I. Problemaufriss
Eine akute Bedrohung durch biologische Waffen scheint derzeit nicht gegeben. Spätestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des zentralen multilateralen Vertrags zur biologischen Rüstungskontrolle, dem Biowaffenüberein- kommen (BWÜ) 1975 hatten sämtliche Vertragsstaaten die noch nach dem Zweiten Weltkrieg offensive biologi- sche Rüstungsprogramme unterhielten, diese offiziell eingestellt und vorhandene Bestände vernichtet.1 Zwar sind seither insgesamt drei Fälle illegaler Programme aufgedeckt worden,2 derzeit gibt es aber weder konkrete Hinweise auf entsprechende Aktivitäten in den Mitglied- staaten, noch auf solche in Staaten außerhalb des Ver- tragsregimes. Einzige Ausnahme ist Syrien: Im Sommer 2014 wurde der Organisation zum Verbot Chemischer Waffen ein Programm zur Herstellung von Rizin bekanntgegeben3 – Rizin fällt als biogenes Toxin ebenso unter das Chemiewaffenübereinkommen, wie unter das BWÜ.
Seit den Milzbrandbriefen in den USA (September und Oktober 2001) wird in den Stellungnahmen der Ver- tragsparteien auf den jährlichen BWÜ Staatentreffen vor allem der internationale Terrorismus als Bedrohungssze- nario beschrieben. Doch auch hier lassen sich relativ we- nige Fälle benennen: 2001 hatte ein ehemaliger Ange- stellter des US-Bioabwehrprogramms besonders auf- wändig hergestellte und präparierte Milzbrandsporen, die zuvor in eben diesem Programm hergestellt worden waren, an Politiker und Journalisten verschickt; Anfang der 1990er Jahre hatte die japanische Aum-Shinrikyo Sekte mit großem Aufwand versucht, ebenfalls Milz- brandsporen sowie Ebola waffenfähig zu machen, war allerdings gescheitert und 1984 hatte eine indische Sekte versucht, bei möglichst großen Teilen der Bevölkerung des Städtchens The Dulles im US-Bundesstaat Oregon
- 1 Wheelis, Mark, Rózsa, Lajos und Dando, Malcolm (Hrsg) (2006): Deadly Cultures: Biological Weapons since 1945, London. Offen- sive Programme gab es in Frankreich, Großbritannien, Kanada, UdSSR und den USA.
- 2 Und zwar in Russland (Die UdSSR hatte ihr Programm heimlich bis zur Wende weitergeführt), Irak und Südafrika. Keiner dieser Fälle wurde im Regime verhandelt und/oder mit Sanktionen be- wehrt; nicht zuletzt deshalb, weil die Aufdeckung der Programme jeweils im Zusammenhang mit grundlegenden Veränderungen in der institutionellen Organisation der Betreiberstaaten stand.
durch die Kontaminierung von Salattheken Salmonello- se und damit Bettlägerigkeit auszulösen, um der eige- nen, bei den Kommunalwahlen antretenden Partei zu ei- nem höheren Stimmanteil zu verhelfen.4 Belastbare Be- richte, dass Al Quaida versucht hätte, eine Biowaffenka- pazität aufzubauen, finden sich nicht.5 Auch die Schlagzeilen, die einen vom „Islamischen Staat“ erbeute- ten Computer angesichts seiner Inhalte, die auf ein Inte- resse an biologischer Bewaffnung hindeuten sollten, als „Laptop of Doom“ bezeichneten,6 erscheinen bei nähe- rer Betrachtung als deutlich übertrieben.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand gibt es also der- zeit in keinem Staat der Erde biologische Waffen oder Programme zu deren Entwicklung und Herstellung. Es ist zwar nicht möglich von dieser Lage auf die Zukunft zu schließen, im Grunde ist das BWÜ aber ein präventi- ver Rüstungskontrollvertrag. Ein Rüstungskontrollre- gime, das nicht versuchen muss, bestehende Bedro- hungspotenziale aus Waffenarsenalen einzuhegen, son- dern sich auf die Verhinderung künftiger Rüstungspro- gramme konzentrieren kann, scheint unter günstigen Voraussetzungen zu bestehen – wäre da nicht das imma- nente Problem der fehlenden Verifikation im BWÜ. Seit die Verhandlungen zum Vertrag in den frühen 1970er Jahren begonnen hatten, steht der Malus zu Buche, dass die Mitglieder sich nicht zu einem entsprechenden Me- chanismus durchringen konnten. Konkrete Verhandlun- gen, die die Einrichtung eines von einer internationalen Behörde geleiteten Inspektionsregimes zur Folge gehabt hätten, waren 2001 kurz vor ihrem Abschluss gescheitert; eine Neuauflage ist nicht in Sicht.
Entstanden wäre ein „klassisch“ zwischenstaatlicher Mechanismus zur Beobachtung von Compliance-rele- vantem Verhalten in biotechnischen Produktions- und Forschungseinrichtungen. Ein solcher Mechanismus wäre vermutlich geeignet, das Verbotsregime zu stärken,
3 https://www.opcw.org/index.php?eID=dam_frontend_ push&docID=17532 (7.1.2015).
4 Georgiev, Vassil (2009), Impact on Globa Health, Volume Two, NIH.
5 Ouagrham-Gormley, Sonia Ben (2014), Barriers to Bioweapons: The Challenges of Expertise and Organization for Weapons Deve- lopment, Cornnell University Press.
6 http://foreignpolicy.com/2014/08/28/found-the-islamic-states- terror-laptop-of-doom/ (29.1.2015).
Gunnar Jeremias
Die Regelung biosicherheitsrelevanter Forschung als effektiver Beitrag zur biologischen Rüstungskontrolle?
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197–9197
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indem Technologieanwendungen in Universitäten, Un- ternehmen und deklarierten Einrichtungen militäri- scher biologischer Abwehrforschung zu einem gewissen Grad transparent würden. Vor allem durch die gestiege- ne Entdeckungswahrscheinlichkeit könnten (vor allem staatliche) Akteure so abgeschreckt werden, heimlich biologische Waffen zu entwickeln und zu produzieren — zweifelhaft ist indes, ob ein solcher Mechanismus auch geeignet wäre, die nichtbeabsichtigte Herstellung von missbrauchsfähigem Wissen zu erschweren, wie es po- tentiell im Rahmen „normaler“ biotechnischer For- schung produziert wird.
II. Relevante Aktivitäten und Akteure
In den bisher bekannten BW-Programmen wurden Wis- senschaftler von Regierungen damit beauftragt, biotech- nisches Wissen gezielt so weiterzuentwickeln, dass eine Waffenfähigkeit der Pathogene oder Toxine hergestellt werden kann.7 Obwohl sie auf dem Wissensschatz ziviler Forschung gründeten, waren dies also dezidiert auf einen militärischen Einsatz der Biotechnologie ausgeleg- te Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen. Mit Blick auf die Fragestellung dieses Artikels sind dabei zwei Feststellungen zu machen. Erstens: Auch diese Bio- waffenprogramme basierten auf Grundlagenwissen, in dem die Möglichkeiten für eine missbräuchliche Weiter- entwicklung bereits angelegt waren. Dieses immanente Dual-Use-Potenzial der Biotechnologie ist eines der Ele- mente, die sie zu einer Risikotechnologie machen. Zwei- tens: Das letzte bekannte große BW-Programm wurde bis ca. 1991 in der UdSSR betrieben. Seitdem lässt sich eine anhaltende rapide und globale Entwicklung in den Biowissenschaften und der zugehörigen Technik beob- achten. Die umfassenden Missbrauchspotenziale beste- hen derweil weiter, wobei verschärfend hinzukommt, dass in einem ständig wachsenden Feld auch die Pro- duktion weiteren relevanten Wissens konstant zunimmt. Außerdem werden im Zuge der Weiterentwicklung gänzlich neue Bereiche erschlossen, die neue Möglich- keiten, aber eben auch Missbrauchspotenziale generie-
- 7 Schäfer, Achim (2002), Bioterrorismus und Biologische Waffen, Berlin.
- 8 Zilinskas, R. A., Dando, M. and Nixdorff, K. (2011), Biotechnology and Bioterrorism. Encyclopedia of Bioterrorism Defense, 1–14.
- 9 Dem letztgenannten Argument wird häufig entgegengesetzt, dass nicht unterschätzt werden dürfe, dass praktisches Erfahrungs- wissen, das sich nur im Laufe langjähriger Ausbildung aneignen lässt, erforderlich ist, um biotechnische Experimente erfolgreich durchführen zu können. Damit kann aber allenfalls der Befürch- tung begegnet werden, dass terroristische Gruppierungen ohne
ren (z.B. Synthetische Biologie, Nanotechnologie, Sys- tembiologie).8 Zudem wird die Anwendung von Techni- ken preisgünstiger und schneller, verbreitet sich Wissen schneller und in Länder, die zunächst keinen Zugang zu dieser Technologie hatten und das Wissen wird auch einfacher handhabbar.9 Kurz: Mit der Weiterentwick- lung der Biotechnologie entstehen sicherlich neue Chan- cen, etwa für die Bekämpfung von Krankheiten, aber gleichzeitig entstehen auch neue Risiken. Damit ist nicht gesagt, dass diese Situation zwangsläufig zu neuen Bio- waffenprogrammen führen wird. Es ist allerdings ebenso wenig ausgeschlossen, dass Akteure missbräuchlich auf dieses Wissen zurückgreifen werden. Meselson bemerkt zu Recht, dass jede Großtechnologie auch militärisch genutzt wird.10 Gemeinsam mit der Beobachtung, dass sich die Diffusionsrichtung von Technologien in den vergangenen Jahrzehnten umgekehrt hat, früher also Großtechnologien eher im militärischen Kontext (wei- ter-)entwickelt wurden und sich dann kommerzielle Nutzungen daraus ableiteten, heute aber verstärkt zivile Entwicklungen in der Folge militärisch genutzt wer- den,11 erklärt dies das Erfordernis eines hohen Niveaus von Wachsamkeit und von aktiven Maßnahmen zur Prä- vention.
Solche präventiven Maßnahmen gegen die Verwer- tung von biotechnischem Wissen und Technologie in militärischen Programmen oder durch Kriminelle sind in der Praxis oft deckungsgleich mit solchen, die auch Schadwirkungen verhindern sollen, die aus dem zivilen Normalbetrieb resultieren. Diese Maßnahmen werden unter dem Begriff Biosicherheit, bzw. mit den englischen Begriffen Biosafety und Biosecurity beschrieben. Die englische Trennung von Safety und Security diskrimi- niert Betriebssicherheit (die jedenfalls in den Vorreiter- staaten der Biotechnologienutzung in der Praxis lange etabliert ist) von der Vorbeugung von Missbrauch. Safe- ty steht also nicht im Kontext von „Dual-Use“, sondern es sollen durch entsprechende Maßnahmen Unfälle und der aus Unwissen hervorgehende unsachgemäße Um- gang mit Agenzien und Labor- bzw. Produktionsausrüs- tung vermieden werden. Biosecurity blickt hingegen auf
fachlichen Hintergrund immer leichter Biowaffen Kapazitäten aufbauen könnten. Für ausgebildete Wissenschaftler hingegen sind viele Anwendungen in der Biotechnologie heute sicherlich schneller und mit weniger Aufwand durchzuführen, als früher.
10 Meselson, Matthew (2000), Averting the hostile exploitation of biotechnology, in: Chemical and Biological Conventions Bulletin, No. 48, 16–19.
11 Wiemken, Uwe (2006), Hochtechnologien in der Wehrtechnik, in: Spur, Günter (Hrsg): Wachstum durch Technologische Innovati- on, 123–129.
die „dunkle Seite“ der Dual-Use-Problematik, die die Biotechnologie in besonderem Umfang betrifft.12 Secu- rity-Maßnahmen sollen dabei verhindern, dass aus dem Potenzial einer missbräuchlichen Verwendung ein be- gangener Missbrauch wird — aus dual-use also misuse wird. Trotz dieser unterschiedlichen Zielsetzungen gibt es doch eine Reihe von Überschneidungen bei der Aus- gestaltung konkreter Maßnahmen. Das gilt z.B. für Re- gelungen zum Zutritt zu Laboren, Handhabung, Lage- rung, technische Barrieren, etc.13
Wie in allen komplexen Systemen kann das Risiko von Unfällen und Missbrauch nicht vollkommen verhin- dert werden, so dass zwischen Nutzen und Risiken des Technologiebetriebs abgewogen werden muss. Die Ent- wicklung von und die Entscheidung über konkrete Maß- nahmen, die in der Praxis erforderlich, durchführbar und erfolgversprechend sind, wird dabei regelmäßig nur von Biowissenschaftlern oder in Zusammenarbeit mit ihnen durchführbar sein. Zur Identifizierung von Punk- ten an denen sinnvoll angesetzt werden kann, ist die Er- kenntnis hilfreich, dass „nicht alles gleichermaßen dual- use“ ist.14 Zum Umgang mit der Frage, welche Tätigkei- ten also unter besondere Beobachtung und Regelungs- versuche gestellt werden sollen, haben sich vor etwa zehn Jahren zunächst zwei Ansätze entwickelt, nament- lich der erregerbasierte Ansatz, der davon ausgeht, dass das Arbeiten mit bestimmten Agenzien15 Risiken indu- ziert und der aktivitätenbasierte Ansatz, der Experimen- te mit bestimmten Zielsetzungen16 unter Risikovorbe- halt stellt.
Beide Ansätze haben gemein, dass mit den benann- ten Forschungsaktivitäten, bzw. Forschungsobjekten in der Tat größere Schadwirkungen erzielt werden können, als mit anderen – es in der Ausprägung von dual-use also qualitative Unterschiede gibt. Seit etwa 2008 wird der Begriff Dual-Use Research of Concern (DURC) in der Debatte genutzt. Obschon in dieser Formulierung eine Qualifizierung als besonders bedenkliche Forschung
- 12 Nixdorff, Kathryn (2006), Biological Weapons Convention, in: R. Avenhaus, N. Kyriakopoulos, M. Richard, G. Stein (Hrsg). Verify- ing Treaty Compliance; Berlin and Heidelberg: Springer, 107–134.
- 13 Dickmann, Petra et al. (2014), Safe and Secure Biomaterials: A Risk-Based Alternative Approach, Chathamhouse.
- 14 NSABB (2010), Biosecurity — Proposed Framework for the Over- sight of Dual Use Life Sciences Research; Washington D.C.
- 15 Liste etwa beim Center for Disease Control and Prevention unter http://emergency.cdc.gov/agent/agentlist.asp (29.1.2015).
- 16 Entsprechende Auflistungen finden sich bei verschiedenen Autoren, zusammengefasst bei Suk, Jonathan E. equal contri- butor, Anna Zmorzynska equal contributor, Iris Hunger, Walter Biederbick, Julia Sasse, Heinrich Maidhof, Jan C. Semenza (2011), Dual-Use Research and Technological Diffusion: Reconsidering the Bioterrorism Threat Spectrum in PLOS Pathogens.
- 17 Knowles, Lori P. (2012), Current Dual-Use Governache Measures,
nicht getroffen wird, werden als Beispiele für DURC vor allem solche Experimente angeführt, bei denen das Missbrauchspotenzial im Verhältnis zum erwarteten Nutzen hoch ist.17 So werden häufig die Reaktivierung des Erregers der Spanischen Grippe von 1918, die Kom- bination von Erregern der „Schweine-“ und der „Vogel- grippe“ durch die Forschergruppen um Kawaoka und Fouchier oder die Synthese des Poliovirus genannt.18 DURC bezeichnet aber eben nur Hinweise auf ein grö- ßeres Risiko und keinesfalls einen tatsächlich bevorste- henden Missbrauch. Für sämtliche Verwendungen der gelisteten Erreger und Experimente existieren vielfältige legitime Anwendungen.19 Eine bessere Eingrenzung risi- kobehafteter Experimente und bedenklicher For- schungsaktivitäten bietet daher vermutlich ein kombi- nierter Ansatz, wie er in etwa in der Stellungnehme des Deutschen Ethikrats entwickelt wird.20 Das Problem Biosecurity reicht aber über die engen Grenzen des La- bors hinaus, betrifft also nicht nur die forscherische Pro- duktion von Unsicherheit, sondern ebenso die damit in Zusammenhang stehende Verbreitung von entsprechen- dem Wissen, Erregern (auch synthetische DNA/RNA) und die Labor- und Produktionsinfrastruktur etc.
Für dieses Teilproblem der biologischen Rüstungs- kontrolle stellt sich daher die Anforderung, dass die Ad- ressaten potenzieller Regelungen nicht (ausschließlich) Staaten sind, sondern darüber hinaus erstens gezielt die Wissenschaftler (die epistemic community), die das Feld mit ihrem Erfahrungswissen, ihren Netzwerken und mit ihrer Neugierde bestimmen, und zweitens auch die Ak- teure, die die Durchführung von Wissenschaft von au- ßen beeinflussen, angesprochen werden sollen. Dabei handelt es sich zur Hauptsache um Finanziers von DURC, also teils um eine Reihe von Staaten, zu einem erheblichen Teil aber um kommerzielle Akteure. Es soll- te in der Debatte um die Regelung biosicherheitsrelevan- ter Forschung nicht vergessen werden, dass das Ideal des freien Forschers, dessen Motivation ausschließlich die
in: Jonathan B. Tucker (2012), Innovation, Dual Use, and Security: Managing the Risks of Emerging Biological and Chemical Tech- nologies, MIT Press, 45–66.
18 Kwik Gronvall, Gigi (2013), H5N1: A Case Study for Dual-Use Research, CFR Working Paper.
19 Die meistzitierte Studie zur Zusammenfassung relevanter Experi- mente ist der sogenannte Fink-Report. Dieser führt auch Versu- che zur Verbesserung der Waffenfähigkeit von Erregern an, wobei diese Art von Experimenten klar nicht dual-use ist. Wenn ein Erreger waffenfähig gemacht wird, ist eine friedliche Anwendung kaum antizipierbar, NSABB (2004), Biotechnology in an age of Terrorism, Washington D.C.
20 Deutscher Ethikrat (2014), Biosicherheit – Freiheit und Verant- wortung in der Wissenschaft, 83 ff.
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Suche nach der objektiven Wahrheit ist, in der biotechni- schen Praxis kaum noch anzutreffen ist. Biotechnologie- forschung ist oftmals, wenn nicht zum überwiegenden Teil, durch kommerzielle Interessen motiviert. Das gilt auch für einen Großteil der Forschung an Universitäten. Von Hans-Peter Dürr stammt der Satz, dass Technologie die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm vertrieben hat. In kaum einem anderen Feld wird so deutlich, wie in der Biotechnologie, dass kommerzielle Verwertbarkeit min- destens ebenso stark die Entwicklung von Technologie beeinflusst wie „klassische“ Grundlagenforschung.21 Be- stimmte Produkte, wie etwa Impfstoffe werden vermut- lich ausschließlich von kommerziellen Akteuren entwi- ckelt und vertrieben.
III. Welche Maßnahmen?
Dieser Hintergrund ist zu bedenken, wenn über das Spektrum der Möglichkeiten zur Regelung biosicher- heitsrelevanter Forschung und die Wirkung von Rege- lungen nachgedacht wird: Welche Wirkung entfalten Maßnahmen in akademischen Institutionen und in pro- fitorientierten Unternehmen und wie kann gesetzgeberi- sches Handeln zur Risikominimierung bei transnationa- len Unternehmen die gewünschte Wirkung entfalten? Während die zweite Frage im Rahmen dieses Artikels nicht beantwortet werden kann, erscheint es folgerichtig, das Prinzip der Prävention, das die gesamte biologische Rüstungskontrolle bestimmt, auch auf die Regelung von DURC anzuwenden. Risiken können am effektivsten vermieden oder verringert werden, wenn Aktivitäten, die zu ihrer Entstehung beitragen bereits im Vorfeld ver- hindert werden, oder solche, die zu einer Verringerung des Risikos beitragen, rechtzeitig begonnen werden. Prä- ventive Maßnahmen zur Risikominimierung wurden bereits in verschiedenen Zusammenhängen, nicht zuletzt auch in der Stellungnahme des Deutschen Ethik- rats vorgeschlagen. Die darin vorgeschlagenen Präventi- onsmaßnahmen umfassen unter anderem gesetzliche Regelungen, wie etwa zur Einrichtung einer DURC- Kommission, die im Vorfeld der Durchführung entspre- chender Experimente eine verpflichtende Beratung der
- 21 Dürr, Hans-Peter (2010), Warum es ums Ganze geht, München.
- 22 Deutscher Ethikrat (2014), Biosicherheit – Freiheit und Verant-wortung in der Wissenschaft, 187 ff.
- 23 Wilms, Hans Christian (2010), Scientific Freedom and SocialResponsibility: Conflicts in the Ethical Regulation of Science; in: Informationspapiere der Max-Planck-Forschungsgruppe „Demo- kratische Legitimation ethischer Entscheidungen“, Silja Vöneky (Hrsg).
- 24 Deutscher Ethikrat (2014), Biosicherheit – Freiheit und Verant- wortung in der Wissenschaft, 191 ff.
- 25 Jackson, Ronald J., Ian A. Ramshaw et al. (2001): Expression of
durchführenden Institution durchführt, die Aufnahme entsprechender Inhalte in Lehre und Fortbildung, das Aufstellen eines bundesweiten Verhaltenskodex für Wis- senschaftler, sowie Prävention durch eine verantwor- tungsvolle Vergabepraxis bei der Verteilung öffentlicher Forschungsgelder.22
Zur Regulierung wird also ein Ansatz vorgeschlagen, der auf einer Kombination von Maßnahmen beruht, die durch materielles Recht definiert werden und solchen, die im Bereich des informellen soft law angesiedelt sind.23 Diese Vorschläge können hier nicht eingehend beschrieben und schon gar nicht abschließend bewertet werden, es sollen aber einige Fragen aufgeworfen wer- den, die möglicherweise zur Beurteilung ihrer Effektivi- tät beitragen können. So ist fraglich, inwieweit eine Um- setzung der DURC-Definition wie in der Stellungnahme empfohlen umfassend genug ist.24 Zwar wird hier der Problematik Rechnung getragen, dass weder ein agenzi- en- noch ein aktivitätenbasierter Ansatz zur Beurteilung von DURC-induzierten Risiken ausreichend ist, ob es aber effektiv ist, nur die gelisteten Arbeiten mit gelisteten Erregern (oder gänzlich neu geschaffenen, bedrohlichen biologischen Agenzien) für die externe Beurteilung durch eine DURC-Kommission vorzuschlagen, kann diskutiert werden. So zeigt etwa das Beispiel der For- schung an Mäusepocken von 2001,25 dass auch Arbeiten an nicht in den bestehenden Listen geführten Erregern zu gefährlichen Ergebnissen führen können, weil Er- kenntnisse die an eng verwandten Erregern gewonnen wurden, direkt auf gelistete Erreger übertragbar sein können.26 Insofern wäre auch der Auftrag an eine Kom- mission, die entsprechende Experimente beurteilen soll, möglicherweise zu kurz formuliert.
Dass die durchführenden Forscher künftig aber nicht mehr alleinverantwortlich die aus ihrer Arbeit resultie- renden Risiken bewerten sollen, ist sicherlich Vorausset- zung für effektive Prävention. Eine Selbstbeurteilung ist nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen ein Problem (die Beurteilung eines eigenen Projekts ist naturgemäß mit Interessenskonflikten behaftet), sondern erfordert neben einem entsprechenden Problembewusstsein auch das methodologische Wissen, risikobehaftete Forschung
Mouse Interleukin‑4 by a Recombinant Ectromelia Virus Sup- presses Cytolytic Lymphocyte Responses and Overcomes Genetic Resistance to Mousepox, in: J Virol, Feb 2001, 75(3), 1205–1210.
26 Damals wurde an der Australian National University ein Experi- ment durchgeführt, in dem das Mäusepockenvirus als Genfähre in einem „Impfstoff “ gegen Schwangerschaften eingesetzt werden sollte. Die in das Virus eingebauten und mit ihm transportierten Informationen bewirkten aber auch eine 100%ige Letalität des Vi- rus, ungeachtet vorheriger Impfungen oder bestehender Resisten- zen (Jackson et al. 2001). Dieses Experiment könnte genauso für das Humanpathogen Orthopoxvirus variola wiederholt werden.
zu erkennen und zu vermeiden. Das kann im Extremfall die Bereitschaft einschließen, auf Erkenntnisgewinn zu verzichten, häufig wird das Problem aber durch alterna- tive Experimente oder Simulationen zu beheben sein.27
Das Problem der Implementierung einer Kommissi- on zur ex-ante-Beurteilung von Risiken aus biowissen- schaftlicher Forschung wäre immer noch vorhanden, aber nicht ganz so drängend, wenn es in der epistemic community ein Problembewusstsein in Hinblick auf die Risiken bestünde. Nun gibt es nicht allzu viele Daten zur Quantifizierung der Ausprägung eines solchen Risikobe- wusstseins und der damit zusammenhängenden persön- lichen Verantwortung.28 Es gibt aber starke Hinweise, dass dieses Bewusstsein in Universitäten und Industrie eher schwach ausgeprägt ist. So ist bekannt, dass das Thema Biosecurity, im Gegensatz zu gesetzlich vorge- schrieben Biosafetyinhalten, in den deutschen universi- tären Lehrplänen nicht vorkommt.29 Eine aktuelle kur- sorische Überprüfung der Ergebnisse dieser Studie führ- te ebenfalls ausschließlich zu negativen Ergebnissen. Es ist auch nicht anzunehmen, dass entsprechende Inhalte in der wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung in naher Zukunft verstärkt verankert werden – jedenfalls nicht aus einer Selbsterkenntnis der die Lehre koordinieren- den Gremien heraus. Aus Kreisen der Konferenz biowis- senschaftlicher Fachbereiche und des Verbandes Biolo- gie, Biowissenschaften und Biomedizin ist die Ansicht zu hören, dass das „moralische Niveau“ an deutschen Uni- versitäten „durchgängig so hoch“ sei, dass die vollen Lehrpläne an dieser Stelle „nicht erweiterungsbedürftig“ seien. Nun ist Nichtwissen zunächst ein epistemologi- sches Phänomen und wird erst dann zu einem morali- schen Problem, wenn (Selbst-) Erkenntnis aktiv vermie- den wird. In jedem Fall kann die Nichtaufnahme der um die Thematik der Biosecurity erweiterten biosicherheits- relevanten Lehre als Indikator für ein nur gering ausge- prägtes Problembewusstsein angesehen werden. Folge-
- 27 Colin A. Russell, Smith, Derek J. et al. (2012), The Potential for Respiratory Droplet–Transmissible A/H5N1 Influenza Virus to Evolve in a Mammalian Host, Science 22 June 2012: Vol. 336 no. 6088, 1541–1547.
- 28 In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant, möglicher- weise bestehende persönliche und institutionelle Haftung zu thematisieren. Allerdings ist das mögliche Schadensausmaß (etwa analog zur Kerntechnik) kaum zu bestimmen.
- 29 Hoppe, Jan (2010), Biosecurity aspects in life science programmes at German universities. A survey, Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle, ZNF, Universität Hamburg.
- 30 Bollaert, Cathy und Whitby, Simon (2012), Online applied dual- use biosecurity education: a case study from the University of Bradford; in: Med Confl Surviv. 2012 Jan-Mar, 28(1), 59–71.
- 31 Aktuell scheinen die EU und ihre Mitglieder vorwiegend in der Nachbarschaft der EU und in anderen Partnerländern bemüht,
richtig kann befürchtet werden, dass aus dem Nichter- kennen des Problems auch kein Verantwortungsbe- wusstsein entspringen wird (gleiches kann für den Bereich der Fortbildung antizipiert werden).
Die mangelhaft ausgeprägte Ausbildung im Bereich Biosecurity ist kein auf Deutschland beschränktes Prob- lem. Anekdotische Evidenz ergibt für andere EU-Staaten ein sehr ähnliches Bild. Zwar gibt es einige Initiativen, die entsprechende Inhalte entwickeln und zur Nutzung anbieten, z.B. an der Universität Bradford.30 Gespräche mit daran Beteiligten zeigen aber, dass es nur selten dazu kommt, dass diese Inhalte auch in die Lehre übernom- men werden.31 Insofern sind Maßnahmen zur Einhe- gung der aus DURC resultierenden Gefahren in vielen, wenn nicht allen, europäischen Staaten erforderlich.
Zur Regelung der hochgradig risikobehafteten aber gesetzlich kaum definierbaren Forschungsaktivitäten bieten sich vor allem Verhaltenskodizes für Wissen- schaftler an. In der Tat wurden in den vergangenen Jah- ren einige solcher Kodizes entwickelt, die explizit diese Problematik aufgreifen. Exemplarisch seien für die deut- sche Forschungslandschaft der Kodex der Max-Planck- Gesellschaft, der gemeinsame Kodex der Deutschen For- schungsgemeinschaft und der Leopoldina und der des Robert Koch Instituts genannt.32 Doch auch in anderen Ländern33 und von Zusammenschlüssen kommerzieller Akteure, wie etwa der International Association Synthe- tic Biology34 wurden Kodizes entwickelt.
Es wurde bereits angeführt, dass kommerzielle Ak- teure mindestens ebenso stark in biosicherheitsrelevante Forschungsaktivitäten eingebunden sind, wie akademi- sche Institutionen und darüber hinaus auch viele Pro- dukte oder Produktionstechniken eine hohe Biosecuri- tyrelevanz aufweisen. Daher kann auch für die Regelung der Aktivitäten dieser Akteure eine Mischung aus ge- setzlichen Regelungen, soft law und Selbstregulierung im Sinne einer Verantwortungskultur greifen. Initiativen
Problembewusstsein zu säen. Beispielhaft seien hier das Deut- sche Biosicherheitsprogramm des Auswärtigen Amtes und das „International Network of Universities and Institutes for Raising Awareness on Dual-Use Concerns in Biotechnology“ (Project 18 in der CBRN Centers of Excellence, Initiative von UNICRI und der EU) genannt.
32 RKI: http://www.rki.de/EN/Content/Institute/Dual_Use/ code_of_conduct.html (29.1.2015); MPG: http://www.mpg. de/198043/Forschungsfreiheit (29.1.2015); DFG und Leopoldina: http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stel- lungnahmen/2014/dfg-leopoldina_forschungsrisiken_de_en.pdf (29.1.2015).
33 BWPP BioWeapons Monitor 2014: http://www.bwpp.org/docu- ments/BWM%202014%20WEB.pdf (29.1.2015).
34 www.ia-sb.eu (29.1.2015).
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wie der Wiesbaden-Prozess zur Umsetzung der Sicher- heitsratsresolution 1540 (2004)35 binden wichtige kom- merzielle Akteure ein, dennoch ist die Reichweite sol- cher Initiativen bei weitem nicht umfassend und bleiben freiwillige Selbstverpflichtungen ein Instrument, das in erster Linie auf Vertrauen in diese Akteure setzt.
Unabhängig von der Art des Akteurs stoßen geplante präventive Maßnahmen an ihre Grenzen, wenn bei- spielsweise ein Experiment (ggf. auch trotz vorheriger Reflexion möglicher aus dem Erkenntnisgewinn er- wachsender Risiken) unerwartet Missbrauchspotenziale schafft. Für solche Fälle wird regelmäßig diskutiert, ob Eingriffe in die Publikationspraxis erfolgversprechende Maßnahmen sind. Das oben erwähnte Mäusepockenex- periment war nicht der erste Fall, für den diskutiert wur- de, ob die Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse verantwortbar ist. Der Stakeholderdialog, der von den Forschern initiiert wurde und die Australische Regie- rung, das finanziell hinter dem Projekt stehende Unter- nehmen, die Vereinten Nationen und eine zivilgesell- schaftliche Organisation in die Debatte eingebunden hatte, ist aber beispielgebend für einen verantwortungs- vollen Umgang mit unerwartet problematischen gen- technischen Forschungsergebnissen. Dies spiegelt die Vielschichtigkeit der involvierten Interessen wider und machte das Problem einer breiteren Fachöffentlichkeit bewusst.
In diesem, wie auch in späteren Fällen wurden die Ergebnisse letztlich ohne Einschränkungen publiziert.36 Es mag Fälle geben, in denen eine solche Publikati- onspraxis als nicht angebracht erscheint, allerdings wer- den sich Erkenntnisse, die in öffentlichen Projekten erar- beitet wurden, zum einen ohnehin nur schwer geheim halten lassen und ist zum anderen (wenn auch nicht an dieser Stelle) zu diskutieren, ob die Herstellung öffentli- cher Transparenz letztlich nicht risikoärmer ist, als eine vermeintlich kontrollierte Weitergabe des Wissens nur an ausgewählte Empfänger. In der Praxis werden diese Entscheidungsprozesse ohnehin vor allem von der Durchsetzung partikularer Interessen der Wissenschaft- ler, der Verleger, die sich im Wettbewerb mit anderen Zeitschriften befinden und anderer Akteure bestimmt werden, so dass eine mögliche Intervention von Berater- gremien, wie dem NSABB in den USA, nicht allein die Vorgehen bestimmen wird. Letztlich wird es sich kaum vermeiden lassen, dass im Betrieb einer Risikotechnolo-
35 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedens- politik/Abruestung/Projekte/141120-Industriedialog_Konf.html (29.1.2015).
36 Gottron, Frank und Shea, Dana A. (2013): Publishing Scientific
gie auch künftig weitere Erkenntnisse mit immanentem Risiko erlangt und veröffentlicht werden.
IV. Implementierung
Die Regelung biosicherheitsrelevanter Aktivitäten geschieht also unter schwierigen Voraussetzungen. Der Gegenstand ist komplex: Eine ex–ante-Definition prob- lematischer Forschungsaktivitäten und die Abwägung von Chancen und Risiken ist nur für wenige, besonders exemplarische Fälle (s.o.) eindeutig vorzunehmen, in der epistemic community lässt sich kein stark ausgeprägtes oder verbreitetes Problembewusstsein erkennen und die vielen beteiligten Akteure bringen ihre je eigenen Inter- essen in die politischen Prozesse der Mehrebenen- Governance ein. Am vielversprechendsten sind daher am ehesten Ansätze, in denen nationale Gesetzgebung und multilaterale Vereinbarungen als erforderliche Unterstützung effektiverer Instrumente auf der Ebene der Bildung einer „Kultur der Verantwortung“ fungie- ren.
Diese Kultur muss so global sein, wie die Technologie und ihre Risiken. Insofern ist zu fragen, ob nicht eine von zivilgesellschaftlich-akademischen Akteuren orga- nisierte „Asilomar 2.0“ Konferenz gelingen könnte, die das Ziel hätte, eine gemeinsame Erklärung zum verant- wortlichen Umgang mit Pathogenen, ihrer Erforschung und Produktion zu verabschieden. Auf der Asilomar Konferenz zu rekombinanter DNS im Jahr 1975 hatten Wissenschaftler Richtlinien für einen verantwortungs- vollen Umgang mit bestimmten gentechnischen Metho- den entwickelt. Ein Nebeneffekt war die Verortung des Risikodiskurses in einer breiteren Öffentlichkeit. Aktive Teilnehmer einer Nachfolgekonferenz wären die im Be- reich aktiven akademischen Einrichtungen, die nationa- len Akademien der Wissenschaften, die unabhängigen nicht-universitären Forschungseinrichtungen, Unter- nehmen, Stiftungen und Verlage; aber eben auch die Staaten in ihrer Doppelfunktion als Gesetz- und Geldge- ber. Eine solche Konferenz könnte mit den jährlichen Expertentreffen zum BWÜ in Genf verschränkt werden und wäre auch die Umsetzung entsprechender Forde- rungen aus der BWÜ Überprüfungskonferenz 2002.37 Eine Erklärung könnte betonen, dass zur Stärkung des völkerrechtlichen Vertrags zum Bann biologischer Waf- fen und unter Würdigung der, in Umsetzung der UNSR
Papers with Potential Security Risks: Issues for Congress; in: CRS
Report for Congress, R 42606.
37 www.un.org/disarmament/WMD/Bio/pdf/bwccnfv17.pdf
(29.1.2015).
1540 (2004), möglichst effektiven nationalen Gesetzge- bungen Verbote bestimmter Aktivitäten wohl nur in Ausnahmefällen möglich sind, Forscher aber im Rah- men einer Verantwortungskultur im Zweifel auf Er- kenntnis verzichten, wenn zu große Risiken produziert würden.
Zumindest für die Implementierung von Verträgen der multilateralen Rüstungskontrolle ist eine Kombinati- on von Maßnahmen der eher informellen Sphäre, wie freiwilliger Selbstverpflichtungen, Regulierung durch Verhaltenskodizes einerseits und gesetzlicher Regulie- rung auf nationaler Ebene und im internationalen Kon- text ein neuer Ansatz. Denn hier steht im Gegensatz zu „klassisch“ staatlichem Handeln im Regime nicht die Frage nach dem Complianceverhalten von Vertragsmit- gliedern im Mittelpunkt. Einzelnormen (insbesondere das Entwicklungs‑, Herstellungs‑, Erwerbs- und Besitz- verbot aus Artikel I und das Proliferationsverbot aus Ar- tikel III, aber auch das Gebot zur technischen Koopera- tion aus Artikel X) aus dem Vertrag könnten jedoch auch durch soft-law-Regelungen, wie etwa einem globalen Code of Conduct gestärkt werden. Was zur besseren Im- plementierung des BWÜ aber auf die eine oder andere Weise gelingen muss, ist eine Verhaltensänderung der Verantwortlichen, die ihre immanente Verantwortung reflektieren sollten.
V. Fazit
Die Regelung biosicherheitsrelevanter Forschung in einem Regelungsmechanismus, der auf europäischer
und nationaler Gesetzgebung verankert ist, in zentralen Punkten aber auch auf soft law beruht, ist eine für Rüs- tungskontrollregime ungewöhnliche Konstruktion. Nichtsdestotrotz kann dies ein erfolgversprechender, ja sogar ein notwendiger Weg zur Stärkung des multilate- ralen Regimes zum Verbot biologischer Waffen sein. Selbst wenn das institutionelle Problem des Regimes gelöst werden sollte und ein zwischenstaatlicher Com- pliancemechanismus etabliert werden könnte, wäre die- ser vermutlich kaum in der Lage in erforderlicher Weise mit dem besonders ausgeprägten dual-use-Problem auf dem Feld der Biotechnologie umzugehen. Präventive biologische Rüstungskontrolle beginnt notwendig in den zivilen akademischen und firmeneigenen Laboren und in den Köpfen der dort tätigen Wissenschaftler. Verant- wortungsvolles Handeln, im Sinne eines möglichen Ver- zichts auf forscherische Aktivitäten, die zur Produktion besonders großer und unnötiger Risiken führen, ist eine Verhaltensweise, die nur begrenzt verordnet werden kann. Angesichts des hohen Globalisierungsgrades der Biotechnologie sollte angestrebt werden, die Verabre- dung eines Verhaltenskodex auf transnationaler Ebene zu koordinieren. Die Asilomar-Konferenz von 1975 hat gezeigt, dass eine solche Anstrengung gelingen kann.
Dr. phil. des. Gunnar Jeremias ist Leiter der For- schungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskont- rolle am Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Uni- versität Hamburg.
Jeremias · Biosicherheitsrelevante Forschung 5 3
54 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2015), 47–54