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ÜBERSICHT I. Ein­lei­tung II. Zwei his­to­ri­sche Bei­spie­le 1. Die Ein­rich­tung von Semi­na­ren im 19. Jahr­hun­dert 2. Die Emp­feh­lun­gen des Wis­sen­schafts­ra­tes von 1966 III. „Bolo­gna“ am Rhein – und an der Elbe 1. Der Vor­lauf 2. Die poli­ti­schen Zie­le 3. Das (Aus-)Bildungsdilemma IV. Schlüs­se I. Ein­lei­tung Wenn Refor­men, also Struk­tur­ein­grif­fe in ein Sys­tem, nach dem top-down-Prin­zip vor­ge­nom­men wer­den, sehen die Betrof­fe­nen dies oft als Angriff, und die Wahr­schein­lich­keit ist hoch, dass die Initia­to­ren das auch genau so mei­nen. Schließ­lich ist ein sol­cher Ein­griff in der Regel dadurch moti­viert, dass ein Miss­stand aus­ge­räumt wer­den soll, den die Betrof­fe­nen selbst anschei­nend nicht sehen (wol­len). Im Fol­gen­den geht es um Ein­grif­fe in die Orga­ni­sa­ti­on der Leh­re an den Uni­ver­si­tä­ten und den aus die­ser Leh­re resul­tie­ren­den Prü­fun­gen. Die dra­ma­tischs­te Reform die­ser Art läuft unter dem Namen „Bolo­gna-Pro­zess“. Zwar ist die Dis­kus­si­on um die­sen Pro­zess, der nun über 20 Jah­re währt, deut­lich abge­flaut, aber genau aus dem Grund erscheint es mir reiz­voll, mit die­sem zeit­li­chen Abstand vor allem noch ein­mal in des­sen Anfän­ge zu schau­en. Mein Rück­blick wird sich von ande­ren, die es sicher­lich zahl­reich gibt, dadurch unter­schei­den, dass er zu Tei­len auf Erfah­run­gen zurück­greift, die ich selbst in unter­schied­li­chen uni­ver­si­tä­ren Funk­tio­nen machen konn­te. Dabei wer­de ich mich größ­ten­teils auf die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten beschrän­ken. Wie ich zei­gen wer­de, war die Ein­füh­rung der gestuf­ten Abschlüs­se in Deutsch­land gelei­tet vom poli­ti­schen Wil­len, auch die Uni­ver­si­tät dazu zu bewe­gen, sich deut­li­cher auf eine Aus­bil­dung aus­zu­rich­ten, die der spä­te­ren Beschäf­ti­gung der Absol­ven­tin­nen und Absol­ven­ten Rech­nung trägt. Eben die­ses Ansin­nen stößt sich jedoch hart mit dem Grund­ver­ständ­nis uni­ver­si­tä­rer Leh­re. Dass man dies nicht ein­fach damit abtun kann, in der Uni­ver­si­tät herr­sche eben in die­ser Hin­sicht eine unku­rier­bar kon­ser­va­ti­ve Dis­po­si­ti­on, wird deut­lich, wenn wir noch wei­ter in der neue­re Uni­ver­si­täts­ge­schich­te zurück­ge­hen. An zwei his­to­ri­schen Bei­spie­len möch­te ich des­halb zuerst ein­mal zei­gen, dass es schon frü­her Ein­grif­fe in das Lehr- und Prü­fungs­ge­sche­hen gab. Wie die Stu­fung ent­spran­gen auch sie der poli­ti­schen Inten­ti­on, die Uni­ver­si­tät soll­te sich stär­ker als Aus­bil­dungs­stät­te ver­ste­hen, die nicht allei­ne der eige­nen Repro­duk­ti­on dient. Mit dem ers­ten his­to­ri­schen Bei­spiel gehen wir zurück in die zwei­te Haf­te des 19. Jahr­hun­derts, in die Zeit also, in der sich die Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät voll­kom­men neu auf­stell­te. Die meist von minis­te­ri­el­ler Sei­te oktroy­ier­te Ein­rich­tung von Semi­na­ren als Insti­tu­ti­on und damit auch einer neu­en Lehr­form ver­folg­te – wie­wohl sehr mode­rat – den Zweck, die Leh­rer­bil­dung an die­ser Fakul­tät zu ver­bes­sern. Das Sys­tem ver­ar­bei­te­te die­sen Ein­griff dann aller­dings der­ge­stalt, dass sie damit ihren eige­nen Wis­sen­schafts­an­spruch kon­so­li­dier­te. Im Rah­men des zwei­ten Bei­spiels wird deut­lich, wie dau­er­haft sich die­se Kon­so­li­die­rung erwies. In den Emp­feh­lun­gen des Wis­sen­schafts­ra­tes von 1966 ging es wie­der dar­um, uni­ver­si­tä­rer Leh­re zumin­dest teil­wei­se den Cha­rak­ter der rei­nen Selbst­ver­sor­gung zu neh­men. Nun haben wir es aller­dings mit einer in vie­len Hin­sich­ten ande­ren Uni­ver­si­tät zu tun: Ungleich zahl­rei­cher wur­de stu­diert, dies aller­dings war auch ver­bun­den mit sehr lan­gen Stu­di­en­zei­ten und hohen Abbruch­quo­ten. Par­al­lel stieg aber auch der Bedarf an wis­sen­schaft­lich (aus-)gebildetem Per­so­nal in der Berufs­welt. Daher das Ansin­nen, das Lehr- und Prü­fungs­ge­sche­hen so umzu­struk­tu­rie­ren, dass dies dem außer­uni­ver­si­tä­ten Bedarf Rech­nung trägt. Das aber gelang nur ansatz­wei­se. Und so wur­de in den spä­te­ren 1990ern ein erneu­ter Ein­griff vor­be­rei­tet. Die­ser Ver­such war zumin­dest in der Anfangs­zeit in einen wei­te­ren Kon­text gestellt, näm­lich den eines gesamt­eu­ro­päi­schen Anlie­gens. Die Über­schrift zu die­sem Kapi­tel mei­nes Bei­trags lau­tet „‚Bolo­gna‘ am Rhein –und an der Elbe“, womit ich zum einen aus­drü­cken möch­te, dass der soge­nann­te „Bolo­gna-Pro­zess“, um den es da gehen wird, in Deutsch­land einen sehr spe­zi­fi­schen Weg Ursu­la Schae­fer Refor­mie­ren bis zur Selbst­auf­lö­sung ? –: oder Wes­halb die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten den „Bolo­gna Pro­zess“ über­leb­ten Ord­nung der Wis­sen­schaft 2020, ISSN 2197–9197 5 4 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 53–62 1 W. v. Hum­boldt, Über die inne­re und äuße­re Orga­ni­sa­ti­on der wis­sen­schaft­li­chen Anstal­ten in Ber­lin (1809/1810), in: A. Flitner/K. Giel (Hrsg.), W. von Hum­boldt: Wer­ke in fünf Bän­den, Band IV: Schrif­ten zur Poli­tik und zum Bil­dungs­we­sen (1964), S. 255–266, S. 260 f. 2 S. Palet­schek, Geis­tes­wis­sen­schaf­ten in Frei­burg im 19. Jahr­hun­dert: Expan­si­on, Ver­wis­sen­schaft­li­chung und Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Dis­zi­pli­nen, in: B. Mar­tin (Hrsg.), 550 Jah­re Albert-Lud­wig­s­Uni­ver­si­tät Frei­burg. Bd. 3: Von der badi­schen Lan­des­uni­ver­si­tät zur Hoch­schu­le des 21. Jahr­hun­derts (1994), S. 44–71, S. 49. 3 H.-E. Ten­orth, V. Leh­rer­be­ruf und Leh­rer­bil­dung, in: K.-E. Jeismann/P. Lund­green (Hrsg.), Hand­buch der deut­schen Bil­dungs­ge­schich­te. Band III: 1800–1870: Von der Neu­ord­nung Deusch­lands bis zur Grün­dung des Deut­schen Rei­ches, 1989, S. 240–270, S. 255. 4 Th. Finkenstaedt/G. Hae­ni­cke, Gut­ach­ten des Prof. Tobler in Ber­lin betref­fend die Vor­schlä­ge des Prof. Sten­gel in Mar­burg wegen Grün­dung von Uni­ver­si­täts­se­mi­na­ri­en für roma­nisch-eng­li­sche Phi­lo­lo­gie, in R. Baum/K. Böck­le et al. (Hrsg.), Lin­gua et Tra­di­tio. Geschich­te der Sprach­wis­sen­schaft und der neue­ren Phi­lo­lo­gien. Fest­schrift für Hans Hel­mut Christ­mann zum 65. Geburts­tag (1994), S. 481–488, S. 481. 5 Vgl. Palet­schek (Fn. 2), S. 55 f. 6 Die Grün­dung von Semi­na­ren war aber nicht auf die ‚Schul­wis­sen­schaf­ten’ beschränkt. Palet­schek führt an, dass an der Frei­bur­ger Juris­ti­schen Fakul­tät 1889 ein Semi­nar ein­ge­rich­tet wur­de, dort aller­dings „erst um 1900 (…) semi­na­ris­ti­sche Ver­an­stal­tun­gen end­gül­tig eta­bliert wur­den“. Damit zeich­ne­te sich, so Palet­schek wei­ter, die Wand­lung auch die­ser Fakul­tät „hin zu einer moder­nen Wis­sen­schafts­dis­zi­plin ab“; Palet­schek (Fn. 2), S. 67. ging, noch ehe er die­sen Namen erhielt. Am Rhein waren alle (hochschul-)politischen Akteu­re sta­tio­niert, und die Elbe ist in die Über­schrift gera­ten, weil ich hier auf Erfah­run­gen aus mei­ner Zeit an der TU Dres­den zurück­grei­fen möch­te. II. Zwei his­to­ri­sche Bei­spie­le 1. Die Ein­rich­tung von Semi­na­ren im 19. Jahr­hun­dert Die Funk­ti­on der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät bestand bis ins 19. Jahr­hun­dert dar­in, sprach­lich und dar­über hin­aus all­ge­mein­bil­dend auf das Stu­di­um in den „hohen“ Fakul­tä­ten der Theo­lo­gie, des Rechts oder der Medi­zin vor­zu­be­rei­ten. Im 19. Jahr­hun­dert eman­zi­pier­te sich die Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät nach und nach aus die­ser Rol­le des pro­pä­deu­ti­schen Zulie­fe­rers. Dies konn­te gesche­hen, weil sich in dem Jahr­hun­dert das (öffent­li­che) Schul­sys­tem so ent­wi­ckel­te, dass nun dort – im wei­tes­ten Sinn – die Zurüs­tung für das Stu­di­um statt­fand. Neben­bei sei hier ange­merkt: Hum­boldts Kon­zept der „aka­de­mi­schen Frei­heit“ hängt eng mit die­ser Ent­wick­lung zusam­men. Nach sei­ner Vor­stel­lung soll­ten näm­lich die Schu­len „den höhe­ren wis­sen­schaft­li­chen Anstal­ten gehö­rig in die Hän­de arbei­ten“. Der „Zög­ling“ soll­te, wie er es aus­drück­te, beim Ein­tritt in die Uni­ver­si­tät „phy­sisch, sitt­lich und intellec­tu­ell der Frei­heit und Selbst­thä­tig­keit über­las­sen wer­den“ können.1 Die Ent­las­tung der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät von pro­pä­deu­ti­schen Auf­ga­ben ging ein­her mit der Aus­prä­gung der geis­tes- und natur­wis­sen­schaft­li­chen Fächer, die sich vor allem in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts voll­zog. Dass dies nicht über­all im Gleich­schritt geschah, zeigt das Bei­spiel der Frei­bur­ger Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät im 19. Jahr­hun­dert. In Baden hat­te eine Reform des Lyze­ums zur Fol­ge, dass die Zah­len der an die­ser Fakul­tät ein­ge­schrie­be­nen Stu­die­ren­den von einem Anteil von 25 % um 1830 für mehr als drei Jahr­zehn­te auf unter 10 % fiel. In den spä­ten 1870ern stieg die­se Zahl wie­der an, was „allein an dem stei­gen­den Leh­rer­be­darf “ und der „Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Leh­rer­aus­bil­dung“ lag, wie Syl­via Palet­schek feststellt.2 Zei­chen die­ser Pro­fes­sio­na­li­sie­rung war zuerst ein­mal die Ein­füh­rung des „examen pro facul­ta­te docen­di“, aller­dings zeigt sich da auch, wie unter­schied­lich man in den Län­dern agier­te. Die­se minis­te­ri­el­le Qua­li­täts­kon­trol­le wur­de zuerst 1809 in Bay­ern ein­ge­führt, 1810 folg­te Preu­ßen, am Ende stan­den Baden 1837 und Sach­sen 1843.3 In jedem Fall wan­del­te sich die Phi­lo­so­phi­sche nun neben der Theo­lo­gi­schen, der Juris­ti­schen und der Medi­zi­ni­schen zur vier­ten berufs­aus­bil­den­den Fakul­tät. Im Zug die­ser Pro­fes­sio­na­li­sie­rung wur­den an den Uni­ver­si­tä­ten soge­nann­te „Semi­na­re“ ein­ge­rich­tet. Unter die­sem Begriff sind tat­säch­lich Leh­rer­bil­dungs­stät­ten zu ver­ste­hen, in denen ande­re Lehr- und Lern­for­men als die Vor­le­sung gepflegt wur­den. Das heißt, es for­mier­ten sich struk­tu­rel­le Ein­hei­ten, die einer bestimm­ten Berufs­aus­bil­dung dien­ten und die – zuerst ein­mal – zu eben die­sem Zweck eine beson­de­re Lehr­form eta­blier­ten. Fin­ken­staedt und Hae­ni­cke heben her­vor: Das „Semi­nar“ als Form der Leh­re und als kon­kre­ter Ort der Aus­bil­dung in einem Fach der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät ist einer der wich­tigs­ten Bei­trä­ge der deut­schen Uni­ver­si­tät des 19. Jahr­hun­derts zur Form der wis­sen­schaft­li­chen Ausbildung“.4 Vom Ergeb­nis her mag man dies so fest­hal­ten, aller­dings muss prä­zi­siert wer­den, dass die­se Semi­nar­grün­dun­gen in aller Regel nicht aus den Uni­ver­si­tä­ten erwuch­sen, son­dern von den zustän­di­gen Minis­te­ri­en oktroy­iert wur­den. So geschah es z.B. in Tübin­gen (Kgr. Würt­tem­berg) und Hei­del­berg (Grhzgt. Baden), wäh­rend man in Frei­burg 1872 aus­drück­lich beim Minis­te­ri­um um die Ein­rich­tung eines Semi­nars – für die Neu­phi­lo­lo­gien – ersuchte.5 Dar­über hin­aus zogen sich die Semi­nar­grün­dun­gen an den Uni­ver­si­tä­ten von den 1870ern bis in das frü­he 20. Jahrhundert.6 Ins­be­son­de­re die Neu­phi­lo­lo­gien haben ihre Kon­sti­tu­ie­rung als wis­sen­schaft­li­che Fächer also in nicht gerin- Schae­fer · Refor­mie­ren bis zur Selbst­auf­lö­sung 5 5 7 Vgl. dazu ins­be­son­de­re für die Anglis­tik U. Schae­fer, Roma­nis­tik und Anglis­tik im 19. Jahr­hun­dert: Kon­tin­gen­zen und Not­wen­di­ges, in: Gra­zer Lin­gu­is­ti­sche Stu­di­en (2017) 87, S. 57–77. 8 Die Theo­lo­gie klam­me­re ich hier aus, weil dort sehr eige­ne Bedin­gun­gen herr­schen. 9 A. Tobler, Das Semi­nar für roma­ni­sche Phi­lo­lo­gie, in: M. Lenz (Hrsg.), Geschich­te der König­li­chen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin, Band 3: Wis­sen­schaft­li­che Anstal­ten. Spruch­kol­le­gi­um. Sta­tis­tik (1910), S. 230–232, S. 231. 10 Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zur Neu­ord­nung des Stu­di­ums an den wis­sen­schaft­li­chen Hoch­schu­len: ver­ab­schie­det in der Voll­ver­samm­lung des Wis­sen­schafts­ra­tes am 14. Mai 1966 (1966); zugäng­lich über Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Pader­born: urn:nbn:de:hbz:466:1–8219. Die­se wie alles ande­ren Inter­net­quel­len wur­den zuletzt am 10. Nov. 2019 besucht. 11 WR (Fn. 10), S. 14. 12 WR (Fn. 10), S. 16. 13 WR (Fn. 10), S. 30. gem Maß dem Umstand zu ver­dan­ken, dass der Staat die wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dung der Leh­rer an höhe­ren Schu­len verlangte.7 Dazu dien­ten nicht nur die Semi­nar­grün­dun­gen, son­dern auch eine vom Bedarf bestimm­te deut­li­che Auf­sto­ckung der Pro­fes­su­ren. Damit baut sich ein para­do­xes Span­nungs­feld auf: Mit die­ser „Ver­wis­sen­schaft­li­chung“ einer bestimm­ten Aus­bil­dung ver­stärkt sich gleich­zei­tig der Wis­sen­schafts­an­spruch des Faches und damit der Gel­tungs­an­spruch, gera­de nicht dem Zweck einer bestimm­ten Berufs­aus­bil­dung zu die­nen. Das unter­schei­det nun auf län­ge­re Sicht wie­der die­se Fakul­tät von den „hohen Fakul­tä­ten“ des Rechts und der Medi­zin, in denen das Stu­di­um selbst­ver­ständ­lich in ers­ter Linie der Aus­bil­dung einer Berufs­grup­pe dient und der Stu­di­en­ab­schluss nur durch ein exter­nes „Staats­examen“ erreicht wer­den kann.8 Die Selbst­be­haup­tung der geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Fächer muss­te hin­ge­gen fast zwangs­läu­fig dazu füh­ren, dass die Semi­na­re von den (meis­ten) Pro­fes­so­ren für die Wis­sen­schaft schlecht­hin appro­pri­iert wur­den. 1910 erin­nert sich in die­sem Sinn der Roma­nist Adolf Tobler an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät, das Semi­nar sei „nie­mals als eine Anstalt zur Vor­be­rei­tung auf bestimm­te Prü­fun­gen (etwa im Fran­zö­si­schen!) gedacht“ gewe­sen. Mit den ‚bestimm­ten Prü­fun­gen‘ mein­te er natür­lich das Staats­examen. „Gegen­stän­de der gemein­sa­men Übun­gen“, also jener neu­en inter­ak­ti­ven Lehr­form, die am Semi­nar gepflegt wur­de, soll­ten dort viel­mehr „in ziem­lich regel­mä­ßi­gem Wech­sel den ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen der roma­ni­schen Phi­lo­lo­gie ent­nom­men“ werden.9 2. Die Emp­feh­lun­gen des Wis­sen­schafts­ra­tes von 1966 Aus­läu­fer die­ser Hal­tung fand ich an der Uni­ver­si­tät noch vor, als ich im Win­ter­se­mes­ter 1966/67 mein Stu­di­um (in Geschich­te, Poli­ti­schen Wis­sen­schaf­ten und Anglis­tik) begann. Nun woll­te ich gar nicht „in die Schu­le“, doch war das (ers­te) Staats­examen für das Lehr­amt an Gym­na­si­en damals die ein­zi­ge Opti­on, einen Stu­di­en­ab­schluss in den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten zu erwer­ben, ohne bis zur Pro­mo­ti­on ‚durch­zu­stu­die­ren‘. Die ent­spre­chen­de Fach-Ord­nung gab dabei sehr grob vor, wel­che Lehr­ver­an­stal­tun­gen bei Anmel­dung zum Examen erfolg­reich besucht sein muss­ten. Davon, dass gera­de größ­te Auf­re­gung über eine vom Wis­sen­schafts­rat ange­sto­ße­ne Dis­kus­si­on der uni­ver­si­tä­ren (Aus-)Bildung im Gang war, bekam ich nur inso­fern etwas mit, als ziem­lich bald die Rede davon war, es gebe nun eine Zwi­schen­prü­fung, und das Stu­di­um kön­ne wohl zukünf­tig – alter­na­tiv zum Staats­examen – auch mit dem „Magis­ter­ex­amen“ abge­schlos­sen wer­den. Im Mai 1966 hat­te der Wis­sen­schafts­rat (WR) sei­ne „Emp­feh­lun­gen zur Neu­ord­nung des Stu­di­ums an den wis­sen­schaft­li­chen Hoch­schu­len“ verabschiedet.10 Fünf Aspek­te wirk­ten damals für eini­ge Fächer nach­ge­ra­de revo­lu­tio­när: (1) die For­de­rung einer „äuße­ren“ Struk­tu­rie­rung des Stu­di­ums in eine ers­te Pha­se von vier Semes­tern, die mit der Zwi­schen­prü­fung bzw. dem Vor­di­plom abge­schlos­sen wird. Deren Bestehen war Vor­aus­set­zung für die zwei­te Pha­se, die mit dem Staats­examen, dem Diplom- oder dem Magis­ter­ex­amen abschließt. Damit ein­her­ge­hend wur­de (2) ein Lehr­an­ge­bot gefor­dert, das in der ers­ten Pha­se expli­zit der ein­füh­ren­den Ori­en­tie­rung dient. Schließ­lich soll­ten (3) die abschlie­ßen­den Prü­fun­gen der Tat­sa­che Rech­nung tra­gen, dass bereits die Gegen­stän­de des Stu­di­ums nur exem­pla­ri­schen Cha­rak­ter haben kön­nen. Folg­lich soll­ten (4) die Abschluss­prü­fun­gen nach einem vier­jäh­ri­gen Stu­di­um (plus einem Examens­se­mes­ter) zu leis­ten sein. Der WR sah das Stu­di­um aus­drück­lich als Aus­bil­dung und for­der­te, es habe sich „einer­seits abzu­gren­zen gegen die For­de­rung nach selb­stän­di­ger Mit­wir­kung in der For­schungs­ar­beit, ande­rer­seits gegen die Beschrän­kung auf blo­ße Wis­sens­ver­mitt­lung und Ein­übung in die Berufsarbeit“.11 Dahin­ter stand bereits ein Stu­fungs­kon­zept, das (5) vor­sah, dem ers­ten Examen optio­nal ein „Auf­bau­stu­di­um“ für „Stu­den­ten, die an der For­schung inter­es­siert und für sie befä­higt sind“, fol­gen zu lassen.12 Aus­ge­spro­chen kryp­tisch for­mu­liert der WR, sol­cher­ma­ßen gestal­te sich „das Ver­hält­nis von For­schung und Leh­re in der Wei­se, daß für das Stu­di­um die an der For­schung ori­en­tier­te Leh­re den Vor­rang hat, wäh­rend im Auf­bau­stu­di­um die For­schung die auf sie bezo­ge­ne Leh­re in ihren Dienst nimmt“.13 Bis dahin, so Olaf Bartz 2006, hat­te der WR „zwi­schen unter­schied­li­chen Fach­kul­tu­ren dif­fe­ren­ziert“, 5 6 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 53–62 14 O. Bartz, Wis­sen­schafts­rat und Hoch­schul­pla­nung: Leit­bild­wan­del und Pla­nungs­pro­zes­se in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zwi­schen 1957 und 1975 [Diss. Köln 2005] (2006), S. 110; URL: http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/1879/. 15 Zitat und Beleg bei Bartz (Fn. 14), S. 110. 16 Zitat und Beleg bei Bartz (Fn. 14), S. 116; der Sozio­lo­ge Max Sche­ler for­der­te 1926 tat­säch­lich, For­schung und beruf­li­che Aus­bil­dung der­ge­stalt zu tren­nen, dass die Uni­ver­si­tä­ten „wissenschaftlich[e] Berufs­fach­schu­len wer­den“; s. S. Palet­schek, Die Erfindng der Hum­boldt­schen Universität.-Die Kon­struk­ti­on der deut­schen Uni­ver­si­täts­idee in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­dert, His­to­ri­sche Anthro­po­lo­gie 10.2 (2002), S.  83 ‑202, S. 193 f. 17 Zitat und Beleg bei Bartz (Fn. 14), S. 115. 18 WR (Fn. 10), S. 9. 19 Die stu­den­ti­schen Reak­tio­nen dis­ku­tiert Bartz (Fn. 14), S. 119- 124. 20 Vgl. hier­zu H.-H. v. Grünberg/Christian Sonn­tag, 50 Jah­re Fach­hoch­schu­le: Über das lang­sa­me Ent­ste­hen eines neu­en Hoch­schul­typs, Ord­nung der Wis­sen­schaft 2 (2019), S. 157–168. 21 O. Bartz, Bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Uni­ver­si­täts­leit­bil­der: Blü­te und Zer­fall des Hum­bold­tia­nis­mus, in: die hoch­schu­le 2 (2005), S. 99–113, hier S. 109. nun aber wur­de „eine haupt­säch­lich in den Natur- und Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten gän­gi­ge Stu­di­en­struk­tur de fac­to für all­ge­mein gül­tig erklärt“.14 Des­halb kam der geball­te Pro­test gegen die­se Emp­feh­lun­gen von den Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tä­ten und auch von ein­zel­nen Pro­fes­so­ren aus den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten. Schon kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung der Emp­feh­lun­gen mel­de­te sich z.B. die Mün­che­ner Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät mit dem Beden­ken, der WR wür­de „die Ein­heit von For­schung und Leh­re zer­stö­ren und eine Päd­ago­gi­sie­rung der Wis­sen­schaft her­bei­füh­ren“, und warn­te all­ge­mein vor „Ver­schu­lung und Bürokratisierung“.15 Sol­che düs­te­ren Sze­na­ri­en wur­den immer wie­der ver­bun­den mit der Kla­ge, dass die Uni­ver­si­tä­ten in eini­gen Berei­chen mit einer stark anwach­sen­den Zahl von Stu­die­ren­den zurecht­kom­men muss­ten. So sah der Ham­bur­ger Kunst­his­to­ri­ker Wolf­gang Schö­ne, dass mit ihrer Umset­zung die WREmp­feh­lun­gen „aus den in wei­ten Berei­chen total über­an­streng­ten, durch das rück­sichts­lo­se Hin­ein­stop­fen immer grö­ße­rer Stu­den­ten­mas­sen und immer neu­er zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­gän­ge her­un­ter­ge­wirt­schaf­te­ten deut­schen Uni­ver­si­tä­ten, ins­be­son­de­re ihren Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tä­ten, eine Berufs­hoch­schu­le machen werden“.16 Der Göt­tin­ger Alt­his­to­ri­ker Alfred Heuß sprach von „staat­lich approbierte[m] Banau­sen­tum“ und zeig­te sich besorgt, es sei „Examens-Dres­sur“, wenn das „Stu­di­um des Gym­na­si­al­leh­rers von vorn­her­ein auf das im enge­ren Sin­ne nöti­ge ‚Berufs­wis­sen‘“ ein­ge­stellt würde.17 Zwi­schen die­ser Fest­stel­lung und der von Adolf Tobler über das Semi­nar­ge­sche­hen liegt zeit­lich zwar ein hal­bes Jahr­hun­dert, die Hal­tung ist aber die­sel­be. Wenn ich das recht sehe, äußern sich die WR-Emp­feh­lun­gen gar nicht spe­zi­fisch zur Leh­rer­bil­dung, viel­mehr ging es da wesent­lich umfas­sen­der dar­um, dass „die wis­sen­schaft­li­che Leh­re für das Stu­di­um all­ge­mein ver­langt wer­den muß und nicht allein auf die Aus­bil­dung des Nach­wuch­ses für die For­schung beschränkt wer­den kann“.18 Aller­dings wur­de wäh­rend mei­nes Stu­di­ums oft­mals von stu­den­ti­scher Sei­te Kla­ge geführt, was man da an Lehr­ver­an­stal­tun­gen gebo­ten bekom­me, sei nicht wirk­lich „rele­vant“ für den ange­streb­ten Leh­rer­be­ruf. Die Ent­geg­nung dar­auf lau­te­te regel­mä­ßig, dass man ja auch kei­ne Leh­rer aus­bil­de, und das wohl wis­send, dass die gro­ße Mehr­heit der Stu­die­ren­den spä­ter genau die­sen Beruf ergrei­fen woll­ten. Ein ande­res kri­ti­sches Schlag­wort der spä­ten Sech­zi­ger war das Kon­zept des „exem­pla­ri­schen“ Stu­die­rens und Prü­fens, das in den WR-Emp­feh­lun­gen stark gemacht wor­den war. Im Rück­blick steck­te dar­in wohl schon der Kern zur Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung, die vier­zig Jah­re spä­ter im Zuge der Imple­men­tie­rung der Stu­fung als gro­ßer Wen­de­punkt der Leh­re an den Hoch­schu­len durch­ge­setzt wer­den soll­te. In Sum­me: Auch wenn gegen die­se Neu­ord­nung von pro­fes­so­ra­ler wie stu­den­ti­scher Sei­te hef­tig pro­tes­tiert und agi­tiert wur­de, rich­te­te man sich in den nächs­ten drei­ßig Jah­ren kom­mod in die­ser Stu­di­en­struk­tur ein.19 Das vom WR 1966 zuge­spitz­te Sze­na­rio einer Alter­na­ti­ve zwi­schen der „Beschrän­kung auf blo­ße Wis­sens­ver­mitt­lung und Ein­übung in die Berufs­ar­beit“ einer­seits und „selb­stän­di­ger Mit­wir­kung in der For­schungs­ar­beit“ ande­rer­seits wur­de nicht zuletzt dadurch abge­fan­gen, dass Ende der 1960er die Fach­hoch­schu­len entstanden.20 Dies hat dann die Uni­ver­si­tä­ten wohl auch ermu­tigt, den Vor­schlag des „Auf­bau­stu­di­ums“ insti­tu­tio­nell nicht wei­ter zu ver­fol­gen. Olaf Bartz stellt 2005 fest, „im Ergeb­nis“ sei es nach 1966 „bekann­ter­ma­ßen zu kei­ner grund­le­gen­den Stu­di­en­struk­tur­re­form gekommen“.21 Auch wenn man als „gelern­ter“ His­to­ri­ker weiß, dass eige­nes Erle­ben durch­aus nicht immer mit der his­to­ri­schen Ana­ly­se in der Gesamt­schau über­ein­stimmt, möch­te ich die­sem Befund doch teil­wei­se wider­spre­chen. Auch wenn sie nur mit „bestan­den / nicht bestan­den“ bewer­tet wur­de, hat­te die Zwi­schen­prü­fung doch eine struk­tu­rie­ren­de Wir­kung auf die Stu­di­en­pla­nung. Das ging hin bis zur Reak­ti­on eines Stu­die­ren­den, dem ich – inzwi­schen auf der Lehr­sei­te – unter­brei­ten muss­te, dass er sei­ne Zwi­schen­prü­fung nun end­gül­tig nicht bestan­den hat­te: Über­ra­schen­der­wei­se dank­te er mir über­schwäng­lich und erklär­te, er sei froh, dass er nun nicht wei­ter stu­die­ren müs­se, denn er Schae­fer · Refor­mie­ren bis zur Selbst­auf­lö­sung 5 7 22 D. Simon, Im Kern ver­rot­tet, Der Spie­gel 50 (1991) [9.12.1991], S. 52–53; hier S. 52; https://www.spiegel.de/spiegel/ print/d‑13491471.html. 23 Hoch­schul­rek­to­ren­kon­fe­renz, Zu Kre­dit-Punk­te-Sys­te­men und Modu­la­ri­sie­rung Ent­schlie­ßung des 182. Ple­nums vom 7. Juli 1997; https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/zu-kreditpunkte-systemen-und-modularisierung/ 24 Z.B. die Stu­die von F. Dalichow, Kre­dit- und Leis­tungs­punkt­sys­te­me im inter­na­tio­na­len Ver­gleich, For­schungs­stu­die für das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und Wis­sen­schaft, For­schung und Tech­no­lo­gie (BMBF), 1997. Auf die­se wird in den HRK­Emp­feh­lun­gen aus­drück­lich Bezug genom­men. 25 HRK (Fn. 23) unter „II. Aus­gangs­la­ge und Ziel­set­zun­gen“. selbst habe das eh nie gewollt. Und in den Abschluss­prü­fun­gen wur­de es bei den meis­ten Pro­fes­so­ren die Regel, sich an von den Stu­die­ren­den ange­ge­be­nen Spe­zi­al­ge­bie­ten zu hal­ten. Ich weiß aber auch von älte­ren geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Kol­le­gen, die bis in die 1990er in münd­li­chen Prü­fun­gen eine Anga­be von „Spe­zi­al­ge­bie­ten“ und ent­spre­chen­den Lese­lis­ten ablehn­ten. Das spar­te zumin­dest ihnen die Prü­fungs­vor­be­rei­tung. Unbe­streit­bar hat die Neu­ord­nung von 1966 drei gro­ße Män­gel in vie­len Fächern nicht beho­ben: zu lan­ge Stu­di­en­zei­ten, zu vie­le Stu­di­en­ab­bre­cher und kapa­zi­tä­re Über­last. Des­halb sprach 1991 der Rechts­his­to­ri­ker und dama­li­ge WR-Vor­sit­zen­de Die­ter Simon – sehr ähn­lich wie der Kunst­his­to­ri­ker Schö­ne 1966 – im Spie­gel von „Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen“: „end­lo­se Stu­di­en­zei­ten, rie­si­ge Abbruch- und Durch­fall­quo­ten, apa­thi­sche Pro­fes­so­ren, lust- und ori­en­tie­rungs­lo­se Stu­den­ten, anar­chi­sche Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren, umschu­lungs­be­dürf­ti­ge Absol­ven­ten und was an der­glei­chen Uner­freu­lich­kei­ten noch auf­ge­zählt wer­den kann“.22 Der ers­te Schritt, mit dem sich die Uni­ver­si­tä­ten in die Lage ver­setz­ten, hier dau­er­haft Abhil­fe zu schaf­fen, bestün­de dar­in, dass die Uni­ver­si­tä­ten ihre Stu­die­ren­den selbst aus­su­chen. Simons Dia­gno­se, dass die Uni­ver­si­tä­ten „im Kern ver­rot­tet“ sei­en, reg­te die Kol­le­gen immens auf – und sein Vor­schlag wur­de bei­sei­te gescho­ben. Statt­des­sen begann ein paar Jah­re spä­ter der bis dahin fun­da­men­tals­te Umbau der Stu­di­en- und Prü­fungs­struk­tur. Und dies nahm die Poli­tik in den 1990ern so dezi­diert in Angriff, wie nie zuvor. III. „Bolo­gna“ am Rhein – und an der Elbe 1. Der Vor­lauf Was nach der Jahr­tau­send­wen­de in Deutsch­land unter dem Begriff „Bolo­gna-Pro­zess“ lief, zeich­ne­te sich bereits eini­ge Jah­re zuvor lang­sam ab. Doch die Kon­tu­ren die­ses „Pro­zes­ses“ waren noch unscharf. In der Rück­schau bin ich mir nicht sicher, ob man dies poli­tisch beab­sich­tig­te oder ob man tat­säch­lich noch unent­schie­den war, wie das Übel der über­lan­gen Stu­di­en­zei­ten und der über­gro­ßen Zahl von Stu­di­en­ab­bre­chern effek­tiv abge­stellt wer­den könn­te. Von der Akten­la­ge ist dar­auf zu schlie­ßen, dass im Som­mer 1997 mit den Emp­feh­lun­gen der Hoch­schul­rek­to­ren­kon­fe­renz (HRK) „Zu Kre­dit-Punk­te-Sys­te­men und Modu­la­ri­sie­rung“ für alle poli­ti­schen Akteu­re der Weg bereits klar war.23 Grund­sätz­lich emp­fahl die HRK „die ver­stärk­te Ein­füh­rung von stu­di­en­be­glei­ten­den Prü­fun­gen“, die ver­bun­den sein soll­ten mit „Kre­dit­Punk­te-Sys­te­men“. Unschwer zu erken­nen, dass dies das Prin­zip der Bache­lor- und Mas­ter-Abschlüs­se in Groß­bri­tan­ni­en und Nord­ame­ri­ka war – und ist. Nun ist davon aus­zu­ge­hen, dass das „know-how“ für die tech­ni­sche Umset­zung die­ses Prin­zips auf Vor­ar­bei­ten beruh­te, die das zustän­di­ge Bun­des­mi­nis­te­ri­um lieferte.24 Und zu die­ser Umset­zung gehör­te von Anfang an das Gebot der „Modu­la­ri­sie­rung“. Das heißt, die stu­di­en­be­glei­ten­den Prü­fun­gen bestehen aus „erfolg­reich absol­vier­ten Stu­di­en­ab­schnit­ten oder ‑blö­cken („Modu­len“)“. Dies zeigt, dass man sich da beson­ders an Groß­bri­tan­ni­en ori­en­tier­te, wo der modu­la­re Auf­bau von Stu­di­en­gän­gen bereits lan­ge eta­bliert war. Der Werk­zeug­kas­ten für den Umbau war also 1997 bereits bes­tens bestückt. Pro­vo­ka­tiv könn­te man sagen, dass den Hoch­schu­len, ins­be­son­de­re den Uni­ver­si­tä­ten, nun nur­mehr bei­zu­brin­gen war, dass sie es sich nicht erlau­ben konn­ten, die­se Werk­zeu­ge nicht in die Hand zu neh­men. Dazu bedurf­te es der Set­zung eines „höhe­ren Gutes“, und die­ses war ein­fach aus den Umbau­prin­zi­pi­en selbst zu extra­po­lie­ren: die Inter­na­tio­na­li­sie­rung, genau­er, die inter­na­tio­na­le Ver­gleich­bar­keit, die dadurch erreicht wird, dass prin­zi­pi­el­le Struk­tur­gleich­heit vor­liegt. So wur­de es bereits in jenen HRK-Emp­feh­lun­gen von 1997 gesagt, denn mit dem neu­en Prü­fungs­sys­tem wer­de die „Mobi­li­tät deut­scher und aus­län­di­scher Stu­die­ren­der sowie der damit ver­bun­de­nen Aner­ken­nung von Stu­di­en- und Prü­fungs­leis­tun­gen“ gefördert.25 Die­se Inter­na­tio­na­li­sie­rung wur­de im Mai 1998 zum gesamt­eu­ro­päi­schen Ziel aus­ge­ru­fen. indem man zur 800-Jahr­fei­er der Sor­bon­ne nach Paris lud und dort die „Sor­bon­ne-Erklä­rung“, also die „Gemein­sa­me Erklä­rung zur Har­mo­ni­sie­rung der Archi­tek­tur der euro­päi­schen Hoch­schul­bil­dung“ ver­kün­de­te. Die Pari­ser Uni­ver­si­tät kann zwar kein Grün­dungs­da­tum auf­wei­sen, doch eig­ne­te sich die­se Fik­ti­on bes­tens als wür­di­ge Folie für das Vor­ha­ben. Zur Insze­nie­rung gehör­te auch, dass man den inter­na­tio­na­len Gäs­ten jene Dekla­ra­ti­on unter ande­rem als Erkennt­nis aus den Work­shops prä­sen­tier­te, die unmit­tel­bar vor dem eigent­li­chen Fest­akt statt­ge­fun­den hat­ten. Da ich damals als Vize­prä­si­den­tin der 5 8 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 53–62 26 Die zitier­te eng­li­sche Ver­si­on der Erklä­rung fin­det sich unter: http://www.ehea.info/media.ehea.info/file/1998_Sorbonne/61/2/1998_Sorbonne_Declaration_English_552612.pdf. – Die Erklä­rung wur­de ursprüng­lich im Haus des fran­zö­si­schen Bil­dungs­mi­nis­ter Allèg­re erar­bei­tet; vgl. dazu auch S. Pini, Aux ori­gi­nes du pro­ces­sus de Bolo­gne: la décla­ra­ti­on de la Sor­bon­ne, Nou­vel­le Euro­pe [online], Lun­di 27 août 2007, http://www.nouvelle-europe.eu/node/255. Mei­ner Erin­ne­rung nach wur­de die Erklä­rung auf Fran­zö­sisch ver­le­sen. Wäh­rend des Fest­akts kam es ca. zwan­zig Minu­ten lang zu einer tumult­ar­ti­gen Dis­kus­si­on in der Zuschau­er­schaft, ob im Wei­te­ren die eng­li­sche Spra­che benutzt wer­den dür­fe. 27 K. Toens, Die Sor­bon­ne-Dekla­ra­ti­on. Hin­ter­grün­de und Bedeu­tung für den Bolo­gna-Pro­zess, in: Die Hoch­schu­le: Jour­nal für Wis­sen­schaft und Bil­dung 16 (2007) 2, S. 37–53, hier S. 50. – URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-164024. 28 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/087/1308796.pdf. 29 In der 6. Novel­lie­rung des HRG von 2002 wur­de dies dahin­ge­hend geän­dert, dass Bache­lor- und Mas­ter­stu­di­en­gän­ge zum Regel­ab­schluss wur­den. 30 Euro­päi­sche Uni­on, ECTS-Leit­fa­den (2015), S. 1; doi:10.2766/87169. Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin zu die­sen Fei­er­lich­kei­ten nach Paris reis­te, nahm ich an einem sol­chen Work­shop teil, in dem es mei­ner Erin­ne­rung nach um Bache­lor- und Mas­ter­ab­schlüs­se ging. Dif­fu­ser hät­te eine Dis­kus­si­on kaum lau­fen kön­nen, was aber nicht wei­ter erstaun­lich war, denn die inter­na­tio­na­len Teil­neh­mer rede­ten letzt­lich von den Bedin­gun­gen an ihren eige­nen Hoch­schu­len. Den­noch stellt die Erklä­rung fest: „A sys­tem, in which two main cycles, under­gra­dua­te and gra­dua­te, should be reco­gni­zed for inter­na­tio­nal com­pa­ri­son and equi­va­lence, seems to emerge“.26 Es soll nicht bestrit­ten wer­den, dass in Paris das poli­ti­sche Bestre­ben der vier Signa­tar-Staa­ten Deutsch­land, Frank­reich, Ita­li­en und Ver­ei­nig­tes König­reich im Vor­der­grund stand, einen „euro­päi­schen Hoch­schul­raum“ zu schaf­fen. Wie Kat­rin Toens 2007 in ihrer Ana­ly­se der poli­ti­schen Hin­ter­grün­de der „Sor­bon­ne-Erklä­rung“ dar­stellt, han­del­te es sich letzt­lich aber dar­um, die natio­nal sta­gnie­ren­den Ver­su­che, die Stu­di­en­struk­tu­ren zu refor­mie­ren, von poli­ti­scher Sei­te erheb­lich zu beschleu­ni­gen. Ins­be­son­de­re galt dies für Frank­reich, aber das galt genau­so gut für die Bun­des­re­pu­blik, „so dass die damals ver­ant­wort­li­chen staat­li­chen Ver­tre­ter die Gele­gen­heit der Sor­bon­ne-Akti­on nutz­ten, um von außen Druck auf die innen­po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se auszuüben“.27 In Deutsch­land war, wie gesagt, die­se grund­le­gen­de Reform von poli­ti­scher Sei­te schon längst auf dem Weg. Nach den HRK-Emp­feh­lun­gen vom Juli 1997 wur­de dem Bun­des­tag im Okto­ber die­ses Jah­res mit der Druck­sa­che 13/8796 der „Ent­wurf eines Vier­ten Geset­zes zur Ände­rung des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes“ zur Beschluss­fas­sung vorgelegt.28 Ent­schei­dend ist hier der neu gefass­te § 19, der fest­stellt: „Zur Erpro­bung kön­nen Stu­di­en­gän­ge ein­ge­rich­tet wer­den, die zu einem Bache­lor- oder Bak­ka­lau­re­us­grad und zu einem Mas­ter- oder Magis­ter­grad führen“.29 Aller­dings wird dort nur von „Prü­fun­gen“ gespro­chen, auf­grund derer der jewei­li­ge Grad erwor­ben wird. Dass Prü­fun­gen auch „stu­di­en­be­glei­tend“ abge­legt wer­den kön­nen, regelt § 15 HRG und setzt damit eine Mög­lich­keit fort, die bereits im ers­ten HRG von 1976 zu fin­den ist. Neu wur­de auf­ge­nom­men, dass zum „Nach­weis von Stu­di­en- und Prü­fungs­leis­tun­gen (…) ein Leis­tungs­punkt­sys­tem geschaf­fen wer­den“ sol­le. Dies war ja ein Kern­an­lie­gen der HRK-Emp­feh­lung, und dort wur­de auch nahe­ge­legt, dass es sich dabei um das Euro­pean Cre­dit Trans­fer Sys­tem (ECTS) han­deln soll­te. Das ECTS hat­te man im Rah­men von ERASMUS 1989 ent­wi­ckelt, mit dem u.a. die Mobi­li­tät der Stu­die­ren­den um EURaum geför­dert wur­de. 30 Dort dien­te es dazu – und das tut es noch heu­te –, Stu­di­en­leis­tun­gen zu quan­ti­fi­zie­ren und inter­na­tio­nal ver­re­chen­bar, also aner­kenn­bar zu machen. Den Gedan­ke des Trans­fers nimmt die HRG­No­vel­lie­rung begrün­dend auf, denn die­ses Punk­te­sys­tem soll­te „auch die Über­tra­gung erbrach­ter Leis­tun­gen auf ande­re Stu­di­en­gän­ge der­sel­ben oder einer ande­ren Hoch­schu­le“ ermög­li­chen. Der sprin­gen­de Punkt die­ses neu­en Para­gra­phen war zum einen, dass mit dem Bache­lor-/Bak­ka­lau­reus-Grad „ein ers­ter berufs­qua­li­fi­zie­ren­der Abschluß erwor­ben wird“, für des­sen Errei­chung die Regel­stu­di­en­zeit „min­des­tens drei und höchs­tens vier Jah­re“ beträgt. Zur Erin­ne­rung: Schon im HRG von 1976 war im vier­ten Absatz der Vor­schrift § 10 („Stu­di­en­gän­ge“) zu lesen, dass die Regel­stu­di­en­zeit für den ers­ten berufs­qua­li­fi­zie­ren­den Abschluss „nur in Aus­nah­me­fäl­len“ vier Jah­re über­schrei­ten dür­fe und dass auch Stu­di­en­gän­ge mit einer drei­jäh­ri­gen Regel­stu­di­en­zeit mög­lich sei­en. Wahr­schein­lich sah man 1997, dass für eini­ge Fächer der Bache­lor als Regel­ab­schluss kaum akzep­ta­bel sein wür­de. Des­halb wur­de die Gesamt­stu­di­en­zeit für den Bache­lor und einen kon­se­ku­ti­ven, also dar­auf auf­bau­en­den, Mas­ter bei fünf Jah­ren gede­ckelt. Damit ging man sogar ein bis zwei Semes­ter über die Regel­stu­di­en­zeit des HRG von 1976 hin­aus. Doch auch wenn das Gesetz von einem „ers­ten berufs­qua­li­fi­zie­ren­den Abschluß“ spre­chen muss­te, war es ganz offen­sicht­lich die poli­ti­sche Inten­ti­on, den Bache­lor zum Regel­ab­schluss zu machen, denn nur so war die Absicht wirk­sam umzu­set­zen, die Stu­di- Schae­fer · Refor­mie­ren bis zur Selbst­auf­lö­sung 5 9 31 BT (Fn. 28), S. 13. 32 Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zur Ein­füh­rung neu­er Stu­di­en­struk­tu­ren und ‑abschlüs­se (Bakkalaureus/Bachelor – Magister/ Mas­ter) in Deutsch­land (Drs. 4418/00) (2000): https://www. wissenschaftsrat.de/download/archiv/4418–00.html. 33 Deut­sche Ver­si­on unter: https://www.bmbf.de/files/bologna_deu. pdf. 34 Eng­li­sche Ver­si­on unter: http://www.ehea.info/cid100210/ministerial-conference-bologna-1999.html. 35 Ich über­set­ze das so: ‚Fähig­keit der Absol­ven­ten, kon­ti­nu­ier­lich auf dem Arbeits­markt zu bestehen (ange­stellt oder frei­be­ruf­lich, an natio­na­len [i.e. staat­li­chen] oder pri­va­ten Ein­rich­tun­gen, zu Hau­se oder im Aus­land)‘; http://www.ehea.info/cid102524/ employability-introduction.html. 36 Wis­sen­schafts­rat, Stel­lung­nah­me zum Ver­hält­nis von Hoch­schul­bil­dung und Beschäf­ti­gungs­sys­tem, 1999, S. 21; https://www. wissenschaftsrat.de/download/archiv/4099–99.html 37 Bund-Län­der-Kom­mis­si­on für Bil­dungs­pla­nung und For­schungs­för­de­rung, Heft 101 – Modu­la­ri­sie­rung in Hoch­schu­len. Hand­rei­chung zur Modu­la­ri­sie­rung und Ein­füh­rung von Bache­lor- und Mas­ter-Stu­di­en­gän­gen (2002), S. 4. 38 BLK (Fn. 37), S. 8. enzei­ten effek­tiv abzu­kür­zen – und die Absol­ven­tin­nen und Absol­ven­ten schnell dem Arbeits­markt zuzu­füh­ren. 2. Die poli­ti­schen Zie­le Schaut man allein auf die­se Rege­lun­gen, so hät­te der Über­gang in das gestuf­te Sys­tem eigent­lich wesent­lich geräusch­lo­ser von­stat­ten gehen kön­nen, als dann tat­säch­lich gesche­hen. Ende der 1990er dis­ku­tier­te man in der uni­ver­si­tä­ren Öffent­lich­keit die Ein­füh­rung von Bache­lor und Mas­ter nach mei­ner Beob­ach­tung sehr emo­tio­nal in einer Gemenge­la­ge von Argu­men­ten. Da gebe es ja schon die Zwi­schen­prü­fung, und die kön­ne man doch ein­fach umbe­nen­nen. Oder man erhob – ins­be­son­de­re in den Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten – erregt die Stim­me für die Erhal­tung des Diploms, das schließ­lich welt­weit eine sehr gute Repu­ta­ti­on habe. Unbe­ha­gen mach­te sich auch breit, weil man nicht genau ver­stand, was das mit der Modu­la­ri­sie­rung auf sich hat­te. Vor allem aber frag­te man sich, ob denn bei einem drei­jäh­ri­gen Stu­di­um über­haupt ein genü­gend aus­ge­bil­de­ter Che­mi­ker oder eine genü­gend aus­ge­bil­de­te Infor­ma­ti­ke­rin her­aus­kom­men kön­ne. Zwar wur­de im Zuge des­sen der Begriff des „berufs­qua­li­fi­zie­ren­den Abschlus­ses“ ins Bewusst­sein gerückt, doch nahm man nur am Rand wahr, dass es der Poli­tik ja um mehr ging, als einen sol­chen Abschluss in kür­ze­rer Stu­di­en­zeit zu errei­chen. Ganz deut­lich wird deren Absicht in der „Amt­li­chen Begrün­dung“ der HRG-Novel­lie­rung genannt: „[Das] Hoch­schul­sys­tem der Zukunft muß ein gestuf­tes Sys­tem von Abschlüs­sen mit einer deut­li­chen Berufs­ori­en­tie­rung in klar defi­nier­ten Stu­di­en­zei­ten bie­ten (…)“.31 Der WR drück­te das 2000 noch deut­li­cher aus, denn er for­der­te neue Abschlüs­se mit „Arbeitsmarktrelevanz“.32 Die­ser Begriff fin­det sich in der „Bolo­gna-Erklä­rung“ von 1999.33 Ziel der Ein­füh­rung gestuf­ter Abschlüs­se sei näm­lich, „die arbeits­markt­re­le­van­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen der euro­päi­schen Bür­ger eben­so wie die inter­na­tio­na­le Wett­be­werbs­fä­hig­keit des euro­päi­schen Hoch­schul­sys­tems zu för­dern“. Es lohnt sich, da noch ein­mal in die eng­li­sche Ver­si­on der „Bolo­gna-Erklä­rung“ zu schauen.34 Was die deut­sche Über­set­zung mit „arbeits­markt­re­le­van­te Qua­li­fi­ka­tio­nen“ wie­der­gibt, lau­tet in Eng­lisch schlicht „employa­bi­li­ty“, und das bedeu­tet ein­fach ‚Ein­stell­bar­keit‘. Da im „Bologna“-Diskurs der Begriff „employa­bi­li­ty“ in der Fol­ge immer wie­der kri­tisch dis­ku­tiert wor­den ist, gibt der Ver­bund der Euro­pean Hig­her Edu­ca­ti­on Area (EHEA) auf sei­ner Home­page die­se, den Kon­text des „Bolo­gna-Pro­zes­ses“ berück­sich­ti­gen­de Defi­ni­ti­on: „Gra­dua­tes‘ abili­ty to sus­tain­ab­ly hold one’s own on the labour mar­ket (in employ­ed or inde­pen­dent work, with natio­nal or pri­va­te insti­tu­ti­ons, at home or abroad)“.35 Die­se „Arbeits­markre­le­vanz“ fest­zu­stel­len, ist natür­lich höchst pro­ble­ma­tisch, wenn es sich um „Fächer ohne kla­re Berufs­fel­der und mit offe­ner Bezie­hung zwi­schen Stu­di­um und Beruf “ han­delt, unter die der WR 1999 ins­be­son­de­re die „Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten“ subsumierte.36 Ein Mit­tel, um u.a. die­se „offe­ne Bezie­hung“ in rech­te Bah­nen zu len­ken, stell­te die Bund­Län­der-Kom­mis­si­on für Bil­dungs­pla­nung und For­schungs­för­de­rung (BLK) 2002 in ihrer „Hand­rei­chung zur Modu­la­ri­sie­rung und Ein­füh­rung von Bache­lor- und Mas­ter-Stu­di­en­gän­gen“ zur Ver­fü­gung. Beim Stu­di­um in den „Diplom- und Magis­ter-Stu­di­en­gän­gen“ mit ihrer „fächer­ori­en­tier­ten Stu­di­en­struk­tur“ wür­den bis­her weni­ge Fächer stu­diert, die erst „am Ende im Rah­men einer Fach­prü­fung abge­schlos­sen werden“.37 Die Modu­la­ri­sie­rung befreie von die­sem Übel, denn „Modu­la­ri­sie­rung erfor­dert ein Umden­ken vom ‚Fach‘ zur funk­tio­na­len Ein­heit ‚Modul‘ und zwingt so zu einer grund­le­gen­den Neu­struk­tu­rie­rung der zu ver­mit­teln­den Studieninhalte“.38 Das heißt, indem man sich in der Modu­la­ri­sie­rung von der Fach­ori­en­tie­rung des Magis­ter­stu­di­ums löst, kann man end­lich sol­che Stu­di­en­gän­ge kon­zi­pie­ren, die berufs­ori­en­tiert sind. Der Preis wäre dann aber, dass in Zukunft ein grund­stän­di­ges Fach­stu­di­um ent­fällt. Wenn die­ser gera­de vor­ge­tra­ge­ne Argu­men­ta­ti­ons­gang und die Fol­ge­rung all zu kon­stru­iert erscheint, dann kann ich ent­ge­gen­hal­ten, dass eben dies zwi­schen 2001 und 2005 die Hal­tung des säch­si­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums für Wis­sen­schaft und Kunst war. In die­ser Zeit war ich nach mei­nem Wech­sel von Ber­lin an die TU Dres­den erst ein­mal die „Bache­lor-Beauf­trag­te“ mei­ner 6 0 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 53–62 39 BLK (Fn. 37), S. 27. Fakul­tät für Sprach- und Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten und kämpf­te ab 2003 als Deka­nin wei­ter für die Ein­füh­rung eines Bache­lor-Stu­di­en­gangs mei­ner Fakul­tät. In den anfäng­li­chen Ent­wür­fen soll­ten zwei „Haupt­fä­cher“ oder ein „Haupt-“ und zwei „Neben­fä­cher“ aus mei­ner Fakul­tät stu­diert wer­den, weil sich die benach­bar­te Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät gegen­über der Stu­fung noch recht ableh­nend ver­hielt. Die Argu­men­te aus dem Minis­te­ri­um set­zen sich zusam­men aus einer Mischung von Extra­po­la­tio­nen, die aus den „Län­der­ge­mein­sa­men Struk­tur­vor­ga­ben“ und den BLK-„Handreichungen“. Skan­da­li­siert wur­de grund­sätz­lich der Begriff „Fach‘“, dann aber auch, dass wir eine Rah­men­ord­nung vor­sa­hen, die für das Stu­di­um aller Fächer­kom­bi­na­tio­nen gel­ten soll­te. Irgend­wann schaff­te ich es dann aber doch, dass der zustän­di­ge Beam­te im Minis­te­ri­um unse­ren BA-Ent­wurf in einem per­sön­li­chen Gespräch sogar für „vor­bild­lich“ befand. Aller­dings währ­te die Freu­de dar­über nicht lan­ge. Nach offi­zi­el­ler Ein­rei­chung unse­rer Unter­la­gen wur­de uns von der im Minis­te­ri­um nach­ge­ord­ne­ten Prüf­stel­le die Geneh­mi­gung ver­sagt. Begrün­det wur­de dies u.a. so: „Stu­diert wer­den Stu­di­en­an­ge­bo­te, die modu­lar auf­ge­baut sind. Es gibt kei­ne Fächer, Haupt­fä­cher, Bei­fä­cher“. Unser Ein­spruch auf die­sen Bescheid brach­te letzt­lich die Bewil­li­gung mit der Auf­la­ge, dass wir in die Pro­gram­mak­kre­di­tie­rung gin­gen. Rück­bli­ckend ist die­ser Kampf, der unglaub­lich viel Behar­rungs­ver­mö­gen erfor­der­te, dadurch zu erklä­ren, dass wir in Dred­sen wohl ein­fach zu früh vor­ge­prescht waren. Das immer wie­der vor­ge­tra­ge­ne Prin­zip lau­te­te, dass gestuf­te Stu­di­en­gän­ge nicht ein­fach die alten Magis­ter in neu­er Ver­pa­ckung sein dürf­ten. 3. Das Aus­bil­dungs­di­lem­ma Die gera­de skiz­zier­te Hal­tung schuf eine ungu­te Atmo­sphä­re, weil man sei­tens der Poli­tik von vorn her­ein davon aus­ging, die­je­ni­gen, die zumin­dest zu Tei­len mit­ver­ant­wort­lich für das Pro­blem sind, sei­en nicht wil­lens, kon­struk­tiv auf dem vor­ge­ge­be­nen Weg bei der Lösung mit­zu­ar­bei­ten. Ein gern ver­wen­de­tes Bild dafür ist das sowie­so zum Schei­tern ver­ur­teil­te Ersu­chen an Frö­sche, bei der Tro­cken­le­gung eines Sumpfs selbst tätig zu wer­den. Ein sol­ches Ersu­chen schafft ein unmo­ra­li­sches Dilem­ma, das sich zuge­spitzt in For­de­rung der BLK fin­det, weit­ge­hend „fächer­freie“ Modu­le zu kon­zi­pie­ren. Doch die Autorin­nen jener BLK-„Handreichung“ schei­nen sich des­sen auch bewusst gewe­sen zu sein, denn sie räu­men ein: „(…) wäh­rend es einer­seits dar­um geht, mit Bache­lor-Stu­di­en­gän­gen neu­ar­ti­ge Ange­bo­te zur Berufs­be­fä­hi­gung zu eta­blie­ren, so müs­sen die Hoch­schu­len ande­rer­seits auch dar­an inter­es­siert sein, wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs her­an­zu­bil­den“. Des­halb sol­le „der Bache­lor (auch) als Vor­be­rei­tung auf ein kon­se­ku­ti­ves Mas­ter- oder Pro­mo­ti­ons­stu­di­um kon­zi­piert wer­den“, was dann aller­dings zu einem „Ziel­kon­flikt“ füh­ren könne.39 Das sah man 1997 in der Begrün­dung der Novel­lie­rung des HRG noch wesent­lich ein­fa­cher, denn die oben zitier­te Pas­sa­ge, in der die „Berufs­ori­en­tie­rung“ ver­langt wird, lau­tet voll­stän­dig: „[Das] Hoch­schul­sys­tem der Zukunft muß ein gestuf­tes Sys­tem von Abschlüs­sen mit einer deut­li­chen Berufs­ori­en­tie­rung in klar defi­nier­ten Stu­di­en­zei­ten bie­ten und dar­auf auf­bau­end die Aus­bil­dung des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses gewähr­leis­ten“. In bei­den Fäl­len wird offen­sicht­lich davon aus­ge­gan­gen, dass es ein irgend­wie gear­te­tes Pro­mo­ti­ons­stu­di­um geben müs­se – und auch wer­de. Dies führt den Gedan­ken des „Auf­bau­stu­di­ums“ fort, das 1966 die Emp­feh­lun­gen des WR vor­sa­hen. Woher sich der Nach­wuchs das Fun­da­ment holen soll­te, auf dem dann auf­zu­bau­en wäre, bleibt in sol­chen Vor­schlä­gen unbe­ant­wor­tet. In gewis­ser Wei­se wären wir sol­cher­ma­ßen wie­der in den Zustän­den vor 1966, bei denen die fach­lich-metho­di­schen Grund­la­gen ja auch eher durch Osmo­se durch expli­zi­te Dar­le­gung zu dem Stu­die­ren­den drin­gen soll­ten. Doch selbst wenn man nicht in ers­ter Linie an den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs denkt, lässt es sich schwer­lich vor­stel­len, dass uni­ver­si­tä­re Mas­ter­stu­di­en­gän­ge ohne fach­lich aus­ge­rich­te­te Bache­lor­ab­schlüs­se sinn­voll kon­zi­piert wer­den kön­nen. Tat­säch­lich zeigt heu­te ein kur­so­ri­scher Blick in die Bache­lor-Ange­bo­te der Uni­ver­si­tä­ten, dass man sich dort nur sehr ein­ge­schränkt auf die­ses der aka­de­mi­schen Pra­xis fer­ne Modell des „berufs(feld) bezo­ge­nen“ Bache­lor ein­ge­las­sen hat. Dem Gebot der Berufs­be­zo­gen­heit konn­te man den­noch nach­kom­men, indem nicht-fach­li­che Stu­di­en­an­tei­le in eige­nen Modu­len zu absol­vie­ren sind. Damit gehört die­ser Teil des „Bolo­gna-Pro­zes­ses“ in die Geschichts­bü­cher zurecht geschei­ter­ter Reform­vor­ha­ben. Das gilt auch für das „Pro­mo­ti­ons­stu­di­um“. Abschlie­ßend muss hier noch ein Wort zur Leh­rer­bil­dung gesagt wer­den. Auch die­se soll­te in die gestuf­te Struk­tur über­führt wer­den, was zuletzt 2015/16 in Baden-Würt­tem­berg geschah. Bay­ern und das Saar­land hiel­ten am ein­stu­fi­gen, wie­wohl nun modu­la­ri­sier­ten, Stu­di­um zum Staats­examen fest, in Sach­sen nahm im Okto­ber 2010 mit Kabi­netts­be­schluss nach gera­de mal Schae­fer · Refor­mie­ren bis zur Selbst­auf­lö­sung 6 1 40 Von August 2010 bis Sep­tem­ber 2013 war ich Pro­rek­to­rin für Bil­dung und Inter­na­tio­na­les der TU Dres­den. In die­ser Funk­ti­on habe ich mich inten­siv für die Rück­nah­me ein­ge­setzt. drei Jah­ren die gestuf­ten Lehr­amts­stu­di­en­gän­ge wie­der zurück.40 Alle­mal hät­te man erwar­ten kön­nen, dass die Län­der nicht völ­lig auf die Mög­lich­keit ver­zich­ten, die Leh­rer­aus­bil­dung über das (ers­te) Staats­examen zu len­ken. Dar­über hin­aus erschien mir die Stu­fung der Lehr­amts­aus­bil­dung immer schon wenig ein­sich­tig. Denn einer­seits bestehen die Bil­dungs­wis­sen­schaft­ler wohl zurecht dar­auf, dass in die­sen Stu­di­en­gän­gen bereits im Bache­lor eine deut­li­che Aus­rich­tung auf die spä­te­re Berufs­tä­tig­keit statt­fin­det. Ande­rer­seits erlaubt es der ers­te Abschluss aber nicht, in eben die­sem Beruf tätig zu wer­den. IV. Schlüs­se Die Ein­rich­tung von Semi­na­ren im spä­te­ren 19. Jahr­hun­dert, der Vor­stoß des WR Mit­te der 1960er und die Ein­füh­rung gestuf­ter Stu­di­en­ab­schlüs­se in den spä­ten 1990ern: In allen Fäl­len geht es um Anstren­gun­gen, im Blick auf die Leh­re das uni­ver­si­tä­re Selbst­ver­ständ­nis mit poli­ti­schen Erwar­tun­gen in Ein­klang zu brin­gen. Mit den Semi­na­ren als neu­er Insti­tu­ti­on und damit ein­her­ge­hen­der neu­er Lehr­form beab­sich­tig­te die poli­ti­sche Sei­te zwar eine bes­se­re Vor­be­rei­tung auf den künf­ti­gen Leh­rer­be­ruf, doch war die Maß­nah­me selbst so gear­tet, dass sie mühe­los als Ele­ment der wis­sen­schaft­li­chen Leh­re inte­grier­bar war. Auf die­ses gefes­tig­te Selbst­ver­ständ­nis tra­fen die Emp­feh­lun­gen des WR von 1966, die expli­zit ver­lang­ten, die­sen wis­sen­schaft­li­chen Anspruch ein­zu­däm­men. Ähn­lich wie die Semi­na­re erwies sich die Bin­nen­dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Grund- und dem Haupt­stu­di­um mit­tel­fris­tig als inter­ne Ent­las­tung. Dem­ge­gen­über bedroh­te das Ansin­nen, die eigent­li­che wis­sen­schaft­li­che (Aus-)Bildung in einen drit­ten Stu­di­en­ab­schnitt zu ver­la­gern, die Inte­gri­tät der Fächer und muss­te des­halb weit­ge­hend igno­riert wer­den. In der ers­ten Imple­men­tie­rungs­pha­se des „Bolo­gna­Pro­zes­ses“ schließ­lich soll­ten ins­be­son­de­re die geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Fächer im Rah­men des Bache­lor­stu­di­ums zwar noch betei­ligt wer­den, doch soll­te das nur­mehr Bei­werk im Dienst eines berufs­ori­en­tier­ten Stu­di­ums sein. Damit war die Elas­ti­zi­tät der Fächer über­reizt. Aller­dings fan­den sie auch da einen Aus­weg, indem sie die Berufs­ori­en­tie­rung im Bache­lor­stu­di­um unab­hän­gig vom Fach ein­plan­ten. Tat­säch­lich refor­mie­rend und erneut das wis­sen­schaft­li­che Selbst­ver­ständ­nis stär­kend konn­te und kann aber die Kon­zi­pie­rung neu­er Mas­ter­stu­di­en­gän­ge wir­ken. Dazu aber sind wis­sen­schaft­li­che Kon­tu­rie­run­gen nötig, die die Fächer nicht auf­lö­sen und doch eine Per­spek­ti­vie­rung nach außen erlau­ben. Ursu­la Schae­fer hat in Frei­burg und Mün­chen Geschich­te, Poli­ti­sche Wis­sen­schaf­ten und Anglis­tik stu­diert. Ihre Habi­li­ta­ti­on setz­te sich mit Münd­lich­keit und Schrif­tich­keit in der alt­eng­li­schen Dich­tung aus­ein­an­der. 1993 nahm sie den Ruf auf eine Pro­fes­sur für älte­re eng­li­sche Lite­ra­tur an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin an und hat­te dort von 1996 bis 1999 das Amt der Vize­prä­si­den­tin mit den Geschäfts­be­rei­chen Leh­re, Stu­di­um und Inter­na­tio­na­les inne. Sie folg­te 1999 einem Ruf auf den Lehr­stuhl für eng­li­sche Sprach­wis­sen­schaf­ten in Dres­den. Von 2010 bis zu ihrer Pen­sio­nie­rung im Jahr 2013 war sie Pro­rek­to­rin für Bil­dung und Inter­na­tio­na­les der TU Dres­den. 2017 wur­de sie vom Rek­tor der Uni­ver­si­tät Frei­burg zur Hono­rar­pro­fes­so­rin bestellt. 6 2 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 53–62