I. Ausgangslage und normative Rahmenbedingungen
Freude und Erleichterung machen sich breit. Nach Jah- ren schulischer Mühen dokumentiert das Abiturzeugnis den wohlverdienten Abschluss des Schülerdaseins und weist zugleich die Richtung für den weiteren persönli- chen und beruflichen Lebensweg.2 Die Studienaufnah- me ist dabei für einen großen Teil der nunmehr attestiert „Hochschulzugangsberechtigten“ der bevorzugte Weg in ein künftiges Berufsleben.3 Das gilt insbesondere für diejenigen Berechtigten, deren Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung (HZB) sogar eine „1“ vor dem Komma aufweist. Der Nachkommastelle wird dabei häufig – jedenfalls zunächst – keine besondere Bedeutung beigemessen. Das wird sich jedoch schnell ändern und den Blick des Abiturienten oder der Abituri- entin auf die rechtlichen Instrumentarien lenken, die Gegenstand dieses Beitrags sind. Zunächst bewirkt die erreichte Spitzennote „1“ jedenfalls, dass sich Großeltern aufgerufen sehen, das Enkelkind in eine Reihe mit Goe- the und Einstein zu stellen. Auch Eltern erkennen, dass langgehegte familiäre Zukunftsplanungen eine reale Form gewinnen könnten. Ist es nicht höchst schwierig, einen Nachfolger für die im ländlichen Bereich ohne Großstadtnähe etablierte Allgemeinarztpraxis zu fin- den? Drängt es sich deshalb nicht auf, die Praxisnachfol- ge innerhalb der Familie zu finden, zumal entsprechende Interessen und fachliche Neigungen des Sohnes oder der
- 1 Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder. Sämtliche auf das Internet bezogenen Nachweise beziehen sich, wenn nicht anders erwähnt, auf den Abfragezeit- punkt 10.10.2015. Werden im Folgenden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.
- 2 Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland waren dies im Jahre 2014 insgesamt 432.677 Schülerinnen und Schüler, davon 76,7 v. H. als Inhaber der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschul- reife, vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 064 vom 25.2.2015, www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemittei- lungen/2015/02/ PD15_ 064_ 211. html.
- 3 Die Studienanfängerquote in Deutschland lag im Jahre 2014
bei 57,3 v. H. des jeweiligen Geburtsjahrgangs, vgl. vorläufige Ergebnismitteilung nach Statistica, http://de.statista. com/statistik/
Tochter schon zu Schulzeiten hervorgetreten sind? Ähn- liche Überlegungen dürften dem Apotheker, dem Part- ner einer „gut aufgestellten“ Unternehmensberatung oder dem Mitglied der Leitungsebene in einem familien- geführten mittelständischen Unternehmen ebenfalls nicht fremd sein. Sie stimmen nicht selten mit den Berufszielen und Lebensplanungen des Abiturienten überein.4
Die nähere Befassung damit, die verständlich moti- vierten Studienwünsche zeitnah in dem heutigen Verga- besystem für Studienanfängerplätze umzusetzen, lässt jedoch alsbald dunkle Wolken aufziehen. Das gilt für die stark nachgefragten und deshalb in das bundesweite zentrale Vergabeverfahren bei der Stiftung für Hoch- schulzulassung5 einbezogenen Studiengänge (Human-) Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie in besonderer Weise. Die Durchschnittsnote (DN) ist hier die erste Säule der Auswahl unter den in hoher Zahl um einen solchen Studienplatz nachsuchenden Bewerbern. So lag die Auswahlgrenze für einen Studienanfänger- platz im Studiengang Medizin im Wintersemester (WS) 2015/2016 in der Abiturbestenquote (nach Abzug von Sonderquoten sind dies 20 v. H. der zu vergebenden Stu- dienanfängerplätze) je nach dem Land, in dem die HZB erworben wurde, bei 1,0 bzw. 1,1. Für den Studiengang Zahnmedizin lag die Auswahlgrenze in dieser Quote für dieses Bewerbungssemester zwischen 1,1 und 1,4; ähnli- che Auswahlgrenzen ergaben sich für das Studium der
daten/studie/72005/umfrage/entwicklung-der-studienanfaenger- quote/, ausführlich auch: Statistisches Bundesamt Fachreihe 11 Reihe 4.3.1 „Bildung und Kultur, Nichtmonetäre hochschulstatisti- sche Kennzahlen 1980 – 2013, www.destatis.de/DE/Publikationen/ Thematisch/ BildungForschungKultur/Hochschulen/ Kennzahlen- Nichtmonetaer2110431137004. pdf?-blob= publicationFile. Da- nach lag der Anteil der Studienanfänger an der altersspezifischen Bevölkerung insgesamt im Jahre 2013 bei 48,8 v. H.; der Anteil
der Studienanfänger betrug insgesamt 45,8 v. H. der studienbe- rechtigten Schulabgänger mit allgemeiner und fachgebundener Hochschulreife und Fachhochschulreife.
4 Beispiele in Anlehnung an den entsprechenden Vortrag in ge- richtlichen Zulassungsstreitigkeiten bzw. in dabei vorgelegten sog. Motivationsschreiben bei den Bewerbungen um einen kapazitäts- begrenzten Studienplatz in einen Masterstudiengang.
5 Im Folgenden: Stiftung.
Hartmut Maier
Härtefall und Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienanfängerplätzen
– Rechtsrahmen und Grundstrukturen der Anwendung –1
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
20 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
Tiermedizin (zwischen 1,2 und 1,6) und der Pharmazie (zwischen 1,1 und 1,6).6 Diese – über die Jahre jedenfalls nicht geringer gewordenen – Anforderungen in der Abi- turbestenquote verdeutlichen, dass unter den heutigen schulischen Gegebenheiten eine HZB im „Einserbe- reich“ nicht mehr nur einen exklusiven Kreis schmückt, sondern dieser schulische Erfolg mit einer hohen Zahl von Mitstreitern geteilt wird. Nach Angaben der Kultus- ministerkonferenz (KMK) für das Abschlussjahr 2013 lag der Anteil der Schüler und Schülerinnen mit einer Abi- turnote von 1,0 bis 1,9 je nach Bundesland zwischen 15,6 v. H. (Niedersachsen mit einem Notenmittel von 2,61) und 37,8 v. H. (Thüringen mit einem Notenmittel von 2,17).7 Aber nicht nur in der Quote der Abiturbesten sind die Anforderungen dafür, sofort oder jedenfalls ohne eine lange Wartezeit das gewünschte medizinische oder pharmazeutische Studium aufnehmen zu können, hoch. Die Durchschnittsnote der HZB ist nämlich nicht weni- ger von Bedeutung für die Beteiligung an dem sog. Aus- wahlverfahren der Hochschule (AdH), in welchem (nach Abzug der Sonderquoten) 60 v. H. der in den Studien- gängen Medizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Phar- mazie zu vergebenden Studienanfängerplätze ausge- bracht werden. In diesem Verfahren muss der Grad der schulischen Qualifikation nach normativer Anordnung8 den maßgeblichen Einfluss auf die Auswahlentschei- dung haben. Die Hochschulen sind hier lediglich befugt, bei der zu bildenden Rangfolge innerhalb dieser Quote zusätzliche – in Punktwerte einmündende – Auswahl- kriterien neben der aus der HZB folgenden Qualifikati- on zu berücksichtigen. Diese können je nach Landes- recht und Hochschule u. a. sein: die Gewichtung von Einzelnoten der HZB, das Ergebnis eines fachspezifi- schen Studierfähigkeitstests, neben dem schulischen Ab- schluss absolvierte Berufsausbildungen und ‑tätigkeiten, das Ergebnis eines Auswahlgesprächs oder Verbindun- gen der vorgenannten Merkmale. Nicht sämtliche Be- werber haben eine reale Chance, im AdH einen Studien- platz zu erhalten. Eine Einladung zu Auswahlgesprächen der Hochschule oder zu dortigen Studierfähigkeitstests erhält nämlich – neben anderen Anforderungen, etwa der Ortspräferenz – regelmäßig nur derjenige, der zu der
- 6 Vgl. Übersicht der Stiftung für Hochschulzulassung zum WS 2015/2016 (Stand: 12.8. 2015), http://www.hochschulstart.de/ fileadmin/downloads/NC/wise2015_16/nc_alle_ws15.pdf.
- 7 Vgl. FAZ.net „Abitur: Einser-Inflation und Notenungerechtig- keit“, http://www.faz.net/aktuell/ beruf-chance/campus/abitur- einser-inflation-und-noten-ungerechtigkeit-13640220.html.
- 8 Vgl. Art. 10 Abs. 1 S. 2 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5.6.2008 – StV 2008.
- 9 Für das WS 2015/2016 lag hier die Grenznote des letzten zum Studierfähigkeitstest eingeladenen Bewerber im Studiengang
Gruppe der Abiturbesten gehört und nicht bereits über andere Vergabequoten einen Studienplatz erhalten hat. So bestimmt die Satzung der WWU Münster für den Studiengang Medizin auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 StV 2008, dass am Auswahlverfahren – und damit am dort durchgeführten Studierfähigkeitstest innerhalb des AdH – nur diejenigen teilnehmen, die nach dem Grad der Qualifikation zu den besten 160 Be- werbern zählen.9
Schließlich werden auch die Studienanfängerplätze in den vielen – inzwischen die Regel bildenden – zulas- sungszahlenbegrenzten Studiengängen außerhalb des bundesweiten zentralen Vergabeverfahrens, die mithin die Hochschulen selbst ausbringen, zu einem großen Teil über das Kriterium der Durchschnittsnote der HZB ver- geben. Die dabei bei den einzelnen Hochschulen gelten- den und oftmals anspruchsvollen Notengrenzen sind vielen Bewerbern zunächst kaum bekannt. So stellten sich die Grenznoten an der WWU Münster zum WS 2014/2015 (Stand nach Abschluss des Nachrückverfah- rens) in den nachgenannten Studiengängen wie folgt dar: Betriebswirtschaftslehre/Bac.: 2,1, Biologie/Zwei- Fach-Bachelor: 2,2, Kommunikationswissenschaft/Bac.: 1,8, Politik und Recht/Bac.: 2,4, Psychologie/Bac.: 1,3, Rechtswissenschaft/Staatsexamen: 1,9.10 Sogar bei der Auswahl der Bewerber um einen Platz in einem kapazi- tätsbegrenzten konsekutiven Masterstudiengang sehen sich Hochschulen berechtigt, rangrelevant neben dem Ergebnis und dem inhaltlichen Gehalt des vorausgegan- genen Bachelorabschlusses auch der Durchschnittsnote des schulischen Abschlusses Bedeutung zuzumessen.11 All dies belegt die zentrale Bedeutung der Durchschnitts- note der HZB für die Chance, den gewünschten Studien- platz zu erhalten, und zwar auch und gerade im Nachkommabereich.
Die zweite Säule der Vergabe von kapazitätsbegrenzt zur Verfügung stehenden Studienanfängerplätzen bildet die Auswahl nach der Wartezeit. Diese Wartezeit wird bestimmt durch die Zahl der seit dem Erwerb der HZB bis zum jeweiligen Semesterbeginn, auf den sich die Be- werbung bezieht, verstrichenen vollen Halbjahre. Die Wartezeit kommt allein durch Zeitablauf zustande, ohne
Medizin bei 1,2 und im Studiengang Zahnmedizin bei 1,6; vgl. https://medicampus.uni-muenster.de/7274.html. Hinzutritt das Erfordernis der Nennung dieser Hochschule in der 1. Ortspräfe- renz des Zulassungsantrags bei der Stiftung.
10 Vgl. www.uni-muenster.de/studium/bewerbung/bew_oert- lich_auswahl_ws_1415.html . Zu den Auswahlgrenzen des SS 2015 vgl. www.uni-muenster.de/studium/ bewerbung/ bew_ oertlich_auswahl_ss_15.html.
11 Vgl. VG Münster, Beschlüsse vom 17.11.2010 – 9 L 512/10 – und vom 3.11.2011 – 9 L 417/11 –, jeweils juris.
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 2 1
dass ein tatsächliches „Warten“ auf einen bestimmten Studienplatz – etwa durch eine semesterliche Wiederbe- werbung – verdeutlicht werden müsste. Von der Ge- samtzahl der Halbjahre wird die Zahl der Halbjahre ab- gezogen, in denen der Bewerber an einer deutschen Hochschule in einem anderen Studiengang eingeschrie- ben war. Hier besteht neben der Unkenntnis dieser „Parkstudienregelung“ selbst ein verbreiteter Irrtum da- rin anzunehmen, durch das Verstreichenlassen einer ge- wissen Wartezeit nach dem Erwerb der Hochschulzu- gangsberechtigung würde sich die Durchschnittsnote nach und nach rechnerisch verbessern, um dann schließ- lich der in der vorherigen Bewerbung nur knapp ver- passten Notengrenze in der Abiturbestenquote zu genü- gen. Das ist nicht der Fall. Die in den jeweiligen Aus- wahlquoten je nach Bewerberbeteiligung geltenden Grenzwerte sind strikt getrennt. Da allerdings in dem Auswahlverfahren des jeweiligen Semesters regelmäßig zahlreiche Bewerber dieselbe Wartezeit vorzuweisen ha- ben, wird zur Auswahl unter ihnen innerhalb der Warte- zeitquote als ein nachrangiges Auswahlkriterium wiede- rum auf die Durchschnittsnote der HZB abgestellt. Bei einer Ranggleichheit innerhalb der Abiturbestenquote ist die Wartezeit das erste nachrangige Auswahlkriteri- um, § 18 VergabeVO NRW.12
Die zurzeit in den Studiengängen des bundesweiten zentralen Vergabeverfahrens für eine Zulassung zum Wunschstudium erforderliche Wartezeit ist ernüch- ternd.13 Sie betrug zum WS 2015/2016 im Studiengang Medizin 14 Wartehalbjahre14 (mit einer nachrangig rele- vanten DN von 3,3), im Studiengang Tiermedizin 10 Wartehalbjahre (nachrangig DN von 2,2), im Studien- gang Zahnmedizin 12 Wartehalbjahre (nachrangig DN von 3,0) und im Studiengang Pharmazie 2 Wartehalbjah- re (nachrangig DN von 1,6).15
- 12 Aus Darstellungsgründen wird in diesem Beitrag schwerpunkt- mäßig die in Nordrhein-Westfalen geltende Normenlage zitiert. Diese ist jedoch mit der in den anderen Bundesländern vergleich- bar. Die auf das bundesweite zentrale Vergabeverfahren bezoge- nen Regelungen (§§ 1 – 22) der VergabeVO NRW werden wegen inhaltsgleicher Bestimmungen in den anderen Ländern auch als VergabeVO Stiftung bezeichnet; Übersicht zu den maßgeblichen Vergabeverordnungen der Länder s. bei www.hochschulstart.de/ index.php?id=4251 &L=1.
- 13 Eine ausführliche Bestandsaufnahme auch zu den Auswahlgren- zen in der Wartezeitquote enthält der Vorlagebeschluss gem. Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG des VG Gelsenkirchen – 6z K 4229/13 – vom 18.3.2014, juris.
- 14 Bei einer Regelstudienzeit dieses Studiums von 12 Semestern.
- 15 Vgl. Nachweis unter Fn. 6.
- 16 Vgl. Tabellenwerk der WWU Münster unter www.uni-muenster.de/studium/bewerbung/ bew_oertlich_auswahl_ws_1415.html. Die Auswahlgrenzen im SS 2015 sind, soweit überhaupt eine Studienaufnahme zum Sommersemester angeboten wurde, unter
Die Erfordernisse der Wartezeitquote in den Studien- gängen, die von den Hochschulen selbst in ihren örtli- chen Auswahlverfahren vergeben werden, sind oftmals auch nicht gering. So mussten Bewerber sechs Warte- halbjahre aufweisen, um zum WS 2014/2015 an der WWU Münster in dieser Quote einen Studienplatz im Bachelorstudium der Betriebswirtschaft oder im Studi- engang Kommunikationswissenschaft (Bac.) zu erhal- ten; für einen Studienplatz der Psychologie (Bac.) lag der Wert bei zehn Halbjahren (mit einer nachrangigen Durchschnittsnote von 2,7).16 An anderen Hochschulen ist die Situation ähnlich.17
Diese – für die Zukunft kaum geringer werdenden – Wartezeiterfordernisse zur Studienaufnahme in kapazi- tätsbegrenzten Studiengängen, namentlich in denen des zentralen Vergabeverfahrens, werfen für viele Bewerber nicht nur die Frage auf, ob solche zeitlichen Verschie- bungen überhaupt in die Lebensplanung eingestellt wer- den können, sondern auch die, wie man diese (langen) Zeiträume sinnvoll und zielführend überbrücken könn- te. Die Aufnahme einer fachnahen beruflichen Ausbil- dung18, die Ableistung eines freiwilligen sozialen Diens- tes oder sogar ein Ausweichen in das europäische Aus- land19 wird erwogen, stellt aber vielfach aus verschie- densten Gründen keinen gangbaren Weg dar.
II. Die Sonderanträge aus Härte- oder Benachteiligungsgründen
Damit rücken – nach Lektüre der hierfür umfangreich von der Stiftung bzw. den Hochschulen online zur Ver- fügung gestellten Informationen – die im Bewerbungs- verfahren offen stehenden Möglichkeiten, Sonderanträ- ge zu stellen, in den Fokus.
www.uni-muenster.de/studium/bewerbung/bew_oertlich_aus-
wahl_ss_15.html veröffentlicht.
17 Zu den Grenzwerten im Auswahlverfahren zum Wintersemester
2015/2016 an der Universität München vgl. www.uni-muenchen. de/studium/beratung/vor/studienplatz/ studienplatz/zulassungs beschr/ zulas_oertl/index.html; zu denen an der Universität Leip- zig vgl. http://www.zv.uni-leipzig.de/studium/ bewerbung/zu- lassungsbeschraenkung/oertliche-zulassungsbeschraenkung/nc- tabelle.html; Übersicht bundesweit und Links zu den jeweiligen Hochschulen unter www.auswahlgrenzen. de/37,1,universitaeten. html.
18 Das VG Gelsenkirchen hat in dem unter Fn. 13 genannten Be- schluss vom 18.3.2014 eine umfangreiche Übersicht eingestellt zu abgeschlossenen Berufsausbildungen in bestimmten medizinnah- en Berufen, die von einzelnen Hochschulen im AdH rangverbes- sernd berücksichtigt werden.
19 Vgl. insoweit etwa www.go-out.de/auslandslotse/moeglich- keiten/moeglichkeiten/ de/ 18868-wege-ins-medizinstudium (27.9.2015).
22 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
1. Härtefallanträge
Hierzu zählt zum Einen ein ergänzend zu der regulären Bewerbung möglicher Antrag auf eine Anerkennung als Härtefall. Ein solcher Härtefallantrag kann sowohl im bundesweiten zentralen Vergabeverfahren bei der Stif- tung als auch in den Zulassungsverfahren, die die Hoch- schule selbst – ggf. in einem Serviceverfahren20 – durch- führt, gestellt werden.21 Hiermit durchzudringen hat zur Folge, innerhalb der hierfür bestimmten (Vorab-) Quote sofort zum Wunschstudium zugelassen zu werden.22 Ein solcher Antrag kann allerdings bei zudem hohen forma- len und Darlegungs- sowie Nachweiserfordernissen in der Sache nur durchgreifen für Bewerber, für die es eine „außergewöhnliche Härte“ bedeuten würde, wenn sie für den genannten Studiengang keine sofortige Zulas- sung erhielten. Eine außergewöhnliche Härte liegt vor, wenn „in der eigenen Person liegende besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Stu- diums zwingend erfordern“.23 Nach der Rechtsprechung ist hier eine strenge Betrachtungsweise geboten. Die Zulassung im Härtewege führt nämlich nach dem gel- tenden Vergabesystem zwangsläufig zur Zurückweisung eines anderen, noch nicht zugelassenen Mitbewerbers.24 Zu beachten ist die Funktion, die derartigen Härtefallre- gelungen in Übereinstimmung mit der höchstrichterli- chen Rechtsprechung25 nach dem Verständnis des Normgebers zukommen soll. Sie sollen „im Lichte des Gleichheitssatzes die Funktion haben, innerhalb des notwendigerweise schematisierenden Auswahlsystems für Massenverfahren einen Ausgleich für die mit dem System selbst verbundenen Unbilligkeiten im Einzelfall der Studienzulassung zu schaffen“.26 Die hierzu von der Stiftung herausgegebenen Hinweise27 zu dem dortigen „Sonderantrag D“ entsprechen dem von der Rechtspre-
- 20 Vgl. § 27 VergabeVO NRW.
- 21 Eine Übersicht zu den landesrechtlichen Regelungen zu Härte-fallanträgen bei der Zulassung zu Masterstudiengängen wurde vom Deutschen Studentenwerk unter www.studenten werke. de/de/zulassungsverfahren-im-masterstudium in das Internet eingestellt.
- 22 Vgl. § 32 Abs. 2 S. 1 Hochschulrahmengesetz, Art. 9 Abs. 1 Nr. 1 StV 2008, §§ 6 Abs. 2, 15 VergabeVO NRW.
- 23 Art. 9 Abs. 3 StV 2008, § 15 S. 2 VergabeVO NRW; s. auch § 32 Abs. 2 Nr. 1 HRG.
- 24 Vgl. Art. 9 Abs. 2 S. 4 StV 2008, § 6 Abs. 6 S. 1 VergabeVO NRW, wonach die in der Härtefallquote verfügbar gebliebenen Studien- plätze sodann in der Wartezeitquote vergeben werden.
- 25 Vgl. BVerfG, Urteil vom 8.2.1977 – 1 BvF 1/76 u. a. („Numerus Clausus II“), BVerfGE 43, 291, 378.
- 26 Vgl. hierzu etwa: Humborg, Die Vergabe von Studienplätzen durch die ZVS, DVBl. 1982, 469; Becker/Hauck, Die Entwicklung des Hochschulzulassungsrechts bis 1982, NVwZ 1983, 204, 206 f. sowie NVwZ 1985, 316, 319; Hauck, Neues Recht zur Studi- enplatzvergabe, NVwZ 1986, 348, 350; Denninger, HRG, § 32
chung insbesondere des VG Gelsenkirchen und des OVG NRW in ständiger Spruchpraxis angelegten Prü- fungsmaßstab. Bei diesen Gerichten sind die Streitsa- chen um Studienzulassung in Studiengängen des bun- desweiten zentralen Vergabeverfahrens, soweit die Stif- tung dort eigene Zulassungsentscheidungen trifft, konzentriert.28 Die Hochschulen haben die Hinweise der Stiftung zu den Anforderungen bei Härtefallanträgen für die in ihrer Zuständigkeit liegenden Zulassungsentschei- dungen inhaltsgleich oder jedenfalls in der Sache über- nommen.29 Danach kann etwa eine außergewöhnliche Härte i. S. d. § 15 VergabeVO NRW angenommen wer- den, wenn der Bewerber nachweist, dass er an einer ernsthaften Erkrankung mit Verschlimmerungstendenz leidet, die dazu führen wird, dass mit hoher Wahrschein- lichkeit in Zukunft die Belastungen des Studiums in die- sem Studiengang nicht durchgestanden werden können. Auch weitere Erkrankungen oder Behinderungen kön- nen unter engen Voraussetzungen, etwa einem aus die- sen Gründen folgenden persönlichen Unvermögen, eine Wartezeit sinnvoll überbrücken zu können, einen sol- chen Sonderantrag tragen. Der Nachweis muss inner- halb der als Ausschlussfrist30 ausgestalteten Bewer- bungsfrist – einschließlich einer etwaigen Nachfrist zur Ergänzung von Antragsunterlagen – erbracht werden. Die Anforderungen an den Nachweis einer hier beacht- lichen gesundheitlichen Beeinträchtigung sind jedoch so hoch, dass sich ein Bewerber glücklich schätzen sollte, sich nicht in einer derartigen Lebenslage zu befinden. Die Darlegung, aus sonstigen persönlichen, insbesonde- re familiären oder sozialen Gründen die Anerkennung als Härtefall zu erreichen, ist nochmals schwieriger. Hier mag an die Situation gedacht werden, dass der Bewerber früher für diesen Studiengang eine Zulassung erhalten hatte, es ihm jedoch aus zwingenden, etwa schwerwie-
Rn. 7 ff.; Reich, HRG, § 32 Rn. 3 ff.
27 www.hochschulstart.de/index.php?id=hilfe1010 sowie zusam-
menfassend unter www. hochschulstart.de/fileadmin/downloads/
Merkblaetter/m07.pdf.
28 Vgl. § 52 Nr. 3 S. 4 und 5 VwGO.
29 Vgl. etwa: www.hu-berlin.de/de/studium/behinderte/bewerbung/
bewerb (HU Berlin); www3.uni-bonn.de/studium/im-studium/ besondere-anliegen-unterstuetzungsangebote/ studieren-mit- handicap/bewerbung-und-zulassung/d‑antrag-auf-sofortige- zulassung-in-der-quote-fuer-faelle-aussergewoehnlicher-haerte- haertefallantrag (U Bonn); http://immaamt. verwaltung.uni-halle. de/bewerbung/sonderantraege/ sowie www. verwaltung.uni-halle .de/dezern2 /forms/h%C3%A4rtefallantrag.pdf (U Halle); www. uni-regensburg.de /studium/handicap/ zulassung-studium/ studienplatzvergabe-stiftung-hochschul zulassung/ sonderant- raege/index. html (U Regensburg); www.studienangelegenhei- ten. uni-wuerz burg.de/fileadmin/32020000/ Ref_2.2_-_SG_1/ Bewerbunghilfe/Anf_Haerte.pdf (U Würzburg).
30 Vgl. Art. 12 Abs. 1 Nr. 3 StV 2008, § 3 Abs. 7 VergabeVO NRW.
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 2 3
genden gesundheitlichen Gründen unmöglich war, diese Zulassung auszunutzen.
Gemessen hieran drängt sich auf, dass die Nachfolge- frage für die Landarztpraxis31 oder für die Apotheke nicht über einen Härtefallantrag gelöst werden kann. Dasselbe rechtliche Schicksal teilen die meisten sonst von den Bewerbern als außergewöhnliche Härte begrif- fenen Lebenssachverhalte, und zwar unabhängig davon, ob die angeführten Gründe mit oder ohne eine – subjek- tiv nachvollziehbare – Aggravierung vorgebracht wer- den. Einer Kompensation erlittener Schicksalsschläge dient die Härtefallregelung in ständiger Rechtsprechung jedenfalls nicht. Auch dient sie nicht der Heilung oder Linderung psychischer Erkrankungen oder Depressio- nen32, und zwar gleichgültig, ob deren Ursachen gerade in der Enttäuschung liegen, auf lange Zeit nicht das Wunschstudium aufnehmen zu können, oder ob sie auf anderen Umständen beruhen.33 Auch kann nach dem Quotensystem des Staatsvertrages und der VergabeVO selbst eine langjährige Wartezeit auf den gewünschten Studienplatz, die man mit den konkurrierenden Bewer- bern der Wartezeitquote teilt, als solche keinen individu- ellen und außergewöhnlichen Härtefall begründen. Die Funktion eines quasi automatischen Einrückens der Gruppe langjährig Wartenden in die Härtefallquote hat der Normgeber der individuell ausgebildeten Härtefall- regelung nicht zugewiesen.
2. Anträge auf einen Nachteilsausgleich
Vor dem Hintergrund der äußerst geringen Erfolgsaus- sichten eines Härtefallantrags werden andere Sonderan- träge, gerichtet auf die Verbesserung der Zulassungs- chance im Bewerberfeld, in den Blick genommen. Dies sind nach derzeitigem Recht die Anträge, im Studienzu- lassungsverfahren im Wege des sog. Nachteilsausgleichs eine rechnerische Verbesserung der ausgewiesenen Durchschnittsnote der HZB – nachfolgend unter a) – oder der Wartezeit – nachfolgend unter b) – zu erwirken. Im Verfahren bei der Stiftung werden sie als Sonderan- träge E und F bezeichnet. Sie erfordern den Nachweis, aus in eigener Person liegenden, nicht selbst zu vertre-
- 31 Vgl. VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 8.7.2014 – 6z K 1383/14 – (Übernahme der Zahnarztpraxis des Vaters, auch zwecks Konsolidierung der finanziellen Gesamtsituation der Familie), juris.
- 32 Dies gilt selbst für den Fall, dass Suizidgedanken attestiert wor- den sind oder es bereits zu Suizidversuchen gekommen ist, vgl. Nachweise bei Humborg (Fn. 26).
- 33 Umfangreiche Nachweise zu der jüngeren Rspr. des VG Gel- senkirchen und des OVG NRW enthält die Entscheidung des VG Gelsenkirchen vom 18.3.2014 (Fn. 13); s. aus jüngster Zeit auch OVG NRW, Beschlüsse vom 11.12.2014 – 13 B 1207/14– (Depression und eine zu spät erkannte Hochbegabung) und
tenden Gründen gehindert gewesen zu sein, eine bessere als die in der HZB ausgewiesene Durchschnittsnote oder eine höhere als die aus dem Zeitpunkt des Erwerbs der HZB folgende Wartezeit zu erreichen.
Von der Möglichkeit, solche Anträge zu stellen, wird durchaus häufig Gebrauch gemacht. Nach Mitteilung der Stiftung vom 07.09.2015 an den Verfasser gab es in al- len in das zentrale Vergabeverfahren einbezogenen Stu- diengängen die nachfolgend aufgeführten Antragszah- len und Ergebnisse:34
Notenverbesserung Sonderantrag E
Anträge gesamt
Anträge anerkannt
Anträge abgelehnt
Wartezeitverbesserung Sonderantrag F
Anträge gesamt
Anträge anerkannt
Anträge abgelehnt
Wintersemester Sommersemester 2014/15 2015
898 256
125 59
773 197
Wintersemester Sommersemester 2014/15 2015
693 212
99 34
594 178
Die auf einen Nachteilsausgleich gerichteten Sonder- anträge finden ihre derzeitige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 S. 2 des Staatsvertrages vom 5.6.2008, den hierauf bezogenen Ratifizierungsgesetzen35 sowie den ausfüllen- den gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelungen der Länder, die jeweils Einzelbestimmungen, getrennt nach dem Ziel einer Verbesserung der Durchschnittsnote der HZB oder der Wartezeit, enthalten. In NRW sind dies § 11 Abs. 5 sowie § 14 Abs. 3 VergabeVO NRW. Sie bewir- ken im Falle des Erfolgs des hierauf bezogenen Sonder- antrags, dass der Bewerber in den jeweiligen Vergabe- quoten mit einer besseren Durchschnittsnote bzw. der höheren Wartezeit berücksichtigt wird. Der erfolgreiche Sonderantrag zum Nachteilsausgleich hat somit nicht zur Folge, dass damit stets und unmittelbar eine Zulas- sung für den betreffenden Studiengang im Bewerbungs- semester erfolgt. Er führt vielmehr zunächst allein zu ei- nem besseren Rangplatz und damit einer Chancenver-
vom 27.5.2015 – 13 B 522/15 (PTBS wegen traumatisierender Er- lebnisse im Heimatland), jeweils Rspr.-Datenbank NRWE unter www.justiz.nrw. de; VG München, Beschluss vom 30.4.2015 – M 3 E 14.5047 – (sofortiger Studienortwechsel), juris.
34 Der auf Anfrage des Verfassers erfolgten Sonderauswertung durch die Stiftung, der hierfür zu danken ist, wurde erläuternd angemerkt, dass sich unter den abgelehnten Anträgen beider An- tragsarten auch solche befanden, die aufgrund von Formfehlern abgewiesen wurden.
35 Nachweise zu den einzelnen Ländern bei VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 18.3.2014 (Fn. 13).
24 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
besserung. Ob dies in der jeweiligen Vergabequote letzt- lich für die Zulassung ausreicht, ist dann eine Frage der für das betreffende Bewerbungssemester gegebenen Konkurrenzsituation.
Ursprünglich waren die Grundlagen, einen Nach- teilsausgleich im Bereich der Durchschnittsnote der HZB oder der Wartezeit zu erwirken, nur teilweise nor- miert. Die seit dem Jahre 1973 maßgeblich gewesenen Normen, insbesondere die Regelungen in den älteren Staatsverträgen der Länder über die Vergabe von Studi- enplätzen36, sprachen generell in Gestalt eines unbe- stimmten Rechtsbegriffs die Situation einer „außerge- wöhnlichen Härte“ an und wiesen den damit erfolgrei- chen Bewerber der Vorabquote für Fälle außergewöhnli- cher Härte zu. Die damalige VergabeVO37 war ebenfalls generell gefasst, erwähnte allerdings in § 9 Abs. 3 Nr. 3 als Nachteilssituation jedenfalls „Zeitverluste bei der Auf- nahme des Studiums, die vom Bewerber nicht zu vertre- ten sind“. § 15 Abs. 3 Nr. 2 VergabeVO vom 10.05.1977 be- nannte als einen im Rahmen der Härtequote beachtli- chen Nachteil, wenn „Umstände in der Person des Be- werbers vorliegen, die dieser nicht zu vertreten hat und ihn gehindert haben, die Voraussetzungen für eine Zu- lassung im Rahmen der Auswahlquoten nach Qualifika- tion oder Wartezeit zu erfüllen“. Die Rechtsprechung systematisierte seinerzeit die normierte allgemeine Här- teklausel im Wege einer Unterscheidung zwischen „kau- salitätsabhängigen“ und „kausalitätsunabhängigen“ Här- tegründen. Die kausalitätsabhängigen Härtegründe soll- ten diejenigen Situationen im Wege eines Nachteilsaus- gleichs (sog. Handikap-Ausgleich) erfassen, in denen besondere Umstände in der Person des Bewerbers, die er nicht zu vertreten hat, ihn gehindert haben, entweder eine bessere Durchschnittsnote oder eine höhere Warte- zeit zu erreichen. Als relevante Härtegründe genügten dabei allerdings – wie sich aufdrängt – nur die, die den Bewerber insgesamt gesehen gehindert haben, die Aus- wahlgrenze des jeweiligen regulären Auswahlkriteriums zu erreichen. Das führte für die Studienbewerber, die solche kausalitätsabhängigen Härtegründe geltend machten, zu der Situation, dass im Vergabeverfahren
- 36 Vgl. Art. 11 Abs. 2 Nr. 1 STV 1972 und Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 StV 1978.
- 37 Vgl. § 9 VergabeVO ZVS vom 10.5.1973.
- 38 Vgl. hierzu ausführlich: Humborg a.a.O. (Fn. 26); kritisch zudieser Rspr. etwa Becker/ Hauck, Die Entwicklung des Hochschul- zulassungsrechts bis 1982, NVwZ 1983, 204, 206 f., dieselben in: Die Rechtsprechung des Hochschulzulassungsrechts im Jahre 1984, NVwZ 1985, 316, 319 f., Denninger, HRG, vor § 27 Rn. 59 und § 32 Rn. 7 ff.; vgl. auch Reich, HRG, § 32 Rn. 3 ff.
- 39 Vgl. Textnachweis und Kommentierung bei Bahro, Das Hoch- schulzulassungsrecht in der BRD, 2. Aufl. 1986.
und auch nachgehend bei der gerichtlichen Überprü- fung vielfach offen bleiben konnte, ob die angeführten Nachteileüberhauptbzw.indemreklamiertenUmfang anerkannt werden. Wenn nämlich der beantragte kausa- litätsabhängige Härtegrund, unterstellt die rechtlichen Voraussetzungen lägen in dem geltend gemachten Um- fang vor, den Bewerber schon nicht in den Bereich der jeweils maßgeblichen Auswahlgrenze der Regelquote anheben würde, war der Sonderantrag für die Zulas- sungsentscheidung unerheblich. Die kausalitätsunab- hängigen Härtegründe erfassten demgegenüber die Be- werber, deren sofortige Studienaufnahme in dem betref- fenden Studiengang wegen besonderer Umstände in ih- rer Person als zwingend erforderlich erschien.38
Seit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages vom 14.06.198539, parallel zum Zweiten Gesetz zur Änderun- gen des HRG vom 28.03.198540 und auch zu der Ände- rungen in der ländereinheitlichen VergabeVO ZVS41, sind die Härtefallregelung und die Bestimmungen zu ei- nem Nachteilsausgleich normativ getrennt worden. Art. 12 StV 1985 regelte in seinem Abs. 3 S. 2 erstmals den Nachteilsausgleich bei der Durchschnittsnote bzw. der Wartezeit eigenständig dahin, dass Bewerber, die dies er- folgreich in Anspruch nehmen, mit dem jeweils dann nachgewiesenen Wert am Vergabeverfahren in den Re- gelquoten beteiligt werden. § 14 Abs. 3 und § 17 Abs. 3 VergabeVO ZVS 1985 setzten dies auf Verordnungsebene entsprechend um. Hierbei ist es bis heute42 geblieben, was auch systemgerecht ist.
a) Der Sonderantrag „Verbesserung der Durchschnitts- note der Hochschulzugangsberechtigung“
Die Beurteilung eines auf eine Verbesserung der Durch- schnittsnote der HZB gerichteten Sonderantrags im zen- tralen und auch in den von den Hochschulen durchzu- führenden Vergabeverfahren für kapazitätsbeschränkte Studiengänge erfordert, sich zunächst den Gegenstand und den Kontext präsent zu machen, auf den sich ein solches Begehren bezieht. Das ist in den meisten Fällen die Durchschnittsnote, die aus dem Abiturzeugnis43 nach dem erfolgreichen Abschluss der gymnasialen
40 BGBl. I 605.
41 Z.B. in NRW vom 2.9.1985.
42 Nunmehr § 11 Abs. 5 (Nachteilsausgleich HZB) und § 14 Abs. 3
(Nachteilsausgleich Wartezeit) der VergabeVO NRW i.d.F. vom 1.4.2014 für das zentrale Vergabeverfahren; über den Verweis in § 23 Abs. 2 S. 1 VergabeVO NRW auch maßgeblich für das örtliche Vergabeverfahren durch die Hochschule.
43 Auf die weiteren den Hochschulzugang ermöglichenden schuli- schen und außerschulischen – auch ausländischen – Bildungswe- ge soll hier aus Gründen der Darstellung nicht weiter eingegan- gen werden.
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 2 5
Oberstufe44 folgt. In diesem Abiturzeugnis, einer von der Schule ausgestellten Urkunde, werden die vom Schüler in den beiden Abschlussjahren der gymnasialen Ober- stufe – dem 1. und 2. Jahr der sog. Qualifikationsphase – in den einzelnen Kursen bzw. Fächern und weiter die in der Abiturprüfung erbrachten Leistungen bewertet aus- gewiesen. Die auf die einzelnen Aufgabenfelder45 der gymnasialen Oberstufe bezogenen Leistungen werden dabei in ein Punktesystem einbezogen und führen zu der Gesamtqualifikation und der zugleich ausgewiesenen Durchschnittsnote. Die Umrechnung der Gesamtpunkt- zahl des Abiturs in die Durchschnittsnote – auf eine Stel- le nach dem Komma – ist in der Anlage 2 zu § 11 Abs. 3 Satz 1 VergabeVO NRW geregelt. Eine nur geringfügige Erhöhung der Gesamtpunktzahl durch eine Punktever- besserung in einem Fach/Kurs oder in mehreren Fächern/Kursen führt nicht stets zu einer Verbesserung der Durchschnittsnote der HZB im Nachkommabereich, da hier Punktespannen bestehen. Das Zeugnis und die für die einzelnen Leistungsbestandteile festgesetzten Kursnoten bzw. Punkte haben Verwaltungsaktqualität.46 Die durch Noten/Punkte im Abiturzeugnis ausgedrück- ten Leistungsbewertungen können mit Widerspruch und Klage angegriffen werden. Sie sind der Bestands- kraft fähig.
Das Zeugnis über den erfolgreichen Abschluss der in der Oberstufe schulisch vermittelten Bildung dokumen- tiert mit seinen Noten/Punktwerten und der ausgewie- senen Durchschnittsnote die „nachgewiesene“ Qualifi- kation für die Zulassung zu einem Hochschulstudium, § 27 Abs. 1 u. 2 HRG. An diese nachgewiesene Qualifika- tion knüpft die zu treffende Auswahlentscheidung in der Abiturbestenquote und in der Quote AhH unmittelbar an. Die in dem schulischen Zeugnis nachgewiesene Qua- lifikation basiert auf den in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung tatsäch- lich – „hic et nunc“ – erbrachten und entsprechend be- werteten Leistungen des Schülers. Das macht die recht- lich auch so gewollte Informations- und Beweisfunktion des Zeugnisses aus. Welche Leistungen der Schüler in-
- 44 Vgl. zu dessen Struktur: KMK „Sekundarstufe II/Gymnasiale Oberstufe“ mit Länderübersicht, www.kmk.org/bildung-schule/ allgemeine-bildung/sekundarstufe-ii-gymnasiale-oberstufe.html.
- 45 Dies sind die dem sprachlich-literarisch-künstlerischen, dem ge- sellschaftwissenschaftlichen und dem mathematisch-naturwissen- schaftlich-technischen Aufgabenfeld zuzuordnenden Unterrichts- fächer, die in den meisten Bundesländern jeweils Grund- oder Leistungskursen zugeordnet werden. Vgl. hierzu etwa Ministeri- um für Schule und Weiterbildung NRW, Die gymnasiale Oberstu- fe an Gymnasien und Gesamtschulen in NRW (2016), https://bro schueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/msw/ die-gymnasiale-oberstufe-an-gymnasien-und-gesamtschulen-
nerhalb der dem Abiturzeugnis zugrunde liegenden Ausbildungsphase nach seinen Anlagen, Fähigkeiten und sonstigen persönlichen Merkmalen, dh. unbeein- flusst von sich wie immer darstellenden äußeren oder in- neren Gegebenheiten, hätte erbringen können, ist nicht Gegenstand der Leistungsbewertungen eines schuli- schen Abschlusszeugnisses. Erst recht ist in den Leis- tungsbewertungen des Abiturzeugnisses kein Raum für die Berücksichtigung von etwa in den jeweiligen Kom- petenzbereichen für die Zukunft zu erwartenden Leistungsständen.47
Dieser Aussagegehalt der HZB zu den tatsächlich schulisch erbrachten Leistungen ist im Staatsvertrag und auch im Hochschulrecht des Bundes und der Länder bei der Ausgestaltung des Auswahlsystems ersichtlich als tragend zugrunde gelegt worden. Im zentralen bundes- weiten Verfahren wird für zwei der drei dortigen Verga- bequoten (Abiturbestenquote und Quote AdH) hieran unmittelbar angeknüpft. Innerhalb der Abiturbesten- quote und seiner Untergliederung nach Landesquoten ist die Durchschnittsnote der HZB das primäre rangbil- dende Kriterium. Innerhalb der Quote AdH hat sie je- denfalls die maßgebliche Bedeutung.48 In den örtlichen Vergabeverfahren der Hochschulen wird ebenfalls weit- greifend auf das Auswahlkriterium der Durchschnitts- note der HZB abgestellt. Den Normgebern ist dabei für das gefundene Regelungssystem zur Vergabe von Studi- enplätzen in Studiengängen mit Nachfrageüberhang be- wusst gewesen, dass die Abiturnoten und deren errech- neter Durchschnitt als alleiniges oder jedenfalls maß- gebliches Auswahlkriterium für diejenigen Vergabequo- ten, die hieran anknüpfen, durchaus problemhaltig sind.49 Diese Probleme folgen schon daraus, dass sich die schulische Leistungsbewertung – wie jede Leistungsbe- urteilung – stets als ein Wertungsakt mit einem hohen fachlichen Beurteilungsvorrecht der hierzu berufenen Lehrkräfte darstellt und einer stringenten objektivierba- ren Ableitung nicht vollständig unterliegt. Auch wird, was allseits bekannt ist, die Leistungserbringung selbst durch verschiedenste Rahmenbedingungen beeinflusst.
in-nordrhein-westfalen-informationen-fuer-schuelerinnen-und- schueler-die-im-jahr-2016-in-die-gymnasiale-oberstufe-eintre- ten/1651.
46 Allg. Auffassung, vgl. etwa: Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Aufl.
Rn. 1454; Avenarius, Schulrecht, 8. Aufl. , S. 432 Rn. 20.223; VG Aachen, Urteil vom 23.1.2009 – 9 K 902/07 -, juris, jeweils m.w.N.
47 Vgl. Avenarius, (Fn. 46), S. 431 Rn. 20.222 und S. 446 Rn. 20.412. 48 Dort allerdings nicht differenziert nach dem Land, in dem sie erworben wurde; vgl. zu den hier ansetzenden Bedenken VG
Gelsenkirchen a.a.O. (Fn. 13).
49 Vgl. hierzu bereits BVerfG, Urteil vom 18.7.1972 – 1 BvL 32/70
u.a. -, BVerfGE 33, 303 Rz. 92 (Numerus-Clausus I).
26 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
Diese können persönlicher oder sächlich/organisatori- scher Art sein. Auch war und ist den Normgebern be- kannt, dass Leistungsbewertungen, gerade was die in das Abiturzeugnis einbezogenen Noten/Punkte betrifft, von Land zu Land und weiter heruntergebrochen auch in- nerhalb eines Landes bis auf die Ebene der einzelnen Ge- meinde oder Schule nicht uneingeschränkt gleichförmig sind und dies auch nicht sein können. Das wird nicht zu- letzt dadurch belegt, dass § 32 Abs. 3 Nr. 1 HRG einen hierauf bezogenen Auftrag an die Länder zur Herstel- lung vergleichbarer Anforderungs- und Bewertungssys- teme innerhalb eines Landes und im Verhältnis der Län- der untereinander enthält. Solange es hieran – wie auch derzeit50 – fehlt, sind für die Auswahl in der Abiturbes- tenquote Landesquoten zu bilden. Art. 10 Abs. 1 S. 1 STV 2008 und §§ 12 und 13 VergabeVO setzen dies um. Damit konkurriert der Bewerber nur mit Mitbewerbern, die die HZB im selben Land erworben haben. Trotz all dieser Problemhaltigkeit legt der Normgeber des Vergabe- rechts51 jedoch – verfassungsrechtlich wohl unbedenk- lich – als tragend zugrunde, dass die Abiturdurch- schnittsnote auf der Basis erbrachter schulischer Leis- tungen ein valider Indikator zur Beurteilung der Studien- eignung des Bewerbers für den betreffenden Studien- gang ist. Sie soll zugleich implizieren, dass der durch die Höhenlage der HZB besonders qualifiziert ausgewiesene Bewerber im Stande ist, die Anforderungen in dem be- treffenden Studiengang in angemessener Zeit, vorzugs- weise in der Regelstudienzeit, zu bewältigen. Ausgehend von dieser Grundentscheidung zur Bedeutung der Durchschnittsnote der HZB ist sodann eine ergänzende Regelung dahin getroffen worden, dass unter besonde- ren individuell bezogenen Voraussetzungen eine rangre- levante Verbesserung der Durchschnittsnote vorzuneh- men ist. Hiermit wird ein strukturell von dem Grundan- satz abweichendes Element prognostischer Betrachtung eingebracht, nämlich die Berücksichtigung einer schuli- schen Leistungshöhe, die im Einzelfall bei Wegdenken bestimmter Hinderungsgründe möglich gewesenen wäre. Die Berücksichtigung einer rückschauend abgelei- teten hypothetischen Leistungshöhe erfolgt ausschließ- lich für das Vergabeverfahren.52 Schon dieser vor dem Hintergrund eines Regel-/Ausnahmeverhältnisses ste- hende Einschluss einer nur prognostisch ableitbaren Leistungshöhe in das Vergabesystem gebietet es, die Vo-
- 50 Vgl. Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 StV 2008.
- 51 Auch für die Vergabe von Studienanfängerplätzen in zulassungs-zahlenbegrenzten Studiengängen durch die Hochschule selbst,vgl. etwa § 23 Abs. 2 VergabeVO NRW.
- 52 Die aus dem Abiturzeugnis folgende Durchschnittsnote alssolche ändert sich natürlich nicht, vgl. klarstellend Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Informationen zum
raussetzungen einer Rangverbesserung in der Abitur- bestenquote, die sich unmittelbar zulasten der Mitbe- werber auswirkt, nur in Ausnahmefällen als gegeben an- zunehmen. Zugleich folgt hieraus, dass keine Umstände als im Rechtssinne „hindernd“ und damit als individuell ausgleichsbedürftig angesehen werden können, die der Normgeber bereits bei seiner Grundentscheidung für die Auswahl nach der Durchschnittsnote in den betref- fenden Quoten als systembedingt zu vernachlässigend bewertet hat. Die normative Herkunft der heutigen auf die Durchschnittsnote der HZB bezogenen Bestimmung zum Nachteilsausgleich aus der früher umfassenden Härtefallregelung bekräftigt diesen Befund.
Hiervon ausgehend stellen sich alle von den Bewer- bern und Bewerberinnen als Erschwernis geltend ge- machten Gründe, die sich auf die „Schullandschaft“, die Schulstruktur, das gegebene Bildungssystem in dem je- weiligen Land und auch auf die Rahmengegebenheiten in der einzelnen Schule beziehen, grundsätzlich nicht als individuell ausgleichsfähige Nachteile i.S.d. Art. 9 Abs. 3 S.2StV2008,§11Abs.5VergabeVONRWdar.Diessind beispielhaft53 folgende Gründe:
- behauptete Benachteiligung wegen des Besuchs ei- nes Gymnasiums eines bestimmten Typs (etwa bilingu- al) oder mit einer längeren oder kürzeren Schulzeit (G9 auf G8 oder Rückkehr zu G9);
- behauptete Benachteiligung wegen der Ablegung ei- nes Zentralabiturs, das nicht genügend Rücksicht auf das örtlich durchgeführte Curriculum nehme;
- behauptete Benachteilung wegen einer angeblich im Vergleich zu anderen Ländern generell schlechteren fi- nanziellen oder personellen bzw. sächlichen Ausstattung der Schulen;
- behauptete Benachteiligung wegen aus der Träger- schaft der Schule folgender Unterschiede in der Lernsituation;
- behauptete Mangelsituation an der besuchten Schu- le in personeller oder sächlicher Hinsicht mit Auswir- kungen auf das Lehrangebot der Oberstufe (reduziertes Angebot an Leistungskursen, mangelhafte Ausstattung bei Labor- und sonstigen Fachräumen, bei der Schüler- bibliothek, den Computerarbeitsplätzen mit Internetzu- griff, beim Sprachlabor; fehlende oder mangelhafte Auf- enthaltsräume im Ganztagsbetrieb, unzureichende oder
Sonderantrag Nachteilsausgleich für Spitzensportler bei einer Hochschulzulassung, s. www.ospbayern.de/cms/upload/Down- loads/Infoblatt_Nachteilsausgleich_ Zulassung_ zum_ Studium1. pdf.
53 Auch in Anknüpfung an die von der Stiftung bzw. den einzelnen Hochschulen in das Internet eingestellten Hinweise zum Nach- teilsausgleich.
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 2 7
fehlende Schulmensa, angeblich genereller Lehrerman- gel an der betreffenden Schule, hoher Kranken- oder sonstiger längerer Ausfallstand der Lehrkräfte mit ent- spr. Unterrichtsausfall, häufiger Einsatz von – ggf. fach- fremden – Vertretungslehrern);
- weiter und zeitraubender Schulweg wegen einer zent- ralörtlichen Lage der Schule, Zwang zur Nutzung öffentli- cher Verkehrsmittel oder eines Schülerspezialverkehrs;
- behauptete fachliche oder persönliche Defizite bei einzelnen Lehrkräften;
- behauptet mangelhaftes Angebot an individueller Förderung oder Unterstützung bei individuellen Leis- tungsdefiziten oder in anderen Problemsituationen (Mobbing, individuelle Ausgrenzung wegen eines per- sönlichen Andersseins, soziale Selektion innerhalb der Schülerschaft, Gruppenverhalten, mangelnder Ausgleich von unterschiedlichen familiären Rahmenbedingungen durch die Schule (Herkunft aus bildungsnahen, bil- dungsfernen oder finanziell unterschiedlich ausgestatte- ten Elternhäusern);
- angeblich allgemein schlechte Lernbedingungen an der besuchten Schule .
Für das letztere Beispiel könnte Abweichendes in Be- tracht kommen, wenn eine einzelne Schule etwa durch einen gravierenden Unglücksfall54 oder durch tiefgrei- fende Skandale55 lange Zeit an der Durchführung eines geordneten Schulbetriebs gehindert gewesen ist und sich dies nachweisbar auf den Leistungsstand des Bewerbers ausgewirkt hat.
Die vorstehend aufgeführten Gründe sind im Übri- gen regelmäßig zugleich solche, die nicht „in der eigenen Person“ des Bewerbers liegen, also dort nicht ihren Ur- sprung finden. Dass sie – jedenfalls reflexhaft – auf die persönliche schulische Leistungsfähigkeit eingewirkt ha- ben mögen, ist nicht maßgeblich.
Nicht durchdringen kann der Antragsteller mit der Begründung, die in die Berechnung der Durchschnitts- note eingegangenen Noten/Punkte der einzelnen Leis- tungsbereiche seien ungerecht oder sonst fehlerhaft ge- wesen. Etwaige Fehlbeurteilungen können oder konnten ausschließlich durch Rechtsbehelfe gegen diese Noten verfolgt werden. Eine erkennbare Erkrankung bei der je- weiligen Leistungserbringung (etwa in der Abiturprü-
- 54 Vgl. www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015–03/haltern-am- see-flugzeugabsturz-trauer.
- 55 Vgl. www.faz.net/aktuell/rhein-main/hessen/odenwaldschule- schliesst-eine-schule-am-boden-13560599.html.
- 56 Zumeist in der sog. Einführungsphase der gymnasialen Ober- stufe, vgl. Ministerium f. Schule u. Weiterbildung NRW, dort S. 5 (Fn. 45).
- 57 Vgl. bereits VG Mainz, Beschluss vom 27.4.2011 – 6 L 494/11.Mz –, juris.
fung) hätte einen Rücktritt von dieser Prüfung erfordert. Die in Kenntnis der Leistungseinschränkung gleichwohl vom Schüler durchgeführte Prüfung stellt sich als eine von ihm zu vertretende Risikoübernahme dar, die nicht über einen Nachteilsausgleich im Vergabeverfahren kompensiert werden kann. Gleiches gilt nach allgemei- nen prüfungsrechtlichen Grundsätzen für angeblich äu- ßere Störungen bei einer Leistungsüberprüfung.
Zahlreiche auch in der Rechtspraxis angeführte Nachteilsgründe scheitern an dem Erfordernis, dass der Bewerber ihre Ursache „nicht selbst zu vertreten“ haben darf. Vertretenmüssen bedeutet hier keine persönliche Vorwerfbarkeit oder gar ein Verschulden in eigener Sa- che. Maßgeblich ist, ob der angebliche Erschwernis- grund auf selbst oder zurechenbar durch Dritte (insbe- sondere den Erziehungsberechtigten) gesetzten Umstän- den beruht. So handelt es sich um einen zu vertretenden Umstand, wenn bei der Wahl der Grund- oder Leis- tungskurse Abschätzungen zu der eigenen Leistungsfä- higkeit oder Neigung eingeflossen sind, die sich später als zu optimistisch dargestellt haben. Das gilt auch unter Einschluss von dabei erfolgten schulischen Beratungen und Empfehlungen. Wählt der Schüler – bei entspre- chender Beurlaubung – einen Auslandsaufenthalt56 und tritt er nach Rückkehr sofort – also unter Anrechnung der Auslandszeit auf den „heimischen“ Bildungsweg – in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe ein in der von der Schule mitgetragenen Erwartung, danach nahtlos an einen vorherigen hohen Leistungsstand an- knüpfen zu können, ist es vom Schüler zu vertreten, wenn diese Erwartung sich später nicht realisiert. Die Entscheidung, im Verlauf des Schulbesuchs eine Klasse oder Jahrgangsstufe zu überspringen57, ist – wie andere Maßnahmen der Akzeleration auch – stets vom Schüler zu vertreten.58 Wird in solchen Fällen später angeführt und sogar schulisch attestiert, es habe ihm in einzelnen Kursen im Vergleich mit den älteren Mitschülern an der erforderlichen Reife und Lebenserfahrung gefehlt, um sein Leistungspotential voll auszuschöpfen, so ist dies für einen Nachteilsausgleich rechtlich unergiebig.
Wird neben der Schule ein zeitintensiver Leistungs- sport betrieben und kommt es infolgedessen zu schuli- schen Defiziten, sollten sie denn überhaupt nachvoll- ziehbar durch ein Schulgutachten belegbar sein59, so ist
58 Vgl. VG Münster, Beschluss vom 29.4.2015 – 9 L 578/15 –, juris. 59 Vgl. Gemeinsame Erklärung von KMK, Sportministerkonferenz,
Deutschem Olympischen Sportbund und HRK vom 26.2.2008 (dort 1.1) unter www.hrk.de/ uploads/tx_szconvention / Erklaerung__Hochschulstudium_und_Spitzensport.pdf; s. auch Antwort der Niedersächsischen Landesregierung vom 18.11.2003 auf eine kleine Anfrage vom 2.8.2013, LT-Ds 17/933.
28 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
dies ein selbst zu vertretender Umstand, der einen Nach- teilsausgleich nicht rechtfertigt.60 Soweit nach der Ver- waltungspraxis der Stiftung61 ein Nachteilsausgleich bei „Zugehörigkeit zum A‑, B‑, C- oder D/C‑Kader der Bun- dessportfachverbände von mindestens einjähriger unun- terbrochener Dauer während der letzten drei Jahre vor Erwerb der HZB“ dem Grunde nach wegen eines hier of- fenbar gesehenen öffentlichen (nationalen) Interesses gewährt wird, dürfte dies mit dem geltenden Recht nicht vereinbar sein. Auch dieser Personenkreis betreibt den Spitzensport keinesfalls zwangsweise, sondern aufgrund eigener Entscheidung.62 Derartige auf ein besonderes öf- fentliches Interesse bezogene Tätigkeiten63 eines Studi- enbewerbers während seiner Schulzeit mögen bei einem von der Stiftung zu bescheidenden Sonderantrag (A), ge- richtet auf eine bevorzugte Berücksichtigung des ersten Studienortwunsches (§ 21 Abs. 3 VergabeVO NRW) auf der nach Auswahl durchzuführenden Verteilungsstufe, berücksichtigungsfähig sein, nicht jedoch beim Nach- teilsausgleich auf der Auswahlstufe.
Schließlich muss es sich bei den geltend gemachten Lebenssachverhalten um solche handeln, die „in der ei- genen Person“ des Antragstellers begründet sind. Die hierbei vorzunehmende Beurteilung ist nicht immer einfach, gerade wenn es sich um Problemlagen handelt, die im direkten persönlichen/familiären Umfeld des Schülers verortet sind.
Die Stiftung und ihr folgend auch die Hochschulen in den von ihnen selbst durchzuführenden Auswahlverfah- ren sehen regelmäßig folgende „besonderen familiären Gründe“ als „in der eigenen Person liegend“ und damit dem Grunde nach als berücksichtigungsfähig an:
- die Versorgung eigener minderjähriger Kinder in den letzten drei Jahren vor Erwerb der HZB;
- die Versorgung pflegebedürftiger Verwandter in aufsteigender Linie oder von Geschwistern in den letz- ten drei Jahren vor Erwerb der HZB;
- die Betreuung unversorgter minderjähriger Ge- schwister, die mit dem Bewerber in häuslicher Gemein- schaft lebten, während der letzten drei Jahre vor Erwerb der HZB;
- den Verlust eines Elternteils in den letzten drei Jah- ren vor Erwerb der HZB oder den Verlust beider Eltern- teile vor Erwerb der HZB, sofern der Bewerber zu die-
- 60 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2012 – 13 B 1396/12 –, juris.
- 61 Dieser folgend auch Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Fn. 50).
- 62 Offenlassend: OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2012 (Fn. 60); kritisch bereits Humborg, a.a.O., S. 474 (Fn. 26); s. auch VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 5.3.2015 – 6z K 3908/14 –
sem Zeitpunkt ledig war und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte;
- einen mehrmaligen Schulwechsel in den letzten drei Jahren vor Erwerb der HZB wegen Umzugs der Eltern.
Als grundsätzlich nicht durch Verbesserung der Durchschnittsnote auszugleichende Nachteile werden demgegenüber von der Stiftung und den Hochschulen behandelt:
- Mitarbeit während der Schulzeit im elterlichen Haushalt, Geschäft oder Betrieb, ohne dass eine Notlage hierzu gezwungen hat;
- Krankheit der Eltern;
- Zerwürfnis oder Scheidung der Eltern.
Als Handhabungs- und Beurteilungsrichtlinien dürf- ten die vorgenannten Kriterien zutreffen. Die Berück- sichtigung außergewöhnlicher Lebenssituationen, die auf den ersten Blick einer der vorgenannten negativen Fallsituationen zugehören, ist damit allerdings – bei ent- sprechendem Begründungsaufwand – nicht von vornhe- rein ausgeschlossen. Insbesondere wäre in der Situation der schwerwiegenden Erkrankung eines Elterteils, die in den letzten drei Jahren vor dem Erwerb der HZB eine in- tensive – jedenfalls ergänzende – persönliche Hilfeleis- tung durch das allein zur Verfügung stehende Kind er- forderlich machte, ein Nachteilsausgleich jedenfalls dem Grunde nach zu erwägen.
Was eigene Erkrankungen oder (Schwer-)Behinde- rungen des Bewerbers betrifft, dürfte es sich hierbei um die hauptsächlich beachtliche Fallsituation handeln, die einen Antrag auf Nachteilsausgleich in Bezug auf die Durchschnittsnote tragen kann. Auf die hierauf bezoge- nen Handhabungshinweise der Stiftung wird verwiesen. Hervorzuheben ist Folgendes: Es muss sich grundsätz- lich um eine schwerwiegende Erkrankung oder Behin- derung handeln, von der der Schüler innerhalb der letz- ten drei Jahre vor Erwerb der HZB betroffen war. Für zeitlich davor liegende Erkrankungen dürfte ein Kausali- tätsnachweis regelmäßig nicht erbracht werden können. Es muss sich um eine längere Erkrankung handeln. Eine Summierung kürzerer Erkrankungen wird nicht ausrei- chen, zumal hier die während der Schulzeit gegebenen
sowie Beschluss vom 30.9.2013 – 6z L 1229/13 –, sämtlich juris. Dort war allerdings der fehlende gutachterliche Nachweis der konkreten Leistungsbeeinträchtigung durch den für den Leis- tungssport zu erbringenden Zeitaufwand entscheidungstragend.
63 Weitere Beispiele unter Ziff. 4 der Handreichungen der Stiftung „Zulassungschancen können verbessert werden“, www.hochschul- start.de/fileadmin/downloads/Sonderdrucke/S07.pdf.
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 2 9
Möglichkeiten der schulischen Individualförderung als Kompensation krankheitsbedingter Fehlzeiten nicht vernachlässigt werden dürfen. Hierauf hat der Schüler Anspruch. Darauf, auf welchen Umständen die Erkran- kung beruhte, dürfte es nicht ankommen. Es sind jeden- falls keine Entscheidungen bekannt, einen krankheitsbe- dingten Nachteil in der Leistungserbringung deshalb nicht anzuerkennen, weil die Erkrankung auf selbst ge- setzten Umständen beruhte und deshalb von dem Schü- ler „zu vertreten“ sei.64
Bei allen in Betracht kommenden Situationen sind die hohen Nachweisanforderungen gegenüber der Stif- tung oder der Hochschule zu beachten.
Der Sonderantrag ist fristgebunden. Es handelt sich um eine strenge Ausschlussfrist.65 Innerhalb dieser Frist müssen alle zur Begründung vorgesehenen Nachweise vorgelegt werden. Wiedereinsetzungsmöglichkeiten in die Frist bestehen nicht. Ein Nachbringen von Unterla- gen nach Fristablauf, selbst von ergänzenden Erläute- rungen, ist damit ausgeschlossen. Das gilt auch für ein sich etwa anschließendes gerichtliches Verfahren. Die einzureichenden Unterlagen (zumeist mit Dienstsiegel zu versehene Kopien in amtlich beglaubigter Form), sämtliche relevanten Zeugnisse aus der Zeit vor dem Eintritt des Nachteilsgrundes bis zum Abitur, aussagefä- hige fachärztliche Bescheinigungen, das Schulgutachten und/oder ein Gutachten einer pädagogisch-psycholo- gisch ausgebildeten Person, müssen die zur Entschei- dung berufene Stiftung oder Hochschule aus sich heraus in den Stand setzen, die Begründung des Sonderantrags nachzuvollziehen und hierüber zu entscheiden. Eine Pflicht zur Amtsermittlung besteht nicht und wäre in ei- nem Massenverfahren mit striktem Zeitrahmen auch nicht möglich. Es besteht für die Stiftung oder die Hoch- schule keine Pflicht, auf die Vervollständigung unzurei- chender Unterlagen hinzuweisen. Das Schulgutachten sollte sich an die hierfür von der Stiftung bzw. die Hoch- schule verlautbarten Grundsätze halten. Es muss auf- grund einer eigenen schulfachlichen Beurteilung mit ei- ner konkret für geboten gehaltenen Notenverbesserung in den einzelnen Teilen des Abiturs und davon abgeleitet mit einer konkret höheren Gesamtpunktzahl der HZB und der dann gegebenen Durchschnittsnote abschlie- ßen. Die Anforderungen an die Begründung und die fachlich/pädagogische Ableitung steigen mit der Höhe der für richtig gehaltenen Verbesserung der Durch-
- 64 Zu denken wäre hier etwa an einen Medikamenten– oder Betäu- bungsmittelmissbrauch oder an einen schweren Unfall anlässlich einer Hochrisikosportart.
- 65 Vgl. § 3 Abs. 6 u. 7 VergabeVO NRW.
- 66 Etwa § 7 VOGSV oder § 31 OAVO Hessen, vgl. auch Hessisches
schnittsnote. Es ist ein strenger Maßstab bei der Frage anzulegen, ob tatsächlich eine bessere Durchschnittsno- te auf prognostischer Grundlage angegeben werden kann. Bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist im Schulgutachten auch zu erörtern, in welchem Maß diese bereits während der Schullaufbahn durch einem Nach- teilsausgleich bei der jeweiligen Leistungserbringung aufgefangen wurden oder hätten aufgefangen werden können.66 Die Entscheidung darüber, ob die Schule eine Begutachtung vornimmt, steht als nachgehende Oblie- genheit aus dem Schulverhältnis in ihrem pflichtgemä- ßen Ermessen.67 Sie kann es ablehnen, wenn sie die für die Begutachtung erforderlichen Kenntnisse über den Schüler, z.B. wegen nur kurzer Zugehörigkeit zur Schule, nicht besitzt. Auch dürfte sie die Begutachtung ablehnen können, wenn sie sich, was offenbar nicht selten ist, vom Schüler und/oder den Eltern massiv unter Druck gesetzt sieht, eine bestimmte Notenverbesserung gutachterlich zu attestieren.
Sind die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Verbesserung der Durchschnittsnote der HZB im Auswahlverfahren gegeben, ist dem Antrag in dem für zutreffend gehaltenen Umfang zu entsprechen. Die Entscheidung hierüber trifft die Stiftung für Hochschul- zulassung im bundesweiten zentralen Vergabeverfahren jedenfalls für die Abiturbestenquote. Hierfür ist sie allein zuständig. In den nicht in das zentrale Vergabeverfahren einbezogenen Studiengängen – gleichgültig, ob im sog. Serviceverfahren oder nicht – ist die Hochschule zur Entscheidung berufen. Für die Vergabe der Studienplät- ze des AdH ist die Hochschule zuständig. Die Stiftung wird insoweit lediglich von den Hochschulen beauftragt, gewisse organisatorischen Hilfestellungen zu erbringen und die Zulassungs- oder Ablehnungsbescheide in Be- zug auf diese Quote im Namen und im Auftrag der Hochschule zu versenden. Hieraus folgt, dass die Hoch- schule nach der rechtlichen Ordnung berufen ist, auch über den Sonderantrag auf Verbesserung der Durch- schnittsnote im AdH zu entscheiden. Hiervon wiederum hängt je nach Ausgestaltung bei der einzelnen Hoch- schule die notengesteuerte Einladung zu Auswahlge- sprächen oder Tests ab. Die VergabeVO NRW geht aller- dings, wie § 10 Abs. 3 Nr. 3 verdeutlicht, davon aus, dass die Beurteilung zu einem Nachteilsausgleich bei der HZB (§ 11 Abs. 5 VergabeVO NRW) einheitlich von der Stiftung vorgenommen wird. Diese hat nämlich der
Kultusministerium, Erlass vom 17.12.2014, www.og-eschwege. de/ julio/sites/default/files/erlass_schulgutachten_17._de zem- ber_2014.pdf.
67 Vgl. Stiftung, Zulassungschancen können verbessert werden (Fn. 63).
30 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
Hochschule für das AdH die nach § 11 Abs. 3 bis 5 Verga- beVO NRW ermittelte Durchschnittsnote des Bewerbers zu übermitteln. Eine einheitliche Entscheidungszuwei- sung der Stiftung wegen einer Notenverbesserung wäre verwaltungspraktisch sicher naheliegend und würde auch deren umfassende Erfahrung berücksichtigen. Die Hochschulen haben hierzu – soweit ersichtlich jedenfalls teilweise68 – auch korrespondierende eigene Satzungsre- gelungen getroffen, wonach für das AdH die Stiftung die Feststellung zu einer Notenverbesserung trifft. Aller- dings dürften solche Regelungen nur die Rechtsbezie- hung zwischen der Hochschule und der Stiftung betref- fen. Im Außenrechtsverhältnis zum Bewerber ändert dies wohl nichts daran, dass die jeweilige Hochschule – ggf. mit Hilfe der Stiftung – die Entscheidung zu einem Nachteilsausgleich wegen der DN im AdH zu treffen hat und ein sich anschließendes Rechtsschutzgesuch wegen dieses Nachteilsausgleichs gegenüber der Hochschule als sachliche Streitgegnerin zu führen ist.69 Eine Beiladung der Stiftung zu diesen gegen die Hochschule gerichteten gerichtlichen Verfahren ist weder geboten noch sonst er- forderlich. Eine bestandskräftig gewordene Entschei- dung der Stiftung zu Anträgen auf Nachteilsausgleich in- nerhalb der Abiturbestenquote entfaltet keine Bindungs- wirkung in dem gegen die Hochschule geführten Ver- fahren. Das gilt bei Streitigkeiten über die Beteiligung an einer notengesteuerten Zulassung zu Auswahlgesprä- chen und Testverfahren innerhalb des AdH in gleicher Weise.
Zu beachten ist ferner, dass ein Sonderantrag auf ei- nen Nachteilsausgleich zu jedem Bewerbungssemester neben dem Hauptantrag auf Zulassung erneut gestellt werden muss, und zwar wiederum fristgerecht mit allen erforderlichen Unterlagen. Eine in einem vorausgegan- genen Bewerbungssemester zum Sonderantrag positiv er- gangene Entscheidung70 entfaltet keine Feststellungs- und Bindungswirkung für nachfolgende Vergabeverfahren.
b) Der Sonderantrag „Verbesserung der Wartezeit“
Auch ein solcher je nach Entscheidungszuständigkeit bei der Stiftung bzw. bei der Hochschule anzubringender
- 68 Vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 der Satzung der WWU Münster für das Auswahlverfahren im Studiengang Medizin vom 5.5.2014, Abl. 2014, 1080 sowie www.uni-muenster.de/ imperia/ md/content/ wwu/ab_uni/ab2014/ausgabe17/beitrag04.pdf.
- 69 Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 29.9.2014 – 6z L 1244/14 – und vom 30.9.2014 – 6z L 1243/14 – sowie Gerichtsbescheid vom 5.3.2015 – 6z K 3908/14 –, jeweils juris.
- 70 Eine solche Entscheidung ist dort ein lediglich unselbständiges Element der Zulassungsentscheidung für jenes Bewerbungsse- mester gewesen und hat deshalb nicht den Rechtscharakter eines eigenständigen Verwaltungsaktes; s. hierzu und zur – verneinten
Sonderantrag bezieht sich im Ausgangspunkt auf einen hypothetischen Geschehensablauf. Er betrifft die Frage, ob der Studienbewerber seine Hochschulzugangsbe- rechtigung früher als tatsächlich geschehen hätte erwer- ben können. Hierzu wird von den Antragstellern in ihren Sonderanträgen ein – teilweise sehr subtiler – Zeit- vergleich vorgenommen zwischen einer „idealtypisch“ auf eine Hochschulzugangsberechtigung ausgerichteten schulischen Karriere, bestehend aus einem verzöge- rungsfreien Durchlaufen der Primarstufe, der Sekundar- stufe I und schließlich der Sekundarstufe II (der gymna- sialen Oberstufe) bis zum Abitur einerseits und dem in der eigenen konkreten Vita gegebenen Schulablauf ande- rerseits. Ein festzustellender zeitlicher Mehrbedarf, gemessen in Halbjahren, kann verschiedenste Gründe haben. Zu denken ist hier an individuell längere Schul- besuchszeiten aufgrund einer (oder mehrerer) Wieder- holungen von Klassen oder Jahrgangsstufen wegen Nichtversetzung, einer – ggf. antragsentsprechenden – schulischen Entscheidung über das Zurücksetzen eines Schülers oder eines sog. Rücktritts in die vorherige Klas- seoderStufe.DerartigeEntscheidungeninderSchullauf- bahn sind in den schulrechtlichen Vorschriften auf Lan- desebene in hoher Zahl geregelt.71 Zeitliche Verzögerun- gen können ferner darauf beruhen, dass eine zum Abitur führende Schullaufbahn zunächst in einer bestimmten Schulform – oder auch insgesamt – abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in derselben oder über einen anderen Bildungsweg aufgenommen wurde.
Schließlich können zeitliche Differenzen dadurch be- rechnet werden, dass vorgebracht wird, der Bewerber hätte die reguläre Schullaufbahn durch eine vorzeitige Einschulung bzw. durch „Überspringen“ einzelner Klas- sen oder Stufen individuell verkürzen können.72 Diese Möglichkeiten seien in Verkennung einer bestehenden Hochbegabung seinerzeit zu Unrecht nicht ergriffen worden. Mit diesem Ansatz wird aber keine als Nachteil ausgleichsfähige Zeitverzögerung anzuerkennen sein. Abgesehen von dem kaum möglichen Nachweis damali- ger gravierender Fehleinschätzungen der Eltern bzw. der Schule, derartige antragsbedürftige Maßnahmen der
– Frage, ob ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zum Gegen- stand eines vorbeugenden Rechtsschutzgesuchs gemacht werden kann: VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 5.3.2015 – 6z K 3908/14 –, juris, m.w.N.
71 Vgl. für NRW etwa: VO über den Bildungsgang in der Grund- schule – AO-GS – , VO über Ausbildung und die Abschluss- prüfungen in der Sekundastufe I – APO-SI –; VO über den Bil- dungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe – APO-GOSt –, jeweils BASS 2015/2016.
72 Allgemein hierzu Avenarius, Schulrecht, Rn. 20.232 S. 435 (Fn. 46).
Maier · Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen 3 1
Akzeleration überhaupt in den Blick zu nehmen, dürfte eine intellektuelle Hochbegabung, soweit später festge- stellt, als solche keine validen Rückschlüsse auf den Ver- lauf – und Erfolg – der Schulkarriere zulassen.73 Eine Vorversetzung ist schulrechtlich nur dann vorgesehen, wenn zu erwarten ist, dass der Schüler die Lernanforde- rungen der nächsthöheren Klasse oder Stufe wird erfül- len können. Ist dies seinerzeit nicht erwogen worden, dürfte es sich zudem vom elterlichen Bestimmungsrecht erfasste und damit vom Bewerber zu vertretende Um- stände handeln. Gleiches gilt für die Behauptung, man sei zu Beginn der gymnasialen Oberstufe aus familiären Traditionsgründen zu einem Auslandsaufenthalt mehr oder weniger gezwungen worden, woraus sich eine an- schließende Verzögerung in der Fortführung der Schullauf- bahn ergeben habe.
Soweit Verzögerungen vereinzelt damit begründet wurden, der Bewerber sei in der früheren DDR durch rechtsstaatswidrige Verfolgungen an der Fortführung seiner schulischen Ausbildung gehindert gewesen74, dürfte es sich um zeitlich auslaufende Situationen han- deln. Die Problemlage könnte in anderem Zusammen- hang, nämlich bei (nunmehr deutschen) Studienbewer- bern mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund, wie- der aktuell werden.
Die Frage, ob und unter welchen Nachweisanforde- rungen Aussiedler, die in der Bundesrepublik Deutsch- land – etwa wegen migrationsbedingter Sprachschwie- rigkeiten – nicht nahtlos an die Klasse anknüpfen konn- ten, in der sie sich bei Verlassen des Herkunftslandes be- fanden, einen Nachteilsausgleich beanspruchen können, ist bereits Gegenstand gerichtlicher Beurteilung gewesen.75
Soweit zeitliche Verzögerungen mit dem Durchlau- fen eines zweiten Bildungsweges76 begründet werden, ist § 14 Abs. 4 VergabeVO NRW zu beachten. Die dort ent- haltenen Privilegierungen des zweiten Bildungsweges sind auf Fälle begrenzt, in denen die HZB vor dem 16.7.2007 erworben wurde. Es handelt sich insoweit um auslaufendes Recht. Die in früheren Vergabeverordnun- gen bestimmten Regelungen zu Wartezeitberechnungen im Zusammenhang mit diesen Bildungswegen sind seit längerer Zeit außer Kraft. Vor dem Hintergrund des der- zeit geltenden Rechts kann damit ein zeitlicher Mehrauf-
- 73 Vgl. VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 5.3.2015 – 6z K 3908/14 –, juris.
- 74 Vgl. zu einer derartigen Antragsbegründung: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5.6.2012 – 6z L 287/12 –, juris.
- 75 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2012 – 13 B 1327/12 –, n.v.
- 76 Etwa im Wege des Erwerbs eines berufsqualifizierendenAbschlusses nach einem mittleren Bildungsabschluss und des
wand wegen eines solchen Bildungsweges nicht mehr weitergehend als in § 14 Abs. 4 VergabeVO NRW be- stimmt berücksichtigt werden.
Ist nach Prüfung eine relevante zeitliche Verzögerung festzustellen, kommt eine Berücksichtigung dieser Zeit im Wege des Nachteilsausgleichs nur in Betracht, wenn der Nachweis erbracht wird, dass sie auf Gründen be- ruht, die in der eigenen Person des Studienbewerbers lie- gen und von ihm nicht zu vertreten sind.
Auch hier sind hohe Anforderungen zu stellen. Im Vordergrund stehen schwere und lang dauernde gesund- heitliche Gründe (Erkrankungen oder Behinderung), die zu den zeitlichen Verzögerungen in der Schullauf- bahn geführt haben. Hierzu vorgelegte fachärztliche Gutachten und Bestätigungen der Schule müssen nach- vollziehbar sein. Insbesondere darf eine Nichtverset- zung, eine sonstige Wiederholung der Klasse oder Stufe oder sogar der Abbruch des Schulbesuchs nicht auf sei- nerzeit mangelbehafteten schulischen Leistungen oder auf sonstigen Entwicklungs- oder Erziehungsproblemen beruht haben. Mangelhafte schulische Leistungen kön- nen, müssen aber nicht krankheitsbedingt sein.77 Beru- hen schulische Defizite auf einem neben der Schule be- triebenen Hochleistungssport, so ist dies selbst zu ver- treten gewesen. Die als Begründung einer zeitlichen Ver- zögerung oder Unterbrechung der Schullaufbahn angeführte Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger oder die angebliche Zwangslage des Antragstellers, er habe wegen einer Notsituation im elterlichen Betrieb dort mitarbeiten müssen, bedarf jedenfalls eines umfassenden und detail- lierten Nachweises. Auf die hierzu von der Stiftung verlaut- bartenAnforderungenwirdergänzendhingewiesen.
Eine Entscheidung über einen Nachteilsausgleich wegen der Wartezeit kann unterbleiben, wenn der gel- tend gemachte Umfang der Verzögerung offenkundig für das aktuelle Vergabeverfahren in der Wartezeitquote zu keiner Zulassung führen kann.
III. Zusammenfassung
Auf der Grundlage des geltenden Vergaberechts und der hierauf bezogenen Rechtsprechung muss nach alledem konstatiert werden, dass sich die Hoffnungen, die ein Studienbewerber oder eine Studienbewerberin in die
anschließenden erfolgreichen Besuchs eines Kollegs oder Abend-
gymnasiums.
77 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.6.2011 – 13 B 514/11 –, VG
Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 12.4.2012 – 6z L 304/12 – und vom 8.4.2013 – 6 L 326/13 –, jeweils juris.
32 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 19–32
normativ eröffneten Möglichkeiten setzt, einen Härtefall geltend zu machen oder einen Nachteilsausgleich anzu- streben, nur in ganz besonderen Lebenssituationen und bei einem umfassenden Nachweis der zugrunde liegen- den Umstände erfüllen können. Dies entspricht dem Ausnahmecharakter, den der Normgeber diesen Bestim-
mungen im System des Rechts der Studienplatzvergabe zugewiesen hat.
Hartmut Maier ist Vorsitzender Richter der u.a. mit Studienzulassungsverfahren befassten 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Münster.