I. Ausgangslage
Dass die Novellierung des Gesetzes über befristete Verträge in der Wissenschaft (kurz Wissenschaftszeit- vertragsgesetz – WissZeitVG1) auf der politischen Agenda steht, war spätestens seit der Aufnahme der befristeten Beschäftigungsverhältnisse in die Reform- vorhaben des Koalitionsvertrags2 zwischen CDU, CSU und SPD vom 16.12.2013 klar. Die Regierungspar- teien haben hier generellen Handlungsbedarf gesehen und eine Novellierung des Gesetzes angekündigt. Bundesministerin Johanna Wanka hat diese Ankündi- gung Anfang des Jahres wieder aufgegriffen und erklärt, sie wolle mit einer Änderung des WissZeitVG gegen die prekären Arbeitsbedingungen bei Deutsch- lands wissenschaftlichem Nachwuchs vorgehen.3
Seitdem arbeiteten die Regierungsfraktionen an einer Verständigung über die Eckpunkte der Novellie- rung. Der erste Schritt zur Einigung war Ende Juni 2015 erreicht. CDU und CSU präsentierten ein Papier4 „Grundsätze für gemeinsames Bund-Länder-Pro- gramm und Eckpunkte für flankierende Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“, welches sich in entscheidenden Punkten mit dem Anfang des Jahres vorgelegten Positionspapier5 zur Novellierung des WissZeitVG der SPD-Bundestagsfraktion deckte.
Der vom Bundesministerium für Bildung und For- schung (BMBF) erarbeitete Referentenentwurf für ein „Erstes Gesetz zur Änderung des Wissenschaftszeitver- tragsgesetzes (1. WissZeitVGÄndG)“6 ließ nicht lange auf sich warten und liegt seit dem 15. Juli 2015 vor.
- 1 Wissenschaftszeitvertragsgesetz vom 12. April 2007 (BGBl. I S. 506)
- 2 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, DeutschlandsZukunft gestalten, 18. Legislaturperiode, 16.12.2013, S. 21.
- 3 Siehe zB http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/arbeitsbe-dingungen-wanka-will-ausbeutung-von-wissenschaftlern-stop-pen-a-1013667.html [abgerufen am 16.8.2015].
- 4 Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktionim Deutschen Bundestag, Mit dem Tenure-Track-Programm Per- spektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs substanziell ver- bessern – Grundsätze für gemeinsames Bund-Länder-Programm und Eckpunkte für flankierende Novelle des Wissenschaftszeitver- tragsgesetzes, 23. Juni 2015.
- 5 Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestags- fraktion, Eckpunktepapier zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz, 30.6.2014.
- 6 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für ein Erstes Gesetz zur Änderung des Wissenschafts-
Das bislang geltende WissZeitVG entstand im Zuge der Föderalismusreform, die im September 2006 in Kraft trat und die Aufhebung der Rahmengesetzgebungskom- petenz des Bundes vorsah. Es löste die §§ 57a-57f Hoch- schulrahmengesetz (HRG) ab. Das in diesen Vorschrif- ten geregelte wissenschaftliche Sonderbefristungsrecht wurde im WissZeitVG verselbstständigt und erweitert. Das neue Gesetz sah sich seit seinem Inkrafttreten am 18.4.2007 anhaltender Kritik ausgesetzt.
Von Anfang an haben die in den Wissenschaftsein- richtungen vertretenen Gewerkschaften ihren Unmut über das WissZeitVG und die dadurch rechtlich gestütz- te Befristungspraxis an Universitäten und außeruniver- sitären Forschungseinrichtungen kundgetan.7
Die im Jahr 2008 vom Bundesministerium für Bil- dung und Forschung (BMBF) bei der HIS Hochschul- Informations-System GmbH in Auftrag gegebene und 2011 vorgestellte Evaluation8 des WissZeitVG bestätigte einzelne Kritikpunkte bezüglich hoher Befristungsquo- ten und kurzer Vertragslaufzeiten.9
Mit zunehmender Bedeutung von wissensbasierten Tä- tigkeiten und dem daraus resultierenden, wachsenden öf- fentlichen Interesse an der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses10 ist die Befristungspraxis im Wissenschafts- bereich in den letzten Jahren in den politischen Fokus ge- rückt und immer wieder Gegenstand diverser Novellie- rungsinitiativen geworden. Auch wenn befristete Beschäfti- gungsverhältnisse aufgrund von Qualifizierungsphasen, zeitlich begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln sowie weiteren, sich aus der Organisation der Wissenschaft selbst ergebenden Sachgründen seit Langem im deutschen Wis-
zeitvertragsgesetzes (1. WissZeitVGÄndG), Bearbeitungsstand
9.7.2015.
7 Siehe zB GEW-Stellungnahme zur Einführung des Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes vom 1.4.2007, abrufbar unter http://www.gew. de/wissenschaft/wissenschaftszeitvertragsgesetz/ [abgerufen am 16.8.2015].
8 Jongmanns, Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), Gesetzesevaluation im Auftrag des Bundesmi- nisteriums für Bildung und Forschung (HIS:Forum Hochschule 4/2011). Hannover: HIS.
9 Jongmanns, aaO, S. 2, wonach sich im Jahr 2009 83 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis befanden.
10 Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, Bundes- bericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 (BuWiN 2013): Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, Wichtige Ergebnisse im Überblick, S.4.
Nikolaus Blum und Katrin Vehling
„Alles wird gut?“ – Anmerkungen zur geplanten Novellierung des WissZeitVG
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197–9197
190 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 189–198
senschaftsbetrieb etabliert sind, wird politisch der Ruf nach mehr Planbarkeit und Sicherheit von wissenschaftlichen Berufswegen immer lauter.
II. Novellierungsbedarf aus Sicht der außeruniversitären Forschung
Aus dem Blickwinkel der Wissenschaftseinrichtungen ist zunächst zu fragen, ob tatsächlich ein dringender Novel- lierungsbedarf besteht und ob mit den vorliegenden Än- derungsvorschlägen die bestehenden Herausforderun- gen bewältigt werden. Die bereits erwähnte HIS-Studie hat die bestehende Befristungspraxis an den deutschen Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen schonungs- los offengelegt. Häufig kurze Vertragslaufzeiten von unter einem Jahr, unabhängig von der Qualifikationsphase, hohe Befristungsquoten bei den wissenschaftlichen Beschäftig- ten in den Einrichtungen sowie mangelnde Berufsperspek- tiven kennzeichnen das Bild der viel angeführten „aus- ufernden Befristungspraxis“.11 An dieser Situationsbe- schreibung dürfte sich seit der Datenerhebung für die Studie wenig geändert haben.12 Es steht außer Zweifel, dass sie unakzeptabel ist. Und zwar nicht nur für den wissen- schaftlichen Nachwuchs, dem berechenbare und transpa- rente Karrierewege fehlen – das liegt auf der Hand. Die Situ- ation ist auch für die Wissenschaftseinrichtungen eine immense Belastung, denn sie verursacht einen hohen Ver- waltungsaufwand und stellt die Zusammenarbeit zwischen Instituten, Fakultäten und Personalverwaltungen nicht sel- ten auf die Zerreißprobe. Insoweit besteht dringender Reformbedarf.
Gleichzeitig drängt sich jedoch die Frage auf, ob eine allein rechtliche Herangehensweise tatsächlich geeignet ist, die festgestellten Probleme zu lösen. Denn nicht pri- mär das Arbeitsrecht ist Ursache der unerwünschten Entwicklungen. Betrachtet man den Gesamtkontext las- sen sich weitere, nicht minder relevante Faktoren identi- fizieren, welche beträchtlichen Einfluss auf die Beschäfti- gungsverhältnisse in der Wissenschaft nehmen.
Allen voran sind hier die finanzielle Lage der Wissen- schaftseinrichtungen und die Förderpraxis der Mittelge- ber zu nennen. Der Anteil der Drittmittelforschung an den projektbezogenen Fördermaßnahmen ist in den ver- gangenen Jahren stetig gewachsen. Ständige Finanzie- rungsunsicherheiten durch die Abhängigkeit von den Fi-
- 11 Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Pressemitteilung vom 19.1.2015. Abrufbar unter: https://www.verdi.de/presse/pre ssemitteilungen/++co++b8c149ea-9fda-11e4-a02e-52540059119e [abgerufen am 16.8.2015].
- 12 Die Datenbasis für die HIS-Studie stammt aus dem Jahr 2009.
- 13 BuWiN 2013 – Überblick, aaO, S.4.
- 14 BuWiN 2013 – Überblick, aaO, S.4.
nanzierungsträgern erschweren nicht selten eine mittel- fristige Stellenplanung. Im gleichen Atemzug nehmen die Performance-Erwartungen der Mittelgeber gegen- über den Mittelempfängern zu: Forschungsvorhaben werden immer komplexer und internationaler und er- fordern einen zunehmend höheren Verwaltungsauf- wand (etwa bei der Ausgestaltung von Vertragswerken).
Der Konkurrenzkampf um die zur Verfügung ste- henden Mittel in der Wissenschaft wird härter. Die For- derung nach mehr unbefristeten Stellen für wissen- schaftliche Beschäftigte muss daher solange eine kaum lösbare Aufgabe bleiben, als es den Forschungseinrich- tungen nicht möglich ist, eine belastbare mittel- und langfristige Budgetplanung für die geforderten Zusatz- planstellen zu erstellen.
In diesem Kontext ist weiterhin zu bedenken, dass der demographische Wandel auch das Wissenschaftssys- tem trifft und es vor neue personelle und strukturelle Herausforderungen stellt. Die bisher größtenteils perso- nalverwaltend tätigen Personalbereiche müssen umden- ken, sich freischwimmen und planerisch und steuernd eingreifen. Dies erfordert Kenntnisse in personalpoliti- schen und ‑strategischen Gestaltungsmöglichkeiten und Prozessen, wie sie in der freien Wirtschaft bereits seit Langem den Erfolg und die Arbeitgeberattraktivität von Unternehmen sichern. Auch verschiebt sich der The- menschwerpunkt auf die Phase nach der Promotion.13 Wurde zu Beginn des Jahrtausends noch fast ausschließ- lich die Situation der Promovierenden und die Entwick- lung und der Ausbau strukturierter Doktorandenpro- gramme thematisiert, hat sich der Fokus von Öffentlich- keit und Politik nunmehr verstärkt auf die beruflichen Perspektiven der Postdoktoranden verschoben.14
Eine erhöhte Fluktuation der Beschäftigten liegt bei Forschungseinrichtungen, gleich ob außeruniversitär oder universitär, in der Natur der Sache.15 Nur in be- schränktem Umfang stehen Professuren, Instituts- und Abteilungsleiterstellen oder Stellen des sogenannten Mittelbaus zur unbefristeten Besetzung zur Verfügung. Auch die Innovationsfähigkeit der Einrichtungen erfor- dert einen regelmäßigen Zufluss von neuem und flexib- lem Gedankengut. Die Forschungseinrichtungen sind überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert, daher dem Gemeinwohl verpflichtet und mit einem Ausbil- dungsauftrag versehen. Niemand erwartet ernsthaft,
15 So auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wenn sie von einer „der schwierigeren Aufgaben“ spricht, die Balance zwischen Dynamik und Sicherheit zu finden“, zu finden unter http://www. heise.de/newsticker/meldung/Koalition-will-Zeitvertragsgesetz- fuer-Wissenschaftler-aendern-2730651.html [abgerufen am 16.8.2015].
Blum/Vehling · Anmerkungen zur geplanten Novellierung des WissZeitVG 1 9 1
dass für alle Doktoranden Dauerstellen in der öffentli- chen Forschung bereitstehen. Bei den Postdoktoranden, die nach der Promotion in der Forschung bleiben, ist die Erwartungshaltung schon höher, auch wenn faktisch der größte Teil später als hochqualifiziertes Personal in Un- ternehmen der freien Wirtschaft oder öffentliche Ein- richtungen wechselt. Erschwert wird der Wechsel immer noch durch eine verengte akademische Sichtweise, die ihn häufig als Scheitern einer akademischen Karriere wertet. Dieses „Mindset“ muss sich ändern und durch eine Fluktuationskultur ersetzt werden.
In Anbetracht der Fülle der Faktoren, die die Be- schäftigtensituation in der Wissenschaft beeinflussen, lässt sich feststellen, dass es eines politischen Maßnah- menbündels16 bedürfen wird, um nachhaltige Verbesse- rungen der Arbeitsbedingungen für wissenschaftliches Personal herbeizuführen. Es muss auch die Finanzie- rungsmodalitäten und personalpolitische Maßnahmen umfassen. Die geplante Gesetzesreform des WissZeitVG kann einen Beitrag leisten, „den Fehlentwicklungen bei Be- fristungen“17 in der Wissenschaft entgegenzuwirken. Das erhoffte Allheilmittel wird sie nicht sein.18
Ungeachtet dieser Feststellung sollen im Folgenden die rechtlichen Aspekte der geplanten Gesetzesnovellie- rung eingehender beleuchtet werden.
III. Rechtliche Kritik
Im Zentrum der Kritik am WissZeitVG in seiner derzei- tigen Fassung steht die Annahme, das Gesetz leiste, in Abweichung von seinen eigentlichen Regelungszielen, einer ausufernden Befristungspraxis bei wissenschaftli- chem und künstlerischem Personal an Universitäten und Forschungseinrichtungen Vorschub.
Im Detail belaufen sich die Einwände insbesondere auf die im Folgenden kurz dargestellten Punkte19:
• Das Gesetz ermöglicht kurzlaufende Kettenverträge. In den Wissenschaftseinrichtungen findet sich daher ein hoher Anteil an Beschäftigten mit befristeten Arbeits- verhältnissen, deren Laufzeiten nicht selten unter einem Jahr liegen und eine verlässliche Karriere- und Familien- planung erschweren.
- 16 Allianz der Wissenschaftsorganisationen, Stellungnahme zur Novelle des WissZeitVG vom 25.3.2015. Abrufbar unter http:// www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/Allianz_Wiss- ZeitVG_20150325.pdf [abgerufen am 16.8.2015].
- 17 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Koalition-will- Zeitvertragsgesetz-fuer-Wissenschaftler-aendern-2730651.html [abgerufen am 16.8.2015].
- 18 So auch Albert Rupprecht (CSU), der sich mit Bezug zu der
• Teilweise fehlt es bei befristeten Beschäftigungsver- hältnissen in der ersten Qualifikationsphase (§ 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG) an einer Sicherstellung, dass das Ziel der Qualifikationsbefristung auch erreicht wird. Ohne vertragliche Vereinbarungen über die jeweiligen Rechte und Pflichten bietet sich im Bedarfsfall für die Betroffe- nen keine Handhabe, ihren Anspruch auf Qualifizierung durchzusetzen. Befristungs- und Qualifizierungsdauer sind dabei nicht selten inkongruent.
• Bei der Anrechnung von studienbegleitenden be- fristeten Arbeitszeiten auf die insgesamt zulässigen Be- fristungsdauern gibt es keine einheitliche Handhabung in den Einrichtungen. Das WissZeitVG trägt nicht zu ei- ner Klarstellung bei, wenn es von der Nichtanrechenbar- keit von Zeiten eines befristeten Arbeitsverhältnisses spricht, die „vor dem Abschluss des Studiums liegen“ (§ 2 Abs. 3 Satz 3 WissZeitVG).
• Ähnlich verhält es sich bei der Anrechnungspraxis von Eltern‑, Betreuungs- und Pflegezeiten (§ 2 Abs. 5 WissZeitVG). Insbesondere bei einem Arbeitgeber- wechsel ist nicht gewährleistet, dass diese familienpoliti- sche Regelung sachgerecht zur Anwendung kommt.
• Die Möglichkeit, wissenschaftliches und wissen- schaftsakzessorisches Personal aufgrund von vorüberge- hend zur Verfügung stehenden Finanzmitteln gemäß § 2 Abs. 2 WissZeitVG befristet zu beschäftigen, führt ohne eine Kopplung der Befristungsdauer an die Lauf- zeit der Finanzierungsbewilligung zu Kettenbefristun- gen und Kurzverträgen. Überdies wird mit diesem Be- fristungstatbestand der Anwendungsbereich des Geset- zes auf das wissenschaftsakzessorische Personal ausge- weitet. Dieses Personal setzt sich gerade nicht aus Wissenschaftlern zusammen und übt nach Auffassung der Kritiker zumeist Daueraufgaben aus.
• Die in § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 WissZeitVG enthalte- ne Tarifsperre verschließt diesen arbeitsrechtlichen Son- derbereich gegenüber einer kollektivrechtlichen Ausge- staltung durch die Tarifpartner.
19
Situation an der Hochschulen äußerte: „Die Praxis an den Hoch- schulen aber ist viel komplizierter als es per Gesetz zu fassen ist.“ Zu finden auf http://www.sueddeutsche.de/politik/hochschulen- zwang-des-zeitvertrags‑1.2511139 [abgerufen am 16.8.2015]. SPD-Eckpunktepapier, aaO; Erläuterungen in den Gesetzesent- würfen der Fraktion der SPD, BT-Drs. 17/12531 sowie der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen, BT-Drs. 18/1463.
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Der Einfluss der Rechtsprechung auf die Auslegung des WissZeitVG ist begrenzt. Die seit Inkrafttreten des WissZeitVG ergangenen Urteile konnten die drängen- den Fragen der Praxis nur teilweise beantworten. Zwar ist unbestritten, dass es den Gerichten zu einzelnen Fra- gestellungen gelungen ist, den Anwendern jedenfalls Anhaltspunkte für die richtige Anwendung und Ausle- gung der Vorschriften des WissZeitVG an die Hand zu geben. So etwa bei der Ermittlung des Zeitpunktes des Ab- schlusses einer Promotion20 oder der Ermittlung der Höchstbefristungsdauer bei wissenschaftlichen Beschäf- tigten, die nicht den medizinischen Fachrichtungen ange- hören,21 aber in der medizinischen Forschung arbeiten.22
Für die nötige Rechtssicherheit und folglich Planbar- keit und Verlässlichkeit bei den befristet Beschäftigten hat dies nicht gesorgt. Als Beispiel sei eines der in diesem Kontext am meisten beachteten Urteile der letzten Jahre genannt. In der Entscheidung des BAG vom 1.6.201123 hatte das Gericht die sachgrundlose Befristung einer promovierten Lehrkraft für besondere Aufgaben für rechtswidrig erklärt, da der personelle Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 WissZeitVG – wissenschaft- liches und künstlerisches Personal mit Ausnahme der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer – im vor- liegenden Fall nicht eröffnet gewesen sei.
Zunächst stellte das BAG fest, dass das WissZeitVG seinen persönlichen Geltungsbereich „eigenständig und abschließend“24 bestimme. Es komme daher nicht auf die Begriffsbezeichnungen oder statusrechtliche Zuord- nungsdefinitionen nach den Landeshochschulgesetzen an.25 Mit dem Abhandenkommen der Rahmengesetzge- bungskompetenz des Bundes im Zuge der Föderalismus- reform „ging die Definitionsmacht für die verschiede- nen Kategorien der Personalstruktur an den Hochschu- len auf die Länder über, so dass der Bund gezwungen war, den personellen Geltungsbereich des WissZeitVG eigenständig zu definieren“.26 Da das WissZeitVG aber gerade nicht definiert, was unter dem Begriff „wissenschaft- licher Mitarbeiter“ zu verstehen ist, hatte das BAG ergän- zend eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Befristungs- möglichkeit und unter Berücksichtigung grundgesetzlicher Wertentscheidungen vorzunehmen.27
- 20 BAG, Urteil vom 20.1.2010 — 7 AZR 753/08.
- 21 BAG, Urteil vom 2.9.2009 — 7 AZR 291/08.
- 22 Hauck-Scholz, Aktuelle Probleme des Wissenschaftszeitvertrags-gesetzes (WissZeitVG), öAT 2013, S. 89.
- 23 BAG, Urteil vom 1.6.2011 — 7 AZR 827/09; NZA 2011, S. 1280.
- 24 NZA 2011, S. 1280 (1282).
- 25 NZA 2011, S. 1280 (1282).
- 26 Hauck-Scholz, aaO, S. 89.
- 27 ArbG Hamburg, Urteil vom 26.2.2014 — 27 Ca 307/13.
- 28 NZA 2011, S. 1280 (1284).
- 29 NZA 2011, S. 1280 (1284).
Wissenschaftliches Personal müsse danach eine – zu- mindest überwiegend – wissenschaftliche Dienstleistung erbringen, da nur eine „inhaltlich-tätigkeitsbezogene In- terpretation des Begriffs ́wissenschaftliches Perso- nal‘“28 dem „Sinn und Zweck des Gesetzes“29 entspreche und das im Gesetzestext verwendete Adjektiv „wissen- schaftlich“ als „tätigkeitsbezogener Ausdruck (…) auf ei- nen – von einer reproduktiven oder repetierenden Tätig- keit abzugrenzenden – Aspekt hin [deutet]“.30
Das BAG hat angenommen, dass „wissenschaftliche Tätigkeit (…) alles [sei], was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (…)“.31 Sie sei „nach Aufgaben- stellung und anzuwendender Arbeitsmethode darauf angelegt, neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu verar- beiten, um den Erkenntnisstand der jeweiligen wissen- schaftlichen Disziplin zu sichern oder zu erweitern“.32 „Die Vermittlung von Fachwissen und praktischen Fer- tigkeiten an Studierende und deren Unterweisung in der Anwendung wissenschaftlicher Methoden“33 könne da- bei ebenfalls eine wissenschaftliche Dienstleistung sein.34 Dies aber nur dann, wenn die Lehrtätigkeit dem Lehrenden „die Möglichkeit zur eigenständigen For- schung und Reflexion“35 belasse.
Die Grenzen dieser Definition sind erkennbar flie- ßend,36 „wenig konturiert und aussagekräftig“37, die rein dogmatische Herangehensweise problematisch.38 Wis- senschaftliche Einrichtungen werden nach diesem Urteil gezwungen, bei jeder Einstellung im Einzelfall zu disku- tieren, ob die von dem Mitarbeiter auszuführenden Auf- gaben als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen sind oder nicht. Denn die Trennlinie zwischen wissenschaft- lichem Personal i. S. d. WissZeitVG und sonstigen Be- schäftigen verläuft in der Praxis nicht immer derart gradlinig, wie vom BAG offenbar angenommen. Die Un- sicherheiten bei der Grenzziehung, insbesondere im Be- reich von Befristungen bei wissenschaftlichen Mischtä- tigkeiten, die sowohl wissenschaftlich-forschender als auch verwaltender oder lehrender oder krankenversor- gender Natur sind, werden bleiben. Insgesamt hat dieses Urteil also eher zu einer Verunsicherung über den An- wendungsbereich des WissZeitVG geführt.
30 NZA 2011, S. 1280 (1284).
31 NZA 2011, S. 1280 (1283).
32 NZA 2011, S. 1280 (1283).
33 NZA 2011, S. 1280 (1283 f.).
34 NZA 2011, S. 1280 (1283 f.).
35 NZA 2011, S. 1280 (1283).
36 Kroll, Aktuelles zum Befristungsrecht an Hochschulen und For-
schungseinrichtungen – Rechtsprechung und Gesetzgebung,
öAT 2014, S. 244 (245). 37 Hauck-Scholz, aaO, S. 89. 38 Hauck-Scholz, aaO, S. 89.
Blum/Vehling · Anmerkungen zur geplanten Novellierung des WissZeitVG 1 9 3
IV. Novellierungsvorschläge
Es hat in den vergangenen Jahren mehrere Gesetzesiniti- ativen zu einem „Ersten Gesetz zur Änderung des Geset- zes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (1.WissZeitVG-ÄndG)“ gegeben.
Auf einen, noch in der letzten Legislaturperiode von der Bundestagsfraktion der SPD vorgelegten Entwurf39 folgte ein fast gleich lautender Gesetzesantrag40 der Bun- desländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg, dem Ba- den-Württemberg, Bremen und Niedersachsen beigetre- ten sind, der allerdings nicht durch den Bundesrat einge- bracht wurde. Aufgrund der Bundestagswahl und lang- wierigen Koalitionsverhandlungen stagnierte das Novellierungsvorhaben anschließend. Seit Mai 2014 liegt ein Vorschlag41 der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen vor. Dieser Gesetzesentwurf geht nicht über den von der SPD im Jahr 2013 vorgelegten Entwurf hinaus.
Schließlich hat auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Januar 2015 einen umfangrei- chen Entwurf42 eines Gesetzes zur Änderung des Wis- senschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVGÄndG) vor- gelegt, dessen Grundforderungen sich zwar mit den Ent- würfen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen decken, in vielen Teilen aber weit über das dort Geforderte hinaus gehen.
Die Reformvorschläge lassen sich wie folgt zusammen- fassen:
• Einführung von Mindestvertragslaufzeiten von grundsätzlich zwei Jahren in der Post-Doc-Phase, um für mehr Beschäftigungssicherheit und Planbarkeit zu sorgen und zukünftig die häufige Vereinbarung von sehr kurzen Vertragslaufzeiten von bis zu einem Jahr zu unterbinden.
• Verpflichtender Abschluss einer den Vertrag ergän- zenden Betreuungsvereinbarung als zusätzliche Voraus- setzung für eine Befristung in der Promotionsphase ge- mäß § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG, wobei die Betreuungs- vereinbarung den Qualifizierungszweck der Beschäfti- gung (i. d. R. die Promotion) sowie die jeweiligen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, Betreuungsstan- dards oder z.B. etwaige Lehrverpflichtungen wiederzu- geben hat und an die vorgesehene Laufzeit des Beschäf-
- 39 BT-Drs. 17/12531.
- 40 BR-Drs. 267/13.
- 41 BT-Drs. 18/1463.
- 42 GEW-Gesetzentwurf: Dauerstellen für Daueraufgaben — Min-
tigungsverhältnisses zu koppeln ist (weitergehend bei der GEW: Qualifizierungsabrede sowie für den Fall des Erreichens des Qualifizierungsziels die Vereinbarung des Entfalls der Befristungsabrede als Voraussetzung für Befristung in Post-Doc-Phase).
• Engere Fassung des Anwendungsbereichs des Be- fristungstatbestands der überwiegenden Drittmittelfi- nanzierung dahingehend, dass befristete Arbeitsver- tragslaufzeiten nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG künftig den Laufzeiten der Finanzierungsbewilligungen der Dritt- mittelgeber entsprechen müssen (bei längeren Bewilli- gungszeiträumen mindestens 24 Monate).
Daneben zusätzliche Vorgaben für die Befristung von nicht-wissenschaftlichem und nicht-künstlerischem Personal, wonach der Arbeitgeber die Notwendigkeit ei- ner befristeten Beschäftigung darlegen und stets mehr als 50 Prozent des angestellten nicht-wissenschaftlichen und nicht-künstlerischen Personals in einer Einrichtung fest angestellt sein muss (anders bei der GEW: Gänzliche Herausnahme von überwiegend mit Lehraufgaben be- trautem sowie nicht-wissenschaftlichem und nicht- künstlerischem Personal aus dem Anwendungsbereich des WissZeitVG).
• Klarstellung, dass Arbeitszeiten, die während des Erststudiums (Abschluss mit Bachelor und konsekutiv anschließendem Master oder gleichwertig) geleistet wurden, nicht auf die 12- beziehungsweise 15-Jahre-Re- gelung angerechnet werden, um einheitliche Handha- bung bei der Anrechnung von studienbegleitenden Ar- beitszeiten zu gewährleisten.
• Sicherstellung, dass privilegierte Tatbestände nach § 2 Abs. 5 Satz 2 WissZeitVG (z.B. Mutterschutz/Eltern- zeit, Pflege von Kindern oder Angehörigen) auch tat- sächlich Begünstigten zugutekommen. In der Praxis sind derartige Zeiten bei Arbeitgeberwechseln nicht im- mer erkennbar ausgewiesen worden (wesentlich umfas- sender die GEW: Automatismus auch bei Verlängerung im Rahmen der familienpolitischen Komponente in § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG sowie Ausweitung dersel- ben auch auf Drittmittelbefristungen).
• Aufhebung der Tarifsperre in § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 WissZeitVG zur Sicherung der Tarifautonomie.
deststandards für Zeitverträge; abrufbar unter: http://www.gew. de/wissenschaft/wissenschaftszeitvertragsgesetz [abgerufen am 16.8.2015].
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IV. Referentenentwurf vom 9.7.201543
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung für ein „Erstes Gesetz zur Ände- rung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ – 1. Wiss- ZeitVGÄndG – behält, wie erwartet, die grundsätzliche Stoßrichtung der Eckpunktepapiere der Fraktionen von CDU/CSU und SPD sowie der vorausgegangenen Geset- zesinitiativen bei. So soll mit der Gesetzesänderung – sei es durch Neuregelungen, sei es durch stärkere Konturie- rung bestehender Regelungen – Fehlentwicklungen in der Befristungspraxis entgegengetreten werden, ohne die in der Wissenschaft erforderliche Flexibilität und Dynamik zu beeinträchtigen“44 und sie damit hand- lungsunfähig zu machen. Gleichzeitig distanziert sich der Referentenentwurf aber auch von Forderungen der früheren Vorschläge. Er übernimmt nicht die vielfach eingebrachte Aufhebung der Tarifsperre, weil sie „der Grundkonzeption des Gesetzes widerspricht“45, oder die Verpflichtung zum Abschluss von Betreuungsvereinba- rungen, weil sie „von der dem Gesetz zugrunde liegen- den Gesetzgebungskompetenz nicht gedeckt ist“46 sowie die Forderung nach Mindestvertragslaufzeiten wegen „fehlender Zweckmäßigkeit“.47
Konkret sieht der Referentenentwurf die explizite Auf- nahme des Qualifizierungsziels als Grundlage einer sach- grundlos48 befristeten Beschäftigung nach § 2 Abs. 1 Wiss- ZeitVG vor. Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Befris- tung von Arbeitsverträgen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 (Promo- tionsphase) und Satz 2 (Post-Doc-Phase) werden an das Erfordernis geknüpft, dass die jeweilige Beschäftigung „zur eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung“49 dient. Die Wahrnehmung auch von Daueraufgaben durch befristet Beschäftigte bleibt mög- lich, ist aber künftig nur noch dann als sachgerecht an- zusehen, wenn die Tätigkeit im Zusammenhang mit der persönlichen Qualifizierung des einzelnen Beschäftigten steht.50
Die vereinbarte Befristungsdauer und die angestreb- te Qualifizierung sollen künftig in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.51 Bei einer formalen Qua-
- 43 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO.
- 44 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Vorblatt, S. 1.
- 45 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Vorblatt, S. 1.
- 46 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Vorblatt, S. 1.
- 47 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Vorblatt, S. 1.
- 48 Der Referentenentwurf stellt klar, dass „die als ́typisierte Quali-fizierungsphase‘ konzipierte sachgrundlose Befristung“ durch die in den Gesetzestext aufgenommene Zwecksetzung nicht zu einer Sachgrundbefristung wird. Referentenentwurf 1. WissZeitVG- ÄndG, aaO, Begründung, S. 10.
lifizierung wie etwa der Promotion bedeutet dies, dass die Laufzeit des zugrunde liegenden Vertragsverhältnis- ses dem Doktoranden die Möglichkeit geben muss, die Promotionsleistungen in angemessener Zeit zu erbrin- gen. Kurz- und Kettenbefristungen sollen hierdurch ver- hindert werden.
Im Bereich von Befristungen aufgrund von Drittmit- telfinanzierungen soll die vereinbarte Befristungsdauer der jeweiligen Dauer der Mittelbewilligung entspre- chen.52 Der Abschluss eines in der Laufzeit nicht der Dauer der Mittelbewilligung entsprechenden, kürzeren Vertrags bleibt bei begründeten Ausnahmen im Einzel- fall möglich.53 Als mögliche Gründe für eine Kurzbefris- tung nennt der Referentenentwurf Abschlussarbeiten im Nachgang zu einem Arbeitsverhältnis, etwa zur Fertig- stellung einer Publikation, Doktorarbeit oder eines Pro- jekts, sowie die Überbrückung zu einer Anschlussbe- schäftigung oder zwischen zwei Projekten.54
Eine Befristung wegen Drittmittelfinanzierung von wis- senschaftsakzessorischem Personal soll nicht mehr möglich sein. Der Anwendungsbereich des WissZeitVG wird nicht mehr auf diese Beschäftigtengruppe ausgeweitet.
Die familienpolitische Komponente in § 2 Abs. 1 Satz 4 WissZeitVG (neu) soll dahingehend präzisiert werden, dass sich die insgesamt zulässige Befristungs- dauer bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren nicht nur bei leiblichen und adoptierten Kin- dern um zwei Jahre je Kind verlängert, sondern auch bei der Betreuung von Stief- und Pflegekindern (Verweis auf § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz).
Der Entwurf greift schließlich noch die Problematik der uneinheitlichen praktischen Handhabung der An- rechnung von studienbegleitenden befristeten Arbeits- zeiten auf die insgesamt zulässigen Befristungsdauern auf und stellt in einem neuen § 6 klar, dass studentische Hilfskrafttätigkeiten nicht nur während eines Studiums, das zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss führt (z.B. Bachelor), sondern auch während einem kon- sekutiv anschließendem Master- oder gleichwertigem Studium anrechnungsfrei bleiben.
49 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Gesetzestext, § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2.
50 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Begründung, S. 7. 51 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Gesetzestext,
§ 2 Abs. 1 Satz 3.
52 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Gesetzestext,
§ 2 Abs. 2 Satz 1.
53 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Begründung, S. 6. 54 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Begründung, S. 6.
Blum/Vehling · Anmerkungen zur geplanten Novellierung des WissZeitVG 1 9 5
VI. Bewertung des Entwurfs aus Sicht der außeruniversitären Forschungseinrichtungen
Wie ist der Referentenentwurf aus Sicht der außeruni- versitären Forschungseinrichtungen zu bewerten und was bedeutet er für die alltägliche Praxis im Wissen- schaftsbetrieb? Zunächst ist festzustellen, dass der Refe- rentenentwurf insgesamt sehr ausgewogen ist. Er ver- folgt erkennbar das Ziel, die beabsichtigte Eindämmung der befristeten Arbeitsverträge mit den Notwendigkei- ten eines innovativen und zugleich den Nachwuchs qua- lifizierenden Wissenschaftsbetriebs in Einklang zu brin- gen. Zu einzelnen Regelungsinhalten sind folgende Anmerkungen zu machen:
a) Besonders wichtig und zu begrüßen ist die Beibe- haltung der Tarifsperre in § 1 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG. Ihr Wegfall hätte nicht, wie von den Befürwortern dieser Gesetzesänderung intendiert, zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der befristet beschäftigten Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler beigetragen, son- dern zu einer Zersplitterung der geltenden Regelungen in der deutschen Wissenschaftslandschaft geführt.
Die Tarifsperre war ursprünglich eingeführt worden um sicherzustellen, dass von der im WissZeitVG festge- schriebenen Befristungsdauer nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. Neben der Begrenzung der Höchstbefristungsdauer war Regelungszweck, das Nachrü- cken junger Nachwuchswissenschaftlerinnen und ‑wissen- schaftler auf die vorhandenen Stellen sicherzustellen.55
Die Öffnung des wissenschaftlichen Sonderbefris- tungsrechts für die kollektivrechtliche Gestaltung wäre auch deshalb problematisch, weil die Wissenschaftsein- richtungen nicht als Arbeitgeber organisiert sind und ihre gemeinsamen Interessen nicht wirksam vertreten können. Mangels einer solchen einheitlichen Organisati- on der wissenschaftlichen Arbeitgeber in Deutschland würde es durch die Aufhebung der Tarifsperre mit hoher Wahrscheinlichkeit nur zu einer weiteren Ausdifferen- zierung und Uneinheitlichkeit der Rahmenbedingungen kommen. Die Zersplitterung der Tariflandschaft und Unübersichtlichkeit der jeweils geltenden Befristungsre- gelungen würden sich zum Nachteil des wissenschaftli- chen Nachwuchses auswirken.
b) Die explizite Aufnahme des Qualifizierungsziels als Grundlage einer sachgrundlos befristeten Beschäfti-
- 55 Bereits zur Vorgängerregelung § 57 a Satz 2 HRG: BVerfGE 94, 268; BT-Drs. 10/2283, S. 6.
- 56 So auch CDU/CSU-Eckpunktepapier, aaO.
- 57 Vgl. hierzu Gesetzesbegründung zum WissZeitVG, BT-Drs.16/3438.
gung nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG ist die logische Konse- quenz der bisher allein in der Gesetzesbegründung ent- haltenen Zweckbestimmung des WissZeitVG,56 die Qua- lifizierung (Aus‑, Fort- und Weiterbildung) des wissen- schaftlichen Nachwuchses an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (§ 5 Wiss- ZeitVG) sicherzustellen.57
Der Referentenentwurf verzichtet dabei ausdrücklich auf die Vorgabe eines formalen Qualifizierungsziels58 und erkennt weiterhin an, dass sich wissenschaftliche Qualifikation nicht allein in der formalen Qualifizierung im Rahmen eines Promotions- oder Habilitationsvorha- bens erschöpft, sondern in einer Vielzahl von Ausprä- gungen stattfinden kann, insbesondere auch in der Mit- arbeit an Forschungsvorhaben59 oder in dem Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen im wissenschaftlichen Projektmanagement, der wissenschaftlichen Akquisition und Mitarbeiterführung.
Das trägt der Realität in den Forschungseinrichtun- gen Rechnung, in der nicht jede Beschäftigung während der Qualifikationsphase auf eine Promotion oder Habili- tation ausgerichtet ist, gleichwohl aber für eine Karriere innerhalb des Wissenschaftssystems (z.B. im Bereich des Wissenschaftsmanagements) förderlich sein kann. Die Annahme, jeder wissenschaftlich Beschäftigte strebe die Erstellung einer Dissertation oder Habilitationsschrift an, trifft erwiesener Maßen nicht zu.60
Insbesondere nach Abschluss der Promotion zwei- feln viele an der Sinnhaftigkeit einer weiteren formalen Qualifizierung. Und dies zu recht. Denn einerseits ste- hen auf dem steinigen Weg der akademischen Karriere, trotz aller politischen Fördermaßnahmen (Tenure Track Positionen, Juniorprofessuren etc.), nur sehr begrenzt Stellenkapazitäten zur Verfügung. Andererseits honorie- ren andere Arbeitgeber, ob privat oder öffentlich, in der Regel keine weiteren formalen akademische Qualifikati- onen über die Promotion hinaus. Sehr wohl aber schät- zen sie die Erfahrungen und Fähigkeiten, die mit selbstän- digen wissenschaftlichen Arbeiten erworben wurden.
Die Festlegung formaler Qualifizierungsziele als Vor- aussetzung für eine wirksame Befristung würde darüber hinaus die außeruniversitären Forschungseinrichtungen vor neue Herausforderungen stellen. Sie verfügen be- kanntlich weder über ein eigenes Promotions- noch Ha- bilitationsrecht. Damit hätten sie kaum mehr eine Hand- habe gehabt, wissenschaftliche Beschäftigte außerhalb ihrer kooperativen Graduiertenprogramme befristet zu
58 So auch bisher BT-Drs. 16/3438, S. 11.
59 Von Weschpfennig, „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ des
akademischen Mittelbaus – Abhilfe durch den Gesetzgeber?,
http://www.juwiss.de/44–2014/ [abgerufen am 16.8.2015]. 60 Von Weschpfennig, aaO.
196 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 189–198
beschäftigten. Die Auseinandersetzung mit den Univer- sitäten über das Promotions- und Habilitationsrecht würde neuen Zündstoff erhalten. Das Teilzeit- und Be- fristungsgesetz (TzBfG) hätte die so entstehende Lücke nicht schließen können, enthält es doch nur eine zwei- jährige sachgrundlose und damit sehr kurze Befristungs- möglichkeit oder, für den Wissenschaftsbetrieb nicht selten unpassende und damit unsichere Befristungsgründe.
c) Der Verzicht auf die Festschreibung des Erforder- nisses einer formalen Betreuungsvereinbarung zur Si- cherung des Qualifizierungszwecks, wie noch in den äl- teren Vorschlägen für die Gesetzesnovellierung gefor- dert, kommt mit Blick auf die vorausgegangene politi- sche und mediale Diskussion überraschend, ist aber normativ richtig. Die Regelungskompetenz des Bundes fehlt. Zum einen, so stellt der Referentenentwurf zutref- fend fest, ist die gesetzliche Verknüpfung von Befristung nach WissZeitVG und Betreuungsvereinbarung von dessen Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz, auf der das Wiss- ZeitVG ausschließlich beruht, nicht gedeckt.61 Nach den Erläuterungen des Entwurfs knüpfen die Vorgaben für den Abschluss und die Inhalte einer Betreuungsverein- barung „nicht an den Arbeitnehmerstatus an, sondern sind primär im Kontext der wissenschaftlichen und künstlerischen Qualifizierung zu sehen und zielen auf deren Erfolg“.62
Daher unterliegt eine hochschulrechtliche Betreu- ungsvereinbarung63 der Gesetzgebung der Länder bezie- hungsweise ist Angelegenheit der Universitäten. Eine Vielzahl der Universitäten hat sie in ihre Promotions- ordnungen aufgenommen, das Land Baden-Württem- berg schreibt den Abschluss in seinem Landeshoch- schulgesetz (§ 38 Abs. 5 Satz 2) vor.64 Die bayerischen Universitäten sehen sie seit kurzem ausdrücklich in den „Grundsätzen der staatlichen bayerischen Hochschulen zum Umgang mit Befristungen nach dem WissZeitVG und zur Förderung von Karriereperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“65 vor.
Darüber hinaus hätte eine solche Regelung im Wiss- ZeitVG alle außeruniversitären Forschungseinrichtun- gen vor kaum lösbare rechtliche Probleme sowie einen nicht leistbaren Verwaltungsaufwand gestellt. Denn der Arbeitsvertrag würde zwar zwischen Doktorand und
- 61 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Begründung S. 8.
- 62 Referentenentwurf 1. WissZeitVGÄndG, aaO, Begründung S. 8.
- 63 Grundlegend zu der Thematik der hochschulrechtlichenBetreuungsvereinbarungen: Löwisch/Würtenberger, Betreu- ungsvereinbarungen im Promotionsverfahren, OdW 3 (2014), S. 103.
- 64 Löwisch/Würtenberger, aaO, S. 103.
Forschungseinrichtung abgeschlossen. Da das Promo- tions- und Habilitationsrecht aber alleine bei den Hoch- schulen liegt, ist die eigentliche Qualifikation maßgeb- lich durch diese zu befördern und sicherzustellen. Ad- ressaten der sich aus der Betreuungsvereinbarung erge- benden Rechte und Pflichten sind der univesitäre Betreuer und der Doktorand, nicht die Einrichtung, an welcher der Doktorand seine Arbeit erstellt.66
Eine Vermischung des Rechtsverhältnisses der Dok- toranden mit der außeruniversitären Forschungsein- richtung auf Grundlage eines Arbeitsvertrags und dem öffentlich-rechtlichen Doktorandenverhältnis mit der Hochschule, dem in der Regel die Betreuungsvereinba- rung zugrunde liegt, wäre weder rechtssystematisch sau- ber, noch in der Praxis gut handhabbar gewesen. Auch bei den mittlerweile weit verbreiteten gemeinsamen Be- rufungen verbleibt das eigentliche Promotionsverfahren bei den Hochschulen und unterliegt den dortigen Ord- nungen. Der Abschluss einer Betreuungsvereinbarung und die anschließende Betreuung durch die Hochschule könnte von den außeruniversitären Einrichtungen regel- mäßig nur sehr bedingt beeinflusst und nachgehalten werden.
Neben den praktischen Schwierigkeiten würden auch neue Rechtsunsicherheiten entstehen. Wenn die Wirk- samkeit der Befristung eines Arbeitsvertrags mit der au- ßeruniversitären Forschungseinrichtung an den Ab- schluss und die Einhaltung einer Betreuungsvereinba- rung mit der Hochschule gekoppelt wäre, müsste das Verhältnis dieser beiden Verträge geklärt werden. Was wäre die Konsequenz bei Mängeln eines oder beider Rechtsverhältnisse (z.B. unterlassener oder verspäteter Abschluss oder Verstoß gegen die Betreuungsvereinba- rung)? Würde bei Mängeln im Betreuungsverhältnis die Befristung entfallen und ein Doktorandenvertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergehen? Solche Risi- ken wären für die Forschungseinrichtungen nicht trag- bar, würden weitere formale Absicherungen und Ver- waltungsaufwand hervorrufen und sich letztlich zulas- ten des wissenschaftlichen Nachwuchses auswirken.
d) Die Möglichkeit, Arbeitsverträge über den Sach- grund der Drittmittelfinanzierung zu befristen (§ 2 Abs. 2 WissZeitVG)67, gilt als der unbestrittene Erfolgsfaktor des WissZeitVG und hat in diesem Bereich für ein hohes
65 Abrufbar unter http://www.km.bayern.de/allgemein/mel- dung/3347/bessere-arbeitsbedingungen-fuer-nachwuchswissen- schaftler.html [abgerufen am 16.8.2015].
66 Löwisch/Würtenberger, aaO, S. 103.
67 Siehe hierzu umfassend Mandler, Rechtsmissbrauch bei Drittmit-
telbefristungen gem. § 2 Abs.2 WissZeitVG, OdW 4 (2015), S. 217 ff. in diesem Heft.
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Maß an Rechtssicherheit bei Arbeitgebern und Beschäf- tigten gleichermaßen gesorgt. Der nun in den Referen- tenentwurf aufgenommene Gleichlauf von vereinbarter Befristungsdauer und Dauer der Finanzierungsbewilli- gung wird im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten der außeruniversitären Forschungsein- richtungen schon heute umgesetzt.
Entscheidend ist aber die Ausgestaltung der Vor- schrift als „Soll-Vorschrift“, wodurch der Referentenent- wurf die Realität der Drittmittelpraxis in der deutschen Forschung berücksichtigt. Eine andere Ausgestaltung, etwa als „Muss-Vorschrift“, hätte verkannt, dass den For- schungseinrichtungen bei der Vielzahl unterschiedlicher Drittmittelgeber (deutsche öffentliche oder private, aus- ländische oder supranationale Finanzierungsträger) mit entsprechend mannigfaltigen, differierenden Förderfor- maten und Bestimmungen, jedenfalls hinreichende Fle- xibilität bei der personellen Ausgestaltung (Personalpla- nung und ‑einsatz) der Projekte zugestanden werden muss, um innerhalb des engen zuwendungsrechtlichen Rahmens manövrierfähig zu bleiben. Etwa bei Personal- wechseln (z.B. arbeitgeber- und/oder arbeitnehmerseiti- ge Kündigung) unterhalb der Projektlaufzeit oder bei ei- nem sich außerplanmäßig ergebenden personellen Son- derbedarf muss auch die Vereinbarung kürzerer Ver- tragslaufzeiten angemessen sein.
Gleichzeitig wäre durch eine mandatorische Kopp- lung der Laufzeiten von Vertrag und Drittmittelfinanzie- rung in simplifizierender Weise unterstellt worden, dass die für die Durchführung eines Projektes benötigten Ex- pertisen über die Gesamtlaufzeit der Finanzierungsbe- willigung immer identisch sind. Die Praxis zeigt aber, dass häufig das Gegenteil der Fall ist. Projekte, insbeson- dere größere Vorhaben mit Laufzeiten von mehreren Jahren, lassen sich regelmäßig in mehrere Projektab- schnitte unterteilen. Diese können Vor‑, Haupt- und Nachbereitungstätigkeiten umfassen, aber auch selbst- ständige Teilprojekte innerhalb des Gesamtprojektes. Im Rahmen des Gesamtprojekts werden daher, je nach Ab- schnitt, unterschiedliche Fachkenntnisse benötigt, die nicht durch eine Person abgedeckt werden können. Die zugrunde liegenden Finanzierungszusagen sind darüber hinaus häufig zu unspezifisch, als dass sich daraus per- sonalwirtschaftliche Rückschlüsse für Personalpla- nung und ‑einsatz ziehen ließen. Personelle Einzel- maßnahmen können sich nach der individuellen Aus- wahl als wesentlich kostenintensiver herausstellen, als bei Beantragung der Mittel für die Position veran- schlagt; z.B. dann, wenn die Bewerbungsmarktsituati- on eine Einstellung verteuert. Den wissenschaftlichen Arbeitgebern bleibt in diesen Fällen nur die Kürzung der Beschäftigungszeit auf eine gegenüber der Projektlaufzeit
kürzere Vertragslaufzeit, um die Finanzierung der Stelle zu gewährleisten. Es ist daher zu hoffen, dass die flexible For- mulierung des Referentenentwurfs im Laufe des Gesetzge- bungsverfahrens erhalten bleibt.
e) Kritisch zu beurteilen ist demgegenüber aus Sicht der außeruniversitären Forschung die geplante Abschaffung der Befristungsmöglichkeit für nicht-wissenschaftliches (sog. wissenschaftsakzessorisches Personal wie Technische Assistentinnen und Assistenten) und nicht-künstlerisches Personal auf Grundlage von befristet zur Verfügung stehen- den Mitteln (Streichung von § 2 Abs. 2 Satz 2 WissZeitVG sowie der bezugnehmenden §§ 3 Satz 2, 4 Satz 2, 5 Satz 2 WissZeitVG). Diese Änderung wird mit dem Argu- ment begründet, dass für Daueraufgaben auch dauerhaft Personal angestellt werden soll. Dieses Argument ist in sei- ner Abstraktheit nicht zu bestreiten, trifft aber nicht die Reali- tät vieler Drittmittelprojekte. Die Projekte sind per se keine Daueraufgaben. Zwar haben große Forschungseinrichtungen immer ein gewisses Volumen an Drittmittelprojekten in Bear- beitung, es wäre aber ein Irrtum zu meinen, dass dabei einheit- liche Qualifikationsanforderungen an das technische Personal bestehen.
Im Gegenteil: die Qualifikationen und die Finanzierung auch des nicht-wissenschaftlichen Personals werden im Detail in den Projektanträgen beschrieben und nur in dem Umfang bewilligt, wie tatsächlich notwendig. Ihre Funktion ist für die erfolgreiche Durchführung des Projekts unter Umständen genauso wichtig wie die der wissenschaftlichen Mitarbeiter (z.B. beim Einsatz spezieller Messtechniken). Mittel für die Schulung und das Anlernen von vorhande- nem technischem Personal sind in den Drittmittelfinanzie- rungen nicht enthalten. Die Ausstattung von Drittmittel- projekten mit technischem Personal wird mit dieser Geset- zesänderung in Zukunft schwieriger, etwa dann, wenn im Rahmen von drittmittelfinanzierten Studien Feldarbeiten (Erhebungen, Stichproben oder Ähnliches) durchzuführen sind, für die vorübergehend speziell geschultes Personal be- nötigt wird, welches aber in der Regel so spezialisiert ist, dass es an-derweitig kaum einsetzbar ist oder aber auch dann, wenn eine Personalaufstockung erforderlich wird.
Mit der Abschaffung der Befristungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG für wissenschaftsakzessorisches Per- sonal werden die Arbeitgeber geneigt sein, in Drittmittel- projekten künftig statt über das WissZeitVG, über das TzBfG zu befristen. Die mit Einführung des WissZeitVG geschaffene Rechtssicherheit in diesem Bereich würde weg- fallen, da eine nach § 14 Abs. 1 TzBfG wirksame Drittmittel- befristung68 eine strengere Prognose dahingehend voraus- setzt, dass mit einer Weitergewährung der Drittmittel über den Projektzeitraum hinaus nicht zu rechnen ist.
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Diese Prognose kann aber nicht immer gleicherma- ßen verlässlich getroffen werden, da die wissenschaftli- chen Einrichtungen keinen Einfluss auf Geldgeber und etwaige Anschlussfinanzierungen haben. Eine sach- grundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG wäre wei- terhin nur bei Neueinstellungen möglich. (Neuange- stelltes) wissenschaftsakzessorisches Personal müsste spätestens nach zwei Jahren entfristet oder, was der we- sentlich häufigere Fall sein dürfte, mangels dauerhafter Beschäftigungsperspektive und Finanzierungsmöglich- keit, ausgetauscht werden.
VII. Fazit und Ausblick
Der vorgelegte Referentenentwurf für die Änderung des WissZeitVG ist eine notwendige Maßnahme zur Ände- rung der derzeitigen Befristungspraxis in Wissenschafts- einrichtungen, die ohne Wenn und Aber als unbefriedi- gend zu bezeichnen ist. Die derzeitige Praxis wird weder dem Bedürfnis nach planbaren, verlässlichen Karriere- wegen und angemessenen Vertragslaufzeiten gerecht, noch bietet sie die nötige Rechtssicherheit für die Ein- richtungen.
Die Gesetzesänderung alleine wird allerdings nicht ausreichen, um langfristig Verhältnisse in der deutschen Wissenschaftslandschaft herbeizuführen, die den be- rechtigten Interessen des wissenschaftlichen Nachwuch- ses und der Wissenschaftseinrichtungen gerecht werden. Faktoren wie Finanzierungsunsicherheiten, demografi- sche Entwicklung und wissenschaftsspezifisches Mind- set spielen eine ebenso wesentliche, wenn nicht sogar ge- wichtigere Rolle als das vielfach kritisierte Arbeitsrecht. Um eine spürbare Verbesserung herbeizuführen sind Maßnahmen erforderlich, die insbesondere bei der Fi- nanzierungs- und Stellensituation der Einrichtungen an-
setzen. Denn die geplanten Gesetzesänderungen bemü- hen sich zwar um ein Gleichgewicht zwischen einer Ver- besserung der Situation der wissenschaftlichen Beschäf- tigten einerseits, und der besonderen Situation der wissenschaftlichen Arbeitgeber andererseits, beinhalten aber auch das Potenzial neue Unsicherheiten zu schaf- fen, wenn sie etwa die Befristungsmöglichkeiten für wis- senschaftsakzessorisches Personal einschränken.
Derzeit entwickeln viele wissenschaftliche Einrich- tungen eigene Richtlinien, z.B. in Form von Personalpo- licies, die den einrichtungsspezifischen Umgang mit be- fristet beschäftigtem Personal regeln. Sie verfolgen das Ziel, die Situation der Beschäftigten in Bezug auf die Forderungen Planbarkeit und Verlässlichkeit der Karrie- rewege, angemessene Vertragslaufzeiten und Karriere- entwicklung zu verbessern. Diese Entwicklung ist zu be- grüßen und darf nicht, wie gelegentlich polemisch ver- merkt, als „Wissenschaftslobbyismus“ oder „Zeitspiel“69 missverstanden werden.
Es ist ein wichtiger Schritt der Wissenschaftseinrich- tungen, unter Wahrung ihrer wissenschaftlichen und in- stitutionellen Eigenständigkeit und Berücksichtigung der daraus resultierenden personalwirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Besonderheiten, ihren höchsteigenen Beitrag für verbesserte und verlässlichere Beschäfti- gungsbedingungen für die Wissenschaft in Deutschland zu leisten. Das könnte ein entscheidender Schritt in der Entwicklung von der Personalverwaltung hin zum wis- senschaftsadäquaten Personalmanagement sein.
Nikolaus Blum ist Kaufmännischer Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München. Katrin Vehling ist Per- sonalreferentin für Grundsatzfragen am Helmholtz Zentrum München.
68 Offen bleiben soll an dieser Stelle, ob man mit der Rechtspre- chung bei der Befristung aufgrund Drittmittelfinanzierung einen unbenannten Sachgrund in § 14 Abs. 1 TzBfG annimmt (BAG- Urteil vom 29. 7. 2009 — 7 AZR 907/07) oder die Drittmittelfinan-
zierung als Fall des Satz 2 Nr. 1 sieht.
69 Z. B. http://www.studis-online.de/Karriere/art-1847-befristungen.
php [abgerufen am 16.8.2015].