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I. Ein­lei­tung

In ihrem Beschluss vom 16.10.20141 stellt die 9. Kam­mer des Ver­wal­tungs­ge­richts Müns­ter unter ande­rem fest, dass die in § 26 Abs. 1 Ver­ga­be­VO NRW gere­gel­te Rang- fol­ge bei der Ver­ga­be von ver­füg­bar geblie­be­nen Stu­di- enplät­zen in höhe­ren Fach­se­mes­tern zulas­sungs­zah­len- begrenz­ter Stu­di­en­gän­ge (hier: Human­me­di­zin) nicht gegen Bestim­mun­gen des Euro­pa­rechts ver­stößt. § 26 Abs. 1 Ver­ga­be­VO NRW sieht bei der Ver­ga­be der Stu­di- enplät­ze in höhe­ren Fach­se­mes­tern eine unter­schied­li- che Behand­lung von Orts­wechs­lern inner­halb Deutsch- lands auf der einen Sei­te und Bewer­bern, die anre­chen- bare Leis­tun­gen im Aus­land erbracht haben, auf der ande­ren Sei­te vor.

II. Aus­gangs­la­ge

Seit Inkraft­tre­ten der Ers­ten Ver­ord­nung zur Ände­rung der Appro­ba­ti­ons­ord­nung für Ärz­te (ÄAppO) vom 17.7.20122 ist das min­des­tens sechsjährige3 Stu­di­um der Medi­zin wie­der in drei Abschnit­te auf­ge­teilt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 ÄAppO).4

  1. 1  VG Müns­ter, Beschluss 16.10.2014 – 9 L 787/14 –, juris.
  2. 2  Ers­te Ver­ord­nung zur Ände­rung der ÄAppO vom 17.6.2012(BGBl. I, S. 1539).
  3. 3  In den Mit­glieds­län­dern der Euro­päi­schen Uni­on muss die ärzt­li-che Grund­aus­bil­dung min­des­tens sechs Jah­re und 5.500 Stun­den theo­re­ti­schen und prak­ti­schen Unter­richts an einer Uni­ver­si­tät oder unter Auf­sicht einer Uni­ver­si­tät umfas­sen, Art. 24 Abs. 2 der RL 2005/36/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates.
  4. 4  Mit der Appro­ba­ti­ons­ord­nung für Ärz­te vom 27.6.2002, BGBl. I S. 2405, wur­de die Prü­fungs­struk­tur zum 1.10.2003 weit­ge­hend ver­än­dert. Die­se sah eine zwei­ge­teil­te Ärzt­li­chen Prü­fung, also mit dem Ers­ten Abschnitt nach zwei Jah­ren und dem Zwei­ten Abschnitt (dem sog. „Ham­mer­ex­amen“) nach sechs Jah­ren Me- dizin­stu­di­um, folg­lich nach dem Prak­ti­schen Jahr, vor, vgl. hier­zu Laufs, in: Laufs/Kern, Hand­buch des Arzt­rechts, 4. Aufl. 2010, § 7 Rn. 6 ff. Die Ers­te Ver­ord­nung zur Ände­rung der ÄAppO führ­te zu einer Rück­kehr zum alten Prü­fungs­mo­dell, vgl. Haa­ge, MedR 2012, 630, 633.
  5. 5  Die Anga­ben zur Dau­er der jewei­li­gen Abschnit­te bezie­hen sich auf die vor­ge­se­he­ne Regelstudienzeit.
  6. 6  Vgl. auch Haa­ge, in: NK-ÄAppO, § 1 Rn. 4 ff.

So schließt der Ers­te Stu­di­en­ab­schnitt (auch „Vor­kli- nik“) nach vier Semestern5 mit dem Ers­ten Abschnitt der ärzt­li­chen Prü­fung (ande­re Bezeich­nung: „Phy­si- kum“). Die­sem folgt der zwei­te Abschnitt (auch „kli­ni- scher Abschnitt“) mit einer Dau­er von 3 Jah­ren und eine zusam­men­hän­gen­de prak­ti­sche Aus­bil­dung („Prak­ti­sches Jahr“) von 48 Wochen. Der Zwei­te Abschnitt der Ärzt­li­chen Prü­fung (schrift­lich) fin­det vor, der drit­te und letz­te Ab- schnitt (münd­lich-prak­tisch) nach dem Prak­ti­schen Jahr statt.6

Da das Medi­zin­stu­di­um in Deutsch­land mit einem nume­rus clau­sus belegt ist, grei­fen eini­ge Stu­di­en­be­wer- ber auf die Mög­lich­keit zurück, sich an einer Hoch­schu- le im euro­päi­schen Aus­land ein­zu­schrei­ben. Inzwi­schen besteht dies­be­züg­lich ein gro­ßes Studienangebot7 – teil- wei­se ver­bun­den mit erheb­li­chen Studiengebühren.8 Nach Absol­vie­ren des Ers­ten Abschnitts der Ärzt­li­chen Prü­fung ver­su­chen dann eini­ge Stu­den­ten, ihr begon­ne- nes Stu­di­um in Deutsch­land fortzusetzen.9

Im Aus­wahl­ver­fah­ren, das für höhe­re Fach­se­mes­ter nicht von der Stif­tung für Hoch­schul­zu­las­sung (SfH), son­dern von der jewei­li­gen Hoch­schu­le nach Lan­des- recht durch­ge­führt wird, kon­kur­rie­ren die­se Bewerber

7 Ein Medi­zin­stu­di­um in deut­scher Spra­che kann in Öster­reich, Schweiz, Ungarn und Polen absol­viert wer­den. Ein Stu­di­um in eng­li­scher Spra­che bie­ten Uni­ver­si­tä­ten – neben sol­chen in Eng- land und Irland – in Ungarn, Ser­bi­en, Slo­we­ni­en, Polen, Rumä- nien, Bul­ga­ri­en, Kroa­ti­en, Litau­en, Zypern, Lett­land, Tsche­chi­en, Slo­wa­kei und Spa­ni­en an. Nicht sel­ten bie­ten Unter­neh­men eine ent­spre­chen­de Ver­mitt­lung an die­se Uni­ver­si­tä­ten an.

8 So betra­gen die Stu­di­en­ge­büh­ren für ein (deutsch­spra­chi­ges) Stu­di­um an der Sem­mel­weis-Uni­ver­si­tät in Buda­pest 6.900€ pro Semes­ter, s. http://medizinstudium.semmelweis.hu/nav/aufnah- me_fur_studienanfanger (7.6.2015).

9 Dies kann zum einen damit zusam­men­hän­gen, dass ein Wei­ter- füh­ren des Stu­di­ums in der Regel nur noch in eng­li­scher Spra­che oder in der Lan­des­spra­che mög­lich ist. Zum ande­ren sind im Rah­men der Aus­bil­dung in dem kli­ni­schen – prak­ti­schen – Stu­di­en­ab­schnitt Kennt­nis­se der jewei­li­gen Lan­des­spra­che für
den Pati­en­ten­kon­takt erfor­der­lich. Schließ­lich besteht auch die Mög­lich­keit, dass ein Stu­di­um in den ost- oder mit­tel­eu­ro­päi­schen Län­dern ohne­hin nur als Ein­stieg in das Human­me­di­zin­stu­di­um die­nen soll­te und eine Wei­ter­füh­rung an einer deut­schen Uni­ver- sität von Anfang an geplant war.

Patrick Schul­tes

Grenz­über­schrei­ten­de stu­den­ti­sche Mobi­li­tät in Euro­pa und Hoch­schul­zu­las­sung
in höhe­re Fach­se­mes­ter
– zugleich Anmer­kung zum Beschluss des VG Müns­ter vom 16.10.2014 – 9 L 787/14

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2015, ISSN 2197–9197

166 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 165–174

mit Bewer­bern, die den Stu­di­en­ort inner­halb Deutsch- lands wech­seln (Orts­wechs­ler), mit Bewer­bern, die auf einen Teil­stu­di­en­platz zuge­las­sen sind (Teil­zu­ge­las­se­ne), mit Bewer­bern, die infol­ge eines wich­ti­gen Grun­des – z.B. Betreu­ung eines Kin­des oder eines zeit­wei­li­gen Aus- lands­stu­di­ums – ihr Stu­di­um unter­bre­chen muss­ten (Unter­bre­cher), und mit Bewer­bern, die in einem ande- ren Stu­di­en­gang anre­chen­ba­re Leis­tun­gen erwor­ben ha- ben (Quer­ein­stei­ger).

III. Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen in höhe­ren Fachsemestern

Nach § 26 Abs. 1 Ver­ga­be­VO NRW wer­den die ver­füg­ba- ren Stu­di­en­plät­ze nach der dort fest­ge­schrie­be­nen Rang- fol­ge ver­ge­ben. An drit­ter Stel­le wer­den die­je­ni­gen Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber berück­sich­tigt, die im Zeit­punkt der Antrag­stel­lung an einer Hoch­schu­le im Gel­tungs­be­reich des Grund­ge­set­zes für den gewähl­ten Stu­di­en­gang end­gül­tig ein­ge­schrie­ben sind oder vor die- sem Zeit­punkt end­gül­tig ein­ge­schrie­ben waren; erst an

  1. 10  Gesetz über die Zulas­sung zum Hoch­schul­stu­di­um in Meck­len- burg-Vor­pom­mern (Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­setz — HZG M‑V) v. 14.8.2007 (GVOBl. M‑V 2007, S. 286), zuletzt geän­dert am 16.12.2010 (GVOBl. M‑V, S. 730, 758).
  2. 11  Ver­ord­nung über die Zulas­sung zum Hoch­schul­stu­di­um in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (Hoch­schul­zu­las­sungs­ver­ord­nung — HZVO M‑V) v. 23.5.2008 (GVOBl. M‑V 2008, S. 145), zuletzt geän­dert am 9.7.2014 (GVOBl. M‑V S. 387).
  3. 12  Nie­der­säch­si­sches Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­setz (NHZG) v. 29.1.1998 (Nds.GVBl. Nr.3/1998, S.51), zuletzt geän­dert am 11.12.2013 (Nds.GVBl. Nr.22/2013, S. 287).
  4. 13  Ver­ord­nung über die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen durch die Hoch­schu­len (Hoch­schul-Ver­ga­be­ver­ord­nung) v. 22.6.2005 (Nds. GVBl. Nr.14/2005, S.213), zuletzt geän­dert am 19.6.2014 (Nds. GVBl. Nr.11/2014, S.158).
  5. 14  Gesetz über die Zulas­sung zum Hoch­schul­stu­di­um im Frei­staat Sach­sen (Säch­si­sches Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­setz — SächsHZG) v. 7.6.1993 (SächsGVBl., S. 462), zuletzt geän­dert am 18.10.2012 (SächsGVBl., S. 568).
  6. 15  Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­setz Sach­sen-Anhalt (HZulG LSA) v. 12.5.1993 (GVBl. LSA 1993, S. 244, zuletzt geän­dert am 24.7.2012 (GVBl. LSA, S. 297).
  7. 16  Ver­ord­nung des Lan­des Sach­sen-Anhalt über die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen (Hoch­schul­ver­ga­be­ver­ord­nung — HVVO) v. 26.5.2008 (GVBl. LSA 2008, S. 196), zuletzt geän­dert am 27.5.2014 (GVBl. LSA, S. 232, ber. 381).
  8. 17  Inso­weit wird noch das Kri­te­ri­um der „sozia­len Här­te“ ange­führt: Nach § 8 Abs. 2 HZG sind Stu­di­en­plät­ze zunächst an Bewer- berin­nen und Bewer­ber, die für die­sen Stu­di­en­gang an einer Hoch­schu­le im Gel­tungs­be­reich des Grund­ge­set­zes end­gül­tig ein­ge­schrie­ben sind oder waren und für die die Ableh­nung des Zulas­sungs­an­tra­ges eine sozia­le Här­te bedeu­ten wür­de und erst dann an sons­ti­ge Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber, die für die­sen Stu­di­en­gang an einer Hoch­schu­le in einem Mit­glied­staat der Euro­päi­schen Uni­on end­gül­tig ein­ge­schrie­ben sind oder waren, zu vergeben.

vier­ter und letz­ter Stel­le fol­gen Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber, die anre­chen­ba­re Leis­tun­gen im Aus­land vor- wei­sen können.

Der nord­rhein-west­fä­li­schen Rege­lung ähn­li­che Be- stim­mun­gen fin­den sich in Meck­len­burg-Vor­pom­mern, § 5 Abs. 2 und 3 HZG M‑V10 i.V.m. § 8 Abs. 1 HZVO M‑V11, Nie­der­sach­sen, § 6 NHZG12 i.V.m. § 15 HVVO13, Sach­sen, § 7 SächsHZG14, und Sach­sen-Anhalt, § 9 Abs. 2 HZulG LSA15 i.V.m. § 17 Abs. 1 HVVO16; in einem be- grenz­te­ren Maße auch in Schles­wig-Hol­stein17, § 8 Abs. 2 HZG18 i.V.m. § 37 HZVO19. Der Wort­laut der Rege­lun- gen in Brandenburg20 und Thüringen21 ist dies­be­züg­lich nicht eindeutig.22 Kürz­lich geän­dert wur­den die Rege- lun­gen betref­fend die Hoch­schul­zu­las­sung in höhe­ren Semes­tern in Ber­lin, Hes­sen und Schleswig-Holstein.23 Eine aus­drück­li­che Gleich­stel­lung von Orts­wechs­lern inner­halb Deutsch­lands und Bewer­bern, die anre­chen- bare Leis­tun­gen im Aus­land erbracht haben, erfolgt hin- gegen bei­spiels­wei­se in Baden-Württemberg.24

18 Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­setz (HZG) v. 19.6.2009 (GVOBl. 2009, S. 331), zuletzt geän­dert am 24.9.2014 (GVOBl. 2014, S. 306).

19 Lan­des­ver­ord­nung über die Kapa­zi­täts­er­mitt­lung, die Cur­ri­cu- lar­wer­te, die Fest­set­zung von Zulas­sungs­zah­len, die Aus­wahl von Stu­die­ren­den und die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen (Hoch­schul­zu- las­sungs­ver­ord­nung — HZVO) v. 21.3.2011 (NBl. MWV. Schl.-H. 2001, S. 11), zuletzt geän­dert am 4.4.2014 (NBl. HS MBW. Schl.- H. 2014, S. 27).

20 § 15 der Ver­ord­nung über die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen in zulas­sungs­be­schränk­ten Stu­di­en­gän­gen durch die Hoch­schu­len des Lan­des Bran­den­burg (Hoch­schul­ver­ga­be­ver­ord­nung – HVV) vom 16.5.2014

21 § 35 Abs. 5 der Thü­rin­ger Ver­ord­nung über die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen an den staat­li­chen Hoch­schu­len (Thü­rin­ger Ver­ga- bever­ord­nung) v. 18.6.2009 (GVBl., S. 485), zuletzt geän­dert durch Ver­ord­nung v. 7.4.2014 (GVBl., S. 151).

22 In bei­den Fäl­len wer­den „Bewer­ber, die für den­sel­ben Stu­di­en- gang an einer Hoch­schu­le ein­ge­schrie­ben sind“ vor sons­ti­gen Be- wer­bern ein­ge­stuft. Ob der Begriff „Hoch­schu­le“ auch Uni­ver­si­tä- ten außer­halb des Gel­tungs­be­rei­ches des Grund­ge­set­zes umfasst, ergibt sich nicht direkt aus dem Wort­laut. Selbmann/Drescher sehen in die­ser For­mu­lie­rung aller­dings eine Bevor­zu­gung von Orts­wechs­lern, Selbmann/Drescher, Zur Euro­pa­rechts­kon­for­mi­tät von Rege­lun­gen der Bun­des­län­der zur Hoch­schul­zu­las­sung in höhe­re Fach­se­mes­ter, DÖV 2010, 961, 962 ff.

23 Vgl. noch zur alten Geset­zes­la­ge: Selbmann/Drescher aaO. (Fn. 22), 962 ff.

24 Hier fin­det sich eine aus­drück­li­che Gleich­stel­lung in § 19 Ver­ord­nung des Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­ums über die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen in zulas­sungs­be­schränk­ten Stu­di­en­gän­gen durch die Hoch­schu­len (Hoch­schul­ver­ga­be­ver­ord­nung — HVVO) v. 13.1.2003 (GBl. 2003, S. 63, ber. S. 115), zuletzt geän­dert am 9.5.2014 (GBl., S. 262) und § 7 Gesetz über die Zulas­sung zum Hoch­schul­stu­di­um in Baden-Würt­tem­berg (Hoch­schul­zu­las- sungs­ge­setz — HZG) v. 15.9.2005 (GBl. 2005, S. 629), zuletzt geän­dert am 5.5.2015 (GBl. 2015, S. 313).

Schul­tes · Anmer­kung zum Beschluss des VG Müns­ter vom 16.10.2014 1 6 7

Neben dem VG Müns­ter haben sich bis­her das OVG Schleswig-Holstein,25 das OVG NRW26 und jüngst auch das VG Leipzig27 mit der Euro­pa­rechts­kon­for­mi­tät der Bevor­zu­gung von Orts­wechs­lern gegen­über Bewer­bern, die die vor­kli­ni­schen Semes­ter im Aus­land absol­viert ha- ben, befasst. Die­se kom­men zu einem ähn­li­chen Ergeb- nis wie die zu bespre­chen­de Entscheidung.

IV. Sach­ver­halt

Die Antrag­stel­le­rin hat­te nach der Appro­ba­ti­ons­ord- nung für Ärz­te anrech­nungs­fä­hi­ge Stu­di­en der Medi­zin an der Uni­ver­si­tät Riga, Lett­land, absol­viert. Zum Win- ter­se­mes­ter 2014/2015 bewarb sie sich auf Zulas­sung zum 5. Fach­se­mes­ter bzw. zum 1. Kli­ni­schen Fach­se­mes­ter an der West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter (WWU Müns­ter). Ihr auf den Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung nach § 123 VwGO gerich­te­ter Antrag ziel­te dar­auf, die Antrags­geg­ne­rin, die WWU Müns­ter, zu ver­pflich­ten, ihre Bewer­bung in die Rang­grup­pe nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 HZG i.V.m. § 26Abs. 1 Nr. 3 Ver­ga­be­VO NRW – anstel­le der Rang­grup­pe nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 HZG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 3 Ver­ga­be­VO NRW – ein­zu­ord­nen. Die Antrag­stel­le­rin erstreb­te folg­lich eine Gleich­be­hand­lung ihrer Bewer­bung mit der­je­ni­gen von Bewer­bern, die bereits an einer ande­ren deut­schen Hoch­schu­le im Stu- dien­gang Human­me­di­zin ein­ge­schrie­ben sind oder waren.

V. Ent­schei­dung des Verwaltungsgerichts

Zunächst lässt das Ver­wal­tungs­ge­richt offen, ob ein hin- rei­chen­des Rechts­schutz­in­ter­es­se besteht. Inso­fern sei es der Antrag­stel­le­rin mög­lich, die Zuwei­sung eines Stu­di- enplat­zes nach Ableh­nung oder Nicht­be­schei­dung des Zulas­sungs­ge­suchs im gericht­li­chen Rechts­schutz zu ersu­chen. Es bestün­den zumin­dest Beden­ken, ob ein Teil­aspekt des Zulas­sungs­ver­fah­rens einer gericht­li­chen Über­prü­fung im Ver­fah­ren des vor­läu­fi­gen Rechts­schut- zes zuge­führt wer­den könne.28

Unab­hän­gig davon ver­neint das Gericht das Vor­lie- gen sowohl des Anord­nungs­grun­des als auch des An- ord­nungs­an­spruchs. Für die begehr­te einst­wei­li­ge An- ord­nung feh­le zunächst der Antrags­grund, da es auf die von der Antrag­stel­le­rin gestell­te Rechts­fra­ge nicht an-

  1. 25  OVG Schles­wig-Hol­stein, Beschluss 10.4.2008, 3 MB 10/08.
  2. 26  OVG NRW, NVwZ-RR 2010, 229.
  3. 27  VG Leip­zig, Beschluss 17.12.2014 – NC 2 L 1129/14, NC 2 L1130/14, NC 2 L 1131/14, NC 2 L 1282/14, NC 2 L 1283/14, NC 2L 1284/14, NC 2 L 1383/14 –, juris.
  4. 28  VG Müns­ter aaO. (Fn. 1), Rn. 5.
  5. 29  Ver­ord­nung über die Fest­set­zung von Zulas­sungs­zah­len und die­Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen in höhe­ren Fach­se­mes­tern an den

kom­me. § 1 i.V.m. Anla­ge 5 der Zulas­sungs­zah­len­ver­ord- nung29 legt die Zahl der Stu­di­en­plät­ze für das 1. kli­ni­sche Semes­ter des Human­me­di­zin­stu­di­ums an der WWU Müns­ter auf 113 Stu­di­en­plät­ze fest (Auf­füll­gren­ze). Die Antrags­geg­ne­rin habe glaub­haft gel­tend gemacht, dass sich bereits 159 Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten i.S.d. § 25 Abs. 2 Ver­ga­be­VO NRW zurück­ge­mel­det hät­ten. Damit erge­be sich bereits durch regu­lä­re Rück­mel­der eine Über­schrei­tung der Soll­zahl, die aus der Stu­di­en- fort­füh­rungs­ga­ran­tie für Medi­zin­stu­den­ten und –stu- den­tin­nen, § 3 der Zulas­sungs­zah­len­ver­ord­nung, resul- tie­re. In die­ser Situa­ti­on sei das Eil­rechts­schutz­ge­such in Wahr­heit auf die Ertei­lung einer gericht­li­chen Rechts- aus­kunft gerichtet.30

Sodann führt das Gericht aus, dass im Übri­gen aber ohne­hin ein Anord­nungs­an­spruch nicht glaub­haft ge- macht wer­den könne.

So ver­sto­ße die Rang­fol­ge des § 26 Abs. 1 Nrn. 1–4 Ver­ga­be­VO NRW bei sum­ma­ri­scher Prü­fung nicht ge- gen euro­pa­recht­li­che Bestim­mun­gen. Dabei zitiert das VG Müns­ter – aus­führ­lich (Rn 17–25) – die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein- West­fa­len vom 1. Okto­ber 2009.31 Dar­in ver­neint das Gericht einen Ver­stoß gegen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver- bot aus Grün­den der Staats­an­ge­hö­rig­keit des Art. 12 EGV (heu­te Art. 18 AEUV), da nach § 2 Ver­ga­be­VO NRW die Stu­di­en­plät­ze an Deut­sche sowie an aus­län­di­sche Staats- ange­hö­ri­ge oder Staa­ten­lo­se, die im Sin­ne die­ser Ver­ord- nung Deut­schen gleich­ge­stellt sind, ver­ge­ben werden.

Anschlie­ßend befasst sich die die zitier­te Entsch­ei- dung mit der Prü­fung eines Ein­griffs in die Frei­zü­gig­keit nach Art. 18 EGV (heu­te: Art. 21 AEUV) im Zusam­men- spiel mit dem all­ge­mei­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot nach Art. 12 EGV (Art. 18 AEUV). Ein Ein­griff in den Ge- währ­leis­tungs­be­reich des Frei­zü­gig­keits­rechts in sei­ner Ver­klam­me­rung mit dem Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot wird angenommen.32

Die vor­ge­se­he­ne Nach­ran­gig­keit las­se sich aber nach dem Gemein­schafts­recht recht­fer­ti­gen. Zunächst sol­le eine Umge­hung der Zulas­sungs­be­gren­zung für Hoch- schu­len ver­hin­dert wer­den. Es sei inso­fern ein legi­ti­mes Inter­es­se des Ver­ord­nungs­ge­bers, den Stu­den­ten, die in Deutsch­land über eine Zulas­sung zum Stu­di­um ver­fü- gen, die Fort­set­zung des Stu­di­ums zu ermög­li­chen und sie nicht einem Wett­be­werb mit den­je­ni­gen auszusetzen,

Hoch­schu­len des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len zum Stu­di­en­jahr 2014/2015 vom 19.8.2014 (GV. NRW 2014, Aus­ga­be Nr. 24, S. 429–474).

30 VG Müns­ter aaO. (Fn. 1), Rn. 6.
31 OVG Nord­rhein-West­fa­len, Beschluss 1.10.2009 – 13 B 1185/09

–, juris.
32 VG Müns­ter aaO. (Fn. 1), Rn. 21.

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die – ohne das nc-Ver­fah­ren durch­lau­fen zu haben – Aus­bil­dungs­ab­schnit­te im Aus­land absol­viert haben. Dies wür­de dem natio­na­len Zulas­sungs­recht zuwi­der- laufen.33

Die­sen Aus­füh­run­gen tritt nun das VG Müns­ter bei. Es unter­stützt die­se Auf­fas­sung mit einem Hin­weis auf die Geset­zes­ma­te­ria­li­en, die auf die „Inten­si­tät des Zu- las­sungs­an­spruchs der jewei­li­gen Bewer­ber“ abstel­len. Orts­wechs­ler hät­ten „mit dem erfolg­reich durch­lau­fen- den Aus­wahl­ver­fah­ren und deren Aus­nut­zung durch Ein­schrei­bung an einer deut­schen Hoch­schu­le eine auch recht­lich beacht­li­che Bin­dung an das staat­lich zur Ver­fü- gung gestell­te Bil­dungs­sys­tem auf Hoch­schul­ebe­ne er- langt, die sich von den­je­ni­gen Bewer­bern, bei denen dies nicht der Fall ist (Rang­grup­pe Nr. 4) deut­lich untersch­ei- det“. Der Bewer­ber­kreis, der sich aus­län­di­sche Leis­tun­gen hat anrech­nen las­sen, habe zu kei­nem Zeit­punkt eine recht- lich geschütz­te Akzep­tanz ent­wi­ckeln können.34

VI. Kri­ti­sche Würdigung

Nach­fol­gend sol­len nur die – inter­es­san­ten, aber nicht ent­schei­dungs­er­heb­li­chen – Pas­sa­gen des Urteils, die sich mit der Euro­pa­rechts­kon­for­mi­tät der Ver­ga­be­ver- ord­nung aus­ein­an­der­set­zen, näher beleuch­tet werden.

Das VG Müns­ter bejaht – rich­ti­ger­wei­se – eine Be- ein­träch­ti­gung des Schutz­be­rei­ches von Art. 21 AEUV i.V.m. Art. 18 AEUV.

Titel XII des drit­ten Teils des AEUV zu den inter­nen Poli­ti­ken der Uni­on (Art. 165 und 166 AEUV) wid­met sich der all­ge­mei­nen und beruf­li­chen Bil­dung. Kein Ge- gen­ar­gu­ment für die Eröff­nung des Schutz­be­rei­ches wäre hier, wie teil­wei­se vor dem EuGH vorgetragen,35 dass die Ver­ant­wor­tung der Mit­glied­staa­ten für Lehrin-

  1. 33  VG Müns­ter aaO. (Fn. 1), Rn. 25.
  2. 34  VG Müns­ter aaO. (Fn. 1), Rn. 28.
  3. 35  Die­ses Argu­ment wur­de bei­spiels­wei­se bemüht durch die deut-sche, die nie­der­län­di­sche, die öster­rei­chi­sche und die schwe­di­sche Regie­rung, die Regie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs und die Kom­mis­si­on in Urteil EuGH, Mor­gan, Rs. C‑11/06 und 12/06, EU:C:2007:626, Rn. 24.
  4. 36  Vgl. in die­sem Sin­ne: Urteil EuGH, Mor­gan, Rs. C‑11/06 und 12/06, EU:C:2007:626, Rn. 24; Urteil EuGH, Schwarz und Goot­jes-Schwarz, Rs. C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 70.
  5. 37  Vgl. in die­sem Sin­ne: Urteil EuGH, Mor­gan, Rs. C‑11/06 und 12/06, EU:C:2007:626, Rn. 24; Urteil EuGH, Schwarz und Goot­jes-Schwarz, Rs. C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 99.
  6. 38  Ruf­fert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 165; Rn. 1; vgl. auch den Über­blick bei Fürst, Die bil­dungs­po­li­ti­schen Kom­pe­ten­zen der Euro­päi­schen Gemein­schaft, S. 98 ff.
  7. 39  Urteil EuGH, Land Nord­rhein-West­fa­len/Ue­cker und Jac- quet/Land Nord­rhein-West­fa­len, Rs. C‑64/96 und C‑65/96, EU:C:1997:285, Rn. 23; Urteil EuGH, Steen/Deutsche Bun­des- post, Rs. C‑332/90, EU:C:1992:40, Rn. 9 f.; vgl. auch Nic Shuibh­ne, Free Move­ment of Per­sons and the Whol­ly Inter­nal Rule: Time

hal­te und Gestal­tung des Bil­dungs­sys­tems von der Uni- on strikt geach­tet wer­den muss, Art. 165 AEUV (ex Art. 149 EGV). Der EuGH hat mehr­mals und früh klar­ge- stellt, dass die­se Zustän­dig­keit unter Beach­tung des Ge- mein­schafts­rechts aus­ge­übt wer­den muss,36 und zwar ins­be­son­de­re unter Beach­tung der Grund­frei­hei­ten und der Bestim­mun­gen über das Recht, sich im Hoheits­ge- biet der Mit­glied­staa­ten frei zu bewe­gen und auf­zuhal- ten.37 Inso­fern bil­det sich hier eine Schnitt­men­ge der bil- dungs­po­li­ti­schen Kom­pe­tenz­ver­tei­lung zwi­schen supra- natio­na­ler und mit­glied­staat­li­cher Ebe­ne und somit ein Spannungsfeld.38

Eben­so wenig – so rich­tig vom VG Müns­ter erkannt – ist hier pro­ble­ma­tisch, dass vor­lie­gend Ansprü­che ge- gen den Her­kunfts­staat gel­tend gemacht wer­den. Der EuGH ver­neint zwar die Anwend­bar­keit des Dis­kri­mi- nie­rungs­ver­bots und der Grund­frei­hei­ten auf rein inner- staat­li­che, d.h. nicht grenz­über­schrei­ten­de Sach­verhal- te.39 In der Rs. D’Hoop mach­te der EuGH aller­dings deut­lich, dass es bei der Bestim­mung die­ses Merk­mals weni­ger auf das Kri­te­ri­um ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten ankommt, son­dern mehr und mehr um die Untersch­ei- dung zwi­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen geht, die von ihrem Recht auf Frei­zü­gig­keit Gebrauch gemacht, und sol­chen, die die­ses Recht nicht genutzt haben.40 Er führ­te – unter Rück­griff auf die in Singh eröff­ne­te Linie41 – aus, dass es für den­je­ni­gen, der von dem Recht auf Frei­zü­gig­keit Ge- brauch gemacht hat, „mit dem Recht auf Frei­zü­gig­keit unver­ein­bar (wäre), wenn der Mit­glied­staat, des­sen Staats­an­ge­hö­ri­ger er ist, ihn des­halb weni­ger güns­tig be- han­deln wür­de, weil er von den Mög­lich­kei­ten Gebrauch gemacht hat, die ihm die Frei­zü­gig­keits­be­stim­mun­gen des EG-Ver­trags eröffnen.“42 Dies gilt beson­ders im Be- reich der Bil­dung – es soll ins­be­son­de­re die Mobilität

to Move On?, 39 Com­mon Mar­ket Law Review 2002, 731; Try­fo- nidou, Rever­se Dis­cri­mi­na­ti­on in Purely Inter­nal Situa­tions: An Incon­grui­ty in a Citi­zens’ Euro­pe, 35 Legal Issues of Eco­no­mic Inte­gra­ti­on 2008, 43; Spa­ven­ta, See­ing the Wood Despi­te the Trees? On the Scope of Uni­on Citi­zen­ship and its Con­sti­tu­tio­nal Effects, 45 Com­mon Mar­ket Law Review 2008, 13; Dautricourt/ Tho­mas, Rever­se dis­cri­mi­na­ti­on and free move­ment of per­sons under Com­mu­ni­ty law: all for Ulys­ses, not­hing for Pene­lo­pe?, 34 Euro­pean Law Review 2009, 433.

40 Hal­tern ver­weist inso­fern auf die ver­än­der­te Ver­gleichs­grup­pe, Hal­tern, Euro­pa­recht, Dog­ma­tik im Kon­text, 2. Auf­la­ge 2007,
Rn. 1297 ff.; Chalmers/Davies/Monti, Euro­pean Uni­on Law, 3. Aufl. 2014, 492.; s. auch Urteil EuGH, Knoors/Staatssecretaris van Eco­no­mi­sche Zaken, Rs. C‑115/78, EU:C:1979:31, Rn. 24.

41 Urteil EuGH, D’Hoop, Rs. C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 31. 42 Urteil EuGH, D’Hoop, Rs. C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 39;

Urteil EuGH, De Cuy­per, Rs. C- 406/04, EU:C:2006:491, Rn. 39; Urteil EuGH, Schwarz und Goot­jes-Schwarz, Rs. C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 93; Urteil EuGH, Mor­gan, Rs. C‑11/06 und 12/06, EU:C:2007:626, Rn. 25.

Schul­tes · Anmer­kung zum Beschluss des VG Müns­ter vom 16.10.2014 1 6 9

von Ler­nen­den und Leh­ren­den geför­dert werden.43 Die deut­schen Medi­zin­stu­die­ren­den, die die Frei­zü­gig­keits- bestim­mun­gen genutzt haben, kom­men somit nicht zu einer „inter­nen Situa­ti­on“ zurück; benach­tei­li­gen­de Maß- nah­men dür­fen hier nicht ansetzen.44

Eine sol­che Beschrän­kung kann nach Gemein­schafts- recht nur dann gerecht­fer­tigt sein, wenn sie auf objek­ti­ven, von der Staats­an­ge­hö­rig­keit der Betrof­fe­nen unab­hän­gi- gen Erwä­gun­gen des All­ge­mein­in­ter­es­ses beruht, die in einem ange­mes­se­nen Ver­hält­nis zu dem mit dem natio­na- len Recht recht­mä­ßi­ger­wei­se ver­folg­ten Zweck stehen.45

Grund­sätz­lich kom­men vier – vor dem EuGH auf­ge- worfe­ne – Recht­fer­ti­gungs­grün­de in Betracht: das Argu- ment der über­mä­ßi­gen Belas­tung der Finanzen,48 der Schutz der öffent­li­chen Gesundheit,46 die Wah­rung der Ein­heit­lich­keit des Hochschulunterrichts47 und zuletzt die Erhal­tung und Ver­bes­se­rung des Bildungssystems.49

Ers­tens: Das Argu­ment der über­mä­ßi­gen Belas­tung der Finan­zen greift vor­lie­gend nicht.50 Unab­hän­gig da- von, dass die­ses Argu­ment vor dem EuGH wenig erfolg- ver­spre­chend ist,51 ist es hier nicht sach­lich ein­schlä­gig. Die Zahl der Stu­di­en­plät­ze im kli­ni­schen Bereich ist fest- gesetzt und an vor­han­de­ne Kapa­zi­tä­ten gebun­den; im Streit steht hier nur die Rei­hen­fol­ge der Zulas­sung. Das finan­zi­el­le Argu­ment kann daher (zum gegen­wär­ti­gen Stand) nicht erfolg­reich bemüht werden.

Als ent­schei­den­der Recht­fer­ti­gungs­grund dien­te in der Rs. Bres­sol das Argu­ment des Schut­zes der öffent­li- chen Gesundheit.52 Die­ses dürf­te hier zwei­tens eben­so nicht ein­schlä­gig sein. Dass eine Aus­bil­dung im euro­pä- ischen Aus­land den erfor­der­li­chen Anfor­de­run­gen nicht genügt, kann wohl nicht erfolg­reich vor­ge­tra­gen wer- den53 – die Anrech­nung des im Aus­land absol­vier­ten Stu­di­ums ist schließ­lich bei Bewer­bung auch für ge- wöhn­lich erfolgt (Gleich­wer­tig­keits­kri­te­ri­um, § 12 ÄAp- pO). Letz­tens wür­de auch der Nach­weis eines zukünf­ti- gen Ärz­te­man­gels schwer­fal­len: Die Studienbewerber

  1. 43  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 44.
  2. 44  Chalmers/Davies/Monti aaO. (Fn. 40), S. 493.
  3. 45  Urteil EuGH, De Cuy­per, Rs. C- 406/04, EU:C:2006:491, Rn. 40.
  4. 46  Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181.
  5. 47  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03,EU:C:2005:427.
  6. 48  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03,EU:C:2005:427 und Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08,EU:C:2010:181.
  7. 49  Urteil EuGH, Lyy­ski, Rs. C‑40/05, EU:C:2007:10.
  8. 50  Die­ses Argu­ment hat­te im Rechts­streit auch kei­nen Erfolg.Nachdem die finan­zi­el­le Natur der Pro­ble­ma­tik auf EuGH-Ebe­ne ins­be­son­de­re anfäng­lich weit­ge­hend igno­riert wur­de, wur­de in Bres­sol nur kurz dar­auf ver­wie­sen, dass sich das Bil­dungs­we­sen auf der Grund­la­ge des Sys­tems der „geschlos­se­nen Dotie­rung” finan­ziert, bei dem die glo­ba­le Mit­tel­zu­wei­sung nicht von der Gesamt­zahl der Stu­die­ren­den abhängt, Urteil EuGH, Bres­sol u.a.,

wol­len sich gera­de in der Regel in Deutsch­land nach erfolg- rei­chem Abschluss des Medi­zin­stu­di­ums niederlassen.

Mit der Recht­fer­ti­gung auf­grund der Wah­rung der Ein­heit­lich­keit des Hoch­schul­un­ter­richts haben sich drit­tens in der Rs. Kommission/Österreich sowohl der EuGH als auch ins­be­son­de­re Gene­ral­an­walt Jacobs schwer getan.54 Öster­reich woll­te im kon­kre­ten Fall wohl gel­tend machen, dass die Offen­heit des Hoch­schul­zu- gangs – Öster­reich sperr­te sich im Gegen­satz zu Deutsch- land gera­de gegen die Ein­füh­rung eines nume­rus clau­sus – und die Durch­läs­sig­keit des Bil­dungs­sys­tems gefähr­det sei. Der EuGH hat die­sem Recht­fer­ti­gungs­ver­such aber schnell den Wind aus den Segeln genom­men. Auch setz- te er hier eine hohe Hür­de in Bezug auf die Bei­brin­gung von Beweis­mit­teln (s.u.). Auch wenn sich der EuGH in der Rs. Bres­sol gegen­über die­ser Argu­men­ta­ti­ons­li­nie emp­fäng­li­cher zeig­te und dort eine dar­auf gestütz­te Recht­fer­ti­gung grund­sätz­lich für mög­lich hielt,55 er- scheint es sinn­vol­ler, eine mög­li­che Recht­fer­ti­gung für die Rege­lung von § 26 Ver­ga­be­VO NRW mit der in der Rs. Lyy­ski her­vor­ge­brach­ten Recht­fer­ti­gung der Erhal- tung und Ver­bes­se­rung des Bil­dungs­sys­tems zu dis­ku­tie- ren.56 In die­se Kate­go­rie zäh­len wohl auch die Argu­men- te, die vom VG Müns­ter (und ursprüng­lich vom OVG Müns­ter) vor­ge­bracht wurden.

Die­sen Erwä­gun­gen ent­geg­net die Literatur,57 dass die erbrach­ten Leis­tun­gen – nicht zuletzt in der erfol­gen- den Anrech­nung mani­fes­tiert – gleich­wer­tig sei­en. Wei- ter­hin sei es für die im Aus­land ein­ge­schrie­be­nen Stu­die- ren­den schwe­rer, ihr Stu­di­um fort­zu­set­zen (aus kapa­zi- tären oder sprach­be­zo­ge­nen Grün­den). Des Wei­te­ren berech­ti­ge nicht die Zulas­sung an einer bestimm­ten Hoch­schu­le per se zu einem Orts­wech­sel. Es feh­le inso- fern an einem sach­li­chen Grund, Orts­wechs­ler aus Deutsch­land zu bevorzugen.58

Auf­schluss über den Erfolg sol­cher Argu­men­te kann jedoch nur durch einen detail­lier­ten Blick auf die bishe-

Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 50. Ob die­ses Argu­ment, das für Bel­gi­en und Öster­reich in der Tat von eini­gem Gewicht ist, bei wei­te­rer Über­zeu­gungs­ar­beit unter Rück­griff auf empi­ri­sches Daten­ma­te­ri­al ein stär­ke­res wer­den kann, ist aber nicht aus­ge- schlos­sen, Hil­pold, Anm. zu EuGH: Beschrän­kung der Neu­ein- schrei­bung „nicht­an­säs­si­ger” Stu­den­ten, EuZW 2010, 465, 472.

51 Vgl. u.a. Urteil EuGH, Kommission/Italien, Rs. C‑388/01, EU:C:2003:30, Rn. 13 und Urteil EuGH, Ver­kooi­jen, Rs. C‑35/98, EU:C:2000:294, Rn. 48.

52 Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 54 ff. 53 So auch Selbmann/Drescher aaO (Fn. 22), S. 967.
54 Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03,

EU:C:2005:427, Rn. 50.
55 Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 53. 56 Urteil EuGH, Lyy­ski, Rs. C‑40/05, EU:C:2007:10, Rn. 39.
57 Zu beach­ten ist, dass die­se ggf. eige­ne Inter­es­sen ver­folgt, s. Selb-

mann, der Stu­die­ren­de in Stu­di­en­platz­kla­gen ver­tritt. 58 Selbmann/Drescher aaO (Fn. 22), S. 967 f.

170 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 165–174

rige Spruch­pra­xis des EuGH sowie kon­tex­tua­le Erwä- gun­gen gewon­nen wer­den. Der vom VG Müns­ter zu ent- schei­den­de Fall betrifft eine nach­ge­la­ger­te Ebe­ne im Ver­gleich zu den Urtei­len des EuGH in den Rs. Bres­sol und Kommission/Österreich: Hier war nicht eine Zulas- sungs­be­schrän­kung gegen­über Staats­an­ge­hö­ri­gen ande- rer Mit­glied­staa­ten streit­ge­gen­ständ­lich, son­dern die Be- hand­lung von Staats­an­ge­hö­ri­gen im Her­kunfts­staat, die nach Rück­kehr in den Her­kunfts­staat eine ande­re Be- hand­lung erfuh­ren. Den­noch sind die bei­den Urtei­le hier durch­aus von Interesse.

Das von Öster­reich ange­führ­te Argu­ment der „Wah- rung der Ein­heit­lich­keit des öster­rei­chi­schen Bil­dungs- sys­tems” – gemeint war ein star­ker Andrang von Stu­di- enwer­bern aus ande­ren Mit­glied­staa­ten mit der Fol­ge von struk­tu­rel­len, per­so­nel­len und finan­zi­el­len Pro­ble- men – über­zeug­te den EuGH nicht (s.o.). Ins­be­son­de­re Gene­ral­an­walt Jacobs äußer­te sich skep­tisch ob die­ses Rechtfertigungsgrundes.59 Der EuGH bemän­gel­te aus- drück­lich, dass Öster­reich erst in der münd­li­chen Ver- hand­lung Schät­zun­gen über den zu erwar­ten­den Stu- den­ten­an­drang – zudem allein für das Fach Medi­zin und somit kei­ne Schät­zun­gen in Bezug auf ande­re Stu­di­en­fä- cher – vor­ge­legt hat­te. Dabei muss­te Öster­reich ein­räu- men, inso­weit über kei­ne ande­ren Daten zu verfügen.60 Im Übri­gen scheint es dem EuGH auch bit­ter auf­gesto- ßen zu sein, dass die frag­li­che natio­na­le Bestim­mung im Wesent­li­chen vor­beu­gen­den Cha­rak­ter hatte.61

Der deut­li­chen Kri­tik der feh­len­den Nach­wei­se steht ent­ge­gen, dass Öster­reich durch­aus plau­si­ble Grün­de für eine Zulas­sungs­be­schrän­kung hat­te: Einer­seits sah sich Öster­reich einem gro­ßen Strom deut­scher Stu­den­ten aus­ge­setzt; ande­rer­seits woll­te es an einem grund­sätz­lich frei­en Hoch­schul­zu­gang fest­hal­ten und gera­de kei­nen nume­rus clau­sus ein­füh­ren. Dies hing auch damit zu- sam­men, dass Öster­reich eine unter­durch­schnitt­li­che Aka­de­mi­ker­quo­te von 15% ver­zeich­ne­te (OECD-Durch- schnitt: 24 %).62 Öster­reich hat­te in der münd­li­chen Ver- hand­lung gel­tend gemacht, dass im Fach Medi­zin die Zahl der Stu­di­en­be­wer­ber bis zu fünf­mal so hoch sein könn­te wie die Zahl der ver­füg­ba­ren Stu­di­en­plät­ze, was

  1. 59  „Ers­tens ist nicht klar, was mit dem Ziel gemeint ist, die Ein­heit- lich­keit des öster­rei­chi­schen Sys­tems der Hoch­schul­aus­bil­dung zu erhal­ten. Nach dem all­ge­mei­nen Tenor der öster­rei­chi­schen Argu­men­ta­ti­on und dem Sach­ver­halt des Fal­les scheint „Ein- heit­lich­keit“ so viel zu bedeu­ten wie „bevor­rech­tig­ter Zugang für öster­rei­chi­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge“, Schluss­an­trä­ge GA Jacobs, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 30.
  2. 60  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 62 ff.
  3. 61  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 62 ff.
  4. 62  http://www.news.at/a/oesterreich-hochschulbildung-akademiker- quo­te-oecd-schnitt-121318 (7.6.2015).

das finan­zi­el­le Gleich­ge­wicht des öster­rei­chi­schen Sys- tems der Hoch­schul­aus­bil­dung und damit des­sen Be- stand selbst bedro­hen würde.63 Hil­pold weist fer­ner dar- auf hin, dass der Pro­zent­an­teil der aus­län­di­schen Stu­die- ren­den in Öster­reich mit 18,7% euro­pa­weit an ers­ter und welt­weit an drit­ter Stel­le stand und wei­ter­hin etwa 30% aller in Öster­reich Stu­die­ren­den Stu­di­en­fä­cher beleg­ten, für wel­che in Deutsch­land Zugangs­be­schrän­kun­gen durch einen nume­rus clau­sus galten.64

Der EuGH beschränk­te sich auf der Recht­fer­ti­gungs- ebe­ne aber dar­auf, fest­zu­stel­len, dass hier nicht eine al- lein Öster­reich betref­fen­de Pro­blem­stel­lung vorliege.65

Als Recht­fer­ti­gungs­grund in der Rs. Bres­sol führ­te Bel­gi­en zunächst über­mä­ßi­ge Belas­tun­gen zur Finan­zie- rung des Hoch­schul­un­ter­richts an. Die­se waren jedoch aus­weis­lich der Aus­füh­run­gen des Gesetz­ge­bers kein ent­schei­den­der Grund für die Regelung.66

So befass­te sich der EuGH im Anschluss mit der Fra- ge, ob die Rege­lung aus Grün­den der Wah­rung der Ein- heit­lich­keit des Sys­tems des Hoch­schul­un­ter­richts zu recht­fer­ti­gen sei. Zwar schloss der EuGH nicht ohne Wei­te­res aus, dass dies die Ungleich­be­hand­lung be- stimm­ter Stu­die­ren­der recht­fer­ti­gen kön­ne. Er zog es je- doch vor, die hier­zu vor­ge­brach­ten Recht­fer­ti­gungs- grün­de unter dem Gesichts­punkt des Schut­zes der öf- fent­li­chen Gesund­heit zu prüfen.67 Inso­fern zeig­te sich der EuGH fein­füh­lig in Bezug auf die Situa­ti­on der Mit- glied­staa­ten Öster­reich und Bel­gi­en und ver­mied eine direk­te Stellungnahme.

Somit stand nur eine Recht­fer­ti­gung auf­grund von Erfor­der­nis­sen der öffent­li­chen Gesund­heit im Raum.68 Nach dem EuGH kann die Auf­recht­erhal­tung einer qua- lita­tiv hoch­wer­ti­gen, aus­ge­wo­ge­nen und all­ge­mein zu- gäng­li­chen medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung ein legi­ti­mes Ziel dar­stel­len. Die Prü­fung der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit einer dies­be­züg­li­chen Maß­nah­me über­ließ der EuGH zwar dem vor­le­gen­den natio­na­len Gericht; er gab aller­dings klar begrenz­te und detail­liert aus­ge­führ­te Hin­wei­se mit an die Hand. Er ver­langt dabei spe­zi­fi­sche Unter­su­chun- gen zur tat­säch­li­chen Gefähr­dung der öffent­li­chen Ge- sund­heit; die­se sind dem Gericht durch die zuständigen

63 Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 64.

64 Hil­pold, Hoch­schul­zu­gang und Uni­ons­bür­ger­schaft, Das Urteil des EuGH vom 7.7.2005 in der Rechts­sa­che C‑147/03, Kom­mis­si- on gegen Öster­reich, EuZW 2005, 647, 650.

65 Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 62.

66 Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 50. 67 Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 54. 68 Die­ses Argu­ment war auch des­we­gen ent­schei­dend, weil der

EuGH in Hart­lau­er kurz zuvor die­sem Recht­fer­ti­gungs­grund ei- nen hohen Stel­len­wert ein­ge­räumt hat­te. Urteil EuGH, Hart­lau­er, Rs. C‑169/07, EU:C:2009:141, Rn. 47.

Schul­tes · Anmer­kung zum Beschluss des VG Müns­ter vom 16.10.2014 1 7 1

Stel­len vorzulegen.69 Auch stellt er das Erfor­der­nis einer Prü­fung auf, inwie­fern die zustän­di­gen Stel­len die Errei- chung die­ses Ziels ange­mes­sen mit den sich aus dem Uni­ons­recht erge­ben­den Erfor­der­nis­sen in Ein­klang ge- bracht haben, ins­be­son­de­re mit dem den Stu­die­ren­den aus ande­ren Mit­glied­staa­ten zuste­hen­den Recht auf Zu- gang zum Hoch­schul­un­ter­richt, das zum Kern­be­reich des Grund­sat­zes der Frei­zü­gig­keit der Stu­die­ren­den gehört.70

Inso­fern wird deut­lich, dass der EuGH sei­ner Linie, den Gesund­heits­schutz als wirk­sa­men Recht­fer­ti­gungs- grund für Beschrän­kungs­maß­nah­men mit wei­tem Er- mes­sen für die Mit­glied­staa­ten zu akzep­tie­ren treu bleibt. Dabei ver­langt er jedoch eine kohä­ren­te und sub- stan­ti­ier­te Dar­le­gung der Rechtfertigung.

Tat­säch­lich for­mu­liert der EuGH hier vor­sich­ti­ger und zeigt sich sen­si­bel in Bezug auf die mit­glied­staat­li- chen Pro­ble­ma­ti­ken, die sowohl Bel­gi­en als auch Öster- reich im Dia­log vor­ge­bracht haben. Auch ist die Spra­che bei wei­tem nicht mehr so empa­thisch wie zu Beginn der Ent­wick­lung der Uni­ons­bür­ger­schaft. Letzt­lich wird die Ent­schei­dung auch dem vor­le­gen­den Gericht auf­ge­ge- ben. In der Lite­ra­tur wur­de dies bereits als eine Ver­schie- bung von der strik­ten Auf­fas­sung hin zu einer ver­ständ- nis­vol­le­ren Betrach­tung (von Bidar71 hin zu Förs­ter72 oder von Kommission/Österreich73 hin zu Bres­sol74) gesehen.75

Dies darf jedoch nicht über die tat­säch­li­chen Kon­se- quen­zen hin­weg­täu­schen. Auch in Bres­sol ist die Recht- fer­ti­gungs­mög­lich­keit sehr eng umgrenzt – nach Hil­pold gren­zen die Kri­te­ri­en gar an eine „pro­ba­tio dia­bo­li­ca”.76 In der Tat hat der bel­gi­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof die Quo­te in nur drei Fäl­len für gerecht­fer­tigt gehal­ten, näm­lich für die Bache­lor-Stu­di­en­gän­ge in „Vete­ri­när­me- dizin“, „Heil­päd­ago­gik“ und „Heil­päd­ago­gik und Reha- bilitation“.77 In allen übri­gen Fäl­len ver­nein­te das Ge- richt das Vor­lie­gen von aus­rei­chen­den Nach­wei­sen. So hielt sich das bel­gi­sche Gericht an die enge Marsch­rou­te, die durch den Gerichts­hof vor­ge­ge­ben wur­de. Chalmers/ Davies/Monti so auch fer­ner dar­auf hin, dass eine sehr

  1. 69  Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 74.
  2. 70  Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 79.
  3. 71  Urteil EuGH, Bidar, Rs. C‑209/03, EU:C:2005:169.
  4. 72  Urteil EuGH, Förs­ter, Rs. C‑158/07, EU:C:2008:630.
  5. 73  Urteil EuGH, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427.
  6. 74  Urteil EuGH, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2010:181.
  7. 75  Craig/de Búr­ca, EU Law: Text, Cases, and Mate­ri­als, 5. Aufl. 2011,S. 841.
  8. 76  Hil­pold aaO. (Fn. 50), 473.
  9. 77  Bel­gi­scher Ver­fas­sungs­ge­richts­hof, Urteil Nr. 89/2011 31.5.2011,Geschäftsverzeichnisnr. 4034 und 4093, B.8.1 – B.8.8.5.
  10. 78  Chalmers/Davies/Monti aaO. (Fn. 40), S. 921, mit Ver­weis auf die­Kon­text­ver­gleich­bar­keit im Bereich der Gesundheit.
  11. 79  Scott, On Kith and Kine (and Crustace­ans): Trade and Envi-ron­ment in the EU and WTO, in: Wei­ler (Hrsg.), The EU, the

nahe­lie­gen­de Gefahr von weit­ge­hen­den Beschrän­kun- gen im grenz­über­schrei­ten­den Zugang zur Aus­bil­dung besteht, sofern es Mit­glied­staa­ten zuer­kannt wer­den soll­te, Maß­nah­men auf der Basis von unkla­rem poten­ti- ellen Risi­ko zu erlassen.78

Auf­fäl­lig ist, dass der Gerichts­hof in bei­den Fäl­len star­ken Fokus auf Auf­schlüs­se­lung, Nach­wei­se und Bele- ge sei­tens der Mit­glied­staa­ten gelegt hat. Damit ent­geht er zum Teil der Kri­tik, zu schwe­re Bedeu­tung auf das Er- gebnis selbst und zu wenig auf den Pro­zess zu legen.79 Ande­rer­seits gibt dies dem EuGH mehr Spiel­raum in der Begrün­dung sei­nes Urteils – ins­be­son­de­re da er so in Bres­sol Ver­ständ­nis für die bel­gi­sche Situa­ti­on zei­gen konnte.80

Damit eng zusam­men hängt auch das Pro­zess­verhal- ten der Mit­glied­staa­ten. Es wird in der Ent­schei­dung Kommission/Österreich deut­lich, dass der EuGH wenig Mühe hat­te, die Argu­men­te Öster­reichs abzu­wei­sen. Dem lag offen­sicht­lich auch Kri­tik am Pro­zess­ver­hal­ten Öster­reichs zugrunde.81 Glei­ches gilt auch für die Ver­tei- digung Bel­gi­ens „pre-Bres­sol“, die bis dahin kei­ne den EuGH zufrie­den stel­len­de Recht­fer­ti­gung nahe­brin­gen konnte.82 Dies schei­nen kei­ne Ein­zel­fäl­le zu sein.83

Hin­ge­gen hat das Argu­ment, in dem vor­lie­gen­den Fall han­de­le es sich nur um „Tritt­brett­fah­rer“ in Bezug auf die Nut­zung der grenz­über­schrei­ten­den Mobi­li­tät, das mora­li­sche Gewicht auf sei­ner Sei­te, das auch in dem Urteil des VG Müns­ter durch­schim­mert: Das natio­na­le Ver­fah­ren wird – unter Rück­griff auf das euro­päi­sche Aus­land mit deut­lich höhe­ren Stu­di­en­ge­büh­ren – um- gan­gen, weil des­sen Maß­stä­be gege­be­nen­falls nicht er- füllt wer­den kön­nen. Es fragt sich inso­weit, ob die „Tritt- brett­fah­rer“ noch mit dem eigent­li­chen Zweck in Ein- klang ste­hen. Die­se Abwä­gung nimmt Gene­ral­an­walt Ja- cobs wie folgt vor:

„(41) Es fragt sich, ob die­se zwei Situa­tio­nen recht­lich un- ter­schied­lich behan­delt wer­den soll­ten oder können.

WTO and the NAFTA: Towards a Com­mon Law of International

Trade?.
80 Van der Mei bezeich­ne­te das Urteil des­we­gen als „cle­ver ruling“,

A.P. van der Mei, (13) Euro­pean Jour­nal of Migra­ti­on and Law

2011, 123, 130.
81 Hil­pold aaO. (Fn. 50), S. 650 weist auf Dobrowz, Ecolex 2005,

85, 87 hin, der befürch­te­te, Öster­reich könn­te ver­sucht sein, das Ver­fah­ren halb­her­zig zu betrei­ben, um über die „Hin­ter­tür eines Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­rens” die Ein­füh­rung eines nume­rus clau­sus zu rechtfertigen.

82 Urteil EuGH Gravier/Ville de Liè­ge, Rs. C‑293/83, EU:C:1985:69; Urteil EuGH Kommission/Belgien, Rs. C‑47/93, EU:C:1994:181, Rn. 9; Urteil EuGH, Kommission/Belgien, Rs. C‑65/03, EU:C:2004:402, Rn. 30.

83 Nic Shuibh­ne, Anno­ta­ti­on of Schwarz, Com­mis­si­on v. Ger­ma­ny and Mor­gan (2008), 45 CML Rev, 771, 781–786.

172 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 165–174

Das ist mei­nes Erach­tens zu ver­nei­nen. Der gegen­wär­ti- ge Stand der Recht­spre­chung gibt dafür kei­ne Grund­la- ge her. Bei­de Arten von Stu­den­ten genie­ßen – wenn- gleich aus unter­schied­li­chen Grün­den – indi­vi­du­el­le Rech­te, die ihnen im EG-Ver­trag ein­ge­räumt wur­de , und ich mei­ne nicht, dass die Moti­ve für die Wahl der einen oder der ande­ren Hoch­schu­le irgend­ei­ne Aus­wir­kung auf den Umfang die­ser Rech­te haben soll­ten, vor­aus­ge- setzt natür­lich, dass es zu kei­nem Miss­brauch kommt – ein The­ma, mit dem ich mich im Zusam­men­hang mit der zwei­ten von Öster­reich gel­tend gemach­ten Recht­fer­ti- gung befas­sen werde.“84

Aus­de­mUr­teil­des­Ver­wal­tungs­ge­richts­er­ge­ben­sich kei­ner­lei prä­zi­se Nach­wei­se, die die­sen hohen Kri­te­ri­en des Gerichts­hofs genü­gen wür­den. Viel­mehr dürf­te die- se pau­scha­le Begrün­dung so kei­nen Erfolg haben. Es er- scheint wei­ter­hin zumin­dest zwei­fel­haft, dass sich für das beschrie­be­ne Vor­brin­gen im Rah­men der Recht­fer­ti- gung aus­rei­chend Nach­wei­se oder Bele­ge fin­den las­sen, sodass die nord­rhein-west­fä­li­sche Rege­lung den stren- gen Maß­stä­ben des EuGH standhielte.

VII. Kon­tex­tu­el­le Erwägungen

Die grenz­über­schrei­ten­de Mobi­li­tät Stu­die­ren­der inner- halb der EU nimmt immer grö­ße­re Aus­ma­ße an:85 Bereits 2008 stu­dier­ten etwa 500.000 Stu­den­ten in ande- ren Mit­glied­staa­ten als ihrem Hei­mat­staat; dies ent- spricht einem Zuwachs von 50% gegen­über dem Jahr 2000.86 Die EU-Minis­ter haben sich dar­auf geei­nigt, den Anteil der Stu­die­ren­den, die einen Teil ihres Studiums

  1. 84  Schluss­an­trä­ge GA Jacobs, Kommission/Österreich, Rs. C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 41.
  2. 85  Bode, Euro­pa­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­an­sprü­che Stu­die­ren- der und ihre Aus­wir­kun­gen in den Mit­glied­staa­ten, S. 21.
  3. 86  Com­mis­si­on Staff Working Docu­ment, SEC(2011)526 “Pro­gress Towards the Com­mon Euro­pean Objec­ti­ves in Edu­ca­ti­on and Trai­ning (2010/2011): Indi­ca­tors and Bench­marks”, S. 34 ff.
  4. 87  http://ec.europa.eu/education/policy/higher-education/mobility- cbc_de.htm (7.6.2015).
  5. 88  Hin­ge­wie­sen sei exem­pla­risch auf die Pro­gram­me Eras­mus, Eras- mus+, Euro­päi­scher Hoch­schul­raum oder den Bolo­gna-Pro­zess. Vgl. dazu eben­so Kom­mis­si­on, KOM(2009) 329, Grün­buch — Die Mobi­li­tät jun­ger Men­schen zu Lern­zwe­cken för­dern oder Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on KOM(2010) 2020, EUROPA 2020, Eine Stra­te­gie für intel­li­gen­tes, nach­hal­ti­ges und inte­gra­ti­ves Wachstum.
  6. 89  Bei­spiel­haft sind die Äuße­run­gen vom ehe­ma­li­gen öster­rei­chi­schen Bun­des­kanz­ler Schüs­sel in Par­ker, Aus­tri­an chan­cell­or urges EU court to heed natio­nal fee­lings, Finan­cial Times (20.4.2006), oder vom ehe­ma­li­gen däni­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Ras­mus­sen, EUOb- server.com, unter euobserver.com/9/20666.
  7. 90  O’Leary, The Social Dimen­si­on of Com­mu­ni­ty Citi­zen­ship, in: Rosas/Antola (Hrsg.), A Citizen’s Euro­pe, 156, 178.
  8. 91  Vgl. statt vie­ler Hal­tern aaO. (Fn. 40), Rn. 1326. Hal­tern führt in Rn. 1370 aus: „Damit wird nach­voll­zieh­bar, was – mit dem Be-

oder ihrer Aus­bil­dung im Aus­land absol­vie­ren, bis 2020 auf 20 % zu erhöhen.87 Die Akti­vi­tät der EU-Orga­ne in die­sem Bereich ist eben­falls beträchtlich.88 Dem­ge­gen- über ste­hen – bereits ange­spro­che­ne – mit­glied­staat­li­che Beden­ken gegen­über die­ser stu­den­ti­schen Mobilität.89

Die­se grenz­über­schrei­ten­de Mobi­li­tät dient nicht mehr nur den Stu­den­ten selbst. Drei kon­tex­tu­el­le Erwä- gun­gen lie­gen hin­ter der bis­he­ri­gen Spruch­pra­xis des EuGH und kön­nen auch im gegen­wär­ti­gen Fall frucht- bar gemacht wer­den. Die star­ke Ein­däm­mung mit­glied- staat­li­cher Macht und Erwei­te­rung des Ein­flus­ses der EU-Orga­ne ist ers­tens im Rah­men der Ent­wick­lung ei- ner euro­päi­schen Iden­ti­tät zu sehen.90 Zwei­tens sind kon­tex­tu­el­le poli­ti­sche Hin­ter­grün­de zu beleuch­ten. Drit­tens offen­ba­ren auch wirt­schaft­li­che Hin­ter­grün­de einen ande­ren, beach­tens­wer­ten, Blick auf das Bild der Rechtsprechung.

Ers­tens: Die Ver­schrän­kung der The­ma­tik der Uni- ons­bür­ger­schaft mit dem Iden­ti­täts­dis­kurs wur­de bereits aus­gie­big an ande­rer Stel­le besprochen.91 Die Grund­idee dabei ist, dass durch die Begeg­nung von Stu­die­ren­den ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten ein Gefühl der gemein­sa- men Zuge­hö­rig­keit zu Euro­pa unter den Teil­neh­mern ent­steht, und auf die­sem Wege euro­päi­sche Bür­ger ge- formt werden.92

In Bezug auf Stu­die­ren­de wird die­se Idee durch meh- rere poli­tik- und sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en ge- stützt: Die­se wei­sen dar­auf hin, dass Stu­den­ten, die einen Stu­di­en­auf­ent­halt inner­halb Euro­pas absol­viert haben, – im Ver­gleich zu nicht-mobi­len Stu­den­ten – eher anga- ben, sich als Euro­pä­er zu fühlen.93 Dabei kamen eini­ge Stu­di­en zu dem Ergeb­nis, dass wäh­rend der Auslandspe-

griff und der Pra­xis der Uni­ons­bür­ger­schaft – auf dem Spiel steht. Wer sich als Bür­ger eines Gemein­we­sens defi­niert, nimmt den trans­tem­po­ra­len, kol­lek­ti­ven Cha­rak­ter die­ses Gemein­we­sens in sei­ne indi­vi­du­el­le Iden­ti­tät mit auf. (…) Die­ser erfolg­rei­che Vor­gang hat zur Fol­ge, dass er Ansprü­che stel­len kann, die im Extrem­fall das Äußers­te von sei­nen Bür­gern ver­lan­gen und doch als legi­tim be- trach­tet wer­den. Dies kann erfül­lend und sinn­stif­tend sein. Es kann aber auch zu all jenen Kata­stro­phen und Hyper­tro­phien füh­ren, die uns aus dem blu­ti­gen letz­ten Jahr­hun­dert bekannt sind.“

92 Mit­chell, Stu­dent mobi­li­ty and Euro­pean Iden­ti­ty: Eras­mus Stu­dy as a civic expe­ri­ence?, Jour­nal of Con­tem­po­ra­ry Euro­pean Rese­arch 8(4) 2012, S. 490 ff.

93 Basie­rend auf Deutsch et al., Poli­ti­cal Com­mu­ni­ty and the North Atlan­tic Area; Lij­phart, Tou­rist Traf­fic and Inte­gra­ti­on Poten-
tial, Jour­nal of Com­mon Mar­ket Stu­dies, Vol. 2 No. 3 1964, S.
251 ff.; Flig­stein, Euro­clash. The EU, Euro­pean Iden­ti­ty, and the Future of Euro­pe; Mit­chell aaO. (Fn. 91); Recchi/Favell, Pio­neers of Euro­pean Inte­gra­ti­on. Citi­zen­ship and Mobi­li­ty in the EU; Roe­der, Does Mobi­li­ty Mat­ter for Atti­tu­des to Euro­pe? A Mul­ti- level Ana­ly­sis of Immi­grants‘ Atti­tu­des to Euro­pean Uni­fi­ca­ti­on, Poli­ti­cal Stu­dies, Vol. 59 No. 2 2011, S. 458–471; Kom­mis­si­on (Auf­trag­ge­ber), The Eras­mus Impact Stu­dy, Effects of mobi­li­ty on the skills and employa­bi­li­ty of stu­dents and the inter­na­tio­na­li­sa­ti- on of hig­her edu­ca­ti­on insti­tu­ti­ons, S. 136.

Schul­tes · Anmer­kung zum Beschluss des VG Müns­ter vom 16.10.2014 1 7 3

riode das Gefühl einer euro­päi­schen Iden­ti­tät noch­mals ver­stärkt wird;94 ande­re Stu­di­en nach ver­än­dert sich die Ein­stel­lung nicht signi­fi­kant im Zeit­ver­lauf des Aus- landsjahres.95 Inso­fern scheint der Schluss der­ge­stalt na- helie­gend, dass ein Aus­lands­auf­ent­halt zumin­dest das Poten­ti­al hat, die Ein­stel­lung zur euro­päi­schen Iden­ti­tät zu ver­än­dern. Die­ses Poten­ti­al ent­fal­tet sich jedoch – evtl. abhän­gig von der vor­he­ri­gen Ein­stel­lung – bei nicht allen Teilnehmenden.96

Wie Hal­tern aus­führt, liegt die Uni­ons­bür­ger­schaft als Folie über der Fra­ge, wer wir sind und wel­che Iden­ti- tät wir haben.97 Dies könn­te umso mehr gel­ten ange- sichts der Über­le­gung, dass Stu­die­ren­de durch ihre Mo- bili­tät und durch ihre Zuge­hö­rig­keit zur intel­lek­tu­el­len Eli­te „Uni­ons­bür­ger par excel­lence“ und „Hoff­nungs­trä- ger des Inte­gra­ti­ons­pro­zes­ses“ sind.98 Inso­fern lässt sich jedoch mit den obi­gen Ergeb­nis­sen im Gegen­teil fra­gen, ob für die Ver­an­ke­rung die­ser Idee nicht ande­re Schich- ten als der jun­ge und gut aus­ge­bil­de­te Euro­pä­er geeig­ne- ter wären.99

Zwei­tens sind die poli­ti­schen Hin­ter­grün­de zu beach- ten. Es ist kei­nes­wegs der Fall, dass der EuGH aus- schließ­lich für die Inte­gra­ti­on im Bil­dungs­be­reich ver- ant­wort­lich ist; so haben die Mit­glied­staa­ten selbst eine bedeu­ten­de Rol­le in der Euro­päi­sie­rung der Bil­dung ge- spielt.100 Beson­ders erkenn­bar wird dies durch den Bolo- gna-Pro­zess, einen zwi­schen­staat­li­chen Reform­pro­zess, der am 19.6.1999 mit der Unter­zeich­nung der so genann-

  1. 94  van Mol, From EU-iden­ti­fi­ca­ti­on Towards a Wider Euro­pean iden­ti­ty. The Influence of Euro­pean Stu­dent Mobi­li­ty on Euro- pean Iden­ti­ty, Paper for the ISA Con­fe­rence 2010; van Mol, The Influence of Euro­pean Stu­dent Mobi­li­ty on Euro­pean Iden­ti­ty and Sub­se­quent Migra­ti­on Beha­vi­or, in: Der­vin (Hrsg.): Ana­ly- sing the Con­se­quen­ces of Aca­de­mic Mobi­li­ty and Migra­ti­on S. 29 ff.; Streit­wie­ser, Eras­mus Mobi­li­ty Stu­dents and Con­cep­ti­ons of Natio­nal, Regio­nal and Glo­bal Citi­zen­ship Iden­ti­ty, Nor­thwes­tern Uni­ver­si­ty, Cen­ter for Glo­bal Enga­ge­ment (Working Paper No. 11–001).
  2. 95  Sig­a­las, Cross-bor­der mobi­li­ty and Euro­pean iden­ti­ty: The effec- tive­ness of inter­group cont­act during the ERASMUS year abroad, Euro­pean Uni­on Poli­tics 11(2), S. 241 ff.; Wil­son, What Should We Expect of ‚Eras­mus Gene­ra­ti­ons‘?, Jour­nal of Com­mon Mar­ket Stu­dies, Vol. 49, No. 5 2011, S. 1113–1140. Ver­schie­de­ne Erklä­run­gen wer­den für die Diver­gen­zen her­vor­ge­bracht: Zum einen beruht die Stu­die von Wil­son auf einer rela­tiv klei­nen Stich- pro­be (99 Eras­mus-Stu­die­ren­de, 145 Stu­die­ren­de ohne­Aus­lands- auf­ent­halt); die Stu­die von Sig­a­las kon­zen­triert sich zudem nur auf Eng­land als Ent­sen­de- und Emp­fän­ger­land. Der Kon­text in die­sem Zusam­men­hang kann aber durch­aus von Bedeu­tung sein; Unter­schie­de inner­halb der euro­päi­schen Län­der wur­den in wei- teren Stu­di­en aus­ge­macht, vgl. van Mol, Euro­pe on the Move. A stu­dy into intra-Euro­pean stu­dent exch­an­ges in hig­her edu­ca­ti­on. Ins­be­son­de­re wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Ein­stel­lung bezüg­lich der euro­päi­schen Iden­ti­tät im Ver­ei­nig­ten König­reich abwei­chend zu ande­ren euro­päi­schen Län­dern sein könn­te, vgl. Haw­kins, Nati­on, Sepa­ra­ti­on and Thre­at: An Ana­ly­sis of Bri­tish Media Dis­cour­ses on the Euro­pean Uni­on Trea­ty Reform Pro­cess, Jour­nal of Com­mon Mar­ket Stu­dies Vol. 50 2012, S. 561–577.

ten Bolo­gna-Erklä­rung durch Hoch­schul­mi­nis­ter und ‑minis­te­rin­nen aus 29 euro­päi­schen Län­dern begann. Die­se Erklä­rung beginnt mit den Worten:

„Dank der außer­or­dent­li­chen Fort­schrit­te der letz­ten Jah­re ist der euro­päi­sche Pro­zeß für die Uni­on und ihre Bür­ger zuneh­mend eine kon­kre­te und rele­van­te Wirk- lich­keit gewor­den. Die Aus­sich­ten auf eine Erwei­te­rung der Gemein­schaft und die sich ver­tie­fen­den Beziehun- gen zu ande­ren euro­päi­schen Län­dern ver­grö­ßern die Dimen­si­on die­ser Rea­li­tät immer mehr.“

Es folgt zwei­mal die For­mu­lie­rung „Euro­pa des Wis- sens“.101 Die­se For­mu­lie­run­gen in einem außer­halb des euro­päi­schen Rah­mens ange­leg­ten Abkom­men schei­nen nicht nur den oben beschrie­be­nen Beden­ken der Mit- glied­staa­ten zu wider­spre­chen; sie ebnen dem Gerichts- hof wei­ter­hin den Weg für weit­rei­chen­de Ent­schei­dun- gen wie Kommission/Österreich oder Bres­sol.102 Eben­so wird dar­auf hin­ge­wie­sen – und dies dürf­te min­des­tens eben­so bedeu­tend sein – dass die Kom­mis­si­on im Zuge des Bolo­gna-Pro­zes­ses deut­lich an Ein­fluss­nah­me und Spiel­raum gewon­nen hat. Sie konn­te die Ent­wick­lung ei- nes „Euro­pas des Wis­sens“ nur als ein Zuwer­fen des Spiel­bal­les deu­ten und sah sich fort­an als Spiel­ma­cher des wei­te­ren Pro­zes­ses. Auch die­ser ebne­te den Weg für die behan­del­ten Urtei­le des EuGH.103

Wich­ti­ger erscheint aller­dings das Argu­ment, dass sich Eras­mus- Stu­die­ren­de gegen­über nicht-mobi­len Stu­die­ren­den bereits vor dem Aus­lands­auf­ent­halt durch eine höhe­re Affi­ni­tät zu Euro­pa, durch eine ansatz­wei­se bereits vor­han­de­ne Art euro­päi­scher Iden­ti­tät aus­zeich­nen. Sig­a­lasvan Mol und Wil­son kom­men zu die­sen Ergeb­nis­sen. Die­se Hypo­the­se lässt sich der­zeit jedoch noch nicht end­gül­tig über­prü­fen; dies­be­züg­lich besteht noch wis­sen­schaft­li­cher Aufholbedarf.

96 So auch Kuhn, Why Edu­ca­tio­nal Exch­an­ge Pro­gram­mes Miss Their Mark: Cross-Bor­der Mobi­li­ty, Edu­ca­ti­on and Euro­pean Iden­ti­ty, Jour­nal of Com­mon Mar­ket Stu­dies (50) 2012, S. 994.

97 Hal­tern aaO. (Fn. 40), Rn. 1374.
98 So Hil­pold aaO. (Fn. 50), 471.
99 Die­se Theo­rie ent­wi­ckelt Kuhn aaO. (Fn. 95), S. 994 ff. mit

Hin­weis dar­auf, dass Euro­pä­er aus nie­de­ren Bil­dungs­schich­ten in der Regel nicht in Berüh­rung mit der För­de­rung der grenz­über- schrei­ten­den Mobi­li­tät kommen.

100 Gar­ben, The Bolo­gna pro­cess and the Lis­bon stra­tegy: com­mer- cia­li­sa­ti­on of hig­her edu­ca­ti­on through the back door? Croa­ti­an Year­book of Euro­pean Law and Poli­cy (6) 2010, 209, 217.

101 Der Euro­päi­sche Hoch­schul­raum Gemein­sa­me Erklä­rung der Euro­päi­schen Bil­dungs­mi­nis­ter, 19.6.1999.

102 Es dürf­te kein Zufall sein, dass GA in Sharps­ton den Bolo­gna-Pro- zess auch in ihren weit­rei­chen­den und ein­schnei­den­den Schlus- san­trä­gen im Bres­sol-Fall nutzt: Schluss­an­trä­ge GAin Sharps­ton, Bres­sol u.a., Rs. C‑73/08, EU:C:2009:396, Rn. 1.

103 Gar­ben aaO. (Fn. 103), 219; Ravi­net, From Vol­un­t­a­ry Par­ti­ci- pati­on to Moni­to­red Coor­di­na­ti­on: Why Euro­pean Count­ries Feel Incre­asing­ly Bound by their Com­mit­ment to the Bolo­gna Pro­cess, 43 (3) Euro­pean Jour­nal of Edu­ca­ti­on 2008, 353, 357.

174 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 165–174

Drit­tens sind jedoch immer mehr For­mu­lie­run­gen wie die einer „wis­sens­ba­sier­ten“ Wirt­schaft und einem wett­be­werbs­fä­hi­gen Bil­dungs­sys­tem in den Fokus ge- rückt. Die­se For­de­rung wur­de sodann nicht nur be- zeich­nen­der­wei­se zum Schlüs­sel­wort der Lis­sa­bon-Stra- tegie,104 son­dern fand sich auch in Begrün­dungs­strän­gen der han­deln­den Organe.105 Die immer wie­der­keh­ren­de Rhe­to­rik zeigt die der Idee zugrun­de lie­gen­de Kraft. Fe- jes führt in die­sem Sin­ne aus:

„[the] pla­net­speak rhe­to­ric such as the ide­as of the know- ledge socie­ty, employa­bi­li­ty, lifel­ong lear­ning, qua­li­ty as- surance and mobi­li­ty […] con­sti­tu­te a way of thin­king that makes par­ti­ci­pa­ti­on in the Bolo­gna pro­cess and the im- ple­men­ta­ti­on of its objec­ti­ves a ratio­nal way to act.”106

VIII. Fazit

Die­se drei im Hin­ter­grund lau­fen­den kon­tex­tu­el­len Erwä­gun­gen sind eben­so zu beach­ten, wenn der Stand-

punkt des Gerichts­ho­fes aus­ge­leuch­tet wer­den soll. Inso- fern erscheint es – auch unter Berück­sich­ti­gung der beschrie­be­nen Ent­schei­dun­gen Bres­sol und Kommission/ Öster­reich – nur schwer nach­voll­zieh­bar, dass dem EuGH die kur­ze und auf eine „Inten­si­tät des Zulas­sungs- anspru­ches“ gestütz­te Argu­men­ta­ti­on genü­gen wür­de. Auch erscheint frag­lich, ob der stren­gen Nach­weis­pflicht Genü­ge getan wer­den könn­te; pau­scha­le Begrün­dun­gen rei­chen dem EuGH jeden­falls aus­drück­lich nicht. Es dür­fen Zwei­fel bestehen, ob die nord­rhein-west­fä­li­sche Rege­lung in die­ser Form vor dem EuGH Bestand hätte.

Der Autor ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter des Ins­ti- tuts für Öffent­li­ches Recht, Abt. 1: Euro­pa- und Völ­ker- recht der Albert-Lud­wigs-Uni­ver­si­tät Freiburg.

104 http://www.consilium.europa.eu/de/uedocs/cms_data/docs/ pressdata/en/ec/00100-r1.en0.htm (07.06.2015).

105 Gar­ben aaO. (Fn. 103), S. 227 ff.
106 Fejes, The Bolo­gna pro­cess: gover­ning hig­her edu­ca­ti­on in

Euro­pe through stan­dar­diza­ti­on, in: Halvorsen/Nyhagen (Hrsg.): The Bolo­gna pro­cess and the shape­ning of the future know­ledge socie­ties, S. 219.