Die Entscheidung des Bundearbeitsgerichts befasst sich mit dem Zustandekommen eines Arbeitsvertrages durch eine Realofferte und deren Annahme vor dem Hinter- grund, dass die (vermeintlichen) Vertragsparteien in der Leitung einer Hochschule öffentlich-rechtliche Befug- nisse ausüben. Der öffentlich-rechtliche Hintergrund schlägt auf die vordergründige Auslegung schlüssigen Verhaltens im Rechtsverkehr durch.
I. Sachverhalt
Der erfolglosen Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21.1.20131 liegt folgender Sachverhalt zu Grunde. Der Kläger ist Student an der Universität Rostock. Deren Grundordnung bestimmt, dass die Universität durch ein Rektorat geleitet wird, dem auch ein immatrikulierter Studierender als studentischer Prorektor angehört. Der studentische Prorektor wird durch das Konzil für die Dauer eines Jahres gewählt. § 20 der Grundordnung i.d.F. vom 25.7.2008 lautet:
„Die Prorektorinnen/Prorektoren nehmen die ihnen von der Rektorin/dem Rektor zugewiesenen Aufgabenberei- che selbstständig und in eigener Verantwortung unter Berücksichtigung der Gesamtverantwortung und Richt- linienkompetenz der Rektorin/des Rektors wahr (Res- sortprinzip).“
Der Kläger wurde vom Konzil für die Dauer eines Jah- res in das Rektorat gewählt. Der Rektor bestellte den Kläger für die Wahlperiode als Prorektor für studentische Angele- genheiten. Nach der Bestellung teilte der Personaldezernent dem Kläger mit, dass er für die Wahrnehmung seiner Auf- gaben eine monatliche Aufwandsentschädigung i.H.v. 800 € brutto erhalte und wies darauf hin, dass ein Arbeitsver- hältnis nicht begründet werde.
In der Folge ließ sich der Kläger von seinem Studium beurlauben und engagierte sich faktisch in Vollzeit für das Amt. Neben der monatlichen Aufwandsentschädi- gung bezog der Kläger Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Im Verlauf der Amtsperiode kam es zu Mei- nungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger einerseits
1 LAG, 21.1.2013 – 1 Sa 74/12.
und der Bundesagentur für Arbeit und seiner Kranken- kasse andererseits, ob es zulässig sei, dass der Kläger eine Aufwandsentschädigung erhalte. Dies nahm der Kläger zum Anlass, beim Rektor vorstellig zu werden, um einen Arbeitsvertrag über seine Tätigkeit als studentischer Prorektor abzuschließen. Die Universität unterbreitete ihm daraufhin mehrere Vorschläge, wie ein solches Ar- beitsverhältnis ausgestaltet werden könnte. Der Kläger lehnte sämtliche Vorschläge ab.
Nach Ablauf der ersten einjährigen Wahlperiode wurde der Kläger in das Amt des Prorektors für studentische Angelegenheiten wiedergewählt. Eine erneute Bestel- lung zum Prorektor unterblieb, der Rektor sagte ihm je- doch auch für die zweite Amtszeit eine monatliche Auf- wandsentschädigung von 800 € brutto zu. Ungeachtet des- sen nahm der Kläger – im Einverständnis mit dem Rektor – auch in der zweiten Wahlperiode sein Amt wahr. Aufgrund bürokratischer Schwierigkeiten unterblieb zunächst die Auszahlung der Aufwandsentschädigung.
Mit seiner Klage will der Kläger feststellen lassen, dass seit seiner erstmaligen Bestellung als Prorektor ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Land bestehe Hilfsweise begehrt er für den Fall des Erfolgs dieses An- trags – die Feststellung, dass das beklagte Land verpflich- tet sei, dem Kläger ab diesem Zeitpunkt eine Vergütung entsprechend der Besoldungsgruppe W3 der Bundesbe- soldungs-Ordnung zu zahlen. Er ist der Auffassung, in der Folge seiner Bestellung zum studentischen Prorektor sei ausdrücklich oder jedenfalls durch schlüssiges Ver- halten ein Arbeitsverhältnis mit dem Land zustande ge- kommen. Es sei unschädlich, dass man sich über die Höhe der Vergütung nicht geeinigt habe. Aufgrund der fehlenden Vereinbarung über die Höhe der Vergütung habe er Anspruch auf, die ortsübliche Vergütung.
II. Entscheidung
Die Klage hatte weder beim Arbeitsgericht noch beim Landesarbeitsgericht Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hat auch die Revision zurückgewiesen. In dogmatischer Gründlichkeit prüft das Gericht, ob dem von den Vorin- stanzen festgestellten Sachverhalt entnommen werden kann, dass die Parteien des Rechtsstreits einen Arbeits-
Felix Hornfischer
Anmerkung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9.4.2014 – 10 AZR 590/13
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISBN/ISSN 3–45678-222–7
24 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2015), 23–26
vertrag geschlossen haben. Maßstab sind die §§ 145 ff. BGB unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts.2 Schwerpunkt der folgenden, am aufge- zeigten Maßstab ausgerichteten Prüfung ist, ob die Par- teien zwei übereinstimmende Willenserklärungen aus- getauscht haben, die darauf abzielten, dass sich der Klä- ger gegenüber dem beklagten Land dazu verpflichtet, weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persön- licher Abhängigkeit zu erbringen. Hinsichtlich des objektiven Geschäftsinhalts ist dabei – falls sich Verein- barung und tatsächliche Durchführung widersprechen – die tatsächliche Durchführung entscheidend.3
Bei dieser Prüfung berücksichtigt das Bundesarbeits- gericht den öffentlich-rechtlichen Bezug des Sachverhal- tes: Das Verhalten des Rektors sowie des Klägers müssen hinsichtlich ihres objektiven Erklärungsgehalts vor dem Hintergrund gewürdigt werden, dass beide Ämter nach der Grundordnung der Universität bekleiden und als Amtsträger handeln.
1. Wahl des Klägers und seine Bestellung zum Prorektor für studentische Angelegenheiten
Demnach kann in der (erstmaligen) Bestellung des Klä- gers durch den Rektor als Vertreter des beklagten Landes kein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages nach § 145 BGB gesehen werden. Der Kläger wurde vom Konzil nach § 20 Abs. 2 der Grundordnung der Univer- sität in das Amt eines Prorektors gewählt. Die Bestellung durch den Rektor ist im Hinblick auf die bereits erfolgte, konstitutive Wahl als öffentlich-rechtliche Zuweisung der Aufgaben des Prorektors für studentische Angele- genheiten nach § 19 Abs. 3 Satz 2 der Grundordnung sowie nach § 12 der Geschäftsordnung des Rektorats zu verstehen.4 Für einen darüber hinausgehenden, privat- rechtlichen Erklärungsgehalt, dem Kläger den Abschluss eines Arbeitsvertrages anbieten zu wollen, spricht nichts. Die Aufgabenzuweisung durch den Rektor ist ein einsei- tiger öffentlich-rechtlicher Akt, der gegenüber dem Klä- ger als bereits gewählten Prorektor – also als Amtsträger – erfolgte. Anders als die Wahl durch das Konzil, die ver- waltungsrechtlich als Status begründender Hoheitsakt mit Außenwirkung gegenüber dem Kläger zu verstehen ist, ist die Bestellung ein verwaltungsinterner Akt des Rektors an seine ihm nachgeordneten Prorektoren. Als solcher Akt bedarf die Zuweisung auch nicht der Mit- wirkung, geschweige denn der Zustimmung des Klägers. Insoweit kann die Bestellung durch den Rektor nicht als privatrechtliches Angebot auf Abschluss eines Arbeits-
- 2 BAG 9.4.2014 – 10 AZR 590/13, Tz. 16.
- 3 BAG 25.9.2013 – 10 AZR 282/12, Tz. 17; BAG 15.2.2012 – 10 AZR111/11, Tz. 14.
vertrages verstanden werden, über dessen Annahme der Kläger hätte entscheiden können.
2. Zustandekommen eines Arbeitsvertrages durch konkludente Annahme einer Realofferte
Als weiteren Anknüpfungspunkt für den möglichen Abschluss eines Arbeitsvertrages prüft das Bundesar- beitsgericht ein schlüssiges Verhalten der Parteien. Ein Arbeitsvertrag kann grundsätzlich durch den Austausch von Realofferte und deren Annahme zustande kommen. „Haben Parteien z.B. über einen Zeitraum von mehreren Jahren einvernehmlich Dienstleistung und Vergütung ausgetauscht, so kann darin der übereinstimmende Wil- le der Parteien zum Ausdruck kommen, einander zu den tatsächlich erbrachten Leistungen arbeitsvertraglich ver- bunden zu sein“.5 Die ausdrücklichen Erklärungen der Parteien während der Amtsausübung des Klägers waren stets widersprüchlich. Der Rektor und der Kanzler stan- den auf dem Standpunkt, der Kläger übe ein Ehrenamt oder eine selbständige Tätigkeit aus oder stehe in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Dagegen begehrte der Kläger den Abschluss eines privatrechtlichen Arbeits- vertrages. Es wurde keine Einigung darüber erzielt, dass der Kläger seine Dienste auf der Grundlage eines Arbeitsver- trages erbringen soll.
Im Übrigen erbrachte der Kläger keine Realofferte, die das beklagte Land durch den Rektor hätte annehmen können. Konsequent versteht das Bundesarbeitsgericht die Leistungserbringung durch den Kläger als Ausübung seiner Amtsbefugnisse und ‑pflichten.
„Der Kl. nahm sodann seine Tätigkeit in dem ihm zuge- wiesenen Bereich der studentischen Angelegenheiten wahr. Rechtsgrundlage aller dieser Handlungen waren die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Landeshoch- schulgesetzes (§§ 18 ff. LHG M‑V), der Grundordnung (§§ 8, 14 ff.) und der Geschäftsordnung des Rektorats (insbesondere § 12), die den betreffenden Personen nach näherer Maßgabe ihrer Bestimmungen Befugnisse zur Ausübung öffentlicher Funktionen zuweisen […]. Ir- gendwelcher privatrechtlicher Vereinbarungen hat es nicht bedurft. Dass die Parteien auch in solchen Fällen einen Arbeitsvertrag schließen können, steht außer Fra- ge. Sie müssen es aber nicht. Ergibt ihr Verhalten keinen weiteren Erklärungswert als den, öffentlich-rechtlich ge- gebene Befugnisse auszuüben, liegt darin nicht die Be- gründung eines Arbeitsverhältnisses“.6
4 BAG, aaO (Fn. 2), Tz. 18. 5 BAG, aaO (Fn. 2), Tz. 26. 6 BAG, aaO (Fn. 2), Tz. 29.
Hornfischer · Anmerkung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9.4.2014 2 5
III. Bewertung vor dem Hintergrund der Amtsträge- reigenschaft des Klägers und des Rektors
Die Realofferte und ihre konkludente Annahme setzen Verhaltensweisen voraus, die als Willenserklärungen die Privatautonomie der Parteien zum Ausdruck bringen. Werden natürliche Personen in ihrer Eigenschaft als Amtsträger tätig, handeln Sie grundsätzlich nicht „pri- vatautonom“, sondern auf der Grundlage gesetzlich auf- gegebener Pflichten und eingeräumter Befugnisse. Den das Amt bekleidenden Personen ist es nach wie vor mög- lich, auch privatrechtliche Willenserklärungen abzuge- ben. Die Erfüllung der Amtspflichten und die Ausübung amtlicher Befugnisse haben jedoch nicht ohne weiteres einen privatrechtlich relevanten Erklärungswert.
Offen bleibt die Frage, in welchen Fällen öffentlich- rechtliches Handeln einen weiteren Erklärungswert er- gibt, als den, öffentlich-rechtlich gegebene Befugnisse auszuüben. Zwar kann ein Amtsträger in Ausübung sei- ner Amtspflicht und im Rahmen seiner Vertretungs- machtprivatrechtlicheVerträgefürdieKörperschaftab- schließen, die er vertritt (so z.B. der Rektor mit Wirkung für und gegen die Universität bzw. das Land). Ein Amts- träger kann sich aber in der Regel nicht darauf berufen, dass seine Amtsausübung zugleich Ausdruck seiner Pri- vatautonomie als natürlicher Person ist und daher auf ei- nen Vertragsabschluss mit ihm als natürlicher Person abzielt.
IV. Folgen für die Praxis
Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für jene Akteure, die im Bereich der Selbstverwaltung der Hoch- schulen „Ehrenämter“ bekleiden und nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Selbstver- waltungskörperschaft stehen. Dies gilt etwa für gewählte studentische Mitglieder von Selbstverwaltungsorganen, deren Aufgabenerfüllung eine „Vollzeit“-Beschäftigung erfordert. Ein prominentes Beispiel sind die Vertreterin- nen und Vertreter der Studierenden der Hochschulen in den Verwaltungsräten der Studierendenwerke.7 Die Ver- waltungsräte haben nach § 6 Abs. 1 und 2 StWG BW zahlreiche Aufgaben, die von den studentischen Mitglie-
- 7 Vgl. für Baden-Württemberg § 6 Abs. 3 Nr. 2 Studierendenwerks- gesetz Baden-Württemberg – StWG BW i.d.F. v. 15.9.2005 [GBl. 2005, 621] zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 1.4.2014 [GBl. 2014, 99, 165].
- 8 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 SGB III.
dern erfüllt werden müssen und einiges Engagement erfordern.
Pauschale Aufwandsentschädigungen können dabei motivierend wirken und eine Anerkennung für das En- gagement der Studierenden zum Ausdruck bringen. Eine solche pauschale Aufwandsentschädigung kann je- doch sozialrechtliche Folgeprobleme aufwerfen. Studie- rende sind in der Kranken- und Pflegeversicherung ver- sicherungspflichtig, bis sie das 14. Fachsemester abge- schlossen oder das 30. Lebensjahre beendet haben. Eine Rentenversicherungspflicht besteht nicht. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII sind Studierende kraft Gesetzes während ihrer Studienzeit unfallversichert, allerdings ohne beitragspflichtig zu sein. Gehen Studierende einer Beschäftigung nach, werden sie jedoch umfassend sozi- alversicherungspflichtig.8 Wird nachträglich festgestellt, dass ein ehrenamtlich tätiger Studierender im sozialver- sicherungsrechtlichen Sinne einer abhängigen Beschäfti- gung nachgegangen ist, kann der beteiligte Träger bis zur Grenze der Verjährung9 dazu herangezogen werden, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nachzuentrichten. Dies umfasst die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträ- ge. Eine Ausnahme hiervon greift nur, wenn gegenüber der Beschäftigung das Studium noch im Vordergrund steht.10 Ist dies nicht der Fall, kann eine pauschale Auf- wandsentschädigung auf eine abhängige Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne hindeuten. Dieser Begriff ist zwar nicht inhaltsgleich mit dem ar- beitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses. Das Urteil des BAG stellt jedoch ein starkes Indiz dafür dar, dass bei ehrenamtlichen studentischen Organmitglie- dern oder Amtswaltern juristischer Personen des öffent- lichen Rechts auch ein sozialversicherungsrechtlich rele- vantes Beschäftigungsverhältnis nicht ohne weiteres zu bejahen ist.
Gleichwohl tun die Hochschulen gut daran, für diese Amtsträger Regelungen vorzuhalten, die für den entste- henden Aufwand einen angemessenen Ausgleich vorse- hen und die Amtsausübung auf eine klare rechtliche Grundlage stellen, insbesondere auch im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Fragen.
Der Autor ist Richter beim Landgericht Freiburg.
9 § 25 SGB IV: Vier Jahre ab Fälligkeit.
10 Sog. Werkstudentenprivileg, § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, § 27 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 SGB III.
26 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2015), 23–26