I. Einleitung
Gem. § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG ist die Laufzeit aller befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit auf die Höchstbefristungsdauer gem. § 2 Abs. 1 WissZeitVG anzurechnen. Anrechnungsfähig sind nur Arbeitsverhältnisse mit einer deutschen Hochschule.1 Nach allg. Meinung werden weiterhin nur Arbeitsverhältnisse angerechnet, die die Erbringung wissenschaftlicher Dienstleistungen gem. § 1 Abs. 1 WissZeitVG zum Gegenstand haben.2
Zu diesen befristeten Arbeitsverhältnissen zählen unter anderem befristete Arbeitsverhältnisse auf Grundlage des § 2 Abs. 2 WissZeitVG (sog. Drittmittelbefristungen).3 Weil Bund und Länder die Hochschulfinanzierung immer stärker von einer soliden Grundfinanzierung hin zu einer Projektfinanzierung über Förderfonds u.ä. verschieben, steigt die Zahl drittmittelbefristeter Beschäftigter stark an. So folgen bei denselben Beschäftigten nicht selten mehrere Drittmittelbefristungen aufeinander und bilden die Lebensgrundlage in einem Lebensalter, in dem die Familiengründung ansteht.
Zum Ausgleich der Härten, die damit einhergehen, Kinder und Qualifikation miteinander vereinbaren zu müssen4, sieht § 2 Abs. 1 S. 4, 5, Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 3 WissZeitVG verschiedene Ausgleichsmechanismen vor. Doch ist fraglich, ob diese Ausgleichsmechanismen in jedem Fall ihre vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung entfalten können: § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG könnte diese Mechanismen unterlaufen.
II. Fallkonstellation
Zur Veranschaulichung der Problemstellung dient folgende Fallkonstellation:
Arbeitnehmer A ist erstmals wissenschaftlicher Mitarbeiter an der deutschen Hochschule X. Er ist zur Erbringung wissenschaftlicher Dienstleistungen im Drittmittelprojekt „Thinktank Mecklenburgische Seenplatte“ beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag ist wirksam aufgrund § 2 Abs. 2 WissZeitVG befristet. Als vertragliche Arbeitszeit sind 35 Stunden/Woche vereinbart. A wird nach sechs Monaten Beschäftigungszeit Vater und nimmt zur Betreuung seines Kindes ein Jahr Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Anspruch. Mit Ablauf der Elternzeit endet die vereinbarte Vertragslaufzeit mit der Hochschule X. A beabsichtigt, seine Forschung nunmehr im Rahmen einer auf Grundlage von § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG befristeten Beschäftigung fortzusetzen und fragt sich, wie lang die Höchstbefristungsdauer gem. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG noch ist.
Abwandlung: Was ist, wenn A vor Begründung des gegenständlichen Arbeitsverhältnisses bereits vier Jahre und sechs Monate mehr als ein Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit an einer deutschen Hochschule beschäftigt war?
III. Ausgangspunkt: Verlängerung der Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG
Gem. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG beträgt die Höchstbefristungsdauer der sachgrundlosen5 Befristung zur QuaSimon
Pschorr
Die Wechselwirkung von § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG und § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG –
Zur Betreuungsverlängerung und Anrechenbarkeit von Unterbrechungszeiten bei Drittmittelbefristung gem. § 2 Abs. 2 WissZeitVG
1 Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 85.
2 BGH AP WissZeitVG § 2 Nr. 10 Rn. 30 ff.; BGH NZA 2020, 42, 46 Rn. 42; BGH NZA 2021, 786, 790 Rn. 34; Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 88.
3 BT-Drs. 16/3438, S. 15.
4 BT-Drs. 16/3438, S. 9; BT-Drs. 18/6489, S. 8.
5 BT-Drs. 18/6489, S. 10; Maschmann/Konertz, Das Hochschulbefristungsrecht in der Reform: Die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, NZA 2016, 257, 259; Staudinger/Preis, § 620 Rn. 282b; Pschorr, Qualifikation durch Beschäftigung?, RdA 2021, 237, 238.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
1 1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 1 5 — 1 2 0
6 Zum Begriff Pschorr, Corona und Höchstbefristungszeiten im
Wissenschaftszeitvertragsrecht, COVuR 2020, 573, 574.
7 BT-Drs. 16/3438, S. 13.
8 BGH NZA 2018, 1135, 1138 Rn. 34; BGH NZA 2017, 189, 192 Rn. 27;
Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 46; ErfKomm/Müller-Glöge § 2
WissZeitVG Rn. 6a; Laux/Schlachter/Schlachter § 2 WissZeitVG
Rn. 11.
9 BGH NZA 2018, 1135, 1138 Rn. 34; BGH NZA 2017, 189, 192 Rn.
26; BAG NZA 2016, 954, 959 Rn. 53; LAG Sachsen-Anhalt BeckRS
2020, 31213 Rn. 36.
10 BT-Drs. 16/3438, S. 12.
11 Vgl. auch BAG NZA 2018, 1135, 1137 Rn. 29; BGH NZA 2017, 189,
192 Rn. 27.
12 Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 45.
13 BT-Drs. 16/3438, S. 13.
14 Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 45; ErfKomm/Müller-Glöge §
2 WissZeitVG Rn. 6a; so wohl auch Löwisch, Die Ablösung der
Befristungsbestimmungen des Hochschulrahmengesetzes durch
das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, NZA 2007, 479, 483 („nicht
ganz unerheblicher Zeitraum“).
15 ArbG Halle BeckRS 2018, 54487 Rn. 54; ErfKomm/Müller-Glöge
§ 2 WissZeitVG Rn. 6a; a.A. wohl LAG Sachsen-Anhalt BeckRS
2020, 31213 Rn. 41 Betreuung „oft nur an Wochenenden“.
16 Laux/Schlachter/Schlachter § 2 WissZeitVG Rn. 12.
17 BGH NZA 2018, 1135, 1138 Rn. 34; BGH NZA 2017, 189, 192 Rn.
26; BAG NZA 2016, 954, 959 Rn. 52; so auch Boecken/Joussen/
Joussen § 2 WissZeitVG Rn. 8.
18 BAG NZA 2016, 954, 959 Rn. 54; BGH NZA 2017, 189, 192 Rn. 27;
so auch Boecken/Joussen/Joussen § 2 WissZeitVG Rn. 8; Laux/
Schlachter/Schlachter § 2 WissZeitVG Rn. 12.
19 BGH NZA 2018, 1135, 1138 Rn. 33; LAG Sachsen-Anhalt BeckRS
2020, 31213 Rn. 42; so auch Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Boemke
§ 2 WissZeitVG Rn. 16.
20 BAG NZA 2016, 954, 959 Rn. 53.
21 Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Boemke § 2 WissZeitVG Rn. 15;
Laux/Schlachter/Schlachter § 2 WissZeitVG Rn. 11; a.A. wohl
ErfKomm/Müller-Glöge § 2 WissZeitVG Rn. 6a.
lifikation grundsätzlich sechs Jahre bis zum Abschluss
der Promotion. Gem. § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG wird
die Höchstbefristungsdauer um zwei Jahre je betreutem
Kind unter 18 Jahren verlängert. Diese Verlängerung
erweitert die Gesamthöchstbefristungsdauer6, verlängert
also die maximal mögliche Gesamtbefristungsdauer
bei einem betreuten Kind von 12 Jahren vor und nach
der Promotion auf 14 Jahre.7 Kann die Promotion angesichts
der Kinderbetreuung z.B. erst nach 7 Jahren statt 6
Jahren abgeschlossen werden, kann nach der Promotion
höchstens für weitere 7 Jahre befristet beschäftigt werden.
- Zusammenhang zwischen Befristungszeit und Kinderbetreuung
Umstritten ist, ob es eines Zusammenhangs zwischen
Befristungszeit und Kinderbetreuung bedarf. Anders
gesagt: Verlängert sich die Höchstbefristungsdauer nur
dann, wenn das Kind während der Vertragslaufzeit eines
Arbeitsverhältnisses zur Qualifikation gem. § 2 Abs. 1
WissZeitVG betreut wird?
In Literatur und Rechtsprechung besteht Einigkeit,
Betreuungszeiten vor Beginn der wissenschaftlichen Tätigkeit
seien nicht zu berücksichtigen.8 Kinderbetreuungszeiten
nach Ende der Höchstbefristungsdauer begründen
eine Ausweitung nach § 2 Abs. 1 S. 4 Wiss-
ZeitVG ebenfalls nicht.9 Dies ist angesichts des Normwortlauts
nachvollziehbar: „Bei Betreuung“ impliziert,
dass eine Betreuung gerade stattfinden muss, nicht stattgefunden
hat oder stattfinden wird. Auch der Gesetzgeber
will eine Verlängerung der Höchstbefristungszeit für
beide Elternteile nur gewähren, wenn sie selbst betreuen.
10 Die Doppelbelastung von Kinderbetreuung und
Qualifikation, die mit der Vorschrift kompensiert werden
soll, kann auch nur eintreten, wenn die Betreuung
während eines Beschäftigungsverhältnisses erfolgt.11
Betreuungszeiten nach Beginn der wissenschaftlichen
Tätigkeit werden kontrovers diskutiert. Teilweise
wird vertreten, sofern die Betreuung nur während eines
Zeitraums stattfinde, in dem eine Vertragsverlängerung
nach § 2 Abs. 5 WissZeitVG in Anspruch genommen
würde, fände § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG keine Anwendung.
12 Diese Ansicht tendiert dazu, Betreuungsstunden
zu zählen und widerspricht dem ausdrücklichen Willen
des Gesetzgebers, der § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG von
§ 2 Abs. 5 WissZeitVG unabhängig betrachtet wissen
will.13 Bei nur kurzer Doppelbelastung mit Qualifikation
und Kinderbetreuung, z. B. bei frühzeitigem Tod des
Kindes, verlängere sich nach einer weiteren Ansicht die
Höchstbefristungsdauer nur um den Zeitraum der tatsächlichen
Doppelbelastung.14 Schließlich wird vertreten,
§ 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG käme nur bei einer Kinderbetreuung
während der Arbeitswoche, nicht bei „Wochenendkindern“
zur Anwendung.15 Das Bundesarbeitsgericht
wendet § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG
zutreffenderweise entsprechend seinem Wortlaut als
pauschalen16 Verlängerungstatbestand an: Ungeachtet
der noch übrigen Höchstbefristungsdauer bei Eintritt
der Kinderbetreuung17 oder des tatsächlichen Betreuungsbedarfs18
verlängert sich die Höchstbefristungsdauer
automatisch19 um zwei Jahre. Das Bundesarbeitsgericht
weist zu Recht darauf hin, dass das Gesetz keine nur
anteilige Verlängerung der Höchstbefristungsdauer
vorsieht.20
Bei Abschluss des Vertrages können Kinderbetreuungszeiten
während der Vertragslaufzeit bei konkreten
Anhaltspunkten antizipiert werden – beispielsweise bei
einer fortgeschrittenen Schwangerschaft.21 Die Höchstbefristungsdauer
verlängert sich dann bereits vor Eintritt
der Kinderbetreuung um zwei Jahre. Auch dies erfüllt
den Zweck des Gesetzes zur Familienförderung; es
wäre künstlich, die Verlängerung erst bei Geburt des
Pschorr · Wechselwirkung von § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG und § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG 1 1 7
22 Vgl. BT-Drs. 18/6489, S. .
23 BGH NZA 2018, 1135, 1137 Rn. 34.
24 Geis/Krause § 2 WissZeitVG Rn. 89.
25 Grobys/Panzer-Heemeier/Fohrmann Elternzeit Rn. 18; Rancke,
Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, 5. Auflage
2018, § 15 BEEG Rn. 50; vgl. auch § 22 S. 1 MuSchG.
26 BT-Drs. 18/11782, S. 36; BeckOK ArbR/Dahm § 3 MuSchG Rn. 7.
27 BAG AP WissZeitVG § 2 Nr. 10 Rn. 19; BAG NZA 2020, 42, 46
Rn. 41.
Kindes eintreten zu lassen, denn dann drohten Kurzzeitbefristungen
bis zum Geburtstermin entgegen des
Gesetzgeberwillens.22 - Verlängerung der Höchstbefristungsdauer nur bei
Qualifikationsbeschäftigung?
Fraglich ist schließlich, ob die Betreuung während einer
befristeten Beschäftigung gem. § 2 Abs. 1 WissZeitVG
erfolgen muss. Das Bundesarbeitsgericht wendet
§ 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG an, wenn Kinder während
einer anrechnungsfähigen Beschäftigung betreut werden.
23 Das Gericht wendet die Vorschrift mithin auf alle
Beschäftigungsverhältnisse i.S.d. § 2 Abs. 1, Abs. 3 S. 1
WissZeitVG an. Leider begründet es dies nicht gesondert.
Der Normwortlaut ist für eine Anwendung auf
anrechnungsfähige Beschäftigungsverhältnisse offen,
deutet aber nicht darauf hin. Die Normsystematik
spricht dagegen: § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG steht im systematischen
Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 S. 1, 2 Wiss-
ZeitVG und nicht mit § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG. Für die
Auslegung des Bundesarbeitsgerichts streitet aber klar
der Normzweck: Eine kompensationsfähige Doppelbelastung
mit Arbeit und Kinderbetreuung ist unabhängig
vom Befristungsgrund. Regelmäßig findet auch in dritmittelbefristeten
Arbeitsverhältnissen Qualifikation
statt, sodass der Gesetzgeberwille zur Familienförderung
nur dann effektiv erreicht wird, wenn § 2 Abs. 1 S. 4
WissZeitVG durch Kinderbetreuung während jeder
Form wissenschaftlicher Beschäftigung ausgelöst wird. - Anwendung auf die Fallkonstellation
In der Ausgangsfallkonstellation wird A während eines
drittmittelbefristeten Arbeitsverhältnisses Vater. Die
Laufzeit des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich gem.
§ 2 Abs. 3 WissZeitVG auf die Höchstbefristungsdauer
anrechenbar. Deshalb verlängert sich die Höchstbefristungsdauer
von sechs auf acht Jahre.
Gleiches gilt in der Abwandlung: Zwar kann A hier
zu Beginn der Kinderbetreuung nur noch maximal ein
Jahr gem. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG befristet beschäftigt
werden: Er war vor Begründung des Arbeitsverhältnisses
vier Jahre und sechs Monate beschäftigt und das bestehende
Arbeitsverhältnis dauert zum Zeitpunkt der
Vaterschaft weitere sechs Monate an. Somit verbliebe
grundsätzlich nur ein Jahr zur sachgrundlosen Befristung
gem. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG. Dennoch verlängert
sich seine Höchstbefristungsdauer pauschal um
zwei Jahre, die vollständig oder teilweise vor Abschluss
der Promotion ausgeschöpft werden können.
IV. Anrechenbarkeit von Elternzeit und Mutterschutz
Auf die Höchstbefristungszeit könnte schließlich gem.
§ 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG die Elternzeit von einem Jahr
anzurechnen sein. - Anrechnungsfähiges Arbeitsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 3
S. 1 WissZeitVG
Das wäre der Fall, wenn während der Elternzeit ein
anrechnungsfähiges Arbeitsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 3 S.
1 WissZeitVG bestünde. Nach dem Normwortlaut sind
alle „befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem
Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die mit einer deutschen
Hochschule oder einer Forschungseinrichtung im
Sinne des § 5 abgeschlossen wurden“ anzurechnen. Dies
ist hier in zweierlei Hinsicht fraglich: Besteht überhaupt
ein Arbeitsverhältnis (fort) und hat dies einen anrechnungsfähigen
Umfang ?
Ein befristetes Arbeitsverhältnis wurde vorliegend
abgeschlossen. Die Tätigkeit des A erfolgte nicht allein
aufgrund eines (nicht anrechnungsfähigen) Stipendiums.
24 Dieses ist durch Inanspruchnahme der Elternzeit
auch nicht aufgehoben worden. Rechtsfolge der Inanspruchnahme
der Elternzeit ist (nur) das Ruhen der
Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses.25 Gleiches
gilt für Zeiten des Mutterschutzes bzw. für Tätigkeitsverbote
gem. § 16 Abs. 1 MuSchG.26
Allerdings könnte der Umfang des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr ein Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit
i.S.d. § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG betragen.
Dabei ist genauer in den Blick zu nehmen, worauf die
Vorschrift abstellt: Nach dem Normwortlaut kommt es
auf Arbeitsverhältnisse an, die mit deutschen Hochschulen
„abgeschlossen“ wurden. § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG
stellt seinem Normwortlaut nach auf das vereinbarte,
nicht auf das gelebte Arbeitsverhältnis ab. Das Bundesarbeitsgericht
legt § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG so aus, dass die
„Arbeitszeitverpflichtung“ maßgeblich dafür ist, ob das
Arbeitsverhältnis anrechnungsfähig ist.27 Deshalb
kommt es allein auf die vereinbarte Arbeitszeit und nicht
1 1 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 1 5 — 1 2 0
28 BAG NZA 2021, 786, 790 Rn. 33; so auch ErfKomm/Müller-Glöge
§ 2 WissZeitVG Rn. 13b.
29 BT-Drs. 16/3438, S. 15.
30 BT-Drs. 16/3438, S. 15.
31 BT-Drs. 18/6489, S. 13; Boecken/Joussen/Joussen § 2 WissZeitVG
Rn. 20.
32 BT-Drs. 18/6489, S. 13.
33 BT-Drs. 16/3438, S. 15.
auf den Umfang tatsächlich erbrachter wissenschaftlicher
Arbeitsaufgaben an.28 Demnach ist die Laufzeit ruhender
Arbeitsverhältnisse grundsätzlich ebenfalls gem.
§ 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG anrechenbar; dass die tatsächliche
Arbeitszeit null Stunden beträgt, steht dem nicht
entgegen. - Anrechnungssperre nach § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG
Allerdings könnte § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG einer
Anrechnung entgegenstehen. Hiernach werden Zeiten
nach § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 6 WissZeitVG in dem
Umfang, in dem sie zu einer Verlängerung eines befristeten
Arbeitsvertrages führen können, nicht auf die nach
§ 2 Abs. 1 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer angerechnet.
Elternzeit, Mutterschutz und Beschäftigungsverbote
nach § 16 Abs. 1 MuSchG unterfallen § 2 Abs. 5 S.
1 Nr. 3 WissZeitVG.
Problematisch ist allerdings, ob § 2 Abs. 5 S. 3 Wiss-
ZeitVG auf Unterbrechungszeiten i.S.d. § 2 Abs. 5 S. 1
WissZeitVG Anwendung findet, die während eines drittmittelbefristeten
Arbeitsverhältnisses eintreten. Hiergegen
spricht die Normsystematik: § 2 Abs. 5 S. 1 Wiss-
ZeitVG a.A. führt nach dem Normwortlaut (nur) zur
Verlängerung von Arbeitsverhältnissen nach § 2 Abs. 1
WissZeitVG. Nachdem § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG an
Zeiten nach § 2 Abs. 5 S. 1 WissZeitVG anknüpft, liegt es
nahe, dass nur Unterbrechungszeiten während Qualifikationsbeschäftigungen
erfasst werden. Auch der Gesetzgeberwille
deutet auf eine Anwendbarkeit des
§ 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG nur auf Verhinderungen während
der Qualifikationsbefristung hin: § 2 Abs. 5 Wiss-
ZeitVG soll eine Anrechnung von Eltern- und Mutterschutzzeit
auf die Laufzeit eines konkreten Vertrages
verhindern.29 Diese Wirkung hat der Gesetzgeber bewusst
auf Arbeitsverhältnisse nach § 2 Abs. 1 Wiss-
ZeitVG beschränkt und Arbeitsverhältnisse nach
§ 2 Abs. 2 WissZeitVG vom Anwendungsbereich
ausgeschlossen.
Die Gesetzesgeschichte steht dieser Auslegung jedoch
entgegen. § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG hat seine Wurzeln
in § 57b Abs. 4 S. 2 HRG a.F.30 Der Normwortlaut
der geltenden Regelung ist jedoch mit § 57b Abs. 4 S. 2
HRG a.F. nicht mehr identisch. Nach der nicht mehr geltenden
Norm waren „Verlängerung[en]“ gem.
§ 57b Abs. 4 S. 1 WissZeitVG nicht auf die Höchstbefristungsdauer
anzurechnen. Dies wurde zunächst in
§ 2 Abs. 5 S. 2 WissZeitVG a.F. übernommen. 2016 änderte
der Gesetzgeber den Normwortlaut. Mittlerweile
sind „Zeiten nach Satz 1 Nummer 1 bis 6 […] in dem
Umfang, in dem sie zu einer Verlängerung eines befristeten
Arbeitsvertrages führen können“ nicht anrechnungsfähig.
Das Erfordernis einer tatsächlichen Verlängerung
fiel weg. Diese Gesetzesänderung erfolgte, um Arbeitnehmerinnen
nicht zu benachteiligen, die auf eine Vertragsverlängerung
aus privaten Gründen, beispielsweise
wegen eines beabsichtigten Umzugs, verzichten.31 Allerdings
sperrt der Wortlaut der jetzigen Normfassung eine
Anwendung von § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG auf Fälle des
§ 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG: Ausdrücklich soll § 2 Abs. 5 S.
3 WissZeitVG nur auf solche Zeiten (in dem Umfang)
Anwendung finden, die zu einer Verlängerung eines befristeten
Arbeitsvertrags führen können. Zeiten außerhalb
von Qualifikationsbeschäftigungen können aber
angesichts § 2 Abs. 5 S. 1 WissZeitVG a.A. (vollumfänglich)
nicht zu einer Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags
führen. Die Einschränkung, die eigentlich
nur zur Übertragung der quantitativen Beschränkung
des § 2 Abs. 5 S. 2 WissZeitVG auf die Nichtanrechnung
gem. § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG gedacht war32, steht der
Normanwendung nunmehr ausdrücklich entgegen. - Teleologische Extension
Auf das Fallbeispiel angewandt hieße dies: Die Elternzeit
des A würde gem. § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG vollumfänglich
auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet.
Dies hieße, dass A im Ausgangsfall noch sechs Jahre und
sechs Monate Höchstbefristungsdauer, in der Abwandlung
zwei Jahre Höchstbefristungsdauer verblieben.
Wäre A nicht in einem Drittmittelprojekt, sondern zur
Qualifikation beschäftigt worden, betrüge seine Höchstbefristungsdauer
im Ausgangsfall sieben Jahre und sechs
Monate bzw. in der Abwandlung drei Jahre. Im Ergebnis
werden Arbeitnehmer auf Drittmittelstellen somit bei
der Berechnung der Höchstbefristungsdauer anders
behandelt als zur Qualifikation befristete Arbeitnehmer.
Dies widerspricht dem Gesetzgeberwillen. Dieser beabsichtigte
mit § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG zu verhindern,
dass die Befristungshöchstgrenzen durch Wechsel des
Befristungsgrundes mehrfach ausgeschöpft würden.33
§ 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG sollte also eine Gleichbehandlung
verschiedener Befristungsgründe erreichen.
§ 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG dient nach dem GesetzgePschorr
· Wechselwirkung von § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG und § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG 1 1 9
34 BT-Drs. 16/3438, S. 16.
berwillen dazu, dass die gesamte Qualifikationsphase
ausgeschöpft werden kann.34 Dem Gesetzgeberwillen
kann nur Rechnung getragen werden, wenn § 2 Abs. 5 S.
3 WissZeitVG in entsprechender Anwendung auch die
Anrechnung von Unterbrechungszeiten i.S.d. § 2 Abs. 5
S. 1 WissZeitVG vermittels § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG
sperrt. Diese analoge Anwendung der Vorschrift ist
schließlich verfassungsrechtlich geboten, nachdem es an
einem Sachgrund zur Ungleichbehandlung der beiden
wesentlich gleichen Fallkonstellationen i.S.d. Art.
3 Abs. 1 GG fehlt.
V. Endergebnis
Im Ausgangsfall verlängert sich die Höchstbefristungsdauer
des A von sechs Jahren durch Kinderbetreuung
gem. § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG auf acht Jahre. § 2 Abs. 1
S. 4 WissZeitVG verlängert die Höchstbefristungsdauer
auch dann, wenn die Kinderbetreuung in einem befristeten
wissenschaftlichen Arbeitsverhältnis eintritt, das
nicht gem. § 2 Abs. 1 WissZeitVG befristet ist. Auf diese
Höchstbefristungsdauer ist nur die Beschäftigungszeit
von sechs Monaten bis zur Elternzeit gem. § 2 Abs. 3 S. 1
WissZeitVG anrechenbar. Der Zeitraum der Elternzeit
ist entsprechend § 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG nicht auf die
Höchstbefristungsdauer anzurechnen. Ihm verbleiben
deshalb noch sieben Jahre und sechs Monate Höchstbefristungsdauer.
In der Abwandlung wird die Höchstbefristungsdauer
genauso gem. § 2 Abs. 1 S. 4 WissZeitVG
um volle zwei Jahre verlängert, obschon bei Beginn der
Kinderbetreuung nur noch ein Jahr Höchstbefristungsdauer
verblieben war. Nach analoger Anwendung des
§ 2 Abs. 5 S. 3 WissZeitVG verbleiben A hier noch drei
Jahre Höchstbefristungsdauer.
Simon Pschorr ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft
Konstanz und abgeordneter Praktiker an der
Universität Konstanz. Er kommentiert §§ 53 ff. HRG in
Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern.
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