung, wie spezifisch oder übergrei- fend – und anhand welcher Kriterien – beispielsweise Ver- tragstypen oder Rechtsformen zugeschnitten werden.78 Zu- dem kann man in zeitlicher Hinsicht unterscheiden, ob Re- gelungsinstrumente ex ante oder ex post ansetzen, oder ob sie nur für einen bestimmten Zeitraum befristet gelten (sog. „sunset legislation“).79 Der Regelungszuschnitt hat schließ- lich auch eine gewisse inhaltliche Dimension, nämlich hin- sichtlich der Frage, ob Regeln bestimmte Inhalte – etwa Vertragsinhalte oder auch Verhaltenspflichten – selbst vor- schreiben, oder ob sie den Privaten insoweit Gestaltungs- spielraum belassen und lediglich dazu verpflichten, die sol- chermaßen festgelegten Inhalte offen zu legen. Die zweitge- nannte, stärker prozedural operierende Alternative erfreut sich vor allem auf Europäischer Ebene so großer Beliebt- heit, dass von einem geradezu paradigmatischen „Infor- mationsmodell“ des Europäischen Privatrechts die Rede ist.80
(Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 36, 58. 75 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 697; Hommehoff/Mattheus, AG
1998, 249, 250; ferner auch Baier (Vorn.), S. 81–84.
76 So Binder (Fn. 11), S. 45 f.
77 Näher für das Privatrecht vor allem Auer (Fn. 40); Röthel (Fn.
40); zur Entwicklung von Kriterien aus rechtsökonomischer Sicht
Morell, AcP 217 (2017), 61, 65–70.
78 Vgl. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im
Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 96 f.; überblicksweise und m.w.N. zum „typologischen Denken“ in der Rechtswissen- schaft Auer (Fn. 4), S. 159–162; besonders zum Zusammenspiel mit dispositivem Recht Möslein (Fn. 37 ), S. 49–52.
79 Dazu allgemein, mit zahlreichen Beispielen aus dem US-amerika- nischen Gesellschaftsrecht McDonnell, SMU L.R. 60 (2007), 383, 410–413; vgl. ferner Steinhaus, Gesetze mit Verfallsdatum – ein Instrument des Bürokratieabbaus?, 2008; Veit/Jantz, in: Aleman- no/den Butter/Nijsen/Torriti (Hrsg.), Better Business Regulation in a Risk Society, 2013, 267.
106 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112
Der Regelungszuschnitt beeinflusst wiederum die Ef- fektivität des Regelungsinstruments. Der Effektivitäts- vergleich von präzisen „rules“ und offeneren „standards“ bildet denn auch einen Schwerpunkt in der anglo-ameri- kanischen Regulierungsdiskussion.81 Eine zentrale Über- legung lautet, dass der Regelungszuschnitt die Zustän- digkeit des Regelgebers beeinflusst: Je offener der Ge- setzgeber Regeln formuliert, desto stärker bedürfen die- se der nachträglichen Auslegung durch den Richter. Die Gerichte haben insofern viel stärkeren Einfluss auf die Regelsetzung als im Falle detaillierterer Regeln. Im Hin- blick auf den Regelzuschnitt greifen deshalb ähnliche Ef- fektivitätsüberlegungen, wie sie im Hinblick auf die Re- gelgeber bereits angesprochen wurden.82 Dass die Effek- tivität zusätzlich von verhaltensökonomischen Erwä- gungen abhängt, zeigt sich vor allem bei der Wahl zwischen Inhalts- und Informationsregeln. Besonders intensiv diskutiert werden entsprechende Effekte derzeit im Gesellschaftsrecht, und zwar mit Blick auf die Offen- legung nichtfinanzieller Informationen, die neuerdings aufgrund einer europäischen Richtlinie für bestimmte Unternehmen verpflichtend vorgesehen ist:83 Jene Offen- legungspflicht gilt als eine Art Revolution durch die Hin- tertür,84 weil man befürchtet, dass solche Informations- regeln verhaltenssteuernde Wirkung auf Vorstandsmit- glieder entfalten und dadurch deren Pflichtbindung be- einflussen könnten.85
III. Regelungsprobleme
Wenn alle diese vielgestaltigen Regelungsinstrumente Problemlösungsmechanismen darstellen,86 so fragt sich, welche spezifischen Probleme diese Instrumenten zu lösen haben, wenn es um die Regelung wissenschaftli- cher Kooperation geht. Die regelungsbedürftigen Sach- fragen sind vielfältig und zahlreich; so mag es beispiels-
- 80 S. etwa Grundmann, DStR 2004, 232; ders., JZ 2000, 1133, 1142f.; ders., FS Lutter, 2000, S. 61; ders./Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Inforation in the Internal Mar- ket, 2001; monographisch: Grohmann, Das Informationsmodell im europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; vgl. ferner Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001. Zu den Grenzen vor allem Schön, FS Canaris I, 2007, S. 1191 sowie jüngst Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität: Die Grenzen des Infor- mationsmodells im Privatrecht und seine Alternativen, 2017, bes. S. 395–435.
- 81 Vgl. etwa Dworkin, U. Chi. L. Rev. 35 (1967), 14, 22–29; Hart, The Concept of Law, 2. Aufl. 1994, S. 126–131; Kelman, A Guide to Critical Legal Studies, 1987, S. 15–63.
- 82 Dazu aus ökonomischer Sicht Kerber, FS Schäfer, 2009, S. 489.
- 83 Vgl. Art. 19a der Richtlinie 2014/95/EU des EuropäischenParlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfi-
weise darum gehen, wer die Patente an den Erfindungen eingeräumt bekommt, die aus dieser Kooperation entste- hen, welche Partner welchen Geheimhaltungs- und Offenlegungspflichten unterliegen, oder wer die Haftung für jeweils spezifische Innovationsrisiken übernimmt.87 Überdies müssen institutionelle Fragen der Governance solcher Kooperationen geklärt werden. Solche Fragen stellen sich grundsätzlich in jeder Forschungsgruppe (und allgemeiner bei jeder Form kooperativer Innovati- on);88 sie wiegen aber umso schwerer und werden umso komplexer, je größer und institutionalisierter eine solche Gruppe ist. Auch wenn die skizzierten Fragestellungen den jeweiligen Einzelbeiträgen überlassen bleiben sollen und müssen, lassen sich auf einer abstrakteren Ebene (mindestens) dreierlei Eigenheiten ausmachen, die Wis- senschaftskooperation ausmachen, und die für die Art und Weise der Regelsetzung und für die Auswahl der Regelungsinstrumente Bedeutung haben – die Hetero- genität der tatsächlichen Kooperationsformen, die wis- senschafts- und innovationsspezifische Ungewissheit sowie schließlich die Zweckrichtung der wissenschaftli- chen Kooperation.
1. Heterogenität
Ein erstes Merkmal, das wissenschaftliche Kooperation kennzeichnet, betrifft die Formenvielfalt realer Gestal- tungsvarianten. Hier empfiehlt sich, zunächst einige Bei- spiele Revue passieren zu lassen, die sich allesamt als Wissenschaftskooperationen begreifen lassen. Ein erstes Beispiel betrifft das gemeinsame Stellen eines For- schungsantrags, etwa für ein Drittmittelprojekt, der im Erfolgsfall in die gemeinsame Projektdurchführung mündet. Zu denken ist hier etwa an eine DFG-Forscher- gruppe mehrerer in- oder auch ausländischer Wissen- schaftler, oder an ein BMBF-Verbundprojekt als arbeits- teilige Kooperationen von mehreren Industrie- und/
nanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. EU 2014/L 330, S. 1.
84 In diesem Sinne Hommelhoff, FS Kübler, 2015, S. 291 (2015); vgl. auch ders., NZG 2015, 1329, 1330; ders., FS Hoyningen-Huene, 2014, S. 137, 140.
85 Zu solchen Effekten demnächst ausführlich: Möslein/ Sørensen, Nudging for Corporate Long-Termism and Sustainability?, Columbia Journal of European Law 24 (2018), Heft 2, beson- ders unter 2.2.; vgl. außerdem Schön, ZHR 180 (2016), 279, 281 (2016).
86 Vgl. Nachw. oben, Fn. 58.
87 Zum letzten Punkt näher Eberbach/Hommelhoff/Lappe, OdW 1
(2017), 1, 9 f.
88 Dazu näher Eberbach/Hommelhoff/Lappe, OdW 1 (2017), 1, 5–8;
allgemein: Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 442–445.
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 0 7
oder Forschungspartnern.89 Ein zweites Beispiel sind universitäre Zentren für unternehmerische Start-Ups, die den Anspruch haben, nicht nur bei der Unterneh- mensgründung zu helfen, sondern dadurch auch Inno- vationen marktfähig zu machen, die im universitären Umfeld entstehen. Zu denken ist insoweit an entspre- chende Zentren etwa der Stanford University, die als Keimzelle des Silicon Valley gelten,90 oder auch an deut- sche Pendants kleineren Umfangs, etwa an die Unter- nehmerTUM in München oder an MAFEX, das Mar- burger Förderzentrum für Existenzgründer.91 Ein drittes Beispiel sind schließlich die Leistungszentren, die auf einer Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft beruhen und den Anspruch haben, „den Schulterschluss der uni- versitären und außeruniversitären Forschung mit der Wirtschaft“ zu organisieren und „sich durch verbindli- che, durchgängige Roadmaps der beteiligten Partner in den Leistungsdimensionen Forschung und Lehre, Nach- wuchsförderung,Infrastruktur,InnovationundTransfer auszeichnen“.92
Diese eher beliebig ausgewählten Beispiele illustrie- ren die Spannbreite und Vielfalt, kurz: die Heterogenität von Wissenschaftskooperationen.93 Wissenschafts- kooperationen unterscheiden sich erstens hinsichtlich ihrer Permanenz: Lediglich projektbezogen beim einzel- nen Forschungsvorhaben, dauerhaft im Fall der Grün- dungs- und Leistungszentren, dort allerdings teils auch eher rahmenhaft, weil die jeweiligen Partner, etwa die betreuten Start-Up-Unternehmen, häufiger wechseln und nur der institutionelle Rahmen permanent fortbe- steht. Die Kooperationen unterscheiden sich zweitens hinsichtlich der beteiligten Partner und ihrer privat- bzw. öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur: Teils kooperie- ren einzelne Wissenschaftler, teils Universitäten und au- ßeruniversitäre Forschungseinrichtungen, teils (zusätz- lich) auch Industrieunternehmen. Unterschiedlich sind
- 89 Vgl. http://www.dfg.de/foerderung/programme/koordinier- te_programme/forschergruppen/ bzw. http://www.forschungs- rahmenprogramm.de/verbundprojekte.htm; allgemein zur programmförmigen Forschungsförderung: Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund, 2011, S. 55–59.
- 90 Nähere Informationen unter https://www.gsb.stanford.edu/ stanford-community/entrepreneurship; ausführlich zum „Silicon- Valley-Ökosystem“ beispielsweise Rappold, Silicon Valley Inves- ting, 2015, S. 16–32; aus (auch) rechtlicher Perspektive Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften zwischen Freiheit und Zwang, 2016, S. 203–216.
- 91 S. https://www.unternehmertum.de/; bzw. https://www.uni-mar- burg.de/fb02/mafex; dazu monographisch Haus, Förderung von Unternehmertum und Unternehmensgründungen an deutschen Hochschulen, 2006.
- 92 https://www.fraunhofer.de/de/institute/kooperationen/leistungs-
schließlich auch die Positionen der Wissenschaftskoope- rationen innerhalb der Innovationskette: Während DFG-Projekte typischerweise eher der Grundlagenfor- schung dienen, mögen Verbundprojekte und auch Leis- tungszentren häufig einen eher anwendungsorientierten Charakter haben. Eindeutig steht bei den Unterneh- mensgründungen ein solcher Anwendungsbezug im Vordergrund, ohne dass allerdings der wissenschaftliche Innovationscharakter dort zwangsläufig fehlen würde.
2. Ungewissheit
Eine zweite Eigenheit betrifft den Grad an Ungewissheit, der Wissenschaftskooperation typischerweise inne- wohnt. Innovationsprozesse, die den Gegenstand sol- cher Kooperation bilden, sind zwangsläufig völlig ergeb- nisoffen: Wäre das Ergebnis einer Innovation von vorn- eherein bekannt oder auch nur absehbar, so hätte man es nämlich in Wahrheit gerade nicht mit einer Innovation zu tun.94 Risikoreich oder auch unvorhersehbar sind andere Formen der Kooperation zwar auch. Treffend schrieb einst Karl Popper: „Was wir in der Zukunft wis- sen werden, können wir nicht wissen, denn sonst wüss- ten wir es ja“.95 Künftige Entwicklungen sind naturgemäß unvorhersehbar, so dass Langzeit- und Gesellschaftsver- träge allgemein Mechanismen vorsehen müssen, um mit dieser Unvorhersehbarkeit umzugehen.96 Dass sich Geschäftsergebnisse nicht antizipieren lassen, macht gerade den unternehmerischen Charakter von Koopera- tion aus. Unternehmerisches Handeln birgt immer auch Risiken, selbst eines Totalverlusts, aber umgekehrt auch Chancen.97 Wissenschaftskooperation ist demgegenüber allerdings noch unbestimmter, weil sich ex ante oft nicht einmal die Richtung vorhersehen lässt, in die sich ein Innovationsprozess entwickelt. Die Ungewissheit ist mit- hin größer als bei anderen Kooperationsformen.98
Der spezifische Grad an Ungewissheit bei Wissen-
zentren.html; näher Hiermaier, in: Neugebauer (Hrsg.), Ressour-
ceneffizienz, 2017, S. 23, 24–26.
93 Zur tatsächlichen Heterogenität selbst einer spezifischen Ko-
operationsform vgl. Unger, Heterogenität und Performance von
Forschernachwuchsgruppen, 2010.
94 In diese Richtung namentlich v. Hayek, Die Verfassung der Frei-
heit, 1971, S. 51.
95 Popper, Das Elend des Historizismus, 1969, S. 109.
96 Vgl. Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248, 281 f.; zu sog. relati-
onalen Verträgen näher Easterbrook/Fischel, Economic Structure of Corporate Law, 1996, S. 93; Behrens, FS Drobnig, 1998, 491, 493; Ruffner, Die ökonomischen Grundlagen eines Rechts der Publikumsgesellschaft, 2000, S. 162.
97 In diesem Sinne zuletzt etwa: Dauner-Lieb, in: Schwenker/ Dauner-Lieb (Hrsg.), Gute Strategie – Der Ungewissheit offensiv begegnen, 2017, S. 125, 131–134.
108 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112
schaftskooperationen unterscheidet sich sodann noch- mals nach Art der jeweiligen Forschung: Die Ungewiss- heit ist höher bei der Grundlagenforschung und niedri- ger bei anwendungsorientierter Forschung – aber selbst dort tendenziell höher als bei sonstiger, d.h. innovations- fernerer, unternehmerischer Kooperation.99 Entspre- chend unterscheidet sich das Ausmaß der Ungewissheit in Abhängigkeit der Position der Wissenschaftskoopera- tion in der Innovationskette.100 Die Ungewissheit unter- scheidet sich zudem je nach Zuschnitt der Forschungs- kooperation: Während das einzelne Forschungsvorha- ben schon aufgrund des Antragserfordernisses inhalt- lich vergleichsweise genau konturiert ist, haben Leistungszentren, gleichsam am anderen Ende der Skala, generisch formulierte Schwerpunktthemen und For- schungsziele („Entwicklung von Technologien und Lö- sungen für mehr Nachhaltigkeit“; „Schneller Know- how-Transfer durch neue Kooperationsmodelle mit pro- fessionellen und interdisziplinären Teams in der For- schung“).101 Gründungszentren ähneln hinsichtlich der einzelnen Ausgründung bzw. des einzelnen Startups in ihrem Ungewissheitsgrad sonstigen Wirtschaftsunter- nehmen in der Gründungsphase, genießen aber gesamt- haft betrachtet den Vorzug der Risikodiversifikation.
3. Zielsetzung
Ein drittes Spezifikum hängt mit den Zielen wissen- schaftlicher Kooperationen zusammen. Während unter- nehmerische Kooperationen und Organisationen ganz unterschiedliche Gegenstände haben und unterschiedli- chen Zwecken dienen können (etwa „Herstellung und der Vertrieb von Motoren und allen damit ausgestatteten Fahrzeugen, deren Zubehör sowie aller Erzeugnisse der Maschinen‑, Metall und Holzindustrie“),102 dienen sie doch typischerweise der Gewinnerzielung, oder zumin- dest der Erhaltung und Rentabilität.103 Solchen Zielen
- 98 Zur Bedeutung von Ungewissheit für Vertragsbeziehungen vgl. auch Gilson/Sabel/Scott, in: Grundmann/Möslein/Riesenhuber (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 155.
- 99 Gleichsinnig betont die modernen Innovationsforschung, wenn sie unterschiedliche Innovationsformen unterscheidet, vor allem die Unvorhersehbarkeit als Merkmal radikaler Innovationen, vgl. etwa Bullinger, Innovation and Ontologies, 2008, S. 21.
100 Vgl. hierzu soeben unter III.1.
- 101 S. Fraunhofer-Gesellschaft (Hrsg.), Foliensatz Leistungszentren,2016, abrufbar unter: https://www.fraunhofer.de/de/institute/kooperationen/leistungszentren.html.
- 102 So beispielsweise gem. § 2 Abs. 1 der Satzung der Unterneh-mensgegenstand der Bayerische Motorenwerke AG, Stand: 25. November 2015, abrufbar unter https://www.bmwgroup.com/ content/dam/bmw-group-websites/bmwgroup_com/company/ downloads/de/2015/Satzung_DE_20151125.pdf.
- 103 Aus der äußerst umfangreichen Literatur vgl. nur zur Aktienge- sellschaft: Duden, FS Kunze, 1969, 127; Großmann, Unterneh- mensziele im Aktienrecht, 1980; Jürgenmeyer, Das Unterneh-
kann durchaus auch Wissenschaftskooperation dienen, etwa im Fall der Gründungszentren, die junge Unter- nehmen erfolgreich auf den Markt bringen wollen.
Wissenschaftskooperation dient allerdings typischer- weise primär anderen Zielen. Wissenschaft dient zuvör- derst dem Erkenntnisfortschritt;104 entsprechend geht es auch bei Wissenschaftskooperation in erster Linie um die Generierung neues Wissens, die von entsprechen- dem Forscherdrang angetrieben wird.105 Teils mag Wis- senschaftskooperation auch der Steigerung der Reputati- on der beteiligten Wissenschaftler dienen, wenn diese beispielsweise den Nobel- oder auch den Gottfried Wil- helm Leibniz-Preis anstreben.106 Schließlich kann Wis- senschaftskooperation jedoch auch Gemeinwohlzielen dienen, etwa der Strukturförderung oder auch der Inno- vationspolitik. Auf der Webseite der Fraunhofer-Leis- tungszentren heißt es beispielsweise ganz explizit, diese Zentren seien ein „Angebot an die Politik, wissenschaft- liche Exzellenz mit gesellschaftlichem Nutzen prioritär zu entwickeln“.107
IV. Regelungsstrategien
Auf dieser Grundlage lässt sich nunmehr überlegen, wel- che Bedeutung diese spezifischen Eigenheiten für die Regelsetzung haben. Die Erarbeitung detaillierter Rege- lungsstrategien ist freilich ein längerer analytischer Pro- zess, der nur unter intensiver Berücksichtigung der ein- zelnen materiell-rechtlichen Sachfragen erfolgen kann. Vorerst kann man immerhin auf eher gesamthafter Ebe- ne einige grobe Leitlinien und Leitideen für solche künf- tigen Regelungsstrategien entwickeln.
1. Typizität
Erstens ist der Formenreichtum der Wissenschafts- kooperation beim Regelungszuschnitt zu bedenken.108
mensinteresse, 1984; Junge, FS Caemmerer, 1978, 547; Kuhner, ZGR 2004, 244; Mülbert, FS Röhricht, 2005, S. 421; ders., ZGR 1997, 129; Th. Raiser, FS Reimer Schmidt, 1976, 101; Raisch, FS Hefermehl, 1976, 347; Wiedemann, FS Barz, 1974, 561.104 Näher etwa Radnitzky/Andersson, in: diess. (Hrsg.), Fortschritt und Rationalität der Wissenschaft, 1980, S. 1; vgl. ferner die Beiträge in: Zelewski/Akca (Hrsg.), Fortschritt in den Wissen- schaften, 2006.
105 Hierzu mit Blick auf die Exzellenzinitiative (selbst kritisch): Münch, in: Blanke (Hrsg.), Bildung und Wissenschaft als Stand- ortfaktoren, 2007, S. 111.
106 Ähnlich Kuhlmann/Holland, Erfolgsfaktoren der wirtschaftsna- hen Forschung, 1995, S. 75 f. Näher zu den einzelnen Kriterien wissenschaftlicher Reputationsbildung Hornborstel, Wissen- schaftsindikatoren, 1997, S. 141–144.
107 S. https://www.fraunhofer.de/de/institute/kooperationen/leis- tungszentren.html.
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 0 9
Diese Vielfalt erschwert nämlich die Typenbildung.109 Daher sind Kriterien zu entwickeln, um Wissenschafts- kooperation zielführend von anderen, entweder un- oder anderweitig geregelten Kooperationsformen abzu- grenzen. Je präziser diese Abgrenzungskriterien, umso passgenauer lässt sich anschließend das Regelungsre- gime zuschneiden. Allerdings sind die Grenzen fließend, weil anwendungsorientierte Forschung beispielsweise durchaus bereits unternehmerischen Charakter haben kann, und weil umgekehrt auch sonstige „nicht-wissen- schaftliche“ Unternehmen innovativ und forschend tätig sind, beispielsweise auch Forschungs- und Entwick- lungsabteilungen betreiben und zu Forschungszwecken kooperieren.110
Bei der Typenbildung ist deshalb zu allererst überle- gen, ob die Abgrenzung dem Inhalt nach erfolgen sollte, indem sie darauf abstellt, ob eine Kooperation der wis- senschaftlichen Forschung dient. Ein entsprechendes Kriterium lässt allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten befürchten, eben weil viele Unternehmenskooperatio- nen im Forschungs- und Entwicklungsbereich ganz ähn- lichen Zwecken dienen, etwa wenn solche Kooperatio- nen die Entwicklung neuer Elektromotoren im Automo- bilbereich bezwecken. Es drohen mithin Zuordnungs- probleme, möglicher weise aber auch Umgehungsgefahren oder gar ein Missbrauch der Rechtsform.
Umgekehrt lässt sich erwägen, statt auf den Inhalt je- weils auf die Personen abzustellen, die an der Kooperati- on beteiligt sind, indem man die wissenschaftliche Ko- operationsform beispielsweise von der Beteiligung einer Universität abhängig macht. Angesichts der skizzierten Formenvielfalt würden dann aber viele Spielarten wis- senschaftlicher Kooperation ausgeschlossen sein, etwa Drittmittelprojekte mehrerer Hochschullehrer.111 Letzt- lich werden die inhaltlichen Kriterien der Typusbildung von der (auch rechtspolitischen) Frage abhängen, wel- chen Zielen ein entsprechendes Regelungsinstrument dienen soll – etwa primär der Innovationsförderung oder aber der Privilegierung bestimmter Forschungsor- ganisationen. In jedem Fall muss ein Kompromiss zwi- schen der Breite des Anwendungsbereichs und der Pass-
- 108 Zu dieser Vielfalt s. auch Lux, Rechtsfragen der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft, 2002, S. 93–98.
- 109 Vgl. Nachw. Fn. 78.
- 110 Zur Rechtsgestaltung dieser Kooperationsformen ausführlichRosenberger, Verträge über Forschung und Entwicklung: F&E- Kooperationen in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht, 2010; Winzer (Fn. 14).
- 111 Hierzu im Einzelnen: Misera, Drittmittelforschung: Chancen, Risiken und Praxisprobleme, 2010.
- 112 S. oben, II.3.
- 113 Dazu näher der rechtsvergleichende Beitrag von Defourny/Nyssens, Conceptions of Social Enterprise and Social Entrepre-
genauigkeit des Regelungsangebots erreicht werden, was angesichts der Heterogenität der Wissenschaftskoopera- tion eine große Herausforderung darstellt. Je heteroge- ner die Regelungsmaterie, desto offener und konkretisie- rungsbedürftiger werden tendenziell jedoch die einzel- nen Regeln ihrem Zuschnitt nach ausfallen.112
Überlegenswert erscheint schließlich – drittens – der Ansatz, auf die (nicht ausschließlich gewinnorientierte) Zielsetzung der Wissenschaftskooperation abzustellen. Die skizzierte Zielpluralität findet sich zwar zunehmend auch bei anderen Kooperationsformen, die Gewinner- zielung mit Gemeinwohlbelangen zu verbinden suchen. Diese sog. „social enterprises“ sind weltweit auf dem Vormarsch –113 und keineswegs auf den sozialen Sektors begrenzt, sondern beispielsweise auch im ökologischen oder kulturellen Bereich tätig.114 Zahlreiche Rechtsord- nungen stellen insoweit bereits eine eigenständige Rechtsform zur Verfügung, etwa die US-amerikanische benefit corporation.115 Bei genauem Hinsehen „social enterprises“ ähnliche Governance- und Offenlegungs- fragen auf wie die Wissenschaftskooperation.116 Zum Teil verfolgen sie sogar gleichsinnige Zielsetzungen, was beim Fraunhofer-Leistungszentrum Nachhaltigkeit be- sonders deutlich wird.117 Ein Regelungsansatz, der Sozial- unternehmen und Wissenschaftskooperation als einen Typus zusammenfasst, wäre im Ergebnis zwar ungleich breiter als die Abgrenzung nach inhaltlichen oder perso- nellen Kriterien. Er könnte sich aber dennoch als hinrei- chend passgenau erweisen, wenn die regelungsbedürfti- gen Gemeinsamkeiten von Wissenschaftskooperation und Sozialunternehmen insgesamt überwiegen.
2. Flexibilität
Aus der Formenvielfalt, aber auch aus dem hohen Grad an Unsicherheit lassen sich überdies Folgerungen für die Regelungsintensität ziehen: Beide Faktoren sprechen für ein Regelungsregime, das sich durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnet. Flexibilität ermöglicht nämlich einerseits die Anpassung an den jeweiligen Einzelfall, der sich bei der Wissenschaftskooperation vielfach unterscheidet. Andererseits erlaubt Flexibilität jedoch
neurship in Europe and the United States: Convergences and
Divergences, Journal of Social Entrepreneurship 1 (2010) 32.
114 Vgl. etwa Mair/Mayer/Lutz, Organization Studies 36 (2015), 713;
Stephan/Patterson/Kelly/Mair, Journal of Managemnt 42 (2016),
1250, 1259 f.
115 Ausführlich Möslein/Mittwoch, RabelZ 80 (2016), 399.
116 Ebrahim/Battilana/Mair, Research in Organizational Behavior 34
(2014), 81; allgemein zu Regelungsfragen – und Reformperspek-
tiven -, namentlich im deutschen Recht s. Möslein, ZRP 2017, 175. 117 S. im Einzelnen die Informationen unter http://www.leistungs-
zentrum-nachhaltigkeit.de/.
110 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112
auch dezentrale Experimentier- und Lernprozesse,118 die sich vor allem in Situationen der Unsicherheit empfeh- len, wie sie im Falle von Wissenschaftskooperation typisch sind.
Insgesamt spricht deshalb viel für Regelungsinstru- mente von geringer Regelungsintensität. Bloße Anre- gungsnormen oder Regelungsaufträge, deren Vorzug zwar in ihrer „großen Geschmeidigkeit“ liegt,119 würden jedoch das Ziel verfehlen, Wissenschaftskooperation zu ermöglichen und zu erleichtern. Sie würden den Koope- rationspartnern nämlich nicht die Aufgabe der Regelfor- mulierung abnehmen und diesen daher keinerlei Trans- aktionskosten einsparen. Deshalb spricht viel für ein überwiegend dispositives Regelungsregime. Denkbar wäre freilich auch ein gesetzliches Muster – oder, sofern der Gesetzgeber nicht selbst aktiv wird, vielleicht auch ein privates Modellstatut. Diese letztgenannten Varian- ten könnten sich jedenfalls dann als zielführend erwei- sen, wenn hinreichende Anreize geschaffen würden, auf entsprechende Muster zurückzugreifen – etwa in Form von Erleichterungen bei der Prüfung und Zulassung von Wissenschaftskooperation, beispielsweise durch Univer- sitätsverwaltungen und Aufsichtsbehörden.
Im Hinblick auf den Regelungszuschnitt sprechen Formenvielfalt und hoher Grad an Unsicherheit schließ- lich ebenfalls für ein hohes Maß an Flexibilität, das sich dadurch gewährleisten lässt, dass die Einzelregeln nicht detailliert und abschließend formuliert, sondern mög- lichst offen und konkretisierungsbedürftig gefasst sind. Dieser Ansatz erhöht nämlich wiederum die Anpas- sungsfähigkeit der fraglichen Norm, wenngleich nicht durch die Parteien, sondern – ex post – durch die Ge- richte. Auf diese Weise lässt sich ein langfristiger Lern- prozess und ein „Entdeckungsverfahren“ anstoßen: Er- weisen sich einzelne Regelungen in der Rechtspre- chungsentwicklung als stärker konkretisierungsfähig, kann der Gesetz- oder Regelgeber diese Regeln zu einem späteren Zeitpunkt detaillierter ausgestalten.120
3. Transparenz
Was ergibt sich schließlich aus der kooperationsspezifi- schen, pluralen Zielsetzungen? Hier lassen sich wieder- um regelungstechnische Parallelen ziehen zu jenen sozi- alen Unternehmen, die ebenfalls nicht ausschließlich
118 Zu dieser Dynamik näher: Möslein, FS Hopt, 2010, S. 2861; vgl. auch ders. (Fn. 37), S. 120–150; ähnlich mit Blick auf die Recht- sprechung Podszun (Fn. 37), S. 107–171.
119 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 698.
120 Zur Rechtsprechung als Entdeckungsverfahren vgl. nochmals
Podszun (Fn. 37), S. 132–158.
121 Vgl. soeben, Fn. 115.
122 Monographisch Leuschner, Konzernrecht des Vereins, 2011, mit
illustrativen Beispielen auf S. 6–11.
gewinnorientiert agieren. Während viele ausländische Rechte für solche Unternehmen bereits eine eigene Rechtsform (die sog. Benefit Corporation) zur Verfü- gung stellen,121 greift die Unternehmenspraxis im Inland auf Konzernstrukturen zurück, die nicht-wirtschaftliche und wirtschaftliche Gesellschaftsformen kombinieren.122 Nicht zufällig entwickeln sich ganz ähnliche Strukturen bei der Wissenschaftskooperation, wenn etwa erste Leis- tungszentren aus einem eingetragenen Verein an der Spitze und darunter hängenden GmbHs zusammenge- fügt werden.123 Jedenfalls haben wir es sowohl im unter- nehmerischen als auch im wissenschaftlichen Bereich mit dem bereits skizzierten Phänomen zu tun, dass Kooperationen teils gewinnorientierte, teils auch nichtfi- nanzielle Ziele haben kann, etwa den Schutz der Umwelt und natürlichen Ressourcen.
Die regelungstechnische Herausforderung besteht in beiden Fällen darin, anreizkompatible Governance- Strukturen zu entwerfen, obwohl im Gegensatz zu ge- winnorientierten Unternehmen eine einfache Messziffer fehlt, an der sich die Leistung etwa des Vorstands oder der Koordinatoren messen ließen. Rechenschaft und ob- jektive Überprüfung von Entscheidungen sind deshalb sowohl bei Sozialunternehmen als auch bei der Wissen- schaftskooperation viel schwieriger zu regeln als im er- werbswirtschaftlichen Bereich. Die Erfahrung mit nicht ausschließlich gewinnorientierten Unternehmen zeigt, dass vor allem Offenlegungs- und Begründungspflichten helfen können, mögliche Agenturkonflikte durch größt- mögliche Transparenz zu entschärfen.124 Insoweit kann die Reformdiskussion im Bereich der wissenschaftlichen Kooperationsform auf die Erfahrungen im Bereich sozi- alen Unternehmertums aufbauen. Es gilt jeweils, auch für den nichtwirtschaftlichen Sektor passgenaue Trans- parenz- und Offenlegungsregeln zu entwickeln, und die fraglichen Informationen durch zielführende Prüfungs- mechanismen glaubwürdig zu machen.
V. Zusammenfassung
Wissenschaftskooperation bildet eine entscheidende Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit. Solche Kooperati- on verdient deshalb wissenschaftliches, auch rechtswis- senschaftliches Interesse, besonders hinsichtlich ihres
123 S. etwa zur Gründung des Leistungszentrums Elektroniksysteme e.V. die Pressemitteilung Fraunhofer IIS (Hrsg.), Leistungszent- rum Elektroniksystem – Fraunhofer, FAU und Industrie rücken noch enger zusammen, 21.7.2017, abrufbar unter https://www.iis. fraunhofer.de/content/dam/iis/de/doc/PR/pm_2017/20170721_ LZE_Verein_web.pdf.
124 Näher bspw. Möslein/Mittwoch, RabelZ 80 (2016), 399, 419–424.
Möslein · Privatrechtliche Regelsetzungsfragen der wissenschaftlichen Kooperationsform 1 1 1
rechtlichen Rahmens. Im Mittelpunkt dieses Beitrags standdabeidieübergreifendeFrage,aufwelcheArtund Weise Regeln für eine wissenschaftliche Kooperations- formzusetzenseien.WeilwissenschaftlicheInnovation häufig in Kooperationsbeziehungen erfolgt, und weil Kooperationsermöglichung zu den zentralen Zwecken des Privatrechts gehört, hat sich gezeigt, dass vor allem dieses Rechtsgebiet berufen ist, Regeln zur Förderung wissenschaftlicher Kooperation zu statuieren. Für diese Zukunftsaufgabe kann vor allem die privatrechtliche Regelsetzungslehre wertvolle Hilfestellung leisten, die nicht primär den Inhalt von Regeln untersucht, sondern insbesondere nach Regelungsebene, ‑intensität und – zuschnitt differenziert. Das Tableau an Regelungsinstru- menten, das sich auf dieser Grundlage entfalten lässt, ist mit einigen grundsätzlichen Regelungsproblemen abzu- stimmen, die wissenschaftliche Kooperation aufwirft: Erstens die Heterogenität der wissenschaftlichen Koope-
rationsformen, zweitens der im Vergleich zu unterneh- merischer Innovation größere Grad an immanenter Ungewissheit, und drittens die pluralen, aber typischer- weise nicht-wirtschaftlichen Zielsetzungen wissen- schaftlicher Kooperation. Die Leitgedanken, die sich aus diesen spezifischen Charakteristika für den Entwurf einer Regelungsstrategie entwickeln lassen, betreffen vor allem die Typenbildung (die angesichts des Formen- reichtums eine besondere Herausforderung darstellt), die Flexibilität (die sich auf Grund ebenjener Vielfalt, aber auch auf Grund der Ungewissheit empfiehlt), und die Transparenzanforderungen (die sich an anderen Kooperationsformen orientieren können, die wirtschaft- liche und nicht-wirtschaftliche Zwecke verbinden).
Florian Möslein ist Universitätsprofessor an der Phil- ipps-Universität Marburg und dort Direktor des Insti- tuts für Handels‑, Wirtschafts- und Arbeitsrecht.
112 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2018), 99–112