Soziale Medien oder soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram, LinkedIn, TikTok oder YouTube gehören zu den meistgenutzten Diensten im Internet.1 Seit fast nunmehr 20 Jahren haben sie eine Verbreitung gefunden, dass durchschnittlich fast die Hälfte der Weltbevölkerung eines oder mehrere dieser Medien zumindest gelegentlich nutzt.2 Ihre erhebliche Bedeutung für Information und Kommunikation ist unbestritten. Vielfach wird bereits konstatiert, dass der Rückgang der Nutzerzahlen bei „klassischen Medien“ wie Zeitungen, Rundfunk und (linearem) Fernsehen auch mit dem Aufkommen der sozialen Medien als Ort moderner Information und Kommunikation zusammenhängt.3
Auch wenn der überwiegende Anteil die private Kommunikation betreffen mag, ist die Nutzung sozialer Medien durch Einrichtungen des öffentlichen Sektors doch signifikant.4 So sind fast alle Bundesministerien und viele Landesministerien, aber genauso die Europäische Kommission5 sowie zahlreiche Kommunen auf Facebook vertreten. Sie informieren dort über ihre Tätigkeit und treten somit in Kontakt mit jenen, deren Interessen diese Behörden (aber auch viele Parlamente oder Gerichte) vertreten: die Öffentlichkeit, die Bevölkerung, Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen oder Vereinigungen aller Art. Soziale Netzwerke sind ein Ort des öffentlichen Lebens.
Das betrifft gleichermaßen auch die Hochschulen und alle relevanten Forschungseinrichtungen. „Fanpages“ auf Facebook haben neben den Technischen Universitäten6 auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft7, die Max-Planck-Gesellschaft8, die Fraunhofer-Gesellschaft9 und natürlich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung10. Daneben sind auch zahlreiche Lehrstühle, Institute und Forschungsstellen auf Facebook, Instagram, Twitter oder LinkedIn vertreten, zum Teil mit eigenen Seiten für einzelne Vorlesungen oder Seminare.
So relevant die sozialen Medien und Netzwerke also für die Öffentlichkeitsarbeit auch im Wissenschaftsbereich sind, so sehr stellt sich aktuell (im Frühjahr 2023) die Frage: Stehen all diese Internetpräsenzen mit zusammen vielen Millionen Nutzerinnen und Nutzern vor dem Aus? Anlass für diese Frage gibt eine Verfügung des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI), mit der dieser am 17.2.2023 dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) den Betrieb der „Facebook-Fanpage“ der Bundesregierung untersagt hat.11 Sollte dessen Rechtmäßigkeit in dem derAnne
Paschke
Social Media-Nutzung von Hochschulen vor dem Aus? Verfassungsrechtliche Analyse der
Untersagungsverfügung des BfDI gegen das BPA vom 17.02.2023
1 Vgl. We are Social, Hootsuite, DataReportal, 2023, Ranking der größten Social Networks und Messenger nach Anzahl der Nutzer im Januar 2023 (in Millionen), abrufbar unter https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/181086/umfrage/die-weltweit-groessten-social-networks-nach-anzahl-der-user/, sowie Statis ta, 2022, Ranking der wichtigs ten sozialen Netzwerke in Deutschland nach Markenbekanntheit im Jahr 2022, https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/1309960/umfrage/bekanntes te-soziale-netzwerke-in-deutschland/ (sämtliche Online-Quellen wurden am 29.05.2023 abgerufen).
2 Alleine Facebook zählt nach eigenen Angaben derzeit 2,9 Mrd. monatlich aktive Nutzer, Meta Platforms, 2023, Anzahl der monatlich aktiven Facebook Nutzer weltweit vom 1. Quartal 2009 bis zum 4. Quartal 2022 (in Millionen), https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/37545/umfrage/anzahl-der-aktiven-nutzer-von-facebook/.
3 Aus dem Reuters Ins titute Digital News Report von 2020 geht hervor, dass soziale Medien zu Informationszwecken über das Tagesgeschehen zunehmende Bedeutung erlangen, https://www.digitalnewsreport.org/survey/2020/overview-key-findings-2020/.
4 So nutzen bs pw. Bundesminis terien (exemplarisch: https://www.facebook.com/bmdv, https://www.facebook.com/bmbf.de, https://www.facebook.com/BMWK), regionale Behörden (exemp-larisch: https://www.facebook.com/s tadtbraunschweig, https://www.facebook.com/s tadt.koeln50, https://www.facebook.com/Stadt.Muenchen) oder auch Polizeibehörden (exemplarisch: https://www.facebook.com/PolizeiHannover, https://www.facebook.com/PolizeiBerlin) soziale Medien, um über ihre Inhalte zu berichten.
5 https://www.facebook.com/eu.kommission.
6 Vgl. z.B. die Fanpage der TU9, https://www.facebook.com/TU9.de.
7 https://www.facebook.com/Deutsche-Forschungsgemeinschaft.
8 https://www.facebook.com/maxplanckgesellschaft.
9 https://www.facebook.com/fraunhofer.de.
10 https://www.facebook.com/bmbf.de/.
11 Der Bescheid is t abrufbar unter https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/Dokumente-allg/2023/Bescheid-Facebook-Fanpage.html.
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
1 6 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
12 Die Klage is t am 16.03.2023 beim VG Köln eingegangen und wird
dort unter dem Aktenzeichen 13 K 1419/23 geführt, https://www.
vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Interssante-Verfahren/index.
php.
13 https://www.facebook.com/Bundesregierung/.
14 Vgl. Rundschreiben des BfDI an die behördlichen Datenschutzbeauftragten
der obers ten Bundesbehörden v. 20.05.2019, abrufbar
unter: https://www.bfdi.bund.de/DE/DerBfDI/Dokumente/Rundschreiben/
Allgemein/Rundschreiben_allg-node.html.
15 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 1, abrufbar unter https://
www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/
Dokumente-allg/2023/Bescheid-Facebook-Fanpage.html.
16 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 20.
17 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 20.
18 Auf dieses Datenschutzins trument soll hier nicht näher eingegangen
werden, vgl. hierzu Nguyen, in: Gola/Heckmann (Hrsg.),
DSGVO – BDSG, 3. Auflage 2022, Art. 58 DS-GVO Rn. 14.
19 Vgl. Mitteilung auf der Website des BfDI v. 09.11.2022, https://
www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Kurzanmeldungen/DE/2022/20_
BfDI-loescht-Twitter-Account.html?nn=251928.
zeit anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren12
bestätigt werden, ist davon auszugehen, dass auch der
Betreib von allen weiteren „Fanpages“ untersagt wird,
mithin auch jene im Bereich von Hochschulen und
Wissenschaft.
Der vorliegende Beitrag untersucht die Rechtmäßigkeit
dieser Untersagungsverfügung und zeigt mögliche
Konsequenzen für die digitale Information und Kommunikation
im Wissenschaftsbereich auf.
I. Vorgeschichte: Untersagungsverfügung gegen das
BPA
Das BPA ist für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
zuständig. Während in der Vergangenheit die
Pressekonferenz das klassische Medium der Öffentlichkeitsarbeit
einer Bundesregierung war und sich Menschen
anschließend über die Texte, die Journalistinnen
und Journalisten auf dieser Grundlage geschaffen haben,
informieren konnten, nutzt die Bundesregierung über
das BPA inzwischen soziale Medien, um Bürgerinnen
und Bürger unmittelbar zu informieren.
Daher betreibt das BPA wie viele anderen Behörden
verschiedene Webseiten in sozialen Medien. Eine dieser
Webseiten ist eine Fanpage für die Bundesregierung auf
der Plattform Facebook.13 Bereits 2019 hatte der BfDI die
obersten Bundesbehörden angeschrieben und mitgeteilt,
dass eine datenschutzkonforme Nutzung von Facebook
nicht möglich sei.14 Mit Bescheid vom 17.2.2023 wurde
der Betrieb nunmehr durch den Bundesbeauftragten für
Datenschutz und Informationsfreiheit untersagt.15
Der BfDI untersagt dem BPA also den Betrieb seiner
Bundesregierungs-Fanpage auf Facebook, der über eine
Million Menschen folgen. Gleichzeitig erkennt der BfDI
jedoch an, dass eine entsprechende Fanpage für das BPA
deshalb von großem Interesse ist, weil sich viele Menschen
ihre Informationen vorrangig über das Netzwerk
Facebook beschaffen.16 Wird diese Fanpage abgeschaltet,
geht der BfDI selbst davon aus, dass Informationen der
Bundesregierung von bestimmten Nutzerkreisen nicht
mehr wahrgenommen werden.17 Diesem Risiko zum
Trotz ist die Untersagungsverfügung ergangen. Darüber
hinaus wurde das BPA in verschiedenen weiteren Punkten
im Zusammenhang mit dem Betrieb der Facebook-
Fanpage verwarnt.18
Diese Reaktion des BfDI ist insofern bemerkenswert,
als der Leiter dieser obersten Bundesbehörde und frühere
Staatssekretär im seinerzeitigen Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in seinen
fast 35.000 Tweets gegenüber ebenso vielen Followern
auf Twitter kommuniziert und damit selbst als Abgeordneter,
Staatssekretär und eben Beauftragter für den Datenschutz
Öffentlichkeitsarbeit betrieben hat – jedenfalls
bis zu dem Zeitpunkt, als er Twitter Ende 2022 verlassen
hat. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der
jahrelang das soziale Netzwerk eines US-amerikanischen
Tech-Konzerns als Kommunikationskanal genutzt
hat19, verbietet nun dem BPA die Nutzung von Facebook
für dessen Öffentlichkeitsarbeit.
II. Rechtsfragen im Umgang mit der Untersagungsverfügung
vom 17.2.2023
Die zentralen Rechtsfragen, die sich in Bezug auf die
Untersagungsverfügung ergeben, sind:
––Liegt tatsächlich ein Datenschutzverstoß durch das
Betreiben von Facebook-Fanpages vor (II.1)?
––Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der
Öffentlichkeitsauftrag des Staates (II.2)?
––Wie wirkt sich dieser Ausgangsfall auf die Social
Media-Praxis der Hochschulen aus (III.)?
- Verstößt der Betrieb einer Facebook-Fanpage gegen
die DSGVO?
Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt ein Datenschutzverstoß
vorliegt. Es ist wohl unstreitig, dass die
Datenverarbeitung durch die Facebook Plattform, die
inzwischen vom Meta Konzern betrieben wird, teilweise
Paschke · Social Media-Nutzung an Hochschulen vor dem Aus? 1 6 7
20 Zur datenschutzrechtlichen Diskussion um Facebook vgl. etwa
Hoffmann/Schmidt, GRUR 2021, 679; Lohse, NZKart 2020, 292;
Schweda, ZD-Aktuell 2015, 04659; Solmecke, Handbuch Multimedia-
Recht, Teil 21.1 Social Media, Rn. 43 ff. Auch gerichtlich
wurde das Verhalten von Facebook bereits datenschutz-rechtlich
beans tandet, vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 11.09.2019 – 6 C 15.18 =
NJW 2020, 414.
21 Vgl. Kurzgutachten zur datenschutzrechtlichen Konformität des
Betriebs von Facebook-Fanpages v. 18.03.2022, abrufbar unter https://
www.datenschutzkonferenz-online.de/media/weitere_dokumente/
DSK_Kurzgutachten_Facebook-Fanpages_V1_18.03.2022.
pdf.
22 EuGH, MMR 2019, 732 –„Planet49“; vgl. hierzu auch: Baumann/
Alexiou, ZD 2021, 349.
23 Unter Verweis auf Erwägungsgrund 42 der DS-GVO auch Bescheid
des BfDI vom 17.2.2023, S. 31 ff.
24 Vgl. hierzu Möller, VuR 2022, 449, 453 ff.
25 Vgl. Kurzgutachten zur datenschutzrechtlichen Konformität des
Betriebs von Facebook-Fanpages v. 18.03.2022, S. 19.
26 https://www.facebook.com/legal/terms/page_controller_addendum.
Vgl. auch https://www.facebook.com/legal/controller_addendum.
27 Vgl. Kurzgutachten zur datenschutzrechtlichen Konformität des
Betriebs von Facebook-Fanpages v. 18.03.2022, S. 19.
28 Hartung, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020,
Art. 26 DS-GVO Rn. 13.
29 EuGH, NJW 2018, 2537, Rn. 31 – „Wirtschaftsakademie“.
30 Vgl. EuGH, MMR 2019, 579 – „Fashion ID“ wonach das Kriterium
der gemeinsamen Verantwortlichkeit zum wirksamen Schutz von
Betroffenen weit auszulegen ist; ansonsten: EuGH NJW 2018, 2537
– „Wirtschaftsakademie“.
31 Leitlinien 07/2020 des European Data Protec tion Board zu den
Begriffen „Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“ in der
DSGVO.
32 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 14 unter Verweis auf die
Rechts prechung des EuGH NJW 2018, 2537 – „Wirtschaftsakademie“.
33 EuGH, NJW 2018, 2537 – „Wirtschaftsakademie“.
datenschutzrechtswidrig erfolgt.20 Die Hauptvorwürfe
sind vorliegend das rechtswidrige Setzen von Cookies
und das Fehlen einer wirksamen Vereinbarung in Bezug
auf eine gemeinsame Verantwortlichkeit.21
Eine Datenverarbeitung auch mit Hilfe von Cookies22
ist aufgrund des datenschutzrechtlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt
nur zulässig, wenn der Nutzer in diese
Datenverarbeitung eingewilligt hat oder ein gesetzlicher
Erlaubnistatbestand vorliegt, vgl. Art. 6 DSGVO. Da
Meta nicht hinreichend transparent über die verwendeten
Cookies und darüber informiert, welche personenbezogenen
Daten hierüber erfasst werden, kann darin
ein Datenschutzverstoß gesehen werden.23 Es fehlt mangels
wirksamer Einwilligung somit an einer tauglichen
Ermächtigungsgrundlage für die Datenverarbeitung.24
Auch weitere rechtliche Ermächtigungsgrundlagen
sind nicht ersichtlich: Meta nutzt nämlich Cookies, um
Nutzerprofile anzulegen und auf dieser Grundlage Werbung
auszuspielen. Die so adressierte Werbung ist Teil
des Geschäftsmodells von Facebook, welches vorliegend
das eigentliche Problem darstellt. Es besteht somit für
die Datenverarbeitung mithilfe von Cookies zumeist keine
technische, sondern lediglich eine ökonomische Notwendigkeit,
für welche teilweise keine Ermächtigungsgrundlage
ersichtlich ist.
Darüber hinaus werden die Anforderungen des
Art. 26 DSGVO an die Vereinbarung bei einer gemeinsamen
Verantwortlichkeit25 nicht eingehalten. Facebook
übernimmt zwar in seinen Seiten zu Page Insights-Ergänzungen
(das sog. Page Insights Addendum) die Verantwortung
für die Datenverarbeitung auf der Plattform26,
legt jedoch die Datenverarbeitungsschritte, die
Facebook mit den erfassten personenbezogenen Daten
seiner Nutzerinnen und Nutzer im Einzelnen vollzieht,
nicht offen. Dieser Text ist damit nicht als hinreichende
Vereinbarung i.S.d. Art. 26 DSGVO anzusehen.27
Wie sind diese Datenschutzverstöße von Meta nun aber
dem BPA zuzurechnen?
Für eine gemeinsame Verantwortlichkeit müssen die
Verantwortlichen die Zwecke und Mittel der Verarbeitung
festlegen, vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Dabei ist auf die
tatsächliche jeweilige Funktion bei der Verarbeitung abzustellen.
28 Eine gemeinsame Verantwortlichkeit ist bei
einem tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidung der
Verarbeitung anzunehmen.29 Nach der Rechtsprechung
des EuGH30 und den Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses31
kommt es darauf an, ob die Beiträge
der Verantwortlichen mitursächlich für die Datenverarbeitung
sind. Der BfDI wertet das Betreiben der Fanpage
durch eine Bundesbehörde als das Setzen der primären
Ursache, die es Meta erst ermöglicht, Daten über Besucherinnen
und Besucher der Fanpage zu erheben. Zudem
profitieren sowohl Meta als auch das BPA von der
Datenverarbeitung. Das BPA erhöht als Fanpage-Betreiber
die Reichweite seiner Öffentlichkeitsarbeit und Meta
profitiert insoweit, als es mithilfe der über die Fanpage
gewonnenen Daten die auf dem Netzwerk bereitgestellte
Werbung optimieren kann. Somit ist von einer gemeinsamen
Verantwortlichkeit nach Art. 4 Nr. 7, Art. 26 DSGVO
auszugehen.32
Auch der EuGH hat in seiner Entscheidung zu Fanpages
von 201833 festgestellt, dass Facebook und Betreiber
einer Fanpage auf dieser Plattform in Bezug auf die
Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Besucherinnen
und Besucher dieser Fanpage grundsätzlich
1 6 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
34 https://www.facebook.com/legal/terms/page_controller_addendum;
https://www.facebook.com/legal/controller_addendum.
35 Zur Zus tändigkeit allgemein Eichler/Matzke, in: Wolff/Brink
(Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, 43. Edition, Art. 55 DSGVO.
36 BVerwG, NJW 2020, 414.
37 BVerwG, NJW 2020, 414, 417.
38 EuGH, NJW 2018, 2537.
39 Vgl. Nguyen, in: Gola/Heckmann (Hrsg.), Datenschutz-Grundverordnung
– Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, Art. 58
DS-GVO Rn. 17; Selmayr, in: Ehmann/Selmayr (Hrsg.), Datenschutz-
Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 58 Rn. 18. Zur
Berücksichtigung weiterer Grundrechte vgl. Heckmann/Paschke,
in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staatsrecht der BRD, 2. Auflage
2022, Bd. I § 103 Rn. 120.
40 Vgl. BVerfGE 7, 198.
41 BVerfG, NJW 1977, 751. Horn s pricht von der „Öffentlichkeit als
Lebensgesetz der Demokratie“ in VVDStRL 68 (2009), 413, 418.
42 Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, S. 148. Hierzu auch Grezszick,
in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, - EL September 2022, Art. 20 Rn. 22; Pieroth, in: Jarass/Pieroth
(Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, - Aufl. 2022, Art. 20 Rn. 15 f.
43 Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staatsrecht
der BRD, 2. Auflage 2022, Bd. I § 121 Rn. 10.
als gemeinsame Verantwortliche zu werten sind. Daran
ändert nach h.M. auch der Umstand nichts, dass Meta
die Verantwortung für die Datenverarbeitung auf der eigenen
Plattform übernimmt.34 Dennoch müssen wir uns
fragen: Darf eine Datenschutzaufsichtsbehörde trotz dieser
Verantwortungsübernahme durch Meta einfach gegen
das BPA vorgehen, obwohl die Datenschutzverstöße
durch Meta erfolgen? Der BfDI kann selbst nicht gegen
Facebook vorgehen, da für dieses Unternehmen die irische
Datenschutzaufsichtsbehörde zuständig ist.35
In diesem Zusammenhang hat sich das Bundesverwaltungsgericht
2019 bereits eindeutig positioniert36: Mit
der gemeinsamen Verantwortlichkeit geht eine „Gesamtschuld“
einher, so dass Aufsichtsmaßnahmen auch
gegenüber dem Fanpagebetreiber möglich sind, obwohl
dieser kaum Möglichkeiten hat, auf die technische
Gestaltung Einfluss zu nehmen.37 Zwar kann das BPA
gewisse Einstellungen treffen und sich Statistiken beim
Betreiben der Fanpage ausblenden lassen; hierdurch
werden jedoch Datenschutzverstöße durch das Unternehmen
Meta nicht verhindert.
Der BfDI als zuständige Aufsichtsbehörde zur Ahndung
von Datenschutzverstößen durch öffentliche Stellen
des Bundes kann nach § 9 Abs. 1 BDSG bzw.
§ 29 Abs. 2 TTDSG bei der Wahl des Maßnahmegegners
eine „Störerauswahl“ treffen.
Nach geltender Rechtsprechung haftet das BPA damit
auch für Datenschutzverstöße durch den Konzern Meta,
dem Betreiber des sozialen Netzwerks Facebook.38 Der
BfDI nimmt das BPA vorliegend aus prozessökonomischen
Gründen in Anspruch. Eine Inanspruchnahme
von Meta wäre schwieriger, zumal hierfür die irische Datenschutzaufsicht
zuständig ist. Faktisch adressiert der
BfDI ein (durchaus fragwürdiges) Geschäftsmodell von
Meta, beschränkt sich aber (inkonsequenterweise) auf
eine einzige Fanpage, statt den Betrieb sämtlicher Fanpages
in seinem Zuständigkeitsbereich zu untersagen. - Die Rolle des Öffentlichkeitsauftrags des Staates
Geht man von einem Verstoß gegen die DSGVO und das
Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz
(TTDSG) aus, stellt sich als zweites die Frage, welche
Rolle der Öffentlichkeitsauftrag des Staates in diesem
Fall spielt.
Datenschutzaufsichtsmaßnahmen müssen nach
pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden.39 Ist
dieser verfassungs- bzw. europarechtliche Grundsatz
nicht hinreichend bei der Abwägung berücksichtigt worden,
kann die Untersagung/Abschaltung der Facebook-
Fanpage die verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung
zur Öffentlichkeitsarbeit beeinträchtigen.
Dabei müssen wir uns zunächst die Frage stellen: Ist der
Öffentlichkeitsauftrag eine Pflicht aus der Verfassung
bzw. aus dem EU-Primärrecht? Dies ist im Ergebnis zu
bejahen. Die Meinungs‑, Presse‑, Informations- und
Versammlungsfreiheit ist schlechthin konstituierend in
einer Demokratie.40 Das verfassungsrechtliche Gebot
der Öffentlichkeitsarbeit wird durch das Bundesverfassungsgericht
aus dem Demokratieprinzip, d.h. aus Art.
20 Abs. 1 GG abgeleitet und hat die Aufgabe, demokratische
Teilhabe und gleichzeitig demokratische Kontrolle
zu sichern.41 Der Staat muss nicht nur seine Bürgerinnen
und Bürger informieren, sondern es besteht eine generelle
Pflicht zur Transparenz staatlichen Handelns.42
Demokratietheoretisch ist die rein repräsentative Demokratie
nicht mehr die aktuell gelebte Erwartungshaltung
des Volkes. Es genügt dem mündigen Souverän somit
nicht mehr, sich nur alle vier Jahre zur Wahl in den
politischen Diskurs einbringen zu können.43 Vielmehr
lebt die Demokratie von der Kommunikation und Interaktion
des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern.
Über Meinungsbilder und Korrekturen bzw. die Anpassung
der Politik auf dieser Grundlage werden Erwartungen
von Bürgerinnen und Bürgern in den politischen
Paschke · Social Media-Nutzung an Hochschulen vor dem Aus? 1 6 9
44 Hierzu allgemein: Emmer, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Handbuch
Soziale Medien, 2. Auflage 2022, S. 57–80.
45 Hierzu u.a. Emmer, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Handbuch
Soziale Medien, 2. Auflage 2022, S. 63.
46 BVerfG, NJW 1977, 751, 753.
47 Vgl. auch Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, S. 96 ff., 148.
48 Brandt, 2023, Print-Reichweite schrumpft, https://de.s tatis ta.com/
infografik/29857/umfrage-zur-nutzung-von-verlagsmedien-indeutschland/.
49 So BVerfG, NVwZ 2015, 2019, 212 unter Verweis auf BVerfG, NJW
2002, 2621.
50 Allgemein zum Kulturwandel im Prozess der digitalen Transformation
Videomitschnitt des Leopoldina-Symposiums „Die Digitalisierung
und ihre Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft“,
https://www.leopoldina.org/verans taltungen/verans taltung/
event/2464/. Zur Grundrechtsverwirklichung im Kontext der
Digitalisierung vgl. Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl
(Hrsg.), Staatsrecht der BRD, 2. Auflage 2022, Bd. I § 121 Rn. 1 ff.
51 Vgl. Informationszusammens tellung des BfDI über den Betrieb
von Facebook-Fanpages auf der eigenen Website, https://www.
bfdi.bund.de/DE/Fachthemen/Inhalte/Telemedien/FacebookFanpages.
html.
52 Hierzu etwa Roggenkamp, in: Barzsch/Briner (Hrsg.), DGRI Jahrbuch
2010, 197.
53 Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staatsrecht der
BRD, 2. Auflage 2022, Bd. I § 121 Rn.4.
54 Zum Begriff der Medienintermediäre vgl. Ory, ZUM 2021, 472, - Zur Plattformökonomie unter rechtlichen As pekten vgl.
Wissenschaftliche Diens te des Bundes tages, WD 6–3000-058/17, abrufbar
unter: https://www.bundes tag.de/resource/blob/532608/…/
wd‑6–058-17-pdf-data.pdf.
55 Hier angelehnt an die Überwachungsgesamtrechnung von Roßnagel,
NJW 2010, 1238 ff.; eine ähnliche Anleihe im Sinne einer
Determinierungsgesamtrechnung findet sich auch bei Paschke,
MMR 2019, 563, 567.
56 Diese Überlegung folgt der Annahme, dass weder die USA, noch
China ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleisten. Vgl.
hierzu eine Analyse der deutschen Datenschutzbehörden und des
Europäischen Datenschutzausschusses, https://www.taylorwessing.
com/de/insights-and-events/insights/2022/02/where-is-dataprocessing-
s till-possible.
Diskurs eingebracht.44 Das Fehlen von staatlicher Kommunikation
bedingt heute mehr denn je das Risiko von
Desinformationskampagnen und ist in der Folge demokratiegefährdend.
45 Wenn der Staat Desinformation oder
Akzeptanzdefizite ignoriert, werden die Grundfesten des
demokratischen Rechtsstaates brüchig. Hierzu hat das
Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Öffentlichkeitsarbeit
einer Regierung und gesetzgebenden
Körperschaften auch notwendig ist, um den Grundkonsens
im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten.
46 Somit übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit eine
wichtige verfassungsrechtliche Aufgabe.47
Die Herstellung von Öffentlichkeit ist auch über eine
Präsenz in sozialen Netzwerken möglich. Öffentlichkeitsarbeit
ist nämlich nicht auf ein bestimmtes Medium
beschränkt. Insbesondere besteht keine Begrenzung auf
„klassische Medien“ wie Rundfunk und Presse. Diese
werden von vielen Personengruppen immer weniger
konsumiert.48 Im Gegenteil: Die Öffentlichkeitsarbeit
der Bundesregierung muss sich an neue Medien und
Kommunikationsräume anpassen.49 Durch die sozialen
Medien und die diesen immanente Schaffung neuer
Kommunikationsräume manifestiert sich ein Kulturwandel.
50 Diesen darf der Staat nicht ignorieren.
Es besteht verfassungsrechtlich auch keine Beschränkung
auf bestimmte alternative Kommunikationskanäle.
Soziale Netzwerke sind nicht durch Rundfunk und Presse
zu ersetzen. Der Staat darf und sollte dort sein, wo
sich seine Bürgerinnen und Bürger aufhalten. Die Kommunikation
hat sich gewandelt. Auch der BfDI erkennt
an, dass Fanpages geeignet sind, ein gewisses Zielpublikum
zu erreichen.51 Zudem sind Soziale Medien der einzige
Ort, an dem eine dialogorientierte Öffentlichkeitsarbeit
erfolgen kann, und eine unmittelbare Reaktion
des Adressaten möglich ist. Die Kommunikation mit
dem Staat über diese sogenannten neuen Medien erhöht
deren Wirkmacht gegenüber einer eindimensionalen Information
über den Staat, wie dies für klassische Medien
üblich ist.
Der Wandel der Kommunikationskultur durch digitale
Interaktion hat sich in den letzten 15 Jahren vollzogen,
seit das Internet mit dem web 2.0 sog. „user generated
content“52 über Plattformen ermöglicht.53 Die überragende
Bedeutung für den Staat ergibt sich nicht nur für
dessen Information, sondern auch wegen der Unterbindung
von Desinformation. Dem kann man nur durch
eine Moderation und einen permanenten Diskurs gegensteuern.
Plattformbetreiber sind die neuen Intermediäre
in der Kommunikation.54
Die Untersagung des Betreibens einer Fanpage hat
der BfDI nach § 29 Abs. 3 TTDSG iVm Art. 58 Abs. 2 lit. f)
der DSGVO verhängt. Dem müsste jedoch eine ermessensfehlerfreie
Entscheidung nach § 40 VwVfG zugrundeliegen.
Genau diese kann jedoch bezweifelt werden.
Hierfür hätte es einer Folgenabschätzung im Sinne einer
„Belastungsgesamtrechnung“55 bedurft. Denn nicht nur
das BPA hat den Betrieb seiner Fanpage einzustellen.
Wenn man der Rechtsauffassung des BfDI folgt, müssten
tatsächlich alle (!) Behörden Facebook fernbleiben. Zudem
gilt dies nicht nur für eine Präsenz auf Facebook,
sondern auch für Instagram, Twitter, TikTok, Youtube,
etc. Alle Behördenseiten bei den großen amerikanischen
und chinesischen Diensteanbietern müssten danach wegen
Datenschutzbedenken geschlossen werden.56
Damit würde ein Großteil der Öffentlichkeitsarbeit
in der heutigen Zeit wegbrechen bzw. auf den Stand vor
1 7 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
57 Vgl. F.A.Z.-Interview mit dem Leiter der Deutschen Journalis tenschule,
Jörg Sadrozinski, wonach nur noch rund 30 Prozent der
Journalis ten eine Festanstellung erhalten, abrufbar unter https://
www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/journalis tenberuf-
in-der-krise-nur-30-prozent-mit-fes ter‑s telle-12162566.html.
Allgemein zum Verhältnis von sozialen Medien zu Journalismus:
Neuberger, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Handbuch Soziale
Medien, 2. Auflage 2022, S. 81–102.
58 Mitteilung auf der Website des Medienverband der freien Presse
v. 07.03.2018, https://www.mvfp.de/nachricht/artikel/offener-briefeuropa-
darf-die-datenrevolution-nicht-verpassen/.
59 Vgl. hierzu Egger/Gattringer/Kupferschmitt, Media Pers pektiven
5/2021, 270, 270.
60 Unter den meis tgenutzten sozialen Netzwerken befindet sich kein
europäisches Netzwerk, We are Social, Hootsuite, DataReportal,
2023, Ranking der größten Social Networks und Messenger
nach Anzahl der Nutzer im Januar 2023 (in Millionen), https://
de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/181086/umfrage/die-weltweit-
groess ten-social-networks-nach-anzahl-der-user/. Die in
Deutschland betriebene Plattform Xing wird primär im deutschs
prachigen Raum aber vorranging als Berufsvernetzungs plattform
verwendet, vgl. hierzu SimilarWeb, 2023, Anteil des Desktop-
Traffics von xing.com nach Herkunftsland im März 2023, https://
de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/501513/umfrage/laender-mitdem-
hoechs ten-anteil-am-traffic-von-xing/.
61 Hierzu etwa VG Karlsruhe, BeckRS 2005, 24209, VG Bremen,
BeckRS 2014, 55577. Allgemein zur er-messensfehlerfreien Störerauswahl
Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht in
Baden-Würtenberg, 7. Auflage 2017, Rn. 358 ff.
62 Pressemitteilung 6/2023 des BfDI, https://www.bfdi.bund.de/
SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/06-Untersagung-Betrieb-
Fanpage-BReg.html.
2005, also zur alten Pressekonferenz, zurückgeworfen.
Dies ist insoweit als kritisch anzusehen, da die Presse
aufgrund des wirtschaftlichen Drucks durch das digitale
Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger immer
weniger feste Journalistinnen und Journalisten beschäftigt.
57 Zudem könnten Bürgerinnen und Bürger staatliche
Informationen nicht mehr kostenfrei erhalten, sondern
müssten entweder Presseerzeugnisse erwerben
oder auf den Webseiten der Presseverlage in die Verarbeitung
und Weitergabe von personenbezogenen Daten
auch an Drittunternehmen einwilligen. Die Presseverlage
und Medienhäuser haben sich im Zuge der Verhandlungen
zur ePrivacy-Verordnung in einem offenen Brief
für die aktuell geltende seitenindividuelle Cookiepraxis
und gegen eine datenschutzfreundlichere browserbasierte
Regelung zu trackingbasierter Werbung ausgesprochen.
58 Auch für die sogenannten klassischen Medien
sind die auf Basis von Trackingdiensten erzielten Werbeeinnahmen
ein wichtiges neues Geschäftsmodell
geworden.
Insofern erscheint es widersprüchlich, wenn der
BfDI beklagt, dass Behörden mittelbar Profilbildung für
Werbezwecke auf Facebook durch ihre Fanpages unterstützen,
obwohl dies nicht vom Öffentlichkeitsauftrag
gedeckt sei – um dann wiederum auf andere Kommunikationskanäle,
etwa die Presseberichterstattung, zu verweisen,
auf deren Online-Präsenzen nichts Anderes
stattfindet.
Gerade für Hochschulen, aber auch viele weitere Behörden
würde mit dieser Entscheidung eine wichtige
Quelle für Recruiting-Kampagnen wegfallen. Über soziale
Medien werden nämlich junge Menschen adressiert,
die sich potentiell für ein Studium oder eine Ausbildung
begeistern können. Über Fernsehspots und Pressekonferenzen
werden ganze Generationen kaum mehr erreicht.
59 Und ein breit genutztes europäisches soziales
Netzwerk zur privaten Kommunikation gibt es seit der
Abschaltung von StudiVZ nicht mehr.60
Legt man dementsprechend die Rechtsauffassung des
BfDI zugrunde, dürfte eigentlich keine (Bundes-)Behörde
irgendein Angebot in den sozialen Medien nutzen.
Insofern erscheint es willkürlich, wenn der BfDI eine
einzige Seite einer einzigen Behörde in einem einzigen
Netzwerk untersagt – alles andere aber bestehen lässt.
Das erinnert auch an die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte
zur Störerauswahl im Gefahrenabwehrrecht61:
Wenn bei einem Festival hunderte Autos illegal
geparkt wurden, wäre es willkürlich, ein hervorstechendes
Auto herauszugreifen und nur dieses abzuschleppen,
wenn dadurch die bestehende Gefahrenlage nicht effektiv
beseitigt wird. Dem Einwand, es könnten ja nicht alle
Fahrzeuge gleichzeitig abgeschleppt werden, ist zu entgegnen,
dass die Effektivität der Gefahrenabwehr ein belastbares
Konzept fordert. So könnten die Fahrzeuge
zum Beispiel von vorne nach hinten konsequent abgeschleppt
werden, um so den rechtswidrigen Zustand effektiv
zu beseitigen. Ein solches transparentes Konzept,
welche Webseite und welche Social Media-Nutzung als
nächstes untersagt werden, fehlt vorliegend.
In seiner Abwägung unterschlägt der BfDI, dass er eigentlich
gegenüber allen Bundesbehörden vorgehen
müsste und alle Fanpages auf allen sozialen Netzwerken
faktisch mit seinen Überlegungen abschalten möchte.
Diese Annahme unterstützt auch die Ausführung des
BfDI, wonach „alle Behörden in der Verantwortung stehen,
sich vorbildlich an Recht und Gesetz zu halten“.62
Paschke · Social Media-Nutzung an Hochschulen vor dem Aus? 1 7 1
63 Vgl. Reply auf dem Mas todon-Account des BfDI (@bfdi@social.
bund.de) vom 27.2.2023 „Wir s tecken unsere Energie jetzt gerade
ers tmal in dieses Verfahren. In ein paar Wochen wissen wir, ob
das Bundes presseamt gegen unseren Bescheid klagt oder nicht.
Dann sehen wir weiter. Aber selbs tvers tändlich hoffen wir auf eine
gewisse Signalwirkung dieses „Mus ter“-Verfahrens.“ https://social.
bund.de/@bfdi/with_replies.
64 Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 43.
65 https://mas todon.help/de.
66 YouGov, 2022, Bekanntheit der Twitter-Alternative Mas todon in
Deutschland insgesamt und nach Altersgruppen im Jahr 2022,
https://de.s tatis ta.com/statistik/daten/s tudie/1346383/umfrage/
bekanntheit-von-mas todon-in-deutschland/.
67 Hierzu bereits Uppendahl, ZParl. 1981, 123 ff.; vgl. auch Rommelfanger,
Das konsultative Referendum, 1988, S. 103 ff.; Zittel, Mehr
Res ponsivität durch digitale Medien?, 2010; sowie Würtenberger,
Politik und Kultur, 1985, S. 51 ff., 59 ff.
68 Allgemein zur Bedeutung von Akzeptanz Würtenberger, Die
Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996; vgl. auch Drefs,
Die Öffentlichkeitsarbeit des Staates und die Akzeptanz seiner
Entscheidungen, 2019.
Die Hoffnung auf eine entsprechende Signalwirkung des
vorliegenden Verfahrens hat der BfDI bereits öffentlich
anklingen lassen.63
Zudem verweist der BfDI nur für die Facebook-Fanpage-
Problematik auf Alternativen.64 Es ist aber davon
auszugehen, dass bei einer Verlagerung der Öffentlichkeitsarbeit
auf TikTok oder Instagram auch diese Kanäle
sehr schnell datenschutzrechtlich in Frage gestellt werden.
Das angegebene Tool Mastodon ist eben keine adäquate
Alternative, da sich dort Menschen nicht in einem
Netzwerk aufhalten.65 Zudem nutzen dieses Tool
nur sehr wenige Bürgerinnen und Bürger.66
Es wurde damit die Dimension, die diese Rechtsauffassung
auch für den demokratischen Rechtsstaat hat, in
der getroffenen Abwägung nicht erkannt. Insbesondere
fehlen empirische Daten zur Anzahl der Behörden auf
Facebook, wieviel Kommunikation dort stattfindet, und
eine Wirksamkeitsmessung, welche Informationen über
welchen Kanal wie rezipiert werden.
Vor diesem Hintergrund hätte sich der BfDI vorab
ausführlich mit der Frage auseinandersetzen müssen,
welche Rolle der Öffentlichkeitsauftrag des Staates in
diesem Zusammenhang spielt. Will er den Vorwurf der
Willkür vermeiden, müsste er sämtliche datenschutzwidrigen
Aktivitäten auf sozialen Netzwerken untersagen,
nicht nur jene des BPA auf Facebook. Dann aber
wird eine (entscheidungs-)erhebliche Beeinträchtigung
staatlicher Öffentlichkeitsarbeit herbeigeführt. Diese ist
(einschließlich empirischer Daten) in den Abwägungsprozess
der Datenschutzaufsicht einzubringen; aktuell
ist daher davon auszugehen, dass ein Abwägungsdefizit
vorliegt.
III. Auswirkungen der Entscheidung des BfDI auf die
Hochschulen
Natürlich kann man derzeit noch nicht absehen, wie das
Verwaltungsgericht Köln und mögliche weitere Instanzgerichte
im Fall BfDI vs. BPA entscheiden werden. Folgt
man der hier vertretenen Rechtsauffassung, müsste die
Untersagungsverfügung des BfDI wegen des Abwägungsdefizits
wohl aufgehoben werden. Je nachdem, wie
die Entscheidung im Detail begründet wird und welcher
Stellenwert den Datenschutzrisiken einerseits und dem
Öffentlichkeitsauftrag des Staates andererseits zugemessen
wird, könnte ein Verbleib staatlicher Behörden in
sozialen Netzwerken kurz- oder langfristig möglich sein.
Was nach derzeitigem Kenntnis- und Verfahrensstand
aber sicher ist: Die Entscheidung hat erhebliche
Auswirkungen auf die Hochschulen und wissenschaftlichen
Einrichtungen. Wie eingangs geschildert, sind diese
vielfach mit Facebook-Fanpages, Instagram- und
Twitter-Accounts oder gar auf TikTok vertreten. Auch
sie betreiben Öffentlichkeitsarbeit in diesen sozialen
Medien, um insbesondere Schülerinnen und Schüler
oder Studierende dort zu erreichen, wo diese sich vielfach
aufhalten. Zwar sind die Möglichkeiten zur Öffentlichkeitsarbeit
der Hochschulen keineswegs auf soziale
Medien beschränkt. Diese spielen aber eine durchaus
wesentliche Rolle, wenn man sich nur exemplarisch die
Facebook-Fanpages von Hochschulen anschaut. So informiert
etwa die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
im Breisgau ihre mehr als 18.000 Follower mehrfach in
der Woche über aktuelle Ereignisse, Forschungserkenntnisse
oder studentische Belange. Das gilt in ähnlicher
Weise für die Technische Universität München mit
104.000 Followern auf Facebook. Es sind aber nicht nur
solche empirischen Zahlen, die die Relevanz von sozialen
Medien in der öffentlichen Kommunikation von
Hochschulen belegen. Öffentlichkeitsarbeit zumindest
bei den staatlichen Hochschulen hat einen vergleichbaren
verfassungsrechtlichen Hintergrund wie jene der
Bundesregierung oder Bundesverwaltung. Sie lässt sich
gleichermaßen verfassungsrechtlich auf das Demokratieprinzip
zurückführen. Man könnte auch so weit gehen
und eine Verbindung zum Prinzip der responsiven Demokratie67
herstellen. Will der Staat mit seinen Einrichtungen
(wie eben auch den Hochschulen) im 21. Jahrhundert
sein „Ohr am Puls der Zeit“ halten, muss er die
Befindlichkeiten, Erwartungen und Aktivitäten seiner
Bürgerinnen und Bürger dort erkunden, wo diese sich
befinden: in den sozialen Medien. Dies stärkt auch Akzeptanz
und Vertrauen des Staates, nicht zuletzt durch
die partizipativen Elemente.68
1 7 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
69 Eine Analyse der deutschen Datenschutzbehörden und des Europäischen
Datenschutzausschusses hat ergeben, dass das Datenschutzniveau
in den USA, Indien, China und Russland als nicht
angemessen zu beurteilen sei, hierzu: https://www.taylorwessing.
com/de/insights-and-events/insights/2022/02/where-is-dataprocessing-
s till-possible.
70 Vgl. etwa Hinweise und Orientierungshilfen der Datenschutz-
Aufsichtsbehörden zu datenschutzkonformen Videokonferenzsystemen,
exemplarisch: https://www.bfdi.bund.de/DE/Fachthemen/
Inhalte/Telefon-Internet/Datenschutzpraxis/Videokonferenzsys teme.
html.
Auch das Hochschulrecht erkennt die Bedeutung öffentlicher
Kommunikation der Hochschulen an. So unterrichten
die Hochschulen gem. § 2 Abs. 9 LHG (Landeshochschulgesetz
Baden-Württemberg) „die Öffentlichkeit
regelmäßig über die Erfüllung ihrer Aufgaben
und die dabei erzielten Ergebnisse.“ Auch nach
§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 NGH (Niedersächsisches Hochschulgesetz)
ist die Öffentlichkeit durch die Hochschulen
über die Erfüllung ihrer Aufgaben sowie über ihre
Veranstaltungen zu unterrichten. Ergänzend wird die
Kontaktpflege mit ehemaligen Mitgliedern der Hochschule
als Aufgabe definiert (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 NGH).
Eine solche Kontaktpflege erfolgt insbesondere auch in
sozialen Medien. Bemerkenswert ist auch § 2 Abs. 2 Bay-
HIG (Bayerisches Hochschulinnovationsgesetz): Danach
wirken die Hochschulen als offene und dynamische
Bildungseinrichtungen in die Gesellschaft hinein. Sie betreiben
und fördern den Wissens- und Technologietransfer
für die soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung.
Durch eine kontinuierliche Wissenschaftskommunikation
und künstlerischen Austausch setzen sich
die Hochschulen für ein besseres Verständnis von Wissenschaft
und Kunst ein, befähigen im öffentlichen Diskurs
zur Einbringung wissenschaftlich geprüfter Fakten und
zur Aufdeckung manipulativer Fehlinformationen. Sie
nutzen und unterstützen den Fortschritt durch Digitalisierung
in allen Bereichen. Um all diese Aufgaben zu erfüllen,
bedarf es eines umfassenden Systems der öffentlichen
Kommunikation, Plattformen für die öffentliche
Debatte und einer Feedbackstruktur, die den einzelnen
erreicht, um ihn zu informieren, vor Desinformation zu
bewahren und gleichzeitig aufnimmt, wie diese Personen
sich äußern, wie sie agieren und wie sie sich zu diesen
Informationen verhalten. Konventionelle Pressekonferenzen,
das lineare Fernsehen oder Printmedien erreichen
diese Form der unmittelbaren Kommunikation
nicht.
So gesehen müssten die zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden
ähnliche wie die hier angestellten Abwägungen
vornehmen, bevor sie die Nutzung sozialer
Medien durch die Hochschulen untersagen. Es ist allemal
empfohlen, dass die Hochschulen und ihre Interessenverbände
den Rechtsstreit vor dem VG Köln beobachten
und zu gegebener Zeit auf diese Entwicklung
reagieren bzw. sich für vergleichbare Verfahren wappnen.
IV. Fazit: Von Köln nach Europa und wieder zurück
Die datenschutzrechtliche Situation in Europa ist paradox.
Derzeit betreibt selbst die EU-Kommission als
Hüterin der Verträge und der Einhaltung des Europarechts
eine Präsenz auf Facebook und die irische Datenschutzaufsichtsbehörde,
die für die Aufsicht gegenüber
Meta und anderen großen internationalen Digitalkonzernen
zuständig ist, da diese in Irland ihren europäischen
Sitz haben, sieht sie selbst keinen Bedarf, in diesem
Zusammenhang gegen die Datenverarbeitung bzw.
die teilweise unvollständige Bereitstellung von Informationen
zur Verarbeitung personenbezogener Daten auf
der Plattform Facebook vorzugehen. Diese Entscheidung
ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Es zeigt
zumindest, dass wir von dem Ziel der DSGVO der europäischen
Harmonisierung der Datenschutzstandards in
der Praxis noch weit entfernt sind.
Der derzeit vor dem VG Köln geführte Rechtsstreit
zwischen zwei deutschen Bundesbehörden ist geeignet,
auch Auswirkung auf das europäische Verständnis der
DSGVO zu haben. Es bleibt dennoch zu hoffen, dass die
Entscheidung den Instanzenzug beschreitet und die Justiz
über den Einzelfall hinausgehend die dahinterliegende
komplexe demokratische und kommunikative Herausforderung
in ihre Überlegungen einbezieht.
Wir erleben aktuell einen Kulturwandel durch die
Digitalisierung der Kommunikation. Dieser kann nicht
durch die Abschaltung einer einzelnen Fanpage auf einer
Plattform durch eine Behörde gelöst werden. Gleichsam
stellt ein kollektives Verbot für Behörden, soziale Medien
zu nutzen und damit diesen Kommunikationsraum
zu verlassen, keine adäquate Lösung dar. Übertragen
stellen sich diese Herausforderungen nämlich in vielen
weiteren Zusammenhängen, insbesondere auch bei allen
Softwareangeboten von amerikanischen und chinesischen
Anbietern, die über eine Cloud betrieben werden69,
allen anderen sozialen Netzwerken und natürlich
bei Videokonferenzsystemen, was in der Datenschutzpraxis
bereits die verschiedensten Blüten getrieben hat. 70
Die nationale und europäische Justiz kann zwar dabei
helfen, eine einheitliche Datenschutzpraxis in Europa
zu formen, es wäre jedoch wünschenswert, wenn die
Datenschutzaufsichtsbehörden statt nationaler Alleingänge
die praktischen und rechtlichen Möglichkeiten
ausschöpfen, um auf eine einheitliche europäische Da