Der Verfasser stellt im nachfolgenden Beitrag seine Dis- sertation vor, die von Prof. Dr. Horst-Peter Götting, LL.M. (London), TU Dresden, betreut wurde und im Rahmen eines Promotionsstipendiums am Max Planck- Institut für Innovation und Wettbewerb in München entstanden ist. Die Drucklegung wurde im Jahr 2013 mit einem Zuschuss des Wissenschaftsfonds der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urhe- berrecht gefördert. Die Arbeit ist in der Reihe „Schriften zum geistigen Eigentum und zum Wettbewerbsrecht“ bei Nomos (www.nomos-shop.de/21061) erschienen.
1. Teil: Urheberrechtliche Schutzexpansion und Schutzfrist
Die vielgepriesene Informations- und Wissensgesell- schaft hat eine Kultur des Wissens und des Teilens begründet und dadurch ein lange unumstrittenes Rechtsgebiet in wenigen Jahren auf den Kopf gestellt: Während radikale Stimmen die Abschaffung des Urhe- berrechts fordern,1 unterstreichen andere umso über- zeugter den Schutz immaterieller Güter. Weshalb wird die Debatte um ein Rechtsgebiet, das lange Zeit nur eine überschaubare Fachöffentlichkeit interessiert hat, aktuell mit einer bislang ungekannten Härte und noch dazu in der Mitte der Gesellschaft geführt? Eine Ursache mag sein, dass die faktische Verfügbarkeit informationeller Ressourcen im Distributionskanal Internet das geistige Schaffen enorm beflügelt, dass die Aussicht auf mehr Teilhabe das Spannungsfeld zwischen möglichst unge- hindertem Zugang zu stofflosen Gütern und deren gleichzeitigem Schutz aber andererseits erheblich ver- schärft hat. Das Urheberrecht leidet an einer Akzeptanz-
- 1 Van Schijndel/ Smiers, NO COPYRIGHT, Köln 2012.
- 2 Hierzu Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung derSchutzfrist, S. 25 ff.
- 3 So u.a. Zypries, Hypertrophie der Schutzrechte? – Vortrag anläss-lich der GRUR-Jahrestagung am 17.9.2004 in Berlin, GRUR 2004, 977 ff. Wie die 2011 beschlossene, umstrittene Verlängerung der leistungsschutzrechtlichen Schutzfrist für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller durch die Richtlinie 2006/116/EG zeigt, ist das Thema dabei nicht nur von theoretischem, sondern von
krise.2 Angesichts der gesetzgeberischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, scheint die Antwort auf die Prob- leme, die massenhafte, nahezu (grenz-)kostenlose Kopi- en dem Urheberrecht bescheren, eindeutig. Schutzex- pansion und verschärfte Konsequenzen für Rechtsverlet- zer werden indes immer mehr als hypertroph hinterfragt.3 Es liegt daher auf der Hand, nach dem rechten Maß urhe- berrechtlichen Schutzes und insbesondere nach der Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist zu fragen.
2. Teil: Geschichte des Urheberrechts und seiner Schutzfrist
Die historische Analyse4 des Urheberrechts und der Schutzfrist in Deutschland, England, den Vereinigten Staaten und Frankreich lässt zwei Tendenzen erkennen: Zum einen kennen schon die sog. Privilegien als rudi- mentäre Vorläufer des modernen Urheberrechts seit Mitte des 15. Jahrhunderts eine Befristung. Zum anderen tritt eine gegenläufige Strömung ab Mitte des 18. Jahr- hunderts für den Schutz des „geistigen Eigentums“ ein und macht sich unter dem Einfluss der Naturrechtslehre für ein zeitlich unbegrenztes Urheberrecht stark. Bemer- kenswert ist in diesem Kontext, dass die ersten, bildungs- politisch motivierten Gesetze im nachrevolutionären Frankreich zur Verbreitung aufklärerischer Ideen eine zeitliche Begrenzung der propriété littéraire vorsahen.5 Dessen ungeachtet kennzeichnet die französische Urhe- berrechtslehre später den ewigen Schutz des droit moral, dendasLandbisheutekennt.ZueinerRenaissanceder naturrechtlichen Lehre kam es in Deutschland in den 1950er und 1960er-Jahren.6 Neben den beiden großen
praktischem Interesse.
4 Ausführlich zur historischen Entwicklung Bischoffshausen, Die
ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 47–122.
5 So Le Chapelier in einer Rede vor der Assemblée Constituante im Jahr 1791, Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der
Schutzfrist, S. 114 f.
6 Zur Geschichte des Urheberrechtsgesetzes von 1965 und seiner
Begründungsansätze Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtferti- gung der Schutzfrist, S. 88 ff.
Albrecht Bischoffshausen
Ökonomische Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist
– Analyse de lege lata und de lege ferenda aus historischer, dogmatischer und rechtsökonomischer Sicht
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197–9197
180 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 179–186
Tendenzen – Befristung bzw. ewiges Recht – zeigt die Historie, dass anstelle dogmatisch tragfähiger Motive Partikularinteressen oft eine tragende Rolle gespielt haben. In diese Richtung weist die Geschichte der aktu- ellen Schutzfrist: Bei der letzten großen Reform des Jah- res 1965 hatten sich alle Vorgängerentwürfe für die Ein- führung einer sog. Urhebernachfolgevergütung und gegen die Verlängerung der bis dahin geltenden 50-jäh- rigen Schutzfrist ausgesprochen. Der überarbeitete Regierungsentwurf, der zu einer Fristverlängerung auf die bis heute geltenden 70 Jahre post mortem auctoris7 führte, verzichtete kurzfristig auf die Urhebernachfolge- vergütung und begründete diese Verlängerung um 20 Jahre vor allen Dingen mit der gestiegenen Lebenser- wartung. Die Verlängerung, die bis dahin ohne interna- tionales Vorbild gewesen war und die die weitere inter- nationale Entwicklung erheblich beeinflusst hat, basierte damit auf einem – plötzlichen – Ersatz für die ursprüng- lich angedachte, später aber wieder fallen gelassene Urhebernachfolgevergütung.8
3. Teil: Individualistische und kollektivistische Recht- fertigung der Befristung des Urheberrechts
Die Ausgestaltung des Urheberrechts ist Ausdruck von Begründungen, die das Schutzrecht im Laufe seiner Ent- wicklung in unterschiedlichem Maße geprägt haben. Diese Ansätze lassen sich in individualistische und kol- lektivistische Theorien unterscheiden. Individualistische Ansätze lassen sich auf eine Primärbeziehung zwischen dem Urheber und seinem Werk zurückführen, aufgrund derer eine rechtliche Sekundärbeziehung zwischen dem Urheber und seinem Werk gerechtfertigt ist. Kollektivis- tische Rechtfertigungsansätze beziehen sich demgegen- über zunächst auf die Primärbeziehung zwischen der Gesellschaft und Werken, aufgrund derer eine rechtliche Sekundärbeziehung zwischen Urhebern und ihren Wer- ken gerechtfertigt ist.9
A. Individualistische Rechtfertigungsansätze
Das Naturrecht hat bei der historischen Entwicklung hin zum heutigen Urheberrecht eine wichtige Rolle gespielt, ist jedoch unter anderem wegen der vorstaatlichen Begründung des Urheberrechts als „geistiges Eigentum“, daneben aber auch wegen der Beliebigkeit der aus ihm
- 7 § 64 UrhG: Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers.
- 8 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 91.
- 9 Siehe auch Stallberg, Urheberrecht und moralische Rechtfertigung, Berlin 2006, S. 46 ff.
abgeleiteten Aussagen nicht mehr vertretbar.10 Dessen ungeachtet rekurriert die aktuelle rechtspolitische Dis- kussion regelmäßig auf Begrifflichkeiten wie „geistiger Diebstahl“ oder „Raubkopien“, um eine ontologische Nähe zwischen dem „geistigen Eigentum“ und dem Sacheigentum herzustellen.
Der Rechtfertigungsansatz vom Urheberrecht als Persönlichkeitsrecht stellt den schöpferischen Urheber indenVordergrundundbetontdas„geistigeBand“zwi- schen seiner Persönlichkeit und seinem Werk.11 Inhalt- lich ist die Befristung des Urheberrechts gerechtfertigt, weil das Werk mit dem Urheber eine Schicksalsgemein- schaft eingeht: Sobald die Persönlichkeit des verstorbe- nen Urhebers verblasst, endet auch das Urheberrecht. Schwächen offenbart der Ansatz mit Blick auf massen- kompatible, schnelllebige Verstandeswerke wie Compu- terprogramme oder Datenbanken, bei denen von der Emanation der Persönlichkeit als Regelfall schöpferi- schen Wirkens keine Rede sein kann.
Wegen der Einbeziehung solcher Verstandeswerke verdient der dritte Ansatz, die dualistische Theorie,12 Augenmerk. Obwohl die Anerkennung vermögens- rechtlicher Befugnisse im Urheberrecht, die der Ansatz von persönlichkeitsrechtlichen Aspekten trennt, ange- sichts des im deutschen Recht vorherrschenden Monis- mus und seiner praktischen Ableitungen u.a für die (Un-)Übertragbarkeit des Urheberrechts radikal anmu- tet, kann der Dualismus insbesondere den Schutz von Verstandeswerken institutionell rechtfertigen. Hinsicht- lich der Rechtfertigung der Schutzfrist offenbart aber auch dieser Ansatz Schwächen. Ein ewiges Urheberper- sönlichkeitsrecht, wie es im französischen Urheberrecht verankert ist, führt letzten Endes zu einer Art Denkmal- schutz geistiger Werke. Dieser Gedanke aber verlässt den Boden einer individualistischen Rechtfertigung primär im Urheberinteresse. Andererseits ist das französische Modell mit seinem ewigen droit moral nicht die einzige denkbare Konsequenz. Zukunftsweisend erscheint die Theorie, weil sich mit ihr abweichende Schutzfristen für vermögenswerte und persönlichkeitsrechtliche Bestand- teile des Urheberrechts rechtfertigen lassen, wobei letz- tere nicht zwangsläufig ewig fortdauern müssen.
Der vierte und letzte individualistische Ansatz ist die im geltenden deutschen Recht verankerte monistische Theorie. Obwohl einige der Argumente gut nachvoll-
10 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 128 ff.
11 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 139 ff.
12 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 149 ff.
Bischoffshausen · Ökonomische Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist 1 8 1
ziehbar sind,13 offenbart auch dieser Ansatz bei näherem Hinsehen Schwächen: Der Monismus überzeugt als ins- titutioneller Rechtfertigungsansatz allenfalls, wenn es um den Schutz schöpferisch-individuell geprägter Wer- ke geht. Hingegen ist fraglich, ob das einheitlich ausge- staltete Urheberrecht mit seinem Doppelcharakter der Realität der Werkschöpfung durchweg entspricht, indem es als wesentlichen Schutzgrund ohne jegliche Differen- zierung postuliert, dass sich in geistigen Werken regel- mäßig die schöpferische Individualität des Urhebers ma- nifestiere. Angesichts kulturwirtschaftlicher Produkti- onsbedingungen, bei denen schnelllebige Verstandes- werke im Vordergrund stehen, scheint der allein urheberzentrierte Ansatz jedenfalls als einzige Legitima- tionsgrundlage nicht mehr ausreichend. Auch inhaltlich bestehen Zweifel, ob der Ansatz beim Rückgriff auf per- sönlichkeitsrechtliche Argumente für die einheitlich lan- ge postmortale Dauer des Urheberrechts der kulturwirt- schaftlichen Realität annähernd Rechnung trägt.
Letztlich leiden alle individualistischen Ansätze dar- an, dass sie nach der Art der vom Urheberrechtsschutz erfassten Werke gar nicht oder allenfalls rudimentär dif- ferenzieren. Zwar können gerade der personalistische Ansatz und auch die monistische Theorie den Schutz von Werken, in denen sich die Persönlichkeit des Urhe- bers widerspiegelt, rechtfertigen. Dennoch greifen alle Ansätze zu kurz, wenn es um den Schutz alltäglicher Verstandeswerke geht, die längst die kulturwirtschaftli- che Praxis dominieren, weil die Theorien starr davon ausgehen, dass der Urheberrechtsschutz primär auf die Interessen des schöpferisch tätigen Urhebers abstellt.
B. Kollektivistische Rechtfertigungsansätze
Dem kulturpolitischen Ansatz nach Lessig14 zufolge bezweckt das Urheberrecht eine gerechte und attraktive Kultur. Indem es vom Leitbild des aktiven und selbstbe- stimmten Nutzers und Produzenten ausgeht, sind dem Urheberrecht u.a. zeitliche Grenzen inhärent. Die Befris- tung stellt sicher, dass der aktive und selbstbestimmte Nutzer seinen Beitrag für eine gerechte und attraktive Kultur leisten kann, die andernfalls behindert würde. Obwohl der Ansatz unter dem Aspekt eines Schutzes vor unberechtigter Manipulation auch einen postmortalen Fortbestand des Urheberpersönlichkeitsrechts stützt, bleiben die Aussagen für die konkrete Länge der Schutz- frist vage.
- 13 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 155 ff.
- 14 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 169 ff.
- 15 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 177 ff.
Der demokratiebasierte Ansatz nach Netanel15 führt zwar ebenfalls zu einer institutionellen Rechtfertigung des Urheberrechts, leidet dabei aber an Annahmen, die kaum falsifizierbar sind. Obwohl der Ansatz zum Teil spekulative Züge aufweist, spricht einiges für die Bedeu- tung des Urheberrechts für ein demokratisch organisier- tes Gesellschaftssystem, weil es die hierfür notwendige kommunikative Basis schafft. Auch mit Hilfe dieser The- orie lässt sich die Befristung des Urheberrechts inhalt- lich rechtfertigen, da die selbstgesteckten produktiven und strukturellen Ziele andernfalls verfehlt würden.
Letztlich leiden alle dargestellten individualistischen und kollektivistischen Ansätze daran, einen einheitli- chen Schutz „one size fits all“ zu propagieren. Zwar ist im Rahmen der kollektivistischen Ansätze die Einbezie- hung verschiedener schützenswerter Interessen bereits auf der Ebene der institutionellen Rechtfertigung mög- lich, dennoch gelangen alle Theorien spätestens bei der Frage der inhaltlichen Rechtfertigung der Schutzfrist an Grenzen. Deshalb lohnt der Versuch, mithilfe der Recht- sökonomik differenziertere Aussagen hinsichtlich der Rechtfertigung des Urheberrechts und seiner Schutzfrist zu gewinnen.
4. Teil: Ökonomische Analyse der urheberrechtlichen Schutzfrist
A. Die institutionelle Rechtfertigung des Urheberrechts
Die rechtsökonomischen Ansätze lassen sich für die ins- titutionelle Rechtfertigung auf den gemeinsamen Nen- ner bringen, dass das Urheberrecht ein Mittel für die effi- ziente Allokation immaterieller Ressourcen darstellt.16 Ausgangspunkt für alle Ansätze ist der Befund, dass es ohne den rechtlichen Schutz persönlicher geistiger Schöpfungen zu einem Marktversagen käme,17 das die Ansätze jeweils mit unterschiedlichem Fokus zu behe- ben suchen.
I. Incentive-Access-Ansatz
Nach dem Incentive-Access-Paradigma bezweckt das Urheberrecht, sowohl die Unterproduktion neuer Werke als auch die Unternutzung bestehender Werke zu ver- meiden. Der Ansatz propagiert eine Balance zwischen AnreizenexantezurSchaffungurheberrechtlichgeschütz- ter Werke und der Zugangs- und Nutzungsmöglichkeit. Hieraus folgt zunächst, dass sich ein per se hohes Schutz-
16 Landes/Posner, An Economic Analysis of Copyright Law, 18
J. Legal Studies, 325 ff. (1989); zu den durchaus umstrittenen Grundannahmen der ökonomischen Analyse Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 233 ff.
17 Zu den Hauptgründen für Marktversagen Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 261 ff.
182 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 179–186
niveau verbietet und darüber hinaus, dass nicht von einem Automatismus ausgegangen werden kann, wonach mehr Urheberrecht ex ante mehr geistiges Schaf- fen oder gar mehr Verbreitung von Wissen induziert. Forschung im Bereich der Literatur- und Musikmärkte weist darauf hin, dass das Urheberrecht ex ante weniger monetäre Anreize vermittelt als vermutet.18 Dennoch kann einer Abschaffung des Urheberrechts nicht das Wort geredet werden. Forschungsergebnisse relativieren das klassische Anreizargument, es steht aber keineswegs fest, dass ohne Urheberrechtsschutz die vom Gesetzge- ber avisierten Ziele besser erreicht würden.19
II. Property Rights-Ansatz
Während der Incentive-Access-Ansatz insofern inter- ventionistisch argumentiert, als der Gesetzgeber durch entsprechende Ausgestaltung des Urheberrechts Kosten und Nutzen auszubalancieren hat, plädiert der Property Rights-Ansatz für ein möglichst geringes Maß an staatli- chen Eingriffen.20 Er setzt auf möglichst breite Schutz- rechte, um Verhandlungs- und Tauschlösungen am Markt zu ermöglichen. Die wirkmächtige neoklassische Schule deutet urheberrechtliche Ausschließlichkeits- rechte weniger als Anreizinstrumente, sondern sieht darin sog. property rights, um Trittbrettfahrer auszu- schließen. Obwohl die Theorie einen prominenten Platz unter den ökonomischen Ansätzen einnimmt, ist das von ihr propagierte, nahezu blinde Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes für Geistesgüter gerade im Bereich des Urheberrechts problematisch. Die Fokus- sierung auf Allokationseffizienz lässt die verschiedenen schutzwürdigen Interessen der vom Urheberrechts- schutz Betroffenen außer Acht. Gelingt es schon nicht, zugunsten der schöpferisch Tätigen urheberpersönliche Interessen zu rechtfertigen, sind dem Ansatz Nutzerinte- ressen gänzlich fremd. Indem der Ansatz ausgehend vom Coase-Theorem auf die unsichtbare Hand des Marktes und auf Verhandlungslösungen baut, verkennt er, dass Urheber, Werkvermittler und (End-)Nutzer sich oft genug nicht auf gleicher Augenhöhe gegenüberste- hen. Verhandlungslösungen können aber in der Realität nicht erzielt werden, wenn vollständige Information und vollständiger Wettbewerb nicht einmal annäherungs- weise vorliegen.
- 18 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 276 ff.
- 19 Zu Alternativen zum Urheberrechtsschutz Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 284 ff.
III. Transaktionskostenökonomik
Auch mithilfe der Transaktionskostenökonomik lässt sich das Urheberrecht jedenfalls in Bezug auf seine ver- mögenswerten Befugnisse institutionell rechtfertigen.21 Dem Ansatz zufolge löst das Urheberrecht Marktversa- gensprobleme, indem es positive externe Effekte interna- lisiert und Urhebern, Intermediären und Endnutzern Handlungsspielräume auf dem Markt eröffnet. Darüber hinaus propagiert der Ansatz eine inhaltliche Ausgestal- tung des Urheberrechts am Maßstab der Transaktions- kosten. Erwünschte Transaktionen mit urheberrechtlich geschützten Werken werden gefördert, indem die dabei anfallenden Kosten durch entsprechende Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen möglichst niedrig gehalten werden. Der Ansatz stößt allerdings an Gren- zen, weil Transaktionskosten ex ante nicht bestimmt bzw. gemessen werden können. Dennoch stellt die Transaktionskostenökonomik bei der Befassung mit den vermögenswerten urheberrechtlichen Befugnissen im Unterschied zu den beiden konkurrierenden effizienzba- sierten Ansätzen nicht nur darauf ab, dass das Urheber- recht Markttransaktionen prinzipiell ermöglicht. Der Ansatz geht darüber hinaus der Frage nach, wie das Urheberrecht inhaltlich modelliert sein sollte, um Markttransaktionen zu ermöglichen. Hierin liegt der entscheidende Vorteil gegenüber konkurrierenden öko- nomischen Theorien.
B. Die inhaltliche Rechtfertigung der Schutzfrist
Der Praxistest für die ökonomischen Ansätze ist ihre Anwendung auf das Phänomen der urheberrechtlichen Schutzfrist. Dabei zeigt sich zum einen, ob die Befris- tung aus ökonomischer Sicht inhaltlich gerechtfertigt ist. Zum anderen kann eine Applikation der Theorien die Frage beantworten, inwieweit die ökonomische Analyse inhaltliche Aussagen für die Bemessung einer optimalen Schutzfrist liefert.
I. Incentive-Access-Ansatz
Der Incentive-Access-Ansatz propagiert einen Ausgleich der durch den Urheberrechtsschutz vermittelten Vor- und Nachteile. Aus dieser zugegebenermaßen abstrakten Einsicht lassen sich für die inhaltliche Rechtfertigung
20 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 281 ff.
21 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 292 ff.
Bischoffshausen · Ökonomische Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist 1 8 3
der urheberrechtlichen Schutzfrist folgende Aussagen ableiten: Ein Gleichgewicht zwischen Vor- und Nachtei- len lässt sich nur durch eine Befristung des Urheber- rechtsschutzes erreichen. Ist bereits die faktische Anreiz- wirkung des Urheberrechts ex ante umstritten, sind die Effekte der Anreizwirkung wegen des Gesetzes vom abnehmenden Grenznutzen und wegen Diskontierungs- effekten für weit in der Zukunft liegende monetäre Vor- teile marginal. Auch wenn dieser Schluss nicht zwingend ist, ist die inhaltliche Rechtfertigung der postmortalen Fortdauer des Urheberrechtsschutzes weit über den Tod des Urhebers hinaus deshalb zumindest problematisch. Eine Schwäche des Ansatzes ist seine mangelnde Opera- tionalisierbarkeit. Mangels empirischer Fundierung lässt sich die „richtige“ Dauer urheberrechtlichen Schutzes, bei der Grenznutzen und Grenzerlös des Urheberrechts- schutzes gleich sind, nicht quantifizieren. Versuche, eine jahresgenaue Annäherung an die richtige Schutzdauer vorzunehmen, sind spekulativ. Dennoch ist eine qualita- tive Aussage möglich: Der Incentive-Access-Ansatz spricht für eine Differenzierung der Schutzfrist. Die im geltenden Recht verankerte einheitlich-starre Schutzfrist „one size fits all“ ermöglicht schon dem Grunde nach keinerlei Unterscheidung nach Werkkategorien, sodass sich in der Länge der Schutzfrist noch nicht einmal abs- trakt ein Gleichgewicht zwischen den beiden Aspekten urheberrechtlichen Schutzes widerspiegelt.
II. Property Rights-Ansatz
Auch wenn sich aus dem Property Rights-Ansatz zumin- dest ableiten lässt, dass der Urheberrechtsschutz befristet sein muss, streitet er für eine lange Schutzfrist. Werden Urheber und Rechteinhaber durch ein möglichst breites bzw. langes property right in die Lage versetzt, externe Effekte auf lange Sicht zu internalisieren, gilt dies erst recht für sogenannte ex post-Investitionen. Um diese abzusichern, lässt sich mit diesem Ansatz der lange post- mortale Fortbestand des Urheberrechtsschutzes inhalt- lich legitimieren. Dies allerdings konterkariert das berechtigte Ziel, dass das Urheberrecht nicht nur mög- lichst viele, sondern qualitativ hochwertige Werke, die nicht nur den Massengeschmack bedienen, fördern soll. Wie sich bereits im Rahmen der institutionellen Recht- fertigung des Urheberrechts abgezeichnet hat, leidet der Ansatz wegen der Propagierung eines einseitig an Urhe- ber- bzw. Verwerterinteressen orientierten Schutzes an Schwächen. Zuletzt überzeugt er auch deshalb nicht, weil der abstrakte Verweis auf die Allokationswirkung des Wettbewerbs keinerlei quantitative Erkenntnisse im Hinblick auf die konkrete Dauer der Schutzfrist liefert.
III. Transaktionskostenökonomik
Auch die Transaktionskostenökonomik gelangt zunächst zur Rechtfertigung der Befristung des Urheberrechts- schutzes. Darüber hinaus lässt sich mit der transaktions- kostenökonomischen Analyse aber keine konkrete Schutzdauer ermitteln, weil die Transaktionskosten als Maßstab des Ansatzes ex ante nicht beziffert werden können. Dennoch sind interessante qualitative Aussagen möglich: Aus der näherungsweisen Bestimmung der Höhe der Transaktionskosten folgt zunächst die Not- wendigkeit einer Differenzierung der urheberrechtli- chen Schutzdauer. Eine lange Schutzfrist kommt danach allenfalls für „Orchideenwerke“ in Betracht, die kom- merziell wenig erfolgreich sind. Weil die Amortisierung der Fixkosten, die für deren Herstellung anfallen, länge- re Zeit in Anspruch nimmt, wäre insofern ein vergleichs- weise längerer Schutz inhaltlich gerechtfertigt. Kürze Schutzfristen wären nach dem Ansatz hingegen für sol- che Werke bzw. Werkgattungen angebracht, die aus Sicht von nachschaffenden Urhebern und Nutzern eine auf- wändige Rechteklärung sowie einen aufwändigen Rech- teerwerb bedeuten. Um zu verhindern, dass prohibitiv hohe Kosten (legalen) Transaktionen nicht auf Dauer entgegenstehen, wäre schließlich bei solchen Werken an eine kurze Schutzfrist zu denken, die zu „verwaisen“ dro- hen, weil Rechteinhaber bzw. potenzielle Lizenzgeber nicht mehr aufzufinden sind.
5. Teil: Regelungsalternativen im Hinblick auf die Ausgestaltung der urheberrechtlichen Schutzfrist
Dem Ansatz de lege lata, sämtliche Werkgattungen im Hinblick auf die Schutzfrist einheitlich behandelt, stehen Konzepte gegenüber, die zwischen längerlebigen Werk- gattungen und solchen, deren urheberrechtlicher Schutz nach einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne enden soll, unterscheiden. Alternativen zur einheitlichen Schutzfrist werden verglichen mit Ansätzen, die unmit- telbar oder mittelbar differenzieren.
Eine einheitlich lange oder sogar ewige Schutzfrist ist mit Blick auf die klassische, urheberzentrierte individua- listische Rechtfertigung problematisch, weil vom Urhe- berrecht längst nicht mehr primär der schöpferisch täti- ge Urheber, sondern in Wahrheit nicht selten Inhaber abgeleiteter Rechte, die Verwerter profitieren. Je mehr im Urheberrecht aber faktisch auch schutzwürdige Inter- essen der Verwerter und der Endnutzer Einzug halten, desto weniger lässt sich eine undifferenziert lange Schutzfrist alleine mit individualistischen Argumenten
184 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 179–186
inhaltlich rechtfertigen. Der Incentive-Access-Ansatz sowie der transaktionskostenökonomische Ansatz för- dern zutage, dass eine Differenzierung der Schutzfrist wünschenswert wäre: Eine fixe Differenzierung mittels werk- bzw. gattungsspezifischer, passgenauer Fristen scheitert allerdings an zwei Hürden: Zum einen mangelt es an empirischen Erkenntnissen, ohne die die Festle- gung von Fristen zwangsläufig willkürlich wäre. Dane- ben würde eine solche Regelung mit hoher Wahrschein- lichkeit zu einem Fristendickicht führen, das die Rechts- anwender überfordern würde. Dem eingangs angespro- chenen Rechtfertigungsbedarf des Urheberrechts und seiner Schutzfrist würde aber eine Regelung, die die ur- heberrechtliche Überregulierung noch weiter verfesti- gen würde, nicht gerecht, das Gegenteil wäre der Fall.
Letztlich sprechen deshalb die besten Argumente für ein System de lege ferenda, das Unterschiede in der Le- bensdauer verschiedener Werke bzw. Werkgattungen mittelbar berücksichtigt.22 Denkbar wäre eine Registrie- rungslösung, bei der das Urheberrecht nach einer Ein- gangsschutzfrist von fünf bzw. 20 Jahren ab Veröffentli- chung oder (Erst-)Registrierung durch mehrfache Ver- längerung auf bis zu 75 bzw. 80 Jahre ausgeweitet werden könnte. Der Vorteil eines solchen Ansatzes liegt zu- nächst in der marktbasierten Bestimmung der Schutz- dauer: Das Urheberrecht dauert danach so lange, wie die kostenpflichtige Aufrechterhaltung des Schutzes aus Sicht der Urheber lohnt. Zusätzlich zu Gebühren, die für Fristverlängerung(en) anfallen, bietet auch der zeitliche Aufwand für die Registrierung Anreiz für eine Überprü- fung dahingehend, ob sich die Aufrechterhaltung des Schutzes jeweils (noch) rentiert. Es sticht die Parallele zum Patentrecht ins Auge, dessen Schutzentstehung und ‑dauer von der ersten Registrierung bzw. der Entrich- tung jährlicher Verlängerungsgebühren abhängen.
Problematisch an beiden Ansätzen zur mittelbaren Differenzierung der Schutzfrist ist allerdings die An- knüpfung des Fristbeginns an die Eintragung in ein Re- gister. Auch wenn längst nicht alle Urheber durch die Einhaltung von Förmlichkeiten zur Herbeiführung des urheberrechtlichen Schutzes abgeschreckt werden dürf- ten, scheint der Preis, weniger gut organisierte Urheber durch das Raster fallen zu lassen, hoch – jedenfalls bei der Registrierung als Voraussetzung für die Entstehung
- 22 Zustimmend Flechsig, Besprechung zu Bischoffshausen, Die ökonomische Schutzfrist des Urheberrechts, ZUM 2014, 626, 627.
- 23 Dies folgt aus dem sog. Schöpfungsprinzip, § 7 UrhG.
- 24 Siehe Art. 5 Abs. 2 Satz 1 RBÜ (Pariser Fassung).
- 25 Bischoffshausen, Die ökonomische Rechtfertigung der Schutzfrist,S. 343 ff.
- 26 Der Autor räumt ein, dass eine Umsetzung angesichts der aufeuropäischer und internationaler Ebene bestehenden Regelungen
des Schutzes. Darüber hinaus ist nach deutschem23 und internationalem24 Urheberrecht die Entstehung und Ausübung des Schutzes nicht an die Erfüllung von Förm- lichkeiten gebunden.
6. Teil: Mögliche Gestaltung der Schutzfrist de lege ferenda
Neben der Erklärung25 einer Gestaltung der Schutzfrist de lege ferenda schlägt der Autor folgende Formulierung für eine Neugestaltung der Schutzfrist vor:26
(1) Die urheberrechtlichen Verwertungsrechte entstehen mit der Schöpfung des Werkes und erlöschen frühestens 15 Jahre nach dessen gestatteter Erstveröffentlichung (Eingangsfrist). Wurde das Werk nicht veröffentlicht, be- ginnt die Schutzfrist mit der Werkschöpfung.
(2) Die Schutzfrist nach Absatz 1 kann um jeweils fünf Jahre nach Ablauf der Eingangsfrist insgesamt bis zu siebenmal verlängert werden. DieVerlängerung wird durch Eintragung des Werkes in ein Register bewirkt. Für jede Verlängerung ist eine Gebühr zu entrichten, die von Periode zu Periode ansteigt. Die urheberrechtlichen Verwertungsrechte erlöschen spätestens 50 Jahre nach der gestatteten Erstveröffentlichung oder der Werk- schöpfung.
(3) Das Urheberpersönlichkeitsrecht nach Maßgabe der §§ 12 bis 14 erlischt 70 Jahre nach dem Tode des Urhe- bers.
(4) Alle oben genannten Fristen sind Jahresfristen und werden nach Maßgabe von § 69 berechnet.
(5) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, die näheren Einzelheiten der Verlängerung und der Ge- bühren nach Absatz 2 durch Rechtsverordnung zu erlas- sen.
7. Teil: Ausblick
Das Grundmotiv für die Heranziehung der Rechtsöko- nomik war die eingangs festgestellte Tendenz der urhe- berrechtlichen Schutzexpansion und einer zugleich kon- statierten Akzeptanzkrise des Urheberrechts. Die Effek- tivität des Urheberrechts lässt sich nicht dekretieren. Letztlich also muss die Akzeptanz des Urheberrechts
wenig realistisch scheinen mag, weist aber zugleich darauf hin, dass eine ergebnisoffene Diskussion überhaupt erst möglich ist, wenn Vorschläge auf dem Tisch liegen. Bischoffshausen, Die öko- nomische Rechtfertigung der Schutzfrist, S. 348 f. Zweifel an der Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Lösung äußert Peukert, Das Urheberrecht und die zwei Kulturen der Online-Kommunikation, GRUR-Beilage 2014, 77, 88.
Bischoffshausen · Ökonomische Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist 1 8 5
verbessert werden, damit alle Adressaten des Urheber- rechts – Urheber, Intermediäre und Endnutzer – wissen, weshalb die Rechtsordnung welche Arten von Werken für wie lange schützt. Die Rechtsökonomik bedient sich bei der Analyse rechtlicher Phänomene eines hohen Abstraktionsgrades, die die facettenreiche Realität des kreativen Schaffens zwangsläufig auf Modelle reduziert, in denen die denkbaren Motive des Werkschaffens monetarisiert werden. Für die institutionelle Rechtferti- gung des Urheberrechts stoßen die verschiedenen recht- sökonomischen Ansätze an Grenzen, weil sie oft genug nur die vermögenswerten Urheberinteressen im Blick haben. Cum grano salis überzeugt die ökonomische Ana- lyse bei der Grundfrage, warum das Urheberrecht nach ökonomischer Lesart nicht nur ist, sondern sein soll. Bei der konkreten Frage der inhaltlichen Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist führt die ökonomische Analyse gleichwohl zu einer gewissen Ernüchterung. Wegen der theorieimmanenten Ausblendung unzähli- ger, da unzählbarer Rahmenbedingungen kann die rich-
tige Schutzfrist jahresgenau nicht bestimmt werden. Bes- sere, belastbarere und vor allen Dingen konkretere Ergebnisse werden sich mithilfe der ökonomischen Ana- lyse nur erzielen lassen, wenn das empirische Funda- ment des Forschungsgebietes Urheberrecht weiter ver- stärkt wird. Auch wenn die untersuchten ökonomischen Ansätze qualitativ für ein größeres Maß an Differenzie- rung der Schutzfrist sprechen, treten auch die Grenzen einer Ökonomisierung des Urheberrechts zutage. Wie am unterbreiteten Vorschlag für eine Schutzfristregelung de lege ferenda sichtbar wird, soll deshalb nicht einem Primat der Rechtsökonomik das Wort geredet werden. Bei der Suche nach einer optimalen urheberrechtlichen Schutzfrist müssen nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen auch metaökonomische Ziele angemessen Berücksichtigung finden.
Dr. Albrecht Bischoffshausen, LL.M. arbeitet als Rechts- anwalt in München.
186 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2015), 179–186