„Wer den Universitätslehrer auf solche Weise betrachtet, wird nicht verkennen, daß derselbe fortwährend mit einer ganz außerordentlichen Geistesanstrengung, einem beharrlichen unermüdeten Fleiß seine Aufgabe verfolgen müsse. Gar oft wird aber dabei dessen Bemü- hung höchst unerfreulich, von der größten Unannehm- lichkeit begleitet. Nicht wie der Künstler und Dichter schafft er sein Ideal und bildet unabhängig sein Werk. Er bewegt sich vielmehr in der aufgethürmten Masse der Literatur, wo kostbare Schätze unter eckelhaften Plunder versteckt liegen, den er oft tagelang durchwühlen muß, um jene zu finden.
Es ist daher kaum glaublich und doch wirklich wahr, daß noch immer manche Geschäftsmänner die An- nehmlichkeit des Lehramtes beneiden, weil der Profes- sor, wie sie meinen, des Tages nur ein paar Stunden ar- beitet, indem er nämlich seine Vorlesung hält, während sie sechs, acht Stunden im Büreau schreiben, registriren, ziffern müssen. Daher dann auch die bei uns sehr ver- breitete Meinung, man brauche einen aus ihrer Mitte nur auf den Lehrstuhl zu setzen, um sogleich den ausge- zeichnetsten Lehrer zu gewinnen. Jeder Einsichtsvolle weiß dagegen, wie viele Vorbereitung für ein tüchtiges Collegium nöthig ist und selbst dem sehr erfahrenen, lange geübten Docenten unentbehrlich. Die Zeit ist vor-
über, wo man vielleicht mit einem zierlich geschriebe- nen Hefte sein ganzes Leben hindurch ausreichte, und diebeygefügteRandglosse„hierwirdeinSpäßchenge- macht“, welches alljährlich an selbigem Platze wieder- hallt wurde, noch von Bedeutung sein konnte. Das ist aber gerade der wichtigste Punkt, der Professor erscheint nicht als Gelehrter allein, sondern ganz vorzugsweise als Lehrer, und hier in besonderer Eigenthümlichkeit. Die Schule muß einlernen, gleichsam einen Vorrath in den Zögling hineinlegen, die Universität des Zuhörers Pro- ductivkraft erregen, das Selbststudium erwecken, die Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit in dem Gemüthe des Studierenden erzeugen. Diese Aufgabe ist aber offen- bar höchst schwierig. Es gehört dazu ein besonderer Vortrag, für welchen selbst ein unermüdetes Studium, eine fortgesetzte Bemühung nöthig wird. Es muß der Lehrer mit ungestörter Heiterkeit, mit ruhiger Freude den Katheder besteigen können, er muß das geistige Ver- mögen Aller, Bedürfnis, Vorzüge und Mängel der Ein- zelnen möglichst erfaßt haben, wie ein wohlbekannter hochgeachteter Freund auftreten, stets bereit, der trocke- nen Lehre eine freundliche Seite abzugewinnen, ohne die Schwierigkeiten zu umgehen und in eckelhafte Ge- meinheit zu verfallen, Klarheit mit Reife, Schönheit mit Gründlichkeit zu verbinden.“
1 Anträge der Universität München „die Organisation derselben betreffend“ 1828, aus: Dickerhof, Dokumente zur Studiengesetzge- bung in Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1975) S 130 f.
Ausgegraben:
Idee und Selbstbewusstsein des Professors1
Ordnung der Wissenschaft 2014, ISSN 2197–9197
254 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2014), 253–254