„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu“: Mit diesem Heine-Vers eröffnete Dr. Michael Stückradt, Vorstandsvorsitzender des Vereins für deutsches und internationales Wissenschaftsrecht, die Tagung zur Wei- terentwicklung des Kapazitätsrechts von der erschöpfen- den Nutzung hin zur Qualität von Studium und Lehre im Deutschen GeoForschungsZentrum am Telegrafen- berg in Potsdam am 15. und 16.6.2023. Stückradt deutete damit daraufhin, dass das Kapazitätsrecht die Hochschu- len bereits seit der ersten Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts von 1972 beschäftige und daher eine „alte Geschichte“ sei, aber dennoch immer neue Aspek- te entwickelte. Zuletzt formulierten die die Regierungs- koalition im Bund bildenden Parteien im Koalitionsver- trag die Absicht, einen Bund-Länder-Prozess zur Wei- terentwicklung des Kapazitätsrechts in Gang zu setzen.
Der Verein zur Förderung des deutschen und inter- nationalen Wissenschaftsrechts nutzte diesen Anlass, um einen Überblick über die Anwendung von Kapazi- tätsrecht und Kapazitätsplanung in den Ländern und Hochschulen ebenso wie die Erwartungen von Hoch- schulpolitik und Hochschulen an die Weiterentwicklung der Kapazitätsverordnungen geben. Moderiert wurde die Tagung von Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda.
I. Einstieg: Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts auf der politischen Agenda
Die Tagung läutete Dr. Jens Brandenburg (Parlamentari- scher Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung) mit einem Statement zur Aktualität des Themas ein. Das Kapazitätsrecht sei heute so aktuell wie vor 50 Jahren. Heute gebe es wesentlich mehr Studieren- de als damals und eine größere Diversität in der Hoch- schullandschaft. Außerdem stehe die Gesellschaft vor immensen Herausforderungen als auch großen Umbrü- chen. Zur Bewältigung anstehender globaler Herausfor-
derungen seien exzellent ausgebildete Menschen und exzellente Hochschulen erforderlich.
Brandenburg beobachtete drei wesentliche Entwick- lungen seit der ersten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung. Zunächst sei eine Bildungsexpansion zu verzeichnen: Mittlerweile nehmen ein Anteil von 55 % eines Geburtsjahrgangs ein Studium auf, es handele sich um einen selbstverständlichen Teil des Bildungswegs. Überdies sei infolge der Bologna-Reform eine Europäi- sierung und Globalisierung der Universitätsbildung ein- getreten: Seit Abschaffung des Diploms mit dem Ziel in- ternationaler Hochschul- und Masterkarrieren sei eine große Vielfalt an Bachelor- und Masterprogrammen ent- standen. Drittens habe auch die Digitalisierung neue Möglichkeiten geschaffen: Nicht zuletzt die Covid- 19-Pandemie habe gezeigt, dass Hochschulen auch digi- tal funktionieren können, gleichzeitig aber auch von Präsenzlehre leben. Die Möglichkeit digitaler Lehre er- fordere insbesondere neue Konzepte und Formate, wel- che auch neue Anforderungen an rechtliche Rahmenbe- dingungen stellten.
Angesichts dieser Entwicklungen habe sich die Hoch- schullandschaft im Vergleich zu 1972 gravierend verän- dert. Gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung des Kapazitätsrechts als Dreh- und Angelpunkt eines mo- dernen Hochschulsystems mit Einfluss auf die Grundla- gen von Studiengängen, Lehrveranstaltungen und auch Personal- und Finanzierungsstrukturen habe sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag für die 20. Legis- laturperiode die Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts vorgenommen. Sie möchte daher einen ergebnisoffenen Bund-Länder-Hochschul-Dialog über mögliche und notwendige Weiterentwicklungen der kapazitätsrechtli- chen Rahmenbedingungen und Anwendungen initiie- ren. Dabei soll vor allem gemeinsam mit Ländern und Hochschulen erörtert werden, wo genau die Probleme liegen und was Lösungsansätze sein können.
Karoline Haake
Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts – von der „erschöpfenden“ Nutzung hin zur Qualität von Stu- dium und Lehre
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschafts- rechts e.V. am 15./16.6.2023
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
66 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Kapazitäts- rechts – Würde das BVerfG heute anders entscheiden als 1972?
Daraufhin analysierte Prof. Dr. Winfried Kluth (Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Richter am Landesverfassungsge- richt a. D.) den aktuellen Stand der verfassungsrechtli- chen Rechtsprechung zum Kapazitätsrecht aus dem Blickwinkel der Frage, ob daraus Tendenzen zur Verän- derung ablesbar sind.
Im ersten NC-Urteil von 19721 entwickelte das BVerfG das Teilhaberecht der Studieninteressierten: Art. 12 Abs. 1 GG vermittele in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf chancengleichen Zugang zu den vorhandenen Studienplätzen ihres ge- wünschten Studiengangs.2 Wegen der Einschränkung der Berufsfreiheit müsse der parlamentarische Gesetzge- ber über das Rangverhältnis der Bewerber3 um einen Studienplatz entscheiden. Bei der Kapazität handele es sich insbesondere um keine rein empirische Größe, son- dern die Bemessung sei weitgehend normativ bestimmt, angefangen von Vorschriften über Studienpläne, über die Zahl der Pflichtveranstaltungen und deren höchstzu- lässige Teilnehmerzahl, bis hin zur Lehrbefähigung und zumutbaren Belastung des Personals unter Berücksichti- gung der Forschungsaufgaben und der Beanspruchung durch öffentliche oder privatnützige Nebentätigkeiten sowie der Art der Universitätsorganisation.4 Dabei gelte zugunsten der Studieninteressierten das Gebot der er- schöpfenden Kapazitätsauslastung,5 welches nicht nur von der Verwaltung, sondern auch vom Gesetzgeber zu beachten sei.6 Beschränkende Maßnahmen müssten un- bedingt erforderlich zur Funktionsfähigkeit der Hoch- schule in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre sein.7 Bei der Festsetzung der Kapazität dürfe keine „unzulässige Niveaupflege“ betrieben werden, in- dem elitären Interessen zulasten der breiten Masse von Studieninteressenten durchgesetzt würden.
Seitdem herrsche ein hohes Maß an Kontinuität in der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung zum Kapazitätsrecht, welche Kluth zuletzt in einem Kammer- beschluss des BVerfG von 20228 bestätigt sah. Kluth wies jedoch darauf hin, dass die bestehenden bundesverfas-
- 1 BVerfGE 33, 303 ff.
- 2 Eine Bereitstellungspflicht für neue Studienplätze ist vom BVerfGdagegen nicht anerkannt, wird jedoch auf Ebene des Landesver- fassungsrechts diskutiert, wie bereits im Vorlagebeschluss des VG Hamburg v. 21.8.1970 – IV VG 615/70.
- 3 Soweit im Folgenden allein aus Gründen besserer Lesbarkeit die Form des generischen Maskulinums verwendet wird, sind stets
sungsrechtlichen Entscheidungen als Verfassungsbe- schwerden derjenigen Studienbewerber, die „draußen vor der Tür“ geblieben seien und Zugang zu Studienplät- zen begehrten, ihren rechtlichen Schwerpunkt auf die Zugangsregulierung legten. Aus diesem Grund seien die Rechte der Lehrenden und der bereits Studierenden nur am Rande thematisiert worden. Das Zugangsinteresse der Studienbewerber stehe jedoch in einem grundrecht- lichen Spannungsverhältnis mit der Forschungs- und Lehrfreiheit der Lehrenden und den Ausbildungsbe- dürfnissen der Studierenden. Diese tripolaren Interessen müssen bei der Kapazitätsberechnung abgestimmt wer- den.9 Über diese Abwägung könne auch die Qualität der Forschung und Lehre Einzug in Kapazitätserwägungen erhalten. Wichtig sei dabei nur, die Qualitätssicherung aus diesen rechtlich zulässigen Gesichtspunkten und nicht allein aus haushaltspolitischen Gründen herzulei- ten. Auch das vom BVerfG formulierte Verbot der Ni- veaupflege stehe dem nicht entgegen.
Bisher beobachtete Kluth, dass das geltende Kapazi- tätsrecht in der Praxis eine unzureichende Gestaltungs- freiheit und Abhängigkeit der Ausbildungsqualität von der Studienplatznachfrage zum Resultat habe. Die ver- waltungsgerichtliche Rechtsprechung neige dazu, die In- teressen der Studienbewerber vorzuziehen. Dies gehe zu Lasten der Qualität von Forschung und Lehre. Diese messe sich insbesondere an der Betreuungsrelation, dem Verhältnis der Anzahl der Studierenden zu den Lehren- den. Die Qualität der Lehre sei dabei insbesondere von der Studiengangsausgestaltung abhängig. Diese stehe je- doch in enger Wechselwirkung zum Kapazitätsrecht. Gerade die schlechte Betreuungsrelation lasse dabei ei- nen umfangreichen Handlungsbedarf erkennen, um die Lehrqualität zu verbessern. Eine solche Verbesserung sei insbesondere aufgrund vieler gesellschaftlicher Heraus- forderungen und Transformationsaufgaben der nächs- ten Jahrzehnte notwendig, welche eine höhere Leis- tungsfähigkeit der nächsten Generationen erforderten. Der Hochschulausbildung und ‑forschung komme in diesem Zuge eine Schlüsselaufgabe zu.
Das Kapazitätsrecht sei aufgrund des vorgegebenen Rechtsrahmens und insbesondere der grundrechtlichen Implikationen zwar keine „freie Stellschraube“, aber dennoch stehe dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
alle Geschlechter mitumfasst.
4 BVerfGE 33, 303 (340).
5 BVerfGE 33, 303 (337 f.); 54, 173 (191); 85, 36 (54, 57).
6 BVerfG NVwZ 2023, 591 (592).
7 BVerfGE 66, 155 (179); 85, 36 (56).
8 BVerfG NVwZ 2023, 591, dazu Kluth, NVwZ 2023, 591 (594 ff). 9 BVerfGE 85, 36 (57); 134, 1 (13 f.), BVerfG NVwZ 2023, 591 (592).
ein Gestaltungsspielraum zu.10 Änderungen zugunsten von mehr Qualität seien daher auch im Lichte der verfas- sungsrechtlichen Rechtsprechung möglich und als Teil einer umfassenderen Debatte über die Reform von Stu- diengängen und die Aufgabe der Hochschulen in der Transformation geboten.11
III. Ein buntes Bild – Überblick zur Anwendung des Kapazitätsrechts in den Ländern und Hochschulen
Eine Podiumsdiskussion zwischen Dr. Kerstin Burck (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dezernentin für Hochschulentwicklung), Dr. Frieder Dittmar (Minis- terium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden- Württemberg, Referatsleiter Grundsatzangelegenheiten der Hochschulentwicklung), Prof. Dr. Gerhard Sagerer (Universität Bielefeld, Rektor) und Christian Tusch (Ministerium für Kultur und Wissenschaft Nordrhein- Westfalen, Referat Hochschulstatistik, Hochschulkapa- zitäten, Hochschulcontrolling) bot einen Überblick über die praktische Anwendung des Kapazitätsrechts in den Ländern.
Alle Referenten waren sich einig, dass in Zusam- menhang mit einer Reform des Kapazitätsrechts insbe- sondere Qualitätsverbesserungen der Lehre anzustreben seien. Das Kapazitätsrecht sei schon lange kein bloßes Kapazitätsbegrenzungsrecht mehr, wie es in der verfas- sungsgerichtlichen Rechtsprechung beurteilt wird. Viel- mehr sei das Kapazitätsrecht ein zentrales Steuerungsin- strument für den Hochschulbereich, das von den Län- dern und den Hochschulen jedoch unterschiedlich an- gewendet werde.
Burck und Dittmar berichteten von umfangreichen Handlungsspielräumen und Freiheiten, welche den Hochschulen durch den Landesgesetzgeber gewährt werden. So sei es etwa möglich, Stellen bedarfsgerecht zwischen Studiengängen zu verschieben. In Baden- Württemberg werden nach Dittmar die Spielräume, die das Kapazitätsrecht und der Staatsvertrag von 2006 zu- gunsten besserer Betreuungsverhältnisse ermöglichen, gut genutzt, wie die Betreuungsrelationen im Länderver- gleich zeigen: beispielsweise die Möglichkeit, Stellen ka- pazitätsneutral zu setzen, die Nutzung von Bandbreiten oder die Ausgestaltung der Lehrverpflichtungsverord- nung. Sagerer sah hingegen im Kapazitätsrecht eine sys- tematische Verhinderung einer besseren Betreuung der
- 10 BVerfGE 136, 338 (363).
- 11 Kluth plädierte für ein Vereinbarungsmodell auf Landesebene, indessen Zuge die von den Hochschulen bereitzustellenden Studien- plätze in den einzelnen Fachrichtungen durch eine Vereinbarung mit dem Land konkretisiert werden. Auf diese Weise können
Studierenden und damit einer Verbesserung der Quali- tät des Studiums. Was diese angehe, seien die Hoch- schulen in einem „Hamsterrad“ gefangen: Wollten sie die Betreuungsrelation durch mehr Lehrpersonal ver- bessern, seien sie im gleichen Zuge verpflichtet, mehr Studierende aufzunehmen. Deshalb seien zur Verbesse- rung der Betreuungsqualität mehr kapazitätsneutrale Mittel notwendig.
Tusch wies darauf hin, dass auch im bestehenden Sys- tem Stellschrauben vorhanden seien, mit denen bessere Betreuung erreicht werden könne. So könne in Nord- rhein-Westfalen von den Hochschulen die Spanne des Bandbreitenmodells genutzt werden. Mittel, die dezi- diert der Verbesserung der Qualität von Steuerung und Lehre dienen, führten gemäß § 1 des nordrhein-westfäli- schen Hochschulzulassungsgesetzes ausdrücklich nicht zur Steigerung der Aufnahmekapazität. Auch Bund- Länder-Vereinbarungen wie der Qualitätspakt Lehre enthielten ähnliche kapazitätsneutrale Mittel zur Verbes- serung der Lehre. Die Qualität von Studium und Lehre sei überdies ein erklärtes Ziel des „Zukunftsvertrags Stu- dium und Lehre stärken“.
Was den geplanten Bund-Länder-Prozess angehe, so sah Dittmar keinen bundesweiten Reformbedarf, da im bestehenden Kapazitätsrecht genügend Spielräume für die Landesebene vorhanden seien, die genutzt und nicht gefährdet werden sollten. Seit dem Staatsvertrag von 2006 hätten sich die Situationen in den Ländern mehr denn je auseinanderentwickelt. Tusch erhoffte sich des- halb, dass der Bund-Länder-Dialog die Differenzierun- gen zwischen den Ländern abbilden und sich deren un- terschiedliche Erfahrungen zunutze machen werde. Das System des Kapazitätsrechts müsse jedoch nicht „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden. Burck forderte, dass aufgrund der heterogenen Hochschullandschaft die Hochschulen Teil des Bund-Länder-Prozesses sein müssten. So könnten insbesondere die Länder gemein- sam mit den Hochschulen ihre unterschiedlichen Rege- lungen diskutieren und Angleichungs- und Reformbe- darf besprechen. Der Bund könne hierfür den Anstoß bieten. Dennoch plädierte sie auch aus Gründen der Rechtssicherheit gegen eine umfassende Reform. Schließlich habe sich bereits ein rechtssicheres System der Hochschulzulassungen etabliert.
Sagerer betonte die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen und forderte deshalb, dass der Bund-
Kapazitätsgesichtspunkte mit Qualitätserwägungen unter stärkerer Einbindung der Hochschulen berücksichtigt werden, dazu Kluth, Steuerung von Ausbildungskapazitäten an Hochschulen durch Vereinbarungen, 2010.
Haake · Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts 6 7
68 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74
Länder-Prozess anstelle vom Aufbau neuer Studienplät- ze die Steigerung der Absolventenzahlen in den Vorder- grund stelle. Dies könne insbesondere durch bessere Be- treuung erreicht werden. Gerade das finanzielle Augen- merk liege im System des Kapazitätsrechts jedoch regelmäßig nur auf dem Zugang zum Studium, nicht je- doch auf den Studienbedingungen, der Betreuungsrela- tion und der Anzahl der Abschlüsse. Dennoch plädierte auch Sagerer gegen eine große Reform des Kapazitäts- rechts, da dies insbesondere zu zeitintensiv sei. Stattdes- sen sollten durch Reformen im geltenden Kapazitäts- recht mehr Stellschrauben für die Verbesserung der Qualität der Lehre und Forschung geschaffen werden.
Dittmar hingegen argumentierte, dass zwar der Stu- dienerfolg und der Anteil der erfolgreichen Abschlüsse gesteigert werden müsse, um den akademischen Fach- kräftebedarf in den Ländern zu decken. Dahinter stecke jedoch keine Frage des Kapazitätsrechts, da dieses schon heute umfängliche Möglichkeiten für bessere Betreu- ungsverhältnisse bereithält, sondern die schlichte haus- haltspolitische Frage nach der Finanzierung, also wie viele Mittel Bund und Länder für die Finanzierung der Hochschulen bereitstellen wollen.
In der aktuell zu beobachtenden sinkenden Anzahl von Studienanfängern sah Burck die Chance, die Ausbil- dung an den Hochschulen zu verbessern und stärkere Profile zu bilden. Sie wies jedoch darauf hin, dass die Qualität des Studiums sich nicht allein an der Anzahl des Lehrpersonals, sondern auch an Inhalt und Zuschnitt des Studiengangs bemesse. Auch Tusch betonte, dass al- lein die Unterauslastung einen Studiengang nicht auto- matisch besser mache, sondern neben die Betreuungsre- lation weitere Faktoren treten, die es zu verbessern gelte. Dazu sei laut Burck eine Weiterentwicklung der Ausge- staltung der einzelnen Studiengänge innerhalb der je- weiligen Hochschulen notwendig, auch wenn dies einen mühsamen internen Veränderungsprozess bedeute.
Bilanzierend waren sich die Referenten einig, dass zur Verbesserung der Studienqualität keine umfassende Reform des Kapazitätsrechts notwendig sei. Vielmehr seien als Stellschrauben zur Qualitätssteigerung die kon- sequentere Nutzung der vorhandenen Spielräume sei- tens der Länder, ggf. kleinere Detailanpassungen des Ka- pazitätsrechts, aber auch Veränderungen der Ausgestal- tung der einzelnen Studiengänge innerhalb der Instituti- onen erforderlich. Ein enger Diskurs mit den Hochschulen sei im geplanten Bund-Länder-Prozess unerlässlich.
Henning Rockmann (Hochschulrektorenkonferenz, Leiter der Geschäftsstelle) resümierte für den ersten Ta- gungsteil, dass sich dem Kapazitätsrecht aktuell weniger Zulassungs‑, sondern Qualitätsfragen stellten. Diese sei- en in der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung bisher wenig berücksichtigt worden. Das Kapazitätsrecht werde von vielen Ländern nicht nur als Zugangs‑, son- dern als Steuerungsinstrument benutzt. Um die wichti- gen Transformationsfragen der Gesellschaft in Zukunft zu lösen, sei eine Qualitätsverbesserung der Lehre und Forschung notwendig. Angesichts der in der Diskussion aufgezeigten großen Diversität in der Hochschulland- schaft müssten am von der Bundesregierung anzusto- ßenden Dialog nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Hochschulen von Anfang an beteiligt sein.
IV. Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts als Bau- stein einer zukunftsfähigen Ausgestaltung von Studi- um und Lehre
Aus Perspektive des Wissenschaftsrats berichtete Prof. Dr. Dorothea Wagner (Karlsruhe Institute of Technology, Lehrstuhl Institut für Theoretische Informatik und ehe- malige Vorsitzende des Wissenschaftsrats) am nächsten Tagungstag von dessen Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität der Lehre und Weiterentwicklung des Kapa- zitätsrechts.
Bereits 1990 habe der Wissenschaftsrat mit Blick auf die Studienexpansion der 1970er und 1980er Jahre, und der damit einhergehenden Verschlechterung der Betreu- ungsrelation, gefordert, dass die Kapazitätsverordnun- gen nur als Maßnahme auf Zeit zur Sicherung der Aus- bildung geburtenstarker Jahrgänge eingesetzt werden und die „Überlast“ nicht zur „Normallast“ werden dür- fe.12 Mit der Fortsetzung der Bildungsexpansion und Steigerung der Studierneigung sei es jedoch dauerhaft notwendig geblieben, die Erwartungen und Ansprüche der Studienberechtigten, Studierenden und Lehrenden im Rahmen des Kapazitätsrechts in Ausgleich zu brin- gen. Der Wissenschaftsrat habe dessen Entwicklung da- her kontinuierlich beobachtet und insbesondere in den letzten 15 Jahren einen dringenden Änderungsbedarf des Kapazitätsrechts und der damit verbundenen Lehrver- pflichtungsverordnungen insbesondere hinsichtlich der Verbesserung der Betreuungsrelation proklamiert:
2008 kam der Wissenschaftsrat zu dem Ergebnis, dass das Kapazitätsrecht seiner Aufgabe, nämlich dem Interessenausgleich zwischen Studienplatzbewerbern,
12 Empfehlungen für die Planung des Personalbedarfs der Universi- täten, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9866–90. html (zuletzt abgerufen am: 01.12.2023).
eingeschriebenen Studierenden und Lehrenden, nur un- zureichend nachkäme. Vielmehr habe das Kapazitäts- recht eine schlechte Betreuungssituation in vielen Fä- chern verursacht und perpetuiert.13 Als Nebeneffekt im Verhältnis von Hochschule und Staat sei eine Detailsteu- erung und Überbürokratisierung zu beobachten, die der angestrebten Profilbildung und Autonomie der Hoch- schulen entgegenstehe. Auch 2010 forderte der Wissen- schaftsrat eine stärkere Profilierung und Ausdifferenzie- rung in der Hochschullandschaft.14 Mit Blick auf eine in- novative Lehrorientierung der Hochschulen seien je- doch Zeit und Aufwand seitens der Lehrkräfte zu berücksichtigen. Länder und Bund sollten daher ihre Fi- nanzinstrumente ausschöpfen, insbesondere für den ka- pazitätsneutralen Ausbau des lehrorientierten Personals.
2017 machte der Wissenschaftsrat abermals das Span- nungsfeld von Lehrkapazität und ‑qualität deutlich.15 Da die Aufgaben in der Lehre weit über die Erteilung von Lehrveranstaltungen hinausgingen und dazu auch fach- liche Beratungs- und Betreuungsleistungen, die Ent- wicklung von Curricula und neuen, neuerdings auch di- gitalen Lehrformaten sowie die Vor- und Nachbereitung von Evaluationen zählten, müsse dies angemessen in den geltenden Berechnungsgrundlagen innerhalb des Kapa- zitätsrechts abgebildet sein. Insbesondere müsse eine solche realistische und alle Aufgaben der Lehre inkludie- rende Bemessung des Lehrdeputats in die Lehrverpflich- tungsverordnungen eingearbeitet werden.
In seinem Positionspapier von 2018 zur Hochschul- bildung im Anschluss an den Hochschulpakt 2020 beob- achtete der Wissenschaftsrat, dass sich die Betreuungsre- lation von Professoren zu Studierenden trotz des finanzi- ellen Engagements von Bund und Ländern negativ ent- wickelt habe, obgleich der Hochschulpakt den Trend ein wenig ausgebremst habe. Betreuungsrelationen seien aber eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Be- dingung für hohe Lehr- und Studienqualität. Die Hoch- schulen hätten gelegentlich die Überbuchung von Studi- engängen als zusätzliche Finanzierungsquelle basierend auf der Konstruktion des Hochschulpakts genutzt. Die große Expansion der Studierendennachfrage sei dabei nicht mit einem proportionalen Ausbau des Bestandes an Professuren und anderen hauptamtlichen Lehrkräf- ten einhergegangen.
13 Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/8639–08.html (zuletzt abgerufen am: 01.12.2023).
14 Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen, https:// www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10387–10.html (zuletzt abgerufen am: 01.12.2023).
In seinen Empfehlungen für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre 202216 habe der Wissenschaftsrat daher ein umfangreiches Maßnahmen- paket zur Sicherung des Leistungsniveaus und der Zu- kunftsfähigkeit der Hochschulbildung vorgeschlagen: Es seien neue Lehr- und Prüfungsformate sowie eine neue Ausgestaltung des Verhältnisses von Lehrenden und Stu- dierenden notwendig. Konkret werde das Format eines akademischen Mentorats empfohlen, in dem regelmäßi- ge fachliche und persönlichkeitsbildende Studiengesprä- che durchgeführt werden sollten. Das hauptamtliche Lehrpersonal solle dafür die Verantwortung tragen. Eine interaktionsgeprägte, diskursorientierte und reflektierte Lehre sei insbesondere durch kleine Lehr- und Lern- gruppen zu erreichen, die eine erhöhte Betreuungsinten- sität erfordern. Dies bedeute angesichts des Aufbaus und der Weiterentwicklung der digitalen Lehre insbesondere, dass Studierendengruppen nicht beliebig vergrößert werden können.
Mit dem Zukunftsvertrag als Dauerförderprogramm seien bereits Schritte zur Weiterentwicklung der Quali- tätsverbesserung von Studium und Lehre unternommen worden. Angesichts aktuell sinkender Zahlen der Studi- enanfänger bestehe nun die Chance für Qualitätsverbes- serungen. Einen bedeutsamen Beitrag würde in diesem Zusammenhang ein weiterentwickeltes Kapazitätsrecht leisten. Gleichzeitig seien noch zusätzliche Anstrengun- gen zur Verbesserung der Lehrqualität erforderlich, wel- che nach Hochschularten, Fächern und Studiengängen unterschiedlich auszurichten und dezentral in den Fä- chern vorzunehmen seien.
V. Niveaupflege kostet – Qualitätsverbesserung im Studium am Beispiel der Gesundheitsberufe
In einer Podiumsdiskussion nahmen Prof. Dr. Simone Fulda (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Präsi- dentin), Prof. Dr. Martina Kadmon (Universität Augs- burg, Dekanin der Medizinischen Fakultät) und Prof. Dr. Gerhard Werner (Dr. Fettweis & Sozien Rechtsanwälte, Rechtsanwalt) exemplarisch Weiterentwicklungen und Qualitätsverbesserungen auf dem Gebiet der Gesund- heitsberufe in den Blick.
Werner sah das Kapazitätsrecht nicht pauschal als „enges Korsett“ an. Da er Hochschulen im Rahmen von
15 Positionspapier zu Strategien für die Hochschullehre, https://www. wissenschaftsrat.de/download/archiv/6190–17.html (zuletzt abgeru- fen am: 01.12.2023).
16 https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9699–22.html (zuletzt abgerufen am: 01.12.2023).
Haake · Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts 6 9
70 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74
Kapazitätsberechnungen begleite und berate, habe er die Erfahrung gemacht, dass diese zwar einen erheblichen Aufwand und Bürokratie bedeuteten, aber bei guter Strukturierung eine verlässliche und gerichtssichere Pla- nungsgrundlage böten. Zudem sei das bestehende Sys- tem an sich für Qualitätsverbesserungen offen oder je- denfalls durch relativ „kleine Eingriffe“ zu öffnen (z.B. durch Anhebung der Curricularwerte bzw. des oberen Bandbreitenwertes oder durch verbesserte Anrech- nungsmöglichkeiten für Sonderaufwände). Eines „Sys- temwechsels“ bedürfe es hierfür nicht; natürlich sei aber die Mitwirkung der Ministerien erforderlich. Qualitäts- verbesserungen seien insbesondere eine Frage finanziel- ler Ressourcen, wenn sie ohne Verlust von bestehenden Studienplätzen realisiert werden sollen. Es finde zwi- schen Bund, Ländern und Hochschulen ein stetes Rin- gen um zusätzliche Finanzmittel für Forschung und Leh- re statt. Daher seien auch die jeweiligen Finanzministe- rien an Reformdiskussionen zu beteiligen. Da mit Aus- nahme der medizinischen und psychologischen Studiengänge jedoch sinkende Studienanfängerzahlen zu verzeichnen seien, rechnete Werner insbesondere in Anbetracht der Belastung der öffentlichen Haushalte durch vergangene und aktuelle Krisen nicht mit einer si- gnifikanten Steigerung der finanziellen Ressourcen zur Qualitätsverbesserung.
Zur Förderung der Qualität setzte Fulda insbeson- dere auf Kooperationen zwischen Hochschulen und Dis- ziplinen. Dazu sei jedoch die Bereitschaft der Fakultäten erforderlich und die Entwicklung hin zu dem Bewusst- sein, dass nicht jede Fakultät jede Lehrveranstaltung an- bieten müsse, sondern kooperative Angebote verstärkt Lücken schließen können. Gleichzeitig blockiere jedoch das geltende Kapazitätsrecht innovative Formate und Konzepte zur Umgestaltung des Medizinstudiums. Ful- da plädierte deshalb für mehr Flexibilität und zusätzli- che finanzielle Ressourcen, da ansonsten eine Verbesse- rung der Betreuungsrelation nicht möglich sei.
Kadmon sah fakultätsübergreifende Kooperationen zur Qualitätsverbesserung nur zwischen solchen Fakul- täten für möglich, welche ein ähnliches Studienmodell haben. Ansonsten werde den Studierenden aufgrund der unterschiedlichen Gestaltungen der Studiengänge zu viel abverlangt und eine Bereicherung zur Qualitätsstei- gerung bleibe aus.
Werner betrachtete koordinierte hochschulübergrei- fende Lehrformate gerade angesichts der Digitalisie- rung als Chance zur Kapazitäts- und Qualitätsverbesse- rung. Zu beachten sei jedoch, dass deren Entwicklung zunächst einen größeren Lehr- und Planungsaufwand
verursache. In rechtlicher Hinsicht könne das Angebot bestimmter Instrumente oder Formate den Lehrenden aufgrund ihrer Wissenschafts- und Lehrfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht von Seiten der Hochschule vorge- geben werden, sodass solche Konzepte von der Freiwil- ligkeit der Lehrenden abhängig seien.
Angesichts der Forderungen nach Steigerungen der Betreuungsrelation und ‑qualität und der unverändert hohen Nachfrage nach Medizinstudienplätzen fragte sich Fulda, ob ein Bedarf an der Schaffung zusätzlicher Studienplätze bestehe. Eine angemessene Gesundheits- vorsorge müsse auch mit anderen Maßnahmen herge- stellt werden: So müssten zukünftige Absolventen auch im Beruf gehalten und die Arbeitsbedingungen attrakti- ver gestaltet werden, beispielsweise durch die Vereinfa- chung der Verbindung von Beruf, Familie und Freizeit. Insbesondere müsse zukünftig auch auf die Erwartungen und Wünsche neuer Generationen an den Arbeitsplatz reagiert werden. Zudem herrsche ein Versorgungsman- gel insbesondere in ländlichen Regionen.
Auch Kadmon beobachtete insbesondere in den me- dizinischen Berufen einen Wandel der Vorstellungen der neuen Generation von der Arbeitswelt. Hier müsse mehr auf die Bedürfnisse von Arbeitseinsteigern eingegangen werden, die sich beispielsweise keine Arbeit in „einsa- men Praxen“, sondern Austausch mit Kollegen und Spaß an der Medizin erwarteten. Medizinstudierenden müsse zudem bereits im Studium ein Einblick in das reale Ar- beitsumfeld geboten werden, da diese bekanntermaßen Auswirkungen auf Karriereentscheidungen haben können.
Was die Kapazitäten im Medizinstudium angehe, so liege die Begrenzung oft nicht im Lehrpersonal, sondern in der Anzahl der Patienten, Räumlichkeiten und des Pflegepersonals. Kadmon schlug zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung auch eine Betrachtung und Re- form der anderen Gesundheitsberufe vor: Durch Akade- misierung des Pflegepersonals könne die medizinische Versorgung verbessert und einem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Insbesondere bestehe die Chance, Aufgaben zwischen Ärzten und Pflegenden neu zu verteilen.
Werner befürwortete zwar das Angebot einer Hoch- schulqualifikation für Pflegepersonal, bezweifelte je- doch, dass dies eine Verbesserung der medizinischen Versorgung bedeute. Eine akademische Qualifikation sei eher für Pflegepersonal in übergeordneten Leitungs- und Koordinierungsfunktionen angedacht, aber lindere nicht den Fachkräftemangel in der Pflege in der breiten Menge „am Bett“.
Dagegen warf Kadmon ein, dass laut ihrer Erfah- rung viele Pflegende bereits Aufgaben der Ärzte insbe- sondere bei Berufseinsteigern übernehmen. Da das Pfle- gepersonal ein großes Wissen im Bereich der täglichen Arbeit am Patienten habe, sei es bereits Realität, dass junge Mediziner von ihnen lernten. Die Akademisierung des Pflegepersonals könne in diesem Zusammenhang auch ein neues Selbstverständnis in der Pflege schaffen. Eine Hochschulqualifikation sei insofern nicht nur für Koordinierungsfunktionen, sondern auch für die Pfle- genden „am Bett“ gedacht: durch Akademisierung und Steigerung der Wissenschaftlichkeit sowie Evidenzbasie- rung sei eine Steigerung der medizinischen Versorgung möglich.
Auch Fulda sah in der Ausbildung eines akademi- schen Pflegepersonals die Chance der Bildung einer neu- en Berufsgruppe. In anderen Ländern zeige sich, dass das Medizinstudium nicht isoliert von anderen Berufs- gruppen betrachtet werden dürfe, sondern eine inter- professionelle Ausbildung zukunftsweisend sei.
Bilanzierend waren sich die Referenten einig, dass zur Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre Änderungen innerhalb der Studiengänge notwendig sei- en. Hilfreich seien dazu neue insbesondere digitale For- mate, Kooperationen und Netzwerke, um aus bestehen- den Ressourcen Qualitätsgewinne zu schöpfen. Laut Ful- da wirke das geltende Kapazitätsrecht als Schranke für Fortentwicklungen. Innovationen wie etwa Modellstudi- engänge im Bereich der Humanmedizin würden nicht durch rechtliche Spielräume unterstützt und müssten daher durch Flexibilisierung des Kapazitätsrechts er- möglicht werden. Was mögliche Ergebnisse im Rahmen der Reformdiskussion rund um den „Masterplan Medi- zinstudium 2020“ angehe, so zog Werner Vergleiche zu aktuellen Reformbestrebungen im Zahnmedizinstudi- um. Er rechnete daher mit einer Erhöhung der Curricu- larwerte. Zur Verbesserung der Qualität und Flexibilität müssten diese nach oben gesetzt werden und Sonderauf- wände in der Lehre, die über das Halten von Lehrveran- staltungen hinausgehen, hinreichend abbilden.
VI. Konvergenz nicht nur in der Forschung – wie man Studierendenströme zwischen Universitäten und Fachhochschulen neu verteilen könnte
Zuletzt diskutierten Dr. Thomas Grünewald (Hochschu- le Niederrhein, Präsident), Prof. Dr. Oliver Günther (Uni- versität Potsdam, Präsident) und Dr. Waltraud Kreutz- Gers (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Kanzle-
17 https://www.jmwiarda.de/2017/10/10/neue-verhältnisse/ (zuletzt abgerufen am: 01.12.2023).
rin) über eine mögliche Neuverteilung der Studierenden zwischen Universitäten und Fachhochschulen/Hoch- schulen für angewandte Wissenschaften mithilfe des Kapazitätsrechts.
Die Debatte ging von einem Vorschlag Günthers zur Neuverteilung aus 2017 aus.17 Die aktuelle Verteilung der Studierendenströme mit 60 % an die Universitäten und 40 % an die Fachhochschulen/HAWs sei nicht optimal. Dem Gründungskalkül entsprechend sei die Betreu- ungssituation an den FHs/HAWs wesentlich besser als an den Universitäten. Günther schlug vor, eine Verschie- bung hin zu den FHs/HAWs zu erreichen. Um einer ne- gativen Entwicklung der Betreuungsrelation an den Fachhochschulen vorzubeugen, sollten diese proportio- nal mehr finanzielle Mittel erhalten. Mit einer Anhebung der Curricularnormwerte an den Universitäten könne dort die Betreuungsrelation verbessert werden, was frei- lich auch zusätzliche Kosten verursache.
Auch Grünewald hatte grundsätzlich nichts gegen eine Neuverteilung, in deren Rahmen die Fachhoch- schulen mehr Aufgabenfelder besetzen. Voraussetzung dafür sei jedoch in jedem Fall der proportionale Anstieg der finanziellen Ressourcen für Lehrpersonal. Der an den Fachhochschulen erreichte Status an Lehr- und Stu- dienqualität sei unveräußerlich und dürfe im Zuge einer Neuverteilung der Studierenden nicht abgesenkt werden.
Kreutz-Gers sprach sich ebenfalls für eine Neuvertei- lung aus. Sie beobachtete in den letzten Jahren ohnehin ein steigendes Interesse der Studienanfänger an Fach- hochschulen. Eine Neuverteilung sei deshalb für die Universitäten angesichts des demografischen Wandels und aktuell zu verzeichnenden Rückgangs der Studie- rendenzahlen eine Möglichkeit, die Studienqualität zu verbessern. Sie beobachtete eine Weiterentwicklung des Selbstverständnisses der Fachhochschulen, welche in- zwischen mehr anwendungsorientierte Forschung be- treiben und z.T. das Promotionsrecht innehaben, warnte jedoch davor, dass eine vollständige Angleichung nicht im Interesse der Studierenden sei. Die steigende Nach- frage nach Studienplätzen an Fachhochschulen zeige, dass auch die Unterschiede zu den Universitäten einen Vorteil ausmachten.
Günther und Grünewald beriefen sich auf die Ge- meinwohlverpflichtung der Hochschulen: Bei der Verla- gerung von Kapazitäten zwischen Universitäten und Fachhochschulen müsse sich nach den Bedürfnissen der neuen Generationen gerichtet und vor Augen geführt werden, welche Ausgestaltung des Hochschulsystems
Haake · Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts 7 1
72 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74
den gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen best- möglich erfülle, z.B. bei der Bewältigung der Energie- wende. Während Günther vorschlug, z.B. juristische und medizinische Inhalte oder Teile der Lehramtsausbildung an die Fachhochschulen zu verlegen, plädierte Grüne- wald für die Vereinbarung einer Arbeitsteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen in regionalen Clus- tern. Die Hochschule Niederrhein kooperiere bereits in einigen Fächern mit Universitäten in der näheren Umgebung.
Grünewald und Kreutz-Gers wiesen darauf hin, dass sowohl die Fachhochschulen als auch die Universitäten unterschiedliche Profilbildungsprozesse durchgemacht hätten. Anwendungsorientierte Studienangebote gebe es mittlerweile an beiden Hochschultypen, nicht mehr nur an den Fachhochschulen. Die ursprüngliche Forderung des Wissenschaftsrates, dass 60 % der Hochschulausbil- dung anwendungsorientiert und 40 % grundlagenorien- tiert erfolgen solle, können beide Hochschultypen part- nerschaftlich miteinander einlösen. Grünewald sprach sich deshalb gegen eine typenreine Binnendifferenzie- rung aus, sondern präferierte vielmehr eine Profilbil- dung der jeweiligen Institution.
Was die Entwicklung der Hochschullandschaft von einer zweigleisigen Unterteilung zwischen Fachhoch- schulen und Universitäten hin zu einem Spektrum ange- he, so sei nach Günther an eine komplette Änderung des geltenden Rechtsrahmens realistischerweise nicht zu denken. Allerdings entwickele sich das Zwei-Arten-Sys- tem in verschiedene Modelle, die zwischen den zwei grundsätzlichen Typen angesiedelt seien.
Günther und Grünewald sprachen sich für ein ko- operatives Zusammenwirken der Fachhochschulen und Universitäten in einzelnen Fächern aus: Anstelle einen „institutionellen Denkmalschutz“ zu betreiben und aus Tradition an der geltenden Verteilung festzuhalten, sei an Hochschulverbunde z.B. in der Lehramtsausbildung zu denken. Zudem zeige das Beispiel Wirtschaftswissen- schaften mit VWL und BWL, dass es unterschiedliche Arten der Lehre an verschiedenen Hochschulen und Hochschultypen gebe. Bezüglich Kooperationen merkte Kreutz-Gers an, dass auch die Digitalisierung der Lehre beachtet werden müsse. Mit digitalen Formaten könne stärker zusammengewirkt werden, um sich an den ein- zelnen Hochschulen dann auf eine Kleingruppenbe- treuung zu konzentrieren. Dabei dürfe nach Grünewald jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass insbeson- dere die Entwicklung interaktiver digitaler Formate ei- nen höheren Betreuungsaufwand als die Präsenzlehre erfordere.
Deshalb warnten die Referenten davor, Rückgänge der Studierendenzahlen oder die Möglichkeit digitaler Formate zum Anlass zu nehmen, die finanziellen Res- sourcen der Hochschulen zu kürzen. Eine solche demo- grafische oder digitale Rendite dürfe nicht ausgenutzt werden. Nach Günthers Einschätzung sei eine Neuvertei- lung der Studierenden stattdessen nur mit zusätzlichen Mitteln möglich, da ansonsten die Neuverteilung hin zu den Fachhochschulen für die Universitäten nicht sach- gerechte finanzielle Einbußen bedeute und deshalb nur schwer durchsetzbar sei.
Kreutz-Gers wies zudem darauf hin, dass die Betreu- ungsverhältnisse an den Universitäten gerade im inter- nationalen Blick nicht konkurrenzfähig seien. Eine Stei- gerung der finanziellen Ressourcen im deutschen Hoch- schulsystem sei daher unbedingt notwendig, um im in- ternationalen Wettbewerb bestehen zu können. Diese müsse jedoch nicht rein öffentlich sein, sondern sei bei- spielsweise auch über Studiengebühren möglich. Letztendlich waren sich die Referenten einig, dass eine Erhöhung der Curricularnormwerte an den Universitä- ten zur Verbesserung der Studienqualität notwendig sei. Gleichzeitig dürfe dies bei einer Studierendenneuvertei- lung jedoch nicht zu einer Absenkung der Betreuungsre- lation an den Fachhochschulen führen. Die Referenten sprachen sich für eine kooperative Verteilung derart aus, dass die einzelnen Hochschulen ihr institutionelles Pro- fil verschärfen und in Form von Netzwerken und Ver- bunden einen „guten Mix aus allem“ anbieten sollten.
VII. Resümee und Ausblick
Stückradt resümierte, dass er und viele andere Tagungs- teilnehmende die Eingangserwartung gehabt haben, dass eine große Reform des Kapazitätsrechts notwendig sei. Nach der Veranstaltung sei er sich diesbezüglich jedoch unsicher, da mit Änderungen einerseits Rechts- unsicherheiten für ein austariertes System der Hoch- schulzulassungen und Kapazitätsberechnungen und andererseits ein sehr zeitintensiver Aufwand des Ände- rungsprozesses einhergingen.
Insbesondere im Diskurs mit den Hochschulen habe sich abgezeichnet, dass die meisten Probleme im Zusam- menhang mit dem Kapazitätsrecht nicht im Bereich der NCs und des Hochschulzugangs, sondern bei Betreuung und Qualität liegen. Es habe sich gezeigt, dass zwar eine gefestigte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Kapazitätsrecht bestehe, diese aber keinesfalls ein starres System vorgebe, sondern insbesondere für Maßnahmen zum Zweck der Qualitätsverbesserung offen sei.
Deshalb erscheine es womöglich sinnvoller, anstelle einer kompletten Reform konkrete schrittweise Maß- nahmen zu ergreifen, die zur Qualitätsverbesserung not- wendig seien. Vielfach sei in diesem Zusammenhang auf eine stärkere Nutzung der Bandbreiten, eine Erhöhung der Curricularnormwerte sowie eine Absicherung oder Steigerung der Finanzierung hingewiesen worden. Eben- so seien Prozessvereinfachungen und Flexibilisierungen wichtig, um nicht jeden Einzelfall im Kapazitätsrecht abbilden und lösen zu müssen. Angesichts des aktuell erstmaligen Rückgangs der Studienanfängerzahlen bestehe eine Chance zur Verbesserung der Studienquali-
tät. Der vom Bund beabsichtigte Bund-Länder-Prozess zur Änderung des Kapazitätsrechts zeige dabei die Gesprächsbereitschaft und Veränderungsbereitschaft der Politik und lasse auf positive Veränderungen hoffen. Wichtig sei allerdings, dass dieser dringend notwendige Veränderungsprozess jetzt in der Tat vom Bund angesto- ßen und von den Ländern positiv mitgestaltet werde.
Dr. Karoline Haake ist Rechtsreferendarin am Oberlan- desgericht Celle und Doktorandin an der Leibniz Uni- versität Hannover.
Haake · Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts 7 3
74 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74