Menü Schließen
Klicke hier zur PDF-Version des Beitrags!

Die Dis­ser­ta­ti­on „Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der „Anfecht­bar­keit juris­ti­scher (Staats-) Prü­fun­gen“ wur­de an der Uni­ver­si­tät Pas­sau erstellt. Betreut wur­de die­se Arbeit von Prof. Dr. Mül­ler-Terpitz.

I. Ein­füh­rung

Die Dis­ser­ta­ti­on geht ein­ge­hend der Fra­ge nach, ob und inwie­weit und mit wel­chen Mit­teln der Prüf­ling außer- gericht­lich und/oder gericht­lich – mit Aus­sicht auf Erfolg – gegen ihn belas­ten­de Prü­fungs­ent­schei­dun­gen vor­ge­hen kann.

Im Rah­men die­ser Unter­su­chung erfolgt eine Aus­ei- nan­der­set­zung mit dem ein­schlä­gi­gen mate­ri­el­len (Prü- fungs-) und Pro­zess­recht und vor allem des­sen Aus­le- gung und Anwen­dung in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur. Dabei wird auch die (Fort-) Ent­wick­lung der prü­fungs- recht­li­chen Dog­ma­tik seit der „Juris­ten­ent­schei­dung“ des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes vom 17.4.1991, die mit der Aner­ken­nung eines „Ant­wort­spiel­raums“ des Prüf­lings in Fach­fra­gen und der Not­wen­dig­keit einer ver­wal- tungs­in­ter­nen Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung (for- mal) zu einer wesent­li­chen Ver­bes­se­rung der Rechtsstel- lung des Prüf­lings geführt hat, auf­ge­zeigt. Hier wird nach­ge­wie­sen, dass die Umset­zung der Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes durch die instanz­ge­richt­li- che Recht­spre­chung in einer Art und Wei­se erfolgt ist, die im Ergeb­nis dazu führt, dass die heu­ti­ge Rechts­po­si- tion des Prüf­lings gegen­über dem sta­tus quo kaum ge- stärkt wor­den ist. Die Grün­de dafür wer­den eben­so auf- gezeigt wie mög­li­che Wege zu einer Ver­bes­se­rung der Rechts­stel­lung des Prüf­lings. Her­vor­zu­he­ben ist inso- weit die Neu­zie­hung der Gren­zen des Bewer­tungs­spiel- raums durch die Über­tra­gung des Modells der ratio­na- len Abwä­gungs­kon­trol­le auf das Prü­fungs­recht und die Ent­wick­lung abge­senk­ter bzw. gestei­ger­ter Anfor­de­run- gen für die Ein­lei­tung und Durch­füh­rung des Über­den- kungs­ver­fah­rens auf der Grund­la­ge einer neu­en Dogmatik.

II. Rechts­grund­la­gen des Juris­ten­aus­bil­dungs- und Prüfungsrechts

Nach einer Ein­füh­rung in den Gegen­stand und Gang der Unter­su­chung in den Kapi­teln 1 und 2, in wel­cher dem Leser im Wesent­li­chen mit­ge­teilt wird, dass sich deren Glie­de­rung an dem tat­säch­li­chen Ablauf einer Prü­fungs­an­fech­tung ori­en­tiert, wer­den im drit­ten Kapi- tel der Arbeit zunächst die Rechts­grund­la­gen des Juris- ten­aus­bil­dungs- und Prü­fungs­rechts vorgestellt.

1. Ver­fas­sungs­recht­li­che Grundlagen

Ent­spre­chend der Nor­men­hier­ar­chie wer­den zunächst die ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­la­gen des Prü­fungs­we- sens herausgearbeitet.

Als maß­geb­li­che Deter­mi­na­ti­ons­quel­len für des­sen ein­fach-recht­li­che Aus­ge­stal­tung sind hier die Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 Satz 1 sowie Art. 20 Abs. 3 GG zu benen­nen. Eine schlecht­hin kon­sti­tu­ie­ren- de Bedeu­tung kommt inso­weit dem Grund­recht der Be- rufsfreiheitzu,demdiedasJustizausbildungs-undPrü- fungs­recht im Wesent­li­chen prä­gen­den ver­fas­sungs- recht­li­chen Vor­ga­ben ent­nom­men wer­den können.

Im Aus­gangs­punkt ist zunächst fest­zu­stel­len, dass die erfolg­te Regle­men­tie­rung des Zugangs zu den juris­ti- schen Beru­fen einen Ein­griff in die von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garan­tier­te Berufs­wahl­frei­heit in Form einer sub­jek­ti­ven Zulas­sungs­schran­ke dar­stellt. Die­ser lässt sich grund­sätz­lich recht­fer­ti­gen, da die vor­ge­se­he­nen Berufs­zu­gangs­prü­fun­gen das Ziel der Eig­nungs- und Besten­aus­le­se zum Erhalt einer funk­tio­nie­ren­den Rechts­pfle­ge als über­ra­gend wich­ti­ges Gemein­schafts­gut ver­fol­gen. Im Hin­blick auf die sich aus der Wesent­lich- keits­leh­re erge­ben­den Anfor­de­run­gen müs­sen aber die kon­sti­tu­ie­ren­den Merk­ma­le der den Berufs­zu­gang be- schrän­ken­den Rege­lun­gen vom par­la­men­ta­ri­schen Ge- setz­ge­ber vor­ge­ge­ben wer­den. Als wei­te­res Erfor­der­nis für die Recht­mä­ßig­keit der frei­heits­be­schrän­ken­den Be- rufs­zu­gangs­prü­fun­gen ergibt sich die Notwendigkeit,

Ben­ja­min Unger

Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der Anfecht­bar­keit ju- ris­ti­scher (Staats-)Prüfungen

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2017, ISSN 2197–9197

274 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

dass die Aus­ge­stal­tung des Prü­fungs­ver­fah­rens und die Bestim­mung der Prü­fungs­in­hal­te in recht­li­cher und tat- säch­li­cher Hin­sicht für alle um den Berufs­zu­gang kon- kur­rie­ren­den Kan­di­da­ten zur Ermitt­lung ihrer wah­ren Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten geeig­net, erfor­der­lich und ange­mes­sen gewe­sen ist und die unter die­sen Bedin­gun- gen gezeig­ten Prü­fungs­leis­tun­gen zutref­fend bewer­tet wor­den sind.

Aus­ge­hend von die­sen Prä­mis­sen kann aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ein Anspruch des Prüf­lings auf eine „rich­ti­ge“ Prü­fungs­ent­schei­dung abge­lei­tet wer­den, des- sen Erfül­lung Vor­keh­run­gen recht­li­cher und tat­säch­li- cher Art für das Ver­fah­ren der Ermitt­lung der Prü­fungs- leis­tung, deren Bewer­tung und Über­prü­fung erfor­dert. Die­ses Grund­recht­ver­ständ­nis erlaubt es, den von der Recht­spre­chung ursprüng­lich allein aus Art. 3 Abs. 1 GG abge­lei­te­ten und inhalt­lich eine (for­mal) glei­che Chan­ce aller Prüf­lin­ge beim Erwerb der Berufs­zu­gangs­be­rech­ti- gung ein­for­dern­den Grund­satz der Chan­cen­gleich­heit bereits unmit­tel­bar aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleiten.

Wei­ter lässt sich aus dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG wur­zeln­den Gebot der „Rich­tig­keit“ der Prü­fungs­ent- schei­dung eine Rei­he all­ge­mei­ner Bewer­tungs­vor­ga­ben ein­schließ­lich der bis­lang aner­kann­ten „all­ge­mei­nen Be- wer­tungs­grund­sät­ze“ ablei­ten (Gebot der Ver­hält­nis­mä- ßig­keit der Prü­fungs­an­for­de­run­gen, Ver­bot der Anstel- lung sach­frem­der Erwä­gun­gen, ange­mes­se­ne Gewich- tung der posi­ti­ven und nega­ti­ven Leis­tungs­aspek­te, Ge- bot der Sach­lich­keit unter dem Aspekt der Frei­hal­tung des Bewer­tungs­pro­zes­ses von über­mä­ßi­gen Emo­tio­nen, Gebot der Aner­ken­nung des „Ant­wort­spiel­raums“ des Prüf­lings in Fach­fra­gen, nach dem eine ver­tret­ba­re und mit gewich­ti­gen Grün­den fol­ge­rich­tig begrün­de­te Lö- sung nicht als falsch bewer­tet darf).

Es ist aber zu beden­ken, dass die aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ableit­ba­ren mate­ri­ell-recht­li­chen Bewer­tungs- vor­ga­ben nicht not­wen­di­ger­wei­se dem Umfang der (ge- richt­li­chen) Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung ent- spre­chen (müs­sen). So geht die ganz herr­schen­de Mei- nung im Bereich der „prü­fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen“, zu denen etwa die ange­mes­se­ne Gewich­tung der Leis- tungs­aspek­te gehört, von einer Dis­kre­panz der an den Prü­fer gerich­te­ten Hand­lungs­vor­ga­ben und der zur Ver- fügung ste­hen­den (objek­ti­ven) Kon­troll­nor­men aus. Die­se Annah­me hat die Aner­ken­nung eines Bewer- tungs­spiel­raums des Prü­fers und zur Fol­ge, dass eine Kon­trol­le der „Rich­tig­keit“ der Prü­fungs­ent­schei­dung unter­bleibt. Das dadurch ent­ste­hen­de Rechts­schutz­de­fi- zit muss ent­spre­chend der For­de­rung des Bundesverfas-

sungs­ge­rich­tes durch eine ver­wal­tungs­in­ter­ne Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung kom­pen­siert wer­den, da der Prüf­ling näm­lich gestützt auf die pro­ze­du­ra­le Gewähr- leis­tungs­kom­po­nen­te des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG die Be- reit­stel­lung eines Ver­fah­rens zur effek­ti­ven Durch­set- zung der mate­ri­el­len Grund­rechts­ver­bür­gun­gen bean- spru­chen kann. Daher kann der Prüf­ling auch – zur Ge- währ­leis­tung eines ange­mes­se­nen Grund­rechts­schut­zes durch Ver­fah­ren – die Ein­räu­mung all der­je­ni­gen (Ne- ben-) Rech­te ver­lan­gen, deren er bedarf, um sein Haupt- recht auf eine „rich­ti­ge“ Prü­fungs­ent­schei­dung außer­ge- richt­lich und/oder gericht­lich mit­tels der Erhe­bung sub- stan­ti­ier­ter Ein­wän­de gegen die ihr zugrun­de­lie­gen­den Ein­zel­be­wer­tun­gen durch­set­zen zu kön­nen (Begrün- dungs­an­spruch, Akteneinsichtsrecht).

Bei der Ablei­tung des Chan­cen­gleich­heits­grund­sat­zes unmit­tel­bar aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG hat Art. 3 Abs. 1 GG für die Aus­ge­stal­tung des Prü­fungs­we­sens kaum noch ei- gen­stän­di­ge Bedeu­tung. Auch der Her­an­zie­hung des Art. 20Abs.3GGbedarfesansichnicht,dasichinsbesondere das Gebot der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der Prü­fungs­an­for­de- run­gen bereits unmit­tel­bar aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ab- lei­ten lässt.

Mit Blick auf die Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ent­nom­me­nen pro­ze­du­ra­len Gewähr­leis­tun­gen erge­ben sich Über­schnei- dun­gen mit dem Gewähr­leis­tungs­be­reich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Inner­halb ihres Anwen­dungs­be­reichs, d.h. der Garan­tie eines effek­ti­ven gericht­li­chen Rechts­schut­zes, geht die Rechts­schutz­ga­ran­tie aber Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Soweit eine (gericht­li­che) Kon­trol­le der „Rich­tig­keit“ der Prü­fungs­ent­schei­dung unter­bleibt, stellt dies kei­ne Ver­let- zung der Rechts­schutz­ga­ran­tie dar, wenn eine hin­rei­chen­de ver­wal­tungs­in­ter­ne Über­prü­fung der Prü­fung statt­ge­fun- den hat. Damit lässt sich der Anspruch auf die Durch­füh- rung eines Über­den­kungs­ver­fah­rens zur Kom­pen­sa­ti­on der Lücke im gericht­li­chen Rechts­schutz auch aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ableiten.

2. Ein­fach-recht­li­che Grundlagen

Im Anschluss an die Dar­stel­lung der ver­fas­sungs­recht­li- chen Grund­la­gen des Prü­fungs­we­sens wird im vier­ten Kapi­tel der Arbeit der sich aus den ein­fach-recht­li­chen Rechts­grund­la­gen (Deut­sches Rich­ter­ge­setz, Juris­ten­aus- bil­dungs­ge­set­ze- und Prü­fungs­ord­nun­gen, Hoch­schul­ge- set­ze, uni­ver­si­tä­re Sat­zun­gen) erge­ben­de Inhalt der Juris- ten­aus­bil­dun­g­und­der­vor­ge­se­he­nen­Prü­fun­gen­dar­ge­stellt und an den ver­fas­sungs­recht­li­chen Aus­ge­stal­tungs­vor­ga- ben gemes­sen. Im Schwer­punkt wird dabei auf die Neue- run­gen ein­ge­gan­gen, die sich durch das jüngs­te Juris­ten­aus- bil­dungs­re­form­ge­setz erge­ben haben.

a) Aus­ge­stal­tung der Zwi­schen­prü­fung und ihre Bewertung

Dem­entspre­chend steht zunächst die neue Zwi­schen- prü­fung im Fokus, die mit der erst­ma­li­gen Ein­füh­rung der uni­ver­si­tä­ren Schwer­punkt­be­reichs­prü­fung aus hoch­schul­recht­li­chen Grün­den erfor­der­lich gewor­den ist. Deren Aus­ge­stal­tung steht in allen Bun­des­län­dern im Wesent­li­chen im frei­en Belie­ben der Uni­ver­si­tä­ten, da es inso­weit ganz über­wie­gend an jeg­li­chem par­la­men­ta­ri- schen (Rah­men-) Vor­ga­ben fehlt.

Dies hat zur Fol­ge, dass die ers­te Berufs­zu­gangs­hür­de von den Uni­ver­si­tä­ten weit­ge­hend in Allein­ver­ant­wor- tung errich­tet wird. Zudem gibt es selbst inner­halb eines Bun­des­lan­des hin­sicht­lich Art und Inhalt der zu erbrin- gen­den Zwi­schen­prü­fungs­leis­tun­gen viel­fach gro­ße Unterschiede.

Die­ser Befund erscheint mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG unver­ein­bar. Auch bei gebo­te­ner Aner­ken­nung der Sat- zungs­au­to­no­mie der Uni­ver­si­tä­ten müs­sen die für die Grund­rechts­aus­übung wesent­li­chen Ent­schei­dun­gen vom par­la­men­ta­ri­schen Gesetz­ge­ber getrof­fen wer­den. Infol­ge­des­sen müs­sen von den Lan­des­par­la­men­ten zu- min­dest die wesent­li­chen Eck­punk­te für die Zwi­schen- prü­fung etwa in Form der Fest­le­gung der Art und des Inhalts der zur erbrin­gen­den Prü­fungs­leis­tun­gen fest­ge- legt wer­den. Ande­ren­falls kann auch die Chan­cen­gleich- heit der Kan­di­da­ten inner­halb eines Bun­des­lan­des nicht gewähr­leis­tet werden.

Im Übri­gen ist nach einer bun­des­wei­ten Ana­ly­se des Inhalts der ein­schlä­gi­gen Zwi­schen­prü­fungs­ord­nun­gen eine erheb­li­che Vari­anz­brei­te hin­sicht­lich der Art und Anzahl der zu erbrin­gen­den Prü­fungs­leis­tun­gen sowie des Prü­fungs­in­halts zu kon­sta­tie­ren. Die­ses Ergeb­nis er- scheint mit dem bun­des­recht­li­chen Gebot der Ein­heit- lich­keit der Leis­tungs­an­for­de­run­gen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 DRiG), das rich­ti­ger­wei­se auch auf die Zwi­schen­prü­fung zu erstre­cken ist, unvereinbar.

Soweit als wei­te­res Aus­wer­tungs­er­geb­nis fest­zustel- len ist, dass münd­li­che Prü­fungs­leis­tun­gen über­wie­gend nicht vor­ge­se­hen sind, bleibt damit zunächst der Rege- lungs­auf­trag des Reform­ge­setz­ge­bers uner­füllt, (auch) in der Zwi­schen­prü­fung die Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tio­nen zu berück­sich­ti­gen. Der mög­li­che Aus­schluss des Kan­di­da- ten vom Berufs­zu­gang allein auf­grund unzu­rei­chen­der schrift­li­cher Prü­fungs­leis­tun­gen ist aber vor allem auch mit dem Gewähr­leis­tungs­ge­halt des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG unver­ein­bar, weil es ihm ver­wehrt bleibt, die­se durch bes­se­re münd­li­che Leis­tun­gen zu kompensieren.

Kei­nen recht­li­chen Beden­ken begeg­net es dem­ge­gen- über, dass die Zwi­schen­prü­fungs­leis­tun­gen über­wie­gend nur von einem Prü­fer bewer­tet wer­den, da das Zwei- Prü­fer-Prin­zip zu kei­nem Objek­ti­vi­täts­ge­winn bei der Bewer­tung führt. In die­sem Fall gewinnt aber die ver- wal­tungs­in­ter­ne Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung zur Gewähr­leis­tung eines ange­mes­se­nen Grund­rechts- schut­zes durch Ver­fah­ren an Bedeu­tung. Hier ergibt sich die Beson­der­heit, dass auf­grund des gestreck­ten Prü- fungs­ver­fah­rens bei der Zwi­schen­prü­fung zwi­schen der Bekannt­ga­be der Ein­zel­be­wer­tun­gen und dem Erge­hen des Zwi­schen­prü­fungs­be­schei­des auf deren Grund­la­ge ein erheb­li­cher Zeit­raum lie­gen kann. Zur Gewähr­leis- tung einer effek­ti­ven ver­wal­tungs­in­ter­nen Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung ist es daher ent­spre­chend der Re- gelung in eini­gen Zwi­schen­prü­fungs­ord­nun­gen erfor- der­lich, die­se zwei­stu­fig aus­zu­ge­stal­ten. Das heißt, dass dem Prüf­ling zunächst eine Remons­tra­ti­ons­mög­lich­keit beim Ver­an­stal­tungs­lei­ter zum Zwe­cke des (zeit­na­hen) Über­den­kens der Bewer­tung eröff­net wer­den und er un- abhän­gig von ihr dane­ben die Mög­lich­keit haben muss, im Rah­men eines spä­te­ren Wider­spruchs gegen den Zwi­schen­prü­fungs­be­scheid eine Über­prü­fung sei­ner Recht­mä­ßig­keit zu erreichen.

b) Aus­ge­stal­tung der Schwer­punkt­be­reichs­prü­fung und ihre Bewertung

Die vor­zu­fin­den­de Aus­ge­stal­tung der Schwer­punkt­be- reichs­prü­fung wirft ganz ähn­li­che rechts­grund­sätz­li­che Fra­gen und Pro­ble­me auf wie die­je­ni­ge der Zwi­schen- prü­fung. Auch inso­weit ist näm­lich fest­zu­stel­len, dass es teil­wei­se an jeg­li­chen par­la­men­ta­ri­schen Direk­ti­ven fehlt. Damit haben die Bun­des­län­der zunächst den ihnen vom Bund erteil­ten Auf­trag, das Nähe­re der Schwer- punkt­be­reichs­prü­fung zu regeln, nicht erfüllt. Vor allem aber ist das weit­ge­hen­de Feh­len par­la­men­ta­ri­scher Aus- gestal­tungs­di­rek­ti­ven mit den Vor­ga­ben der Wesent­lich- keits­leh­re offen­kun­dig unver­ein­bar. Soweit die legis­la­ti­ve Zurück­hal­tung der Lan­des­ge­setz­ge­ber zu teil­wei­se sehr unter­schied­li­chen Rege­lun­gen inner­halb eines Bun­des- lan­des geführt hat, sind zudem wie­der­um die Chan­cen- gleich­heit der Kan­di­da­ten und das Ein­heit­lich­keits­ge­bot nicht gewahrt.

Beden­ken begeg­net die Aus­ge­stal­tung der Schwer- punkt­be­reichs­aus­bil­dung und ‑Prü­fung wei­ter inso­weit, als bereits das Feh­len (ver­tief­ter) Kennt­nis­se in einem Teil­be­reich der Rechts­wis­sen­schaft zum Aus­schluss vom Berufs­zu­gang füh­ren kann. Dar­aus erge­ben sich jeden- falls beson­de­re Anfor­de­run­gen für die (kon­kre­te) Aus-

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 7 5

276 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

gestal­tung der Aus­bil­dungs- und Prü­fungs­in­hal­te, die eine hin­rei­chend siche­re Grund­la­ge für das zu fäl­len­de Befä­hi­gungs­ur­teil dar­stel­len müssen.

Zuzu­stim­men ist im Ergeb­nis auch der Ansicht des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes, nach der zur Ver­mei­dung eines Sys­tem­bruchs (auch) bei den schrift­li­chen Prü- fungs­leis­tun­gen eine Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­keit vor­ge- sehen wer­den muss. Vor allem aber besteht aus ver­fas- sungs­recht­li­chen Grün­den die Not­wen­dig­keit, dem Prüf­ling die Mög­lich­keit ein­zu­räu­men, Defi­zi­te in den schrift­li­chen Prü­fungs­leis­tun­gen durch bes­se­re münd­li- che Prü­fungs­leis­tun­gen auszugleichen.

c) Aus­ge­stal­tung der staat­li­chen Prü­fun­gen und Bewertung

Zum Abschluss des vier­ten Kapi­tels erfolgt noch eine kur­ze Aus­ein­an­der­set­zung mit der Aus­ge­stal­tung der staat­li­chen Prü­fun­gen, die weit weni­ger Rechts­fra­gen und ‑pro­ble­me auf­wer­fen als die uni­ver­si­tä­ren Prü­fun- gen. Soweit aber fest­zu­stel­len ist, dass in eini­gen Bun­des- län­dern in den Juris­ten­aus­bil­dungs­ge­set­zen kei­ne par­la- men­ta­ri­schen Leit­ent­schei­dun­gen im Sin­ne sub­stantiel- ler Rege­lun­gen getrof­fen wor­den sind, ist auch dies mit den Vor­ga­ben der Wesent­lich­keits­leh­re nicht in Ein- klang zu bringen.

Im Übri­gen stellt die Bestehens­re­ge­lung in Rhein- land-Pfalz, nach der die Zulas­sung zur münd­li­chen Prü- fung min­des­tens aus­rei­chen­de schrift­li­che Prü­fungs­leis- tun­gen vor­aus­setzt, im Ver­gleich zu den Bestehens­re­ge- lun­gen in den ande­ren Bun­des­län­dern unter dem Aspekt des Ein­heit­lich­keits­ge­bot einen Sys­tem­bruch und eine Ver­let­zung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG im Hin­blick auf die feh­len­de Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­keit dar.

III. Mög­li­che Angriffs­ge­gen­stän­de und vor­pro- zes­sua­le Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten im Überblick

Im fünf­ten Kapi­tel der Unter­su­chung wer­den die belas- ten­den Prü­fungs­ent­schei­dun­gen, die in dem jewei­li­gen Aus­bil­dungs- und Prü­fungs­ab­schnitt auf der Grund­la­ge der zuvor dar­ge­stell­ten Rege­lun­gen erge­hen kön­nen, sowie die dem Prüf­ling hier­ge­gen vor­pro­zes­su­al eröff- neten Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten im Über­blick auf­ge- zeigt.

Der in ers­ter Linie streit­ge­gen­ständ­li­che Bescheid über das Nicht­be­stehen der Zwischen‑, Schwer­punkt­be- reichs‑, staat­li­chen Pflicht­fach- oder Zwei­ten juris­ti- schen Staats­prü­fung stellt nach allen Ansich­ten einen Ver­wal­tungs­akt dar. Ent­spre­chend ein­zu­ord­nen ist aber auch der Bescheid über das Bestehen der juristischen

(Staats-) Prü­fun­gen mit einer bestimm­ten Note, da ent- gegen einer teil­wei­se ver­tre­te­nen Auf­fas­sung mit die­sem ver­bind­lich fest­ge­stellt wird, dass die Prü­fung nicht bes- ser als mit der aus­ge­wie­sen Note bestan­den wor­den ist. Daher kann der Prüf­ling gegen den jewei­li­gen (Nicht-) Bestehens­be­scheid Wider­spruch ein­le­gen, sofern ihm die­se Mög­lich­keit nach den ein­schlä­gi­gen lan­des­ge­setz- lichen Rege­lun­gen eröff­net ist. Dies ist nur in Bay­ern beim Vor­ge­hen gegen die Ergeb­nis­se der jur. Staats­prü- fun­gen nicht der Fall, da hier zur Durch­füh­rung der vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gefor­der­ten ver­wal­tungs­in- ter­nen Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung ein eigen- stän­di­ges Nach­prü­fungs­ver­fah­ren ein­ge­führt wor­den ist.

Ist – wie im Regel­fall – ein Wider­spruch gegen die Prü­fungs­ent­schei­dung statt­haft, erfolgt die gemäß § 68 VwGO gebo­te­ne Kon­trol­le der Recht- und Zweck- mäßig­keit des Prü­fungs­be­schei­des bzw. der ihm zugrun- delie­gen­den Ein­zel­be­wer­tun­gen in einer Art Koope­ra­ti- ons­ver­hält­nis zwi­schen den Prü­fern und dem Prü­fungs- amt. Im Rah­men des­sel­ben obliegt dem Prü­fungs­amt die (abschlie­ßen­de) Kon­trol­le der Recht­mä­ßig­keit der Prü- fungs­ent­schei­dung, wäh­rend die Über­prü­fung ihrer Zweck­mä­ßig­keit durch die Prü­fer in Form des Über­den- kens der Ein­zel­be­wer­tun­gen erfolgt.

Die­ses Koope­ra­ti­ons­ver­hält­nis wird bei der Über- prü­fung der uni­ver­si­tä­ren Prü­fungs­ent­schei­dun­gen deut­lich, wenn dort die ver­wal­tungs­in­ter­ne Kon­trol­le im Rah­men eines zwei­stu­fi­gen Ver­fah­rens erfolgt. In die­sem Fall hat auch der Streit um die Fra­ge, ob die Bewer­tung einer ein­zel­nen Prü­fungs­leis­tung, die in den spä­te­ren Gesamt­be­scheid ein­geht, Ver­wal­tungs­akt­qua­li­tät hat, kei­ner­lei prak­ti­sche Bedeutung.

Für die staat­li­chen Prü­fun­gen gilt dies ohne­hin, da hier im Regel­fall die Bekannt­ga­be der Ein­zel­be­wer­tun- gen mit der Bekannt­ga­be des Gesamt­ergeb­nis­ses zeit­lich zusam­men­fällt. Im Übri­gen beant­wor­tet sich die Fra­ge der Ver­wal­tungs­akt­qua­li­tät von Ein­zel­leis­tun­gen nach der zutref­fen­den Auf­fas­sung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge- rich­tes allein nach der Aus­ge­stal­tung der jewei­li­gen Prüfungsordnung.

IV. Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der (gericht­li­chen) Kon­trol­le der Prüfungsentscheidung

Das sechs­te Kapi­tel, das sich den Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der (gericht­li­chen) Kon­trol­le der Prü­fungs­ent- schei­dung zuwen­det, stellt den Kern Unter­su­chung dar. Ein­lei­tend wer­den das mög­li­che Spek­trum der Ein­wen- dun­gen des Prüf­lings und der tat­säch­lich in Betracht kom­men­den Rechts­feh­ler des Prüfungsverfahrens,

deren Abgren­zung, die Vor­aus­set­zun­gen ihrer erfolg­rei- chen Gel­tend­ma­chung sowie die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen ihrer Kom­pen­sa­ti­on aufgezeigt.

1. Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Ver­fah­rens­feh­lern und for­mel­len und mate­ri­el­len Bewertungsfehlern

Grund­le­gend ist die Unter­schei­dung zwi­schen Feh­lern im Ver­fah­ren der Leis­tungs­er­mitt­lung auf der einen und for­mel­len und mate­ri­el­len Bewer­tungs­feh­lern auf der ande­ren Sei­te. Unter Ver­fah­rens­feh­lern sind sol­che fort- wir­ken­den Beein­träch­ti­gun­gen des Prü­fungs­ab­laufs zu ver­ste­hen, die geeig­net (gewe­sen) sind, die Ermitt­lung der wah­ren Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten des Prüf­lings zu ver­hin­dern. Sie kön­nen letzt­lich nur durch eine erneu­te Erbrin­gung der durch die wid­ri­gen Umstän­de (mög­li- cher­wei­se) ver­fälsch­ten Prü­fungs­leis­tung unter ord- nungs­ge­mä­ßen Prü­fungs­be­din­gun­gen kom­pen­siert wer- den. Um zu ver­hin­dern, dass sich der Prüf­ling eine wei- tere Chan­ce auf den Prü­fungs­er­folg dadurch erschleicht, dass er sich nach Bekannt­ga­be der ihn beschwe­ren­den Prü­fungs­er­geb­nis­se auf einen Ver­fah­rens­man­gel beruft, der ihn bei der Leis­tungs­er­brin­gung gar nicht beein- träch­tigt hat, muss dem Prüf­ling im Grund­satz eine Oblie­gen­heit zur Rüge der Stö­run­gen des Prü­fungs­ab- laufs auf­er­legt werden.

Da der­ar­ti­ge Miss­brauchs­mög­lich­kei­ten bei auf­tau- chen­den for­mel­len oder mate­ri­el­len Feh­lern im Bewer- tungs­vor­gang nicht bestehen, kön­nen die­se bis zum Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung im Ver­wal­tungs- pro­zess gel­tend gemacht wer­den. Sol­che Bewer­tungs­feh- ler sind nach ein­hel­li­ger Auf­fas­sung durch eine rechts- feh­ler­freie Neu­be­wer­tung zu kom­pen­sie­ren. Fehlt es al- ler­dings zum Zeit­punkt der gericht­li­chen Ent­schei­dung wie im Regel­fall bei münd­li­chen Prü­fun­gen an einer noch hin­rei­chen­den Bewer­tungs­grund­la­ge, kommt nur eine Wie­der­ho­lung der Prü­fungs­leis­tung in Betracht.

2. Vor­aus­set­zun­gen der erfolg­rei­chen Gel­tend­ma­chung von Verfahrensfehlern

Nach dem ein­lei­ten­den Über­blick über die mög­li­chen Rechts­feh­ler im Leis­tungs­er­mitt­lungs- und Bewer­tungs- ver­fah­ren und ihrer Kom­pen­sa­ti­on wer­den die Vor­aus- set­zun­gen dar­ge­stellt, unter denen der Prüf­ling nach Bekannt­ga­be der Prü­fungs­er­geb­nis­se Stö­run­gen im Prü- fungs­ab­lauf noch mit Aus­sicht auf Erfolg gel­tend machen kann. Hier ist das Vor­lie­gen eines erheb­li­chen Ver­fah- rens­feh­lers, der offen­sicht­lich oder vom Prüf­ling recht- zei­tig gel­tend gemacht, vom Prü­fungs­amt aber nicht aner­kannt oder nicht (hin­rei­chend) besei­tigt und/oder kom­pen­siert wor­den war, zu benennen.

a) Erschei­nungs­for­men von Verfahrensfehlern

Nach­ge­hend wer­den die­se Vor­aus­set­zun­gen im Ein­zel- nen behan­delt. Es wird dar­ge­stellt, dass bei den ein­zel- nen Ver­fah­rens­feh­lern zwi­schen äuße­ren und inne­ren Stö­run­gen und bei letz­te­ren wie­der­um zwi­schen Män- geln aus der Sphä­re des Prüf­lings und sol­chen aus dem Ver­ant­wor­tungs­be­reich des Prü­fungs­am­tes dif­fe­ren­ziert wer­den muss. Wäh­rend beim Prüf­ling nur eine Krank- heit als inne­re Stö­rung in Betracht kommt, umfasst das mög­li­che Spek­trum beim Prü­fungs­amt die gesam­ten Prü­fungs­ver­fah­rens­feh­ler im enge­ren Sin­ne (Über- oder Unter­schrei­tung der Prü­fungs­dau­er, fal­sche Beset­zung der Prü­fungs­kom­mis­si­on etc). Zu ihnen zählt rich­ti­ger- wei­se auch die Prü­fungs­stoff­über­schrei­tung, deren Ein- ord­nung in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur umstrit­ten ist.

b) Die Rüge­o­b­lie­gen­heit des Prüflings

Im Anschluss an die Auf­lis­tung und nähe­re Behand­lung der mög­li­chen Ver­fah­rens­feh­ler erfolgt eine ein­ge­hen­de Befas­sung mit der Rüge­o­b­lie­gen­heit des Prüf­lings. Hier ist zunächst fest­zu­stel­len, dass die Vor­aus­set­zun­gen einer krank­heits­be­ding­ten Prü­fungs­un­fä­hig­keit und das Ver­fah­ren ihrer (erfolg­rei­chen) Gel­tend­ma­chung über- wie­gend in den Prü­fungs­ord­nun­gen nor­miert wor­den sind, die Oblie­gen­heit zur Rüge äuße­rer Stö­run­gen und sons­ti­ger Prü­fungs­ver­fah­rens­feh­ler (im enge­ren Sin­ne) dem­ge­gen­über nur vereinzelt.

Beim Feh­len einer gesetz­li­chen Rege­lung der Rügeo- blie­gen­heit haben Recht­spre­chung und Lite­ra­tur die­se bis­lang im Regel­fall aus dem Grund­satz der Chan­cen- gleich­heit abge­lei­tet. Für den Fall der dem Prüf­ling nach- weis­ba­ren Kennt­nis des Ver­fah­rens­feh­lers zum Zeit- punkt der Leis­tungs­er­brin­gung und damit dem Vor­lie- gen einer bewuss­ten Risi­ko­über­nah­me über­zeugt die­se Ablei­tung nicht. Der (dro­hen­de) Ein­wen­dungs­aus- schluss und die dar­aus fol­gen­de Rüge­o­b­lie­gen­heit las­sen sich hier bes­ser mit dem Grund­satz von Treu und Glau- ben unter dem Gesichts­punkt des Vor­wurfs eines rechts- miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens begrün­den. Auf­grund sei- ner rechts­schutz­be­gren­zen­den Wir­kung kann sich der Prüf­ling in die­sem Fall auf sein aus den Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG fol­gen­des Inter­es­se an einer zeit­lich unbe­grenz­ten Gel­tend­ma­chung von Ver­fah­rens­feh­lern gar nicht erst berufen.

Eine Abwä­gung mit dem gegen­läu­fi­gen Inter­es­se der ande­ren Prü­fungs­teil­neh­mer an einer Begren­zung der Wie­der­ho­lungs­mög­lich­kei­ten zur Gewin­nung einer Rü- geo­b­lie­gen­heit ist daher nur gebo­ten, wenn dem Prüf­ling die Kennt­nis des Ver­fah­rens­man­gels und damit ein treu-

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 7 7

278 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

wid­ri­ges Ver­hal­ten nicht nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen. Die­se ist in vie­len von der Recht­spre­chung bis­her ent- schie­de­nen Fall­kon­stel­la­tio­nen nicht gelun­gen mit der Fol­ge, dass eine Rüge­o­b­lie­gen­heit des Prüf­lings in einem zu weit­ge­hen­den Umfang ange­nom­men wird. Um sie sach­ge­recht ein­zu­gren­zen, wird vor­ge­schla­gen, bei Un- klar­hei­ten über das Vor­lie­gen eines Ver­fah­rens­man­gels und/oder den dar­auf bezo­ge­nen Grad der Erkennt­nis des Prüf­lings eine sphä­ren- und ver­ant­wor­tungs­be- reichs­ori­en­tier­te Dif­fe­ren­zie­rung anhand der Typi­zi­tät des Ver­fah­rens­man­gels vor­zu­neh­men. Im Ergeb­nis einer sol­chen Dif­fe­ren­zie­rung ist eine Rüge­o­b­lie­gen­heit nur begründ­bar bei Ver­fah­rens­män­geln, die dem Prü­fungs- amt ver­bor­gen geblie­ben sind, dem Prüf­ling aber nach- weis­lich bekannt oder zumin­dest erkenn­bar waren. Da- mit ist ins­be­son­de­re die Gel­tend­ma­chung der aus der Sphä­re des Prü­fungs­am­tes stam­men­den Prü­fungs­ver- fah­rens­feh­ler im enge­ren Sin­ne nach der Bekannt­ga­be der Prü­fungs­er­geb­nis­se für den Prüf­ling nicht aus­ge- schlos­sen, wenn ihm – wie im Regel­fall – deren Kennt­nis oder Ken­nen­müs­sen nicht nach­ge­wie­sen wer­den kann. Der gegen­tei­li­gen Recht­spre­chung ist mit dem Argu- ment ent­ge­gen­zu­tre­ten, dass ande­ren­falls zu Unrecht dem Prüf­ling die an sich bei der Prü­fungs­be­hör­de als Her­rin des Prü­fungs­ver­fah­rens lie­gen­de Ver­ant­wor­tung für ein ord­nungs­ge­mä­ßes Prü­fungs­ge­sche­hen auf­ge­bür- det wer­den wür­de. Aus eben die­sem Grund ist auch die weit ver­brei­te­te, bei­na­he unum­strit­te­ne Rechts­auf­fas- sung abzu­leh­nen, dass den Prüf­ling eine erneu­te Rügeo- blie­gen­heit trifft, wenn er die infol­ge der Anzei­ge eines Ver­fah­rens­man­gels vom Prü­fungs­amt ergrif­fe­nen Kom- pen­sa­ti­ons- bzw. Abhil­fe­maß­nah­men nicht für aus­rei- chend hält.

c) Unver­züg­li­che Gel­tend­ma­chung des Verfahrensmangels

Im Anschluss an die Klä­rung der Fra­ge, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen eine Rüge- bzw. Anzei­ge­o­b­lie­gen­heit des Prüf­lings legi­ti­miert wer­den kann, beant­wor­tet die Unter­su­chung die Fra­ge, bis zu wel­chem Zeit­punkt der jewei­li­ge Ver­fah­rens­man­gel gel­tend gemacht wer­den kann. Hier wird zunächst der all­ge­mei­nen Auf­fas­sung bei­getre­ten, nach der ein Ver­fah­rens­man­gel unver­züg- lich gel­tend zu machen ist, soweit dem Prüf­ling dies in der kon­kre­ten Prü­fungs­si­tua­ti­on zumut­bar ist. Sodann erfolgt eine fall­grup­pen­ar­ti­ge Kon­kre­ti­sie­rung der Zumut­bar­keits­re­geln, wobei zwi­schen den ver­schie­de- nen Ver­fah­rens­feh­lern und der schrift­li­chen und münd- lichen Prü­fung dif­fe­ren­ziert wird. Die wesent­li­chen Ergeb­nis­se die­ser Über­le­gun­gen las­sen sich dahin

zusam­men­fas­sen, dass dem Prüf­ling wegen der wei­trei- chen­den Rechts­fol­gen einer Prü­fungs­un­fä­hig­keits­an­zei- ge grund­sätz­lich eine ange­mes­se­ne Über­le­gungs­zeit ein- zuräu­men und ihm die Rüge von Ver­fah­rens­feh­lern im enge­ren Sin­ne bereits wäh­rend der münd­li­chen Prü­fung nicht zumut­bar ist. Sofern die nach­träg­li­che Gel­tend­ma- chung einer Prü­fungs­un­fä­hig­keit in eini­gen Prü­fungs- ord­nun­gen zeit­lich befris­tet ist, müs­sen sol­che Vor- schrif­ten ver­fas­sungs­kon­form dahin aus­ge­legt wer­den, dass sie nur bei Kennt­nis oder Ken­nen­müs­sen der Prü- fungs­un­fä­hig­keit greifen.

Soweit eine Rüge- bzw. Anzei­ge­o­b­lie­gen­heit unter den dar­ge­leg­ten Prä­mis­sen ver­fas­sungs­recht­lich legi­ti- mier­bar ist, bedarf sie der gesetz­li­chen Rege­lung. Die dies­be­züg­li­che Leit­ent­schei­dung ist zudem wegen der weit­rei­chen­den Fol­gen eines Ein­wen­dungs­aus­schlus­ses durch den par­la­men­ta­ri­schen Gesetz­ge­ber zu tref­fen. Im Übri­gen wird für das Erfor­der­nis einer gene­rel­len Hin- weis­pflicht auf die bestehen­den Rüge- und Anzei­ge­o­b­lie- gen­hei­ten zur Gewähr­leis­tung eines hin­rei­chen­den Grund­rechts­schut­zes durch Ver­fah­ren eingetreten.

Anschlie­ßend wer­den kurz die beim Auf­tre­ten eines Ver­fah­rens­man­gels in Betracht kom­men­den Abhil­fe-/ Kom­pen­sa­ti­ons­maß­nah­men dar­ge­stellt und es wird dar- auf hin­ge­wie­sen, dass der Prü­fungs­be­hör­de bei ihrer Aus­wahl mitt­ler­wei­le kein Beur­tei­lungs­spiel­raum mehr zuge­stan­den wird.

Teils bereits Gesetz gewor­den ist die umstrit­te­ne Rechts­auf­fas­sung, nach wel­cher der Prüf­ling im Fal­le ei- ner als nicht hin­rei­chend ange­se­he­nen Abhil­fe-/Kom- pen­sa­ti­ons­maß­nah­me inner­halb eines Monats nach Ab- schluss der Prü­fung bzw. unver­züg­lich und jeden­falls vor Bekannt­ga­be der Prü­fungs­er­geb­nis­se den Ver­fah- rens­feh­ler (noch­mals) gel­tend machen muss. Eine sol­che Mit­wir­kungs­last des Prüf­lings ist abzu­leh­nen, weil sie ihm wie­der­um unzu­läs­si­ger­wei­se die (allei­ni­ge) Ver­ant- wor­tung für ein recht­mä­ßi­ges Prü­fungs­ge­sche­hen aufbürdet.

Die Beschäf­ti­gung mit mög­li­chen Ver­fah­rens­feh­lern endet mit der Dar­stel­lung der Rechts- bzw. Kom­pen­sa­ti- ons­fol­gen, die sich nach den ein­schlä­gi­gen gesetz­li­chen Rege­lun­gen bzw. der Recht­spre­chung bei ihrem Vor­lie- gen erge­ben, wel­che kri­tisch unter Ent­wick­lung eige­ner Ansät­ze beleuch­tet werden.

3. For­mel­le und mate­ri­el­le Bewertungsfehler

Der nach­fol­gen­de Unter­ab­schnitt wid­met sich dann den mög­li­chen for­mel­len und mate­ri­el­len Bewer­tungs­feh- lern, die zur Rechts­wid­rig­keit der Prü­fungs­ent­schei­dung füh­ren kön­nen. Ein­gangs wer­den die wesentlichen

Merk­ma­le des sich aus den ein­schlä­gi­gen Prü­fungs­re­ge- lun­gen erge­ben­den Bewer­tungs­ver­fah­rens nur knapp dar­ge­stellt, da deren Aus­le­gung und Anwen­dung kaum Pro­ble­me bereitet.

a) Der Bewer­tungs­vor­gang als drei­stu­fi­ger Abwägungsprozess

Umso aus­führ­li­cher wird im Anschluss auf das mate­ri­el- le Bewer­tungs­ver­fah­ren ein­ge­gan­gen, bei dem zwi­schen dem Vor­gang der Ermitt­lung der Beur­tei­lungs­grund­la­ge im Sin­ne des gegen­ständ­li­chen Erfas­sens der Prü­fungs- leis­tung und dem Vor­gang der eigent­li­chen Leis­tungs­be- wer­tung dif­fe­ren­ziert wird. In Bezug auf den Ermitt- lungs­vor­gang wer­den zunächst die Oblie­gen­hei­ten des Prüf­lings behan­delt, die ihn im Rah­men der Leis­tungs- erbrin­gung tref­fen. Sodann wird auf die Ver­pflich­tun­gen des Prü­fers bei der Leis­tungs­er­fas­sung ein­ge­gan­gen und im Zuge die­ser Dar­le­gun­gen auch das Pro­blem des (teil- wei­sen) Abhan­den­kom­mens von schrift­li­chen Prü- fungs­leis­tun­gen behan­delt. Die­ses wird im Ergeb­nis dahin gelöst, dass der Prüf­ling deren Wie­der­ho­lung unter der Vor­aus­set­zung ver­lan­gen kann, dass sich der (Teil-)Verlust der Prü­fungs­leis­tung auf die (Gesamt-) Bewer­tung aus­ge­wirkt haben kann.

Im Wei­te­ren erfolgt eine Ana­ly­se des nach der Erfas- sung der Prü­fungs­leis­tung begin­nen­den eigent­li­chen Vor­gangs der Leis­tungs­be­wer­tung. Dabei wird erst­mals her­aus­ge­ar­bei­tet, dass sich die­ser in einem drei­stu­fi­gen Abwä­gungs­pro­zess der­ge­stalt voll­zieht, dass im Rah­men der teil­leis­tungs­ori­en­tier­ten Brauch­bar­keits­prü­fung zu- nächst das Abwä­gungs­ma­te­ri­al gesam­melt, die­ses im Zuge der sich anschlie­ßen­den gesamt­leis­tungs­ori­en­tier- ten Brauch­bar­keits­prü­fung gewich­tet und abge­wo­gen und schließ­lich die so ermit­tel­te Gesamt­leis­tung des Prüf­lings einer der nach der Bun­des­no­ten­ver­ord­nung vor­ge­se­he­nen Prü­fungs­no­ten zuge­ord­net wird. Auf der ers­ten Stu­fe des Bewer­tungs­vor­gangs misst der Prü­fer die vom Prüf­ling erbrach­ten Teil­prü­fungs­leis­tun­gen zu- nächst an den sich aus der Prü­fungs­auf­ga­be erge­ben­den fach­spe­zi­fi­schen Anfor­de­run­gen und sodann an sei­nen prü­fungs­spe­zi­fi­schen Bewer­tungs­kri­te­ri­en, zu denen etwa der ange­nom­me­ne Schwie­rig­keits­grad der Auf­ga- ben­stel­lung gehört.

Die­se prü­fungs­spe­zi­fi­schen Bewer­tungs­kri­te­ri­en kenn­zeich­net, dass sie sich im Lau­fe der Prü­fer­tä­tig­keit her­aus­bil­den und geprägt sind durch die hier­bei gewon- nenen Ein­schät­zun­gen und Erfah­run­gen, ins­be­son­de­re durch den stän­di­gen Ver­gleich der Auf­ga­ben­stel­lun­gen und der Leis­tun­gen der Prüf­lin­ge. Sie kom­men ins­be- son­de­re auch als Gewich­tungs- und Abwägungsfaktoren

auf den nach­fol­gen­den Stu­fen des Abwä­gungs­vor­gangs zur Anwen­dung, so dass die Bewer­tung ins­ge­samt maß- geblich durch sie beein­flusst ist. Deren Ursprung lässt sich auf­grund ihrer kom­ple­xen Ent­wick­lung und der im- pon­der­a­blen und unbe­wuss­ten Prä­gung des Prü­fers spä- ter nicht mehr hin­rei­chend aufklären.

b) Der Bewer­tungs­spiel­raum des Prü­fers und sei­ne (neue) Legitimation

Die­se Erkennt­nis hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt früh­zei­tig dazu bewo­gen, einen wei­ten, auch die fach- spe­zi­fi­sche Bewer­tung ein­schlie­ßen­den Beur­tei­lungs- spiel­raum des Prü­fers anzu­er­ken­nen. Infol­ge­des­sen soll- te die Bewer­tung nur dar­auf­hin über­prüf­bar sein, ob der Prü­fer von einem voll­stän­dig und zutref­fend ermit­tel­ten Sach­ver­halt aus­ge­gan­gen ist, all­ge­mein gül­ti­ge Bewer- tungs­grund­sät­ze beach­tet, sach­frem­de Erwä­gun­gen ange­stellt oder sonst will­kür­lich gehan­delt hat. Die­ser weit­rei­chen­de Bewer­tungs­spiel­raum ist erst vom Bun- des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­ner „Juris­ten­ent­schei­dung“ vom 17.4.1991 unter Aner­ken­nung eines „Ant­wort­spiel- raums“ des Prüf­lings in Fach­fra­gen auf die prü­fungs­spe- zifi­schen Wer­tun­gen ein­ge­engt und dem­entspre­chend auch ter­mi­no­lo­gisch nur noch als „Bewer­tungs­spiel- raum“ aner­kannt worden.

Heut­zu­ta­ge wird meist nur noch über die dog­ma­ti- sche Begrün­dung für den Bewer­tungs­spiel­raum des Prü- fers und über sei­ne Rechts­fol­gen gestrit­ten. Inso­weit über­wiegt die Auf­fas­sung, dass die Aner­ken­nung eines Bewer­tungs­spiel­raums den Schutz­be­reich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG berührt, aber zur Wah­rung der Chan- cen­gleich­heit der ande­ren Prü­fungs­teil­neh­mer gerecht- fer­tigt ist. Nur ver­ein­zelt wird die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass vor dem Hin­ter­grund des Gewähr­leis­tungs­ge­halts des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG die Annah­me eines dem Prü­fer zuste­hen­den Bewer­tungs­spiel­raums nicht zu ei- ner Beschrän­kung der gericht­li­chen Kon­trol­le füh­ren dür­fe. Der Prü­fer sei zwar berech­tigt, sei­ne eige­nen sub- jek­ti­ven Bewer­tungs­maß­stä­be zu ent­wi­ckeln und anzu- wen­den. Die­se müss­ten von den Gerich­ten aber im Rah- men einer Zweck­mä­ßig­keits­kon­trol­le über­prüft werden.

In die­ser Dis­kus­si­on um die Begrün­dung und Be- gründ­bar­keit eines Bewer­tungs­spiel­raum des Prü­fers wird nach einer Dar­stel­lung des aktu­el­len Stan­des der Dis­kus­si­on um die ver­fas­sungs­recht­li­che Legi­ti­mier­bar- keit von admi­nis­tra­ti­ven Ent­schei­dungs­frei­räu­men in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur der neue Stand­punkt ein- genom­men, dass eine allein auf­grund feh­len­der objek­ti- ver Kon­troll­maß­stä­be unter­blei­ben­de gericht­li­che Kont- rol­le der Ver­wal­tungs­ent­schei­dung den Schutzbereich

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 7 9

280 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grund­sätz­lich eben­so­we- nig berüh­ren kann wie den­je­ni­gen des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn eine (gericht­li­che) Über­prü­fung der „sub­jek­ti­ven Rich­tig­keit“ der Bewer­tung ist im Hin- blick dar­auf, dass es nicht mög­lich ist, (objek­ti­ve) Kon­troll- bzw. Rich­tig­keits­maß­stä­be im Bereich der prü­fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen zu defi­nie­ren, über- haupt gar nicht möglich.

Zwar kön­nen die Art. 19 Abs. 4 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1 GG auch durch eine unzweck­mä­ßi­ge, an den eige­nen Maß­stä­ben des Prü­fers gemes­sen „sub­jek­tiv unrich­ti- ge“ Bewer­tung ver­letzt wer­den. Die­se Rechts­ver­let- zung darf das Gericht aber nur mit dem Maß­stab und den­Me­tho­den­des­Rechts­und­nicht­durch­ei­ne­e­ige­ne Bewer­tung der Prü­fungs­leis­tung in Form der teil­wei­se gefor­der­ten Zweck­mä­ßig­keits­kon­trol­le fest­stel­len. Das dadurch ent­ste­hen­de Rechts­schutz­de­fi­zit ist viel- mehr durch eine Gestal­tung des Ver­wal­tungs­ver­fah- rens zu kom­pen­sie­ren, die eine hin­rei­chen­de Selbst- kon­trol­le der Bewer­tun­gen durch den Prü­fer und da- mit einen vor­ver­la­ger­ten Grund­rechts­schutz ermög- licht. Sofern die­se sicher­ge­stellt ist, lässt sich ein Bewer­tungs­spiel­raum des Prü­fers mit dem Gewähr- leis­tungs­ge­halt der Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbaren.

c) (Ver­blei­ben­de) Mög­lich­kei­ten der (gericht­li­chen) Über­prü­fung der mate­ri­el­len Bewertung

Anschlie­ßend wer­den die bei der Annah­me eines Bewer- tungs­spiel­raums des Prü­fers noch (ver­blei­ben­den) Mög- lich­kei­ten und Gren­zen der (gericht­li­chen) Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung aufgezeigt.

aa) Die bis­he­ri­gen Kon­troll­for­meln der Rechtsprechung

Zunächst wer­den die im Wesent­li­chen noch zur Ver­fü- gung ste­hen­den Kon­troll­pa­ra­me­ter im Über­blick und der Inhalt der dar­aus in der Recht­spre­chung ent­wi­ckel- ten Kon­troll­for­meln dar­ge­stellt. So erstreckt sich die gericht­li­che Prü­fung nach der vor­herr­schen­den neu­en Kon­troll­for­mel des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes allein auf das Vor­lie­gen von Ver­fah­rens­feh­lern, die voll­stän­di- ge und zutref­fen­de Ermitt­lung des Sach­ver­halts, die Ein- hal­tung des gel­ten­den Rechts und all­ge­mein gül­ti­ger Bewer­tungs­maß­stä­be, das Anstel­len sach­frem­der Erwä- gun­gen sowie die Fest­stel­lung sons­ti­ger Ver­stö­ße gegen das Will­kür­ver­bot. (Nur) in der baye­ri­schen Ver­wal- tungs­ge­richts­bar­keit wird vor­geb­lich einer erwei­ter­ten Kon­troll­for­mel zudem geprüft, ob die Bewer­tung des Prü­fers in sich schlüs­sig und nach­voll­zieh­bar ist und dem Gebot der ratio­na­len Abwä­gung gerecht wird.

bb) Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen den Vor­aus­set­zun­gen der Eröff­nung und den Gren­zen des Bewertungsspielraums

Die­se bei­den Kon­troll­for­meln benen­nen die Recht­mä- ßig­keits­vor­aus­set­zun­gen für die Prü­fungs­ent­schei­dung im wei­te­ren Sin­ne. Rich­ti­ger­wei­se ist aber ent­ge­gen der bis­he­ri­gen Dog­ma­tik in Bezug auf den Bewer­tungs­spiel- raum des Prü­fers rechts­lo­gisch zwi­schen den Vor­aus­set- zun­gen sei­ner Eröff­nung und den Gren­zen sei­ner Aus- übung zu dif­fe­ren­zie­ren. Ent­spre­chend die­sem Stand- punkt wer­den eine ver­fah­rens­feh­ler­frei ermit­tel­te und vom Prü­fer voll­stän­dig und zutref­fend erfass­te Prü- fungs­leis­tung sowie die Eig­nung der Prü­fungs­auf­ga­be als Eröff­nungs­vor­aus­set­zun­gen benannt und die­se soweit (noch) erfor­der­lich im Ein­zel­nen erläu­tert. Dem- gemäß wird die erfor­der­li­che Eig­nung der Prü­fungs­auf- gabe ein­ge­hend behan­delt, die davon abhängt, ob die Prü­fungs­auf­ga­be ent­spre­chend den Bestim­mun­gen der Prü­fungs­ord­nung aus­ge­wählt wor­den und zur Ermitt- lung der wah­ren und für die Berufs­aus­übung erfor­der­li- chen Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten geeig­net gewe­sen ist. Daher wer­den ins­be­son­de­re die sich aus den gesetz­li- chen Rege­lun­gen erge­ben­den Anfor­de­run­gen an Art und Inhalt der Prü­fung unter Berück­sich­ti­gung der ver- fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben bestimmt.

cc) (Bis­he­ri­ge) Gren­zen des Bewer­tungs­spiel­raums als „ver­kapp­te Abwägungskontrolle“

Nach kur­zen Dar­le­gun­gen zum Sach­ver­halts­irr­tum des Prü­fers, der ent­spre­chend dem neu­en dog­ma­ti­schen Ansatz als Ver­fah­rens­feh­ler ein­ge­ord­net wird, erfolgt die Dar­stel­lung der (bis­he­ri­gen) Gren­zen des Bewer­tungs- spiel­raums, die in dem „anzu­wen­den­den Recht“ und den „all­ge­mei­nen Bewer­tungs­grund­sät­zen“ gese­hen wer­den. Zunächst wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich die Wir­kung von objek­ti­ven Bewer­tungs­maß­stä­ben, die aus Rechts­vor­schrif­ten abge­lei­tet oder schlicht als „all­ge- mein gül­ti­ger Bewer­tungs­grund­satz“ pos­tu­liert wer­den, mit Blick auf den dar­ge­stell­ten Ablauf des Bewer­tungs- vor­gangs dar­in erschöpft, im gewis­sen Grad den Abwä- gungs­pro­zess des Prü­fers zu steu­ern, sich durch sie die Prü­fungs­no­te aber nicht im Vor­hin­ein bestim­men lässt. Anschlie­ßend wer­den kurz die weni­gen, sich aus den Prü­fungs­re­ge­lun­gen erge­ben Bewer­tungs­vor­ga­ben im Lich­te der ver­fas­sungs­recht­li­chen Deter­mi­nan­ten her- ausgearbeitet.

Im Anschluss erfolgt eine aus­führ­li­che Aus­ein­an­der- set­zung mit den in ihrer Bedeu­tung bis­lang unge­klär­ten „all­ge­mei­nen Bewer­tungs­grund­sät­zen“, indem ihre Ent- wick­lung in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur eingehend

beleuch­tet und ihr bis­he­ri­ger Inhalt dar­ge­stellt wird. Da- bei zeigt sich im Ergeb­nis, dass das Gebot der Sach­lich- keit und der Respek­tie­rung des Ant­wort­spiel­raums des Prüf­lings – die bei­den bis­lang allein aner­kann­ten Bewer- tungs­grund­sät­ze – Instru­men­te einer „ver­kapp­ten Ab- wägungs­kon­trol­le“ dar­stel­len. Dabei kommt dem Gebot der Respek­tie­rung des Ant­wort­spiel­raums des Prüf­lings die Funk­ti­on zu, den Abwä­gungs­vor­gang zu steu­ern, wäh­rend das Sach­lich­keits­ge­bot nur ein Abwä­gungs­er- gebnis fal­si­fi­zie­ren kann.

dd) Das neue Modell der ratio­na­len Abwä­gungs­kont- rolle

Sodann wird nach­ge­wie­sen, dass sich hin­ter dem Kon­troll- kri­te­ri­um des ratio­na­len Abwä­gungs­ge­bots, an dem die baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­rich­te vor­geb­lich ihrer Kon­troll- for­mel die Bewer­tung des Prü­fers zusätz­lich mes­sen, ein eigenständiges,erweitertesKontrollmodellverbirgt.Hierzu wer­den zunächst die bis­he­ri­gen Ansät­ze zu einer ratio­na­len Abwä­gungs­kon­trol­le in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur auf- gezeigt. Anschlie­ßend wird das von Riehm in einer jün­ge- ren Unter­su­chung ent­wi­ckel­te uni­ver­sel­le Abwä­gungs­kont- roll­mo­dell vor­ge­stellt. Nach die­sem beschrän­ken sich die Mög­lich­kei­ten einer (gericht­li­chen) Über­prü­fung einer Abwä­gungs­ent­schei­dung auf eine for­ma­le Ratio­na­li­täts- kon­trol­le im Sin­ne der Sach­be­zo­gen­heit und Kon­sis­tenz der zur Begrün­dung der Abwä­gungs­ent­schei­dung ange- führ­ten­Grün­de­so­wi­ein­in­halt­li­ch­er­Hin­sicht­auf­die­Ein- hal­tung­des­Ab­wä­gungs­rah­men­sim­Sin­ne­der­Be­ach­tung der (gesetz­li­chen) Abwä­gungs­re­geln und im Rah­men der Sub­sum­ti­ons­kon­trol­le auf das Vor­lie­gen einer abs­trak­ten Fehl­ge­wich­tung maß­geb­li­cher Abwägungsgesichtspunkte.

Die­ses Kon­troll­mo­dell Riehms stimmt weit­ge­hend mit der bau­pla­nungs­recht­li­chen Abwä­gungs­feh­ler­leh­re über­ein. Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat anläss­lich einer ent­spre­chen­den Anre­gung des Ver­fas­sers ihre He- ran­zie­hung zur (gericht­li­chen) Kon­trol­le von Prü­fungs- ent­schei­dun­gen abge­lehnt. In der hier vor­ge­stell­ten Un- ter­su­chung wird nun nach­ge­wie­sen, dass die von der Recht­spre­chung für die Kon­trol­le von Bau­leit­plä­nen ent- wickel­te Abwä­gungs­feh­ler­leh­re ent­ge­gen dem Bun­des- ver­wal­tungs­ge­richt auf das Prü­fungs­recht über­trag­bar ist. Hier­zu wird die Par­al­le­li­tät der Ent­schei­dungs­struk- turen auf­ge­zeigt und im Ein­zel­nen belegt, dass den Kon- troll­pa­ra­me­tern der Abwä­gungs­feh­ler­leh­re (Abwä- gungs­aus­fall, ‑defi­zit, ‑fehl­ein­schät­zung, ‑dis­pro­por­tio- nali­tät) auch im Prü­fungs­recht mate­ri­ell-recht­li­che Bin- dun­gen gegen­über­ste­hen. Die­se Kon­troll­pa­ra­me­ter sind für das Prü­fungs­recht um das bis­lang als all­ge­mei­ner Be- wer­tungs­grund­satz aner­kann­te Gebot der Sachlichkeit

zu ergän­zen, das im ratio­na­len Abwä­gungs­kon­troll­mo- dell die Funk­ti­on eines wei­te­ren Abwä­gungs­fal­si­fi­ka­ti- ons­maß­stabs ein­nimmt. Auch die so erwei­ter­te Abwä- gungs­feh­ler­leh­re führt aber nur zu einer Kon­trol­le der Abwä­gung im enge­ren Sin­ne. Von die­ser zu untersch­ei- den ist im ratio­na­len Abwä­gungs­kon­troll­mo­dell die Über­prü­fung der Ein­hal­tung der den Abwä­gungs­rah- men abste­cken­den Abwä­gungs­di­rek­ti­ven. Das sind ne- ben den gesetz­li­chen Bewer­tungs­vor­ga­ben das Ver­bot der Anstel­lung sach­frem­der Erwä­gun­gen und nament- lich das Gebot der Respek­tie­rung des Ant­wort­spiel- raums des Prüf­lings in Fach­fra­gen, nach­dem eine ver- tret­ba­re und mit gewich­ti­gen Grün­den fol­ge­rich­tig be- grün­de­te Lösung nicht als falsch bewer­tet wer­den darf.

ee) Der „Ant­wort­spiel­raum“ des Prüf­lings als Abwä- gungsdirektive

Die (mög­li­chen) Steue­rungs­wir­kun­gen die­ser Abwä- gungs­di­rek­ti­ve wer­den nach­fol­gend ein­ge­hend behan- delt. Dabei wird zunächst auf­ge­zeigt, dass das „Gebot der Respek­tie­rung des Ant­wort­spiel­raums in Fach­fra­gen“, so wie es der­zeit in der Recht­spre­chung aus­ge­legt und ange- wen­det wird, nicht als Kon­troll­maß­stab fun­giert. Die­se Funk­ti­on hat der „Ant­wort­spiel­raum“ dadurch ein­ge- büßt, dass die Ver­wal­tungs­ge­rich­te von Anfang an den Rechts­stand­punkt ein­ge­nom­men und bis heu­te bei­be- hal­ten haben, dass die Beur­tei­lung der „Gewich­tig­keit der Argu­men­ta­ti­on“ und der „Fol­ge­rich­tig­keit der Lösung“ kom­ple­xe prü­fungs­spe­zi­fi­sche Wer­tun­gen erfor­der­ten mit der Fol­ge, dass die­se allein dem Prü­fer inner­halb sei­nes nur ein­ge­schränkt über­prüf­ba­ren Bewer­tungs­spiel­raums zuste­he. Die­se Sicht­wei­se hat zur Kon­se­quenz, dass der Prü­fer sich im Regel­fall immer auf eine unzu­rei­chen­de Begrün­dung und der Prüf­ling dann nicht auf sei­nen „Ant­wort­spiel­raum“ beru­fen kann.

Damit ist die mit der Pos­tu­lie­rung des „Ant­wort- spiel­raums“ ange­streb­te Rechts­schutz­in­ten­si­vie­rung für den Prüf­ling nur erreich­bar, wenn das Vor­lie­gen aller sei­ner kon­sti­tu­ie­ren­den Vor­aus­set­zun­gen vom Ver­wal- tungs­ge­richt voll­stän­dig über­prüft wird. Dies ist ent­ge- gen den bis­he­ri­gen Annah­men auch ohne Wei­te­res mög- lich. Bei der „Gewich­tig­keit“ der Argu­men­ta­ti­on han­delt es sich um einen unbe­stimm­ten Rechts­be­griff, der auch in ande­ren Rechts­vor­schrif­ten Anwen­dung fin­det und der abs­trakt-objek­ti­ven Kon­kre­ti­sie­rung zugäng­lich ist. Und soweit das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die Fol­ge­rich- tig­keit der Lösung ver­langt, wird in der Sache die Einhal- tung der objek­ti­ven Regeln der Logik vor­aus­ge­setzt, die auch das Ver­wal­tungs­ge­richt ohne Wei­te­res über­prü­fen kann. Da im Übri­gen weit­ge­hend aner­kannt ist, dass alle

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 8 1

282 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

durch die Prü­fungs­auf­ga­be und deren Lösung auf­ge­wor- fenen Fra­gen, die einem fach­li­chen Rich­tig­keits­ur­teil zu- gäng­lich sind, gericht­lich über­prüf­bar sind, kann bei der auf­ge­zeig­ten rich­ti­gen Anwen­dung des „Gebots der Res- pek­tie­rung des Ant­wort­spiel­raums des Prüf­lings in Fach­fra­gen“ tat­säch­lich eine wesent­li­che Ein­engung des Bewer­tungs­spiel­raums des Prü­fers erreicht werden.

Im Anschluss an die Kon­kre­ti­sie­rung der Abwä- gungs­di­rek­ti­ven wird noch ein­mal zusam­men­fas­send auf die Abwä­gungs­fal­si­fi­ka­ti­ons­maß­stä­be und hier in Ergän­zung der bis­he­ri­gen Dar­stel­lung näher auf die for- mel­len Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen und das Sach­lich- keits­ge­bot eingegangen.

Abschlie­ßend wer­den das Erfor­der­nis der Erheb- lich­keit von Abwä­gungs­feh­lern her­aus­ge­ar­bei­tet und die Kri­te­ri­en für ihre Annah­me ent­wi­ckelt. Wäh­rend im Ergeb­nis Feh­ler im Abwä­gungs­vor­gang stets als er- heb­lich anzu­se­hen sind, müs­sen die Aus­wir­kun­gen von Feh­lern bei der Zusam­men­stel­lung des Abwä- gungs­ma­te­ri­als in ers­ter Linie anhand der Prü­fe­rer- klä­run­gen beur­teilt wer­den, soweit die­se plau­si­bel sind.

V. Das ver­wal­tungs­in­ter­ne Kon­troll­ver­fah­ren (Über­den­kungs­ver­fah­ren)

Das sieb­te Kapi­tel der Unter­su­chung befasst sich erst- mals detail­liert mit den Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­lei- tung und Durch­füh­rung des Über­den­kungs­ver­fah­rens, die in den ein­schlä­gi­gen Juris­ten­aus­bil­dungs­ge­set­zen- und Ord­nun­gen nur ansatz­wei­se benannt sind und bis zuletzt weder in der Recht­spre­chung noch in der Lite­ra- tur näher beleuch­tet wor­den sind. Jüngst hat nun Mor- gen­roth in einem in die­ser Zeit­schrift nach der Druck­le- gung der Dis­ser­ta­ti­on ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag den Ver- such unter­nom­men, dem Über­den­kungs­ver­fah­ren durch die Beant­wor­tung von Fra­gen, die sich aus der Sicht der Hoch­schu­len dies­be­züg­lich auf­drän­gen, Kon- turen zu verleihen.1 Dabei hat er The­sen auf­ge­stellt, die nicht unwi­der­spro­chen blei­ben können.

1. Zur Funk­ti­on des Über­den­kungs­ver­fah­rens als kom­pen­sa­to­ri­sches Rechtsschutzverfahren

Ent­ge­gen­zu­tre­ten ist zunächst sei­ner Annah­me, dass das Über­den­kungs­ver­fah­ren sys­te­ma­tisch zum Leis­tungs­be- wer­tungs­ver­fah­ren und nicht zum Rechts­schutz­ver­fah- ren zählt.2 Wie bereits aus­ge­führt schafft die Durch­füh- rung des­sel­ben einen ver­fas­sungs­recht­lich not­wen­di­gen Aus­gleich für die Rechts­schutz­lü­cke, die dadurch ent-

Mor­gen­roth, OdW 2017, 13 ff.

steht, dass die prü­fungs­spe­zi­fi­schen Bewer­tun­gen des Prü­fers (auch bei der Anwen­dung des in der Unter­su- chung ent­wi­ckel­ten Modells der ratio­na­len Abwä­gungs- kon­trol­le) gericht­lich nur ein­ge­schränkt über­prüft wer- den kön­nen. Indem der Prü­fer nament­lich sei­ne prü- fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen über­denkt, leis­tet er den gebo­te­nen kom­pen­sa­to­ri­schen Rechts­schutz. Zwar geht das Über­den­ken der Bewer­tung, soweit die Ein­wän­de des Prüf­lings dazu ver­an­las­sen, mit einer (par­ti­el­len) Neu­be­wer­tung der Prü­fungs­leis­tung ein­her. Dies recht- fer­tigt es aber nicht, das Über­den­kungs­ver­fah­ren dem Leis­tungs­be­wer­tungs­ver­fah­ren zuzu­ord­nen. Viel­mehr ist zu erken­nen, dass eine (par­ti­el­le) Neu­be­wer­tung der Prü­fungs­leis­tung nur Fol­ge der gebo­te­nen kom­pen­sa­to- rischen Rechts­schutz­ge­wäh­rung ist bzw. sein kann, wei- ter, dass die­ser ent­spre­chend die (Neu-) Bewer­tungs­be- fug­nis­se des Prü­fers im Über­den­kungs­ver­fah­ren rich­ti- ger­wie­se nur so weit rei­chen wie die Ein­wän­de des Prüf­lings und auch des­halb die Zuord­nung des­sel­ben zum Leis­tungs­be­wer­tungs­ver­fah­ren nicht sach­ge­recht erscheint.

Aus der (rich­ti­gen) Erkennt­nis, dass das Ver­fah­ren des Über­den­kens der Bewer­tung rechts­sys­te­ma­tisch kom­pen­sa­to­ri­schen Rechts­schutz gewährt, las­sen sich gewich­ti­ge Fol­ge­run­gen für die Anfor­de­run­gen an die Ein­lei­tung und Durch­füh­rung des­sel­ben ableiten.

2. Das Erfor­der­nis der Erhe­bung sub­stan­ti­ier­ter Bewer­tungs­rü­gen als Einleitungsvoraussetzung

Die Durch­füh­rung eines Über­den­kungs­ver­fah­rens kann der Prüf­ling nur bei der Erhe­bung sub­stan­ti­ier­ter Ein- wän­de bean­spru­chen, zu deren For­mu­lie­rung er aber nur in der Lage ist, wenn er die Grün­de erfährt, die die Prü­fer zu der streit­ge­gen­ständ­li­chen Bewer­tung bewo- gen haben. Aus die­ser Erkennt­nis resul­tiert ein Anspruch des Prüf­lings auf eine nach­voll­zieh­ba­re Begrün­dung der Bewer­tung und ein Recht auf Ein­sicht in diese.

3. Das Akten­ein­sichts­recht des Prüf­lings als not­wen­di­ge Bedin­gung der Mög­lich­keit der Erhe­bung sub­stan­ti­ier- ter Bewertungsrügen

Das Akten­ein­sichts­recht des Prüf­lings ist mitt­ler­wei­le über­wie­gend spe­zi­al­ge­setz­lich in den Juris­ten­aus­bil- dungs­ge­set­zen- bzw. Ver­ord­nun­gen sowie all­ge­mein (§ 29 LVwVfG, § 79 LVwVfG i.V.m. § 100 VwGO) ohne­hin gere­gelt. Der Anwen­dungs­be­reich der ver- schie­de­nen Rechts­grund­la­gen wird gegen­ein­an­der abge­grenzt und ihr Inhalt teils kri­tisch im Lich­te der Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG beleuch­tet. Im

Mor­gen­roth, OdW 2017, 13 (23).

Ergeb­nis wird unab­hän­gig von der jeweils ein­schlä­gi- gen Rechts­grund­la­ge für ein in zeit­li­cher und gegen- ständ­li­cher Hin­sicht grund­sätz­lich unbe­schränk­tes und nament­lich die Anfer­ti­gung von Ablich­tun­gen der Prü­fungs­un­ter­la­gen umfas­sen­des Akten­ein­sichts- recht ein­ge­tre­ten. Mor­gen­roth will dem­ge­gen­über die „Pflicht zur Ermög­li­chung von Foto­ko­pien“ auf Aus- nah­me­fäl­le beschrän­ken und meint, dass eine sol­che Pra­xis mit dem Gebot der Gewähr­leis­tung effek­ti­ven Rechts­schut­zes zu ver­ein­ba­ren sei.3 Die­se The­se ist schon in sich wider­sprüch­lich, soweit von einer „Pflicht“ die Rede ist, die aber nicht erfüllt zu wer­den braucht. Im Übri­gen begrün­det Mor­gen­roth sei­nen Rechts­stand- punkt nicht mit gewich­ti­gen Argu­men­ten. Ins­be­son­de­re benennt er kein legi­ti­mes Inter­es­se der Hoch­schu­len, dem Prüf­ling die Anfer­ti­gung von Ablich­tun­gen zu ver- weh­ren, das aber erfor­der­lich wäre, um die Beschrän- kung der sich aus den Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 GG erge­ben­den Rech­te des Prüf­lings zu recht­fer­ti­gen. Tat- säch­lich lässt sich ein sol­ches, wie in der Unter­su­chung im Ein­zel­nen nach­ge­wie­sen wird, aber auch nicht begründen.

4. Der Begrün­dungs­an­spruch des Prüf­lings als wei­te­re Vorbedingung

Im Anschluss an das Akten­ein­sichts­recht wird der Begrün­dungs­an­spruch des Prüf­lings behan­delt. Des­sen Erfül­lung ist für die Rea­li­sie­rung sei­nes Über­den­ken­san- spruchs glei­cher­ma­ßen kon­sti­tu­ie­rend wie die Gewäh- rung eines Akten­ein­sichts­rech­tes. Den­noch sind die Vor­aus­set­zun­gen und der Inhalt des aus den Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG ableit­ba­ren Begrün­dungs­an- spruchs gesetz­lich nur ver­ein­zelt und zwar für die Bewer- tung münd­li­cher Prü­fungs­leis­tun­gen gere­gelt. Danach hängt deren Begrün­dung ent­spre­chend der all­ge­mei­nen und vom Ver­fas­ser geteil­ten Annah­me von einem ent- spre­chen­den Ver­lan­gen des Prüf­lings ab, wäh­rend sie wegen ihrer Garan­tie- und Klar­stel­lungs­funk­ti­on bei der Bewer­tung einer schrift­li­chen Prü­fungs­leis­tung obli­ga- torisch ist.

An das not­wen­di­ge Begrün­dungs­ver­lan­gen des Prüf- lings bei münd­li­chen Prü­fun­gen dürf­ten aber kei­ne be- son­de­ren Anfor­de­run­gen gestellt wer­den. Abzu­leh­nen ist – um ins­be­son­de­re Über­schnei­dun­gen mit der Rea­li- sie­rung des Über­den­kens­an­spruchs zu ver­mei­den – die mit­un­ter gefor­der­te ein­wen­dungs­be­zo­ge­ne Spe­zi­fi­zie- rung des­sel­ben. Soweit der Prüf­ling unmit­tel­bar im An-

  1. 3  Mor­gen­roth, OdW 2017, 13 (21).
  2. 4  Mor­gen­roth, OdW 2017, 12 (24); auch dem Zwei­ten Sen­at­des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes ist in einem Beschluss vom 21.12.2016 – 2 B 108/15, juris, insb. Rn. 15, die­ser Feh­ler unter- lau­fen. In dem Fall ging es nicht um die Anfor­de­run­gen an die

schluss an die Bekannt­ga­be der Bewer­tung einer münd- lichen Prü­fungs­leis­tung und gege­be­nen­falls deren kur- zer Begrün­dung mit den Prü­fern über deren Ange­mes- sen­heit dis­ku­tiert, erhält er eine erwei­ter­te Begrün­dung der Bewer­tung, gegen die er dann zu einem spä­te­ren Zeit­punkt Ein­wän­de im Rah­men des Wider­spruchs­ver- fah­rens erhe­ben kann. Mor­gen­roth ver­kennt in sei­ner Abhand­lung die­se gebo­te­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Anspruch des Prüf­lings auf eine erwei­ter­te Begrün- dung der Bewer­tung und deren Überdenken.4

Die Garantie‑, Klar­stel­lungs- und Recht­schutz­funk­ti- on der Begrün­dung erfor­dert auch bei münd­li­chen Prü- fun­gen im Regel­fall eine schrift­li­che Begrün­dung der Bewer­tung. Erstaun­lich ist, dass der Zwei­te Senat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes in einem Beschluss vom 21.12.2016 den Rechts­stand­punkt ein­ge­nom­men hat, dass eine schrift­li­che Begrün­dung der Bewer­tung der münd­li­chen Prü­fungs­leis­tung ver­fas­sungs­recht­lich nicht zwin­gend erfor­der­lich ist. Die­se Aus­sa­ge ist jeden­falls für den Fall nicht rich­tig und mit der Recht­spre­chung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichtes5 unver- ein­bar, dass der Prüf­ling eine (schrift­li­che) Begrün­dung der Bewer­tung sei­ner münd­li­chen Prü­fungs­leis­tun­gen ver­langt und deren Erstel­lung den Prü­fern zum Zeit- punkt des Begrün­dungs­ver­lan­gens noch mög­lich ist. Ent­ge­gen­ste­he Rege­lun­gen in den Prü­fungs­ord­nun­gen sind daher – soweit mög­lich – ver­fas­sungs­kon­form auslegen.

Die Anfor­de­run­gen an Inhalt und Umfang der Be- grün­dung der Bewer­tung wer­den in Abwei­chung von der bis­he­ri­gen Dog­ma­tik wegen der äqui­va­len­ten Funk- tion der Begrün­dung eines Urteils und der Par­al­le­li­tät der Ent­schei­dungs­struk­tu­ren aus­ge­hend von § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ana­log bestimmt. Dem­ge­mäß wird (nur) eine Pflicht des Prü­fers zur Anga­be der lei­ten­den Erwä- gun­gen ange­nom­men, die sein Abwä­gungs- und Bewer- tungs­er­geb­nis bestimmt haben. Deren Erfül­lung macht es erfor­der­lich, dass die vom Prü­fer ange­nom­me­nen fach­li­chen Anfor­de­run­gen und die ange­wen­de­ten prü- fungs­spe­zi­fi­schen Abwä­gungs- und Gewich­tungs­kri­te­ri- en in einer sol­chen Aus­führ­lich­keit ange­ge­ben wer­den, dass die (Punkt-)Bewertung ent­spre­chend dem for­ma- len Ratio­na­li­täts­pos­tu­lat schlüs­sig und nach­voll­zieh­bar aus dem Wort­gut­ach­ten folgt.

Fehlt eine Begrün­dung oder ist sie gemes­sen an den für rich­tig gehal­te­nen Maß­stä­ben völ­lig unzu­rei­chend, wird für eine Neu­be­wer­tung durch einen ande­ren Prüfer

Begrün­dung der Bewer­tung einer münd­li­chen Prü­fungs­leis­tung, son­dern die­je­ni­gen für die Durch­füh­rung des Über­den­kungs­ver- fahrens.

5 Sie­he BVerw­GE 99, 185 (195 f.).

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 8 3

284 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

ein­ge­tre­ten, da nur so einer mit dem Chan­cen­gleich- heits­grund­satz unver­ein­ba­ren Ände­rung der Bewer- tungs­kri­te­ri­en durch den ursprüng­li­chen Prü­fer begeg- net wer­den kann. Liegt eine aus­rei­chen­de Bewer­tungs- begrün­dung vor, wird der in der Recht­spre­chung teils ange­nom­me­ne Anspruch des Prüf­lings auf eine wei­te­re, kon­kre­te­re Begrün­dung der Bewer­tung unter der Vor- aus­set­zung der Erhe­bung sub­stan­ti­ier­ter Ein­wän­de ab- gelehnt. Eine Kon­kre­ti­sie­rung der Begrün­dung stellt sich in die­sem Fall näm­lich nur als Neben­ef­fekt bei der Rea­li- sie­rung des Anspruchs auf ein Über­den­ken der Bewer- tung bzw. der Gewäh­rung recht­li­chen Gehörs dar (ent- spre­chend § 108 Abs. 2 VwGO).

Abschlie­ßend wer­den zunächst noch „prak­ti­sche Hand­rei­chun­gen“ für die kon­kre­te Umset­zung der zuvor erar­bei­te­ten abs­trak­ten Begrün­dungs­an­for­de­run­gen durch die Ent­wick­lung ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hi­ger Grund­sät­ze gegeben.

Sodann wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die auf­ge­stell- ten Begrün­dungs­an­for­de­run­gen glei­cher­ma­ßen für den Zweit­prü­fer gel­ten. Die­ser kann sich aber bei der über- wie­gend durch­ge­führ­ten „offe­nen Zweit­kor­rek­tur“ einer aus­rei­chen­den Erst­be­grün­dung anschlie­ßen, soweit er die Bewer­tung des Erst­prü­fers und deren Begrün­dung teilt.

Gestei­ger­te Begrün­dungs­pflich­ten des Zweit­kor­rek- tors sind auch für den Fall, dass sei­ne Bewer­tung dazu führt, dass die Klau­sur als nicht bestan­den gilt, abzu­leh- nen. Die inso­weit leb­haft geführ­te Dis­kus­si­on behan­delt eine Schein­pro­ble­ma­tik, da es hier in der Sache immer nur um die Fra­ge der aus­rei­chen­den Umset­zung der ab- strak­ten Anfor­de­run­gen nament­lich für die Begrün­dung der prü­fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen geht.

5. Die Sub­stan­ti­ie­rungs­ob­lie­gen­heit des Prüflings

Nach der Dar­stel­lung des Akten­ein­sichts­rechts des Prüf- lings sowie sei­nes Begrün­dungs­an­spruchs als not­wen­di- ge Vor­be­din­gun­gen für die Erhe­bung sub­stan­ti­ier­ter Ein­wän­de gegen die Bewer­tung erfolgt eine nähe­re Aus- ein­an­der­set­zung mit die­ser all­ge­mein pos­tu­lier­ten Oblie­gen­heit des Prüf­lings. Zunächst wer­den die rudi- men­tä­ren gesetz­li­chen Rege­lun­gen der Sub­stan­ti­ie- rungs­ob­lie­gen­heit und hier vor allem die­je­ni­ge in Rhein- land-Pfalz vor­ge­stellt, nach der eine Prü­fer­be­tei­li­gung nur unter der Vor­aus­set­zung erfolgt, dass nach sum­ma- rischer Prü­fung der Ein­wän­de des Prüf­lings das Vor­lie- gen von Bewer­tungs­feh­lern nicht aus­ge­schlos­sen erscheint (§ 9 Abs. 6 Satz 1 JAPO RLP).

Die Sub­stan­ti­ie­rungs­ob­lie­gen­heit und ihre gesetz­li- chen Rege­lun­gen wer­den sodann im Lich­te der Art. 12

6 So aber Mor­gen­roth, OdW 2017, 12 (20).

Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 4 Satz 1 GG bewer­tet. Im Ergeb­nis wird eine Sub­stan­ti­ie­rungs­ob­lie­gen­heit des Prüf­lings im Grund­satz als unpro­ble­ma­tisch erach­tet, aber zu beden- ken gege­ben, dass die Vor­aus­set­zun­gen für den Zugang zum Über­den­kungs­ver­fah­ren nicht in einer unzu­mut­ba- ren, aus Sach­grün­den nicht mehr zu recht­fer­ti­gen­den Art und Wei­se erschwert wer­den dür­fen. Kri­tisch in den Blick genom­men wird inso­weit die in Rhein­land-Pfalz getrof­fe­ne Rege­lung. Da der Prüf­ling gera­de die Mög- lich­keit haben muss, die „sub­jek­ti­ve Rich­tig­keit“ der Be- wer­tung auch durch iso­lier­te Ein­wän­de gegen die prü- fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen anzu­zwei­feln, wird § 9 Abs. 6 Satz 1 JAPO RLP daher als ver­fas­sungs­wid­rig angesehen.

Nach der Dar­stel­lung der bis­lang auf­ge­stell­ten Subs- tan­ti­ie­rungs­an­for­de­run­gen in Recht­spre­chung und Lite- ratur wird aus­ge­hend von der struk­tu­rel­len Iden­ti­tät der einem Prü­fungs­ur­teil und einem Urteil im All­ge­mei­nen vor­aus­ge­hen­den Abwä­gungs­pro­zes­se in ana­lo­ger An- wen­dung der §§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 124 a Abs. 4 Satz 2 VwGO eine eige­ne Sub­stan­ti­ie­rungs­for­mel ent­wi­ckelt. Nach die­ser ist maß­geb­lich, ob es dem Prüf­ling gelun­gen ist, ernst­li­che Zwei­fel an der objek­ti­ven oder sub­jek­ti­ven Rich­tig­keit der Bewer­tung auf­zu­zei­gen. Dies ist der Fall, wenn er eine erheb­li­che Tat­sa­chen­fest­stel­lung, den tra- gen­den (abs­trak­ten) Rechts­satz oder Maß­stab einer fach-oder prü­fungs­spe­zi­fi­schen Wer­tung oder ein kon- kre­tes Sub­sum­ti­ons­er­geb­nis mit schlüs­si­gen Gegen­ar­gu- men­ten in Fra­ge gestellt hat. In die­sem Zusam­men­hang ist der Rechts­an­sicht von Mor­gen­roth ent­schie­den ent­ge- gen­zu­tre­ten, dass es nicht zuläs­sig sei, im Über­den- kungs­ver­fah­ren eine Ver­tret­bar­keits­rü­ge bzw. sons­ti­ge Bewer­tungs­feh­ler gel­tend zu machen.6 Zwar ist es rich- tig, dass ein ver­wal­tungs­in­ter­nes Kon­troll­ver­fah­ren nur zum Zwe­cke des Über­den­kens der prü­fungs­spe­zi­fi­schen Bewer­tun­gen durch­ge­führt wer­den muss und die blo­ße Rüge von Bewer­tungs­feh­lern eine Prü­fer­be­tei­li­gung nicht erfor­dert. Dies schließt es aber nicht nur nicht aus, dass der Prü­fer neben den prü­fungs­spe­zi­fi­schen Wer- tun­gen auch sei­ne fach­li­chen Ein­schät­zun­gen über- denkt. Viel­mehr erscheint dies aus Prak­ti­ka­bi­li­täts­grün- den zwin­gend gebo­ten, da fach­spe­zi­fi­sche mit prü­fungs- spe­zi­fi­schen Wer­tun­gen im Regel­fall untrenn­bar ver- knüpft sind. Stellt der Sach­be­ar­bei­ter beim Prü­fungs­amt einen Bewer­tungs­feh­ler fest, muss die­ser ohne­hin den Prü­fer mit des­sen Kor­rek­tur beauf­tra­gen, weil nur die­ser die Prü­fungs­leis­tung neu bewer­ten darf. Vor die­sem Hin­ter­grund ist es wesent­lich effek­ti­ver, dem Prü­fer von vorn­her­ein eine umfas­sen­de Selbst­kon­trol­le sei­ner Be- wer­tung im Lich­te der Ein­wän­de des Prüf­lings zu er-

mög­li­chen. So ver­fährt auch die Pra­xis und dies nicht nur bei der Erhe­bung von Ein­wän­den gegen die Bewer- tung juris­ti­scher Prüfungsleistungen.

Das bis­lang in der Recht­spre­chung teils wei­ter ge- hend auf­ge­stell­te Erfor­der­nis der Schlüs­sig­keit der Ein- wen­dun­gen in dem Sin­ne, dass die Ein­wen­dun­gen des Prüf­lings die Prü­fer­kri­tik auch tat­säch­lich berüh­ren, ist abzu­leh­nen, weil nur der Prü­fer beur­tei­len kann, ob dies der Fall ist.

6. Anfor­de­run­gen an die Durch­füh­rung des Über­den­kungs- und Widerspruchsverfahrens

Nach­dem die Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­lei­tung des Über- den­kungs­ver­fah­rens abge­han­delt wor­den sind, wer­den die Anfor­de­run­gen für die Durch­füh­rung des­sel­ben und des Wider­spruchs­ver­fah­rens dar­ge­legt. In die­sem Zusam­men- hang ist klar­zu­stel­len, dass mit Aus­nah­me von Bay­ern das Über­den­kungs­ver­fah­ren in allen Bun­des­län­dern im Rah- men des Wider­spruchs­ver­fah­rens durch­ge­führt wird. Mor- gen­roth tritt all­ge­mein einer sol­chen Ein­bet­tung entgegen,7 was wie dar­ge­legt dar­auf beruht, dass er die Rechts­schutz- funk­ti­on des Über­den­kungs­ver­fah­rens ver­kennt. Erkennt man die­se, ist das Wider­spruchs­ver­fah­ren der idea­le Stand- ort für die Durch­füh­rung des Über­den­kungs­ver­fah­rens. In der Unter­su­chung wird her­aus­ge­ar­bei­tet, dass die im Wider­spruchs­ver­fah­ren gebo­te­ne Kon­trol­le der Recht- und Zweck­mä­ßig­keit des Ver­wal­tungs­ak­tes in einer Art Koope­ra­ti­ons­ver­hält­nis zwi­schen dem Prü­fungs­amt und dem Prü­fer durch­ge­führt wird. Im Rah­men des­sen wird – wie bereits aus­ge­führt – die Zweck­mä­ßig­keits­kon­trol­le durch den Prü­fer in Form des Über­den­kens sei­ner prü- fungs­spe­zi­fi­schen Bewer­tun­gen durch­ge­führt, wäh­rend die Sach­be­ar­bei­ter beim Prü­fungs­amt die (abschlie­ßen- de) Kon­trol­le der Recht­mä­ßig­keit der Bewer­tung vor- neh­men. Wie dar­ge­legt schließt die­se grund­sätz­li­che Auf­ga­ben­ver­tei­lung es aber nicht aus, den Prü­fern auch eine Selbst­kor­rek­tur der vom Prüf­ling gerüg­ten Bewer- tungs­feh­ler zu ermög­li­chen. Die­se zusätz­li­che Kon­trol­le stärkt den Rechts­schutz des Prüf­lings wei­ter. Im gege­be- nen Kon­text ist Mor­gen­roth auch inso­weit ent­ge­gen­zu- tre­ten, als er der Ansicht ist, dass die Anwen­dung eines Prü­fungs­be­wer­tungs­maß­stabs rei­ne Rechts­an­wen­dung dar­stellt, des­halb im Über­den­kungs­ver­fah­ren kei­ne Zweck­mä­ßig­keits­kon­trol­le statt­fin­det und das Wider- spruchs­ver­fah­ren für sei­ne Durch­füh­rung daher unpas- send ist.8 Tat­säch­lich liegt eine Rechts­an­wen­dung nur vor, wenn der Prü­fer objek­ti­ve Bewer­tungs­maß­stä­be anwen­det bzw. beach­ten muss, die aus dem gel­ten­den Recht ein­schließ­lich des Ver­fas­sungs­rechts folgen.

  1. 7  Mor­gen­roth, OdW 2017, 12 (23).
  2. 8  Mor­gen­roth, OdW 2017, 12 (24).

Soweit sei­ne Bewer­tung auf sei­nen sub­jek­ti­ven Bewer- tungs­kri­te­ri­en beruht, kom­men außer­recht­li­che Maß- stä­be zur Anwen­dung, die nur einer Zweck­mä­ßig­keits- über­prü­fung, aber kei­ner Rechts­kon­trol­le zugäng­lich sind. Das wird von Mor­gen­roth selbst nicht in Abre­de gestellt.9

7. Befas­sungs- und Beschei­dungs­pflicht des Prüfers

In Bezug auf den Umgang des Prü­fers mit den subs- tan­ti­ier­ten Ein­wän­den des Prüf­lings wird in der Unter­su­chung zur Gewähr­leis­tung der Rechts­schutz- funk­ti­on des Über­den­kungs­ver­fah­rens eine umfas- sen­de Befas­sungs- und Beschei­dungs­pflicht ange- nom­men, die rechts­fort­bil­dend neu in § 108 Abs. 2 VwGO ana­log ver­or­tet wird. Die­ser Vor­schrift bzw. ihrer Aus­le­gung in Recht­spre­chung in Lite­ra­tur wer- den auch die im Ein­zel­nen zu stel­len­den Anfor­de­run- gen an den Umfang der Stel­lung­nah­me des Prü­fers ent­nom­men. Soweit das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt nun in einem am 21.9.2016 gefass­ten Beschluss, der in der Unter­su­chung nicht mehr berück­sich­tigt wer­den konn­te, den Rechts­satz auf­ge­stellt hat, dass der Umfang und die Begrün­dungs­tie­fe, die eine im Über- den­kungs­ver­fah­ren abge­ge­be­ne Stel­lung­nah­me auf- wei­sen muss, von der Sub­stanz der im kon­kre­ten Fall vom Prüf­ling vor­ge­brach­ten Ein­wän­de abhinge,10 steht die­ser mit dem in der Unter­su­chung auf­ge­stell- ten Pos­tu­lat einer umfas­sen­den Befas­sungs- und Beschei­dungs­pflicht durch­aus in Ein­klang, die natür- lich unter dem Vor­be­halt steht, dass die Ein­wän­de des Prüf­lings hin­rei­chend sub­stan­ti­iert und schlüs­sig sind.

8. Kom­pe­ten­zen des Prü­fers im Über­den­kungs- verfahren

Im Rah­men der abschlie­ßen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit den Kom­pe­ten­zen des Prü­fers im Über­den­kungs- ver­fah­ren wird erst­mals zwi­schen einer for­mel­len Über- prü­fungs­be­rech­ti­gung, deren Umfang durch die Ein- wän­de des Prüf­lings bestimmt wird, sowie der mate­ri­el- len Neu­be­wer­tungs-/Ab­än­de­rungs­be­fug­nis des Prü­fers dif­fe­ren­ziert. Die­se ist inner­halb einer bestehen­den Über­prü­fungs­kom­pe­tenz unter der Vor­aus­set­zung der Bei­be­hal­tung des bis­he­ri­gen Bewer­tungs­maß­stabs unbe- schränkt. Auch eine Ände­rung der Bewer­tung zum Nach­teil des Prüf­lings und eine dar­auf auf­bau­en­de Auf- hebung/Abänderung der ursprüng­li­chen Prü­fungs­ent- schei­dung sind mög­lich, wenn ihr kei­ne schutz­wür­di­gen Belan­ge des Prüf­lings entgegenstehen.

Mor­gen­roth, OdW 2017, 12 (24).
10 BVerwG, Bes. vom 21.9.2016 – 6 B 14/16, juris, Rn. 11.

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 8 5

286 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

VI. Ver­wal­tungs­pro­zes­sua­le Rechts­schutz- möglichkeiten

Im Rah­men des Schluss­ka­pi­tels der Dis­ser­ta­ti­on wird dar­ge­stellt, mit wel­chen pro­zes­sua­len Mit­teln der Prüf- ling sei­nen Anspruch auf eine „rich­ti­ge“ Prü­fungs­ent- schei­dung und die zu sei­ner Durch­set­zung die­nen­den Neben­an­sprü­che (Akten­ein­sichts­recht, Begrün­dungs­an- spruch etc.) gericht­lich (wei­ter-) ver­fol­gen und unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen das jewei­li­ge Rechts­schutz­be- geh­ren erfolg­reich sein kann.

1. Bestim­mung des Streitgegenstandes

Ein­gangs der dies­be­züg­li­chen Dar­stel­lung wird der in das gericht­li­che Ver­fah­ren ein­zu­füh­ren­de Streit­ge­gen- stand bestimmt. Hier wird auf die prü­fungs­recht­li­che Beson­der­heit hin­ge­wie­sen, dass sich der Prüf­ling zwar for­mal gegen die im jewei­li­gen Prü­fungs­be­scheid getrof- fene Rege­lung, in der Sache aber gegen das Ver­fah­ren der Ermitt­lung einer oder meh­re­rer Teil­prü­fungs­leis- tung (en) oder deren Bewer­tung wen­det. So stellt bei von ihm erho­be­nen mate­ri­el­len Rügen gegen die Bewer­tung, die zur Ein­ho­lung von Prü­fer­stel­lung­nah­men geführt haben, deren Begrün­dung in der Gestalt, die sie durch das ver­wal­tungs­in­ter­ne Kon­troll­ver­fah­ren erhal­ten hat, den Gegen­stand der gericht­li­chen Kon­trol­le dar. Die­ser Kon­troll­ge­gen­stand kann durch die Ein­ho­lung erst­ma­li- ger oder ergän­zen­der Prü­fer­stel­lung­nah­men Ver­än­de- run­gen unter­wor­fen sein. In die­sem Fall ist der Prüf­ling gehal­ten, dar­auf zur Mei­dung pro­zes­sua­ler Nach­tei­le zu reagie­ren (pro­zess­be­en­den­de Erklä­rung, wei­ter gehen­de Substantiierung).

2. (Erneu­te) Prü­fer­be­tei­li­gung wäh­rend des gericht­li- chen Verfahrens?

Aus­ge­hend von die­sen mög­li­chen Ver­än­de­run­gen des Streit­ge­gen­stan­des wird anschlie­ßend den Fra­gen nach- gegan­gen, ob auch gegen den Wil­len des Prüf­lings Stel- lung­nah­men der Prü­fer zu sei­nen pro­zes­sua­len Bewer- tungs­rü­gen ein­ge­holt wer­den kön­nen und ob und unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen er umge­kehrt eine (erneu­te) Prü­fer­be­tei­li­gung ver­lan­gen kann. Die ers­te Fra­ge ist im Hin­blick auf die Dis­po­si­ti­ons­be­fug­nis des Prüf­lings zu verneinen.

Hin­sicht­lich der zwei­ten Fra­ge gilt es, die unter- schied­li­chen Fall­kon­stel­la­tio­nen zu unter­schei­den, in denen ein Bedürf­nis des Prüf­lings für eine erneu­te bzw. erst­ma­li­ge Prü­fer­be­tei­li­gung bestehen kann. Im Ergeb- nis wird in der Unter­su­chung ein dies­be­züg­li­cher An- spruch zunächst in den Fäl­len bejaht, in denen es nicht

11 VG Stutt­gart, Bes. v. 5.5.2017 – 2 K 4815/17, n.v.

dem Prüf­ling ange­las­tet wer­den kann, dass ein Über­den- kungs­ver­fah­ren nicht durch­ge­führt wor­den ist; aber auch bei einer infol­ge einer Oblie­gen­heits­ver­let­zung un- ter­blie­be­nen Prü­fer­be­tei­li­gung oder dem (einst­wei­li­gen) Ver­zicht des Prüf­lings auf eine sol­che wird ein fort­bes­te- hen­der Über­den­kens­an­spruch bejaht. Grund hier­für ist, dass die gebo­te­ne Abwä­gung zwi­schen dem (kom­pen­sa- tori­schen) Rechts­schutz­in­ter­es­se des Prüf­lings und dem blo­ßen Inter­es­se der Prü­fer an einer unter­blei­ben­den In- anspruch­nah­me für eine ver­wal­tungs­in­ter­ne Kon­trol­le der Prü­fungs­ent­schei­dung ein­deu­tig zuguns­ten des Prüf­lings ausgeht.

3. Gericht­li­ches Rechtsschutzinstrumentarium

Nach erfolg­ter Klä­rung der Zuläs­sig­keit bzw. Gebo­ten- heit einer (erneu­ten) Ein­bin­dung der Prü­fer in die (gericht­li­che) Kon­trol­le der Recht­mä­ßig­keit der Prü- fungs­ent­schei­dung wird das dem Prüf­ling zur Ver­fü- gung ste­hen­de Rechts­schutz­in­stru­men­ta­ri­um dar­ge- stellt. Hier wer­den zunächst die statt­haf­ten Kla­ge­ar­ten bei den jeweils in Betracht kom­men­den Begeh­ren des Prüf­lings und sodann die Rechts­fol­gen bei deren pro­zes- sua­ler Über­ho­lung auch und gera­de mit Blick auf dar­aus resul­tie­ren­de Hand­lungs­las­ten des Prüf­lings behandelt.

4. Vor­läu­fi­ge Rechtsschutzmöglichkeiten

Der nach­fol­gen­de Teil­ab­schnitt wid­met sich der Fra­ge, wel- che Mög­lich­kei­ten der Prüf­ling hat, sei­nen Anspruch auf eine „rich­ti­ge“ Prü­fungs­ent­schei­dung sowie die zu sei­ner Durch­set­zung die­nen­den Neben- und Hilfs­an­sprü­che im Wege des vor­läu­fi­gen Rechts­schut­zes durch­zu­set­zen, die im Hin­blick auf die immer noch zuneh­men­de Dau­er der Haupt­sa­che­ver­fah­ren von über­ra­gen­der Bedeu­tung ist. Prin­zi­pi­ell kann der Prüf­ling sei­ne Neben- und Hilfs­an- sprü­che (Akten­ein­sichts­recht, Begrün­dungs­an­spruch, Über­den­kens­an­spruch etc.) durch den Antrag auf Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung nach § 123 Abs. 1 VwGO durch­set­zen, sofern dem nicht § 44a Satz 1 VwGO, wonach Rechts­be­hel­fe gegen behörd­li­che Ver­fah­rens­hand­lun­gen nur gleich­zei­tig mit den gegen die Sach­ent­schei­dung zuläs- sigen Rechts­be­hel­fen gel­tend gemacht wer­den kön­nen, ent- gegen­steht. In vie­len Fäl­len, ins­be­son­de­re bei einem schon abge­schlos­se­nen Wider­spruchs­ver­fah­ren, ist die­se Vor­schrift aber bereits tat­be­stand­lich nicht ein­schlä­gig. Im Übri­gen bedarf § 44a Satz 1 VwGO inner­halb sei­nes Anwen­dungs­be­reichs mit Blick auf den Gewähr­leis- tungs­ge­halt der Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG der ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung, soweit näm- lich durch die Ver­wei­ge­rung vor­läu­fi­gen Rechts­schut­zes Nach­tei­le ent­stün­den, etwa das Unmög­lich­wer­den des

Über­den­kens der Bewer­tung durch die Prü­fer infol­ge Zeit­ab­laufs und der dadurch ver­blass­ten Erin­ne­rung an das (münd­li­che) Prü­fungs­ge­sche­hen, die im spä­te­ren Haupt­sa­che­ver­fah­ren nicht mehr aus­ge­gli­chen wer­den könn­ten. Dies war bis­lang auch der über­wie­gen­de Stand- punkt der Recht­spre­chung. Jüngst hat nun aber das VG Stutt­gart in einem bis­lang unver­öf­fent­lich­ten Beschluss vom 5.5.201711 einen vom Ver­fas­ser gestell­ten Antrag auf Ver­pflich­tung der Antrags­geg­ne­rin zur Begrün­dung der Bewer­tung einer Lehr­pro­be mit Ver­weis auf § 44a Satz 1 VwGO kurz und knapp für unzu­läs­sig erklärt. Die Ent- schei­dung des VGH Mann­heim als Beschwer­de­instanz und die wei­te­re Ent­wick­lung der Recht­spre­chung in die- ser Rechts­fra­ge bleibt abzuwarten.

Grund­sätz­lich ist es aner­kannt, dass ein Prüf­ling, der auf­grund unzu­rei­chen­der schrift­li­cher Prü­fungs­leis­tun- gen die Prü­fung end­gül­tig nicht bestan­den hat, gestützt auf sei­nen mate­ri­ell-recht­li­chen Haupt­an­spruch die vor- läu­fi­ge Zulas­sung zur münd­li­chen Prü­fung erstrei­ten kann, weil er ande­ren­falls gehal­ten wäre, sein Prü­fungs- wis­sen trotz Unge­wiss­heit über den Aus­gang des Haupt- sache­ver­fah­rens und einer etwa­igen Neu­be­wer­tung sei- ner schrift­li­chen Prü­fungs­leis­tun­gen für einen unab­seh- bar lan­gen Zeit­raum zu kon­ser­vie­ren und fort­lau­fend zu aktua­li­sie­ren, was zu Recht als unzu­mut­bar ange­se­hen wird.12 In einem Beschluss vom 19.4.2017 hat der VGH Mann­heim nun sei­ne frü­he­re Recht­spre­chung bestä­tigt, wonach eine vor­läu­fi­ge Zulas­sung zur münd­li­chen Staats­prü­fung bereits aus Rechts­grün­den aus­schei­de, weil der Prü­fungs­aus­schuss die End­no­te nicht fest­set­zen kön­ne, solan­ge die in der schrift­li­chen Prü­fung erziel­te Note nicht feststünde.13 Die­se Recht­spre­chung des VGH Mann­heim ist im Hin­blick auf die ins­be­son­de­re auch vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt beton­te gebo­te­ne Gewähr­leis- tung effek­ti­ven Rechts­schut­zes in der zur Dis­kus­si­on ste- hen­den Fallkonstellation14 abzu­leh­nen. Es ist mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unver­ein­bar, die unzu­mut­ba­ren Belas­tun- gen für den Prüf­ling durch die gebo­te­ne Auf­recht­erhal­tung des not­wen­di­gen Prü­fungs­wis­sen für einen unab­seh­bar lan­gen Zeit­raum anzu­er­ken­nen, aber ihn gleich­wohl die vor­läu­fi­ge Zulas­sung wegen der zunächst nicht mög­li­chen Fest­set­zung der End­no­te zur münd­li­chen Prü­fung zu ver- sagen. Hier ver­kennt der VGH Mann­heim im Übri­gen, dass wegen der Vor­läu­fig­keit der Zulas­sung die Fest­set­zung der End­no­te noch gar nicht gebo­ten ist. Da die End­no­te noch gar nicht ermit­telt wer­den kann, steht der vor­läu­fi- gen Zulas­sung zur Prü­fung ent­ge­gen dem VGH Mann- heim auch nicht ent­ge­gen, dass der Prüfungsausschuss

  1. 12  Sie­he etwa aktu­ell OVG Lüne­burg, Bes. v. 19.4.2017 – 2 ME 101/17, n.v.
  2. 13  VGH Mann­heim, Bes. v. 19.4.2017 – 9 S 673/17, juris, Rn. 11 ff.

nach § 5 d Abs. 4 Satz 1 DRiG zu ent­schei­den hat, ob von die­ser auf­grund des vom Prüf­ling gewon­nen Gesamt­ein- drucks abzu­wei­chen ist. Die­se End­schei­dung kann erst getrof­fen wer­den, wenn das Ergeb­nis der schrift­li­chen Prü­fung end­gül­tig fest­steht. Dass sie tat­säch­lich auch noch zu einem spä­te­ren Zeit­punkt getrof­fen wer­den kann, bele­gen die Kon­stel­la­tio­nen, in denen der Prü- fungs­aus­schuss erneut eine Abwei­chens­ent­schei­dung tref­fen muss, weil der Prüf­ling, der die Prü­fung bestan- den hat, eine bes­se­re Bewer­tung sei­ner schrift­li­chen Prü- fungs­leis­tun­gen im Wege einer Prü­fungs­an­fech­tung er- strit­ten hat. Einer dro­hen­den Ver­blas­sung an den in der münd­li­chen Prü­fung vom Prüf­ling gewon­nen Ein­druck kann durch die Anfer­ti­gung ent­spre­chen­der Noti­zen be- geg­net werden.

In der Kon­se­quenz der Recht­spre­chung des VGH Mann­heim müss­te der Prüf­ling dar­auf aus­wei­chen, die vor- läu­fi­ge Neu­erbrin­gung und/oder Neu­be­wer­tung von Prü- fungs­leis­tun­gen im Wege des vor­läu­fi­gen Rechts­schut­zes zu erstrei­ten. Ins­be­son­de­re die vor­läu­fi­ge Neu­be­wer­tung von schrift­li­chen Prü­fungs­leis­tun­gen ist in der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung aus­nahms­los mit dem Argu­ment abge- lehnt wor­den, dass eine Bewer­tung nicht vor­läu­fig sein kön­ne und daher im Fal­le der Statt­ga­be eines ent­spre­chen- den Antrags die Haupt­sa­che unzu­läs­si­ger­wei­se vor­weg­ge- nom­men wer­den wür­de. In der Unter­su­chung wur­de dar- auf hin­ge­wie­sen, dass die Vor­läu­fig­keit der Bewer­tung da- durch gesi­chert sei, dass das Ergeb­nis der Neu­be­wer­tung keinenBestandhat,wennimHauptsacheverfahrendieKla- ge man­gels Vor­lie­gen von Bewer­tungs­feh­lern abge­wie­sen wird. Wei­ter wird aus­ge­führt, dass selbst bei Annah­me der Vor­weg­nah­me der Haupt­sa­che die­se zur gebo­te­nen Ge- währ­leis­tung eines effek­ti­ven Rechts­schut­zes hin­zu­neh­men sei, um unzu­mut­ba­re Nach­tei­le für den Prüf­ling zu verm­ei- den. Die­se bestehen dar­in, dass ein Prü­fer, der vie­le Jah­re nach der Erst­be­wer­tung eine schrift­li­che Prü­fungs­leis­tung erneut bewer­ten muss, nicht mehr in der Lage ist, die­se nach den sei­ner­zeit ange­wand­ten sub­jek­ti­ven Bewer­tungs- maß­stä­ben zu beur­tei­len, wor­auf der Prüf­ling aber einen Anspruch hat. Ins­be­son­de­re ist eine Neu­be­wer­tung inner- halb des ursprüng­li­chen Ver­gleichs­rah­mens ansons­ten nicht mehr gewährleistet.

Kurz vor Druck­le­gung der Dis­ser­ta­ti­on hat das VG Bre­men nun den ähn­li­chen Stand­punkt ein­ge­nom­men, dass wegen der immensen Dau­er eines Haupt­sa­che­ver- fah­rens ein Anspruch auf die vor­läu­fi­ge Neu­be­wer­tung einer schrift­li­chen Prü­fungs­leis­tung prin­zi­pi­ell anzu­er- ken­nen sei.15

14 BVerfG, Bes. v. 25.7.1996 – 1 BvR 638/96, NVwZ 1997, 479. 15 VG Bre­men, Bes. v. 4.3.2015 – 1 V 80/15, juris, Rn. 22 f.

Unger · Anfecht­bar­keit juris­ti­scher Prü­fun­gen 2 8 7

288 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 273–288

Im vor­letz­ten Teil­ab­schnitt des Schluss­ka­pi­tels wird der gericht­li­che Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess inner- halb der dem Prüf­ling offen ste­hen­den gericht­li­chen Rechts­schutz­ver­fah­ren beleuch­tet. Nach der Dar­stel­lung der hier gel­ten­den all­ge­mei­nen Grund­sät­ze wird näher auf das Ver­fah­ren der Fest­stel­lung und der Erheb­lich­keit von Bewer­tungs­feh­lern ein­ge­gan­gen und das in die­sem Zusam­men­hang zu beach­ten­de Selbst­be­wer­tungs­ver­bot betont.

Zum Ende des Kapi­tels und der Unter­su­chung wer- den noch die ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten der Pro­zess- been­di­gung dargestellt.

VII. Ergeb­nis und Ausblick

Auch wenn die vor­ge­stell­te Dis­ser­ta­ti­on expli­zit nur die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der Anfecht­bar­keit juris­ti- scher (Staats-)Prüfungen unter­sucht, so gel­ten ihre wesent­li­chen Ergeb­nis­se für die Anfech­tung aller Prü- fungs­ent­schei­dun­gen. Her­vor­zu­he­ben ist inso­weit zunächst ins­be­son­de­re die (Fort-) Ent­wick­lung des Modells der ratio­na­len Abwä­gungs­kon­trol­le und sei­ne Her­an­zie­hung zur (gericht­li­chen) Über­prü­fung der Recht­mä­ßig­keit von Prü­fungs­ent­schei­dun­gen. Insoweit

leis­tet die Unter­su­chung auch all­ge­mein einen Bei­trag zu den Mög­lich­kei­ten der Ein­gren­zung admi­nis­tra­ti­ver Ent­schei­dungs­frei­räu­me. Wei­ter ist zu beto­nen, dass inner­halb des (fort-) ent­wi­ckel­ten Modells der ratio­na- len Abwä­gungs­kon­trol­le der „Ant­wort­spiel­raum“ des Prüf­lings als Abwä­gungs­di­rek­ti­ve ein­ge­führt wird und die Vor­aus­set­zun­gen für sei­ne Eröff­nung so inter­pre­tiert wer­den, dass das Gebot sei­ner Respek­tie­rung ent­ge­gen der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung tat­säch­lich als Kon­troll- maß­stab fun­giert. Bedeut­sam für die Rechts­schutz­mög- lich­kei­ten des Prüf­lings im All­ge­mei­nen sind auch die erst­mals umfas­send behan­del­ten Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­lei­tung und Durch­füh­rung des Über­den­kungs- ver­fah­rens. Aus den im Zuge der Unter­su­chung inso­weit gewon­ne­nen neu­en Erkennt­nis­sen kön­nen even­tu­ell auch Fol­ge­run­gen für die Aus­ge­stal­tung des außer­ge- richt­li­chen Über­prü­fungs­ver­fah­rens bei der Erhe­bung von Ein­wen­dun­gen gegen beam­ten­recht­li­che Beur­tei- lun­gen gezo­gen werden.

Ben­ja­min Unger ist als selbst­stän­di­ger, auf Prü­fungs- recht spe­zia­li­sier­ter Rechts­an­walt, in Hil­des­heim, tätig.