I. Einleitung
Im März 2017 sollte die Karlsruher Materialforscherin
Britta Nestler mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet
werden. Die Verleihung fand nicht statt, weil
anonyme Hinweise die Forschungen der Nominierten in
Zweifel gezogen hatten. Nachdem die Hinweise gründlich
geprüft, die Forscherin angehört und Gutachter eingeschaltet
wurden, stellten sich die Vorwürfe als haltlos
heraus. Die Wissenschaftlerin wurde in allen Punkten
vollständig entlastet und die Preisverleihung auf der Jahresversammlung
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
nachgeholt.
Dieser Fall hat für große Aufmerksamkeit gesorgt, ist
aber kein Einzelfall. Im Jahr 2017 wurde etwa jede zehnte
Anfrage an den Ombudsmann für die Wissenschaft
der DFG anonym gestellt, heißt es in dessen Jahresbericht.
Davon konnten die meisten Anfragen in Beratungen
geklärt werden. In drei Fällen wurden die Hinweise
zusammen mit eingereichten Belegen an die jeweiligen
Institutionen weitergeleitet, weil „der Verdacht auf ein
schweres wissenschaftliches Fehlverhalten nachvollziehbar
dargelegt wurde“.1
Wie die Wissenschaft mit anonymen Hinweisen und
Anschuldigungen umgehen soll, ist ein aktuelles und
hochbrisantes Thema, dem sich eine Tagung der Universität
Passau am 20. und 21. Februar 2020 widmete.2 Die
Teilnehmer wollten nicht nur das Problem der anonymen
Hinweise in der Wissenschaft erörtern, sondern
auch Verfahren, die der Aufklärung dienen, näher analysieren.
Dazu gehört es natürlich auch, die Ursachen für
dieses Phänomen näher zu erforschen. Gibt es Gründe,
warum gerade in der Wissenschaft anonyme Hinweise
häufig auftreten und vielleicht sogar notwendig sind?
II. Aufkommen von Verdachtsäußerungen
Der Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird in
höchst verschiedenen Situationen geäußert. Häufig geht
es um die objektive Sicherung des Wissenschaftsbetriebs.
Bei diesen Fallkonstellationen nimmt ein Wissenschaftler
oder eine Institution wahr, dass eine bestimmte
wissenschaftliche Veröffentlichung oder Arbeit unter
Verletzung allgemein anerkannter oder selbst definierter
Regeln „guter wissenschaftlicher Praxis“ entstanden ist.3
In diesen Kontext fallen sicher auch „Untersuchungen“
von Internetplattformen wie „Vroni-Plag“ und darauf
Bezug nehmende Anträge von Wissenschaftlern auf
Überprüfung, ob die eigenen Forschungsarbeiten Verstöße
aufweisen.4 In anderen Fällen wird der Verdacht
des wissenschaftlichen Fehlverhaltens aus der Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaftlern heraus- und bei
einer Ombudsstelle oder einem Dienstvorgesetzten vorgetragen.
Dabei herrscht die Erwartung vor, dass die Instanzen
der Dienstaufsicht und Wissenschaftsverantwortung,
die Strafverfolgungsbehörden oder gar Medien
(Presseredaktionen und Social-Media-Foren) einen vorgesetzten
oder konkurrierenden Wissenschaftler desavouieren
und möglichst demontieren. Selbst die zuletzt
genannten Verdachtsäußerungen nahestehender Mitarbeiter
oder verbundener Wissenschaftler aus Rache oder
Verzweiflung können nicht pauschal und allgemein als
unwahr beiseite gelassen werden – gleichwohl besteht
die Gefahr von Falschbezichtigungen vor allem in der
letztgenannten Gruppe und unter Ausnutzung des
Schutzes der Anonymität.
Weil Untersuchungen zum wissenschaftlichen Fehlverhalten
bei den Betroffenen Sorgen und mitunter Existenzängste
auslösen, haben derartige Anschuldigungen
erhebliche Brisanz und rufen auch bei den verantwortli-
Klaus Herrmann
Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen
umgehen müssen
1 Schwerpunktkapitel des Jahresberichts 2017 des Ombudsmanns
für die Wissenschaft, publiziert am 24.9.2018.
2 Informationen unter: https://www.uni-passau.de/absender-unbekannt
(Abruf 4.1.2020).
3 So ging die Entziehung des Doktortitels im Freiburger Fall „nachträglicher“
Unwürdigkeit auf Feststellungen einer US-amerikanischen
Untersuchungskommission zurück, dass der Wissenschaftler
die Originaldaten und verwendeten Proben nicht systematisch
archiviert und zudem Daten manipuliert und falsch dargestellt
habe (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.7.2013 – 6 C 9/12, BVerwGE 147,
292 ff. = juris, Rn. 3).
4 Vgl. etwa VG Köln, Urt. v. 22.3.2012 — 6 K 6097/11; OVG Münster,
Beschl. v. 24.3.2015 – 19 A 1111/12, beide juris.
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
6 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
5 Siehe die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Kodex „Gute wissenschaftliche
Praxis“ (2018), S. 24; siehe schon Denkschrift (2013)
„Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, S. 37.
6 VGH Mannheim, Urt. v. 14.9.2011 – 9 S 2667/10, juris, Rn. 24, unter
Verweis auf Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004,
S. 323, und OVG Berlin, Urt. v. 26.4.1990 — 3 B 19/89, NVwZ 1991,
188.
7 BVerwG, Urt. v. 31.7.2013 – 6 C 9/12, BVerwGE 147, 292 ff. =
juris, Rn. 31.
8 BVerwG, Urt. v. 21.6.2017 – 6 C 4/16, BVerwGE 159, 171 ff. =
juris, Rn. 18.
chen Leitungskräften und Personalverwaltungen von
Hochschulen Unsicherheit hervor. Derartige Vorwürfe
wissenschaftlichen Fehlverhaltens können fatale Auswirkungen
auf das weitere berufliche Leben der betroffenen
Wissenschaftler haben. Deshalb wäre ein professioneller
und neutraler Umgang wünschenswert.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Um die Wirkung
der Verdachtsäußerung zu verstärken, werden einzelne
Anschuldigungen von Informanten selbst oder „Trittbrettfahrern“
in die Öffentlichkeit lanciert. Fest steht,
dass die Einschaltung von Medien regelmäßig zur weiteren
Eskalation führt, so dass sowohl für den Hinweisgeber
als auch für den von Anschuldigungen betroffenen
Wissenschaftler nach der Feststellung wissenschaftlichen
Fehlverhaltens (oder dessen Nichtfeststellung)
kaum noch Spielräume bleiben, ohne Beeinträchtigungen
des Ansehens aus dem Konflikt herauszukommen.
Auch die DFG sieht im aktuellen Kodex „Gute wissenschaftliche
Praxis“ die grundsätzliche Vertraulichkeit des
Verfahrens zur Überprüfung von Hinweisen beeinträchtigt,
wenn sich der Hinweisgebende mit dem Verdacht
an die Öffentlichkeit wendet.5
Hintergrund und Rechtfertigung für jede Überprüfung
auf wissenschaftliches Fehlverhalten – auch auf
letztlich unberechtigte, jedoch substantiierte Verdachtsäußerungen
hin – ist das Vertrauen, das Wissenschaftlern
entgegengebracht wird und unmittelbar an die wissenschaftliche
Leistungsfähigkeit und Redlichkeit anknüpft:
So orientiert sich die Rechtsprechung noch immer
an der hohen sozialen Bedeutung akademischer
Grade, wie eines Doktortitels. Dass es sich hierbei um
eine ehrenvolle und nicht um eine bloße Funktionsbezeichnung
handelt, zeigt die Möglichkeit, dass Universitäten
Doktorgrade ehrenhalber vergeben können. Die
ungebrochene Beliebtheit, einen Titel zu führen, findet
ihren Niederschlag darin, dass der Doktorgrad — anders
als berufsqualifizierende Abschlüsse — „anredefähig“ ist
und im Personalausweis (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 PAuswG) oder
Reisepass (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 PassG) eingetragen werden
kann. Der Doktortitel stellt demnach eine „ehrenvolle
Kennzeichnung der Persönlichkeit seines Trägers“
oder jedenfalls eine die Person als akademisch gebildet
und geprägt kennzeichnende Heraushebung dar.6 Nachvollziehbarer
als die Ehren und immateriellen Vorteile,
die mit einem wissenschaftlichen Renommee verbunden
sind, rückt das BVerwG aber zutreffend das Vertrauen in
die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebs in den
Vordergrund, um die Überprüfung auf wissenschaftliches
Fehlverhalten und dessen Sanktionierung zu rechtfertigen.
Die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses
stelle ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut
dar, das verfassungsrechtlich im objektiven Regelungsgehalt
des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankert ist. Sofern die
Entziehung eines akademischen Grades für die Betroffenen
mit faktischen Beeinträchtigungen einer Berufsausübung
verbunden sei, wären diese im Interesse des unbeeinträchtigten
Wissenschaftsbereichs hinzunehmen.7
III. Aufgaben der Hochschulen zur Dienstaufsicht
und Selbstkontrolle der Wissenschaft
Die Funktion der (ggf. anonymen) Hinweisgebenden
wird erst klar, wenn man sich bewusst wird, welche Aufgaben
auf die Hochschulen durch die Mitteilungen und
Anzeigen zukommen.
- Prüfung von (anonymen) Hinweisen im Kontext der
Wissenschaftsfreiheit
Hochschulen werden durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG das
Recht verliehen und die Aufgabe übertragen, ihren Wissenschaftsbetrieb,
d.h. die Angelegenheiten von Forschung
und Lehre, eigenverantwortlich zu regeln (akademische
Selbstverwaltung). Das Grundrecht vermittelt
ihnen in erster Linie eine abwehrfähige Rechtsposition,
die sie vor staatlichen Eingriffen in den Wissenschaftsbetrieb
schützt. Zugleich belastet sie die Freiheitsgewährung
auch mit der Verantwortung dafür, dass in ihrem
Wissenschaftsbetrieb einerseits grundlegende wissenschaftliche
Pflichten und andererseits die Grundrechte
der Hochschulangehörigen beachtet werden.
Die Hochschulen sind zum Einschreiten aufgefordert,
„wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen,
dass ein Hochschullehrer seine Forschungsfreiheit möglicherweise
missbraucht oder verfassungsrechtlich geschützte
Rechtsgüter anderer gefährdet oder verletzt“.8
Würde die Hochschule nicht den Sachverhalt sowie etwaige
Konsequenzen (durch eine einzusetzende wissenschaftlich
besetzte Kommission) prüfen, blieben die
Wissenschaftsfreiheit und auch die sonstigen verfassungsrechtlich
gewährleisteten Rechte anderer ungeHerrmann
· Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen 6 7
9 BVerwG, Urt. v. 11.12.1996 – 6 C 5/95, BVerwGE 102, 304 ff. =
juris, Rn. 40.
10 Siehe von Bargen, OdW 2016, 139, 147; DFG-Denkschrift „Sicherung
guter wissenschaftlicher Praxis“, 2013, S. 24.
11 BVerwG, Urt. v. 21.6.2017 – 6 C 4/16, BVerwGE 159, 171 = juris,
Rn. 21; siehe auch von Bargen, OdW 2016, 139, 142 f.
12 BVerwG, Urt. v. 30.9.2015 – 6 C 45/14, BVerwGE 153, 79 ff. =
juris, Rn. 19.
13 OVG Münster, Urt. v. 01.12.2016 – 6 A 2386/14, juris, Rn. 65
m.w.N.
14 BVerwG, Urt. v. 15.11.2018 – 2 C 60/17, BVerwGE 163, 356 ff.
15 BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, BAGE 124, 295 ff. =
juris, Rn. 66.
schützt.9 Die hochschulinternen Verfahren zur Untersuchung
wissenschaftlichen Fehlverhaltens sollen gerade
durch die Einbeziehung des von den Verdächtigungen
betroffenen Wissenschaftlers und anderer Personen zudem
die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung
ausloten.10 Dabei ist der Hochschule außerhalb eines bestimmten
Prüfungs- oder Qualifikationsverfahrens eine
inhaltliche Bewertung der wissenschaftlichen Tätigkeit
verwehrt: Die verfassungskonforme Auslegung landeshochschulrechtlicher
Bestimmungen hat jeweils auch
die Grundrechte des verantwortlichen Wissenschaftlers
zu beachten, dem insbesondere im Schutzbereich seiner
individuellen Wissenschaftsfreiheit weite Beurteilungsspielräume
eröffnet sind.11 Zudem sind die Hochschulen
generell nicht zur Abgabe und Durchsetzung von Werturteilen
berufen, die außerhalb der Wissenschaft angesiedelt
sind. Sie dürfen deshalb Feststellungen treffen
und von einer formellen Ermächtigung – etwa zur Entziehung
eines Doktorgrades wegen nachträglicher Unwürdigkeit
– nur bei wissenschaftsbezogenen Verfehlungen
des Betroffenen Gebrauch machen.12 - Aufsichts- und Fürsorgepflicht der Hochschulen für
ihre Beschäftigten
Sofern die den Hochschulen zugetragenen Vorwürfe das
dienstliche oder sogar außerdienstliche Verhalten ihrer
Wissenschaftler betreffen, können diese im Rahmen
ihrer Aufgaben als Dienstherren oder Arbeitgeber zu
Ermittlungen aus Gründen der Fürsorge verpflichtet
sein. Im Rahmen der Dienstaufsicht müssten sie gegen
ein dienstliches oder sonstiges Fehlverhalten einschreiten,
das die Rechte eines Bediensteten (z.B. das allgemeine
Persönlichkeitsrecht im Zusammenhang mit Mobbingsituationen
oder das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
bei sexuellen Belästigungen im Dienst)
verletzt. Allgemein hat der Dienstherr kraft der Fürsorgepflicht
im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses
für das Wohl des Beamten zu sorgen. Der Dienstherr ist
sogar zum bestmöglichen Schutz seiner Beamten gegen
Gefahren für Leben und Gesundheit am Arbeitsplatz
verpflichtet.13 Bei Pflichtverstößen von Beamten, insbesondere
von verbeamteten Wissenschaftlern, kommt
hinzu, dass der Dienstvorgesetzte bei Vorliegen zureichender
tatsächlicher Anhaltspunkte stets zur Einleitung
eines Disziplinarverfahrens verpflichtet ist. Die Verletzung
der Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des behördlichen
Disziplinarverfahrens ist ein Mangel, der inzwischen
als mildernder Umstand sogar auf die Bemessung
der Disziplinarmaßnahme durchschlagen kann.14 Ebenso
sahen die Arbeitsgerichte den Arbeitgeber durch die
Fürsorgepflicht als Ausfluss des in § 242 BGB niedergelegten
Gedanken von Treu und Glauben im Rahmen
eines Arbeitsverhältnisses als verpflichtet an, durch
geeignete Maßnahmen die Fortsetzung einer festgestellten
sexuellen Belästigung oder eines Mobbing-Verhaltens
zu unterbinden – selbst wenn dabei kein Anspruch
gegen den Arbeitgeber auf Kündigung des Arbeitsverhältnisses
des Störers besteht.15 - Niedrige Verdachtsschwelle für dienstliche bzw. interne
Untersuchungen
Die Anforderungen an ein Tätigwerden sind dabei durch
die Beschreibung der einfachen Verdachtsstufe sehr
niedrig gehalten. Wenn bloße tatsächliche Anhaltspunkte
eines Verstoßes für den Beginn einer Prüfung des wissenschaftlichen
Verhaltens oder die Einleitung von Disziplinarermittlungen
genügen, erscheint es jedenfalls
verfehlt, erst noch den Abschluss strafrechtlicher oder
berufsrechtlicher Ermittlungsverfahren anderer Behörden
„abzuwarten“ – diese setzen regelmäßig auf der gleichen
Verdachtsstufe ein (vgl. §§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2
StPO für Strafverfahren).
Vielmehr hat die verantwortliche Person in der
Hochschule – zumeist der Leiter, aber auch der für die
Vorlage an eine Ombudskommission verantwortliche
Verwaltungsbedienstete – eine Verfahrenshypothese zugrunde
zu legen (der Vorwurf sei in tatsächlicher Hinsicht
wahr) und anhand der maßgeblichen Dienst- und
Rechtsvorschriften oder Regeln wissenschaftlichen Arbeitens
zu überprüfen. Gelangt er dabei zum Ergebnis,
dass die beschriebene (fingierte) Handlung oder Unterlassung
gegen Pflichten verstößt, ist der Verdacht zu bejahen
und eine Untersuchung bzw. ein Disziplinarverfahren
einzuleiten. Die im Bereich der persönlichen
Überzeugung liegende Frage, ob die übermittelten Informationen
und Tatsachenbehauptungen zutreffend, widerlegt
oder zumindest Zweifel an ihrer Richtigkeit nicht
ausgeräumt sind, betrifft den Nachweis der Pflichtverlet6
8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
16 Vgl. für das Ermittlungsziel von Verwaltungsermittlungen vor
Einleitung eines Disziplinarverfahrens: Herrmann, in: Herrmann/
Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht – Beamtenstrafrecht, 2014, §
6, Rn. 501 ff.
17 BVerwG, Beschl. v. 18.11.2008 – 2 B 63/08, NVwZ 2009, 399 =
juris, Rn. 10 f.
18 BAG, Urt. v. 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, NJW 1994, 1675 = juris,
Rn. 20.
19 Siehe OVG Münster, Urt. v. 6.7.2018 – 3d A 1161/11.O, juris, Revision
zugelassen durch BVerwG, Beschl. v. 26.6.2019 — 2 B 71/18,
juris.
20 Vgl. etwa VG Münster, Urt. v. 9.12.2014 – 13 K 2693/11.O, juris,
zur Durchführung einer Fremd-Lehrveranstaltung als genehmigungspflichtiger
Nebentätigkeit.
21 OVG Weimar, Urt. v. 6.11.2008 – 8 DO 584/07, juris; VGH
Mannheim, Urt. v. 3.4.2000 – D 17 S 3/00, juris.
22 VG Braunschweig, Urt. v. 12.6.2018 – 6 A 102/16, juris, Rn. 78.
Siehe auch die Empfehlungen der DFG zur Tätigkeit von Ombudspersonen
an den Hochschulen (Kodex „Leitlinien zur Sicherung
guter wissenschaftlicher Praxis“, 2019, S. 12 f.; Denkschrift
„Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, 2013, S. 23).
23 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.04.1970 – 1 BvR 690/95, BVerfGE 28,
191 = NJW 1970, 1498; BVerwG, Beschl. v. 15.11.2000 – 1 D
65/98, juris; Beschl. v. 13.12.2000 – 1 D 34/98, NJW 2001, 3280
24 Vgl. allgemein zur Bedeutung des „Whistleblowing“ in der Praxis
des öffentlichen Dienstes: Sauer, DÖD 2005, 121 ff.; Herold, ZBR
2013, 8 ff.; Scheurer, ZTR 2013, 291 ff.
25 Günther, NVwZ 2018, 1109, 1112: „Rechtsstaat und Demokratie
brauchen interne Hinweise auf Missstände mehr denn je.“; siehe
auch Király, ZRP 2011, 146, 147, zur Whistleblower-Regelungen
für den US-amerikanischen federal civil service.
26 Vgl. zu Art. 5 Buchst. b) der Richtlinie (EU) 2016/943 vom
8.6.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher
Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor
rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung
(ABl. [EU] v. 15.6.2016 L 157, 1) und ihrer Umsetzung:
Müllmann, ZRP 2019, 25 ff.; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA
2018, 1175; Eufinger, ZRP 2016, 229;
27 Zur Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern, die Verstöße
gegen Unionsrecht melden: Gerdemann, RdA 2019, 16 ff.; Nöhle,
ZLR 2019, 153 ff.; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586.
zung, nicht das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“.16
Diese Prüfung kann nur entfallen, wenn die Äußerung
aus bloßen Vermutungen, Mutmaßungen oder einem
„vagen Verdacht“ besteht und kein tatsächliches Verhalten
beschrieben ist oder aus der Schilderung abgeleitet
werden kann. Sobald sich aber diese Vermutungen zu einem
Verdacht konkretisiert haben, verbietet der im Disziplinarrecht
ausgestaltete Verfolgungszwang, von der
Einleitung eines Disziplinarverfahrens abzusehen und
Ermittlungen ohne Kenntnis des Betroffenen weiterzuführen.
17 Zwar besteht bei angestellten Wissenschaftlern
keine entsprechende Ermittlungspflicht der Hochschule
als Arbeitgeber. Wenn sie aber bei schwerwiegenden
Vorwürfen ein unzumutbar gewordenes Arbeitsverhältnis
durch verhaltensbezogene (Verdachts- oder Tat-)
Kündigung beenden will, muss sie sich spätestens bei der
Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 626
Abs. 2 BGB fragen lassen, wann sie durch welche Umstände
von den der Kündigung zugrunde gelegten Verhaltensweisen
erfahren hat.18
Für die Hochschule bedeutet dies, dass sie bei Hinweisen,
dass einer ihrer Wissenschaftler in einen innerdienstlichen
Betrug verstrickt sei19, einer ungenehmigten
Nebentätigkeit nachgehe20 oder Studierende bzw. Mitarbeitende
sexuell belästige21 ebenso Disziplinarermittlungen
anstellen muss, wie sie Hinweise auf ein wissenschaftliches
Fehlverhalten ernsthaft zu prüfen hat. Auch
wenn die Hochschule in ihren Organisationsbestimmungen
die Prüfung solcher Hinweise einer Ombudsstelle
oder ‑person übertragen hat, dürfen die Anforderungen
an die Aufnahme von Ermittlungen zur Aufklärung
von Verdachtsfällen nicht überspannt werden: Aus
Sicht der Rechtsprechung genügt für die Einleitung von
Untersuchungen ein plausibler, auf Tatsachen beruhender
Anfangsverdacht einer Regelverletzung.22 Die Aufklärungspflicht
der Hochschule ist schließlich auch die
Kehrseite der Verschwiegenheitspflicht ihrer Bediensteten:
Wenn bei Beamten aus dem Dienst- und Treueverhältnis
sowie bei Angestellten im öffentlichen Dienst im
Sinne einer „Stufentheorie“ verlangt wird, dass vor Preisgabe
von Dienstgeheimnissen oder Erhebung von Anschuldigungen
in der Öffentlichkeit versucht werden
muss, verwaltungsintern auf Missstände hinzuweisen23,
muss der Dienstvorgesetzte entsprechende Hinweise
ohne Ansehen der belasteten oder der belastenden Person
entgegennehmen und einer Bewertung bzw. (Auf-)
Klärung zuführen.24
IV. Schutz der Hinweisgeber
Alle Personen, die einer Hochschule oder wissenschaftlichen
Einrichtung Beobachtungen oder Hinweise auf ein
möglicherweise pflichtwidriges Verhalten mitteilen, sind
wichtige Informationsquellen, die die Hochschulen bei
der Erfüllung ihrer mit Art. 5 Abs. 3 GG verbundenen
Aufgabe unterstützen. Nachdem die Gesetzgeber in der
Europäischen Union und letztlich auch in Deutschland
zu erkennen gegeben haben, dass die Aufdeckung von
Missständen durch unternehmens- und verwaltungsinterne
Mitarbeitende in Einzelbereichen wie der Korruptionsprävention
im öffentlichen Interesse liegt und gefördert
werden muss25, ist eine Weiterentwicklung des
Schutzes für Hinweisgeber und der Ausweitung anonymer
Meldekanäle zu beobachten26 und weiter zu erwarten.
27
Herrmann · Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen 6 9
28 Siehe Deiseroth/Derleder, ZRP 2008, 248; Günther, NVwZ 2018,
1109, 1110 f.; vgl. auch Ziff. 20 der Erwägungsgründe der RL
2016/943/EU: „Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen,
Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu dienen,
Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken. Daher sollte sich
der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken,
in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit
dem öffentlichen Interesse dient, als ein regelwidriges Verhalten,
ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer
Relevanz aufgedeckt wird. Das sollte nicht so verstanden werden,
dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen
von der Anwendung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe
in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner
allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass
sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen
Kriterien entspricht.“
29 BVerfG, Beschl. v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74,
257 ff. = juris, Rn. 11; Beschl. v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00,
NJW 2001, 3474 = juris, Rn. 11; Beschl. v. 2.10.2001 – 1 BvR
1372/01, juris, Rn. 5; alle zu Mietverhältnissen; EGMR, Urt. v.
21.7.2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 ff. = juris, dort Rn. 67;
Urt. v. 13.1.2015 – 79040/12, NZA 2016, 1009, 103, Rn. 86; Urt.
v. 27.2.2018 – 1085/10, NJW 2019, 1273, 1275, Rn. 77; siehe auch
Deiseroth/Derleder , ZRP 2008, 248, 249; Király, RdA 2012, 236 ff.
auch zum Gutglaubensschutz im britischen und deutschen Recht.
30 BAG, Urt. v. 21.9.2011 – 7 AZR 150/10, juris, Rn. 33.
31 Vor allem nach der Entscheidung des EGMR, Urt. v. 21.7.2011 -
28274/08 (Heinisch), NJW 2011, 3501; m. Anm. Schlachter, RdA
2012, 108; Király, RdA 2012, 236.
32 Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes
zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes
der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz
– ArbSchG) v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1246), zul. geänd. d. G. v.
20.11.2019 (BGBl. I S. 1626).
33 Siehe auch: § 4d Abs. 6 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz
(FinDAG) vom 22.4.2002 (BGBl. I S. 1310), zul. geänd. d. G.
v. 22.11.2019 (BGBl. I S. 1626); § 3b Abs. 5 des Börsengesetzes
(BörsG) v. 16.7.2007 (BGBl. I S. 1330), zul. geänd. d. G. v.
20.11.2019 (BGBl. I S. 1626); § 53 Abs. 5 des Gesetzes über das
Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz
– GWG) v. 23.6.2017 (BGBl. I S. 1822), zul. geänd. d. G. v.
12.12.2019 (BGBl. I S. 2602).
34 § 17 Abs. 2 S. 3 ArbSchG i.V.m. § 125 BBG.
35 Günther, NVwZ 2018, 1109, 1111; Deiseroth/Derleder , ZRP 2008,
248, 250; Király, DÖV 2010, 894, 895 – vergleichbare Regelungen
fehlen allerdings bei Beschäftigten, Király, RdA 2012, 236, 237.
36 VG Bremen Urt. v. 8.9.2015 – 6 K 1003/14, BeckRS 2015, 52470.
37 Király, ZRP 2011, 146, 148, zu US-amerikanischen Erhebungen;
ders. RdA 2012, 236, 237 zur Beweislast der Beschäftigten für die
zulässige Rechtsausübung; Eufinger, ZRP 2016, 229, 230. - Hinweisgeber zwischen Gemeinwohl und Rechtfertigungsdruck
Hinweisgebern wird als Informationsquelle und zur
Aufdeckung potentiell rechtswidriger Zustände grundsätzlich
Gemeinwohlbedeutung zugestanden.28 Deshalb
sind Hinweisgeber oder Anzeigeerstatter als Informanten
vor Nachteilen wegen ihrer Äußerungen und Mitteilungen
geschützt, es sei denn, dass sie wissentlich unwahre
oder leichtfertig falsche Angaben machen.29 Die rechtlichen
Vorkehrungen zum Schutz von Hinweisgebern in
Deutschland werden gleichwohl noch als unzureichend
angesehen.
Bei Hinweisgebern in Arbeitsverhältnissen greift das
allgemeine Maßregelverbot (§ 612a BGB) grundsätzlich
auch bei der Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit
und verhindert Nachteile im Arbeitsverhältnis.30 Arbeitsrechtliche
Loyalitätspflichten, die beamtenrechtliche
Verschwiegenheits- und die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht
oder schlichtweg drohende faktische
Ausgrenzungen stehen jedoch der Bereitschaft entgegen,
Rechtsverstöße oder Fehlverhalten bei Aufsichts- oder
Ermittlungsbehörden bekannt zu machen. Anhand einzelner
Anlässe wurde eine normative Ausgestaltung des
Schutzregimes für Hinweisgeber fortlaufend diskutiert.31
Tatsächlich haben aber nur wenige Klarstellungen eines
Benachteiligungsverbots, zum Beispiel § 17 Abs. 2 S. 3
ArbSchG32, eine verbindliche Regelung erfahren33.
Vor allem Beamte werden insoweit aber immer noch
auf den Dienstweg verwiesen.34 Seit 2009 sieht § 37 Abs.
2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG allgemein eine präventive Ausnahme
von der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht
bei Anzeigen einer Korruptionsstraftat nach §§
331–337 StGB vor.35 Das Ziel, die Korruption in der öffentlichen
Verwaltung zu vermeiden und zu bekämpfen,
müssen öffentliche Dienstherrn auch beim Personaleinsatz
von Beamten und begleitenden Maßnahmen berücksichtigen:
Aus diesem Grund und aus Fürsorge gegenüber
dem Bediensteten, der Pflichtverstöße meldet,
darf der Dienstherr ihn nicht gegen seinen Willen umsetzen
oder mit vergleichbaren negativen Maßnahmen
belegen, auch wenn es wegen seiner Meldung zum Korruptionsverdacht
zu innerdienstlichen Spannungen
kommt.36
Die vorliegenden Gerichtsentscheidungen zeigen
aber, dass offen agierende Hinweisgeber dem Risiko ausgesetzt
sind37, mit nachteiligen Maßnahmen des Arbeitgebers
oder Dienstherrn konfrontiert zu werden. Dass
Hinweisgeber die interne Klärung eines Missstandes auf
dem Dienstweg nicht abwarten möchten, kann durchaus
altruistische Gründe haben, weil etwa die Entstehung eines
Schadens oder weitere Beeinträchtigungen wichtiger
Rechtsgüter (einschließlich der Gesundheit von Betroffenen)
drohen. Offenbart sich der Hinweisgeber gegenüber
Dritten (Presse, Stellen außerhalb des Dienstwegs),
kann er nicht sicher sein, ob die engen Voraussetzungen
vorliegen, unter denen arbeits- und dienstrechtliche
Sanktionen außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle
ausgeschlossen sind: Der EGMR hat schon vor Jahren in
der Rechtssache Heinisch geklärt, dass auch eine Strafanzeige
gegen den eigenen Arbeitgeber nicht zur außerordentlichen
Kündigung berechtigt, wenn damit Missstän7
0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
38 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586, unter Bezugnahme
auf EGMR, Urt. v. 21.7.2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 = NZA
2011, 1269.
39 Schmahl, JZ 2018, 581, 584.
40 BGBl I 2019, 466; das Gesetz dient zur Umsetzung der Richtlinie
(EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8.6.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und
vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor
rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung,
Richtlinie (EU) 2016/943, ABl. L 157 vom 15.6.2016, S. 1.
41 Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377.
42 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585, wobei dieses enge
Verständnis an die Änderung des Gesetzestextes im Gesetzgebungsverfahren
angeknüpft wird.
43 Ebenso Sprenger, ZTR 2019, 414 ff. m.w.N. (dort Fn. 49).
44 Siehe Kühling, NJW 2015, 447, 448 für anonyme Bewertungsportale.
45 Király, ZRP 2011, 146, 148.
46 Vgl. jedoch § 25a Abs. 1 S. 5 Nr. 3 KWG zu Organisationsanforderungen
an ein Hinweisgebersystem von Kreditinstituten; dazu
Maume/Haffke, ZIP 2016, 199 ff. Siehe zur Handhabung von
Vertraulichkeitszusagen und zur Geheimhaltung von Identitäten
im Bereich der Strafverfolgung der organisierten Kriminalität:
Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der
Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme
von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen
(V‑Personen) und Verdeckten Ermittlern, Anlage D zu den Richtlinien
für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV),
BAnz 2007, 7950, zul. geänd. durch Bek. V. 26.11.2018, BAnz
AT 30.11.2018 B3; sowie Mayer, Kriminalistik 2016, 228; Soiné,
NVwZ 2007, 247; Kriminalistik 2013, 507; Wagner, Kriminalistik
2000, 167;
47 OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 5.9.2018 – OVG 4 B 4.17, juris,
Rn. 38; bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 26.9.2019 – 2 C 33/18,
juris, Rn. 30; LVerfG LSA Urt. v. 7.5.2019 – LVG 4/18, juris, Rn.
45.
48 BVerwG Beschl. v. 10.1.2017 – 20 F 3/16, BVerwGE 157, 181 ff. =
juris, Rn. 13.
de in einem Unternehmen der öffentlichen Hand offengelegt
werden, das für die Allgemeinheit besonders
wichtige Dienstleistungen erbringt.38 Insofern trifft den
Staat (im Rahmen seiner Rechtssprechungsfunktion) die
Aufgabe, dem Grundrecht der Meinungsfreiheit im (Arbeits-)
Verhältnis Geltung zu verschaffen und ungerechtfertigte
Repressalien durch nichtstaatliche Dritte –
etwa eines privaten Arbeitgebers – zu verhindern.39
Die den Hinweisgeber (aus seinem Arbeits- oder
Dienstverhältnis) treffenden Verschwiegenheitspflichten
werden schließlich auch nicht durch das am 26.4.2019 in
Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen40
aufgehoben. § 5 dieses Gesetzes bezeichnet
zwar die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung
eines Geschäftsgeheimnisses als gerechtfertigt, wenn
dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt,
insbesondere (Nr. 2) zur Aufdeckung einer rechtswidrigen
Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen
Fehlverhaltens – vorausgesetzt die Person handelt in der
Absicht, das öffentliche Interesse zu schützen. Diese
Ausnahmevorschrift wurde wegen der Verwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe und ihrer fehlenden Konkretisierung
dafür kritisiert, dass sie zum Denunziantentum
geradezu anstacheln würde.41 Legitimiert wird damit
aber nur die – ansonsten durch § 4 Abs. 1 GeschGehG
verbotene – Erlangung, Verwendung oder Offenlegung
eines Geschäftsgeheimnisses, wobei § 4 Abs. 3 Gesch-
GehG das Verbot ausdrücklich auf die Empfänger von
Offenbarungen durch Geheimnisträger erstreckt.42 Die
arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§§ 241 Abs.
2, 242 BGB) und die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht
zwingen Bedienstete vor einer Anzeige bei
Behörden oder einem Gang an die Öffentlichkeit weiterhin,
zumutbare betriebliche Meldewege bzw. den innerbehördlichen
Dienstweg zu nutzen, um auf die Behebung
eines rechtswidrigen Zustandes durch den Arbeitgeber
bzw. Dienstvorgesetzten hinzuwirken.43 - Rechtsstaatliches Dilemma bei anonymen Verdachtsäußerungen
Deshalb verzichten viele Hinweisgeber aber nicht auf die
Offenbarung ihrer Informationen, sondern verlangen,
dass ihre Identität geheimgehalten wird, oder handeln
ganz anonym. Zweck der Anonymität oder zugesagten
Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers ist in
erster Linie die Verdeckung der anzeigenden Person
gegenüber der von den Vorwürfen betroffenen Person.
Das gilt auch für Konstellationen, in denen die Gefahr
von Nachteilen von einer anderen, dem Betroffenen aber
nahestehenden Person ausgeht. Mit der Verdeckung seiner
Identität verbindet der Hinweisgeber die Hoffnung,
für den Verdacht eines Fehlverhaltens und die vermeintliche
Rechtfertigungslage des Betroffenen während einer
Untersuchung des Vorgangs keine Verantwortung tragen
zu müssen. Freilich fallen damit auch noch so unsinnige,
unfaire oder unsubstantiierte Äußerungen nicht auf ihn
zurück, was die Missbrauchsgefahr erheblich steigert.44
Vertrauliche Melde- oder Hinweismöglichkeiten wie
in anderen Rechtsordnungen45 sind im deutschen öffentlichen
Dienst nicht verbreitet.46 In den Entscheidungen
zur Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbeamten
hebt die Rechtsprechung vielmehr den Gemeinwohlbelang
hervor, dass die Einschränkung der Anonymität
präventiv Straftaten oder Dienstpflichtverletzungen der
im Einsatz befindlichen Polizeivollzugsbeamten bereits
reduziert und verhindert.47 In der Wissenschaft ist die
Anonymität von Äußerungen – z.B. in Gutachten zu wissenschaftlichen
Qualifikations- oder Berufungsverfahren
– weder ein allgemein anerkanntes Qualitätsmerkmal
für fachwissenschaftliche Bewertungen oder eine
entsprechende Praxis noch bestehe dafür ein
Bedürfnis.48
Herrmann · Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen 7 1
49 ABl. (EU) L 305 v. 26.11.2019, S. 17.
50 Siehe Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, zur
Differenzierung zwischen internen und externen Meldekanälen.
51 Schmahl, JZ 2018, 581, 583 m.w.N.
52 Schmahl, JZ 2018, 581, 589, unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v.
23.6.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 ff. = NJW 2009, 2888
(2892).
53 BGH, Urt. v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 ff. = juris,
Rn. 40; siehe schon Kühling, NJW 2015, 447, 449, für eine stärkere
Kontrolle der Sicherungsmaßnahmen der Portalbetreiber.
54 Siehe Schmahl, JZ 2018, 581, 584.
55 Vgl. Niehaus, JM 1/2020, S. 21, u. Verweis a. BVerfG, Beschl. v.
26.5.1981 — 2 BvR 215/81, Rn. 91.
56 BVerfG Beschl. v. 11.10.1994 – 1 BvR 1398/93, BVerfGE 91, 176
ff. = juris, Rn. 19; BGH Urt. v. 18.10.1995 – I ZR 126/93, BGHZ
131, 90 ff.
Die Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von
Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden49,
sieht neuerdings vor, dass die Wahrung der Vertraulichkeit
der Identität eines Hinweisgebers über ein umfassendes
Vertraulichkeitsgebot ausgestaltet wird, das lediglich
durch die Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen
Person eingeschränkt wird. Die Vorschrift lautet
(auszugsweise):
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Identität
des Hinweisgebers ohne dessen ausdrückliche Zustimmung
keinen anderen Personen gegenüber offengelegt
wird als den befugten Mitarbeitern, die für die
Entgegennahme von und/oder Folgemaßnahmen zu
Meldungen zuständig sind. Dies gilt auch für alle anderen
Informationen, aus denen die Identität des Hinweisgebers
direkt oder indirekt abgeleitet werden kann.
(2) Abweichend von Absatz 1 dürfen die Identität des
Hinweisgebers sowie weitere in Absatz 1 genannte Informationen
nur dann offengelegt werden, wenn dies nach
Unionsrecht oder nationalem Recht eine notwendige
und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen der Untersuchungen
durch nationale Behörden oder von Gerichtsverfahren
darstellt, so auch im Hinblick auf die Wahrung
der Verteidigungsrechte der betroffenen Person.“
Allerdings verschaffen diese Regelungen nur bestimmten
Hinweisgebern einen Anspruch auf Wahrung
der Vertraulichkeit: Der Schutzanspruch wird durch Art.
5 Abs. 1 RL 2019/1937/EU beschränkt auf Personen, die
Informationen über Verstöße gegen das Unionsrecht i.S.
von Art. 1 RL 2019/1937/EU, konkret gegen in einer Anlage
aufgezählte Rechtsakte der Europäischen Union,
melden.50 Die Richtlinie ist außerdem noch bis zum
17.12.2021 in nationales Recht umzusetzen (Art. 26 Abs. 1
RL 2019/1937/EU).
Allgemein sind anonyme Äußerungen auch grundrechtlich
geschützt, soweit sie nicht strafrechtsbewehrt
sind: Die „klassische Freiheitsverbürgung“ aus den
Grundrechten der Hinweisgeber verhindert, dass der
Äußernde deswegen von staatlichen Stellen belangt werden
kann. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das Grundrecht der
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) erfassen und schützen
jedenfalls auch anonyme Meinungsäußerungen. Bei
anonymen Vorwürfen, die auf die berufliche oder gar
originär wissenschaftliche Tätigkeit von Bediensteten
der Hochschule abzielen, geht es aber nicht um die Abwehr
staatlicher Sanktionen gegen den Äußernden – im
Gegenteil sollen damit ja staatliche bzw. jedenfalls
dienstrechtliche Sanktionen gegen einen anderen hervorgerufen
werden. Zu diesen Konflikten zwischen den
Grundrechtssphären verschiedener Personen gibt es seit
einigen Jahren Versuche typisierender Abwägungen, z.B.
bei anonymen Bewertungen auf Internetportalen und
bei anonymen Kommentaren in sozialen Netzwerken,
bei denen die Grundrechte der Betroffenen berührt sind
und durch Schmähkritik, Hasskommentare oder wissentliche
Falschbehauptungen verletzt werden können.
Damit wird die Gewährleistungspflicht des Staates angesprochen,
der nicht nur die Grundrechtsausübung ermöglichen,
sondern die Bürger zugleich vor den Folgen
anonymer Kommunikation durch Dritte schützen
muss.51 Die in der Rechtsprechung entwickelten Differenzierungen
erscheinen jedoch kaum systematisch oder
so strukturiert, dass sie auf den Bereich anonymer Hinweisgeber
übertragen werden könnten. Bei den Lehrerbewertungsportalen
sollen nur berufsbezogene, nicht
die Intim- oder Privatsphäre von Lehrern oder Mitschülern
betreffende Bewertungen von der Meinungsfreiheit
gedeckt sein, die keine falschen Tatsachenbehauptungen
und keine Schmähkritik enthalten.52 Bei den Ärzte-Bewertungsportalen
löste der BGH den Konflikt durch
eine „gewissenhafte“ Prüfungspflicht des Portalbetreibers,
der jedoch kein Offenbarungs- oder Auskunftsanspruch
des von existenzbedrohenden Behauptungen betroffenen
Arztes gegenüber stehen soll.53
Die von anonym bleibenden Hinweisgebern erhobenen
Vorwürfe sind jedenfalls für rechtsstaatlich geführte
Verfahren zur Feststellung von Rechtsverstößen und deren
Folgen nicht verwertbar. Der rechtsstaatlich gebotene
Grundrechtsschutz durch (z.B. Gerichts-)Verfahren
läuft leer, wenn der Äußernde namenlos bleibt.54 Eine
Verurteilung allein aufgrund anonymer Belastungsäußerungen
kollidiert jedenfalls mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip
abgeleiteten Grundrecht des Betroffenen
auf ein faires Verfahren.55 Im Zivilprozess besteht die
Pflicht des Gerichts, seine Entscheidungsgrundlagen
vollständig offenzulegen.56
7 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
Im Strafprozessrecht ist im Zusammenhang mit anonymen
Belastungszeugen57 geklärt, dass dem Beschuldigten
die Möglichkeit verschafft werden muss, Belastungszeugen
unmittelbar zu befragen oder befragen zu
lassen.58 Schließlich hat der EGMR bei Verurteilungen
auf der Grundlage anonymer, d.h. bei der Verhandlung
abwesender Zeugen gefordert, dass „triftige Gründe für
die Geheimhaltung der Identität des Zeugen vorliegen“
und „hinreichende ausgleichende Faktoren, einschließlich
starker Verfahrensgarantien“ gegeben sein müssen,
„die eine faire und angemessene Einschätzung der Verlässlichkeit
dieser Aussagen ermöglichen“.59 Der Schutz
von bedrohten Rechtsgütern des Zeugen (Opferschutz)
bei Offenbarung von Angaben zu ihrer Person ist in § 68
StPO differenziert ausgestaltet.60
Der Wahrheitsfindung kommt auch im Verwaltungsprozess
ein besonders hohes Gewicht zu, so dass die Akten
im Verwaltungsprozess im Original und ohne
Schwärzung von Namen vorgelegt werden müssen. Nach
§ 99 Abs. 2 VwGO bedarf es der Feststellung in einem
besonderen (sog. in-camera-)Verfahren, ob die Verweigerung
der Vorlage von Urkunden oder Akten oder der
Erteilung von Auskünften – z.B. die unterbliebene Offenbarung
der Identität eines Hinweisgebers – rechtmäßig
ist. Damit ist ein besonderer Verfahrensaufwand verbunden:
Zum einen kann die Weigerung der Vorlage nur
von der Aufsichtsbehörde, also z.B. nicht von der Hochschule
selbst, erklärt werden. Zum anderen obliegt die
Entscheidung nicht dem tatsächlich entscheidenden Gericht,
sondern dem Oberverwaltungs- und in bestimmten
Konstellationen dem Bundesverwaltungsgericht.
Materiell-rechtlich kommt eine solche Verweigerung
nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO auch nur in Betracht, „wenn
das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten,
elektronischen Dokumente oder dieser Auskünfte dem
Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten
würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder
ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen“.
Dabei legt die Rechtsprechung zwar allgemein zugrunde,
dass zum Schutz von Informanten deren personenbezogene
Daten unabhängig vom Wahrheitsgehalt der
Aussage und „ihrem Wesen nach“ auch in Fällen geheim
zu halten sind, wenn keine vertrauliche Behandlung zugesichert
worden ist.61 Dies gelte aber nur, wenn die anonymen
Informationen zur Erfüllung einer Aufgabe zum
Schutze gewichtiger Rechtsgüter dienen.62 Im Zusammenhang
mit der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen
lehnte das BVerwG aber ein solches Geheimhaltungsinteresse
ab und bestand auf der Offenbarung der
Identität der Wissenschaftler, deren Bewertungen einer
Entscheidung der Hochschule zugrunde gelegt werden.63
Es fällt schwer, danach für die Aufklärung von Dienstvergehen
oder von wissenschaftlichem Fehlverhalten ein
Geheimhaltungsinteresse anzuerkennen – weitere Entscheidungen
hierzu sind aber noch nicht veröffentlicht.
Auch im gerichtlichen und behördlichen Disziplinarverfahren
können auf anonym geäußerte Anschuldigungen
aus Sicht des Verfassers keine Tatsachenfeststellungen
gestützt werden, denn auch insoweit gilt die Beweiserhebungspflicht:
§ 25 Abs. 1 BDG nimmt (wie die landesrechtlichen
Parallelvorschriften auch) auf die Vorschriften
der Strafprozessordnung Bezug (§ 48 Abs. 3 StPO),
wonach die Aussagepflicht des Zeugen eingeschränkt
sein kann. Wegen dieser Schutzvorkehrungen bleibt das
persönliche Erscheinen zu Vernehmungen zumutbar
und damit auch die Verpflichtung von Zeugen, sich zur
Sachverhaltsaufklärung mit Vorgängen und Erinnerungen
erneut zu beschäftigen, die sie belasten.64 Zur effektiven
Rechtsverteidigung gegen strafrechtlich relevante
Verdachtsäußerungen steht dem Betroffenen jedenfalls
ein Anspruch auf Erteilung der Aussagegenehmigung
gegen den Dienstherrn eines mutmaßlichen Zeugen zu.65
Praktisch kommt es auf diesen Nachweis ausschließlich
anhand der Wahrnehmungen des Hinweisgebers
und damit auf die verfahrensbezogene Offenbarung seiner
Identität nur selten an. Aufgrund der Aufsichtsbefugnisse
von Hochschulleitungen können die Sachverhalte,
die den Anschuldigungen zugrunde liegen, oft
57 Vgl. zur Vernehmung eines Zeugen über Angaben einer (dritten)
anonymen Gewährsperson BVerfG Beschl. v. 26.5.1981 – 2 BvR
215/81, BVerfGE 57, 250, 292; BGH, Urt. v. 1.8.1962 – 3 StR
28/62, BGHSt 17, 382, 383 f.; Urt. v. 16.4.1985 – 5 StR 718/84,
BGHSt 33, 178, 181; Urt. v. 8.6.2016 – 2 StR 539/15, juris, Rn. 23.
58 BVerfG Beschl. v. 8.10.2009 – 2 BvR 547/08, juris, Rn. 12; Beschl.
v. 29.3.2007 — 2 BvR 1880/06, juris, Rn. 2 f.; siehe zur Überprüfung
von Sperrerklärungen (§ 96 StPO) und einer Preisgabe der
Identität eines Belastungszeugen: VGH Kassel, Beschl. v. 3.6.2013
– 8 B 1001/13, juris, Rn. 23.
59 EGMR Urt. v. 18.12.2014 – 14212/10, juris, Ziff. 51. Zum
Konfrontationsrecht bei optisch und akustisch abgeschirmten
Zeugenvernehmungen siehe auch BVerfG, Beschl. v. 29.3.2007 –
2 BvR 1880/06, juris, Rn. 3 ff.
60 Vgl. etwa Soiné, Archiv für Kriminologie 200 (1997), 172 ff.;
Caesar, NJW 1998, 2313 ff.; Roggan, GA 2012, 434 ff.
61 BVerwG, Beschl. v. 1.12.2015 – 20 F 9/15, juris, Rn. 8, 10 m.w.N.
62 Das wurde bejaht für die Lebensmittelaufsicht im Bereich des
Verbraucher- und Gesundheitsschutzes (BVerwG, Beschl. v.
3.8.2011 – 20 F 23/10, juris, Rn. 8), den polizeiärztlichen Dienst
(BVerwG, Beschl. v. 1.8.2011 – 20 F 26/10, juris, Rn. 7) und Maßnahmen
der polizeilichen Gefahrenabwehr, die auf eine konkrete
Gefahr von Leib und Leben zielt (BVerwG, Beschl. v. 1.12.2015 –
20 F 9/15, juris, Rn. 9).
63 BVerwG, Beschl. v. 10.1.2017 – 20 F 3/16, BVerwGE 157, 181 ff. =
juris, Rn. 10.
64 OVG Münster, Beschl. v. 29.11.2017 – 3d E 747/17.BDG, juris,
Rn. 10.
65 BVerwG, Urt. v. 2.12.1969 — VI C 138/67, NJW 1971, 160 f.
Herrmann · Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen 7 3
auch auf „anderem Wege“ aufgeklärt und die Verfahrenshypothesen
durch Tatsachen aus den Akten sowie
aus Befragungen von Mitarbeitenden und sonstigen
Zeugen untermauert werden.66 Allgemein scheitert diese
Vorgehensweise aber oft an einem Unwillen, mit – so
empfundenen – Leistungsträgern, „Stützen der Fakultät“
oder „Aushängeschildern der Universität“ über dienstliche
Abläufe, ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen
oder ein mögliches Fehlverhalten gegenüber ehemaligen
Studierenden oder Mitarbeitenden zu streiten. Von sich
aus bürden sich nur wenige Hochschulen – aus übergeordneten
Qualitätssicherungserwägungen – derartige
Untersuchungen auf. Dabei ist unsicher, ob die betroffenen
Wissenschaftler wenigstens diese Qualitätsmaßstäbe
der Hochschule anerkennen. - Hochschulinterne Regelungen zur Wahrung der Vertraulichkeit
im Zusammenhang mit der Untersuchung
eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens
Fast alle Hochschulen haben inzwischen – als Satzungsrecht67
unter Einbeziehung des Vertretungsorgans oder
als Richtlinie bzw. Dienstanweisung der Hochschulleitung
– Regelungen zum Verfahren aufgestellt. Nur einzelne
Hochschulen begnügen sich dabei noch mit der
Bezugnahme auf die HRG-Empfehlungen vom
14.5.201368 oder die DFG-Leitlinien vom 2.7.201969 zur
Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis. Vor
allem zum Umgang mit eingegangenen Hinweisen sehen
die Hochschulregelungen bereits jetzt differenzierte Vorkehrungen
vor, um die Vertraulichkeit der Identität eines
Hinweisgebers zu wahren. An der Zulässigkeit derartiger
Vorkehrungen bestehen jedenfalls keine grundsätzlichen
Bedenken: Insbesondere besteht keine Notwendigkeit,
dass die Verdeckung der Identität eines Verfahrensbeteiligten
während eines bestimmten Abschnitts des
Verfahrens durch den Gesetzgeber geregelt werden
müsste. Das BVerwG konnte jedenfalls dem Bundesrecht
keinen Gesetzesvorbehalt entnehmen, ob und in welcher
Weise bei schriftlichen Prüfungen die Anonymität des
Prüflings vorgesehen oder zu gewährleisten ist.70
Während die TU München in ihrer Richtlinie noch
postuliert, dass anonyme Hinweise nicht beachtet würden
(Ziff. 10 Abs. 1 S. 3 TUM-RL)71, dürfte in der Praxis
auch bei dieser exzellenten Hochschule das Interesse an
der Aufklärung von Vorwürfen zu einem wissenschaftlichen
Fehlverhalten überwiegen. Ausdrücklich gewährleisten
die Regelungen der meisten Universitäten, dass
über die Identität der Hinweisgeber grundsätzlich Vertraulichkeit
zu wahren ist. Als Beispiele hierfür können
die Regelungen der Leibniz Universität Hannover (§ 9
Abs. 2 RL72 zum Schutz der informierenden und der betroffenen
Person), der TU Dresden (§ 16 Abs. 3 RL)73 ,
der HU Berlin (§ 6 Abs. 2 Satzung)74, der TU München
(Ziff. 10 Abs. 2 TUM-RL), des KIT (§ 10 Abs. 2 S. 1
Satzung)75 oder der Philipps Universität Marburg (Ziff
VII Abs. 4 Grundsätze)76 dienen. Da die Bediensteten
der Hochschulen, die mit der Entgegennahme von Informationen
und Hinweisen befasst sind, ohnehin zur Verschwiegenheit
verpflichtet sind (§ 37 Abs. 1 BeamtStG für
Beamte, § 3 Abs. 2 TV‑L für Beschäftigte auf Anordnung
66 Entsprechend sieht Ziff. 8 RiStBV für strafrechtliche Ermittlungen
vor: „Auch bei namenlosen Anzeigen prüft der Staatsanwalt,
ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Es kann sich
empfehlen, den Beschuldigten erst dann zu vernehmen, wenn der
Verdacht durch andere Ermittlungen eine gewisse Bestätigung
gefunden hat.“
67 Siehe zur Notwendigkeit einer Satzungsregelung für verbindliche
Feststellungen der Untersuchungskommission VG Mainz, Urt. v.
8.9.2010 — 3 K 844/09.MZ, juris, Rn. 34 ff.; a.A. (keine Außenwirkung
des Abschlussberichts) OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v.
26.4.2012 – 5 S 27.11, NVwZ 2012, 1491 = juris, Rn. 47; vgl. auch
von Bargen, OdW 2016, 139, 147.
68 https://www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Empfehlung_GutewissenschaftlichePraxis_
14052013_02.pdf (Abruf 4.1.2020).
69 https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/rechtliche_rahmenbedingungen/
gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf
(Abruf 4.1.2020).
70 BVerwG, Beschl. v. 26.5.1999 – 6 B 65/98, juris, Rn. 4; siehe zur
Anonymität von Prüflingen und Prüfern in Prüfungsverfahren:
Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 324, 608 ff.
71 Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und
für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der
Technischen Universität München v.15.7.2015: https://portal.
mytum.de/archiv/kompendium_rechtsangelegenheiten/sonstiges/
wiss_Fehlverh.pdf/view (Abruf 3.1.2020). Die TU Dresden
lässt ausdrücklich (§ 15 Abs. 4 RL Dresden) das Aufgreifen von
Anzeigen auch ohne Preisgabe der Identität des Informanten bei
ausreichender Glaubhaftigkeit zu.
72 Ordnung der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis vom 15.7.2015,
https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/forschungps/
ordnung_sicherung_gute_wiss_praxis.pdf (Abruf 3.1.2020).
73 Richtlinien der Technischen Universität Dresden zur Sicherung
guter wissenschaftlicher Praxis, zur Vermeidung wissenschaftlichen
Fehlverhaltens und für den Umgang mit Verstößen vom
5.3.2014, http://www.verw.tu-dresden.de/AmtBek/PDF-Dateien/
2014–02/sonst05.03.2014.pdf (Abruf 3.1.2020).
74 Satzung der Humboldt-Universität zu Berlin zur Sicherung
guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Vorwürfen
wissenschaftlichen Fehlverhaltens vom 11.2.2014, https://
gremien.hu-berlin.de/amb/2014/06/06_2014_20140130%20
Beschlussversion%20Satzung%20Wissenschaftliches%20Fehlverhalten_
DRUCK.pdf (Abruf 3.1.2020).
75 Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis am Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) v. 23.5.2018, https://www.sle.
kit.edu/downloads/AmtlicheBekanntmachungen/2018_AB_032.
pdf (Abruf 3.1.2020).
76 Grundsätze und Verfahrensregeln für den Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten an der Philipps-Universität Marburg
v. 6.6.2011, https://www.uni-marburg.de/de/forschung/profil/
ombudsperson/fehlverhalten.pdf (Abruf 3.1.2020).
7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
des Arbeitgebers), dürfen auch an anderen Hochschulen
die Identitäten von Hinweisgebern und die Inhalte ihrer
Mitteilungen nicht weitergetragen werden.
Eine Einschränkung erfährt die angeordnete Vertraulichkeit
der Identität des Hinweisgebers in zahlreichen
Hochschulregelungen, soweit die Offenbarung der
Identität gegenüber dem Betroffenen zu dessen sachgerechter
Verteidigung notwendig ist. Diesem gegenüber
muss die Identität offengelegt werden, soweit es zur Verteidigung
notwendig ist. Entsprechende Beispiele sind §
12 Abs. 6 RL Bonn, § 11 Abs. 7 RL Hannover, § 5 Abs. 6 RL
Münster77, Ziff. 12 Abs. 6 TUM-RL, § 12 Abs. 4 S. 6 KITSatzung,
Ziff. IX.3 Buchst. d) Grundsätze Marburg. Auch
wenn es derartige Regelungen in den Richtlinien oder
im Satzungsrecht einer Hochschule nicht gibt, hat der
Betroffene aber nach § 29 Abs. 1 VwVfG Anspruch auf
Einsicht in sämtliche der Behördenentscheidung zugrunde
liegenden Umstände, also auch in die der Hochschule
bekannte Identität eines Hinweisgebers. Weil dieses
gesetzlich ausgestaltete Akteneinsichtsrecht Ausfluss
des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG – „Waffengleichheit“)
und des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) ist und zum Grundrechtsschutz
„durch Verfahren“ notwendig ist, findet dieser allgemeine
Rechtsgedanke selbst in Verfahren Anwendung, die
von der Anwendung des VwVfG ausgenommen sind.78
Freilich kann das Akteneinsichtsrecht nach § 29 Abs. 2
Var. 3 VwVfG beschränkt werden, sofern die Vorgänge
„nach ihrem Wesen geheim zu halten“ sind. Die oben
dargestellte Entwicklung der Rechtsprechung zur Offenbarung
der Identität von Informanten und erst recht von
Belastungszeugen ist bei der Auslegung dieser Schranken
der Akteneinsicht ebenso zu berücksichtigen. Nachdem
noch im Jahr 2018 interne Untersuchungen in Wissenschaftseinrichtungen
ohne Offenbarung der Identitäten
von Anzeigenden oder Beschwerdeführern stattfanden79
und damit die Verteidigungsmöglichkeiten der
betroffenen Wissenschaftlerin „erschwert“ worden sind,
sind Klarstellungen wie in den Regelwerken der genannten
Hochschulen sehr sinnvoll. Sie ziehen die Abwägung
„vor die Klammer“ bzw. aus den Umständen des konkreten
Verfahrens heraus, wie weit das Geheimhaltungsinteresse
eines Hinweisgebers gegenüber den rechtsstaatlichen
Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen zu
schützen ist.
Eine entsprechende Appellfunktion kommt den Regelungen
der Hochschulen zu, mit denen Benachteiligungsverbote
für Hinweisgeber postuliert werden. Beispiele
hierfür finden sich in § 9 Abs. 1 RL Bonn80, § 8 Abs.
3 RL Hannover, § 16 Abs. 2 RL Dresden, § 10 Abs. 2 S. 3
KIT-Satzung. Der Nachweis einer Benachteiligung ist in
der Praxis zunächst von dem Beschäftigten zu führen.
Ob derartige Benachteiligungen unterbleiben, hängt
vom Selbstverständnis der wissenschaftlichen Einrichtung
und der sie leitenden Wissenschaftler ab. Ebenfalls
muss vermieden werden, dass die Erhebung der Anschuldigungen
dem Hinweisgeber Vorteile bringt; denkbare
Beispiele sind der Verbleib leistungsschwacher Mitarbeiter
in Arbeitsgruppen oder ein überproportionaler
Zugriff auf Ressourcen der Hochschule, die Freigabe unfertiger
Werke zur Veröffentlichung oder schlicht das
Unterbleiben berechtigter Kritik an Äußerungen oder
Verhaltensweisen des Informanten. Lässt man die Bewertung
von Vor- oder Nachteilen weg, geht es bei diesen
Regelungen darum, nicht nur das Ergebnis der zufälligen
Verfahrenssituation zu perpetuieren, wer eben als
erster Vorwürfe erhoben hat. In diesem Zusammenhang
ist die in einigen Regelungen enthaltene Klausel eine
Selbstverständlichkeit, dass die bewusst unrichtige Erhebung
von Vorwürfen selbst (auch) ein wissenschaftliches
Fehlverhalten darstellt (§ 9 Abs. 2 RL Bonn, § 7 Nr. 6 RL
Hannover, § 9 Abs. 3 Buchst. c) RL Dresden, Ziff. 7 Abs.
1 Buchst. d) TUM-RL). Dies sichert, dass die zur Aufklärung
eines Fehlverhaltens der verdächtigten Person eingesetzte
Untersuchungskommission in ihrem Abschlussbericht
selbst auch ein Fehlverhalten des Informanten
77 (Rektorats-) Grundsätze für das Verfahren bei Verdacht auf
wissenschaftliches Fehlverhalten in der Westfälischen Wilhelms-
Universität vom 1.2.1998 — https://www.uni-muenster.de/Rektorat/
abuni/ab80105.htm; gilt nach Maßgabe des Senatsbeschlusses
vom 19.12.2001 fort: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/
content/wwu/senat/pdf/kodex.pdf (Abruf 3.1.2020).
78 Siehe zur Ableitung des Akteneinsichtsrechts Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, - Auflage 2020, § 29, Rn. 1 ff.
79 Vgl. BT-Drucks. 19/14796, S. 1. Rechtsstaatliche Verfahrensgarantien
ignoriert auch Ziff. 8 Abs. 2 S. 4 TUM-RL, wonach die
Hinzuziehung von Rechtsanwälten bei der Untersuchung des
wissenschaftlichen Fehlverhaltens ausgeschlossen sei. Nach der
Antwort der Bundesregierung (BT-Drucks. 19/14796, S. 4) kann
der Betroffene auch bei Anhörungen vor einer Untersuchungskommission
selbstverständlich in Begleitung einer Vertrauensperson
– auch eines Rechtsanwalts – erscheinen, wie es jetzt
in Ziffer III. Nr. 3 b) (2) der Verfahrensordnung der DFG zum
Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten ausgestaltet ist:
„[Die/Der von den Vorwürfen Betroffene] ist auf ihren bzw. seinen
Wunsch hin mündlich anzuhören; dazu kann sie bzw. er eine
Person ihres bzw. seines Vertrauens als Beistand hinzuziehen.
Dies gilt auch für sonstige anzuhörende Personen.“ Siehe zum
Recht eines Arbeitnehmers, zu einer kündigungsvorbereitenden
Anhörung einen Rechtsanwalt hinzu zu ziehen oder sich über
den Rechtsanwalt zu äußern: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v.
17.2.2011 – 25 Sa 2421/10, juris, Rn. 71, unter Verweis auf BAG,
Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, juris, Rn. 18.
80 Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn v. 1.9.2014,
https://www.uni-bonn.de/forschung/gute-wissenschaftlichepraxis/
amtl.-bek.-1426.pdf (Abruf 3.1.2020).
Herrmann · Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen 7 5
feststellen kann. Hinzu tritt nach den Umständen im
Einzelfall die Strafbarkeit dieser Verhaltensweise gem. §
164 StGB (Falsche Verdächtigung) und § 187 StGB
(Verleumdung). - Pflicht zur Offenbarung von bösgläubigen Hinweisgebern
Eine wichtige Einschränkung erfährt der Schutz von
Hinweisgebern durch die seit Jahrzehnten gepflegte
Rechtsprechung, dass eine Behörde die Identität eines
Informanten in bestimmten Konstellationen selbst dann
preiszugeben hat, wenn diesem zuvor Vertraulichkeit
zugesichert wurde.81 Wer leichtfertig oder wider besseres
Wissen falsche Angaben macht, soll sich auch auf die
Zusage der Vertraulichkeit nicht verlassen dürfen. In
diesen Fällen darf die Behörde oder Hochschule dem
Interesse an der Geheimhaltung des Hinweisgebers nicht
den Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen geben,
den Sachverhalt vollständig aufzuklären.82
Die Aufsichtsbehörde darf die Offenbarung der Identität
eines Informanten auch nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO
nicht verhindern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig
falsche Angaben gemacht hat.83 Die Fürsorgepflicht
des Dienstherrn gebietet es schließlich, einen betroffenen
Beamten dabei zu unterstützen, sich gegen Behauptungen
und Anschuldigungen Dritter zur Wehr zu setzen,
die seine Amtsführung, sein sonstiges dienstliches
oder außerdienstliches Verhalten zu Unrecht in Misskredit
bringen. Deshalb erkannte das BVerwG dem belasteten
Beamten zum Schutz und zur Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte
einen unmittelbaren und selbstständigen
Anspruch gegen den Dienstherrn zu, die Identität
des Denunzianten zu offenbaren, auch wenn diesem
Vertraulichkeit zugesichert worden war.84
Gleiches gilt für Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung,
die sich auf die allgemeinen Auskunftsansprüche
nach Art. 15 DSGVO, § 34 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 29
Abs. 1 Satz 2 BDSG stützen können. Die danach gebotene
Offenbarung der Identität eines Hinweisgebers kann
auch durch die zugesagte Geheimhaltung nicht verhindert
werden. Die Rechtsprechung legt der verantwortlichen
Stelle sogar die prozessuale Darlegungspflicht auf,
Angaben zu einem konkreten Sachverhalt vorzutragen,
weshalb die Auskunftserteilung tatsächlich beschränkt
werden müsste. Demnach trifft die Hochschule als Arbeitgeber
bzw. Dienstvorgesetzter kraft Sachnähe die
Pflicht zur Darlegung und zum Nachweis schützenswerter
Interessen des Hinweisgebers.85
V. Fazit
Die Hochschule trifft die Aufgabe, dem Verdacht eines
wissenschaftlichen oder sonstigen Fehlverhaltens eines
bei ihr (ggf. früher) tätigen Wissenschaftlers oder sonstigen
Beschäftigten nachzugehen. Hierbei stellen Mitteilungen
von anderen Beschäftigten, externen Dritten
oder anderen Behörden, aus denen sich Anhaltspunkte
für Pflichtverletzungen ergeben, nicht nur den Anlass
für Untersuchungen der Hochschule dar, sondern geben
auch als Grundlage die Richtung der ersten Ermittlungen
vor. Insoweit dienen Hinweise auf Rechtsverstöße
und Fehlverhalten auch dann dem Gemeinwohl, wenn
sich die Verdachtsmomente im Zuge der Ermittlungen
nicht erhärten. Die Hochschule muss nicht tätig werden,
wenn sie nur mit Mutmaßungen, Spekulationen und
Meinungen konfrontiert wird, denen eine Tatsachenbehauptung
fehlt. Die Kenntnis der Identität eines Hinweisgebers
ist keine Voraussetzung für die Ermittlungspflicht.
Neben der tätigkeitsbezogenen Verschwiegenheitspflicht
ihrer Beschäftigten, die an den Untersuchungen
mitwirken, können die Hochschulen bei Beschwerden
und Mitteilungen zusagen, die Identität eines Hinweisgebers
vertraulich zu behandeln. Dazu sind Vorkehrungen
zu treffen, dass die personenbezogene Daten des Informanten
von der inhaltlichen Aufklärung des Vorwurfs
getrennt bleiben. Derzeit gibt es keine Pflicht der
Hochschulen zur Einrichtung solcher Vertraulichkeitsbarrieren.
Bei der Umsetzung der Ende 2019 in Kraft gesetzten
Richtlinie 2019/1937/EU ist aber (jedenfalls für
Hinweisgeber, die Verstöße gegen Unionsrecht melden)
eine differenzierte Ausgestaltung zu erwarten.
Ungeachtet der Zusicherungen oder Vorkehrungen
zur Wahrung besonderer Vertraulichkeit für die Identität
von Hinweisgebern bestehen bereits jetzt rechtliche
Vorkehrungen zum Schutz der Hinweisgeber, vor allem
ein allgemeines Benachteiligungsverbot. Dies gilt jeden-
81 BVerwG, Urt. v. 30.4.1965 — VII C 83/63, NJW 1965, 1450, 1451:
VGH München, Urt. v. 30.7.1979 — Nr. 3712 VII/78, NJW 1980,
198, 199.
82 Vgl. auch RiStBV, Anlage D Ziff. 4.
83 BVerwG, Urt. v. 4.9.2003 — 5 C 48.02, BVerwGE 119, 11, 15; Urt.
v. 3.9.1991 — 1 C 48.88, BVerwGE 89, 14, 19; Beschl. v. 3.8.2011
– 20 F 23/10, juris, Rn. 10; Beschl. v. 1.12.2015 – 20 F 9/15, juris,
Rn. 10; Beschl. v. 15.3.2019 – 20 F 7/17, juris, Rn. 10.
84 BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 — 2 C 10/02, BVerwGE 118, 10 = NJW
2003, 3217.
85 Siehe zur Reichweite des Auskunftsanspruchs eines Beschäftigten
bei internen Ermittlungen: LAG Stuttgart, Urt. v. 20.12.2018 – 17
Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242 = juris, Rn. 208 (Rev. anhängig
unter BAG 5 AZR 66/19); m. Anm. Spitz, jurisPR-ITR 9/2019
Anm. 4; Scholz, jurisPR-ArbR 22/2019 Anm. 5; Kielkowski/Zöll,
jurisPR-Compl 2/2019 Anm. 1.
7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 6 5 — 7 6
falls für die Beschäftigten, die über Missstände zunächst
ihre Vorgesetzten und Arbeitgeber unterrichten. Ob
auch die Identität von Hinweisgebern im Verwaltungsprozess
„ihrem Wesen nach“ geheim zu halten ist, muss
jedoch nach dem Beschluss des BVerwG vom 22.1.2017,
wonach die Anonymität im Wissenschaftsbereich nicht
geschützt sei, angezweifelt werden. Zur Offenlegung der
Personendaten von Informanten, die wissentlich falsche
Angaben gemacht haben, sind die Hochschulen und Behörden
schon heute verpflichtet.
Prof. Dr. Klaus Herrmann, Potsdam, ist Fachanwalt für
Verwaltungsrecht und Partner der Dombert Rechtsanwälte
PartmbB, Honorarprofessor für Verwaltungsrecht
und Wirtschaftsverwaltungsrecht an der Brandenburgischen
technischen Universität Cottbus-Senftenberg
und Lehrbeauftragter für öffentliches
Dienstrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-
Wittenberg. Allein aus Gründen des Leseflusses wurde
im Text lediglich die männliche Form verwendet, eine
geschlechtsbezogene Hervorhebung oder