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„Es ist eine alte Geschich­te, doch bleibt sie immer neu“: Mit die­sem Hei­ne-Vers eröff­ne­te Dr. Micha­el Stück­radt, Vor­stands­vor­sit­zen­der des Ver­eins für deut­sches und inter­na­tio­na­les Wis­sen­schafts­recht, die Tagung zur Wei- ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts von der erschöp­fen- den Nut­zung hin zur Qua­li­tät von Stu­di­um und Leh­re im Deut­schen Geo­For­schungs­Zen­trum am Tele­gra­fen- berg in Pots­dam am 15. und 16.6.2023. Stück­radt deu­te­te damit dar­auf­hin, dass das Kapa­zi­täts­recht die Hoch­schu- len bereits seit der ers­ten Ent­schei­dung des Bun­des­ver- fas­sungs­ge­richts von 1972 beschäf­ti­ge und daher eine „alte Geschich­te“ sei, aber den­noch immer neue Aspek- te ent­wi­ckel­te. Zuletzt for­mu­lier­ten die die Regie­rungs- koali­ti­on im Bund bil­den­den Par­tei­en im Koali­ti­ons­ver- trag die Absicht, einen Bund-Län­der-Pro­zess zur Wei- ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts in Gang zu setzen.

Der Ver­ein zur För­de­rung des deut­schen und inter- natio­na­len Wis­sen­schafts­rechts nutz­te die­sen Anlass, um einen Über­blick über die Anwen­dung von Kapa­zi- täts­recht und Kapa­zi­täts­pla­nung in den Län­dern und Hoch­schu­len eben­so wie die Erwar­tun­gen von Hoch- schul­po­li­tik und Hoch­schu­len an die Wei­ter­ent­wick­lung der Kapa­zi­täts­ver­ord­nun­gen geben. Mode­riert wur­de die Tagung von Wis­sen­schafts­jour­na­list Jan-Mar­tin Wiar­da.

I. Ein­stieg: Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts auf der poli­ti­schen Agenda

Die Tagung läu­te­te Dr. Jens Bran­den­burg (Par­la­men­ta­ri- scher Staats­se­kre­tär im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung) mit einem State­ment zur Aktua­li­tät des The­mas ein. Das Kapa­zi­täts­recht sei heu­te so aktu­ell wie vor 50 Jah­ren. Heu­te gebe es wesent­lich mehr Stu­die­ren- de als damals und eine grö­ße­re Diver­si­tät in der Hoch- schul­land­schaft. Außer­dem ste­he die Gesell­schaft vor immensen Her­aus­for­de­run­gen als auch gro­ßen Umbrü- chen. Zur Bewäl­ti­gung anste­hen­der glo­ba­ler Herausfor-

derun­gen sei­en exzel­lent aus­ge­bil­de­te Men­schen und exzel­len­te Hoch­schu­len erforderlich.

Bran­den­burg beob­ach­te­te drei wesent­li­che Ent­wick- lun­gen seit der ers­ten bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung. Zunächst sei eine Bil­dungs­expan­si­on zu ver­zeich­nen: Mitt­ler­wei­le neh­men ein Anteil von 55 % eines Geburts­jahr­gangs ein Stu­di­um auf, es han­de­le sich um einen selbst­ver­ständ­li­chen Teil des Bil­dungs­wegs. Über­dies sei infol­ge der Bolo­gna-Reform eine Euro­päi- sie­rung und Glo­ba­li­sie­rung der Uni­ver­si­täts­bil­dung ein- getre­ten: Seit Abschaf­fung des Diploms mit dem Ziel in- ter­na­tio­na­ler Hoch­schul- und Mas­ter­kar­rie­ren sei eine gro­ße Viel­falt an Bache­lor- und Mas­ter­pro­gram­men ent- stan­den. Drit­tens habe auch die Digi­ta­li­sie­rung neue Mög­lich­kei­ten geschaf­fen: Nicht zuletzt die Covid- 19-Pan­de­mie habe gezeigt, dass Hoch­schu­len auch digi- tal funk­tio­nie­ren kön­nen, gleich­zei­tig aber auch von Prä­senz­leh­re leben. Die Mög­lich­keit digi­ta­ler Leh­re er- for­de­re ins­be­son­de­re neue Kon­zep­te und For­ma­te, wel- che auch neue Anfor­de­run­gen an recht­li­che Rah­men­be- din­gun­gen stellten.

Ange­sichts die­ser Ent­wick­lun­gen habe sich die Hoch- schul­land­schaft im Ver­gleich zu 1972 gra­vie­rend verän- dert. Gera­de vor dem Hin­ter­grund der Bedeu­tung des Kapa­zi­täts­rechts als Dreh- und Angel­punkt eines mo- der­nen Hoch­schul­sys­tems mit Ein­fluss auf die Grund­la- gen von Stu­di­en­gän­gen, Lehr­ver­an­stal­tun­gen und auch Per­so­nal- und Finan­zie­rungs­struk­tu­ren habe sich die Bun­des­re­gie­rung im Koali­ti­ons­ver­trag für die 20. Legis- latur­pe­ri­ode die Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts vor­ge­nom­men. Sie möch­te daher einen ergeb­nis­of­fe­nen Bund-Län­der-Hoch­schul-Dia­log über mög­li­che und not­wen­di­ge Wei­ter­ent­wick­lun­gen der kapa­zi­täts­recht­li- chen Rah­men­be­din­gun­gen und Anwen­dun­gen initi­ie- ren. Dabei soll vor allem gemein­sam mit Län­dern und Hoch­schu­len erör­tert wer­den, wo genau die Pro­ble­me lie­gen und was Lösungs­an­sät­ze sein können.

Karo­li­ne Haake

Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts – von der „erschöp­fen­den“ Nut­zung hin zur Qua­li­tät von Stu- dium und Leh­re
Bericht über die Tagung des Ver­eins zur För­de­rung des deut­schen und inter­na­tio­na­len Wis­sen­schafts- rechts e.V. am 15./16.6.2023

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2024, ISSN 2197–9197

66 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74

II. Ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­la­gen des Kapa­zi­täts- rechts – Wür­de das BVerfG heu­te anders ent­schei­den als 1972?

Dar­auf­hin ana­ly­sier­te Prof. Dr. Win­fried Kluth (Mar­tin- Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg, Lehr­stuhl für Öffent­li­ches Recht, Rich­ter am Lan­des­ver­fas­sungs­ge- richt a. D.) den aktu­el­len Stand der ver­fas­sungs­recht­li- chen Recht­spre­chung zum Kapa­zi­täts­recht aus dem Blick­win­kel der Fra­ge, ob dar­aus Ten­den­zen zur Verän- derung ables­bar sind.

Im ers­ten NC-Urteil von 19721 ent­wi­ckel­te das BVerfG das Teil­ha­be­recht der Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten: Art. 12 Abs. 1 GG ver­mit­te­le in Ver­bin­dung mit Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf chan­cen­glei­chen Zugang zu den vor­han­de­nen Stu­di­en­plät­zen ihres ge- wünsch­ten Studiengangs.2 Wegen der Ein­schrän­kung der Berufs­frei­heit müs­se der par­la­men­ta­ri­sche Gesetz­ge- ber über das Rang­ver­hält­nis der Bewerber3 um einen Stu­di­en­platz ent­schei­den. Bei der Kapa­zi­tät han­de­le es sich ins­be­son­de­re um kei­ne rein empi­ri­sche Grö­ße, son- dern die Bemes­sung sei weit­ge­hend nor­ma­tiv bestimmt, ange­fan­gen von Vor­schrif­ten über Stu­di­en­plä­ne, über die Zahl der Pflicht­ver­an­stal­tun­gen und deren höchst­zu- läs­si­ge Teil­neh­mer­zahl, bis hin zur Lehr­be­fä­hi­gung und zumut­ba­ren Belas­tung des Per­so­nals unter Berück­sich­ti- gung der For­schungs­auf­ga­ben und der Bean­spru­chung durch öffent­li­che oder pri­vat­nüt­zi­ge Neben­tä­tig­kei­ten sowie der Art der Universitätsorganisation.4 Dabei gel­te zuguns­ten der Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten das Gebot der er- schöp­fen­den Kapazitätsauslastung,5 wel­ches nicht nur von der Ver­wal­tung, son­dern auch vom Gesetz­ge­ber zu beach­ten sei.6 Beschrän­ken­de Maß­nah­men müss­ten un- bedingt erfor­der­lich zur Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Hoch- schu­le in Wahr­neh­mung ihrer Auf­ga­ben in For­schung und Leh­re sein.7 Bei der Fest­set­zung der Kapa­zi­tät dür­fe kei­ne „unzu­läs­si­ge Niveau­pfle­ge“ betrie­ben wer­den, in- dem eli­tä­ren Inter­es­sen zulas­ten der brei­ten Mas­se von Stu­di­en­in­ter­es­sen­ten durch­ge­setzt würden.

Seit­dem herr­sche ein hohes Maß an Kon­ti­nui­tät in der bun­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Recht­spre­chung zum Kapa­zi­täts­recht, wel­che Kluth zuletzt in einem Kam­mer- beschluss des BVerfG von 20228 bestä­tigt sah. Kluth wies jedoch dar­auf hin, dass die bestehen­den bundesverfas-

  1. 1  BVerfGE 33, 303 ff.
  2. 2  Eine Bereit­stel­lungs­pflicht für neue Stu­di­en­plät­ze ist vom BVerfGd­a­ge­gen nicht aner­kannt, wird jedoch auf Ebe­ne des Lan­des­ver- fas­sungs­rechts dis­ku­tiert, wie bereits im Vor­la­ge­be­schluss des VG Ham­burg v. 21.8.1970 – IV VG 615/70.
  3. 3  Soweit im Fol­gen­den allein aus Grün­den bes­se­rer Les­bar­keit die Form des gene­ri­schen Mas­ku­li­nums ver­wen­det wird, sind stets

sungs­recht­li­chen Ent­schei­dun­gen als Ver­fas­sungs­be- schwer­den der­je­ni­gen Stu­di­en­be­wer­ber, die „drau­ßen vor der Tür“ geblie­ben sei­en und Zugang zu Stu­di­en­plät- zen begehr­ten, ihren recht­li­chen Schwer­punkt auf die Zugangs­re­gu­lie­rung leg­ten. Aus die­sem Grund sei­en die Rech­te der Leh­ren­den und der bereits Stu­die­ren­den nur am Ran­de the­ma­ti­siert wor­den. Das Zugangs­in­ter­es­se der Stu­di­en­be­wer­ber ste­he jedoch in einem grund­recht- lichen Span­nungs­ver­hält­nis mit der For­schungs- und Lehr­frei­heit der Leh­ren­den und den Aus­bil­dungs­be- dürf­nis­sen der Stu­die­ren­den. Die­se tri­po­la­ren Inter­es­sen müs­sen bei der Kapa­zi­täts­be­rech­nung abge­stimmt wer- den.9 Über die­se Abwä­gung kön­ne auch die Qua­li­tät der For­schung und Leh­re Ein­zug in Kapa­zi­täts­er­wä­gun­gen erhal­ten. Wich­tig sei dabei nur, die Qua­li­täts­si­che­rung aus die­sen recht­lich zuläs­si­gen Gesichts­punk­ten und nicht allein aus haus­halts­po­li­ti­schen Grün­den her­zu­lei- ten. Auch das vom BVerfG for­mu­lier­te Ver­bot der Ni- veau­pfle­ge ste­he dem nicht entgegen.

Bis­her beob­ach­te­te Kluth, dass das gel­ten­de Kapa­zi- täts­recht in der Pra­xis eine unzu­rei­chen­de Gestal­tungs- frei­heit und Abhän­gig­keit der Aus­bil­dungs­qua­li­tät von der Stu­di­en­platz­nach­fra­ge zum Resul­tat habe. Die ver- wal­tungs­ge­richt­li­che Recht­spre­chung nei­ge dazu, die In- ter­es­sen der Stu­di­en­be­wer­ber vor­zu­zie­hen. Dies gehe zu Las­ten der Qua­li­tät von For­schung und Leh­re. Die­se mes­se sich ins­be­son­de­re an der Betreu­ungs­re­la­ti­on, dem Ver­hält­nis der Anzahl der Stu­die­ren­den zu den Leh­ren- den. Die Qua­li­tät der Leh­re sei dabei ins­be­son­de­re von der Stu­di­en­gangs­aus­ge­stal­tung abhän­gig. Die­se ste­he je- doch in enger Wech­sel­wir­kung zum Kapa­zi­täts­recht. Gera­de die schlech­te Betreu­ungs­re­la­ti­on las­se dabei ei- nen umfang­rei­chen Hand­lungs­be­darf erken­nen, um die Lehr­qua­li­tät zu ver­bes­sern. Eine sol­che Ver­bes­se­rung sei ins­be­son­de­re auf­grund vie­ler gesell­schaft­li­cher Her­aus- for­de­run­gen und Trans­for­ma­ti­ons­auf­ga­ben der nächs- ten Jahr­zehn­te not­wen­dig, wel­che eine höhe­re Leis- tungs­fä­hig­keit der nächs­ten Gene­ra­tio­nen erfor­der­ten. Der Hoch­schul­aus­bil­dung und ‑for­schung kom­me in die­sem Zuge eine Schlüs­sel­auf­ga­be zu.

Das Kapa­zi­täts­recht sei auf­grund des vor­ge­ge­be­nen Rechts­rah­mens und ins­be­son­de­re der grund­recht­li­chen Impli­ka­tio­nen zwar kei­ne „freie Stell­schrau­be“, aber den­noch ste­he dem Gesetz­ge­ber bei der Ausgestaltung

alle Geschlech­ter mit­um­fasst.
4 BVerfGE 33, 303 (340).
5 BVerfGE 33, 303 (337 f.); 54, 173 (191); 85, 36 (54, 57).
6 BVerfG NVwZ 2023, 591 (592).
7 BVerfGE 66, 155 (179); 85, 36 (56).
8 BVerfG NVwZ 2023, 591, dazu Kluth, NVwZ 2023, 591 (594 ff). 9 BVerfGE 85, 36 (57); 134, 1 (13 f.), BVerfG NVwZ 2023, 591 (592).

ein Gestal­tungs­spiel­raum zu.10 Ände­run­gen zuguns­ten von mehr Qua­li­tät sei­en daher auch im Lich­te der ver­fas- sungs­recht­li­chen Recht­spre­chung mög­lich und als Teil einer umfas­sen­de­ren Debat­te über die Reform von Stu- dien­gän­gen und die Auf­ga­be der Hoch­schu­len in der Trans­for­ma­ti­on geboten.11

III. Ein bun­tes Bild – Über­blick zur Anwen­dung des Kapa­zi­täts­rechts in den Län­dern und Hochschulen

Eine Podi­ums­dis­kus­si­on zwi­schen Dr. Kers­tin Bur­ck (Johan­nes Guten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz, Dezer­nen­tin für Hoch­schul­ent­wick­lung), Dr. Frie­der Ditt­mar (Minis- teri­um für Wis­sen­schaft, For­schung und Kunst Baden- Würt­tem­berg, Refe­rats­lei­ter Grund­satz­an­ge­le­gen­hei­ten der Hoch­schul­ent­wick­lung), Prof. Dr. Ger­hard Sage­rer (Uni­ver­si­tät Bie­le­feld, Rek­tor) und Chris­ti­an Tusch (Minis­te­ri­um für Kul­tur und Wis­sen­schaft Nord­rhein- West­fa­len, Refe­rat Hoch­schul­sta­tis­tik, Hoch­schul­ka­pa- zitä­ten, Hoch­schul­con­trol­ling) bot einen Über­blick über die prak­ti­sche Anwen­dung des Kapa­zi­täts­rechts in den Ländern.

Alle Refe­ren­ten waren sich einig, dass in Zusam- men­hang mit einer Reform des Kapa­zi­täts­rechts ins­be- son­de­re Qua­li­täts­ver­bes­se­run­gen der Leh­re anzu­stre­ben sei­en. Das Kapa­zi­täts­recht sei schon lan­ge kein blo­ßes Kapa­zi­täts­be­gren­zungs­recht mehr, wie es in der ver­fas- sungs­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung beur­teilt wird. Viel- mehr sei das Kapa­zi­täts­recht ein zen­tra­les Steue­rungs­in- stru­ment für den Hoch­schul­be­reich, das von den Län- dern und den Hoch­schu­len jedoch unter­schied­lich an- gewen­det werde.

Bur­ck und Ditt­mar berich­te­ten von umfang­rei­chen Hand­lungs­spiel­räu­men und Frei­hei­ten, wel­che den Hoch­schu­len durch den Lan­des­ge­setz­ge­ber gewährt wer­den. So sei es etwa mög­lich, Stel­len bedarfs­ge­recht zwi­schen Stu­di­en­gän­gen zu ver­schie­ben. In Baden- Würt­tem­berg wer­den nach Ditt­mar die Spiel­räu­me, die das Kapa­zi­täts­recht und der Staats­ver­trag von 2006 zu- guns­ten bes­se­rer Betreu­ungs­ver­hält­nis­se ermög­li­chen, gut genutzt, wie die Betreu­ungs­re­la­tio­nen im Län­der­ver- gleich zei­gen: bei­spiels­wei­se die Mög­lich­keit, Stel­len ka- pazi­täts­neu­tral zu set­zen, die Nut­zung von Band­brei­ten oder die Aus­ge­stal­tung der Lehr­ver­pflich­tungs­ver­ord- nung. Sage­rer sah hin­ge­gen im Kapa­zi­täts­recht eine sys- tema­ti­sche Ver­hin­de­rung einer bes­se­ren Betreu­ung der

  1. 10  BVerfGE 136, 338 (363).
  2. 11  Kluth plä­dier­te für ein Ver­ein­ba­rungs­mo­dell auf Lan­des­ebe­ne, indes­sen Zuge die von den Hoch­schu­len bereit­zu­stel­len­den Stu­di­en- plät­ze in den ein­zel­nen Fach­rich­tun­gen durch eine Ver­ein­ba­rung mit dem Land kon­kre­ti­siert wer­den. Auf die­se Wei­se können

Stu­die­ren­den und damit einer Ver­bes­se­rung der Qua­li- tät des Stu­di­ums. Was die­se ange­he, sei­en die Hoch- schu­len in einem „Hams­ter­rad“ gefan­gen: Woll­ten sie die Betreu­ungs­re­la­ti­on durch mehr Lehr­per­so­nal ver- bes­sern, sei­en sie im glei­chen Zuge ver­pflich­tet, mehr Stu­die­ren­de auf­zu­neh­men. Des­halb sei­en zur Ver­bes­se- rung der Betreu­ungs­qua­li­tät mehr kapa­zi­täts­neu­tra­le Mit­tel notwendig.

Tusch wies dar­auf hin, dass auch im bestehen­den Sys- tem Stell­schrau­ben vor­han­den sei­en, mit denen bes­se­re Betreu­ung erreicht wer­den kön­ne. So kön­ne in Nord- rhein-West­fa­len von den Hoch­schu­len die Span­ne des Band­brei­ten­mo­dells genutzt wer­den. Mit­tel, die dezi- diert der Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät von Steue­rung und Leh­re die­nen, führ­ten gemäß § 1 des nord­rhein-west­fä­li- schen Hoch­schul­zu­las­sungs­ge­set­zes aus­drück­lich nicht zur Stei­ge­rung der Auf­nah­me­ka­pa­zi­tät. Auch Bund- Län­der-Ver­ein­ba­run­gen wie der Qua­li­täts­pakt Leh­re ent­hiel­ten ähn­li­che kapa­zi­täts­neu­tra­le Mit­tel zur Ver­bes- serung der Leh­re. Die Qua­li­tät von Stu­di­um und Leh­re sei über­dies ein erklär­tes Ziel des „Zukunfts­ver­trags Stu- dium und Leh­re stärken“.

Was den geplan­ten Bund-Län­der-Pro­zess ange­he, so sah Ditt­mar kei­nen bun­des­wei­ten Reform­be­darf, da im bestehen­den Kapa­zi­täts­recht genü­gend Spiel­räu­me für die Lan­des­ebe­ne vor­han­den sei­en, die genutzt und nicht gefähr­det wer­den soll­ten. Seit dem Staats­ver­trag von 2006 hät­ten sich die Situa­tio­nen in den Län­dern mehr denn je aus­ein­an­der­ent­wi­ckelt. Tusch erhoff­te sich des- halb, dass der Bund-Län­der-Dia­log die Dif­fe­ren­zie­run- gen zwi­schen den Län­dern abbil­den und sich deren un- ter­schied­li­che Erfah­run­gen zunut­ze machen wer­de. Das Sys­tem des Kapa­zi­täts­rechts müs­se jedoch nicht „vom Kopf auf die Füße“ gestellt wer­den. Bur­ck for­der­te, dass auf­grund der hete­ro­ge­nen Hoch­schul­land­schaft die Hoch­schu­len Teil des Bund-Län­der-Pro­zes­ses sein müss­ten. So könn­ten ins­be­son­de­re die Län­der gemein- sam mit den Hoch­schu­len ihre unter­schied­li­chen Rege- lun­gen dis­ku­tie­ren und Anglei­chungs- und Reform­be- darf bespre­chen. Der Bund kön­ne hier­für den Anstoß bie­ten. Den­noch plä­dier­te sie auch aus Grün­den der Rechts­si­cher­heit gegen eine umfas­sen­de Reform. Schließ­lich habe sich bereits ein rechts­si­che­res Sys­tem der Hoch­schul­zu­las­sun­gen etabliert.

Sage­rer beton­te die gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung der Hoch­schu­len und for­der­te des­halb, dass der Bund-

Kapa­zi­täts­ge­sichts­punk­te mit Qua­li­täts­er­wä­gun­gen unter stär­ke­rer Ein­bin­dung der Hoch­schu­len berück­sich­tigt wer­den, dazu Kluth, Steue­rung von Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten an Hoch­schu­len durch Ver­ein­ba­run­gen, 2010.

Haa­ke · Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts 6 7

68 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 65–74

Län­der-Pro­zess anstel­le vom Auf­bau neu­er Stu­di­en­plät- ze die Stei­ge­rung der Absol­ven­ten­zah­len in den Vor­der- grund stel­le. Dies kön­ne ins­be­son­de­re durch bes­se­re Be- treu­ung erreicht wer­den. Gera­de das finan­zi­el­le Augen- merk lie­ge im Sys­tem des Kapa­zi­täts­rechts jedoch regel­mä­ßig nur auf dem Zugang zum Stu­di­um, nicht je- doch auf den Stu­di­en­be­din­gun­gen, der Betreu­ungs­re­la- tion und der Anzahl der Abschlüs­se. Den­noch plä­dier­te auch Sage­rer gegen eine gro­ße Reform des Kapa­zi­täts- rechts, da dies ins­be­son­de­re zu zeit­in­ten­siv sei. Statt­des- sen soll­ten durch Refor­men im gel­ten­den Kapa­zi­täts- recht mehr Stell­schrau­ben für die Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät der Leh­re und For­schung geschaf­fen werden.

Ditt­mar hin­ge­gen argu­men­tier­te, dass zwar der Stu- die­n­er­folg und der Anteil der erfolg­rei­chen Abschlüs­se gestei­gert wer­den müs­se, um den aka­de­mi­schen Fach- kräf­te­be­darf in den Län­dern zu decken. Dahin­ter ste­cke jedoch kei­ne Fra­ge des Kapa­zi­täts­rechts, da die­ses schon heu­te umfäng­li­che Mög­lich­kei­ten für bes­se­re Betreu- ungs­ver­hält­nis­se bereit­hält, son­dern die schlich­te haus- halts­po­li­ti­sche Fra­ge nach der Finan­zie­rung, also wie vie­le Mit­tel Bund und Län­der für die Finan­zie­rung der Hoch­schu­len bereit­stel­len wollen.

In der aktu­ell zu beob­ach­ten­den sin­ken­den Anzahl von Stu­di­en­an­fän­gern sah Bur­ck die Chan­ce, die Aus­bil- dung an den Hoch­schu­len zu ver­bes­sern und stär­ke­re Pro­fi­le zu bil­den. Sie wies jedoch dar­auf hin, dass die Qua­li­tät des Stu­di­ums sich nicht allein an der Anzahl des Lehr­per­so­nals, son­dern auch an Inhalt und Zuschnitt des Stu­di­en­gangs bemes­se. Auch Tusch beton­te, dass al- lein die Unter­aus­las­tung einen Stu­di­en­gang nicht auto- matisch bes­ser mache, son­dern neben die Betreu­ungs­re- lati­on wei­te­re Fak­to­ren tre­ten, die es zu ver­bes­sern gel­te. Dazu sei laut Bur­ck eine Wei­ter­ent­wick­lung der Aus­ge- stal­tung der ein­zel­nen Stu­di­en­gän­ge inner­halb der je- wei­li­gen Hoch­schu­len not­wen­dig, auch wenn dies einen müh­sa­men inter­nen Ver­än­de­rungs­pro­zess bedeute.

Bilan­zie­rend waren sich die Refe­ren­ten einig, dass zur Ver­bes­se­rung der Stu­di­en­qua­li­tät kei­ne umfas­sen­de Reform des Kapa­zi­täts­rechts not­wen­dig sei. Viel­mehr sei­en als Stell­schrau­ben zur Qua­li­täts­stei­ge­rung die kon- sequen­te­re Nut­zung der vor­han­de­nen Spiel­räu­me sei- tens der Län­der, ggf. klei­ne­re Detail­an­pas­sun­gen des Ka- pazi­täts­rechts, aber auch Ver­än­de­run­gen der Aus­ge­s­tal- tung der ein­zel­nen Stu­di­en­gän­ge inner­halb der Insti­tu­ti- onen erfor­der­lich. Ein enger Dis­kurs mit den Hoch­schu­len sei im geplan­ten Bund-Län­der-Pro­zess unerlässlich.

Hen­ning Rock­mann (Hoch­schul­rek­to­ren­kon­fe­renz, Lei­ter der Geschäfts­stel­le) resü­mier­te für den ers­ten Ta- gungs­teil, dass sich dem Kapa­zi­täts­recht aktu­ell weni­ger Zulassungs‑, son­dern Qua­li­täts­fra­gen stell­ten. Die­se sei- en in der bun­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Recht­spre­chung bis­her wenig berück­sich­tigt wor­den. Das Kapa­zi­täts­recht wer­de von vie­len Län­dern nicht nur als Zugangs‑, son- dern als Steue­rungs­in­stru­ment benutzt. Um die wich­ti- gen Trans­for­ma­ti­ons­fra­gen der Gesell­schaft in Zukunft zu lösen, sei eine Qua­li­täts­ver­bes­se­rung der Leh­re und For­schung not­wen­dig. Ange­sichts der in der Dis­kus­si­on auf­ge­zeig­ten gro­ßen Diver­si­tät in der Hoch­schul­land- schaft müss­ten am von der Bun­des­re­gie­rung anzusto- ßen­den Dia­log nicht nur Bund und Län­der, son­dern auch die Hoch­schu­len von Anfang an betei­ligt sein.

IV. Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts als Bau- stein einer zukunfts­fä­hi­gen Aus­ge­stal­tung von Stu­di- um und Lehre

Aus Per­spek­ti­ve des Wis­sen­schafts­rats berich­te­te Prof. Dr. Doro­thea Wag­ner (Karls­ru­he Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy, Lehr­stuhl Insti­tut für Theo­re­ti­sche Infor­ma­tik und ehe- mali­ge Vor­sit­zen­de des Wis­sen­schafts­rats) am nächs­ten Tagungs­tag von des­sen Emp­feh­lun­gen zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät der Leh­re und Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa- zitätsrechts.

Bereits 1990 habe der Wis­sen­schafts­rat mit Blick auf die Stu­di­en­ex­pan­si­on der 1970er und 1980er Jah­re, und der damit ein­her­ge­hen­den Ver­schlech­te­rung der Betreu- ungs­re­la­ti­on, gefor­dert, dass die Kapa­zi­täts­ver­ord­nun- gen nur als Maß­nah­me auf Zeit zur Siche­rung der Aus- bil­dung gebur­ten­star­ker Jahr­gän­ge ein­ge­setzt wer­den und die „Über­last“ nicht zur „Nor­mal­last“ wer­den dür- fe.12 Mit der Fort­set­zung der Bil­dungs­expan­si­on und Stei­ge­rung der Stu­dier­nei­gung sei es jedoch dau­er­haft not­wen­dig geblie­ben, die Erwar­tun­gen und Ansprü­che der Stu­di­en­be­rech­tig­ten, Stu­die­ren­den und Leh­ren­den im Rah­men des Kapa­zi­täts­rechts in Aus­gleich zu brin- gen. Der Wis­sen­schafts­rat habe des­sen Ent­wick­lung da- her kon­ti­nu­ier­lich beob­ach­tet und ins­be­son­de­re in den letz­ten 15 Jah­ren einen drin­gen­den Ände­rungs­be­darf des Kapa­zi­täts­rechts und der damit ver­bun­de­nen Lehr­ver- pflich­tungs­ver­ord­nun­gen ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Ver­bes­se­rung der Betreu­ungs­re­la­ti­on proklamiert:

2008 kam der Wis­sen­schafts­rat zu dem Ergeb­nis, dass das Kapa­zi­täts­recht sei­ner Auf­ga­be, näm­lich dem Inter­es­sen­aus­gleich zwi­schen Studienplatzbewerbern,

12 Emp­feh­lun­gen für die Pla­nung des Per­so­nal­be­darfs der Uni­ver­si- täten, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9866–90. html (zuletzt abge­ru­fen am: 01.12.2023).

ein­ge­schrie­be­nen Stu­die­ren­den und Leh­ren­den, nur un- zurei­chend nach­kä­me. Viel­mehr habe das Kapa­zi­täts- recht eine schlech­te Betreu­ungs­si­tua­ti­on in vie­len Fä- chern ver­ur­sacht und perpetuiert.13 Als Neben­ef­fekt im Ver­hält­nis von Hoch­schu­le und Staat sei eine Detail­steu- erung und Über­bü­ro­kra­ti­sie­rung zu beob­ach­ten, die der ange­streb­ten Pro­fil­bil­dung und Auto­no­mie der Hoch- schu­len ent­ge­gen­ste­he. Auch 2010 for­der­te der Wis­sen- schafts­rat eine stär­ke­re Pro­fi­lie­rung und Aus­dif­fe­ren­zie- rung in der Hochschullandschaft.14 Mit Blick auf eine in- nova­ti­ve Lehr­ori­en­tie­rung der Hoch­schu­len sei­en je- doch Zeit und Auf­wand sei­tens der Lehr­kräf­te zu berück­sich­ti­gen. Län­der und Bund soll­ten daher ihre Fi- nanz­in­stru­men­te aus­schöp­fen, ins­be­son­de­re für den ka- pazi­täts­neu­tra­len Aus­bau des lehr­ori­en­tier­ten Personals.

2017 mach­te der Wis­sen­schafts­rat aber­mals das Span- nungs­feld von Lehr­ka­pa­zi­tät und ‑qua­li­tät deutlich.15 Da die Auf­ga­ben in der Leh­re weit über die Ertei­lung von Lehr­ver­an­stal­tun­gen hin­aus­gin­gen und dazu auch fach- liche Bera­tungs- und Betreu­ungs­leis­tun­gen, die Ent- wick­lung von Cur­ri­cu­la und neu­en, neu­er­dings auch di- gita­len Lehr­for­ma­ten sowie die Vor- und Nach­be­rei­tung von Eva­lua­tio­nen zähl­ten, müs­se dies ange­mes­sen in den gel­ten­den Berech­nungs­grund­la­gen inner­halb des Kapa- zitäts­rechts abge­bil­det sein. Ins­be­son­de­re müs­se eine sol­che rea­lis­ti­sche und alle Auf­ga­ben der Leh­re inklu­die- ren­de Bemes­sung des Lehr­de­pu­tats in die Lehr­ver­pf­lich- tungs­ver­ord­nun­gen ein­ge­ar­bei­tet werden.

In sei­nem Posi­ti­ons­pa­pier von 2018 zur Hoch­schul- bil­dung im Anschluss an den Hoch­schul­pakt 2020 beob- ach­te­te der Wis­sen­schafts­rat, dass sich die Betreu­ungs­re- lati­on von Pro­fes­so­ren zu Stu­die­ren­den trotz des finan­zi- ellen Enga­ge­ments von Bund und Län­dern nega­tiv ent- wickelt habe, obgleich der Hoch­schul­pakt den Trend ein wenig aus­ge­bremst habe. Betreu­ungs­re­la­tio­nen sei­en aber eine not­wen­di­ge, wenn auch nicht hin­rei­chen­de Be- din­gung für hohe Lehr- und Stu­di­en­qua­li­tät. Die Hoch- schu­len hät­ten gele­gent­lich die Über­bu­chung von Stu­di- engän­gen als zusätz­li­che Finan­zie­rungs­quel­le basie­rend auf der Kon­struk­ti­on des Hoch­schul­pakts genutzt. Die gro­ße Expan­si­on der Stu­die­ren­den­nach­fra­ge sei dabei nicht mit einem pro­por­tio­na­len Aus­bau des Bestan­des an Pro­fes­su­ren und ande­ren haupt­amt­li­chen Lehr­kräf- ten einhergegangen.

13 Emp­feh­lun­gen zur Qua­li­täts­ver­bes­se­rung von Leh­re und Stu­di­um, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/8639–08.html (zuletzt abge­ru­fen am: 01.12.2023).

14 Emp­feh­lun­gen zur Dif­fe­ren­zie­rung der Hoch­schu­len, https:// www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10387–10.html (zuletzt abge­ru­fen am: 01.12.2023).

In sei­nen Emp­feh­lun­gen für eine zukunfts­fä­hi­ge Aus­ge­stal­tung von Stu­di­um und Leh­re 202216 habe der Wis­sen­schafts­rat daher ein umfang­rei­ches Maß­nah­men- paket zur Siche­rung des Leis­tungs­ni­veaus und der Zu- kunfts­fä­hig­keit der Hoch­schul­bil­dung vor­ge­schla­gen: Es sei­en neue Lehr- und Prü­fungs­for­ma­te sowie eine neue Aus­ge­stal­tung des Ver­hält­nis­ses von Leh­ren­den und Stu- die­ren­den not­wen­dig. Kon­kret wer­de das For­mat eines aka­de­mi­schen Men­to­rats emp­foh­len, in dem regel­mä­ßi- ge fach­li­che und per­sön­lich­keits­bil­den­de Stu­di­en­ge­sprä- che durch­ge­führt wer­den soll­ten. Das haupt­amt­li­che Lehr­per­so­nal sol­le dafür die Ver­ant­wor­tung tra­gen. Eine inter­ak­ti­ons­ge­präg­te, dis­kurs­ori­en­tier­te und reflek­tier­te Leh­re sei ins­be­son­de­re durch klei­ne Lehr- und Lern- grup­pen zu errei­chen, die eine erhöh­te Betreu­ungs­in­ten- sität erfor­dern. Dies bedeu­te ange­sichts des Auf­baus und der Wei­ter­ent­wick­lung der digi­ta­len Leh­re ins­be­son­de­re, dass Stu­die­ren­den­grup­pen nicht belie­big ver­grö­ßert wer­den können.

Mit dem Zukunfts­ver­trag als Dau­er­för­der­pro­gramm sei­en bereits Schrit­te zur Wei­ter­ent­wick­lung der Qua­li- täts­ver­bes­se­rung von Stu­di­um und Leh­re unter­nom­men wor­den. Ange­sichts aktu­ell sin­ken­der Zah­len der Stu­di- enan­fän­ger bestehe nun die Chan­ce für Qua­li­täts­ver­bes- serun­gen. Einen bedeut­sa­men Bei­trag wür­de in die­sem Zusam­men­hang ein wei­ter­ent­wi­ckel­tes Kapa­zi­täts­recht leis­ten. Gleich­zei­tig sei­en noch zusätz­li­che Anstren­gun- gen zur Ver­bes­se­rung der Lehr­qua­li­tät erfor­der­lich, wel- che nach Hoch­schul­ar­ten, Fächern und Stu­di­en­gän­gen unter­schied­lich aus­zu­rich­ten und dezen­tral in den Fä- chern vor­zu­neh­men seien.

V. Niveau­pfle­ge kos­tet – Qua­li­täts­ver­bes­se­rung im Stu­di­um am Bei­spiel der Gesundheitsberufe

In einer Podi­ums­dis­kus­si­on nah­men Prof. Dr. Simo­ne Ful­da (Chris­ti­an-Albrechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel, Prä­si- den­tin), Prof. Dr. Mar­ti­na Kad­mon (Uni­ver­si­tät Augs- burg, Deka­nin der Medi­zi­ni­schen Fakul­tät) und Prof. Dr. Ger­hard Wer­ner (Dr. Fett­weis & Sozi­en Rechts­an­wäl­te, Rechts­an­walt) exem­pla­risch Wei­ter­ent­wick­lun­gen und Qua­li­täts­ver­bes­se­run­gen auf dem Gebiet der Gesund- heits­be­ru­fe in den Blick.

Wer­ner sah das Kapa­zi­täts­recht nicht pau­schal als „enges Kor­sett“ an. Da er Hoch­schu­len im Rah­men von

15 Posi­ti­ons­pa­pier zu Stra­te­gien für die Hoch­schul­leh­re, https://www. wissenschaftsrat.de/download/archiv/6190–17.html (zuletzt abge­ru- fen am: 01.12.2023).

16 https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9699–22.html (zuletzt abge­ru­fen am: 01.12.2023).

Haa­ke · Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts 6 9

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Kapa­zi­täts­be­rech­nun­gen beglei­te und bera­te, habe er die Erfah­rung gemacht, dass die­se zwar einen erheb­li­chen Auf­wand und Büro­kra­tie bedeu­te­ten, aber bei guter Struk­tu­rie­rung eine ver­läss­li­che und gerichts­si­che­re Pla- nungs­grund­la­ge böten. Zudem sei das bestehen­de Sys- tem an sich für Qua­li­täts­ver­bes­se­run­gen offen oder je- den­falls durch rela­tiv „klei­ne Ein­grif­fe“ zu öff­nen (z.B. durch Anhe­bung der Cur­ri­cu­lar­wer­te bzw. des obe­ren Band­brei­ten­wer­tes oder durch ver­bes­ser­te Anrech- nungs­mög­lich­kei­ten für Son­der­auf­wän­de). Eines „Sys- tem­wech­sels“ bedür­fe es hier­für nicht; natür­lich sei aber die Mit­wir­kung der Minis­te­ri­en erfor­der­lich. Qua­li­täts- ver­bes­se­run­gen sei­en ins­be­son­de­re eine Fra­ge finan­ziel- ler Res­sour­cen, wenn sie ohne Ver­lust von bestehen­den Stu­di­en­plät­zen rea­li­siert wer­den sol­len. Es fin­de zwi- schen Bund, Län­dern und Hoch­schu­len ein ste­tes Rin- gen um zusätz­li­che Finanz­mit­tel für For­schung und Leh- re statt. Daher sei­en auch die jewei­li­gen Finanz­mi­nis­te- rien an Reform­dis­kus­sio­nen zu betei­li­gen. Da mit Aus- nah­me der medi­zi­ni­schen und psy­cho­lo­gi­schen Stu­di­en­gän­ge jedoch sin­ken­de Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len zu ver­zeich­nen sei­en, rech­ne­te Wer­ner ins­be­son­de­re in Anbe­tracht der Belas­tung der öffent­li­chen Haus­hal­te durch ver­gan­ge­ne und aktu­el­le Kri­sen nicht mit einer si- gni­fi­kan­ten Stei­ge­rung der finan­zi­el­len Res­sour­cen zur Qualitätsverbesserung.

Zur För­de­rung der Qua­li­tät setz­te Ful­da ins­be­son- dere auf Koope­ra­tio­nen zwi­schen Hoch­schu­len und Dis- zipli­nen. Dazu sei jedoch die Bereit­schaft der Fakul­tä­ten erfor­der­lich und die Ent­wick­lung hin zu dem Bewusst- sein, dass nicht jede Fakul­tät jede Lehr­ver­an­stal­tung an- bie­ten müs­se, son­dern koope­ra­ti­ve Ange­bo­te ver­stärkt Lücken schlie­ßen kön­nen. Gleich­zei­tig blo­ckie­re jedoch das gel­ten­de Kapa­zi­täts­recht inno­va­ti­ve For­ma­te und Kon­zep­te zur Umge­stal­tung des Medi­zin­stu­di­ums. Ful- da plä­dier­te des­halb für mehr Fle­xi­bi­li­tät und zusätz­li- che finan­zi­el­le Res­sour­cen, da ansons­ten eine Ver­bes­se- rung der Betreu­ungs­re­la­ti­on nicht mög­lich sei.

Kad­mon sah fakul­täts­über­grei­fen­de Koope­ra­tio­nen zur Qua­li­täts­ver­bes­se­rung nur zwi­schen sol­chen Fakul- täten für mög­lich, wel­che ein ähn­li­ches Stu­di­en­mo­dell haben. Ansons­ten wer­de den Stu­die­ren­den auf­grund der unter­schied­li­chen Gestal­tun­gen der Stu­di­en­gän­ge zu viel abver­langt und eine Berei­che­rung zur Qua­li­täts­stei- gerung blei­be aus.

Wer­ner betrach­te­te koor­di­nier­te hoch­schul­über­grei- fen­de Lehr­for­ma­te gera­de ange­sichts der Digi­ta­li­sie- rung als Chan­ce zur Kapa­zi­täts- und Qua­li­täts­ver­bes­se- rung. Zu beach­ten sei jedoch, dass deren Ent­wick­lung zunächst einen grö­ße­ren Lehr- und Planungsaufwand

ver­ur­sa­che. In recht­li­cher Hin­sicht kön­ne das Ange­bot bestimm­ter Instru­men­te oder For­ma­te den Leh­ren­den auf­grund ihrer Wis­sen­schafts- und Lehr­frei­heit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht von Sei­ten der Hoch­schu­le vor­ge- geben wer­den, sodass sol­che Kon­zep­te von der Frei­wil- lig­keit der Leh­ren­den abhän­gig seien.

Ange­sichts der For­de­run­gen nach Stei­ge­run­gen der Betreu­ungs­re­la­ti­on und ‑qua­li­tät und der unver­än­dert hohen Nach­fra­ge nach Medi­zin­stu­di­en­plät­zen frag­te sich Ful­da, ob ein Bedarf an der Schaf­fung zusätz­li­cher Stu­di­en­plät­ze bestehe. Eine ange­mes­se­ne Gesund­heits- vor­sor­ge müs­se auch mit ande­ren Maß­nah­men her­ge- stellt wer­den: So müss­ten zukünf­ti­ge Absol­ven­ten auch im Beruf gehal­ten und die Arbeits­be­din­gun­gen attrak­ti- ver gestal­tet wer­den, bei­spiels­wei­se durch die Ver­ein­fa- chung der Ver­bin­dung von Beruf, Fami­lie und Frei­zeit. Ins­be­son­de­re müs­se zukünf­tig auch auf die Erwar­tun­gen und Wün­sche neu­er Gene­ra­tio­nen an den Arbeits­platz reagiert wer­den. Zudem herr­sche ein Ver­sor­gungs­man- gel ins­be­son­de­re in länd­li­chen Regionen.

Auch Kad­mon beob­ach­te­te ins­be­son­de­re in den me- dizi­ni­schen Beru­fen einen Wan­del der Vor­stel­lun­gen der neu­en Gene­ra­ti­on von der Arbeits­welt. Hier müs­se mehr auf die Bedürf­nis­se von Arbeits­ein­stei­gern ein­ge­gan­gen wer­den, die sich bei­spiels­wei­se kei­ne Arbeit in „ein­sa- men Pra­xen“, son­dern Aus­tausch mit Kol­le­gen und Spaß an der Medi­zin erwar­te­ten. Medi­zin­stu­die­ren­den müs­se zudem bereits im Stu­di­um ein Ein­blick in das rea­le Ar- beits­um­feld gebo­ten wer­den, da die­se bekann­ter­ma­ßen Aus­wir­kun­gen auf Kar­rie­re­ent­schei­dun­gen haben können.

Was die Kapa­zi­tä­ten im Medi­zin­stu­di­um ange­he, so lie­ge die Begren­zung oft nicht im Lehr­per­so­nal, son­dern in der Anzahl der Pati­en­ten, Räum­lich­kei­ten und des Pfle­ge­per­so­nals. Kad­mon schlug zur Ver­bes­se­rung der Gesund­heits­ver­sor­gung auch eine Betrach­tung und Re- form der ande­ren Gesund­heits­be­ru­fe vor: Durch Aka­de- misie­rung des Pfle­ge­per­so­nals kön­ne die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ver­bes­sert und einem Fach­kräf­te­man­gel ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Ins­be­son­de­re bestehe die Chan­ce, Auf­ga­ben zwi­schen Ärz­ten und Pfle­gen­den neu zu verteilen.

Wer­ner befür­wor­te­te zwar das Ange­bot einer Hoch- schul­qua­li­fi­ka­ti­on für Pfle­ge­per­so­nal, bezwei­fel­te je- doch, dass dies eine Ver­bes­se­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung bedeu­te. Eine aka­de­mi­sche Qua­li­fi­ka­ti­on sei eher für Pfle­ge­per­so­nal in über­ge­ord­ne­ten Lei­tungs- und Koor­di­nie­rungs­funk­tio­nen ange­dacht, aber lin­de­re nicht den Fach­kräf­te­man­gel in der Pfle­ge in der brei­ten Men­ge „am Bett“.

Dage­gen warf Kad­mon ein, dass laut ihrer Erfah- rung vie­le Pfle­gen­de bereits Auf­ga­ben der Ärz­te ins­be- son­de­re bei Berufs­ein­stei­gern über­neh­men. Da das Pfle- geper­so­nal ein gro­ßes Wis­sen im Bereich der täg­li­chen Arbeit am Pati­en­ten habe, sei es bereits Rea­li­tät, dass jun­ge Medi­zi­ner von ihnen lern­ten. Die Aka­de­mi­sie­rung des Pfle­ge­per­so­nals kön­ne in die­sem Zusam­men­hang auch ein neu­es Selbst­ver­ständ­nis in der Pfle­ge schaf­fen. Eine Hoch­schul­qua­li­fi­ka­ti­on sei inso­fern nicht nur für Koor­di­nie­rungs­funk­tio­nen, son­dern auch für die Pfle- gen­den „am Bett“ gedacht: durch Aka­de­mi­sie­rung und Stei­ge­rung der Wis­sen­schaft­lich­keit sowie Evi­denz­ba­sie- rung sei eine Stei­ge­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung möglich.

Auch Ful­da sah in der Aus­bil­dung eines aka­de­mi- schen Pfle­ge­per­so­nals die Chan­ce der Bil­dung einer neu- en Berufs­grup­pe. In ande­ren Län­dern zei­ge sich, dass das Medi­zin­stu­di­um nicht iso­liert von ande­ren Berufs- grup­pen betrach­tet wer­den dür­fe, son­dern eine inter- pro­fes­sio­nel­le Aus­bil­dung zukunfts­wei­send sei.

Bilan­zie­rend waren sich die Refe­ren­ten einig, dass zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät von Stu­di­um und Leh­re Ände­run­gen inner­halb der Stu­di­en­gän­ge not­wen­dig sei- en. Hilf­reich sei­en dazu neue ins­be­son­de­re digi­ta­le For- mate, Koope­ra­tio­nen und Netz­wer­ke, um aus bestehen- den Res­sour­cen Qua­li­täts­ge­win­ne zu schöp­fen. Laut Ful- da wir­ke das gel­ten­de Kapa­zi­täts­recht als Schran­ke für Fort­ent­wick­lun­gen. Inno­va­tio­nen wie etwa Modell­stu­di- engän­ge im Bereich der Human­me­di­zin wür­den nicht durch recht­li­che Spiel­räu­me unter­stützt und müss­ten daher durch Fle­xi­bi­li­sie­rung des Kapa­zi­täts­rechts er- mög­licht wer­den. Was mög­li­che Ergeb­nis­se im Rah­men der Reform­dis­kus­si­on rund um den „Mas­ter­plan Medi- zinstu­di­um 2020“ ange­he, so zog Wer­ner Ver­glei­che zu aktu­el­len Reform­be­stre­bun­gen im Zahn­me­di­zin­stu­di- um. Er rech­ne­te daher mit einer Erhö­hung der Cur­ri­cu- lar­wer­te. Zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät und Fle­xi­bi­li­tät müss­ten die­se nach oben gesetzt wer­den und Son­der­auf- wän­de in der Leh­re, die über das Hal­ten von Lehr­ver­an- stal­tun­gen hin­aus­ge­hen, hin­rei­chend abbilden.

VI. Kon­ver­genz nicht nur in der For­schung – wie man Stu­die­ren­den­strö­me zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten und Fach­hoch­schu­len neu ver­tei­len könnte

Zuletzt dis­ku­tier­ten Dr. Tho­mas Grü­ne­wald (Hoch­schu- le Nie­der­rhein, Prä­si­dent), Prof. Dr. Oli­ver Gün­ther (Uni- ver­si­tät Pots­dam, Prä­si­dent) und Dr. Wal­traud Kreutz- Gers (Johan­nes Guten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz, Kanzle-

17 https://www.jmwiarda.de/2017/10/10/neue-verhältnisse/ (zuletzt abge­ru­fen am: 01.12.2023).

rin) über eine mög­li­che Neu­ver­tei­lung der Stu­die­ren­den zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten und Fach­hoch­schu­len/Hoch- schu­len für ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten mit­hil­fe des Kapazitätsrechts.

Die Debat­te ging von einem Vor­schlag Gün­thers zur Neu­ver­tei­lung aus 2017 aus.17 Die aktu­el­le Ver­tei­lung der Stu­die­ren­den­strö­me mit 60 % an die Uni­ver­si­tä­ten und 40 % an die Fachhochschulen/HAWs sei nicht opti­mal. Dem Grün­dungs­kal­kül ent­spre­chend sei die Betreu- ungs­si­tua­ti­on an den FHs/HAWs wesent­lich bes­ser als an den Uni­ver­si­tä­ten. Gün­ther schlug vor, eine Ver­schie- bung hin zu den FHs/HAWs zu errei­chen. Um einer ne- gati­ven Ent­wick­lung der Betreu­ungs­re­la­ti­on an den Fach­hoch­schu­len vor­zu­beu­gen, soll­ten die­se pro­por­tio- nal mehr finan­zi­el­le Mit­tel erhal­ten. Mit einer Anhe­bung der Cur­ri­cu­lar­norm­wer­te an den Uni­ver­si­tä­ten kön­ne dort die Betreu­ungs­re­la­ti­on ver­bes­sert wer­den, was frei- lich auch zusätz­li­che Kos­ten verursache.

Auch Grü­ne­wald hat­te grund­sätz­lich nichts gegen eine Neu­ver­tei­lung, in deren Rah­men die Fach­hoch- schu­len mehr Auf­ga­ben­fel­der beset­zen. Vor­aus­set­zung dafür sei jedoch in jedem Fall der pro­por­tio­na­le Anstieg der finan­zi­el­len Res­sour­cen für Lehr­per­so­nal. Der an den Fach­hoch­schu­len erreich­te Sta­tus an Lehr- und Stu- dien­qua­li­tät sei unver­äu­ßer­lich und dür­fe im Zuge einer Neu­ver­tei­lung der Stu­die­ren­den nicht abge­senkt werden.

Kreutz-Gers sprach sich eben­falls für eine Neu­ver­tei- lung aus. Sie beob­ach­te­te in den letz­ten Jah­ren ohne­hin ein stei­gen­des Inter­es­se der Stu­di­en­an­fän­ger an Fach- hoch­schu­len. Eine Neu­ver­tei­lung sei des­halb für die Uni­ver­si­tä­ten ange­sichts des demo­gra­fi­schen Wan­dels und aktu­ell zu ver­zeich­nen­den Rück­gangs der Stu­die- ren­den­zah­len eine Mög­lich­keit, die Stu­di­en­qua­li­tät zu ver­bes­sern. Sie beob­ach­te­te eine Wei­ter­ent­wick­lung des Selbst­ver­ständ­nis­ses der Fach­hoch­schu­len, wel­che in- zwi­schen mehr anwen­dungs­ori­en­tier­te For­schung be- trei­ben und z.T. das Pro­mo­ti­ons­recht inne­ha­ben, warn­te jedoch davor, dass eine voll­stän­di­ge Anglei­chung nicht im Inter­es­se der Stu­die­ren­den sei. Die stei­gen­de Nach- fra­ge nach Stu­di­en­plät­zen an Fach­hoch­schu­len zei­ge, dass auch die Unter­schie­de zu den Uni­ver­si­tä­ten einen Vor­teil ausmachten.

Gün­ther und Grü­ne­wald berie­fen sich auf die Ge- mein­wohl­ver­pflich­tung der Hoch­schu­len: Bei der Ver­la- gerung von Kapa­zi­tä­ten zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten und Fach­hoch­schu­len müs­se sich nach den Bedürf­nis­sen der neu­en Gene­ra­tio­nen gerich­tet und vor Augen geführt wer­den, wel­che Aus­ge­stal­tung des Hochschulsystems

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den gesell­schaft­li­chen Auf­trag der Hoch­schu­len best- mög­lich erfül­le, z.B. bei der Bewäl­ti­gung der Ener­gie- wen­de. Wäh­rend Gün­ther vor­schlug, z.B. juris­ti­sche und medi­zi­ni­sche Inhal­te oder Tei­le der Lehr­amts­aus­bil­dung an die Fach­hoch­schu­len zu ver­le­gen, plä­dier­te Grü­ne- wald für die Ver­ein­ba­rung einer Arbeits­tei­lung zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten und Fach­hoch­schu­len in regio­na­len Clus- tern. Die Hoch­schu­le Nie­der­rhein koope­rie­re bereits in eini­gen Fächern mit Uni­ver­si­tä­ten in der nähe­ren Umgebung.

Grü­ne­wald und Kreutz-Gers wie­sen dar­auf hin, dass sowohl die Fach­hoch­schu­len als auch die Uni­ver­si­tä­ten unter­schied­li­che Pro­fil­bil­dungs­pro­zes­se durch­ge­macht hät­ten. Anwen­dungs­ori­en­tier­te Stu­di­en­an­ge­bo­te gebe es mitt­ler­wei­le an bei­den Hoch­schul­ty­pen, nicht mehr nur an den Fach­hoch­schu­len. Die ursprüng­li­che For­de­rung des Wis­sen­schafts­ra­tes, dass 60 % der Hoch­schul­aus­bil- dung anwen­dungs­ori­en­tiert und 40 % grund­la­gen­ori­en- tiert erfol­gen sol­le, kön­nen bei­de Hoch­schul­ty­pen part- ner­schaft­lich mit­ein­an­der ein­lö­sen. Grü­ne­wald sprach sich des­halb gegen eine typen­rei­ne Bin­nen­dif­fe­ren­zie- rung aus, son­dern prä­fe­rier­te viel­mehr eine Pro­fil­bil- dung der jewei­li­gen Institution.

Was die Ent­wick­lung der Hoch­schul­land­schaft von einer zwei­glei­si­gen Unter­tei­lung zwi­schen Fach­hoch- schu­len und Uni­ver­si­tä­ten hin zu einem Spek­trum ange- he, so sei nach Gün­ther an eine kom­plet­te Ände­rung des gel­ten­den Rechts­rah­mens rea­lis­ti­scher­wei­se nicht zu den­ken. Aller­dings ent­wi­cke­le sich das Zwei-Arten-Sys- tem in ver­schie­de­ne Model­le, die zwi­schen den zwei grund­sätz­li­chen Typen ange­sie­delt seien.

Gün­ther und Grü­ne­wald spra­chen sich für ein ko- ope­ra­ti­ves Zusam­men­wir­ken der Fach­hoch­schu­len und Uni­ver­si­tä­ten in ein­zel­nen Fächern aus: Anstel­le einen „insti­tu­tio­nel­len Denk­mal­schutz“ zu betrei­ben und aus Tra­di­ti­on an der gel­ten­den Ver­tei­lung fest­zu­hal­ten, sei an Hoch­schul­ver­bun­de z.B. in der Lehr­amts­aus­bil­dung zu den­ken. Zudem zei­ge das Bei­spiel Wirt­schafts­wis­sen- schaf­ten mit VWL und BWL, dass es unter­schied­li­che Arten der Leh­re an ver­schie­de­nen Hoch­schu­len und Hoch­schul­ty­pen gebe. Bezüg­lich Koope­ra­tio­nen merk­te Kreutz-Gers an, dass auch die Digi­ta­li­sie­rung der Leh­re beach­tet wer­den müs­se. Mit digi­ta­len For­ma­ten kön­ne stär­ker zusam­men­ge­wirkt wer­den, um sich an den ein- zel­nen Hoch­schu­len dann auf eine Klein­grup­pen­be- treu­ung zu kon­zen­trie­ren. Dabei dür­fe nach Grü­ne­wald jedoch nicht außer Acht gelas­sen wer­den, dass ins­be­son- dere die Ent­wick­lung inter­ak­ti­ver digi­ta­ler For­ma­te ei- nen höhe­ren Betreu­ungs­auf­wand als die Prä­senz­leh­re erfordere.

Des­halb warn­ten die Refe­ren­ten davor, Rück­gän­ge der Stu­die­ren­den­zah­len oder die Mög­lich­keit digi­ta­ler For­ma­te zum Anlass zu neh­men, die finan­zi­el­len Res- sourcen der Hoch­schu­len zu kür­zen. Eine sol­che demo- gra­fi­sche oder digi­ta­le Ren­di­te dür­fe nicht aus­ge­nutzt wer­den. Nach Gün­thers Ein­schät­zung sei eine Neu­ver­tei- lung der Stu­die­ren­den statt­des­sen nur mit zusätz­li­chen Mit­teln mög­lich, da ansons­ten die Neu­ver­tei­lung hin zu den Fach­hoch­schu­len für die Uni­ver­si­tä­ten nicht sach- gerech­te finan­zi­el­le Ein­bu­ßen bedeu­te und des­halb nur schwer durch­setz­bar sei.

Kreutz-Gers wies zudem dar­auf hin, dass die Betreu- ungs­ver­hält­nis­se an den Uni­ver­si­tä­ten gera­de im inter- natio­na­len Blick nicht kon­kur­renz­fä­hig sei­en. Eine Stei- gerung der finan­zi­el­len Res­sour­cen im deut­schen Hoch- schul­sys­tem sei daher unbe­dingt not­wen­dig, um im in- ter­na­tio­na­len Wett­be­werb bestehen zu kön­nen. Die­se müs­se jedoch nicht rein öffent­lich sein, son­dern sei bei- spiels­wei­se auch über Stu­di­en­ge­büh­ren mög­lich. Letzt­end­lich waren sich die Refe­ren­ten einig, dass eine Erhö­hung der Cur­ri­cu­lar­norm­wer­te an den Uni­ver­si­tä- ten zur Ver­bes­se­rung der Stu­di­en­qua­li­tät not­wen­dig sei. Gleich­zei­tig dür­fe dies bei einer Stu­die­ren­den­neu­ver­tei- lung jedoch nicht zu einer Absen­kung der Betreu­ungs­re- lati­on an den Fach­hoch­schu­len füh­ren. Die Refe­ren­ten spra­chen sich für eine koope­ra­ti­ve Ver­tei­lung der­art aus, dass die ein­zel­nen Hoch­schu­len ihr insti­tu­tio­nel­les Pro- fil ver­schär­fen und in Form von Netz­wer­ken und Ver- bun­den einen „guten Mix aus allem“ anbie­ten sollten.

VII. Resü­mee und Ausblick

Stück­radt resü­mier­te, dass er und vie­le ande­re Tagungs- teil­neh­men­de die Ein­gangs­er­war­tung gehabt haben, dass eine gro­ße Reform des Kapa­zi­täts­rechts not­wen­dig sei. Nach der Ver­an­stal­tung sei er sich dies­be­züg­lich jedoch unsi­cher, da mit Ände­run­gen einer­seits Rechts- unsi­cher­hei­ten für ein aus­ta­rier­tes Sys­tem der Hoch- schul­zu­las­sun­gen und Kapa­zi­täts­be­rech­nun­gen und ande­rer­seits ein sehr zeit­in­ten­si­ver Auf­wand des Ände- rungs­pro­zes­ses einhergingen.

Ins­be­son­de­re im Dis­kurs mit den Hoch­schu­len habe sich abge­zeich­net, dass die meis­ten Pro­ble­me im Zusam- men­hang mit dem Kapa­zi­täts­recht nicht im Bereich der NCs und des Hoch­schul­zu­gangs, son­dern bei Betreu­ung und Qua­li­tät lie­gen. Es habe sich gezeigt, dass zwar eine gefes­tig­te ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Recht­spre­chung zum Kapa­zi­täts­recht bestehe, die­se aber kei­nes­falls ein star­res Sys­tem vor­ge­be, son­dern ins­be­son­de­re für Maß­nah­men zum Zweck der Qua­li­täts­ver­bes­se­rung offen sei.

Des­halb erschei­ne es womög­lich sinn­vol­ler, anstel­le einer kom­plet­ten Reform kon­kre­te schritt­wei­se Maß- nah­men zu ergrei­fen, die zur Qua­li­täts­ver­bes­se­rung not- wen­dig sei­en. Viel­fach sei in die­sem Zusam­men­hang auf eine stär­ke­re Nut­zung der Band­brei­ten, eine Erhö­hung der Cur­ri­cu­lar­norm­wer­te sowie eine Absi­che­rung oder Stei­ge­rung der Finan­zie­rung hin­ge­wie­sen wor­den. Eben- so sei­en Pro­zess­ver­ein­fa­chun­gen und Fle­xi­bi­li­sie­run­gen wich­tig, um nicht jeden Ein­zel­fall im Kapa­zi­täts­recht abbil­den und lösen zu müs­sen. Ange­sichts des aktu­ell erst­ma­li­gen Rück­gangs der Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len bestehe eine Chan­ce zur Ver­bes­se­rung der Studienquali-

tät. Der vom Bund beab­sich­tig­te Bund-Län­der-Pro­zess zur Ände­rung des Kapa­zi­täts­rechts zei­ge dabei die Gesprächs­be­reit­schaft und Ver­än­de­rungs­be­reit­schaft der Poli­tik und las­se auf posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen hof­fen. Wich­tig sei aller­dings, dass die­ser drin­gend not­wen­di­ge Ver­än­de­rungs­pro­zess jetzt in der Tat vom Bund angesto- ßen und von den Län­dern posi­tiv mit­ge­stal­tet werde.

Dr. Karo­li­ne Haa­ke ist Rechts­re­fe­ren­da­rin am Ober­lan- des­ge­richt Cel­le und Dok­to­ran­din an der Leib­niz Uni- ver­si­tät Hannover.

Haa­ke · Wei­ter­ent­wick­lung des Kapa­zi­täts­rechts 7 3

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