Evaluationen sind ubiquitär – man begegnet ihnen zumindest in der Wissenschaft auf Schritt und Tritt. Man kann sogar sagen, dass sich durch Evaluationen Wissen- schaft selbst bestätigt, in dem sie sich regelmäßig ihrer Standards versichert. Wissenschaftssoziologen haben daher die Evaluationsverfahren als „modernes Ritual“ bezeichnet.1
Allerdings sind mit Evaluationen auch finanzielle und teilweise auch personelle Konsequenzen verbunden, sie werfen daher auch Fragen ihrer wissenschaftsadäqua- ten rechtlichen Umhegung auf.2 Diesen widmete sich die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und des internationalen Wissenschaftsrechts am 7. und 8. März 2019 in Berlin (am ersten Tag in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaf- ten). Diese führte Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler aus verschiedenen Disziplinen mit Praktikerin- nen und Praktikern zusammen – ganz wie es dem Pro- gramm des Tagungsveranstalters entspricht.
Nach einer Eröffnung durch den Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaf- ten, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Martin Grötschel, und den Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des deutschen und des internationalen Wissenschaftsrechts, Prof. Dr. Ulf Pallme König, widmete sich der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Bernd Hartmann, LL.M. (Universität Osna- brück) den rechtlichen Anforderungen an die Auswahl und die Evaluation im Tenure Track-Verfahren. Hart- mann äußerte dabei starke Bedenken, ob eine Übernah- me von Juniorprofessorinnen und ‑professoren im Tenu- re Track-Verfahren ohne erneute Ausschreibung der Stelle mit dem Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar sei: Nicht jede®, der oder die sich im Verfahren um die Besetzung einer Juniorpro- fessur oder einer anderen zeitlich befristeten Erpro- bungsstelle im Hochschulbereich durchgesetzt habe, sei
- 1 Christine Schwarz, Evaluation als modernes Ritual. Zur Ambi- valenz gesellschaftlicher Rationalisierung am Beispiel virtueller Universitätsprojekte, Hamburg 2006, S. 12; Peter Weingart, Das Ritual der Evaluierung und die Verführung der Zahlen, in: ders. (Hrsg.), Die Wissenschaft der Öffentlichkeit, Weilerswist 2005, S. 102–122.
- 2 Dazu u.a. Margrit Seckelmann, Evaluation und Recht. Ansät- ze zu einem wissenschaftsadäquaten Modell der staatlichen
später auch am besten qualifiziert, wenn es um die Beset- zung einer Stelle auf Lebenszeit gehe. Daher sei eine Ausschreibung der Lebenszeitprofessur eine aus Art. 33 Abs. 2 GG resultierende Verfassungspflicht, die aus dem Gebot der Gleichbehandlung der (potentiellen) Mitbewerber(innen) folge. Das Auswahlverfahren für die Lebenszeitstelle dürfe dann auch keinesfalls rituali- siert zu Gunsten des- oder derjenigen erfolgen, der oder die die Tenure Track-Stelle bereits innehabe. Da sind sie wieder, die Rituale.
Die logische Konsequenz aus Hartmanns Ausführun- gen ist diejenige, dass das mit einer Milliarde geförderte neue Tenure Track-Programm des Bundes rechtlich nicht unbedenklich sei.3 Entsprechend lebhaft fiel die von Dr. Hubert Detmer (Deutscher Hochschulverband) moderierte Diskussion zu Hartmanns Vortrag aus.
In der nächsten, von Prof. Dr. Ulrike Gutheil (Staats- sekretärin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) moderierten, zweiten Sektion ging es um die Frage der wissenschaftlichen Qualitätssi- cherung im Zeichen von Big Data. Prof. Dr. Paul Wou- ters von der Universität Leiden stellte in seinem Vortrag über „Valuing science and scholarship in the era of big data“ das von ihm und anderen im sogenannten Leiden Manifesto entwickelte Konzept eines verantwortungsvol- len Umgangs mit scientometrischen Daten vor, das ei- nen reflektierten Umgang mit Verfahren der Zuschrei- bung wissenschaftlicher Qualität enthalte.4
An seinen kurzweiligen Vortrag, der zugleich eine Einführung in die Scientometrie enthielt, schloss sich eine Sektion der Tagung an, die die Verfasserin dieses Beitrags nur am Rande erwähnen kann, weil sie sie selbst betrifft: Ihr wurde der Preis des Vereins zur Förderung des deutschen und des internationalen Wissenschafts- rechts für ihre Habilitationsschrift über „Evaluation und Recht. Strukturen, Prozesse und Legitimationsfragen
Indienstnahme evaluativer Verfahren, OdW 2019, S. 119–124, online: https://www.ordnungderwissenschaft.de/2019–2/ge- samt/15_02_2019_seckelmann_Evaluation_Recht_%20wissen- schaftsadaequates_Modell_der_staatlichen_Indienstnahme_eva- luativer_Verfahren_odw.pdf (19.8.2019).
3 Dazu Informationen unter https://www.bmbf.de/de/wissenschaft- licher-nachwuchs-144.html (19.8.2019).
4 Zu diesem vgl. http://www.leidenmanifesto.org/ (19.8.19).
Margrit Seckelmann
Evaluationen im deutschen Wissenschaftssystem – Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und des internationalen Wissen- schaftsrechts am 7. und 8. März 2019 in Berlin
Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197
260 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2019), 259–260
staatlicher Wissensbeschaffung durch (Wissenschafts-) Evaluationen“ verliehen.5 Prof. Dr. Pallme König sei für seine Begründung der Auswahl der Preisträgerin und Prof. Dr. Max-Emanuel Geis (Friedrich-Alexander Uni- versität Erlangen-Nürnberg) für seine Laudatio herzlich gedankt, wie natürlich auch den anonym gebliebenen Gutachterinnen bzw. Gutachtern und dem Verein zur Förderung des deutschen und des internationalen Wis- senschaftsrechts selbst. Ein herzlicher Dank geht auch an Frau Janna Düringer vom Verein zur Förderung des deutschen und des internationalen Wissenschaftsrechts sowie an ihre Kolleginnen und Kollegen für die gute Tagungsorganisation.
Es schloss sich – wir kommen wieder zu den Ritualen – eine Podiumsdiskussion über das Thema „Viel Stress – für welche Wirkung? Wie sich Evaluationen auf die Ar- beit von Wissenschaftler*innen und Forschungseinrich- tungen auswirken“ an. Diese wurde kundig moderiert und strukturiert durch den Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda. Da neben Prof. Dr. Stefan Hornbos- tel (Humboldt-Universität Berlin) und Prof. Dr. Doro- thea Wagner (Karlsruher Institut für Technologie) auch die Erstatterin dieses Tagungsberichts auf dem Podium saß, soll auf die Inhalte und die Diskussion zu diesem Panel nicht weiter eingegangen werden.
Am nächsten Tag ging es unter der Moderation von Prof. Dr. Volker Epping (Leibniz-Universität Hannover) um das Thema „Datenschutz“. In ihrem sehr dichten Vortrag über „Forschungsfreiheit und Datenschutz im Konflikt? Lehr- und Forschungsevaluationen auf dem Prüfstand“ führte Prof. Dr. Indra Spiecker genannt Döh- mann (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main) eindrucksvoll die Komplexität der Materie vor Augen. Im Hinblick auf den am ersten Tag diskutierten Anwendungsfall der Evaluation eines Juniorprofessors oder einer Juniorprofessorin führe der Weg dann, wenn keine ausdrückliche und „freiwillige“ Einwilligung vor- liege (was angesichts des zugrundeliegenden Machtver- hältnisses schwierig sei und ggf. gegen das Kopplungs- verbot nach Art. 7 Abs. 4 DSGVO verstoße) wohl in ers- ter Linie über die Erlaubnistatbestände der Datenverar- beitung zur Erfüllung eines Vertrages bzw. einer rechtlichen Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) und c)
5 Margrit Seckelmann, Evaluation und Recht. Strukturen, Prozesse und Legitimationsfragen staatlicher Wissensbeschaffung durch (Wissenschafts-)Evaluationen, Tübingen 2018.
DSGVO. Denn von einer Privilegierung zu „Forschungs- zwecken“ gem. Art. 89 DSGVO sei im vorgenannten Fall nicht auszugehen, in dem es um die wissenschaftliche Bewertung eines Wissenschaftlers oder einer Wissen- schaftlerin durch bzw. für die eigene Einrichtung gehe. Von den rechtlichen Fragen im eigentlichen Sinne weg führte der Vortrag von Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Hüttl, dem Wissenschaftlichen Vorstand des Deutschen Geo- ForschungsZentrums Potsdam, der zugleich über seine Erfahrungen als Mitglied des Wissenschaftsrats berich- tete: „Qualitätssicherung im deutschen Wissenschafts- system durch DFG und Wissenschaftsrat“. Diesen Vor- trag hätte man auch an den Anfang der Tagung stellen können, denn er führte überblicksartig in die verschie- denen Verfahren von Qualitätssicherung ein, die im deutschen Wissenschaftssystem praktiziert werden. So rundete er aus Praxissicht die Tagung ab und veran- schaulichte manches, was vorher primär in rechtlicher Sicht erörtert worden war.
Die Tagung endete mit einem erneut von Jan-Martin Wiarda geleiteten Panel zum Thema „Wie könnte eine ‚DFG‘ für die Lehre funktionieren?“. Es diskutierte der Präsident der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Peter-André Alt (Freie Universität Berlin) mit Prof. Dr. Sylvia Heuchemer (Vizepräsidentin für Lehre und Studium der Technischen Hochschule Köln) und der Leiterin des Programmbereichs „Lehre und akade- mischer Nachwuchs“ des Stifterverbands für die deut- sche Wissenschaft, Frau Bettina Jorzik. Die Diskussion war sehr lebhaft und kreiste vor allem um die Frage, wie taugliche Anreize gesetzt werden könnten, damit sich gute Lehre aus Sicht der Lehrenden ‚lohne‘. Dieser Punkt hätte allein eine Tagung gerechtfertigt.
Wie es Dr. Stefan Schwartze, der Administrative Vor- stand des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam und zugleich kaufmännischer Vizepräsident der Helm- holtz-Gemeinschaft, in seinem Schlusswort ausdrückte, ist insoweit für weiteren Gesprächsstoff gesorgt.
PD Dr. iur. Margrit Seckelmann, ist Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Ver- waltung und Privatdozentin an der Deutschen Univer- sität für Verwaltungswissenschaften Speyer.