Übersicht
quellen erzeugt hat. 2013 hat ihr die Düsseldorfer Fakul- tät die Promotion entzogen – nach 33 Jahren. Hier soll es nicht um die Frage gehen, nach welchen Maßstäben der Promotionsentzug zu beurteilen ist („Täuschungsab- sicht“, hermeneutische Erkundungen); das hat das VG Düsseldorf auf Anfechtungsklage von Annette Schavan zu entscheiden. Noch sollen die erstaunlichen Ein– und Anwürfe Dritter in gemessener Weise persifliert wer- den.1 Hier geht es allein um die Frage, ob es sachgerecht ist, daß ein ein ganzes Erwerbsleben lang getragener „Titel“ entzogen wird, obschon nach dreißig Jahren jede strafrechtliche Ahndung (bis auf Mord) ausgeschlossen ist2 und wiewohl dreißig Jahre die äußerste Verjährungs- frist auch im Zivilrecht sind3 und nach dreißig Jahren jede Arglist-Anfechtung ausgeschlossen ist.4
Damit Annette Schavan nicht alleine steht: Vielfach vergleichbar ist der Fall Elisabeth Ströker, die 1953 auf ähnlich angreifbare Weise mit unausgezeichneten Fremdtexten promoviert worden ist.5 Der Unterschied: Die promovierende Bonner Fakultät beließ ihr 1991, also nach 38 Jahren, die Promotion – aber nicht wegen Zeit- ablaufes, sondern weil in den 50er Jahren andere Maß- stäbe wissenschaftlicher Redlichkeit gegolten hätten, weswegen es an der Täuschung fehle. Die eigene Kölner Fakultät sah da klarer, daß nämlich die Dissertation „zu großen Teilen aus als solchen nicht gekennzeichneten wörtlichen und sinngemäßen Entlehnungen besteht und daß die Arbeit in Kenntnis dieser Tatsache weder damals noch heute von der Philosophischen Fakultät der Uni- versität zu Köln als Dissertation angenommen worden wäre“. Die dreiste, unwahre Ausrede schützte effektiv und erfolgreich eine Professorenkollegin – allerdings nur in der Form, nicht vor massivem Ehrverlust. Er- staunlich auch damals schon: Solidaritätsbekundungen akademischer Schlachtrösser, gestützt auf die allgemeine Anerkennung der wissenschaftlichen Kollegin und ohne Rücksicht auf die Dissertation. Eindringlich gegenüber jeder Schönfärberei mahnte Dieter Simon: „Ihr Fall, der unspektakuläre Casus einer ordentlichen professoralen
Fristverkürzung den Fall des § 318 Abs 2 Satz 3 BGB vergessen. 5 Meichsner, Hübsch geklaut, DIE ZEIT Nr 44/1990 = 22; www.
zeit.de/1990/44/huebsch-geklaut [18.6.2013]; http://de.mmdoku. wikia.com/wiki/MMDoku/Dokumentation/1991/Bericht_ Str%C3%B6ker-Kommission [18.6.2013].
I. Promotionsentzug nach langer Zeit
1. Schavan, Ströker und Heller
2. Keine Sanktionsbegrenzung – Ersitzung 3. Effektive „Verjährung“ binnen fünf Jahren 4. Befristungsvorschlag Löwer
5. „Vorbildliche“ Juristenausbildung?
II. Lex ferenda – cui bono?
1. Kandidat: Titelerhalt
2. Fakultät und academia: Schutz des Arbeitsfriedens
III. Untergesetzliche Regelung in Promotionsordnungen? 1. Dr. phil. oder rer. pol. in München
2. Reichweite der Regelungsermächtigung
3. Folgenlos
IV. Fazit
Die Rechtspraxis geht davon aus, daß der Entzug einer durch Plagiat bewirkten Promotion hochschulrechtlich unbefristet möglich ist, also auch noch nach über dreißig Jahren. Hiergegen fordern Stimmen eine effektive Ver- jährung – binnen fünf oder zehn Jahren, die dem Plagia- tor dann eine bestandsfeste Promotion verschafften. Der Beitrag sortiert die angelaufene Diskussion (I.), fragt nach dem Schutzzweck solcher Promotionsersitzungsre- geln (II.) und stellt den „Ausweg“ heilender Promotions- ordnungen vor (III.).
I. Promotionsentzug nach langer Zeit
1. Schavan, Ströker und Heller
Der „Fall Schavan“ hat die Gemüter erregt. Annette Schavan hatte zu ihrer Promotion im Jahr 1980 eine Dis- sertation eingereicht, die Textfragmente enthält, die nicht von ihr verfaßt waren, die nicht hinreichend klar als Fremdtexte ausgewiesen waren und mit denen Annette Schavan den Eindruck einer eigenen wissen- schaftlichen Leistung in der Erschließung von Primär-
- 1 Dazu Kaube, Frau Jedermanns Plagiat, F.A.Z. 24.1.2013, 25 = www. faz.net/aktuell/feuilleton/der-fall-schavan-frau-jedermanns- plagiat-12036233.html [19.6.2013].
- 2 § 78 Abs 3 Nr 1 StGB.
- 3 § 197 BGB.
- 4 Die allgemeine Höchstgrenze liegt nach § 124 Abs 3 BGBinzwischen bei zehn Jahren, doch hat der Gesetzgeber bei der
Volker Rieble
Plagiatverjährung.
Zur Ersitzung des Doktorgrades
Ordnung der Wissenschaft 2014, ISSN 2197–9197
20 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2014), 19–28
Laufbahn, die durch beharrliches und unausgewiesenes Kopieren fremder Texte erschrieben wurde“.6
Derzeit virulent ist der Fall Arne Heller, angreifbar promoviert7 im Jahr 1998; Promotionsentzug 2012, also 14 Jahre später von der Hamburger Juristenfakultät sei- nes Grades „entkleidet“. Der Rechtsstreit hängt beim VG Hamburg. Gölte eine Entzugsfrist von zehn Jahren, so wäre Heller seit 2008 „immun“. Weil der ganze Streit im Zuge eines Habilitationsversuches aufgekocht ist: Müßte womöglich nach geheilter Promotion die weitere Wis- senschaftskarriere hingenommen werden – so daß der Dissertationsplagiator irgendwann die Lehrbefugnis ausübt, gar Doktoranden anleitet?
2. Keine Sanktionsbegrenzung – Ersitzung
Um eine Straf- oder Sanktionenbegrenzung nach Art der Verfolgungsverjährung geht es in dieser Diskussion nicht. Der Promotionsentzug ist keine Strafe – auch wenn er von Betroffenen wegen der Prangerwirkung so empfunden wird. Die Verwaltung nimmt dasjenige zurück, was nie hätte erteilt werden dürfen, betreibt also Fehlerkorrektur. Der Promotionsentzug ist auch kein der Verjährung zugänglicher Anspruch. Vielmehr kommt der Verwaltung eine einseitig hoheitlich durchzusetzende Rechts- macht zu – die ihrerseits privatrechtlich dem Gestaltungs- recht vergleichbar ist. Gestaltungsrechte aber verjähren (gar) nicht. Sie können nur befristet sein, wie das für die Arglistanfechtung der Fall ist. Indes taugt die zivilrecht- liche Arglistregelung nicht als Argument:8 Dort geht es um den Schutz der freien Willensbildung des Privat- rechtssubjektes, das frei entscheiden darf, ob es die eige- ne Erklärung gelten lassen will. Diese Erklärung ist weder richtig noch falsch, sondern nur zweifelhaft zustandegekommen, weswegen der Getäuschte frei über deren Existenz entscheiden darf. Hier dagegen geht es um die Korrektur von rechtswidrigem Verwaltungshan- deln – in dieser Korrektur ist die Behörde nicht frei, son- dern muß sich vom Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung leiten lassen.
Der Entzug einer widerrechtlich erlangten Promo- tion korrigiert vorangegangenes Unrecht, entzieht eine Rechtsposition, die dem Adressaten nicht zusteht und stellt den rechtmäßigen Zustand wieder her. Solche Kor-
- 6 Dieter Simon, Die Wahrheit muß erfunden werden, F.A.Z. 18.12.1997, 40.
- 7 www.abendblatt.de/hamburg/article2412760/Plagiatsaffaere-an- der-Uni-Hamburg.html [18.6.2013]; http://de.vroniplag.wikia.com/ wiki/Ah [18.6.2013]; zu den verworrenen Hintergründen: Horstkot- te, Angeschwärzt bei Vroniplag, www.zeit.de/studium/hochschu- le/2011–08/vroniplag-uni-hamburg [19.6.2013]. Allerdings ändert ein kritikwürdiges Motiv der Heller-Gegner nichts am Befund. Jeder Arbeitgeber darf bei einem mißliebigen Arbeitnehmer nach vorhandenen Kündigungsgründen suchen.
rektur durch Rückkehr zum gesetzlichen Zustand gebie- tet der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Der Verzicht auf Promotions- entzug – auch nach definierter Frist – beläßt einen un- verdienten akademischen Grad, vernachlässigt die gebo- tene Korrektur und braucht eben hierfür einen rechtfer- tigenden Grund. Insofern wirkt jede Befristung des Pro- motionsentzug gleich der sachenrechtlichen Ersitzung: Wer sich wegen seines Grundbucheintrags für den Ei- gentümer eines Grundstücks halten darf, obwohl er nach objektiver Rechtslage nicht Eigentümer ist, erwirbt das Eigentum (zu Lasten des wahren Eigentümers) nach dreißig Jahren, § 900 BGB. Gleiches gilt für bewegliche Sachen nach zehn Jahren, § 937 BGB – aber nur wenn der Schein-Eigentümer gutgläubig war.
§ 48 VwVfG enthält selbst eine – nur relative – Frist: Hat die Verwaltung das Unrecht bemerkt, so bleibt ihr nur ein Jahr zur Rücknahme – wenn nicht der Adressat seinerseits „den Verwaltungsakt durch arglistige Täu- schung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat“, Abs. 4. Diese Regelung ist abschließend und schließt jede Befri- stung der Rücknahme ohne gesetzliche Grundlage aus.9 Insbesondere gibt es keine absolute Frist, die die Rück- nahme nach dreißig oder zehn Jahren auch ohne Kennt- nis ausschlösse. Vielmehr gilt im Verwaltungsrecht das Prinzip der freien und unbefristeten Rücknehmbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte.10 Für eine ausnahms- weise Befristung braucht es eine spezialgesetzliche Vor- schrift, wie § 35 Abs. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz, der seit 2009 die Rücknahme der arglistig erschlichenen Einbürgerung nach fünf Jahren ausschließt – zum be- sonderen Schutz vor Staatenlosigkeit nach Art 16 Abs. 1 Satz 2 GG.11 Vor Promotionslosigkeit schützt die Verfas- sung nicht.
Deutlicher noch wird das im Vergleich zur rückwir- kenden Rücknahme der Beamtenernennung wegen arg- listiger Täuschung – nach § 12 Beamtenstatusgesetz. Eine absolute Rücknahmefrist von 10 oder 30 Jahren gab es noch nie, die frühere relative Rücknahmefrist ab Kennt- nis von der Täuschung12 gibt es nicht mehr. Deshalb muß ein Polizist, der 1978 mit einem gefälschten Schul- zeugnis die Verbeamtung erschwindelte, durchaus damit rechnen, daß der Dienstherr im Jahr 2011 seine Ernen-
8 So aber Linke, Verwaltungsrechtliche Aspekte der Entziehung akademischer Grade, WissR 1999, 146, 172 f.
9 Klar und richtig Gärditz, Die Feststellung von Wissenschaftspla- giaten im Verwaltungsverfahren, WissR 2013, 3, 26 f.
10 Etwa BVerwG 8.8.1986 – 4 C 16/84 – NVwZ 1987, 488 mwN. 11 Vgl BVerfG 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 – BVerfGE 116, 24. 12 Etwa BVerwG 8.11.1961 — VI C 120/59 – NJW 1962, 605.
Rieble · Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades 2 1
nung rückwirkend zurücknimmt, also 33 Jahre danach. Hier schützt keine absolute Frist, sondern allein die ganz ausnahmsweise und konkrete ermessensbegrenzende Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall.13 Wenn dagegen eine Obersekretäranwärterin im Justizvollzugsdienst ihre Verbeamtung durch Verschweigen einer Vorerkran- kung erwirkt, kann sie zwölf Jahre später rückwirkend entbeamtet werden.14 Daran gemessen widerfährt dem Dissertationsplagiator doch recht wenig.
Das ist alles so klar, weswegen im geltenden Recht schon Sturmgeschütze wie die Menschenwürde aufge- fahren werden müssen. Doerfer fordert ernstlich in Ar- gumentationsanalogie zur lebenslangen Freiheitsstrafe auch für Promotionsschwindler ein Perspektivrecht ge- genüber lebenslanger Rücknahmedrohung.15 Demge- genüber ist festzuhalten: Verjährung ist kein universales Rechtsprinzip, Ersitzung ebensowenig. § 48 VwVfG ver- langt grundsätzlich eine unbefristete Korrektur von Ver- waltungsunrecht auch zu Lasten des Begünstigten.
Um Sanktionsbegrenzung ginge es nur dann, wenn auf solchen Wissenschaftsbetrug Strafe stünde, wie dies von Weschpfennig und Wittern vorschlagen.16 Bislang ist strafbar nur das Führen eines Titels, den man nicht hat – nicht aber das Erschleichen eines Titels durch ein Wis- senschafts-Fake. Nordrhein-Westfalen könnte seinen Bußgeldtatbestand für studentischen Prüfungsbetrug in § 63 Abs. 5 Satz 2 lit a HG auf Promotionsbetrügereien erweitern. Und insofern, ja, greift die normale Verfol- gungsverjährung.
3. Effektive „Verjährung“ binnen fünf Jahren
Eben deshalb läuft die Bestrafung des Doktoranden wegen falscher Versicherung an Eides Statt (die manche Promotionsordnungen mit hinreichender gesetzlicher Ermächtigung verlangen) praktisch leer: Die beeidete Versicherung, die Arbeit selbst und eigenständig und nur unter Verwendung der angegebenen Hilfsmittel geschrieben zu haben, mag vorsätzlich falsch abgegeben worden sein. Die Verfolgung solch beschworener Lüge nach § 156 StGB verjährt binnen fünf Jahren, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Verjährungsbeginn ist die Abgabe der Versi- cherung – zusammen mit der Arbeit. Von da an schlum- mert die plagiatorische Dissertation bei den beiden Gut- achtern, anschließend folgt noch eine mündliche Prü- fung. Schon dies dauert regelmäßig ein, mitunter auch
- 13 VG München 16.10.2012 – M 5 K 11.4492 – juris.
- 14 VG Hannover 26.6.2013 – 2 B 2658/13 – juris: Tragisch hierbei:Die Vorerkrankung hatte die Beamtin im Militäreinsatz fürDeutschland erlitten.
- 15 Die Verjährung im Promotionsrecht, WissR 2012, 227, 241.
- 16 Wie können Plagiate in Dissertationen strafrechtlich sanktioniert
zwei Jahre. Danach vergeht weitere Zeit, bis die Veröf- fentlichung der Arbeit betrieben ist. Erscheint die Arbeit (was eher zügig ist), zwei Jahre nach Einreichung der Dissertation, so bleiben zur rechtzeitigen Aufdeckung des Plagiates nurmehr drei Jahre: Drei Jahre für Rezepti- on in der Wissenschaft und das zufällige Bemerken von Textübereinstimmungen. Eine so zügige Plagiatsaufdek- kung ist selten und allenfalls gründlichen Rezensenten zu verdanken, die das Buch schnell nach dem Erschei- nen lesen und besprechen! Schon für Fischer-Lescano, den Aufdecker des Guttenberg-Plagiates,17 hätte diese Zeit nicht gereicht: Der Bericht der Bayreuther Kommis- sion weist leider nicht aus, wann zu Guttenberg seine Arbeit mit der nur ehrenwörtlichen (also jedenfalls straf- losen) Versicherung abgegeben hat. Das hymnische Erst- gutachten Häberle datiert vom 23.10.2006. Rechnet man mit einem normal-zügigen Lauf der Dinge, so wurde die Arbeit ungefähr sechs Monate zuvor eingereicht, also im April 2006. Mithin lief die Verfolgungsverjährung für eine hypothetische eidesstattliche Erklärung im April 2011 ab. Die Diskussion begann im Februar 2011 mit einem Artikel der Süddeutschen; am 1. März folgte der Rücktritt. Ob die Staatsanwaltschaft innerhalb weniger Wochen die Verjährung hätte unterbrechen können (und wollen), darf bezweifelt werden.
Der wiki-namensgebende Fall Veronika Saß ist Ge- genbeispiel. Dem Urteil des VG Freiburg vom 23.5.2012 (1 K 58/12) ist der Zeitablauf zu entnehmen: Juni 2008 Abgabe der Dissertation – 29.10.2008 Verleihung Dok- torgrad – Dissertation 2009 erschienen – 2011 erste Hin- weise auf Plagiat – 10.5.2011 Entzug des Doktorgrades. Hier hätte die Staatsanwaltschaft hinreichend Zeit (bis Juni 2013) gehabt um eine etwaige und falsche eidesstatt- liche Versicherung zu verfolgen. Daneben steht die Viel- zahl der bei vroniplag entdeckten Fälle, die erst sehr viel später aufgedeckt worden sind. IdR ist aber das Abgabe- datum nicht bekannt, sondern nur das Prüfungsda- tum.18 Eine fünfjährige Verjährungsfrist, die mit der maßgebenden Rechtshandlung beginnt, also der Einrei- chung der Arbeit, ist so kurz bemessen, daß im erwart- baren Verlauf Dissertationsplagiate innerhalb dieser Frist überwiegend nicht aufgedeckt würden – weil die kritische Rezeption in der Wissenschaftsöffentlichkeit länger braucht: vom Anfangsverdacht bis hin zu sorgfäl- tiger Prüfung, Bewertung und Entscheidung.
werden? F.A.Z., 21.7.2011, Nr 167, 8.
17 Fischer-Lescano, Karl-Theodor Frhr. zu Guttenberg, Verfassung
und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in
den USA und der EU, Kritische Justiz 2011, 112.
18 Dazu die Übersicht: http://de.vroniplag.wikia.com/
wiki/%C3%9Cbersicht [19.6.2013].
22 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2014), 19–28
Pseudo-effektiv ist das Bußgeld für studentische Be- scheißerle in § 63 HochschulG Nordrhein-Westfalen. Die Sanktionsdrohung ist mit 50.000 € hart – doch die Verjährung besonders kurz: drei Jahre gem. § 31 Abs. 2 OWiG. Kandidaten für ein Bußgeld sind also vor allem jene, die unmittelbar in der Prüfung erwischt werden. Die Bachelor– oder Masterarbeit wird typischerweise nicht veröffentlich – weswegen auch das Plagiat nicht auffliegt und schon gar nicht binnen drei Jahren. Kaum effektiver ist die Strafverfolgung wegen anderer Delikte19 – und ebensowenig effektiv wäre die Verfolgung des vom DHV für gewerbliche Ghostwriter geforderten Straftat- bestands „Wissenschaftsbetrug“.20
4. Befristungsvorschlag Löwer
Vor allem der Wissenschaftsrechtler Löwer fordert immer wieder die Einführung eines Verjährungstatbe- standes – einmal mit Blick auf das Vorbild der Juristen- ausbildung und zum anderen zum Schutz des Rechts- friedens (Zeit heilt alle Wunden). Er betont den Sankti- onscharakter des Titelentzugs, also dessen Strafähnlich- keit – auch und gerade mit Blick auf kollaterale Folgen wie Arbeitsplatzverlust und Ehreinbuße.21 Aufgegriffen wird diese Forderung vom „Gemeinsames Positionspa- pier des Allgemeinen Fakultätentags (AFT), der Fakultä- tentage und des Deutschen Hochschulverbands (DHV) vom 21. Mai 2013“,22 mit der etwas erstaunlichen Begrün- dung, daß Datenfälschungen nach Ablauf der Aufbe- wahrungsfristen nicht mehr nachweisbar wären: „Inso- fern stellt sich die Frage, ob nicht aus Gründen der mate- riellen Gerechtigkeit für Plagiate Entsprechendes gelten soll.“ Für einen Juristen harter Argumentationstobak an der Grenze zum Unsinn. Dagegen wendet sich Danne- mann – Berliner Hochschullehrer und Akteur bei Vroni- plag – mit der Erwägung, so kämen derzeit zu viele Schwind- ler davon. Die Plagiatkontrolle sei gerade erst angelaufen; die Aufarbeitung dürfe nicht abgewürgt werden.23
5. „Vorbildliche“ Juristenausbildung?
Löwer beruft sich auf das Vorbild der Prüfungskontroll- befristung in den Landesregelungen zur Juristenausbil- dung. In der Tat werden juristische Prüfungsbetrüger überwiegend nach fünf Jahren (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersach- sen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schles-
- 19 Übersicht bei Ottemann, Wissenschaftsbetrug und Strafrecht (2006).
- 20 www.hochschulverband.de/cms1/pressemitteilung+M56c11ee1774. html [26.7.2013].
- 21 Löwer, Verjährungsfrist für Plagiatsvergehen? Pro F & L 2012, 550 = www.forschung-und-lehre.de/wordpress/Archiv/2012/ful_07- 2012.pdf [26.7.2013].
- 22 www.hochschulverband.de/cms1/fileadmin/redaktion/download/
wig-Holstein), manchmal auch nach drei (Berlin, Bran- denburg, Hessen, Thüringen) verschont, haben sich dann also das Staatsexamen „ersessen“ und dürfen Rechtssuchende auch im denkbar härtesten Fall beraten, wenn sie nämlich einen Stellvertreter in die Prüfung geschickt und selbst gar nichts geleistet haben. Beson- ders schön das Saarland: Wer zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit ernannt wird, dem kann das Examen nicht mehr entzogen werden (also nach dortiger dreijäh- riger Probezeit). Das ist einigermaßen erstaunlich: Wer sich die Ernennung zum Staatsanwalt durch arglistige Täuschung über Erledigungen (durch Aktenverstecken) erschwindelt – der muß die Rücknahme der Ernennung fürchten,24 und zwar unbefristet nach § 12 Beamtensta- tusgesetz. Wer sich dagegen die Examenshausarbeit schreiben ließ oder kühn einen „Stellvertreter“ in die Klausuren schickte (so einst in Heidelberg geschehen), der darf auf Zeitablauf und Ersitzung hoffen.
Hart sind Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, die keine Rücknahmebefristung kennen. § 11 Abs. 6 der bayerischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Ju- risten sieht explizit die unbefristete nachträgliche Nicht- Bestehenserklärung für den Fall des „Unterschleifs“ in einer Juristischen Staatsprüfung vor. Sachsen gibt eine relative Frist von einem Jahr ab Entdeckung vor, und schützt den Arglistigen – anders als § 48 Abs. 4 VwVfG. Schon 1949 hat das „Zentral-Justizamt für die Britische Zone“ in § 28 Abs. 4 seiner Justizausbildungsordnung25 verfügt:
Auch nach Aushändigung des Zeugnisses über das Bestehen der Prüfung kann diese für nicht bestanden erklärt werden, aber nur innerhalb einer Frist von 5 Jah- ren seit dem Tage der mündlichen Prüfung.
Dabei fällt auf, daß die Befristungsregeln seinerzeit gerade in jenen Ländern eingeführt worden sind, die da- mals auf ein Hausarbeitenexamen gesetzt haben. In der Tat ist die juristische Examenshausarbeit besonders pla- giats–, also betrugsanfällig. In Köln und Bonn lebten Anwaltskanzleien früher davon, Examenskandidaten die Arbeit abzunehmen – gegen den Preis eines Autos. Im Rheinischen wurden seinerzeit Täuschungszahlen von bis zu einem Drittel geschätzt. Die Ersitzung durch Be- fristung schützte so Täuscher und Betrüger vor dem Ent-
pdf/resolutionen/Empfehlungen21052013.pdf [31.7.2013], 9 f.
23 Dannemann, Verjährungsfrist für Plagiatsvergehen? Contra F & L
2012, 551 = www.forschung-und-lehre.de/wordpress/Archiv/2012/
ful_07-2012.pdf [26.7.2013].
24 BVerwG 18.9.1985 – 2 C 30/84 – DVBl 1986, 148 und juris.
25 JAO vom 15.1.1949, Verordnungsblatt für die Britische Zone 1949,
21.
Rieble · Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades 2 3
zug der Anwaltszulassung oder vor der Entfernung aus dem Staatsdienst sowie vor entsprechender Erpreßbar- keit – und verschaffte der Staatsprüfung eine scheinbare, fiktive Dignität.
Eigentlich erstaunlich ist etwas anderes: Vergleichba- re Befristungen kommen in gesetzlichen Ausbildungsre- geln sonst nicht vor – obwohl man doch auch Ärzten, Architekten, Lehrern und Ingenieuren das erschlichene Examen gönnen könnte. Es handelt sich ganz überwie- gend um ein Juristenproblem. Für Ärzte kennt die Ap- probationsordnung keine Sonderregelung für die Rück- nahme der Staatsexamina, so daß es bei § 48 VwVfG be- wendet; für die Approbation schreibt § 5 Abs. 1 Satz 1 Bundesärzteordnung explizit die Rücknahme vor, wenn das Examen fehlt.
§ 35 Abs. 2 der (bayerischen) Allgemeinen Prüfungs- ordnung sieht für alle relevanten Prüfungen bayerischer Beamter und also auch für Lehrer das nachträgliche und unbefristete Scheitern bei Unterschleif, Täuschung oder Benutzung nichtzugelassener Hilfsmittel zu eigenem oder fremdem Vorteil vor. Anders aber wieder Nord- rhein-Westfalen: § 37 Abs. 4 der Ordnung des Vorberei- tungsdienstes und der Staatsprüfung 2011 (GV NRW S. 218) enthält wieder eine Fünfjahresfrist auch bei Täu- schungen. Hier herrscht derjenige rheinische Frohsinn, den Löwer den Doktoranden zubilligen will.
Von sachbezogener Härte sind durchweg ingenieur- wissenschaftliche Ausbildungsordnungen. So bestimmt § 28 Diplomprüfungsordnung Maschinenbau der RWTH vom 18.11.199826 zur „Aberkennung des Diplom- grades“:
(1) Hat die Kandidatin oder der Kandidat bei einer Prüfung getäuscht und wird diese Tatsache erst nach Aushändigung des Zeugnisses bekannt, kann der Prü- fungsausschuß nachträglich die Noten für diejenigen Prüfungsleistungen, bei deren Erbringung die Kandida- tin oder der Kandidat getäuscht hat, entsprechend be- richtigen und die Prüfung ganz oder teilweise für nicht bestanden erklären.
(2) Waren die Voraussetzungen für die Zulassung zu einer Prüfung nicht erfüllt, ohne daß die Kandidatin oder der Kandidat hierüber täuschen wollte, und wird
26 www.maschinenbau.rwth-aachen.de/cms/Maschinenbau/Studi- um/Downloads/Diplom/~osl/Maschinenbau/ [29.7.2013].
diese Tatsache erst nach der Aushändigung des Zeug- nisses bekannt, wird dieser Mangel durch das Bestehen der Prüfung geheilt. Hat die Kandidatin oder der Kandi- dat die Zulassung vorsätzlich zu Unrecht erwirkt, ent- scheidet der Prüfungsausschuß unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen über die Rechtsfolgen.
Eine Frist gibt es dort gar nicht; eine Heilung ist nur vorgesehen, wenn Prüfungsvoraussetzungen fehlen und darüber nicht vorsätzlich getäuscht worden ist. Das Pla- giat in der Diplomarbeit kann also unbefristet mit Aber- kennung geahndet werden.
Wenn Löwer also aus einer juristischen Besonderheit ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip extrapoliert, mag man sich wissenschaftlich fragen, warum ihm andere Fä- cher und ihre Ausbildungsregeln nicht in den Sinn kom- men. Praktisch möchte man ihn fragen, ob er von einem Arzt behandelt werden wollte, der sich sein ertäuschtes Examen zur Approbation ersessen hat oder ob er über eine Brücke fahren will, die ein Scheiningenieur kon- struiert hat. Mag er vor einem Richter stehen, der seinen Berufszugang mit einer gekauften Examenshausarbeit in Nordrhein-Westfalen erschlichen hat? Warum täuschen- de Juristen (und Lehrer) einen besonderen Befristungs- schutz benötigen – im Vergleich zu Ingenieuren, Be- triebs- und Volkswirten, aber auch Ärzten – ist nicht er- findlich.
II. Lex ferenda – cui bono?
1. Kandidat: Titelerhalt
Gestellt ist also die Grundfrage: Fordern Vertrauens- schutz oder Rechtsfrieden eine Befristung des Promoti- onsentzugs, soll also der Doktor in der Sache unverdient erhalten bleiben – weil lange Zeit vergangen ist? Vorteil- haft ist dies zuerst für den Schwindler, der die akademi- sche Frucht seiner Mogelei behalten darf. Dem nur und womöglich zu Unrecht in Verdacht Geratenen wird das Promotionskontrollverfahren zu eigener Ehrenrettung versagt. Hier wurde selbst der Spötter Heine fuchtig, dem unterstellt worden war, er habe seinen Doktor gekauft:
24 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2014), 19–28
Man soll ruhig von mir sagen, ich sei ein Bastard, der Sohn eines Henkers, ein Straßenräuber, Atheist, ein schlechter Dichter – ich lache darüber. Aber es zerreißt mir das Herz, meine Doktorwürde bestreiten zu hören (obwohl unter uns gesagt, die Jurisprudenz gerade die- jenige unter allen Wissenschaften ist, von welcher ich am wenigsten weiß).27
Verjährungsfrist oder Ersitzung können die Diskus- sion des inkriminierten Textes nicht unterbinden und auch nicht den damit bewirkten Ansehensverlust. Jeder veröffentlichte akademische Text steht zur Werkkritik an und damit auch zur Diskussion seiner „Originalität“. Eben aus diesem Grund schreiben die Promotionsord- nungen die Publikation vor. Das kann man an professo- ralen Plagiaten und Geistschreibereien erkennen (Schwintowski, Wirth, Preis28). Gerettet wird durch Er- sitzung nur Visitenkarte und Klingelschild. Der Plagia- toren-Eintrag im Netz bleibt.
Auf der anderen Seite gilt: Je länger solche Doktorats- ertüchtigung unbemerkt bleibt, desto länger kann auf dem ungerechtfertigten, erschwindelten Doktorgrad eine Karriere, ein Berufsleben und gesellschaftliches An- sehen wachsen. Das zynische (oder dialektische) Mo- ment ist das des Felix Krull: Der angemaßte Erfolg fußt auf eben jenem angesehenen Qualitätsausweis der Dis- sertation, den der Fremdtextverwerter für sich als An- spruch und Maßstab leugnet. Wissenschaft mißrät zum Schauspiel, wird im eigentlichen Wortsinn nurmehr vor- geführt, vorgespielt und vorgetäuscht. Es macht keinen nennenswerten Unterschied, ob der Hochstapler Ex- amenszeugnisse, Dissertation und womöglich Approba- tion (Gerd Postel) fälscht oder ob er nur ein bißchen ge- schickter eine gefälschte Prüfungsleistung einreicht und auf deren Grundlage eine echte Urkunde erhält. Hoch- stapelei bleibt das.
Die sehr spät aufgedeckten Fälle Ströker und Schavan zeigen: Auf der Grundlage eines unverdienten Doktor- grades läßt sich ein ganzer Lebensplan bauen, sei es die akademische, sei es die politische Karriere. Heutzutage versuchen frisch Promovierte über die Juniorprofessur unmittelbar auf das Dissertationsplagiat eine Wissen- schaftskarriere zu bauen.29 Diese Vorteile des Doktor-
27 Heinrich Heine, Brief an Philarète Chasles [den Übersetzer von Jean Paul] vom 15. Januar 1835, in: Heine, Leben Sie wohl und hole Sie der Teufel (2005, Hg Hauschild, übersetzt von Fellrath), 178 f; oder in anderer Übersetzung: Heine, Mein Leben, Auto- biografische Texte (2005, Hg Kruse, Übersetzer nicht angegeben, Briefdatum womöglich durch Scanfehler verfälscht), 18 f; im Original der Düsseldorfer Heine-Ausgabe (DHA): „Qu’on dise de moi que je suis bâtard, fils de bourreau, voleur de grand chemin, athée, mauvais poète: j’en ris; mais ça me déchire le coeur de voir contester ma dignité doctorale (entre nous, quoique docteur en
grades bleiben demjenigen, dessen Promotion nach lan- ger Zeit entzogen wird. § 48 VwVfG sieht keine Ab- schöpfung von Vorteilen vor. Insofern läßt sich umge- kehrt sagen: Wer erst nach dreißig oder mehr Jahren „er- wischt“ wird, hat schon unglaubliches Glück gehabt, durfte ein Erwerbsleben lang von unverdienter akademi- scher Würde zehren. Der Doktorgrad ist bares Geld wert.30 Auch die Altersversorgung bleibt. Für Promoti- onsschwindler bedeutet dies: „Money for nothing. Chicks for free.“ (Dire Straits). Daß dann über diese Frucht langjähriger Nichtentdeckung hinaus auch die künftige Verschonung geboten sein soll … das erschließt sich mir nicht.
Vielleicht hilft ein Sportbeispiel zur Einsicht: Wird ein Sportler nach längerer Zeit des Dopings überführt, dürfen ihm dann nachträglich rückwirkend Medaillen, Siege und Rekorde aberkannt werden? Oder muß nicht nach gewisser Zeit „Rechtsfrieden“ für solche Sportlei- stungsbetrüger einkehren? Kann man eine zweifelhafte Medaille ersitzen? Wie kommt der Radsport-Weltver- band dazu, im Jahr 2012 Lance Armstrong wegen syste- matischen Dopings sämtliche Erfolge seit dem 1. August 1998 abzuerkennen, darunter alle Tour-de-France-Siege? Ist es nicht unerhört, daß diesem „Sportler“ 2013 – nach mehr als zehn Jahren – die olympische Medaille aus 2000 entzogen wird? Müssen nicht Dopingsünder auf (unverdienten) Medaillenschatz und Siegerehre vertrau- en dürfen? Wo bleibt der Rechtsfrieden?
Staunen kann man nur darüber, daß die zentrale Fra- ge nicht gestellt wird: Soll die Ersitzung des Doktorgra- des in den ganz harten Fällen greifen – wenn also der Kandidat nicht eine Zeile der Dissertation verfaßt hat, sondern entweder einen Geistschreiber bezahlt oder ein Volltextplagiat abgegeben hat? Um welchen Vertrauens- schutz geht es hier? Der Vollbetrüger hofft doch allen- falls, nicht erwischt zu werden und also davonzukom- men. Nach gewisser Zeit mag er hierauf vertrauen – doch berechtigt und schützenswert ist dies Vertrauen nicht.
Eben dies betont die Prüfungsrechtsprechung: Die Fakultäten müssen bei ihrem Rücknahmeermessen („kann“ in § 48 Absatz 1 VwVfG) den „Schutz des Ver- trauens auf den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem
droit, la jurisprudence est précisément celle de toutes les sciences
dont je sais le moins)“. Erläuterungen dazu: DHA XV, 1249 ff. 28 Dazu Rieble, Wissenschaftsplagiat (2010).
29 Fall Haferkamp, ausgerechnet in den Kommunikationswissen-
schaften dazu Machowecz, Und weg war sie, DIE ZEIT 27.9.2012 =
www.zeit.de/2012/40/Plagiat-Professorin-Sachsen [27.6.2013]. 30 Groll, Ein Doktortitel bringt mehr Geld und Prestige, www.zeit.
de/karriere/beruf/2013–02/promotion-karriere-einkommen [19.6.2013].
Rieble · Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades 2 5
öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen“. Für diese Abwägung kommt das BVerwG zu einem prin- zipiellen Vorrang der Rücknahme:
In diese Abwägung sind bei der Entziehung eines Dok- torgrades die für den Betroffenen damit verbundenen beruflichen Erschwernisse einzustellen, die als vorher- sehbare und in Kauf genommene Nebenfolgen den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berühren […]. Da- mit übereinstimmend hat das Berufungsgericht die Er- messensausübung der Beklagten deshalb gebilligt, weil deren wissenschaftlicher Ruf und das Ansehen der Rechtswissenschaft insgesamt das Interesse der Klä- gerin an ihrem beruflichen Ansehen überwiege.31
In der Entscheidung zum Unwürdigkeitswiderruf im Fall Schön betont das BVerwG,32 daß die Promotion ei- nen Vertrauensvorschuß, also eine Erwartung in ein spä- teres wissenschaftskonformes Arbeiten begründet. Wer durch spätere Datenfälschungen gravierend gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verstößt, dem kann zum Schutz der Wissenschaft der Doktorgrad entzogen werden. Wenn aber die Promotion eine lebens- lange Redlichkeitspflicht des Promovierten erzeugen kann, dann kann es „erst recht“ kein Vertrauen darauf geben, mit einer anfänglichen Täuschung „durchzukom- men“. Eben dies schließt auch jedes Ausweichen auf die Verwirkung aus.33
2. Fakultät und academia: Schutz des Arbeitsfriedens
Rechtsfrieden und Vertrauensschutz sind wichtige Güter. Die Rechtmäßigkeit staatlichen Verhaltens aber auch. Mit „Rechtsfrieden“ ist indes der Arbeitsfrieden in den Fakultäten gemeint: Dort nämlich löst jeder plausib- le Anfangsverdacht einen aufwendigen Plagiatsprüfpro- zeß aus. Die Aufarbeitung des Plagiatsverdachtes macht mehr Mühe als die Begutachtung der Dissertation: Fin- den sich verdächtige Textstellen, muß akribisch nach den Originalen gesucht werden – das ist eine Suche ins Blaue. Textvergleichsprogramme sind wenig hilfreich. Sie versagen selbst bei im Netz verfügbaren Quellen – und erst recht helfen sie nicht beim Finden papierner Originale. All dies mündet in eine aufwendige synopti-
- 31 BVerwG 20.10.2006 – 6 B 67/06 – juris.
- 32 BVerwG 31.7.2013 – 6 C 9.12 – Pressemitteilung 56/2013.
- 33 Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschungin der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NwVBl 2010, 176, 181. Allgemein zur Verwirkung im Verwaltungsrecht BVerwG 12.1.2004 – 3 B 101/03 – NVwZ-RR 2004, 314.
- 34 Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) § 69, zitiert nach der Frankfurter Werkausgabe, Band 7 (1979), 148; gemeinfrei:
sche Gegenüberstellung der Texte, die die marginalen manipulativen Textveränderungen (Satzumstellungen, Wortaustausch, geringe Streichungen: „Modifikatiön- chen“ iS Hegels34) sichtbar machen sollen. Den Lehr- stuhl des Gutachters kann das über Wochen lähmen. So viel Arbeit macht nicht glücklich – zumal eine Fakultät mit der Plagiatsschau keine Meriten erwirbt, sondern nur Unannehmlichkeiten hat. Die Klagelust der Kandi- daten auf Promotionsentzug ist ungebrochen. Bezeich- nenderweise bekennen Allgemeiner Fakultätentag (AFT), Fach- Fakultätentage und Deutscher Hochschul- verband35:
Da keine Fakultät glücklich ist, von Amts wegen auch lange zurückliegende Promotionsleistungen aufgreifen zu müssen und in einem mühseligen Verfahren neu zu prüfen, sprechen sicher auch Praktikabilitätsgründe für eine Verjährungsfrist.
Diesen Satz muß man sich selbst mehrfach vorlesen, um seine Impertinenz zu begreifen: Weil Fakultäten faul sind, müssen betrügerische Doktoranden davonkom- men. Arbeitsunlust zur Korrektur eigenverantworteter Fehler heißt nun: „Praktikabilität“.
Selbst wenn Plagiatoren vom Gutachter erwischt werden, sehen doch die Fakultäten vielfach von einer förmlichen Mißbilligung der Arbeit (Durchfallenlassen) ab – was dem Kandidaten nicht bloß die Rücknahme des Promotionsgesuches erlaubt, sondern auch die erneute Einreichung bei einer weniger kritischen, bevorzugt österreichischen Universität (Fall Moeder36). Die oft er- forderliche Versicherung des Doktor-Kandidaten, seine Arbeit nicht anderswo eingereicht zu haben, kann leich- ten Herzens und errötungslos abgegeben werden. Die Rücknahme des scheiternden Gesuches macht alles un- geschehen und so kann das Ungeschehene versichert werden.
Eine möglichst kurze Promotionsrücknahmefrist er- spart die peinlichen Ausreden der Fakultäten, das ver- breitete Schweigen und Bemänteln, das Geschwurbele über die fehlende Täuschungsabsicht, die Bedeutungslo- sigkeit der geklauten Textstellen im Vergleich zu dem wissenschaftlichen Zentralteil der Arbeit, den erst noch
www.zeno.org/nid/20009181253 [1.8.2013].
35 www.hochschulverband.de/cms1/fileadmin/redaktion/download/
pdf/resolutionen/Empfehlungen21052013.pdf [31.7.2013], 9 f. 36 Horstkotte, Professor gilt als Plagiator und keinen störts, www.
zeit.de/studium/hochschule/2013–05/moeder-plagiat-dissertation [19.6.2013]; http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Rm [27.6.2013] www.hs-heilbronn.de/5166719/958_stellungnahme_plagiat [27.6.2013].
26 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2014), 19–28
zu ermittelnden hermeneutischen Deutungszusammen- hang des mash up.37 Und damit auch die mit solchem Gnadenerweis (Althusmann, Party-Prinz Schaumburg- Lippe) verbundene Frage, ob eine solche Fakultät wis- senschaftliche Maßstäbe noch ernst nimmt. Nicht bloß das Plagiat ist eine Frage der Ehre (Hegel38), die Plagiat- wehr durch die Fakultäten ist es ebenso. Dementspre- chend lautet der Sacheinwand: Wer aus Arbeitsunlust die Durchsetzung wissenschaftlicher Redlichkeitsmaß- stäbe verweigert, der kann als Universität oder Fakultät sich seinerseits nicht mehr auf Wissenschaftlichkeit be- rufen und hieraus Ansehen und soziale Geltung ableiten. Wenn die Fakultäten sich weigern, die von ihnen hervor- gebrachten Wissenschaftsprodukte sauber zu halten – dann brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn sie im Ansehen auf das Niveau von Gebrauchtwagenhändlern herabsinken. Der Geltungsanspruch der Wissenschaft gründet darauf, daß sie das Sein redlich ergründen will – der bloße Schein von Wissenschaftlichkeit trägt nicht. Und eben auf solchen Schein ist die Verjährungskonzep- tion gerichtet.
Immer wieder ist von Fällen zu hören, in denen die Fakultäten externe Hinweise auf Plagiate „überhören“. So berichtet Jürgen Plöhn, der bei Studien zum eigenen Doktorat auf ein Dissertations-Volltextplagiat (ganze Arbeit abgeschrieben!) gestoßen war, in einem Leser- brief an die F.A.Z. (29.10.2012, S. 8): „Als ich vor einigen Jahren die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck auf den Fall aufmerksam machte, wurde bei mir nur ange- fragt, ob ich der Universität auch noch die heutige Adres- se ihrer Promovendin verschaffen könne.“ Ich selbst habe einst eine Fakultät diskret auf eine anderthalbseiti- ge wortwörtliche Textidentität in einer Dissertation hin- gewiesen – und bin auf gepflegtes Desinteresse gestoßen: Schon die Nachschau, ob in der Arbeit von Marco Wen- deroth39 womöglich (und dies nicht ganz unwahrschein- lich) weitere „Stellen“ zu finden sind – war der Fakultät zu lästig.
So gesehen bringt Verjährung vor allem Ruhe in die Fakultät: Die möglichst kurze Verjährungsfrist soll die Hände binden, damit die angesprochene Fakultät bedau- ernd sagen kann: Uns sind die Hände gebunden. Man kann unschwer ein Muster-Absageschreiben, vorformu- liert vom Allgemeinen Fakultätentag, imaginieren:
- 37 Von Gehlen, Mashup: Lob der Kopie (2011).
- 38 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) § 69, zitiertnach der Frankfurter Werkausgabe, Band 7 (1979), 148 ff; gemein-frei im Netz: www.zeno.org/nid/20009181253 [1.8.2013].
- 39 Der allgemeine Unterlassungsanspruch des Betriebsrats, 2006 =
Sehr geehrter [Hinweisgeber],
wir bedanken uns sehr für die Hinweise zu intertextuel- len Inkorrektheiten in der Dissertation [Titel] von [Dok- torand]. Da die Dissertation [Promotionsjahr] vollzogen worden ist, ist inzwischen die Promotionsrücknahme- frist nach § 00 des für uns maßgeblichen Landeshoch- schulgesetzes verstrichen. Diese Frist dient dem Schutz des Rechtsfriedens. Deshalb kann der Doktorgrad nicht mehr entzogen werden, auch wenn eine Untersuchung ergäbe, daß die Dissertation keine taugliche Grundlage für den verliehenen Doktorgrad ist.
Es steht Ihnen frei, sich persönlich publizistisch mit der angegriffenen Doktorarbeit auseinanderzusetzen. Uns als Fakultät einer staatlichen Universität ist dies mit Blick auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwal- tung untersagt.
Mit wissenschaftlichen Grüßen Ihre …
III. Untergesetzliche Regelung in Promotions ordnungen?
1. Dr. phil. oder rer. pol. in München
Die eklatanten fakultätsschützenden Vorteile einer sol- chen Promotionsersitzung legen es nahe, bis zur gefor- derten hochschulgesetzlichen Umsetzung in den Pro- motionsordnungen entsprechende Selbstverschonung zu regeln. So bestimmt die „Promotionsordnung der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Gra- de des Dr. phil. und Dr. rer. pol.“:40
§ 16 Nichtvollzug der Promotion und Entzug des Dok- torgrades
(1) Hat der Kandidat bei einer Promotionsleistung getäuscht und wird dies erst nach Erteilung des Be- scheids gemäß § 12 Abs. 3 bekannt, so kann nachträglich die Doktorprüfung für nicht bestanden erklärt werden.
(2) Waren die Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion nicht erfüllt, ohne dass der Kandidat hierü- ber täuschen wollte, und wird diese Tatsache erst nach Erteilung des Bescheids gemäß § 12 Abs. 3 bekannt, so wird dieser Mangel durch das Bestehen der Doktorprü- fung geheilt. Hat der Kandidat die Zulassung vorsätzlich zu Unrecht erwirkt, so entscheidet der Promotionsaus-
Diss Bochum 2005; zu dem Fall Rieble, Das Wissenschaftsplagiat
(2010), S 11.
40 www.uni-muenchen.de/studium/studienangebot/studiengaenge/
nebenfachw_mag/promord/fassung_2005/p‑k/konsol_fassung_ promo_2005_S3_2009_06_191.pdf [27.6.2013].
Rieble · Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades 2 7
schuss über erforderliche Maßnahmen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (Art. 48 VwVfG).
(3) Im Falle der nachträglichen Feststellung des Nichtbestehens der Doktorprüfung ist die bereits aus- gehändigte Urkunde einzuziehen. Eine Entscheidung nach Abs. 1 und 2 ist nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Erteilung des Bescheids gemäß § 12 Abs. 3 möglich.
Diese Regelung findet sich in weiteren Prüfungsord- nungen, so etwa in der Promotionsordnung für die Ma- thematisch-Geographische Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt 2004. Die Norm unter- scheidet richtig die Promotionstäuschung (also vor al- lem: das Dissertationsplagiat) und die Täuschung über die Zulassungsvoraussetzungen – ordnet aber für beide in Abs. 3 die Verjährung binnen fünf Jahren an. Dann ist nicht nur der überforderte Doktorand mit angeeigneten Fremdtexten verschont, sondern auch der hartleibige Be- trüger, der kein einziges Wort selbst verfaßt hat, sondern einen Ghostwriter für 25.000 € hat schreiben lassen.
2. Reichweite der Regelungsermächtigung
Die Rechtsfrage lautet: Dürfen Hochschulen ihr eigenes Promotionsentzugsregime verordnen – und damit das verfassungsrechtliche Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einschränken?41 Antwort: Das hängt zuerst von der landeshochschulrechtlichen Regelungsermäch- tigung ab. Wenn das Landeshochschulgesetz eine solche Ermächtigung explizit enthält, ließe sich hiergegen nur Art. 80 GG nebst entsprechenden Vorschriften des Lan- desrechts einwenden, der Verordnungsermächtigungen dahin begrenzt, daß die wesentlichen Entscheidungen im Gesetz getroffen sein müssen. Das folgt schon aus dem Gewaltenteilungsprinzip.
Für eine ausgedehnte Analyse aller Landesgesetze ist hier kein Platz. Symptomatisch muß das bayerische Recht herhalten, also das hiesige Hochschulgesetz. Zen- trale Norm ist Art. 69 Satz 1 BayHSchG: „Der von einer bayerischen Hochschule verliehene akademische Grad kann unbeschadet des Art. 48 BayVwVfG entzogen wer- den, wenn sich der Inhaber oder die Inhaberin durch ein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen hat.“ Damit ist für den Promotionsentzug we- gen Dissertationsplagiat explizit auf die allgemeine ver- waltungsverfahrensrechtliche Regelung zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen. Daß nach
41 Diese Frage habe ich mit PD Dr. Josef Aulehner vom Rechtsamt der LMU diskutiert; ihm verdanke ich Anregungen und Argu- mente.
Art. 104 Abs. 1 BayHSchG das Verwaltungsverfahrensge- setz für Hochschulprüfungen nur gilt, soweit nicht Sat- zungen der Hochschulen inhaltsgleiche oder entgegen- stehende Bestimmungen enthalten, ist keine Ermächti- gungsgrundlage. Diese findet sich in Artt. 64 Abs. 1 Satz 5, 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 9 BayHSchG. Daß die Universitä- ten „die Bearbeitungszeiten für die Anfertigung schrift- licher Prüfungsarbeiten sowie die Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften“ regeln dürfen und müssen, läßt sich einerseits eng verstehen – dahin, daß es nur um Ordnungsvorschriften und Formalien geht. Man kann das aber auch weit begreifen und die Fakultäten für be- rechtigt halten, ihr Rücknahmeermessen vorab zu bin- den. Mir liegt die erste Lesart deutlich näher, weil die nachträgliche Rücknahme eines durch Täuschung er- langten Prüfungstestats keine fakultätsspezifische Frage ist, sondern fakultätsübergreifend gleichförmig geregelt werden muß. Warum der Dr. phil. in München nach fünf Jahren rücknahmefest ersessen ist, der Dr. iur. dage- gen nicht, bleibt unerfindlich. Weil so zudem das Verfas- sungsprinzip der Rechtmäßigkeit der Verwaltung zu- rückgedrängt wird, halte ich dafür, daß eine derartige Befristung dem parlamentarischen Hochschulgesetz vorbehalten ist und Universitäten und Fakultäten nicht überlassen werden kann.
3. Folgenlos
Das Schöne an derartigen Rechtserwägungen: Sie sind folgenlos. Ist die Promotionsordnung mit Befristungsre- gel einmal in der Welt, kann eine Fakultät sich zum Selbstschutz vor Arbeitslast auf diese berufen. Dem Ein- wand, eine solche Promotionsordnung sei rechtswidrig und unwirksam, läßt sich gelassen begegnen: Dies fest- zustellen sei Aufgabe der Rechtsaufsicht. Bis dahin müs- se sich jeder Absolvent auf die Promotionsordnung ver- lassen dürfen.
IV. Fazit
Jede Form von „Plagiatverjährung“ läuft auf eine Ersit- zung des erschlichenen Abschlusses, insbesondere der Promotion hinaus. Für sie braucht es grundsätzlich eine gesetzliche Regelung, weil die Korrektur von Verwal- tungsunrecht grundsätzlich unbefristet erfolgt. Bezeich- nenderweise finden sich solche Prüfungskontrollbefri- stungen vor allem bei Juristen, mitunter auch bei Leh- rern. Dort scheint es bedeutungslos zu sein, ob das Staatsexamen erschlichen worden ist. Bei Ärzten und
28 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2014), 19–28
Ingenieuren hingegen ist die Rechtsordnung strenger. Dort möchte die Gesellschaft keine Schwindler dulden.
Die Wissenschaft muß sich selbst befragen, was ihr wichtig ist: Ruhe an der Promotionsfront und Verscho- nung von nervigen Prüfverfahren oder Verteidigung der wissenschaftlichen Standards, auch und gerade durch Aufdeckung und Korrektur des Fehlverhaltens. Der erste Weg ist bequem, birgt aber die Gefahr, daß die Redlich- keit als „Fundament der Wissenschaft als eines sozialen Systems“42 bröckelt. Daß Gesellschaft, Rechtsordnung und Rechtsprechung der Wissenschaft Grundvertrauen entgegenbringen und Vorrechte gewähren, ist nicht selbstverständlich. Würde bemerkt, wie lax Wissen- schaftsinstitutionen bei Prüfung und Promotion verfah- ren und lenkte die Wissenschaft selbst durch korrektur- vereitelnde Frist das Augenmerk hierauf, so mißrieten die Vorrechte der Wissenschaft zum klebrig-unverdien- ten Privileg. Nachhaltig ist das nicht. Und mittelfristig verteidigen ließen sich statusorientierte Privilegien ohne dahinterstehenden Leistungs– und Redlichkeitsan- spruch ebensowenig. Es gilt, was das BVerfG zur erschli- chenen Einbürgerung gesagt hat:
Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten […] und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit.43
Wem dies gleichgültig ist und wer für seine persönli- che Restdienstzeit vor allem in Ruhe gelassen werden will, dem ist die womöglich rechtswidrige aber doch fak- tisch wirksame Befristungsregelung in den Promotions- ordnungen zu empfehlen. Sie erregt wenig Aufsehen, verschafft Promotionsbetrügern einen sicheren Titel und schützt Professoren davor, langweilige Arbeiten er- neut anschauen zu müssen. Ist der Doktorgrad nach Fristablauf ersessen, ändert das an der akademischen Hochstapelei: keinen Deut.
42 DFG-Denkschrift, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, 1998, 27 = www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stel- lungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf [1.8.2013].
43
BVerfG 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 – BVerfGE 116, 24 Rn 63.
Der Autor ist Professor am Zentrum für Arbeitsbezie- hungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der Ludwig- Maximilians-Universität München (LMU).