Übersicht
I. Einführung: Der Festlandsockel der Arktis und Antarktis aus völkerrechtlicher Sicht
1. Der Fall „Arctic Sunrise“, die Grundlagen des völkerrechtli- chen Regimes der Arktis und deutsche Forschungsinteressen
2. Die Grundlagen des völkerrechtlichen Regimes der Antarktis und deutsche Forschungsinteressen
II. Das Festlandsockelregime der Arktis und die wissenschaftli- che Meeresforschung
1. Das Festlandsockelregime des Seerechtsübereinkommens 2. Rechte der Küstenstaaten am erweiterten Festlandsockel
3. Wissenschaftliche Meeresforschung auf und über dem Fest- landsockel
a) Begriff der wissenschaftlichen Meeresforschung
b) Maßgebliche seerechtliche Regelungen zur wissenschaftlichen Meeresforschung
aa) Grundsätze
bb) Die Regelung des Art. 246 SRÜ: Forschungsrechte der Staa- ten
cc) Verfahren für Forschungsvorhaben in der ausschließlichen Wirtschaftszone oder auf dem Festlandsockel
dd) Wissenschaftliche Meeresforschung in den Gewässern über dem erweiterten Festlandsockel
4. Zusammenfassung: Rechtlicher Rahmen für Forschungsakti- vitäten auf dem Festlandsockel der Arktis und über dem Fest- landsockel der Arktis
III. Sonderfall: Das Festlandsockelregime im Spitzbergengebiet
IV. Das Festlandsockelregime der Antarktis 1. Völkerrechtlicher Meinungsstand
2. Bewertung und praktische Bedeutung
V. Sonderfall: Das Rechtsregime des Festlandsockels der Inseln nördlich des Antarktisgebietes
- 1 Vgl zur Greenpeace-Aktion statt anderer Lally, Russia Char-
ges 14 from Greenpeace Ship Arctic Sunrise with Piracy After Protest, Washington Post, 2.10.2013, abrufbar unter http://www. washingtonpost.com/world/europe/russia-charges-five-from- greenpeace-ship-with-piracy/2013/10/02/9b47a7d8-2b64-11e3 ‑b141-298f46539716_story.html. Allgemein zu politischen und wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die Arktis schon der Eco- nomist von 2012: The Vanishing North: What the Melting of the Arctic Means for Trade, Energy and the Environment, 16.06.2012, insbesondere 46 ff, abrufbar unter http://www.economist.com/ printedition/2012–06-16. - 2 Rosenthal, Race Is On as Ice Melt Reveals Arctic Treasures, The New York Times, 18.9.2012, abrufbar unter http://www.nytimes.
I. Einführung: Der Festlandsockel der Arktis und Antarktis aus völkerrechtlicher Sicht
1. Der Fall „Arctic Sunrise“, die Grundlagen des völker- rechtlichen Regimes der Arktis und deutsche For- schungsinteressen
Wie umstritten die Ausbeutung der Rohstoffe in der Arktis politisch und völkerrechtlich ist, hat sich nicht erst gezeigt, als am 18. September 2013 Mitglieder der Nichtregierungsorganisation Greenpeace versuchten, mit Hilfe ihres Schiffes Arctic Sunrise die russische Ölplattform „Priraslomnaja“ (Приразломная) zu beset- zen.1 Greenpeace wollte mit dieser Aktion auf die Gefah- ren der Ölförderung für das verwundbare Ökosystem der Arktis und auf die mangelnden Sicherheitsvorkeh- rungen durch Russland aufmerksam machen. Bekannt ist, dass die Aktion scheiterte und das Schiff der Green- peace-Aktivisten von der russischen Küstenwache ver- folgt und gestoppt wurde; zudem wurden alle an Bord befindlichen Mitglieder festgenommen und das Schiff festgesetzt.
Die große Resonanz dieses Falles in den internatio- nalen Medien und die Vehemenz, mit der Russland seine Freiheit zur Ausbeutung arktischer Erdölvorkommen verteidigt, zeigen nochmals deutlich, dass die Arktis im 21. Jahrhundert als ein strategisch wichtiges, da rohstoff- reiches Gebiet im Zentrum unterschiedlicher staatlicher Interessen, insbesondere der Anrainerstaaten Russland, Kanada, Dänemark für Grönland, Norwegen und USA,2 steht. Umstritten sind vor allem die Grundlagen und Grenzen der Ausbeutung von in der Arktis lagernden Bodenschätzen: Die zunehmende Eisfreiheit der arkti- schen Seegebiete3 sowie die daraus resultierende, fort- schreitende Erschließung neuer Seewege für den Schiffs- verkehr4 rücken die nun leichter zugänglichen Ressour-
com/2012/09/19/science/earth/arctic-resources-exposed-by-
warming-set-off-competition.html?pagewanted=all&_r=0.
3 Vgl die Daten des National Snow & Ice Data Center (USA), abruf-
bar unter http://nsidc.org/arcticseaicenews/.
4 Momentan sind dies die Nordost- und Nordwestpassage nördlich
des eurasischen bzw. nordamerikanischen Kontinents. Vgl
Sietz, Das Schiff, das aus der Kälte kam, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.6.2013, abrufbar unter http://www.seiten.faz-archiv.de/ faz/20130604/ftum201306043886866.html. Ausführlich zur völ- kerrechtlichen Einordnung der Nordwestpassage Höfelmeier, Der völkerrechtliche Status der Nordwestpassage im Spannungsfeld zwischen internationalem Seerecht und arktischer Souveränität, FIP 6/2013, abrufbar unter http://www.fiponline.de/.
Anja Höfelmeier und Silja Vöneky
Rechtsfragen bei Forschungsaktivitäten über dem Festlandsockel der Arktis und Antarktis
Ordnung der Wissenschaft 2014, ISSN 2197–9197
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cen des unter den arktischen Gewässern gelegenen Fest- landsockels in den Fokus der Anrainerstaaten. Damit wird völkerrechtlich der Status des arktischen Meeresbo- dens relevant, der sich mangels spezieller Regelungen in erster Linie nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ)5 bestimmt.
Wegen der bedeutenden Interessen in Bezug auf die Arktis erstaunt es nicht, dass der Fall der Arctic Sunrise ein Nachspiel vor einem internationalen Gericht hatte: Auf Antrag der Niederlande – des Flaggenstaates der Arctic Sunrise – erließ der Internationale Seegerichtshof (International Tribunal of the Law of the Sea, ITLOS) am 22. November 2013 eine einstweilige Anordnung gegen Russland, in der die Freilassung der Aktivisten und ihres Schiffes gegen Kaution verfügt wurde.6 Völkerrechtlich war hierbei unter anderem entscheidend, dass die Akti- visten und das Schiff etwa 40 Kilometer entfernt von der russischen Küste in der russischen ausschließlichen Wirtschaftszone festgesetzt wurden.7
Die verschiedenen Zonen der küstenstaatlichen Ju- risdiktion sind für die Zulässigkeit der Ausbeutung von Ressourcen des arktischen Festlandsockels durch die Arktisanrainerstaaten entscheidend: Hier ist besonders die Möglichkeit einer Erweiterung des durch die Maxi- malbreite der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von 200 Seemeilen ℠8 begrenzten Ausbeutungsgebie- tes auf den gesamten Festlandsockel bis zu einer Entfer- nung von 350 sm gemäß Art. 76 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 SRÜ bedeutsam. Der von Norwegen 2006 eingereichte An- trag auf einen solchen erweiterten Festlandsockel wurde
- 5 Die USA sind nicht an das Seerechtsübereinkommen gebun- den; für sie gilt daher die Convention on the Continental Shelf (Festlandsockelkonvention) vom 29.4.1958 (Inkrafttreten am 10.6.1964, 499 UNTS 311), sowie die parallelen völkergewohn- heitsrechtlichen Regelungen, die zu großen Teilen denen des Seerechtsübereinkommens entsprechen. Vgl Rothwell/Stephens, The International Law of the Sea, 2010, 106 ff.
- 6 Vgl International Tribunal on the Law of the Sea, The “Arctic Sunrise” Case (Kingdom of the Netherlands v. Russian Fe- deration) (Order), 22.11.2013, abrufbar unter http://www. itlos.org/fileadmin/itlos/documents/cases/case_no.22/Order/ C22_Ord_22_11_2013_orig_Eng.pdf. An der Zulässigkeit und Wirksamkeit der Anordnung ändert sich nichts dadurch, dass Russland die Zuständigkeit des Gerichtshofs bestritt und dem Verfahren fernblieb; vgl dazu insbesondere das – im Ergebnis zustimmende – Sondervotum der Richter Wolfrum und Kelly, abrufbar unter http://www.itlos.org/fileadmin/itlos/documents/ cases/case_no.22/Order/C22_Ord_22.11.2013_sep.op.Wolfrum- Kelly_orig_Eng.pdf, Rn. 3 ff.
- 7 Vgl Art 55 ff SRÜ.
- 8 Eine Seemeile entspricht 1,852 km.
- 9 Commission on the Limits of the Continental Shelf (CLCS),Summary of the Recommendations of the Commission on the Li- mits of the Continental Shelf in Regard to the Submissions Made by Norway in Respect of Areas in the Arctic Ocean, the Barents Sea and the Norwegian Sea on 27 November 2006, 27.3.2009,
von der dafür nach dem Seerechtsübereinkommen zu- ständigen Festlandsockelkommission bereits 2009 mit zustimmenden Empfehlungen beschieden.9 Russland hat 2001 ebenfalls einen Antrag für die Arktis einge- reicht. Die 2002 von der Kommission angeregten Revisi- onen des Antrags und seiner Tatsachengrundlage10 ste- hen bis heute aus. Dänemark hat mit seinem letzten An- trag an die Festlandsockelkommission vom November 2013 angekündigt, zeitnah ebenfalls einen Antrag bezüg- lich des erweiterten arktischen Festlandsockels stellen zu wollen.11 Auch seitens Kanadas wurde jüngst ein solcher Antrag für die Gebiete nördlich des kanadisch-arkti- schen Archipels offiziell angekündigt.12 Bis auf die USA, die das Seerechtsübereinkommen bisher nicht ratifiziert haben und für die daher ein Antrag zur Zeit nicht in Fra- ge kommt, ist also für alle Anrainerstaaten die Anerken- nung eines erweiterten Festlandsockels zu erwarten.
Für die Staaten wie Deutschland, deren Schiffe in den über dem erweiterten Festlandsockel gelegenen Meeres- gebieten wissenschaftliche Meeresforschung betreiben,13 stellt sich die Frage, ob und inwiefern durch solche De- klarationen der Anrainerstaaten die Forschung, die bis- her nur durch Teil XIII SRÜ eingeschränkt war,14 in den darüber liegenden Hochseegebieten auch von den An- rainerstaaten weitergehend in der Arktis reglementiert werden kann. Da wissenschaftliche Forschungen in die- sem Bereich auch eine Bedeutung für die Erforschung und Ausbeutung der Ressourcen des Festlandsockels ha- ben können, ist nicht verwunderlich, wenn Anrainer- staaten in der Arktis hier gegebenenfalls in Zukunft der
abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/clcs_new/submissi-
ons_files/nor06/nor_rec_summ.pdf.
10 UNGA, Oceans and the Law of the Sea: Report of the Secretary-
General, 8.10.2002, Rn 38 ff.
11 UN Commission on the Limits of the Continental Shelf, Submis-
sion by the Kingdom of Denmark, 26.11.2013, abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/clcs_new/submissions_files/sub- mission_dnk_68_2013.htm. Alle weiteren Anträge, Reaktionen anderer Staaten und sonstige Erklärungen sind abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/clcs_new/commission_submissions. htm.
12 UN Division for Ocean Affairs and the Law of the Sea, Prelimi- nary Information concerning the Outer Limits of the Continental Shelf of Canada in the Arctic Ocean, 06.12.2013, abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/clcs_new/submissions_files/prelimi- nary/can_pi_en.pdf.
13 Vgl dazu die Aktivitäten der FS Polarstern des deutschen Alfred-Wegener-Instituts, abrufbar unter www.awi.de/index. php?id=51&L=1.
14 Teil XIII SRÜ enthält ausführliche Regelungen zur wissenschaft- lichen Meeresforschung – zu der alle Staaten berechtigt sind – in allen verschiedenen Seegebieten einschließlich der Hohen See. Für die Hohe See bestehen neben den allgemeinen Vorschriften der Art 238–244 SRÜ vor allem Rücksichtnahmepflichten bei der Aufstellung und Nutzung von Anlagen und Ausrüstung in Art 258 ff SRÜ.
Höfelmeier/Vöneky · Forschungsaktivitäten über dem Festlandsockel 4 5
Forschung anderer Staaten Grenzen setzen wollen. Diese Fragen werden im Folgenden – nach der Darlegung der Grundlagen des völkerrechtlichen Regimes der Antark- tis – unter II. untersucht.
2. Die Grundlagen des völkerrechtlichen Regimes der Antarktis und deutsche Forschungsinteressen
Die gleiche Frage, ob bzw. inwieweit Forschungsaktivitä- ten von Staaten über dem (erweiterten) Festlandsockel durch andere Staaten völkerrechtlich einschränkbar sind, stellt sich auch für die Meeresgebiete im Bereich des Antarktisvertrages.15 In diesen Gebieten ist zwar im Ergebnis nicht mehr umstritten, ob die Regelungen des Seerechtsübereinkommens zum Festlandsockel Anwen- dung finden oder ob diese durch das Antarktisvertrags- regime als lex specialis vollkommen verdrängt werden. Unklar ist jedoch, ob und für welche Landmassen dieje- nigen Mitgliedstaaten des Antarktisvertrages, die als sogenannte claimant states16 Gebietsansprüche auf das antarktische Festland erheben, gegebenenfalls Ansprü- che auf einen erweiterten Festlandsockel stellen können; schließlich auch, welche Folgen Ansprüche auf einen erweiterten Festlandsockel in der Antarktis für die For- schungsaktivitäten anderer Staaten in diesen Gebieten haben.17 Sowohl Australien als auch Argentinien und Norwegen haben bereits Anträge in den Jahren 2004 (Australien) bzw. 2009 (Argentinien und Norwegen) auf einen erweiterten Festlandsockel des antarktischen Fest- landes bei der Festlandsockelkommission gestellt.18 Die völkerrechtlichen Folgen werden im Folgenden unter IV. dargelegt.
- 15 Hierzu gehören gemäß Art 6 Antarktisvertrag (AV) (unterzeich- net am 1.12.1959, Inkrafttreten am 23.6.1961, 402 UNTS 71) alle Gebiete südlich des 60. Breitengrads inklusive des Eisschelfs; vgl dazu Vöneky/Addison-Agyei, Antarctica, in Wolfrum (Hrsg), MPEPIL, Band 1, 418, Rn 24; zum antarktischen Vertragsregime insgesamt ibid., Rn 12 ff. Siehe auch die Internetpräsenz des Sekretariats des Antarktisvertragssystems unter http://www.ats. aq/index_e.htm. Zum Festlandsockel der Antarktis vgl die Karte unten in Anhang II.
- 16 Zu den sogenannten claimant states gehören die sieben Staaten, die vor dem Inkrafttreten des Antarktisvertrages Gebietsan- sprüche auf das antarktische Festland erhoben hatten. Dies sind Großbritannien, Neuseeland, Frankreich, Norwegen, Australien, Chile und Argentinien.
- 17 Von deutscher Seite wird auch in antarktischen Gewässern Mee- resforschung von der FS Polarstern aus betrieben, vgl wiederum
II. Das Festlandsockelregime der Arktis und die wis- senschaftliche Meeresforschung
1. Das Festlandsockelregime des Seerechtsübereinkom- mens
Art. 76 Abs. 1 SRÜ stellt die Voraussetzungen für das Festlandsockelregime des Seerechtsübereinkommens auf. Demnach umfasst der Festlandsockel eines Staates mindestens den Meeresboden bis zu 200 sm, ausgehend von der so genannten Basislinie,19 sowie den Boden der gesamten natürlichen Verlängerung des Landgebietes bis zum Festlandrand, wenn die geologischen und geomor- phologischen Bedingungen der Abs. 3–7 des Art. 76 SRÜ gegeben sind.
Die Erstreckung des Festlandsockels jenseits von 200 sm („erweiterter Festlandsockel“) wird durch ein beson- deres Verfahren nach Art. 76 Abs. 8 SRÜ festgelegt. Ge- mäß Art. 4 Annex II des SRÜ müssen die Küstenstaaten spätestens zehn Jahre nach Inkrafttreten des Seerechts- übereinkommens Anträge bei der Festlandsockelkom- mission zur Festlegung der Festlandsockelgrenzen stel- len. 2001 einigte sich die Vertragsstaatenkonferenz des Seerechtsübereinkommens allerdings darauf, dass die Frist für die Staaten, die am 13. Mai 1999 Vertragspartei waren, an diesem Tag beginnt.20 Daraus folgt, dass die Frist zur Antragsstellung für diese Staaten bis 2009 ver- längert wurde.
Für das Verfahren hat die Festlandsockelkommission in Annex I Rules of Procedure 21 besondere Regeln erlas- sen. Im Falle eines Streites über den Grenzverlauf zwi- schen zwei oder mehreren Staaten soll die Kommission
http://www.awi.de/index.php?id=51&L=1.
18 Vgl die Internetseite der Festlandsockelkommission, Fn 12.
Die anderen claimant states haben bisher keine solcher Anträge
gestellt oder angekündigt.
19 Die Basislinie ist nach Art 5 SRÜ regelmäßig die Niedrigwasser-
linie; bei stark zerklüfteten Küsten ist jedoch nach Maßgabe des Art 7 SRÜ das Ziehen gerader Basislinien durch den Küstenstaat erlaubt. Zu den Festlandsockeln in der Arktis vgl die Karte unten in Anhang I.
20 Meeting of States Parties, Eleventh Meeting SPLOS/72, abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/meeting_states_parties/SP- LOS_documents.htm.
21 Submissions in case of a dispute between States with opposite or adjacent coasts or in other cases of unresolved land or maritime disputes, abrufbar unter http://www.un.org/depts/los/clcs_new/ commission_rules.htm.
46 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2014), 43–54
von dem Küstenstaat informiert werden, der den Antrag auf Festlegung des Festlandsockels stellt (Regel 2a); die Kommission darf dann die Anträge der an dem Streit be- teiligten Staaten weder prüfen noch beurteilen (Regel 5a S. 1).
Die Erfüllung der Kriterien des Art. 76 Abs. 1 SRÜ durch den russischen Antrag für die Arktis ist unklar, vor allem hinsichtlich der Frage, ob der Lomonossow- Rücken22 auf dem arktischen Meeresgrund noch als „na- türliche Fortsetzung des Festlandsockels“ vor der russi- schen Küste angesehen werden kann.23 Hier ist die tech- nisch aufwändige Erhebung weiterer Daten über die Be- schaffenheit des arktischen Meeresbodens notwendig. Russland bemüht sich darum, diese Daten zu erheben, um sie zur Revision seines Antrags bei der Festlandso- ckelkommission einzureichen. Hinzu kommt, dass Ka- nada in seiner Ankündigung vom Dezember 201324 ebenfalls Ansprucherhebungen auf den Lomonossow- Rücken in Aussicht gestellt hat.
Wie bereits festgestellt, konnte hingegen in dem nor- wegischen Antrag dargelegt werden, dass die Vorausset- zungen des Art. 76 Abs. 1 SRÜ erfüllt sind.
2. Rechte der Küstenstaaten am erweiterten Festlandso- ckel
Auf dem gesamten Festlandsockel – einschließlich seiner Erweiterung jenseits der 200 sm-Grenze – stehen dem Küstenstaat exklusive souveräne Rechte zur Erforschung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Sockels zu, Art. 77 Abs. 1 und Abs. 2 SRÜ. Die natürlichen Res- sourcen umfassen sämtliche nichtlebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrundes sowie dieje- nigen Lebewesen, die – unbeweglich oder beweglich – in ständiger, unmittelbarer Verbindung mit dem Boden oder seinem Untergrund stehen, Art. 77 Abs. 4 SRÜ.
Der Küstenstaat hat konsequenterweise auch das umfassende Recht zur Genehmigung und Regelung
- 22 Der Lomonossow-Rücken ist ein im arktischen Ozean beinahe senkrecht zur zentralrussischen Küstenlinie verlaufender ozeani- scher Rücken vgl die Karte unten in Anhang I.
- 23 Dazu ausführlich Wolfrum, Das Rechtsregime der Arktis, Vortrag vom 04.03.2008, Arktis-Workshop des Auswärtigen Amtes, Ber- lin, abrufbar unter http://www.mpil.de/files/pdf2/wolfrum_aus- waertiges_amt_arktis.pdf.
- 24 Vgl o Fn 11.
- 25 Die genaue Bedeutung von Art 82 SRÜ ist unklar; insbesonderedas Verteilungsverfahren durch die Meeresbodenbehörde (In-
sämtlicher Bohrarbeiten auf dem Festlandsockel, Art. 81 SRÜ, und zur Errichtung und Reglementierung künstli- cher Inseln und sonstiger baulicher Anlagen auf dem Meeresboden, Art. 80 i. V. m. Art. 60 SRÜ. Die Verle- gung unterseeischer Kabel und Rohrleitungen anderer Staaten über den Festlandsockel kann der Küstenstaat hingegen nicht ohne Weiteres verhindern, Art. 79 SRÜ.
Grundsätzlich macht es für das Festlandsockelregime – abgesehen von den Zahlungspflichten des Küstenstaats nach Art. 82 SRÜ25– keinen Unterschied, ob der Fest- landsockel innerhalb der 200 sm-Zone liegt oder ob es sich um einen darüber hinausgehenden, erweiterten Festlandsockel handelt. Eine wichtige Ausnahme davon stellt Art. 246 Abs. 6 SRÜ dar, der das Ermessen der Küs- tenstaaten bei der Zustimmung zu Forschungsvorhaben auf dem Festlandsockel außerhalb der 200 sm-Zone ein- schränkt (dazu sogleich).
Für die Anrainerstaaten der Arktis bedeutet dies, dass sie auf dem ihnen zuerkannten erweiterten Fest- landsockel sowie in dem Teil, der in ihre ausschließliche Wirtschaftszone fällt, Bergbau- und Bohrarbeiten zur Ausbeutung der dort befindlichen Rohstoffe vornehmen und genehmigen können. Allerdings können – die noch ausstehende Implementierung des ausschlaggebenden Art. 82 SRÜ durch die Meeresbodenbehörde vorausge- setzt – im Falle der Ausbeutung Verpflichtungen der Küstenstaaten zu Ausgleichszahlungen an die übrigen Vertragsstaaten des Seerechtsübereinkommens anfallen. Diese ergeben sich aus der grundsätzlichen Einordnung des außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen der Küstenstaaten gelegenen Tiefseebodens als „gemein- sames Erbe der Menschheit“,26 an dem alle Staaten gleichberechtigt teilhaben sollen.
ternational Seabed Authority) bedarf weiterer Klärung. Vgl dazu Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, 200 und International Seabed Authority, Technical Study No 4: Issues Associated with the Implementation of Article 82 of the United Nations Conventi- on on the Law of the Sea, 2009, abrufbar unter http://www.isa. org.jm/files/documents/EN/Pubs/Article82.pdf.
26 Vgl Art 136 SRÜ: „The Area and its resources are the common heritage of mankind.” Dazu Vöneky/Höfelmeier, Article 136, in Proelss (Hrsg), United Nations Convention on the Law of the Sea – Commentary (erscheint demnächst).
Höfelmeier/Vöneky · Forschungsaktivitäten über dem Festlandsockel 4 7
3. Wissenschaftliche Meeresforschung auf und über dem Festlandsockel
a) Begriff der wissenschaftlichen Meeresforschung
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Teils XIII SRÜ, der die „Wissenschaftliche Meeresforschung“ regelt und auch Art. 246 umfasst, ist zunächst, dass es sich bei dem konkreten Vorhaben um wissenschaftliche Meeres- forschung im Sinne des Übereinkommens handelt. Dar- unter sind alle Tätigkeiten zu verstehen, die die Erweite- rung menschlichen Wissens von der Meeresumwelt und ihren Prozessen bezwecken.27
Strittig ist hier, ob auch hydrographische Vermes- sungsarbeiten darunter fallen. Dagegen spricht zunächst Art. 21 Abs. 1 lit. g SRÜ, der die Regelungsbefugnis der Küstenstaaten für das Küstenmeer betrifft und hydrogra- phische Vermessungen ausdrücklich neben der wissen- schaftlichen Meeresforschung als separates Normie- rungsgebiet anführt. Zudem kann argumentiert werden, dass, betrachtet man allein die Tätigkeit und nicht die Zielrichtung der Untersuchungen, kein wesentlicher Un- terschied zwischen hydrographischen Vermessungen und den besonderes sensiblen militärischen Erfassungen des Meeresgrundes besteht.28 So spricht nach einer An- sicht der Umstand, dass Teil XIII SRÜ im Unterschied zu anderen Teilen keine Sonderregelungen zu hydrographi- schen Vermessungsarbeiten enthält, dafür, dass diese Vermessungsarbeiten nicht in Teil XIII geregelt sein sol- len, also keine wissenschaftliche Meeresforschung dar- stellen.29 Dagegen spricht jedoch, dass diese einschrän- kende Auslegung des Begriffs der wissenschaftlichen Meeresforschung sich im Wortlaut des Teils XIII SRÜ nicht hinreichend widerspiegelt. Die bloße Bezugnahme auf Art. 21 Abs. 1 lit. g SRÜ überzeugt nicht. So kann Art. 21 Abs. 1 lit. g SRÜ sinnvoll so verstanden werden, dass nur die hydrographischen Vermessungen (in Abgren- zung zur wissenschaftlichen Meeresforschung) gemeint sind, die gerade nicht zu wissenschaftlichen Zwecken vorgenommen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass Teil XIII auch die hydrographischen Vermessungen umfasst, die aus wissenschaftlichen Gründen durchge- führt werden und die Erweiterung menschlichen Wis- sens von der Meeresumwelt und ihren Prozessen bezwe- cken.30
- 27 Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, 426 mwN in Fn 294.
- 28 Zum Streitstand Rothwell/Stephens, The International Law ofthe Sea, 2010, 330 f; vgl auch Bateman, Hydrographic Surveying in the EEZ: Differences and Overlaps with Marine Scientific Research, (2005) 20 Mar.Pol‘y, 163 mwN.
- 29 Ausführlich zum Begriff der wissenschaftlichen Meeresforschung Treves, Marine Scientific Research, in Wolfrum (Hrsg), Max
b) Maßgebliche seerechtliche Regelungen zur wissen- schaftlichen Meeresforschung
aa) Grundsätze
Korrespondierend zu Art. 2 SRÜ, der die staatliche Sou- veränität auf das Küstenmeer erstreckt, regelt Art. 245 SRÜ, dass wissenschaftliche Meeresforschung im Küs- tenmeer nur mit Zustimmung des Küstenstaates und unter den von ihm gemäß Art. 21 SRÜ aufgestellten Bedingungen erfolgen darf. Vergleichbares gilt für die allgemeine Wirtschaftszone und den Festlandsockel: Art. 55 ff. und Art. 77 ff. SRÜ gewähren dem Küstenstaat nur begrenzte, auf Ausbeutung und Erforschung der Ressourcen bezogene Hoheitsrechte, während die grundsätzliche Schifffahrtsfreiheit erhalten bleibt.
Art. 246 SRÜ differenziert die begrenzten Rechte der Küstenstaaten im Hinblick auf die wissenschaftliche Meeresforschung in der ausschließlichen Wirtschaftszo- ne und auf dem Festlandsockel – auch dem erweiterten Festlandsockel – weiter aus und schafft eine Balance zwi- schen dem grundsätzlichen Recht der Staaten zur Durch- führung solcher Forschung (Art. 238 SRÜ) und den res- sourcenbezogenen Hoheitsrechten der Küstenstaaten.
bb) Die Regelung des Art. 246 SRÜ: Forschungsrechte der Staaten
Art. 246 SRÜ räumt den Küstenstaaten grundsätzlich das Recht ein, in der ausschließlichen Wirtschaftszone und auf dem Festlandsockel wissenschaftliche Meeresfor- schung zu regeln, zu genehmigen und zu betreiben. Demnach gilt gemäß Art. 246 Abs. 1 und 2 SRÜ eine Genehmigungspflicht für wissenschaftliche Meeresfor- schung anderer Staaten in diesen Gebieten. Gemäß Art. 246 Abs. 3 und 4 SRÜ ist die Genehmigung im Normal- fall – unabhängig von den diplomatischen Beziehungen zwischen Antrags- und Küstenstaat – zu erteilen, wenn die Forschung friedlich ist und zum Nutzen der gesam- ten Menschheit geschieht.
Art. 246 Abs. 5 SRÜ zählt jedoch auch Gründe auf, die ausnahmsweise ein Versagen der Genehmigung er- lauben. Erlaubt ist dies (nur)
Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL),
Band VI, 2012, 1063 ff.
30 Für diese Auslegung spricht grundsätzlich auch die Regelung in
Art 246 Abs 5 lit a SRÜ, nach der wissenschaftliche Tätigkeiten vom Küstenstaat untersagt werden können, wenn diese von un- mittelbarer Bedeutung für die Erforschung und Ausbeutung der Ressourcen sind; vgl dazu näher unten II. 3. b) (2).
48 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2014), 43–54
- bei unmittelbarer Bedeutung des Vorhabens für die Erforschung und Ausbeutung der Ressourcen (lit. a);
- bei Bohrungsvorhaben unter Einsatz von Sprengstoff oder mit Schadstoffausstoß (lit. b);
- zudem, wenn das Vorhaben die Errichtung, den Betrieb oder die Nutzung künstlicher Inseln oder Bauwerke vor- sieht (lit. c); oder
- wenn bestimmte Gründe für die Unzuverlässigkeit des Antragstellers sprechen (lit. d).
Der erste dieser Gründe – also die ausnahmsweise Versagung der Genehmigung bei unmittelbarer Bedeu- tung des Vorhabens für die Erforschung und Ausbeu- tung der Ressourcen (lit. a) – gilt jedoch für den erwei- terten Festlandsockel grundsätzlich nicht (Art. 246 Abs. 6 SRÜ), es sei denn, das Vorhaben soll in einem vom Küstenstaat ausgewiesenen Ausbeutungsgebiet erfolgen. Solche Gebiete sind jedoch vom Küstenstaat „innerhalb einer angemessenen Frist“ bekannt zu geben. Bei dem erweiterten Festlandsockel müssen daher die Gründe des lit. b bis lit. d vorliegen, um wissenschaftliche Mee- resforschung zu untersagen; ein bloßer Ressourcenbezug der Forschung reicht nicht aus.
Wichtig für die Forschungsrechte fremder Staaten ist dabei auch, dass von einer stillschweigenden Zustim- mung des Küstenstaates zur Forschung ausgegangen wird, wenn dieser nach ordnungsgemäßer Antragstel- lung gemäß Art. 252 SRÜ nicht reagiert.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass für wissen- schaftliche Meeresforschung auf dem erweiterten Fest- landsockel, also auf dem Meeresboden oder in seinem Untergrund jenseits der 200 sm-Grenze, die Forschungs- rechte fremder Staaten umfangreicher sind als in der aus- schließlichen Wirtschaftszone: Das Ermessen des Küs- tenstaates bei der Ablehnung ressourcenbezogener For- schungsprojekte auf dem erweiterten Festlandsockel ist eingeschränkt und umfasst gerade nicht die Bedeutung des Vorhabens für die Erforschung und Ausbeutung der Ressourcen.31
cc) Verfahren für Forschungsvorhaben in der aus- schließlichen Wirtschaftszone oder auf dem Festlandso- ckel
Unabhängig davon, ob das Forschungsvorhaben in der ausschließlichen Wirtschaftszone oder auf dem regulä- ren oder erweiterten Festlandsockel angestrebt wird, müssen für wissenschaftliche Meeresforschung die Vor- schriften der Art. 248 ff. SRÜ eingehalten werden. Die Staaten, die forschen möchten, müssen dem Küstenstaat
31 Entsprechendes gilt im Übrigen auch gegenüber Staaten, die – wie die USA – nicht Vertragsparteien des SRÜ sind, da die Festland- sockelkonvention von 1958, wie auch das Völkergewohnheits-
mindestens sechs Monate vor Beginn des Vorhabens umfangreiche Informationen darüber übermitteln, Art. 248 SRÜ. Bei der Durchführung des Vorhabens müssen diese Staaten die in Art. 249 und 250 SRÜ vorgesehenen Beteiligungs‑, Informations- und Konsultationspflichten einhalten. Werden die genannten Vorschriften nicht ein- gehalten, so kann der Küstenstaat gemäß Art. 253 SRÜ die Unterbrechung oder Einstellung der Forschungen verlangen.
dd) Wissenschaftliche Meeresforschung in den Gewäs- sern über dem erweiterten Festlandsockel
Der Rechtsstatus der über dem Festlandsockel gelegenen Gewässer bleibt gemäß Art. 78 Abs. 1 SRÜ vom Festland- sockelregime grundsätzlich unberührt. Diese Gewässer sind also weiterhin in Küstengewässer, ausschließliche Wirtschaftszone und Hohe See zu unterteilen. Art. 78 Abs. 2 SRÜ bestimmt, dass die Aktivitäten des Küsten- staates die Rechte der anderen Staaten und Nutzer weder beeinträchtigen noch ungerechtfertigt behindern dür- fen. Die Vorschrift wird durch Art. 246 Abs. 8 SRÜ ergänzt. Danach darf wiederum die wissenschaftliche Meeresforschung die Ausübung souveräner Rechte durch den Küstenstaat nicht ungerechtfertigt behindern. Es gilt also ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.
Die Gewässer über dem erweiterten Festlandsockel sind, da sie jenseits der 200 sm-Grenze für die aus- schließliche Wirtschaftszone liegen, immer Teil der Ho- hen See und unterfallen danach der Freiheit der wissen- schaftlichen Forschung gemäß Art. 87 Abs. 1 lit. f. SRÜ. Dessen Verweis auf Teil XIII SRÜ (Wissenschaftliche Meeresforschung) lässt darauf schließen, dass insbeson- dere Art. 240 SRÜ als die speziellere Norm der allgemei- nen Freiheit der Hohen See vorgeht: Die Freiheit der wissenschaftlichen Meeresforschung besteht danach nur in dem von Teil XIII SRÜ gewährten Rahmen.
Der Verweis des Art. 87 Abs. 1 lit. f SRÜ auf Teil VI SRÜ (Festlandsockel) bedeutet, dass die Freiheit der For- schung nur für Forschungsaktivitäten in den Gewässern gilt. Sobald es sich aber um Forschung auf oder unter dem Meeresgrund handelt, ist das oben beschriebene, spezielle Regime für den Festlandsockel anwendbar. Die Abgrenzung zwischen Meeresboden- und Gewässerfor- schung ist also entscheidend für die Zulässigkeit und Verfahrensweise bei einem Forschungsvorhaben: Han- delt es sich um Forschung in den Gewässern, so bestehen für den Küstenstaat, dem ein erweiterter Festlandsockel zusteht, jenseits der 200 sm-Grenze keine Einwirkungs- rechte. Weder ist die Forschung von seiner Genehmi-
recht, vergleichbare Vorschriften enthält. Vgl Art 5 der Festland- sockelkonvention, o Fn 5. Näher dazu Treves, Marine Scientific Research, in Wolfrum (Hrsg), MPEPIL, Band VI, 2012, 1063 ff.
Höfelmeier/Vöneky · Forschungsaktivitäten über dem Festlandsockel 4 9
gung abhängig noch kann er die wissenschaftliche Mee- resforschung durch seine Gesetze reglementieren.
Auch Belange wie Umwelt- und Ressourcenschutz sind für die Wassersäule, welche sich über dem erweiter- ten Festlandsockel befindet, durch das Seerechtsüberein- kommen sowohl materiell als auch prozessual zentral ge- regelt. Der Küstenstaat kann sich für sein Eingreifen also nicht auf eine mögliche Umweltverschmutzung durch das Vorhaben berufen, sondern müsste sich zu deren Geltendmachung der Streitbeilegungsmechanismen des Seerechtsübereinkommens bedienen.
Gleiches gilt, sofern die wissenschaftliche Meeresfor- schung in der Wassersäule die Erforschung und Ausbeu- tung des Festlandsockels durch den Küstenstaat behin- dert. Zwar ist dies gemäß Art. 240 lit. c SRÜ verboten, das Übereinkommen stellt jedoch als Reaktionsmöglich- keit nur die allgemeinen Streitbeilegungsmechanismen zur Verfügung. Zur Verhinderung solcher Konfliktlagen dient die Zusammenarbeits- und Konsultationspflicht in Art. 242 SRÜ. Danach hat ein Staat, der wissenschaftliche Meeresforschung durchführt, dafür zu sorgen, dass die anderen Staaten die zum Schutz der Meeresumwelt und der Menschen erforderlichen Informationen erhalten.
4. Zusammenfassung: Rechtlicher Rahmen für For- schungsaktivitäten auf und über dem Festlandsockel der Arktis
Für Staaten, die wissenschaftliche Meeresforschung im Bereich des arktischen Festlandsockels betreiben wollen, gilt es also zunächst zwischen Forschung auf oder unter dem Meeresgrund und solcher in den Gewässern darü- ber zu unterscheiden:
Geht es um Forschung auf oder unter dem Meeres- grund, so muss diese vom Küstenstaat genehmigt wer- den, wobei die Genehmigung jedoch nur in wenigen, den Kernbereich küstenstaatlicher Ausbeutungsbefug- nisse betreffenden Konstellationen abgelehnt werden darf; auf dem erweiterten Festlandsockel sind die Küs- tenstaatenrechte zur Untersagung der Forschung noch- mals eingeschränkt, da eine Nicht-Genehmigung nicht auf die Bedeutung des Vorhabens für die Erforschung und Ausbeutung der Ressourcen gestützt werden kann.
Bei Forschung in den Gewässern über dem Festland- sockel ist zwischen Gewässern bis zur 200 sm-Grenze
- 32 In Grundzügen gilt dies auch kraft Gewohnheitsrechts und der Festlandsockelkonvention für Nichtvertragsparteien des See- rechtsübereinkommens wie die USA.
- 33 Treaty concerning the Archipelago of Spitsbergen vom 9.2.1920 (Inkrafttreten am 14.8.1925), 2 LNTS 7, abrufbar unter http:// lovdata.no/dokument/NL/lov/1920–02-09.
- 34 Vgl Kempen, Der völkerrechtliche Status der Inselgruppe Spitz- bergen, 1995, 107.
der ausschließlichen Wirtschaftszone und solchen jen- seits dieser Grenze zu unterscheiden. In ersterer gelten die küstenstaatlichen Hoheits- und Einwirkungsrechte der jeweiligen Zone. Über dem erweiterten Festlandso- ckel hingegen hat der Küstenstaat keinerlei Einwirkungs- rechte.32
III. Sonderfall: Das Festlandsockelregime im Spitz- bergengebiet
Im Spitzbergengebiet ist umstritten, ob das die Insel umgebende Festlandsockelgebiet der Souveränität eines Staates (Norwegens) oder der gleichberechtigten wirt- schaftlichen Nutzung aller Vertragsstaaten unterliegt. Dies ist der Fall, da sich der Spitzbergenvertrag (SV),33 der Norwegen beschränkte Souveränität über das Archi- pel Spitzbergen einräumt, nach seinem Art. 1 ausdrück- lich nur auf die Inseln und ihre Hoheitsgewässer bezieht.
Norwegen geht von seiner Souveränität über den Festlandsockel im Spitzbergengebiet aus und begründet dies insbesondere damit, dass Spitzbergen keinen eige- nen Festlandsockel besitze, sondern auf dem norwegi- schen Sockel liege.34 Selbst wenn aber ein eigener Sockel Spitzbergens angenommen werde, seien Beschränkun- gen norwegischer Souveränität im Spitzbergenvertrag restriktiv auszulegen. Da der Festlandsockel nicht aus- drücklich in Art. 1 SV erwähnt werde, unterstehe er der alleinigen Souveränität Norwegens und als Küstenstaat stehe Norwegen der Festlandsockel auch nach allgemei- nem Seevölkerrecht zu.35
Nach der Ansicht anderer Vertragsstaaten und von Teilen der Literatur unterliegt der Festlandsockel im Spitzbergengebiet jedoch der gleichberechtigten wirt- schaftlichen Nutzung aller Parteien des Spitzbergenver- trages, da dieser bei einer Auslegung nach Sinn und Zweck auch den Sockel erfasse. Sinn und Zweck des Ver- trages sei, in umfassender Weise eine geordnete wirt- schaftliche Nutzung der Inselgruppe zu ermöglichen. Die Möglichkeit der Ausbeutung des Festlandsockels und das völkerrechtliche Festlandsockelregime waren zur Zeit des Vertragsschlusses im Jahre 1920 noch nicht bekannt.36 Nur deswegen sei der Festlandsockel nicht ausdrücklich erwähnt.37
35 Vgl Art 2 der Convention on the Continental Shelf vom 29.4.1958 (Inkrafttreten am 10.6.1964), 499 UNTS 311, und Art 77 des SRÜ.
36 Vgl dazu Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, 118.
37 Vgl Kempen, Der völkerrechtliche Status der Inselgruppe Spitz- bergen, 1995, 108, 114.
50 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2014), 43–54
Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen, da der Spitzbergenvertrag als Statusvertrag38 eine im Interesse aller Staaten liegende, umfassende territoriale Ordnung im Spitzbergengebiet errichtet. Dem würde eine einseiti- ge Zuordnung des Festlandsockels zu Norwegen wider- sprechen.
IV. Das Festlandsockelregime der Antarktis
Wie bereits erwähnt, haben Australien, Argentinien und Norwegen als claimant states bereits Anträge auf die Anerkennung eines erweiterten Festlandsockels in der Antarktis bei der Festlandsockelkommission gestellt (unter I. 2.). Alle dieser Anträge werden zurzeit in Abstimmung mit den Antragstellern nicht bearbeitet, da es umstritten ist, ob Art. 4 des Antarktisvertrages (AV)39 der Deklaration und Ausübung hoheitlicher Rechte über den Festlandsockel der Antarktis entgegensteht. Die dar- gelegte Verfahrensregelung der Festlandsockelkommis- sion, die eine Stellungnahme bei ungelösten territorialen Streitigkeiten verbietet, verhindert für den Festlandso- ckel des antarktischen Festlandes damit eine endgültige und bindende Festlegung von Festlandsockelgrenzen.
1. Völkerrechtlicher Meinungsstand
Nicht bestritten wird, dass das Seerechtsübereinkom- men im Bereich des Antarktisvertrages grundsätzlich anwendbar ist.40 Es gilt jedoch modifiziert, sofern der Antarktisvertrag abweichende Regelungen enthält, da für dessen Parteien schon nach dem völkerrechtlichen Grundsatz des Vorrangs von lex specialis eine Rege- lungspriorität des Antarktisvertrages im Verhältnis zum allgemeinen Seerecht besteht.41
Zum Teil wird vertreten, dass Art. 4 AV der Aus- übung souveräner Rechte am Festlandsockel entgegen-
- 38 Statusverträge sind gebietsbezogene völkerrechtliche Verträge, die im Allgemeininteresse abgeschlossen werden und einen erga om- nes, also gegenüber sämtlichen Völkerrechtssubjekten, wirksamen Rechtsstatus des Gebietes begründen sollen. Dazu grundlegend Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980, 23 ff.
- 39 Antarctic Treaty vom 1.12.1959 (Inkrafttreten am 23.6.1961), 402 UNTS 71.
- 40 Vgl Krüger, Anwendbarkeit von Umweltschutzverträgen in der Antarktis, 2000, 32 ff mwN; Vukas, UNCLOS and the Polar Ma- rine Environment, in Vidas (Hrsg), Protecting the Polar Marine Environment, 2000, 34 ff.
- 41 Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, 58; Sahurie, The International Law of Antarctica, 1992, 547.
- 42 Vgl beispielsweise Marcoux, Natural Resource Jurisdiction on the Antarctic Continental Margin, (1971) 11 Va.J.Int‘l L., 374, 403 und Joyner, The Antarctic Treaty System and the Law of the Sea – Competing Regimes in Southern Ocean?, (1995) 10 IJMCL, 301, 309.
- 43 „The rights of the coastal State over the continental shelf do not
steht: Dies sei der Fall, da das Seerechtsübereinkommen die Rechte am Festlandsockel von der küstenstaatlichen Souveränität ableite, der Antarktisvertrag jedoch die ter- ritorialen Gebietsansprüche in der Antarktis einfriere, d.h. weder ab- noch anerkenne (Art. 4 Abs. 2 S. 2 AV). Da zudem die Erweiterung hoheitlicher Gebietsansprü- che in der Antarktis durch Art. 4 AV vertraglich ausge- schlossen sei, gelte dies auch für souveräne Rechte hin- sichtlich des Festlandsockels. Dafür spreche, dass der Antarktisvertrag auf alle Land- und Seegebiete südlich von 60o S Anwendung findet.42
Ein anderer Teil der Literatur vertritt hingegen, dass Art. 4 AV die Staaten nicht an der Deklaration und Aus- übung souveräner Rechte am Festlandsockel hindert. Der Grund dafür sei, dass sich die küstenstaatliche Sou- veränität hinsichtlich des Festlandsockels nach Art. 77 Abs. 3 SRÜ43 und der Rechtsprechung des IGH in den North Sea Continental Shelf-Fällen44 aus der territoria- len Souveränität automatisch ableite und nicht durch die Verwirklichung eines diesbezüglichen Anspruchs er- worben werde. Dies sei bereits vor Inkrafttreten des Ant- arktisvertrages anerkannt gewesen, wie sich aus Art. 3 Abs. 2 der Genfer Festlandsockelkonvention45 ergebe.46 Die Geltendmachung von Souveränität über den Fest- landsockel durch die so genannten claimant states sei da- her nicht als neuer Anspruch oder Erweiterung des be- reits geltend gemachten zu qualifizieren, sondern als In- anspruchnahme bestehender und von Art. 4 AV ge- schützter Rechte der claimants.47
Nach einer weiteren, dritten Ansicht unterfällt der antarktische Festlandsockel dem Tiefseebodenregime des Seerechtsübereinkommens, weil das antarktische Vertragssystem nicht das in Art. 1 Nr. 1 und 136 SRÜ ver- ankerte und universell akzeptierte Prinzip des common
depend on occupation, effective or notional, or on any express
proclamation.“
44 Internationaler Gerichtshof (IGH), North Sea Continental Shelf
Cases (Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic
of Germany/Netherlands), ICJ (1969) Reports 3.
45 Siehe oben Fn 5.
46 Carroll, Of Icebergs, Oil Wells, and Treaties, (1983) 19 Stan.J.Int‘l
L., 207, 223; Nussbaum, Legal Status of Antarctic Off-Shore Areas, ASOLP Occ. P., 1993, 15; Rothwell, The Polar Regions and the Development of International Law, 1994, 201.
47 Vgl Krüger, Anwendbarkeit von Umweltschutzverträgen in der Antarktis, 2000, 47 mwN. Nach dieser Ansicht hindert Art 4 AV die Vertragsparteien nur, ihre Hoheitsrechte geltend zu machen, soweit sich diese Einschränkung aus anderen Artikeln des Ant- arktisvertrages ergibt (vgl Art 2 (Sicherung der Forschungsfrei- heit) und Art 5 (Verbot von Kernexplosionen und der Beseiti- gung radioaktiven Abfalls)). Zulässig ist dagegen die Ausübung von Hoheitsrechten dann, wenn nicht in die vom Antarktisver- trag geschützten Positionen anderer Staaten eingegriffen wird.
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heritage of mankind derogieren könne. Das Gebiet (also der Tiefseeboden und seine Ressourcen, „the Area“, das als gemeinsames Erbe der Menschheit gilt, erstrecke sich auch auf den antarktischen Festlandsockel.48 Gegen die- se Auffassung ist jedoch einzuwenden, dass aus Art. 5 der Convention on the Regulation of Antarctic Mineral Re- source Activities (CRAMRA)49 im Rahmen des vorran- gigen Antarktisvertragsregimes folgt, dass nur der Tief- seeboden in der Antarktis, nicht aber der antarktische Festlandsockel dem Tiefseebodenregime des Seerechts- übereinkommens unterfällt.50 Art. 5 CRAMRA definiert die äußere Begrenzung des geologischen Festlandsockels in Übereinstimmung mit dem Seerechtsübereinkom- men und schließt ausdrücklich den (geologischen) Fest- landsockel bis zum Tiefseeboden mit ein. An der über- einstimmenden Praxis der Vertragsstaaten des Antark- tisvertrages und der Signalwirkung dieser Vorschrift än- dert auch das Scheitern der CRAMRA nichts.51
Eine vierte Ansicht führt an, alle Konsultativparteien seien gemeinsam als Sachwalter zur Ausübung der Ho- heitsrechte bezüglich des Festlandsockels berechtigt; dies gelte zumindest, solange Forschung und Umwelt- schutz die Hauptwidmungen der Antarktis seien.52
2. Bewertung und praktische Bedeutung
Während die dritte Ansicht aus den genannten Gründen völkerrechtlich nicht überzeugt, stützen sich sowohl die erste als auch die zweite Ansicht völkerrechtlich auf gute Gründe. Folgt man der zweitgenannten Ansicht, können die claimant states individuell ihre Ansprüche geltend machen; die Anträge Argentiniens, Norwegens und Aus- traliens, die wegen der unklaren rechtlichen Situation in Bezug auf den arktischen Festlandsockel auf Veranlas- sung der Antragsteller zunächst nicht bearbeitet werden, könnten also durch die Festlandsockelkommission beschieden werden. Hinsichtlich der daraus resultieren- den Rechte am Festlandsockel wären jedoch Modifikati-
- 48 Vgl Infante, Maritime Conventions in Antarctica, (1992) 35 GYIL, 249, 252; Migliorino, The new Law of the Sea and the Deep Seabed of the Antarctic Region, in Francioni/Scovazzi (Hrsg), International Law for Antarctica (1987), 381, 388 und Joyner (1992), 131.
- 49 Convention on the Regulation of Antarctic Mineral Resource Activities vom 2.6.1988 (nicht in Kraft getreten), (1988) 27 ILM 868.
- 50 Wolfrum, The Convention on the Regulation of Antarctic Mineral Resource Activities, 1991, 33.
- 51 Krüger, Anwendbarkeit von Umweltschutzverträgen in der Antarktis, 2000, 168; anderer Ansicht Joyner, The Antarctic Treaty System and the Law of the Sea – Competing Regimes in Southern Ocean?, (1995) 10 IJMCL, 301, 325.
onen durch das Antarktisvertragssystem zu beachten, insbesondere das Bergbauverbot aus Art. 7 des Umwelt- schutzprotokolls zum Antarktisvertrag.53
Dem Sinn und Zweck des Antarktisvertrages ent- spricht es jedoch, eine unilaterale Ausübung von Ho- heitsrechten an der Antarktis zu vermeiden, ohne die Anspruchserhebungen der claimant states endgültig zu vereiteln. Diesem Sinn entspricht die vierte Ansicht am besten. Für sie spricht zudem, dass der Ursprung des Festlandsockelprinzips die geologisch-geographische Verbindung mit dem Land und nicht, wie es die zweite Ansicht annimmt, die Begründung territorialer Souve- ränität ist. Die Rechtsnatur der Hoheitsrechte am Fest- landsockel erfordert daher gerade nicht die Zuordnung zu einem Völkerrechtssubjekt mit Staatsqualität. Eine Modifizierung des Festlandsockelkonzepts des See- rechtsübereinkommens54 zugunsten eines Kondomini- ums sui generis ist somit zulässig.55 Nach dieser Lösung kann die kollektive Geltendmachung der Grenzen des antarktischen Festlandsockels durch alle Konsultativpar- teien des Antarktisvertrages auch gemeinsam erfolgen. Dann wäre ein antarktischer Festlandsockel vorhanden, der einer „joint jurisdiction“ unterläge.56
Die Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf den antarktischen Festlandsockel und die Ankündigung der Staaten, die solche Anträge gestellt haben, dass diese für die Geltungsdauer des Antarktis- vertrages ruhen sollten, sprechen dafür, dass auch die claimant states nicht davon ausgehen, dass sie nach der aktuellen Rechtslage Hoheitsrechte über den Festlandso- ckel der Antarktis ausüben dürfen.
Die gemeinsame Geltendmachung von Ausbeu- tungsrechten in Bezug auf den antarktischen Festlandso- ckel durch die Parteien des Antarktisvertrages ist ange- sichts des vorrangigen Ziels des Schutzes der Antarktis vor Umweltschädigungen jedoch nicht zu erwarten.
52 Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, 96 ff; Krüger, Anwendbarkeit von Umweltschutzverträgen in der Antarktis, 2000, 166.
53 Protocol on Environmental Protection to the Antarctic Treaty vom 04.10.1991 (Inkrafttreten am 14.1.1998), (1991) 30 ILM 1455.
54 Das Seerechtsübereinkommen leitet die Hoheitsrechte über den Festlandsockel – wie oben dargelegt – dem Wortlaut zufolge grundsätzlich von der küstenstaatlichen Souveränität ab.
55 So auch Nussbaum, Rohstoffgewinnung in der Antarktis, 1985, 192.
56 Krüger, Anwendbarkeit von Umweltschutzverträgen in der Ant- arktis, 2000, 170.
52 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2014), 43–54
V. Sonderfall: Das Rechtsregime des Festlandsockels der Inseln nördlich des Antarktisgebietes
Da der Antarktisvertrag nach seinem Art. 6 nur für das Gebiet südlich von 60° S gilt, folgt die rechtliche Zuord- nung der Festlandsockelzonen, die zu den Inseln nörd- lich von 60° S gehören (wie z.B. den australischen Mac- quarie‑, Heard- und McDonald-Inseln) den allgemeinen Regeln in Art. 76 SRÜ.
Reicht einer dieser Festlandsockel von außen in das Gebiet des Antarktisvertrages hinein, so bestimmen sich die küstenstaatlichen Ansprüche auf den Festlandsockel zunächst allein nach dem Rechtsregime des Seerechts- übereinkommens, wie es oben dargestellt wurde. Art. 4 AV ist hier als speziellere, verdrängende Norm nicht an- wendbar. Die Festlandsockelzonen stellen keine „neuen Ansprüche oder Erweiterungen bestehender Ansprüche auf Gebietshoheit in der Antarktis“ dar, sondern sind – ohne ein weiteres Tun der Staaten – Folge der küsten- staatlichen Souveränität über die Inseln.
Unklar ist aber, ob die Bestimmungen des Antarktis- vertragssystems das Nutzungsregime des Festlandso-
ckels für die Küstenstaaten modifizieren. Art. 7 des Um- weltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag, der ein grundsätzliches Verbot von nicht forschungsbezogenen Aktivitäten in Bezug auf mineralische Bodenschätze in der Arktis verankert, scheint eine solche Modifikation vorzunehmen. Der Final Act der Staatenkonferenz zur Vorgängerkonvention CRAMRA schließt jedoch die küstenstaatlichen Rechte in Bezug auf die nördlich des Vertragsgebiets gelegenen Inseln ausdrücklich vom Re- gelungsbereich der ressourcenbezogenen Vorschriften aus.57 Es ist daher davon auszugehen, dass für diese In- seln das Nutzungsregime des Seerechtsübereinkommens gilt.58
Silja Vöneky ist Professorin an der Albert-Ludwigs-Uni- versität Freiburg und Direktorin des Instituts für Öffentliches Recht, Abteilung 2: Völkerrecht und- Rechtsvergleichung sowie Mitglied des Deutschen Ethikrates. Anja Höfelmeier ist wissenschaftliche Mitar- beiterin des Instituts.
57 Final Act of the Fourth Special Antarctic Treaty Consultative Meeting on Antarctic Mineral Resources, 02.06.1988, (1988) 27 ILM 859, 866. Vgl zudem Art. 5 CRAMRA; dazu Wolfrum, The Convention on the Regulation of Antarctic Mineral Resource Activities, 1991, 32 f, 105.
58 So auch Hemmings/Stephens, Australia’s Extended Continental Shelf: What Implications for Antarctica?, (2009) 20 Public Law Review, 9 ff.
Höfelmeier/Vöneky · Forschungsaktivitäten über dem Festlandsockel 5 3
Anhang I: Festlandsockelgebiete in der Arktis
Quelle: http://www.economist.com/node/13649265
54 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2014), 43–54
Anhang II: Festlandsockelgebiete und geltend gemachte Ansprüche in der Antarktis
Quelle: http://www.grida.no/graphic.aspx?f=pubs/shelf/fig-14.jpg