Übersicht I. Die Steuerung US-amerikanischer Universitäten durch Staat und Markt II. Interne Steuerung und Verwaltung von US-amerikanischen Universitäten III. Wesentliche Veränderungen in der internen Hochschulsteuerung 1. Entwicklung der Hochschulverwaltung 2. Geringerer Einfluss der akademischen Senate 3. Dezentrale Abteilungen IV. Implikationen für die akademische Arbeit V. Schlussfolgerung Wissen nimmt eine immer zentralere Bedeutung in unserer Gesellschaft ein und die Produktion, Diffusion und Kommerzialisierung von Wissen sind von entscheidender Wichtigkeit für das gesellschaftliche Wohlergehen.1 So hat Kerr bereits im Jahre 1963 festgestellt2 , dass die Gewinnung neuen Wissens essentiell für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Entwicklungen ist. Universitäten haben sich laut Kerr dementsprechend in der Wissensgesellschaft von Orten der „platitudes and nostalgic glances backward“, d.h. der Plattitüden und nostalgischen Blicke in die Vergangenheit, zu zukunftsorientierten Akteuren entwickelt, welche ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft neu definieren müssen. Unter Schlagworten wie Forschungsexzellenz, Relevanz und Innovation hat die US-amerikanische Regierung in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend solche Wissenschaftsbereiche priorisiert, die das Potenzial haben, die Nationalwirtschaft zu stärken. Zwar wurde US-amerikanischen Universitäten in den vergangenen Jahren eine zunehmende Autonomie gewährt, gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass Universitäten im Zuge von Mittelkürzungen in angespannten wirtschaftlichen Situationen sowie wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen die Wissensproduktion zunehmend steuern und versuchen, sie zu überwachen, zu bewerten und zu optimieren. Zudem besteht eine zunehmende Rechenschaftspflicht gegenüber den Geldgebern sowie einer Vielzahl von Interessengruppen. Laut Murray Leaf, einem amerikanischen Sozial- und Kulturanthropologen, ist der Kerngedanke, dass die Universitäten als organisatorische Akteure mitsamt ihrer Vorstands- und Verwaltungsorgane der Idee einer Gemeinschaft Hochschullehrender und Studierender untergeordnet sein sollen, während diese wiederum den akademischen Werten untergeordnet ist.3 Leaf argumentiert in seinem Werk „An Anthropology of Academic Governance and Institutional Democracy“, dass die Handlungskraft einer Universität maßgeblich darauf basiert, wie eindeutig diese Voraussetzung verstanden wird und wie ernst sie genommen wird. In den USA haben jedoch Veränderungen in der internen Steuerung und Verwaltung von Universitäten dazu geführt, dass der Einfluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf interne Abläufe und die strategische Ausrichtung von Universitäten mit der Zeit verringert wurde, was Spannungen in der akademischen Autonomie erzeugt.4 I. Die Steuerung US-amerikanischer Universitäten durch Staat und Markt Forschungsuniversitäten in den Vereinigten Staaten haben seit den frühen 1980er Jahren einen langsamen, aber tiefgehenden Wandel erfahren. Dieser Wandel wurLiudvika Leišytė Der Wandel universitärer Entscheidungsstrukturen in den USA 1 Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag der Verfasserin auf der Konferenz „Hochschulsteuerung und Wissenschaftsfreiheit“ des Vereins zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts: Leisyte: Strukturveränderungen im USamerikanischen Hochschulsystem, 11.10.2018; einige Abschnitte beruhen auf einer Publikation der Verfasserin: Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA (Analysen und Argumente; Nr. 287). Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017. 2 Kerr: The uses of the university. Cambridge: Harvard University Press, 1963, S. XIII. 3 Leaf: An anthropology of academic governance and institutional democracy: The community of scholars in America. Cham: Palgrave Macmillan, 2018, S. 44. 4 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197 152 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2019), 151–156 5 Vgl. zu diesem Thema auch: Geiger: Knowledge and money: Research universities and the paradox of the marketplace. Stanford: Stanford University Press, 2004; Cole: The great American university. New York: Public Affairs, 2009. 6 McGuinness: The States and higher education, in: Altbach/Gumport/Berdahl (Hrsg.), American higher education in the twentyfirst century: Social, political, and economic challenges. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2005, S. 207. 7 Ebd., S. 4. 8 Leisyte/Enders: International Higher Education Monitor. Country Report. The United States. Universität Twente: CHEPS, 2012, S. 5. 9 National Center for Education Statistics (NCES): Characteristics of Degree-Granting Postsecondary Institutions, 2016, https://nces. ed.gov/programs/coe/indicator_csa.asp (Zugriff: 15.05.2017). 10 McLendon: Setting the governmental agenda for state decentralization of higher education. Journal of Higher Education, 74(5), 2003, S. 479–515; Eckel/Morphew: The organizational dynamics of privatization in public research universities, in: Morphew/Eckel (Hrsg.), Privatizing the public university: Perspectives from across the academy. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2009, S. 88–108. 11 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 9. 12 Ebd., S. 6. 13 Ebd., S. 6. 14 Ebd., S. 6. 15 Carpenter-Hubin/Snover: Key leadership positions and performance expectations, in: Schloss/Cragg (Hrsg.), Organization and administration in higher education. New York/London: Routledge, 2013, S. 27–49, S. 31. 16 Ebd., S. 28. 17 Ebd., S. 32. de vor allem durch Veränderungen im institutionellen Umfeld der Universitäten vorangetrieben.5 In den USA ist ein Teil der Mittelvergabe, z.B. bezüglich der Forschungs- und Wissenschaftsförderung und Vergabe von Studienkrediten, bundeseinheitlich geregelt, generell liegt die Zuständigkeit für die Hochschulbildung jedoch bei den einzelnen Bundesstaaten.6 Lehre und Forschung an US-amerikanischen Hochschulen werden somit sowohl von nationalen als auch von bundesstaatlichen Behörden finanziert.7 Zusätzlich sind die Hochschulen im US-System jedoch stark von Einnahmen aus privaten Quellen, wie z.B. Studiengebühren oder Spenden, abhängig und je mehr Einnahmen eine Hochschule aus privaten oder nicht-staatlichen Quellen generiert, desto unabhängiger ist sie von staatlicher Aufsicht.8 Der Anteil staatlicher Förderung öffentlicher Hochschulen ist in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen9 und die Bundesstaaten stehen bei der Finanzierung öffentlicher Hochschulen in den USA nicht mehr an erster Stelle, was wiederum Veränderungen der Beziehungen zwischen Staat und Hochschule mit sich brachte.10 Öffentlichen Hochschulen wurde in der Regel mehr Autonomie zugesprochen, oftmals jedoch im Gegenzug für neue Rechenschaftspflichten gegenüber dem jeweiligen Bundestaat.11 Wie also haben sich diese Veränderungen bezüglich der Finanzierung und Koordinierung durch die Bundesstaaten im Zusammenspiel mit einem wachsenden Einfluss der Wirtschaft und zunehmendem Wettbewerb auf die Steuerung und Verwaltung von Universitäten in den Vereinigten Staaten ausgewirkt? II. Interne Steuerung und Verwaltung von US-amerikanischen Universitäten US-amerikanische Universitäten weisen im Hinblick auf die Strukturen der Entscheidungsfindung beträchtliche Unterschiede zueinander auf.12 Allgemein umfassen diese Strukturen die wissenschaftliche, administrative und studentische Leitung. Viele Einrichtungen wenden das Modell einer gemeinsamen Steuerung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der einen und der Universitätsleitung auf der anderen Seite – vertreten durch die Aufsichtsgremien und die Geschäftsleitung – an.13 Wichtige Ämter wie Präsident, Provost, Dekan und Fachbereichsleiter werden mit wissenschaftlichem Personal besetzt. Bei Fachbereichsleitern sind diese Ämter zeitlich begrenzt, und die Betreffenden kehren nach ihrer Dienstzeit gewöhnlich in ihre Fachbereiche zurück, um sich ihrer Lehre und Forschung zu widmen.14 – Aufsichtsgremien haben die Aufgabe, außeruniversitäre Interessen in der Steuerung von Hochschulen zu vertreten. Sie beaufsichtigen die strategische Ausrichtung der Hochschule, die Festsetzung von Bezügen des Hochschulpräsidenten/der Hochschulpräsidentin, sowie Maßnahmen zur Organisationsentwicklung.15 Die Aufsichtsgremien sind außerdem befugt, die Hochschulpräsidenten zu ernennen und sie bei unzureichender Leistung auch wieder zu entlassen.16 – Aufgabe des Hochschulpräsidenten/der Hochschulpräsidentin ist die öffentliche Repräsentation der Hochschule gegenüber Studierenden, Eltern, Alumni, dem Aufsichtsrat, wissenschaftlichem sowie administrativem Personal, den Medien sowie Gesetz- und Geldgebern.17 – Im Gegensatz zum deutschen Lehrstuhlsystem ist das Hochschulwesen in den USA nach Fachbereichen (departments) gegliedert, welche die Verantwortung für eigene Lehr- und Forschungsaktivitäten tragen und normalerweise mehrere Professoren, außerordentliche Professoren (associate professors) und Juniorprofessoren zu ihren Mitgliedern zählen. Das Amt des Leiters eines Fachbereiches wird nor- Leišytė · Der Wandel universitärer Entscheidungsstrukturen in den USA 153 18 Ebd., S. 35. 19 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 7. 20 Harvard University: Harvard at a glance, 2018, https://www. harvard.edu/about-harvard/harvard-glance (Zugriff: 07.08.2018). 21 Harvard University: Harvard’s president and leadership, 2018, https://www.harvard.edu/about-harvard/harvards-presidentleadership (Zugriff: 07.08.2018). 22 Ebd. 23 Penn State University: Penn State at a glance: A statistical snapshot of the university, 2018, https://stats.psu.edu/ (Zugriff: 10.08.2018). 24 Ebd. 25 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. 26 Ebd. malerweise von den Dekanen in Absprache mit den Mitarbeitern der Abteilung für einen im Voraus festgelegten Zeitraum vergeben18 und die Amtsinhaber sind sowohl gegenüber dem Fachbereich selbst als auch dem Dekan rechenschaftspflichtig dafür, dass der Einsatz der Ressourcen bestmöglich den Zielen ihrer Abteilung dient.19 Obwohl es sich um eine private Universität handelt, hat die Harvard Universität traditionell einen stark kollegial geprägten Ansatz der gemeinsamen Steuerung. Harvard hat mittlerweile 22.000 Studierende sowie 2.400 Fakultätsangehörige und 10.400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in den der Universität angegliederten Krankenhäusern arbeiten.20 Harvard verfügt über elf wissenschaftliche Einrichtungen, darunter zehn Fakultäten sowie das Radcliff Institute for Advanced Study. In Harvard besteht das Top-Management der Universität aus dem Präsidenten und den Fellows of Harvard College, einem Vorstandsgremium, das auch als „The Corporation“ bezeichnet wird sowie dem Board of Overseers, einer Art Aufsichtsrat.21 Diesen beiden Führungsgremien obliegt die Sicherstellung und Umsetzung der strategischen Ausrichtung der Universität. Des Weiteren besteht ein „Office of the Provost“, dessen Aufgabe vor allem darin liegt, inneruniversitäre Kooperationen zu fördern, Strategien und Verfahren zu implementieren, die einen Einfluss auf den Wissenschaftsbetrieb der Gesamtuniversität haben. Die Universität verfügt zudem über elf Vize-Provosts. Obwohl die Universität keinen akademischen Senat hat, wird in den Fakultätsräten akademische Selbstverwaltung ausgeübt.22 Wenn man eine große, forschungsintensive Universität wie die Pennsylvania State Universität betrachtet (sie hat 25 Standorte, 100.000 Studierende und 17.000 Akademiker und Akademikerinnen), so zeigt sich, dass sie über ein internes Steuerungssystem verfügt, bei dem die gemeinsame Hochschulsteuerung zwischen dem TopManagement und der Verwaltung sowie dem akademischen Senat verteilt ist.23 Das Board of Trustees und der Präsident gehören dem Top-Management der Universität an. Die Geschäftsleitung besteht weiterhin aus einem Provost (vergleichbar mit dem Kanzler), sechs Vize-Provosts, fünf Vizepräsidenten und 19 Dekanen. Der akademische Senat hat einen Vorstand und elf ständige Ausschüsse und sieht seine Rolle als Verantwortlicher für die Lehre und die Beratung des Präsidenten.24 III. Wesentliche Veränderungen in der internen Hochschulsteuerung Bezüglich der Hauptveränderungen in der internen Steuerung und Verwaltung von Universitäten können drei miteinander verknüpfte Entwicklungen beobachtet werden.25 Der wachsende Einfluss der Wirtschaft und die Verringerung staatlicher Mittel haben zu mehr Autonomie und einer Dezentralisierung von Universitäten geführt. Gleichzeitig wurde aber die Position der Universitätsführung – das heißt der Präsidenten, Verwaltungsgremien und Dekane – in strategischen Entscheidungsprozessen gestärkt. Des Weiteren zeichnen sich in der universitären Verwaltung neue Tätigkeitsfelder ab, welche von einem breiteren Rollenspektrum und zunehmender Professionalisierung auf teilweise neuen Verwaltungsebenen gekennzeichnet sind. Eine weitere Entwicklung, die mit den zuvor genannten einherging, ist die Neubestimmung der Position von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der akademischen Selbstverwaltung der Universität. Während sie traditionsgemäß einen starken Einfluss sowohl auf Studienangelegenheiten als auch auf die Verteilung von Mitteln hatten, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Senaten mittlerweile weniger Entscheidungsbefugnisse bezüglich der strategischen Ausrichtung der Universität und der Einstellung neuer wissenschaftlicher Mitarbeiter und noch weniger Einfluss auf die Entwicklung von Studiengängen.26 Diese Situation wird dadurch verschärft, dass ein steigender Anteil an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern keine Festanstellung hat und daher auch nicht an der akademischen Selbstverwaltung innerhalb der Universität partizipiert. Ein gewisses Maß an gemeinsamer Steuerung (shared governance) konnte jedoch trotzdem durch die starke Position der Fachbereiche und vor allem der gewählten Fachbereichsleiterinnen und ‑leiter 154 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2019), 151–156 27 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 8–10. 28 Eckel/Morphew: The organizational dynamics of privatization in public research universities, in: Morphew/Eckel (Hrsg.), Privatizing the public university: Perspectives from across the academy. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2009, S. 88–108. 29 Dill: The regulation of public research universities: Changes in academic competition and implications for university autonomy and accountability. Higher Education Policy, 14(1), 2001, S. 21–35. 30 Bess: Toward strategic ambiguity: Antidote to managerialism in academia, in: Smart (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research. Dordrecht: Kluwer, 2006, S. 491–533. 31 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. 32 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 11. 33 Fried/Mnookin: The silencing of Harvard’s professors, in: The Chronicle of Higher Education Blog, 24.03.2015, https://www. chronicle.com/blogs/conversation/2015/03/24/the-silencing-ofharvards-professors/ (Zugriff: 10.04.2019). 34 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. 35 Melear: The role of internal governance, committees, and advisory groups, in: Schloss/Cragg (Hrsg.), Organization and administration in higher education. New York/London: Routledge, 2013, S. 50–65, S. 50. 36 Ebd., S. 51. 37 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 8. bewahrt werden. Drittens haben sich aufgrund der Marktorientierung und zunehmend verschwimmender Grenzen zwischen der Universität als Organisation und ihrem Umfeld eine Reihe dezentraler Abteilungen entwickelt, welche zu Zwecken der Forschung, des lebenslangen Lernens, der Öffentlichkeitsarbeit oder dem Ausführen von Verwaltungsaufgaben agieren und durch welche die Machtverhältnisse bezüglich der internen Steuerung und Verwaltung ebenfalls beeinflusst werden.27 Zu den jüngsten Veränderungen in den Leitungsstrukturen der Universitäten gehören die Einräumung von Autonomie bei der Festsetzung von Studiengebühren und eine gleichzeitige Beschneidung der Befugnisse staatlicher Koordinierungsstellen. Eckel und Morphew zeigen, dass dies einerseits zu einer stärkeren Dezentralisierung von Hochschulen im Verhältnis zum jeweiligen Bundesstaat führt, während hochschulinterne Entscheidungsprozesse zunehmend zentralisiert werden.28 Gleichzeitig geht mit einer größeren Autonomie der Hochschulen auch eine verstärkte Rechenschaftspflicht gegenüber den Bundesstaaten einher. Innerhalb ihrer Einrichtungen gewinnen Hochschulleitungen wiederum an Autorität, in dem sie zur Einhaltung dieser Rechenschaftspflicht verschiedene Indikatoren zur Kontrolle von Produktivität und Effizienz einführen.29 1. Entwicklung der Hochschulverwaltung Forschungsuniversitäten haben in den vergangenen Jahren zunehmend neue Verwaltungsebenen eingeführt, um so ihre Ressourcenbasis zu erweitern.30 So wurden innerhalb der Hochschulverwaltung beispielsweise neue Stellen mit der Funktion, Partnerschaften zwischen Hochschule und Wirtschaft zu fördern und zu gestalten, geschaffen.31 Der Druck im Hinblick auf die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Staat und die Effizienz mag zudem die Hochschulleitungen dazu ermutigt haben, stärker in Bereiche einzugreifen, die traditionell Sache der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren, wie die Entwicklung von Studienprogrammen sowie Entscheidungen zu Beförderungen.32 Wie Fried und Mnookin zeigen, war die Harvard Universität vor 20 Jahren stärker dezentralisiert, das TopManagement hatte einen deutlich kleineren Verwaltungsapparat als heute. Die Autoren schreiben: „Das heutige offizielle Mantra ist „ein gemeinsames Harvard“. In den letzten 20 Jahren gab es eine enorme Ausweitung der zentralen Verwaltung und eine zunehmende Zentralisierung“. Sie betonen jedoch, dass dieser Trend nicht nur in Harvard sondern in öffentlichen sowie privaten Colleges und Universitäten im ganzen Land zu beobachten ist.33 2. Geringerer Einfluss der akademischen Senate Partizipatorische Governancemodelle sind bei Hochschulen weit verbreitet.34 Sie sind traditionell dadurch gekennzeichnet, dass eine zentrale Verwaltung in Austausch und im Einnehmen mit wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal sowie der Studierendenschaft operiert.35 Die Arbeit verschiedener Ausschüsse, Beratungsgremien, Arbeitsgruppen und sonstiger Gremien sichert hierbei eine gegenseitige Kontrolle im System. Vor allem von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird eine partizipatorische Governance als unverzichtbares Element des guten Funktionierens einer Hochschule angesehen.36 Das wichtigste Organ im Hinblick auf partizipatorische Steuerung ist der akademische Senat.37 Der Senat ist mit Professorinnen und Professoren besetzt und stellt das wichtigste Germium für die Vertretung akademi- Leišytė · Der Wandel universitärer Entscheidungsstrukturen in den USA 155 38 Siehe zu diesem Thema: Kezar/Eckel: Meeting today’s governance challenges: A synthesis of the literature and examination of a future agenda for scholarship, The Journal of Higher Education, 75. 2004 (4), S. 371–399; Leaf: An anthropology of academic governance and institutional democracy: The community of scholars in America. Cham: Palgrave Macmillan, 2018. 39 Leaf: An anthropology of academic governance and institutional democracy: The community of scholars in America. Cham: Palgrave Macmillan, 2018. 40 Birnbaum: The latent organizational functions of the academic senate: Why senates do not work but will not go away. Journal of Higher Education, 60(4), 1989, S. 423–443; Sufka: How to make faculty senates more effective. Academe, 95(6), 2009, S. 20–21; Melear: The role of internal governance, committees, and advisory groups, in: Schloss/Cragg (Hrsg.), Organization and administration in higher education. New York/London: Routledge, 2013, S. 50–65, S. 52. 41 Melear: The role of internal governance, committees, and advisory groups, in: Schloss/Cragg (Hrsg.), Organization and administration in higher education. New York/London: Routledge, 2013, S. 50–65, S. 52. 42 Ramirez: Accounting for excellence: Transforming universities into organizational actors, in: Rust/Portnoi/Bagley (Hrsg.), Higher education, policy, and the global competition phenomenon. New York: Palgrave Macmillan, 2010, S. 43–58. 43 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. 44 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2017, S. 10. 45 Ebd. 46 Leaf: An anthropology of academic governance and institutional democracy: The community of scholars in America. Cham: Palgrave Macmillan, 2018, S. 14. scher Interessen dar. In den 1970er Jahren konnte eine Zunahme der Macht und des Einflusses von akademischen Senaten auf universitäre Entscheidungsprozesse beobachtet werden. So hat beispielsweise die University of California ihren Senats- und Universitätsausschüssen in diesem Zeitraum viele Befugnisse bei der Gestaltung der Lehre eingeräumt.38 In den letzten Jahrzehnten wurde ihre Macht in Verwaltungsfragen jedoch in der Form beschnitten, dass sie nun hauptsächlich beratende Funktionen ausüben. Wie Leaf (2018) in seinem Buch39 zeigt, sehen die meisten Universitäten die Rolle der Senate als beratend an. Ergebnisse einer Befragung von Administrator/inn/en und Wissenschaftler/inne/n im Rahmen einer Studie aus dem Jahre 2009 zeigen, dass die Rolle der Senate an 13% der befragten Standorte lediglich als ein Gremium mit der Möglichkeit zur Beeinflussung von Entscheidungen angesehen wird. Dies ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: auf ihr fehlendes Verständnis für Budgetfragen und ihr, durch komplexe interne Strukturen und Prozesse bedingtes Unvermögen, den Anforderungen kurzer Reaktionszeiten für Rückmeldungen an bundesstaatliche Stellen gerecht zu werden.40 Veränderungen in der Stellung akademischer Senate wurden zudem auch durch zunehmende wirtschaftliche Zwänge sowie bundesstaatliche Vorgaben zur Rechenschaftspflicht bedingt.41 3. Dezentrale Abteilungen Zuletzt muss auch die Rolle der zunehmenden Anzahl dezentraler Abteilungen und Bereiche innerhalb von Hochschulen erwähnt werden. Dezentrale Abteilungen und Bereiche üben einerseits einen Einfluss auf die interne Steuerung und Verwaltung von Universitäten aus, während sie andererseits als Produkt einer zunehmenden Formalisierung und strategischen Ausrichtung von Universitäten als organisationale Akteure anzusehen sind.42 In ihrer Rolle als organisatorische Akteure schaffen Universitäten neue Abteilungen und Bereiche und es steht ihnen ein hohes Maß an Flexibilität zu, sodass sie schnell auf externe Marktanforderungen reagieren und somit einen schnelleren Mittelzufluss in die Universität ermöglichen können.43 Mit dem zunehmenden Engagement der Universitäten auf innovativen Forschungsmärkten wurden unter anderem auch Zentren, Institute und Abteilungen geschaffen, die gemeinschaftliche und interdisziplinäre Forschungsansätze fördern sollen.44 Zu diesen neuen Abteilungen, die Clark als „erweiterte Entwicklungsperipherie“ bezeichnet, zählen Forschungszentren und Institute, Technologietransferstellen, sowie Abteilungen für Fernunterricht. Mithilfe solcher Abteilungen können das externe Umfeld der Hochschule betreffende Entscheidungen dezentral getroffen und somit zentralisierte, mehrstufige Entscheidungsprozesse unter Einbeziehung verschiedener Steuerungsorgane oder Verwaltungsstellen vermieden werden.45 IV. Implikationen für die akademische Arbeit Diverse Studien bewerten den Einfluss des Wandels interner Hochschulgovernance auf akademische Arbeit und professionelle Autonomie auf verschiedene Weise. Einige Autoren sind der Meinung, dass der Rückgang einer gemeinsamen Steuerung an US-amerikanischen Universitäten einem Angriff auf die wissenschaftliche Demokratie gleichkommt. Sie befürchten, dass künftig alle öffentlichen Universitäten unterfinanziert und unterdrückt, alle Aspekte wissenschaftlicher Arbeit diskreditiert, und Praktiken und Prinzipien akademischer Autonomie gefährdet werden, indem Mitspracherechte bezüglich der Curricula sowie unbefristete Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft werden.46 Andere Autoren sehen die kürzeren Entscheidungswege und die Schaffung flexibel agierender, dezentraler Abteilungen und 156 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2019), 151–156 47 Leisyte/Dee: Understanding academic work in a changing institutional environment: Faculty autonomy, productivity and identity in Europe and the United States, in: Smart/Paulsen (Hrsg.), Higher education: Handbook of theory and research 27. Dordrecht: Springer, 2012, S. 123–206. 48 Berger/Kostal: Financial resources, regulation, and enrollment in U.S. public higher education. Economics of Education Review, 21, 2002, S. 101–110; Knott/Payne: The impact of state governance structures on management performance of public organizations: A study of higher education institutions. Journal of Policy Analysis and Management, 23, 2004, S. 13–30; Lowry: The political economy of public universities in the United States: A review essay. State Politics and Policy Quarterly, 7, 2007, S. 303–324. 49 Leisyte: Steuerung und Organisation öffentlicher Hochschulen in den USA (Analysen und Argumente; Nr. 287). Berlin: KonradAdenauer-Stiftung, 2017, S. 1–23. 50 Tierney (Hrsg.): Governance and the public good. Albany: State University of New York Press, 2006, S. 1–224. 51 Leaf: An anthropology of academic governance and institutional democracy: The community of scholars in America. Cham: Palgrave Macmillan, 2018. Einrichtungen als einen wesentlichen Bestandteil einer unternehmerischen Universität an, welche Innovation und Kreativität sowie mehr Engagement für und Mitgestaltung durch die Gesellschaft fördert.47 Die zunehmende Dezentralisierung und Abnahme staatlicher Steuerung hat außerdem zu einer Priorisierung des Forschungsbetriebs gegenüber der Lehre geführt. Vor allem die Einwerbung von Drittmitteln und Forschungsverträgen hat an Bedeutung gewonnen.48 Zudem wurde die Autorität des Professorenkollegiums (vor allem in den Fachbereichen) gestärkt. Als Folge der wachsenden Macht einzelner Disziplinen verlagerte sich der Schwerpunkt der Entscheidungsfindung im akademischen Bereich zunehmend auf die Fachbereichsebene, welche anstelle der hochschulübergreifenden Senate zum maßgeblichen Ort akademischer Partizipation wurde. Trotzdem unterliegt die akademische Arbeit nun einer stärkeren Aufsicht durch das Management, und das wissenschaftliche Personal muss seine Arbeitsweise zunehmend den Vorgaben von Hochschulverwaltung oder Kuratoren anpassen. Somit werden vormals autonome Lehr- und Forschungsaktivitäten durch organisatorische Vorgaben in regulierte Arbeitsprozesse transformiert.49 Paradoxerweise könnte jedoch gerade der stärkere Einfluss externer Akteure auf die wissenschaftliche Arbeit neue Chancen für eine gesellschaftliche Transformation herbeiführen. Vor allem in Hinblick auf soziale und ökonomische Fragestellungen könnte die wachsende Zahl von Partnerschaften mit Staat und Wirtschaft es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen, ihre Arbeit mit öffentlichen Belangen zu verknüpfen.50 V. Schlussfolgerung Trotz der Komplexität des US-amerikanischen Hochschulsystems wird deutlich, dass einerseits ein signifikanter Wandel hin zu einer Zentralisierung managerieller und administrativer Macht stattgefunden hat, während einzelne Fachbereiche und Institute ihre Autorität behalten und in manchen Fällen sogar ausweiten konnten. Letzteres ist auf ihre Möglichkeiten der Einwerbung von Drittmitteln sowie auf die Partizipation an der akademischen Selbstverwaltung innerhalb einzelner Fachbereiche zurückzuführen. Insgesamt kann einerseits zwar eine größere Autonomie der Universitäten gegenüber den Bundesstaaten, andererseits aber auch eine zunehmende Abhängigkeit von Einnahmen aus anderen Quellen, wie etwa Studiengebühren, Spenden von Alumni und Einkommen aus Kooperationen mit der Industrie, beobachtet werden. Außerdem kann eine zunehmende Leistungsorientierung und Rechenschaftspflicht von Universitäten gegenüber den einzelnen Bundesstaaten festgestellt werden. Das Beispiel des US-amerikanischen Hochschulsystems verdeutlicht, dass eine shared governance – das heißt eine gemeinsame Steuerung der Universität durch Hochschulleitung einerseits und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler andererseits – auf einer Grundlage gegenseitiger Kontrolle auch in Zeiten des Rückgangs staatlicher Mittel, einer Diversifizierung von Einkommensquellen und einer zunehmenden Zentralisierung der Macht auf Leitungsebene möglich ist. Wie Leaf51 argumentiert, ist eine gemeinsame Steuerung die Vorrausetzung für das Funktionieren einer Universität, für akademische Demokratie und für die Bewahrung einer Gemeinschaft von Hochschullehrenden und Studierenden. Das wesentliche Element, das es im Zuge akademischer Freiheit zu bewahren gilt, ist der Einfluss akademischer Selbstverwaltungsorgane auf Entscheidungen bezüglich des Inhalts von Forschung und Lehre sowie auf die Besetzung wissenschaftlicher Stellen. Liudvika Leišytė ist Professorin für Hochschuldidaktik und Hochschulforschung an der Technischen Universität Dortmund