ÜBERSICHT
I. Problemverschiebung und ‑verschärfung durch die Covid 19-Pandemie
II. Bestandsaufnahme und Rechtsprobleme
III. Die Aufgabe wissenschaftlicher Lehre und die Lehrfreiheit
- Lehrfreiheut und Dienstpflicht zur Online-Lehre
- Wissenschaftlichkeit der Lehre als Grenze
a) Gewisse Flexibilisierung zugunsten der Ausbildungsgewährleistung in der Krise
b) Stärkere Betonung der wissenschaftlichen Standards in der Normalsituation
IV. Anforderungen des Datenschutzes bei Nutzung digitaler (Videokonferenz-)Plattformen - Relativierung des Datenschutzes in der „Ausnahmelage“?
- Beschränkte Wertungsoffenheit der EU-Datenschutz-Grundverordnung
a) Erstes Konfliktfeld: Verletzung der Privatsphäre der Studierenden durch die Hochschule mittels der Videokonferenzplattform
aa) Fall der Auftragsdatenverarbeitung
bb) Betroffene personenbezogene Daten
cc) Rechtfertigungstatbestände
dd) Erforderlichkeit der Datenverarbeitung
b) Zweites Konfliktfeld: Verantwortung der Hochschule für potentiellen Missbrauch der generierten Daten durch den Plattformbetreiber?
aa) Keine umfassende Verantwortung der Hochschule aufgrund Auftragsdatenverarbeitung
bb) Pflicht zur Wahl der datenschutzfreundlichsten Alternative
cc) Der „Privacy Shield“ als Rechtfertigung für die Einschaltung US-amerikanischer Unternehmen
V. Fazit
I. Problemverschiebung und ‑verschärfung durch die Covid 19-Pandemie
Durch das Internet mit seinen wachsenden Möglichkeiten ist die Digitalisierung auch der Hochschullehre schon seit längerem zu einem wichtigen Thema geworden. Entsprechende Forderungen1 finden sich oftmals als Baustein der politisch verbreiteten Klage, Deutschland drohe bei der Digitalisierung international den Anschluss zu verlieren.2 Speziell im Bildungswesen kommt hinzu, dass die neuen Generationen von Schülern und Studierenden mit dem Internet aufgewachsen sind und deshalb, so heißt es, für entsprechende Lehrangebote besonders empfänglich seien.3
Dabei ging es bislang meist allein um die Ergänzung traditioneller Lehre in Vorlesungen, Übungen und Seminaren durch zusätzliche internetbasierte Angebote, um eine Erweiterung des didaktischen Repertoires.4 Selbstverständlich ist diese Pluralisierung der Lehrmethoden und ‑medien keineswegs konfliktfrei; schon die Begrenztheit der finanziellen und personellen Ressourcen der Hochschulen wie auch der Zeit und Aufmerksamkeit der Studierenden sorgt dafür, dass der Ausbau der Online-Angebote zu einer gewissen Zurückdrängung klasMichael
Fehling
Reine Online-Hochschullehre: Möglichkeiten und Grenzen im Lichte von
Ausbildungsauftrag, Lehrfreiheit und Datenschutz*
- Alle Internet-Fundstellen wurden mit Ausnahme des FAZ Artikels unter Fn. 14 zuletzt am 14.5.2020 abgerufen; dieser wurde zuletzt am 25.5.2020 abgerufen. – Der Verfasser hat seine Hochschule (Bucerius Law School) im Anhörungsverfahren der Hamburger Datenschutzbehörde intern rechtlich beraten. Der Beitrag gibt jedoch ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
1 Für digitale Lernplattformen im Bereich der „higher education“ allgemein mit bedenklicher Tendenz zur unkritischen Glorifizierung und Verknüpfung mit der modischen Forderung nach „Agilität“ etwa Vogelsang/Greiff/Tenspolde et al., Agiloe by technique – The role of technology enhanced learning in higher education, in: Beiträge zur Hochschulforschung 3/2019, S. 28 ff.; etwas weniger euphorisch Zwickel, Jurastudium 4.0? – Die Digitalisierung des juristischen Lehrens und Lernens, JA 2018, 881 ff.
2 Kritisch zum juristischen Diskurs im Kontext der Digitalisierung; Hanke, Handbuch Hochschullehre Digital, 3. Aufl. 2020, S. 34 f.; allgemeiner Al-Ani, Deutschland muss lernen völlig anders zu denken, Die Zeit Online v. 27.1.2019 (https://www.zeit.de/digital/internet/2019–01/digitalisierung-deutschland-kuenstliche-intelligenz-bildung-digitalgipfel/komplettansicht); vgl. zur Kritik an einer „Digitalisierung um jeden Preis“ Sander, Eine Denkpause für die Digitalisierung, FAZ Einspruch v. 24.1.2020 (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-zu-cyberangriffen-eine-denkpause-fuer-die-digitalisierung-16595318.html).
3 Vgl. zur Einstellung jüngerer Generationen gegenüber digitalen Medien Fries, Geht die Digitalisierung schon bald wieder weg?, LTO v. 21.4.2020 (https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/juristenausbildung-digitalisierung-corona-was-bleibt-nach-der-krise/); zur Empfänglichkeit für digitale Medien allgemein Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881.
4 Vgl. etwa Fehling, Die Lehrfreiheit als Grundlage didaktischen Handelns, in: Krüper (Hrsg.), Rechtswissenschaft lehren, Rn. 28 (2019 verfasst, Erscheinen in Vorbereitung); Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881, 885, der dabei einen Perspektivenwechsel von der Lehr- zur Lernorientierung noch stärker betont; unter Gesichtspunkten des methodischen Bewusstseins in der Ausbildung grundsätzlich auch Hanke, Handbuch Hochschullehre Digital, 3. Aufl. 2020, S. 64 ff.
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
1 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
5 Zur Fundierung in der objektiv-rechtlichen Seite der Wissenschaftsfreiheit
besonders deutlich BVerfGE 126, 1 25; vgl. aber
bereits BVerfGE 35, 79, 121 f.
6 Statt vieler Pfund, Klicken statt melden, Süddeutsche Zeitung v.
8.5. 2020, S. 25; Fries (Fn. 3); Hanke, Handbuch Hochschullehre
Digital, 3. Aufl. 2020, S. 256.
7 Siehe z.B. Universität Bonn (https://www.uni-bonn.de/die-universitaet/
informationen-zum-coronavirus/coronavirus-spezifischeinformationen-
fuer-studierende); Universität Düsseldorf (https://
www.uni-duesseldorf.de/home/startseite/news-detailansicht-inklgb/
article/start-in-die-online-lehre.html); Universität Hannover
(https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/corona/
online-studium/); Universität Kiel (https://www.uni-kiel.de/
de/detailansicht/news/corona-sommersemester); Universität
München (https://www.uni-muenchen.de/aktuelles/news/2020/
digitales_sommersemester.html).
8 Überblick z.B. bei Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881,884 ff. m. w.
N.; Sutter, Zum Stand des digitalen Lehrens und Lernens in
juristischen Studiengängen, ZDRW 2016, 44, 45 m. w. N. jeweils
bezogen auf die Juristenausbildung; vgl. auch PRO Lehre (TU
München), Alternativen zur Präsenzlehre. Asynchrone und Synchrone
Online-Lehre (https://www.prolehre.tum.de/fileadmin/
w00btq/www/Aktuelles/prolehre-online-lehrstrategien_v2.1.pdf),
dies., Synchrone Online-Lehre / Live Lehren im Internet (https://
www.prolehre.tum.de/fileadmin/w00btq/www/Aktuelles/prolehre-
handreichung-synchrone-onlinelehre-v2.7.pdf).
9 Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Multiple Choice-Formats
mit Auswertungsmöglichkeit der Ergebnisse unter Nutzung
von PlayPosit illustrieren z.B. die 12 Einführungsvideos von
Fehling zur Vorlesung „Allgemeines Verwaltungsrecht“ (https://
www.youtube.com/channel/UCs5GY_QWXqSvI02JzRqIL4Q).
sischer Lehrformen führt. Nichtsdestotrotz wollten bislang
nur wenige die traditionelle Präsenzlehre weitgehend
durch digitale Angebote ersetzen.
Dies ändert sich im Zuge der Covid 19-Pandemie
grundlegend. Wegen Abstandsgeboten und Kontaktbeschränkungen
ist traditionelle Präsenzlehre zunächst gar
nicht mehr möglich. Selbst nach einer schrittweisen
Wiederöffnung der Hochschulen werden für einen noch
nicht überschaubaren Zeitraum wohl nur noch Lehrveranstaltung
mit geringer Teilnehmerzahl als Präsenzveranstaltungen
stattfinden können. Um ihren hochschulgesetzlichen
(z.B. § 2 LHG BW, § 3 HmbHG, § 4 BremHG)
und zugleich verfassungsrechtlich fundierten Lehr- und
(Aus-)Bildungsauftrag5 auch in der Krise jedenfalls ansatzweise
erfüllen zu können, müssen die Hochschulen
ihre Lehrangebote im Rahmen des ihnen technisch
Möglichen fast vollständig „auf Distanz“ umstellen und
das bedeutet regelmäßig: in das Internet verlagern. Über
die eigentliche Lehre hinaus erstreckt sich diese Notwendigkeit
bis in die Prüfungen hinein.
Gewiss ist das vollständige Umschwenken auf Online-
Lehre nur als Notmaßnahme für die (ungewisse)
Dauer der Pandemie vorgesehen. Manche Veranstaltungstypen,
namentlich Laborarbeit, Exkursionen und
viele Praktika, lassen sich ohnehin kaum in den digitalen
Raum verlagern. Doch mehren sich bereits die Stimmen,
die den aus der Not geborenen Digitalisierungsschub
dazu nutzen wollen, die Hochschullehre auch bei einer
Rückkehr zur Normalität nachhaltig zu verändern.6 In
der Krise wird vieles einfach ausprobiert und dabei zeigt
sich, dass manches umsetzbar ist, was man zuvor als
technisch, organisatorisch oder personell für nicht
machbar erachtet hätte. Was sich in dieser Ausnahmelage
tatsächlich oder auch nur scheinbar bewährt, dies
wird – weiter verbessert – von Politik und Studierenden
wohl auch später verstärkt nachgefragt. Denn sind digitale
Lehrformate erst einmal etabliert, bergen jedenfalls
mache von ihnen (namentlich beliebig häufig nutzbare
Podcasts u.Ä.) für die Politik ein beträchtliches Sparpotential
und sind wegen der Bequemlichkeit der jederzeitigen
Nutzbarkeit vordergründig auch für viele Studierende
attraktiv. Die Frage der (didaktischen) Eignung
für wissenschaftliche Lehre, die in der akuten Notsituation
ohnehin nur wenig reflektiert werden kann, droht so
auch später aus dem Blick zu geraten.
II. Bestandsaufnahme und Rechtsprobleme
In kürzester Zeit haben die Hochschulen für das Sommersemester
2020 digitale Angebote in einer Vielzahl
und in einem Ausmaß ins Werk gesetzt, wie man es sich
vorher kaum hätte vorstellen können.7 Not macht eben
erfinderisch, lässt aber zugleich die Defizite bei der digitalen
Ausstattung (bei den Lehrenden, aber auch bei den
Studierenden) und oftmals schon bei geeigneten Konzepten
schmerzlich spüren.
In der Lehre erprobt und nutzt man verschiedenste
digitale Formate:8 Zum einen handelt es sich um zuvor
aufgezeichnete Vorlesungen oder vorlesungsbegleitende
Podcasts, welche von den Studierenden nunmehr von
zuhause aus zu beliebiger Zeit konsumiert werden können
(sog. asynchrone Angebote). Zwischenfragen, ggf.
im Multiple-Choice-Format,9 können zur Aufrechterhaltung
der Aufmerksamkeit integriert werden. Ein Minimum
an Interaktivität lässt sich zudem über digitale
Plattformen anstreben, auf denen Fragen gestellt und beantwortet
werden und ggf. auch ein mündlicher „Chat“
möglich ist. Zum anderen können Lehrveranstaltungen
aber auch zumindest teilweise interaktiv im Videokonferenzmodus
abgehalten werden (synchrone Angebote).
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 3 9
10 Auf professioneller Ebenen sind neben Zoom vor allem Jitsi und
Big Blue Button sowie Skype zu nennen. Überblick etwa bei heise
online v 27.4.2020 (https://www.heise.de/ct/artikel/Kostenlose-
Videokonferenz-Programme-im-Funktionsueberblick-4704912.
html.). An der Universität Darmstadt hat man auf Grundlage von
„Big Blue Button“ ein System speziell für Hochschulzwecke entwickelt;
dazu „Forschung aktuell: Computer und Kommunikation“,
Deutschlandfunk v. 9.5.2020, (https://www.deutschlandfunk.
de/jitsi-und-big-blue-button-open-source-angebote-fuer.684.
de.html?dram:article_id=476375).
11 Der Benutzer (z.B. eine Hochschule oder ein einzelner Dozent)
kann eine Sitzung einrichten und dann als Host den Teilnehmern
vermittels eines Links einen Beitritt ermöglichen; je nach Lizenz
können bis zu ca. 500 Personen teilnehmen. Dabei lässt sich auch
ein bestimmtes Zeitfenster für das „Meeting“ im Voraus festlegen.
Dauern Meetings länger als 40 Minuten – was beim Einsatz
in der Lehre praktisch immer der Fall sein dürfte – ist stets eine
Lizenz erforderlich, wobei es ausreicht, wenn der Host über eine
solche verfügt. Die Teilnehmer können dem „Meeting“ mit allen
gängigen Endgeräten und (über einen Webbrowser) auch ohne
Installation einer Software einfach durch Betätigung des Links
beitreten und werden den jeweiligen Benutzer dann „live“ als
Bild in einem „Fenster“ angezeigt, aber auch die Anzeige einer
einfachen Liste ist möglich. Die Darstellung ist dabei in vielerlei
Hinsicht variabel. Zoom ist standardmäßig dahingehend eingestellt,
dass der Teilnehmer eingeblendet wird, der spricht. Außerdem
kann grundsätzlich jeder Teilnehmende zur Wahrung seiner
Privatsphäre einen virtuellen Hintergrund einstellen bzw. die
Videoteilnahme auch ganz deaktivieren; auf diese Weise lässt sich
bei einem „Meeting“ die Privatsphäre der Teilnehmer grundsätzlich
wahren. Allerdings stellt der virtuelle Hintergrund in technischer
Hinsicht gewisse Mindestanforderungen an die Hardware.
Ferner kann jeder Teilnehmende relativ einfach den eigenen
Bildschirminhalt (insbesondere eine Präsentation) teilen und auf
diese Weise den übrigen Teilnehmern zugänglich machen. Wird
eine Präsentation oder auch ein virtuelles Whiteboard genutzt, ist
die gleichzeitige Anzeige aller Teilnehmer – insbesondere bei einer
großen Anzahl– freilich nur mittels Einbindung eines zweiten
Bildschirms sinnvoll möglich. Im Übrigen verfügt Zoom über ein
virtuelle „Meldefunktion“. Meldet sich ein Teilnehmer wird dies
dem Host angezeigt, der auf diese Weise in die Lage versetzt wird,
die Konversation ordnend zu lenken.
12 Insbesondere Zoom läuft über Server in den USA mit allen
daraus folgenden Datenschutz-Risiken (siehe auch unten IV. 2. b).
Einige andere Dienste (etwa Jitsi oder BigBlueButton) kann man
dagegen von eigenen Servern aus nutzen. Dies erfordert (erhebliche)
technische Ressourcen, bietet aber Vorteile im Hinblick auf
den Datenschutz (kein Verkehr über Auslands-Server).
13 Schröter/Zöllner, Denn sie wollen wissen, was sie tun (dürfen),
LTO v. 15.4.2020 (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/datenschutz-
behoerden-dsgvo-zoom-videokonferenz-unsicherheit/)
14 So etwa im Interview der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte
Brink (https://www.baden-wuerttemberg.
datenschutz.de/mehrere-hochschulen-kaufen-fuer-das-sommersemester-
zoom-lizenzen/); „ die Berliner Datenschutzbeauftragte
hat ihre Warnung vor Skype, Teams und Zoom mittlerweile
erneuert, vgl. FAZ v. 25.05.2020 (https://www.faz.net/aktuell/
wirtschaft/digitec/berliner-datenschutzbeauftragte-warnt-vormicrosoft-
produkten-16785095.html).
15 Etwas verhalten andere Dienste empfehlend z.B. die Universität
Düsseldorf (https://www.uni-duesseldorf.de/home/startseite/
news-detailansicht-inkl-gb/article/zoom-oder-nicht-zoom.
html). In Bayern wurde eine Petition gegen den Einsatz von
Zoom an den Hochschulen gestartet (https://www.change.org/p/
bayerisches-staatsministerium-für-wissenschaft-und-kunst-nutzungsverbot-
von-zoom-an-bayerischen-hochschulen-und-universitäten);
eine ähnliche Petition gibt es an der Universität Bonn
(https://www.openpetition.de/petition/online/kein-zoom-an-deruni-
bonn#petition-main). Allzu breite Unterstützung haben diese
Petitionen bislang allerdings nicht erhalten.
Dafür werden verschiedenste Dienste erprobt;10 unter
den vorhandenen Angeboten ist die von einem US-Unternehmen
betriebene Plattform „Zoom“ wohl am benutzerfreundlichsten.
Sie ist auch mit großer, wenngleich
nicht unbegrenzter Teilnehmerzahl nutzbar,11
birgt aber zugleich die wohl größten Datenschutzprobleme.
12 Last but not least ist eine Umstellung auf mehr
schriftliche Bearbeitungen (Hausarbeiten und Seminararbeiten,
aber auch kürzere Essays, Arbeitsbögen u.Ä.)
vorstellbar, wobei die Betreuung sogar per E‑Mail oder
Telefon erfolgen kann; diese vor allem in Großbritannien
schon immer praktizierte Lehrmethode (im Normalzustand
allerdings mit mündlichen Besprechungen der
abgelieferten Arbeiten) ist allerdings im Vergleich zum
klassischen Vorlesungsformat extrem personalintensiv.
Sogar für Klausuren lässt sich die Videokonferenztechnik
nutzen, um ein Minimum an Prüfungsaufsicht
zu ermöglichen. Allerdings kann per Video nur kontrolliert
werden, dass nicht mehrere in einem Raum gemeinsam
an der Aufgabe arbeiten; der Bildschirm der Bearbeiter
kann von den Aufsichten nämlich nicht ohne Weiteres
eingesehen werden. Dies hat man an der Bucerius
Law School für die Abschlussklausuren des Frühjahrstrimesters
2020, die zeitlich zu Beginn der Corona-Restriktionen
anstanden, erprobt; genutzt wurde „WISEflow“
zur elektronischen Klausurbearbeitung und „Zoom“ für
die Online-Klausuraufsicht. Dabei hatten die Studierenden
die Wahl, ob sie sich an diesem Online-Prüfungsverfahren
beteiligten oder lieber später, nach Aufhebung
der Corona-bedingten Beschränkungen, die Klausur(en)
unter gleichen Prüfungsbedingungen (daher ausnahmsweise
ebenfalls mit Nutzung von Unterlagen, also „open
book“) nachschreiben wollten.
Diese Nutzung von „Zoom“ zur virtuellen
Klausuraufsicht hat jedoch auf Beschwerde einer/eines
Beteiligten die Hamburger Datenschutzbehörde auf den
Plan gerufen, die massive Bedenken geäußert und informell
sogar die Möglichkeit eines „Bußgeldes bis in Millionenhöhe“
in den Raum gestellt hat. Die Bucerius Law
School hat dazu schriftlich Stellung genommen, die Reaktion
der Behörde steht noch aus. Datenschutzbehörden
aus anderen Bundesländern haben sich – wenn auch
nicht immer eindeutig13 – gegen die Nutzung von
„Zoom“ bei der Online-Lehre ausgesprochen,14 so dass
einige Hochschulleitungen von der Nutzung dieser Plattform
zwischenzeitlich abgeraten haben.15 Datenschutz1
4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
16 Zum Bedeutungsgewinn der staatlichen und universitären Gewährleistungsverantwortung
für eine gute Hochschulausbildung
Fehling, in: Krüper (Fn. 4), Rn. 13 f.
17 Dorf/Hartmer, Ist elektronische Lehre Dienstpflicht?, Forschung
und Lehre v. 3.4.2020 (https://www.forschung-und-lehre.de/
recht/ist-elektronische-lehre-dienstpflicht-2667/).
18 Dazu näher Fehling, in: Krüper (Fn. 4), insb. Rn. 7: allgemeiner
zur Entwicklungsoffenheit des Hochschulrechts und der Hochschulaufgaben
mit Konsequenzen auch für den Schutzbereich von
Art. 5 Abs. 3 GG BVerfGE 126, 1, 19 f. (dort die Wissenschaftsfreiheit
der Fachhochschullehrer betreffend); vgl. auch schon
BVerfGE 47, 327, 392.
19 Statt vieler Fehling, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz,
Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaftsfreiheit) Rn. 99; die kritisch-methodische
Reflexion als Voraussetzung der Lehre ebenfalls betonend
Gärditz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rn. 115, 89. El. 2019.
20 Fehling, in: BK (Fn. 19), Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaftsfreiheit)
Rn. 178; speziell für die juristische Lehre Basak, in: Griebel/Gröblinghoff
(Hrsg.), Von der juristischen Lehre, 2012, S. 93 (94).
21 Zur verbleibenden Gestaltungsfreiheit Wendt, in: v. Münch/Kunig
Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 105.
probleme stellen sich freilich nicht nur bei „Zoom“, sondern
– möglicherweise abgeschwächt – auch bei anderen
Videokonferenz-Plattformen für Lehrveranstaltungen.
Viel hängt dabei allerdings von den konkreten Nutzungsmodalitäten
ab (dazu unten IV.).
Vorgelagert stellt sich jedoch die Frage, inwieweit reine
Online-Lehre in ihren verschiedenen Ausprägungen
den Anforderungen der Wissenschaftlichkeit
(Art. 5 Abs. 3 GG) genügen kann (III.). Zu klären ist dabei
auch, inwieweit für Hochschullehrer eine Dienstpflicht
zur Online-Lehre besteht, in der Krise oder auch
allgemein.
III. Die Aufgabe wissenschaftlicher Lehre und die
Lehrfreiheit
- Lehrfreiheit und Dienstpflicht zur Online-Lehre
Die Umstellung auf reine Online-Lehre erfordert von
den Lehrenden nicht nur zusätzliche technische Anstrengungen,
sondern meist auch Anpassungen des wissenschaftsgeleiteten
Lehrkonzepts. Nur bei kleineren Vorlesungen
oder Seminaren mittels Videokonferenztechnik
lässt sich Präsenzlehre weitgehend unverändert in den
digitalen Raum übertragen, und selbst dann fehlt die für
Präsenzveranstaltungen typische Lernatmosphäre, was
wiederum Rückwirkungen auf die Kommunikation zwischen
Lehrenden und Studierenden zeitigt.
Angesichts dieser erheblichen Strukturänderungen
der Lehre bei Umstellung auf digitale Vermittlung wird
teilweise bestritten, dass dies von Hochschullehrern als
deren Dienstpflicht verlangt werden könne. Zwar seien
Lehrverpflichtungen als solche, gestützt auf die entsprechenden
Lehrdeputatsverordnungen, unbestritten eine
durch den Ausbildungsauftrag der Hochschulen16 gerechtfertigte
Einschränkung der in Art. 5 Abs. 3 GG geschützten
individuellen Lehrfreiheit. Doch die zur Lehrfreiheit
gehörende Freiheit der Methodenwahl schütze
die Hochschullehrer davor, dass Ihnen besondere Lehrformate
wie die digitale Lehre durch die Fakultäts- oder
Hochschulleitung aufgenötigt werden; dies gelte mit gewissen
Einschränkungen selbst in der derzeitigen Krisenzeit,
wo traditionelle Lehre weitgehend unmöglich
ist.17
Diese Auffassung vernachlässigt indes dreierlei. Erstens
unterliegt auch die Methodenfreiheit in der Lehre
einem gewissen, durch sich verändernde gesellschaftliche
Umstände und neue didaktische Einsichten geprägten
Wandel.18 Lehrformate sind nicht zeitlos. Konnte
man früher etwa das Wort „Vorlesung“ noch wörtlich
nehmen, ist mittlerweile weitgehend anerkannt, dass ein
Hochschullehrer, der nur vorträgt oder gar abliest und
keinerlei Fragen zulässt, seine Lehrfreiheit missbraucht.19
Die enge Verknüpfung von Lehrfreiheit und Ausbildungsauftrag
macht es erforderlich, unter sich verändernden
Umständen nach immer neuen Wegen und dabei
auch Lehrformaten zu suchen, um die Studierenden
tatsächlich zu erreichen und den Ausbildungserfolg –
auch und gerade in seiner wissenschaftlichen Fundierung
– zu verbessern. Dies schließt bei der heutigen Generation
der Studierenden digitale Formate grundsätzlich
mit ein, wenngleich damit noch keine Festlegung auf
konkrete technische und konzeptionelle Ausgestaltungen
verbunden ist. Zweitens ist die Lehrfreiheit im Allgemeinen
und die freie Wahl von Lehrformaten im Besonderen
durch die Notwendigkeit beschränkt, mittels Koordination
in der Fakultät und notfalls sogar Anordnungen
der Fakultätsleitung die Abhaltung aller in der
Studienordnung vorgesehenen Pflichtlehrveranstaltungen
sicherzustellen.20 Dabei geben Studienordnungen
oftmals nicht nur das Thema und die Wochenstundenzahl
von Pflichtlehrveranstaltungen vor, sondern auch
den Veranstaltungstyp wie etwa Vorlesung, Übung, Seminar
oder Labortätigkeit. Dies lässt sich im Grundsatz
auf neue digitale Formate ausdehnen, solange innerhalb
des so vorgegebenen Rahmens hinreichend Spielraum
für den einzelnen Hochschullehrer zur Verwirklichung
individueller wissenschaftlicher wie didaktischer Präferenzen
verbleibt.21 Drittens schließlich wird die beamtenrechtliche
Pflichtenstellung des Hochschullehrers zwar
wesentlich durch die Wissenschaftsfreiheit überlagert
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 4 1
22 Vgl. Gärditz, in: Maunz/Dürig (Fn. 19), Art. 5 Abs. 3 Rn. 176 ff.;
Antoni, in: Wolf/Hömig, Art. 5 Rn. 33, 12. Aufl. 2018 jeweils m.
w. N. Früher brachte dies auch § 49 HRG zum Ausdruck; dazu
Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 695, vgl.
auch Rn. 700. Die Verfassungsrechtsprechung hat sich mehrfach
nur mit der Frage beschäftigt, ob Art. 33 Abs. 5 GG über Art. 5
Abs. 3 GG dem Hochschullehrer zusätzliche Rechte verleiht und
dies verneint, vgl. BVerfGE 122, 89, 100; 88, 129, 143.; 35, 79, 146
f.
23 Insoweit zur dienstlichen Pflichtenstellung Jachmann-Michel/Kaiser,
in: v. Mangoldt/Klein/Starck Bd. 2, GG-Kommentar, 7. Aufl.
2018, Art. 33 Rn. 48; Reich, in: ders. (Hrsg.), BeamtStG, 3. Aufl.
2018, § 34 Rn. 2 m. w. N.
24 Reich, in: ders. (Fn. 23), § 34 Rn. 3.
25 BVerfGE 35, 113, 129.
26 BVerfGE 126, 1, 25; zustimmend z.B. Starck/Paulus, in: v. Mangold/
Klein/Starck (Fn. 23), Art. 5 Rn. 485; ferner statt vieler Löwer,
Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre, in: Merten/
Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band 4, 2011, § 99
Rn. 59.
27 Anderes kann für die Weiterbildung gelten, die in den Hochschulgesetzen
ebenfalls als Aufgabe der Hochschulen genannt
wird.
und modifiziert, aber nicht gänzlich verdrängt;22 dies
macht für einen Spezialfall auch Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG
deutlich. Die besonders akzentuierte beamtenrechtliche
Treueplicht (z.B. § 3 Abs. 1 BeamtStG, § 4 BBG) – abgeschwächt
aber auch die arbeitsrechtlichen Pflichten angestellter
Hochschullehrer an staatlichen wie staatlich
anerkannten privaten Hochschulen – beinhalten die
Dienstpflicht des Hochschullehrers, sich auch unter widrigen
Umständen mit vollen Kräften und für die Erfüllung
der dienstlichen (Lehr-)Verpflichtungen23
einzusetzen.
Das beamtenrechtliche Sonderverhältnis mit der besonderen
Treuepflicht, dem die besondere Fürsorgepflicht
des Dienstherrn gegenübersteht, wird in der deutschen
Tradition gerade damit gerechtfertigt, dass der
Staat bei seinen Staatsdienern in Krisenzeiten auf besonderen
Einsatz angewiesen ist, auch über „normale“
Dienststunden hinaus.24 Dies gilt derzeit in der Pandemie
nicht nur für den Polizisten oder den Amtsarzt, sondern
auch für den (Hochschul-)Lehrer; gerade die Krise
verdeutlich, dass die (schulische wie auch wissenschaftliche)
Bildung zu den für Staat und Gesellschaft unverzichtbaren
Aufgaben gehört. Der beamtete Hochschullehrer
ist deshalb verpflichtet, vorübergehend auch zu
Lasten seiner Forschungszeit in neue, digitale Lehrformate
einzuarbeiten. Darüber hinaus muss er oder sie für
die Zeit, in der Präsenzlehre nicht oder nur eingeschränkt
möglich ist, gegebenenfalls auch eigene – als
solche durchaus valide (s.u. 2.) – wissenschaftlich-didaktische
Bedenken gegenüber Online-Lehre zurückstellen,
um wenigstens ein „Notprogramm“ in der Lehre aufrechterhalten
zu können. Im Gegenzug verpflichtet die
Fürsorgepflicht den Dienstherrn dazu, den Universitäten
und den einzelnen Hochschullehrern die dafür notwendige
digitale Ausstattung und gegebenenfalls entsprechende
Schulungen o.Ä. zur Verfügung zu stellen. Denn
auch für den Beamten gilt: Ihm (technisch) Unmögliches
kann nicht verlangt werden.
Nach einer schrittweisen Rückkehr zur Normalität
fordert das strukturelle Gleichgewicht von Treuepflicht
des Beamten und Fürsorgepflicht des Dienstherrn, das
im Beamtenverhältnis (und modifiziert sowie auf beiden
Seiten etwas abgeschwächt auch im Angestelltenverhältnis)
angelegt ist, dann tendenziell einen gewissen Ausgleich
für den besonderen zeitlichen Einsatz für die Lehre
in der Krise. Gegebenenfalls kann sich dies sogar zu
einem Anspruch der Hochschullehrer sowie des akademischen
Mittelbaus auf vorübergehend mehr zeitlichen
Freiräumen für „liegengebliebene“ Forschungsarbeit
verdichten. Vor allem aber müssen dann die methodisch-
didaktischen Spielräume der Lehrenden wieder
wachsen. Inwieweit der einzelne Hochschullehrer die
gewonnenen Erfahrungen mit der Online-Lehre als positiv
bewertet und deshalb solche Elemente auch in der
Normallage ergänzend in seiner Lehre einsetzt, wird
wieder ganz vorrangig zu seiner individuellen Entscheidung.
Allerdings können Studienordnungen und ‑pläne
auch in der Normalsituation Vorgaben für Veranstaltungstypen
enthalten; im Zuge eines Digitalisierungsschubs
ließen sich hier bei wissenschaftlicher Eignung
(dazu sogleich 2.) vermehrt auch digitale Formate integrieren.
Wie allgemein bei der Verteilung der Lehrverpflichtungen
innerhalb einer Fakultät gilt jedoch der
Vorrang der individuellen Eigeninitiative25 und sodann
der kollegialen Verständigung der Hochschullehrer; nur
wenn Pflichtangebote sonst nicht abgedeckt werden
können, darf die Fakultätsleitung im Rahmen ihrer Verpflichtung
zur Koordination des Lehrangebots als ultima
ratio Veranstaltungen zuteilen.26 Beim konkreten didaktischen
Konzept muss, bei der Online-Lehre in den
Grenzen des technisch Möglichen, stets Ausgestaltungsspielraum
verbleiben, nicht anders als bei einer Präsenz-
Lehrveranstaltung. Darüber hinaus haben finanzielle
und sonstige Anreize, um das besondere Engagement
einzelnen Lehrender für solche Formate auszugleichen
und zu belohnen, im Rahmen des Finanzierbarkeit Vorrang
vor Anordnungen „von oben“. - Wissenschaftlichkeit der Lehre als Grenze
Von Hochschullehrern kann im Studium27 nur wissenschaftliche
Lehre verlangt werden. Daher müssen auch
Online-Lehrformate über reine Wissensvermittlung
1 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
28 Den Reflexionsvorgang in der juristischen Ausbildung betonend,
Hufen, Selbst Denken – Ein Grundprinzip für Staat und Studium,
JuS 2013, S. 1 ff; ähnlich Lammers, Lernen im Jurastudium und in
der Examensvorbereitung, JuS 2015, 289, 291.
29 Zu Fachholschulprofessoren als Trägern der Wissenschaftsfreiheit
BVerfGE 126, 1, 19 f.; zusammenfassend Gärditz, in: Maunz/Dürig
(Fn. 19), Art. 5 Abs. 3 Rn. 129 m. w. N.
30 Zu wissenschaftlicher Lehre als interaktiver Kommunikationsprozess
Fehling, in: Krüper (Fn. 4), Rn. 1; andeutungsweise Gärditz,
in: Maunz/Dürig (Fn. 19), Art. 5 Abs. 3 Rn. 111; aus der allgemeinen
Lit. zur (Hochschul-)Didaktik etwa Tulodziecki/Herzig/
Blömeke, Gestaltung von Unterricht, 2017, S. 291 ff.
31 Vgl. Jordanova-Duda, Lern-Avatare unterwegs, VDI-Nachrichten
v. 15.5.2020, S. 3: „Alle Vorlesungen aufzeichnen, ins Netz stellen
und gut ist es. Das ist RTL-Niveau: Let us entertain you“.
32 Die Kritik an der Eignung von Multiple-Choice-Fragen im
wissenschaftlichen Kontext war schon vor dem Internet weit
verbreitet (z.B. Phillipps, Aufgabenform und Aufgabenmodus bei
multiple-choice-Aufgaben, Datenverarbeitung im Recht 1978, 341
ff.); aufgeschlossener z.B. Krüger, Ankreuzen kann ja jeder, oder?
– Die Verwendung von Multiple-Choice-Prüfungen in der juristischen
Ausbildung, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Prüfungen in
der Rechtswissenschaft, 2013, S. 107 ff.
33 Positiv gewendet von Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881, 885, der
betont, dass die Stärken digitaler Lehre im auswendig erlernbaren
Basiswissen liege, ohne die Wissenschaftsadäquanz zu hinterfragen.
34 Vgl. allgemein zur heutigen Konzeption Hattie, Lernen sichtbar
machen, 3. Aufl. 2015, S. 249 f.
35 Ähnliche Charakterisierung der Ziele wissenschaftlicher Lehre
bei Britz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2013,
Art. 5 Abs. 3 Rn. 29; Gärditz, in: Maunz/Dürig (Fn. 19), Art. 5
Abs. 3 Rn. 115; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Bd. 2.
(Fn. 23), Art. 5 Rn. 490.
36 Auf die Fernuniversitäten verweisen an Rande auch Dorf/Hartmer
(Fn. 17), Forschung und Lehre v. 3.4.2020 (https://www.
forschung-und-lehre.de/recht/ist-elektronische-lehre-dienstpflicht-
2667/).
37 Dazu schon oben I. a.E.
hinaus zu einem Mindestmaß wissenschaftlich-kritischer
Reflexion geeignet sein,28 um wie traditionelle Vorlesungen,
Übungen und Seminare Teil eines Lehrveranstaltungskanons
werden zu können. Dies gilt mit gewissen
Abstrichen mittlerweile auch für die
Fachhochschulen.29
Prima facie weisen reine Online-Lehrformate aufgrund
ihrer technischen Beschränkungen typischerweise
Eigenheiten auf, die einer wissenschaftlich-kritischen
Reflexion wenig förderlich erscheinen: Asynchrone Online-
Formate wie Podcasts u.Ä. blenden die für Reflexion
so wichtige interaktive Kommunikation30 aus, verführen
zum unreflektierten „Konsum“.31 Eingebaute Zwischenfragen
u.Ä. schaffen einerseits mehr Interaktion,
tendieren aber zwecks Überprüfbarkeit der „Richtigkeit“
der Ergebnisse zu Schematismus, namentlich im Multiple-
Choice-Modus.32 Der im Vergleich zum (Lehr-)Buch
und auch zur klassischen Vorlesung weitaus geringere
Umfang gebräuchlicher digitaler Formate zwingt dort zu
einer deutlichen Vereinfachung;33 scheinbar einfache Rezepte
wiederum verführen zu mechanischem Auswendiglernen.
Dahinter verbergen sich nicht selten längst
überholte34 „Nürnberger-Trichter“-Vorstellungen von
Lehre und Lernen. All dies scheint ein mehr oder minder
klarer Antagonismus zu wissenschaftlicher Lehre,
die über die Wissensvermittlung hinaus zum Hinterfragen
von Routinen und vermeintlichen Wahrheiten anleiten
soll.35
a) Gewisse Flexibilisierung zugunsten der Ausbildungsgewährleistung
in der Krise
In der Notlage einer Pandemie wird man bei der Wissenschaftlichkeit
gegebenenfalls Abstriche machen müssen.
Solange faktisch kein wissenschaftsnäheres Lehrformat
verfügbar ist, muss es vor dem Hintergrund der Ausbildungsaufgabe
ausreichen, wenn reine Online-Lehre
jedenfalls besser ist als gar keine Lehrveranstaltungen,
allein mit Empfehlungen zur Lektüre und Eigenarbeit
der Studierenden. Der Einwand mangelnder Wissenschaftlichkeit
könnte einer Dienstverpflichtung zur
Online-Lehre in der Krise also nur entgegengehalten
werden, wenn die Studierenden durch solche Lehrformate
komplett falsche Vorstellungen von den an sie
gestellten Anforderungen zu entwickeln drohten und
möglicherweise nach der Krise für „echte“ wissenschaftliche
Lehre spürbar weniger empfänglich wären als
zuvor. Dies wird man jedoch kaum pauschal unterstellen
können, zumal – wie sogleich zu zeigen – auch Online-
Formate durchaus gewisse Spielräume für eine wissenschaftsnähere
Ausgestaltung belassen. Bei Fernuniversitäten
ist die Lehre aus der Distanz – früher mit schriftlichen
Unterlagen, heute immer mehr über das Internet
– ohnehin immer schon Programm gewesen, ohne dass
man deren Wissenschaftlichkeit deshalb grundsätzlich
in Zweifel gezogen hätte.36
b) Stärkere Betonung der wissenschaftlichen Standards
in der Normalsituation
Nach Ende der Pandemie entschärft sich das Wissenschaftlichkeits-
Problem ein Stück bereits dadurch, dass
Online-Lehre nur noch eine Ergänzung zu traditionellen
Präsenzveranstaltungen sein wird. Doch dürfte der
durch die Krise ausgelöste Digitalisierungsschub elektronischem
Lehrformaten auch in der „Zeit danach“
quantitativ einen massiven Bedeutungsgewinn bescheren.
37 Dies führt zu der Frage, welche Rolle (quantitativ
wie qualitativ) Online-Formate mittelfristig in der Lehre
im Lichte von Art. 5 Abs. 3 GG spielen dürfen und sollten.
Die wissenschaftlich-didaktische Eignung verschiedener
Online-Lehrformate muss rechtzeitig reflektiert
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 4 3
38 Hierzu und zum Folgenden Fehling, in: Krüper (Fn. 4), Rn. 13 ff.;
die Verschiebung „from teaching to learning“ ebenfalls betonend
Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881, 885; vgl, auch Kaufhold, Die Lehrfreiheit
– Ein verlorenes Grundrecht?, 2006, S. 244 ff.
39 Vgl. Zwickel (Fn. 1), JA 2018, 881, 884 ff.
40 Vgl. zur „Lehrmethodenfreiheit“ Starck/Paulus, in: v. Mangold/
Klein/Starck (Fn. 23), Art. 5 Rn. 491; ferner auch Dorf/Hartmer
(Fn. 17), Forschung und Lehre v. 3.4.2020.
41 Allerdings wird der freie Datenverkehr auf EU-Ebene primär
als Ausprägung der Grundfreiheiten angesehen und ist damit
weniger individualrechtlich konnotiert; näher Hornung/Spiecker,
gen. Döhmann, in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann
(Hrsg.), Datenschutzrecht, 2019, Art. 1 Rn. 25 ff. Deutlicher wird
die Parallelität des Datenschutzes und der Möglichkeiten zum
Datenaustausch im deutschen Verfassungsrecht, wo BVerfGE 65,
1 (44) beides als Ausprägungen der informationellen Selbstbestimmung
begreift.
werden, um nicht der normativen Kraft des Faktischen
zum Opfer zu fallen.
Ungeachtet der zuvor beschriebenen, durchaus validen
grundsätzlichen Kritikpunkte an vielen – nicht allen
– Online-Lehrformaten haben diese doch auch gewisse
Vorzüge sogar in einer Hochschulausbildung. Dies gilt
besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die
Wissenschaftlichkeit der Lehre in einem gewissen Spannungsverhältnis
zur ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten
Ausbildungsaufgabe der Hochschulen und der
Hochschullehrer steht. Je stärker man dabei die Ausbildungsaufgabe
betont, umso mehr muss sich die traditionelle
Lehrorientierung zu einer Lernorientierung wandeln.
38 Man schaut nun verstärkt darauf, was von der
wissenschaftlichen Lehre bei den Adressaten überhaupt
ankommt. Eine gewisse Abwechslung von Lehrmethoden
und Integration neuer „jugendnaher“ Medien wirkt
auf viele Studierende motivierend. Motivation wiederum
erleichtert nicht nur die Aneignung von Wissen,
sondern ist auch ein wesentlicher Schlüssel zur Weckung
des Interesses an Reflexion und damit zu einem Hineinwachsen
in wissenschaftliches Denken. Dabei können
strukturelle Nachteile der Online-Lehre durch geschickte
Kombination mit traditionellen Formaten minimiert
werden.39
Letztlich besitzt der einzelne Hochschullehrer hinsichtlich
der didaktischen Eignung bestimmter Lehrformate
als Teil seiner Wissenschaftsfreiheit einen weiten
Einschätzungsspielraum.40 Jede® kann und muss in der
Lehre eine eigene Balance zwischen Wissenschaftlichkeit
und Berufsausbildung finden. Obligatorische Online-
Lehre muss deshalb den Hochschullehrern genügend
Ausgestaltungsspielraum zur Sicherung des individuell
als notwendig erachteten Gehalts an Wissenschaftlichkeit
belassen. Auch wenn Online-Lehre in Studienordnungen
als Grundbestandteil mit aufgenommen wird,
heißt dies nicht, dass sich jeder einzelne Hochschullehrer
sich daran zu bezeiligen hat. Wie auch sonst muss
nur das Pflichtangebot von der Fakultät insgesamt abgedeckt
werden. Dabei wiederum ist die verpflichtende
Einbindung eines individuellen Hochschullehrers nur
das allerletzte Mittel, wenn die kollegiale Selbstkoordination
bei der Verteilung der Lehrverpflichtungen
versagt.
Hier bestätigt sich noch einmal: Die individuelle
Freiheit der Methodenwahl der Hochschullehrer, worin
sich auch ihr jeweiliges Wissenschaftsverständnis widerspiegelt,
bleibt auch in der Krise zu schützen. Die Lehrfreiheit
steht jedoch in einem gewissen Spannungsverhältnis
zur Hochschul-Ausbildungsaufgabe, deren Aufrechterhaltung
in der Krise, nicht zuletzt angesichts der
beamtenrechtlichen Treuepflicht, ein temporär höheres
Gewicht erlangt.
IV. Anforderungen des Datenschutzes bei Nutzung
digitaler (Videokonferenz-)Plattformen
Videokonferenz-Plattformen ermöglichen, wenn sie von
Zuhause genutzt werden, allen Teilnehmern (bei Lehrveranstaltungen
also dem Dozenten und den beteiligen
Studierenden) sowie dem Veranstalter (der Hochschule
und dort möglicherweise Personen aus der Verwaltung,
bei Prüfungen vor allem auch den Aufsichtsführenden)
durch die Bildübertragung einen gewissen Einblick in
die räumliche Privatsphäre aller mit Bild Zugeschalteten.
Darüber hinaus hat das Unternehmen, das die entsprechende
Konferenztechnik anbietet und die technische
Plattform dafür zur Verfügung stellt, potentiell Zugriff
auf die dabei generierten Daten (Teilnehmer- oder
zumindest Endgerätidentifizierung, Bilder, ggf. sogar
Gesprächsinhalt). Unter beiden Aspekten stellen sich
Probleme des Datenschutzes. Vor allem aber das Risiko
des unkontrollierten Datenabflusses an den Dienstleister
ist massiv in die Kritik geraten, ganz besonders bei dem
US-amerikanischen Anbieter „Zoom“ angesichts einiger
dort im März/April 2020 aufgedeckter Mängel.
Allerdings ist der Blickwinkel der einschlägigen EUDatenschutzgrundverordnung
(DSGVO) mit dem zugrundeliegenden
EU-Primärrecht keineswegs einseitig
allein auf die Datensparsamkeit ausgerichtet, wie einige
Datenschutzbehörden glauben machen wollen. Der freie
Datenverkehr fungiert in Art. 1 Abs. DSGVO als weiteres
(wenngleich nicht voll gleichberechtigtes) Ziel neben
dem Schutz personenbezogener Daten.41 Dieser Dualis1
4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
42 Vgl. aus deutschem Blickwinkel etwa Masing, Herausforderungen
des Datenschutzes, NJW 2012, 2003, 2306 f.; Bäcker, Grundrechtlicher
Informationsschutz gegen Private, Der Staat 51 (2012), 91,
100.
43 BVerfGE 65, 1.
44 So etwa Buchner/Kühling, in: Kühling/Buchner (Hrsg.), DSGVO/
BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 7 Rn. 19; Krönke, Datenpaternalismus,
Der Staat 55 (2016) S. 319, 342 ff.
45 Gegen eine Orientierung am deutschen Konzept mit Hinweis
auf die Entstehungsgeschichte Kranenberg, in: Peers/Hervey/
Kenner/Ward (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights,
2014, Art. 8 Rn. 08.25, Marsch, Das europäische Datenschutzgrundrecht,
2018, S. 74 f; gegen eine simple Übertragung des
deutschen Datenschutzverständnisses auch Albers, Umgang mit
personenbezogenen Informationen und Daten, in: Hoffmann-
Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des
Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2012, § 22 Rn. 45; für eine
verhaltensökonomische Fundierung ferner eingehend Gebhardi,
„Nudging“ – Verhaltensökonomisch informierte Steuerungsinstrumente
im deutschen Verwaltungsrecht (in Vorbereitung).
46 Ansprache v. 18.3.2020 (https://www.bundesregierung.de/bregde/
themen/coronavirus/ansprache-der-kanzlerin-1732108).
47 Zur Genese eingehend Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, 2020,
S. 25 ff.
48 Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, S. 11 u. 19 f.; Heller,
Staatslehre, 1934, S. 255.
49 Z.B. Isensee, Normalfall oder Grenzfall als Ausgangspunkt
rechtsphilosophischer Konstruktion? in: Brugger/Haverkate
(Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie,
ARSP Beiheft Nr. 84, 2002, S. 58, 65; S. Augsberg, Denken vom
Ausnahmezustand her. Über die Unzulässigkeit der anormalen
Konstruktion und Deskonstruktion des Normativen, in: Arndt et
al. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 28 ff.
50 Paradigmatisch Lübbe-Wolff, Rechtsstaat und Ausnahmerecht,
ZParl 11 (1980), S. 110, S. 117 ff.
51 Kaiser (Fn. 47), S. 112 ff., stellt die beiden Positionen als Exklusions-
versus Inklusionsthese gegenüber und plädiert selbst für
eine „modifizierte Inklusion“.
52 Auf eine Generalermächtigung setzend K. Hesse, Ausnahmezustand
und Grundgesetz, DÖV 1955, 741, 744; ders., Grundfragen
einer verfassungsmäßigen Normierung des Ausnahmezustands,
JZ 1960, 105 ff.; mit anderer Akzentuierung Böckenförde, Der
verdrängte Ausnahmezustand, NJW 1978, 1881 ff.
53 Die allgemeine Problemlage in der Covid 19-Krise kommt
allerdings der Diskussion um ein „Ausnahmeverfassungsrecht“
(Kaiser) strukturell näher, weil insoweit klassische Freiheitsrechte
(namentlich die Versammlungsfreiheit und die Berufsfreiheit,
aber auch die allgemeine Fortbewegungsfreiheit) zugunsten des
Großen und Ganzen in Gestalt des allgemeinen Gesundheitsschutzes
massiv zurückgedrängt werden.
mus der Ziele spiegelt sich auch im Regelungsauftrag an
die europäische Gesetzgebung in
Art. 16 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV wider. Das Verbotsprinzip
(Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 DSGVO) ist zusammen mit
den verschiedenen möglichen Rechtfertigungsgründen
für eine Erhebung und Verarbeitung personenbezogener
Daten (Art. 6 Abs. 1 DSGVO auf der Basis von
Art. 8 Abs. 1 bzw. 2 GrCh) so zu lesen, dass eine Balance
zwischen dem Schutz persönlicher Daten vor unbefugter
Verwendung und dem Interesse der Einzelnen wie des
Geschäftsverkehrs an den Vorteilen der Datenverarbeitung
geschaffen werden soll. Die gesetzliche Regelungstechnik
darf – jedenfalls zwischen Privaten – nicht dahingehend
überinterpretiert werden, als müsse die
rechtstechnische Regel des Verbots der Verarbeitung
personenbezogener Daten auch quantitativ der Normalfall
und die Rechtfertigung die seltenere Ausnahme bleiben.
42 Dies gilt unabhängig von der umstrittenen und
hier nicht zu klärenden Frage, ob in die europäischen
Regelungen die deutsche Sichtweise der informationellen
Selbstbestimmung im Sinne des Volkszählungsurteils43
hineininterpretiert werden kann44 oder eine stärker
objektive, auf die Herstellung eines funktionsfähigen
Marktes für Datenverarbeitung ausgerichtete Lesart45 zu
bevorzugen ist. - Relativierung des Datenschutzes in der „Ausnahmelage“?
Die deutsche Kanzlerin nannte die Corona-Krise die
größte Herausforderung für Deutschland seit dem zweiten
Weltkrieg;46 in anderen Staaten wurde sogar die
Kriegsrhetorik bemüht. Vor diesem Hintergrund scheint
es nahe zu liegen, die Sentenz „Not kennt kein Gebot“47
zu bemühen und das Datenschutzrecht kurzerhand für
nachrangig zu erklären, sofern es einer effektiven Krisenbewältigung
in der Ausbildung im Wege zu stehen
scheint.
Ein solches Argumentationsmuster lässt sich –
scheinbar – auf die bekannten staatsrechtlichen und
-theoretischen Überlegungen zur Rechtsbindung im
Ausnahmezustand zurückführen. Die These, Rechtsbindung
(Normativität) setze faktische Normalität voraus,
fand sich besonders prominent bei Carl Schmitt, wurde
aber auch von dessen Antipode Hermann Heller übernommen.
48 Solchermaßen gleichsam entdämonisiert
durchzieht eine derartige oder jedenfalls ähnliche Argumentation
auch Teile der heutigen Staatsrechtslehre.49
Andere wollen den Ausnahmezustand deshalb ungeregelt
lassen, weil darauf zugeschnittene Rechtsregeln einen
falschen Anreiz zu deren Nutzung setzen könnten;
ohne Regelung seien die Hemmungen größer, Notstandsbefugnisse
in Anspruch zu nehmen.50 Dem gegenüber
steht die Gegenthese,51 der Ausnahmezustand müsse
soweit wie möglich durch Verrechtlichung gezähmt
werden,52 wie es das Grundgesetz mit der Notstandsverfassung
versucht hat.
An dieser Stelle zeigt sich zugleich aber schon der
Unterschied zur Sicherung der Hochschulausbildung in
der heutigen Corona-Krise. Hier steht gerade nicht die
massive Ausweitung staatlicher Befugnisse zu Lasten der
Grundrechte als individuelle Abwehrechte in Rede. Es
werden in diesem speziellen Zusammenhang53 nicht der
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 4 5
54 Ein Vier-Schichtenmodell entwickelt Kaiser (Fn. 47), S. 65 f. Die
hier behandelten Probleme dürften in diesem Modell noch auf
der ersten Ebene, dem Recht der reinen Normallage mit mittelbarem
Krisenbezug, anzusiedeln sein.
55 Rückblickend zur Befugnis des Monarchen und seiner Verwaltung
zu „Dispensationen“ G. Meyer, Deutsches Staatsrecht, 6.
Aufl. 1905, S. 652 m.w.N. in dortiger Fn. 11, der diese Lehre
aber bereits als überholt bezeichnet; gegen solche (kaiserlichen)
Dispensationen auch Laband, Das Staatsrecht des Deutschen
Reichs, Zweiter Band, 2. Aufl. 1891, S. 1031; vgl. aber auch v.d.
Mosel, Handwörterbuch des Sächsischen Verwaltungsrechts, 12.
Aufl. 1912, Stichwort „Ausnahmebewilligung (Dispensation)“. Bei
der Behandlung der Herrschaft des Gesetzes und des Gesetzesvorrangs
durch O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl.
1924 (Nachdruck 2004), S. 64 ff. taucht eine solche Relativierung
bereits nicht mehr auf.
56 Ähnlich allgemein Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/P.
Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl.
2004, § 26 Rn. 60.
57 Zu Möglichkeiten und Grenzen als rechtstechnisches Instrument
der Ausnahmebildung allgemein Kaiser (Fn. 47), S. 48.
Fortbestand des Staates und die staatliche Schutzpflicht
für das Leben und die Gesundheit seiner Bürger gegen
die individuellen Freiheiten in Stellung gebracht. Vielmehr
geht es, gleichsam mehrere Stufen „tiefer“, um den
Schutz von Entfaltungsmöglichkeiten der Studierenden
durch und in der Hochschulausbildung im Spannungsverhältnis
zu ihren grundrechtlich fundierten Datenschutzinteressen.
Man ruft nicht nach dem Leviathan,
sondern nach dem Kollisionslagen schlichtenden Staat,
der (hier besonders in Gestalt der Datenschutzbehörden),
wie so oft auch in der Normalsituation, verschiedene
verfassungsrechtlich geschützte Belange im Sinne
praktischer Konkordanz zum Ausgleich bringen muss.
Dies wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass staatliche
wie private Hochschulen gleichermaßen betroffen
sind. Insoweit ist eine andere Rechtsschicht54 betroffen
als in der klassischen Auseinandersetzung über die juristische
Bewältigung des Ausnahmezustands.
Eher könnte man an Überlegungen aus der Frühphase
des Verwaltungsrechts anknüpfen, wonach in das –
damals spärliche – Gesetzesrecht nach Sinn und Zweck
eine mehr oder minder weite „Dispensations“-Ermächtigung
im Ausnahmefall hineinzulesen sei.55 Allerdings
ist das heutige (Verwaltungs-)Recht weitaus dichter geknüpft
als das aufkommende Verwaltungsrecht des späten - und frühen 19. Jahrhunderts (vom Wegfall der
monarchischen Prärogative ganz abgesehen), so dass
eine Lückenfüllung durch die Konstruktion immanenter
Abweichungsbefugnisse in atypischen Fällen nicht mehr
gleichermaßen benötigt wird. Vielmehr ist es ein Gebot
des Rechtsstaates, solche Ausnahmelagen jedenfalls unterhalb
des „echten“ Ausnahmezustands gesetzesimmanent
– und dies heißt: mit Mitteln der Gesetzesauslegung
– zu bewältigen. Auch unter Art. 20 Abs. 3 GG enthalten
Gesetze oftmals offene oder versteckte Konkretisierungsspielräume;
unbestimmte Gesetzesbegriffe und offene
Ermessensklauseln sollen nicht zuletzt eine „situationsgeleitete“
– und das kann auch bedeuten: eine besondere
Krisenlage berücksichtigende – Handhabung
ermöglichen.56
Für das Datenschutzrecht bei der Online-Hochschullehre
in der Krisenzeit bedeutet dies: Es ist primär danach
zu suchen, wo die einschlägige DSGVO durch unbestimmte
Rechtsbegriffe und Abwägungsklauseln selbst
schon Wertungsspielräume enthält, die zur Berücksichtigung
der besonderen Lage genutzt werden können.
Darüber hinaus lässt sich auch an eine teleologische Reduktion57
weitreichender Datenschutzanforderungen
denken, wenn und soweit dies nicht mit pauschaler Krisenrhetorik,
sondern methodisch diszipliniert begründbar
erscheint. Bei näherem Hinsehen erweist sich das
Datenschutzrecht als flexibler, als es bislang manchmal
den Anschein hatte. Dies gilt ganz besonders vor dem
bereits betonten Hintergrund, dass die DSGVO ohnehin
schon auf einen schonenden Ausgleich zwischen Datenschutz-
und legitimen Datenverarbeitungsinteressen –
beides Ausdruck grundrechtlicher Freiheit – angelegt ist.
Zugleich ist aber darauf zu achten, dass nach einer Rückkehr
zur Normallage die „klassischen“ Datenschutzbelange
in allfälligen Abwägungen wieder an Gewicht
gewinnen können. Nicht alles, was in der Krise zulässig
ist, wird es auch später sein. - Beschränkte Wertungsoffenheit der EU-Datenschutz-
Grundverordnung
In der Analyse sind auf mehreren Ebenen verschiedene
Konstellationen und Konfliktfelder zu unterscheiden.
Erstens können die Privatsphäre und der Datenschutz
der Studierenden sowohl durch die Hochschule selbst
bei ihrer Nutzung einer Plattform wie „Zoom“ als auch
durch den Plattformbetreiber beeinträchtigt werden.
Geht es um den Missbrauch der generierten Daten durch
den Betreiber der Videoplattform (die zweitgenannte
Konstellation), so stellt sich die Frage, inwieweit die das
Konferenzsystem nutzende Hochschule dafür datenschutzrechtlich
überhaupt verantwortlich gemacht werden
kann. Auf einer zweiten Ebene muss jeweils danach
differenziert werden, ob eine Videokonferenzplattform
zu Lehr- oder aber zu Prüfungsüberwachungszwecken
genutzt wird. Bei diesen beiden Nutzungsarten kommen
auch unterschiedliche Rechtfertigungen der Datenerhebung
und ‑verarbeitung in Betracht.
1 4 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
58 Universität Kassel (Roßnagel), Zoom und Datenschutz (3.4.2020),
S. 1 (https://www.uni-kassel.de/einrichtung/index.php?eID=dum
pFile&t=f&f=1145&token=7c30ea4e2f93a4e489ed576abe99052
31536b453); Lukaß, Videochats & Datenschutz – Heute: „Zoom“
(https://www.datenschutz-notizen.de/videochats-datenschutzheute-
zoom-4325330/); Stoklas, Datenschutz in Zeiten von
Corona, ZD-Aktuell 2020, 07093; in der Tendenz allgemein für
„Platform as a Service“, dabei jedoch die Wertungsbedürftigkeit
im Einzelfall betonend, Petri, in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 28 Rn.
16.
59 Ganz allgemein zur schwierigen Abgrenzung Petri, in: Simitis et
al. (Fn. 41), Art. 4 Nr. 8 Rn. 1.
60 Vgl. Petri, in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 28 Rn. 3; einen
„gewissen[n] Spielraum“ zuerkennend, sofern rechtliche und tatsächliche
Einflussmöglichkeiten bestehen, Hartung, in: Kühling/
Buchner (Fn. 44), Art. 28 Rn. 30
a) Erstes Konfliktfeld: Verletzung der Privatsphäre der
Studierenden durch die Hochschule mittels der Videokonferenzplattform
aa) Fall der Auftragsdatenverarbeitung
Aus Sicht der Hochschule wird regelmäßig eine Auftragsverarbeitung
(wenig aussagekräftig definiert in
Art. 4 Nr. 8 DSGVO) angenommen.58 Der Videokonferenzanbieter
(z.B. „Zoom“) verarbeitet die Daten für den
Konferenzveranstalter. Bei Prüfungen oder Lehrveranstaltungen
ist dies die Hochschule, die demnach als Auftraggeber
datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist. Die
Hochschule treffen über die allgemeinen Anforderungen
des Art. 24 DSGVO hinaus auch die besonderen Verpflichtungen
des Art. 28 DSGVO. Insbesondere muss
eine Vereinbarung über die Auftragsdatenverarbeitung
abgeschlossen werden. Ganz eindeutig ist die Abgrenzung
zu sonstigen Formen von Funktionenübertragung
auf einen Dritten und zu einer gemeinsamen Verantwortung
(Art. 26 DSGVO) freilich nicht.59 Denn die Auftragsverarbeitung
geht idealiter davon aus, dass dem
Auftragnehmer kaum mehr Spielraum bei der Aufgabenerfüllung
bleibt und er voll weisungsabhängig ist.60
Das wird man bei einem Videokonferenzplattformanbieter
mit oftmals zusätzlichem, auf eigener weiterer
Datenverarbeitung basierendem Geschäftsmodell nicht
pauschal bejahen können. Dennoch bleibt die Einordnung
als Auftragsverarbeitung im Ergebnis überzeugend,
weil sich, wie noch darzulegen, zwischen der Abwicklung
der Konferenz und eventueller zusätzlicher eigeninteressierter
Datenverarbeitung durch den Plattformbetreiber
trennen lässt. Im Übrigen würde eine
andere Einordnung an der datenschutzrechtlichen Verantwortung
der Hochschule im Hinblick auf deren Datenverarbeitung
nach Art. 24 DSGVO nichts ändern.
bb) Betroffene personenbezogene Daten
Bei der Videokonferenz werden nicht nur die Namen der
beteiligten Studierenden angezeigt und ihre Gesichter
abgebildet, sondern gegebenenfalls ist auch ein räumlicher
Hintergrund aus ihrer häuslichen Privatsphäre
sichtbar. All dies sind geschützte personenbezogene
Daten, deren Erhebung und gegebenenfalls Weiterverarbeitung
einer Rechtfertigung nach Art. 6 DSGVO bedarf.
Allerdings ist spätestens bei der Bestimmung der Schwere
der Beeinträchtigung, wenn nicht schon bei der Frage
der Beeinträchtigung als solcher, zu berücksichtigen,
dass Gesicht und möglicherweise auch Identität der Studierenden
für den Dozenten und die beteiligten Kommilitonen
auch bei Präsenzveranstaltungen offenliegen, die
Umstellung auf Online-Lehre oder ‑Prüfung insoweit
also keinen oder kaum einen Unterschied macht. Onlinetypisch
ist demgegenüber der Einblick in die räumliche
Privatsphäre. Bei Lehrveranstaltungen kann dies jedoch
durch die Teilnahme ohne Bild oder – sofern mit dem
eigenen Endgerät technisch möglich – die Nutzung eines
virtuellen Hintergrundes vermieden werden. Bei Online-
Prüfungsaufsicht ist dieser Selbstschutz dagegen nicht
möglich, weil der räumliche Einblick zur Reduzierung
der Täuschungsmöglichkeiten und damit für den Aufsichtszweck
zwingend notwendig ist.
Zu einem deutlich stärkeren Eingriff in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung kommt es, wenn die
Videokonferenz aufgezeichnet wird. Dies ist jedoch weder
bei Online-Lehrveranstaltungen noch bei der Online-
Prüfungsaufsicht notwendig. Will man den Studierenden
eine Vorlesungs-„Konserve“ zum beliebigen
„Nachhören“ zur Verfügung stellen, so ist eine bloße
Aufzeichnung des Dozentenvortrags ohne studentische
(Diskussions-)Beiträge datenschutzrechtlich vorzugswürdig,
denn dazu ist nur die Einwilligung des Dozenten
erforderlich.
cc) Rechtfertigungstatbestände
Die möglichen Rechtfertigungsgründe für die Datenverarbeitung
im Auftrag der Hochschule sind in
Art. 6 Abs. 1 DSGVO aufgelistet. Primär ist an eine Einwilligung
(definiert in Art. 4 Nr. 11 DSGVO) der Studierenden
zu denken (lit. a), wobei sich nähere Anforderungen
an eine solche Einwilligung aus Art. 7 DSGVO
(insb. Abs. 4) ergeben. Daneben kommt aber im Lichte
des gesetzlichen Lehr- und Ausbildungsauftrags der
Hochschulen auch die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen
Rechtspflicht (lit. e) als Rechtfertigungsgrund in
Betracht; hilfsweise ist auch an das öffentliche Interesse
im Sinne von lit. f zu denken. Dabei muss zwischen der
Nutzung einer Videokonferenzplattform zur PrüfungsFehling
· Reine Online-Hochschullehre 1 4 7
aufsicht und zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen
(Vorlesungen und Seminare, ggf. auch Übungen) unterschieden
werden
(1) Für die Prüfungsaufsicht über „Zoom“ an der Bucerius
Law School hatte die Hamburger Datenschutzbehörde
behauptet, eine Einwilligung der Prüflinge scheide
bereits mangels Freiwilligkeit aus. Diese Rechtsauffassung
basiert jedoch auf falschen rechtlichen Vorstellungen
von Freiwilligkeit im Datenschutzrecht. Generell
lässt sich nicht mehr von Freiwilligkeit sprechen, wenn
eine der Parteien eine solche Übermacht besitzt, dass sie
die (Vertrags-)Bedingungen faktisch einseitig diktieren
kann.61 Im Verhältnis zwischen Hochschule und Studierenden
besteht ein massives Machtgefälle zwar bei Prüfungen
generell, aber nicht speziell bei der hier zu treffenden
Entscheidung, wann und unter welchen Bedingungen
die Prüfung abgelegt wird. Letztlich wird der
Rechtskreis der Studierenden durch die Möglichkeit, die
Prüfung zum Normaltermin über die Videokonferenzplattform
(hier: „Zoom“) zu absolvieren, gegenüber der
einzig realistischen Alternative – alle müssten wegen der
Schließung der Hochschulen später mit Doppelbelastung
nachschreiben – nur erweitert. Die zu Prüfenden
erhalten die zusätzliche Option, eigenverantwortlich abwägen
zu können, ob sie den Eingriff in ihre Privatsphäre
durch diese Klausuraufsicht für weniger belastend erachten
als die spätere Zusatzbelastung durch nachzuholende
Klausuren. Zwar ist es für die Studierenden zweifelsohne
ein gewisser Nachteil, wenn sie Klausuren
mangels Einwilligung in das Zoom-Verfahren später im
Hörsaal nachschreiben müssen, weil dadurch im folgenden
Trimester eine Doppelbelastung entsteht. Freiwilligkeit
bedeutet jedoch nicht, dass die Verweigerung der
Einwilligung keinerlei Nachteile mit sich bringen darf.
Im Gegenteil: Man willigt gerade ein, weil man sich davon
einen Vorteil verspricht. Dementsprechend ist anerkannt,
dass der Nachteil, einen Dienst nicht nutzen zu
können, die Freiwilligkeit der Einwilligung als solche
nicht infrage stellt. Das Koppelungsverbot des
Art. 7 Abs. 4 DSGVO ist sehr schwach formuliert; 62 es
fordert nur, dem Umstand in größtmöglichem Umfang
Rechnung zu tragen, ob die Erbringung einer Dienstleistung
von der Einwilligung zu einer Verarbeitung von
personenbezogenen Daten abhängig gemacht wird, die
für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind.
Dieser Maßstab stellt die Freiwilligkeit der Einwilligung
jedenfalls dann nicht in Frage, wenn und soweit eine zumutbare
Alternative besteht und kein massives Machtgefälle
eine autonome Entscheidung faktisch ausschließt.
Freiwilligkeit setzt allerdings hinreichende Informiertheit
voraus. Die Hochschule als Verantwortlicher
muss deshalb über Art und Umfang der im Zuge der
Prüfungsaufsicht beabsichtigten eigenen Auftragsdatenverarbeitung
hinreichend und klar verständlich
belehren.63
(2) Auf die Teilnahme an „Zoom“-Lehrveranstaltungen
lässt sich die obige Argumentation zur Freiwilligkeit
einer Einwilligung der Studierenden nicht ohne weiteres
übertragen. Dies wäre allenfalls der Fall, wenn es konkret
die Alternative gibt, die gleiche Vorlesung oder das
gleiche Seminar sofort nach Ende der Krise unter normalen
Bedingungen nachholen zu können. Das wird
keineswegs immer möglich sein; oftmals werden Veranstaltungen
nur in einem längeren (jährlichen) Turnus
wiederholt und dies jedenfalls bei Seminaren nicht notwendig
mit genau derselben Ausrichtung.
Deshalb kommt es insoweit verstärkt auf die anderen
Rechtfertigungsmöglichkeiten an. In Vordergrund steht
die Erfüllung des hochschulgesetzlichen Ausbildungsauftrags
im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. e DSGVO. Dies erfasst
auch staatlich anerkannte private Hochschulen, unabhängig
davon, ob man schon in deren Anerkennung
eine Beleihung sieht.64 Außerdem dürfte auch lit. f einschlägig
sein, weil die Datenverarbeitung zur Wahrung
der berechtigten Interessen des Verantwortlichen (der
Hochschule als zur juristischen Ausbildung Berechtigten)
oder auch eines Dritten (den Studierenden, um ihnen
das Ablegen der Pflicht-Prüfungen im normalen
61 Klement, in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 7 Rn. 54 ff.; Buchner/Kühling,
in: Kühling/Buchner (Fn. 44), Art. 7 Rn. 46, 53; es besteht
eine enge Verwandtschaft zur Verfassungsrechtsprechung über
eine massiv asymmetrische Verhandlungsposition (vgl. BVerfG
JZ 2007, 576 [577]).
62 Eingehend dazu etwa Klement, in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 7
Rn. 58 ff.; vgl. auch Buchner/Kühling, in: Kühling/Buchner (Fn.
44), Art. 7 Rn. 42 ff.
63 Allgemein zum Spannungsverhältnis zwischen Vollständigkeit
und Verständlichkeit bei der Pflicht des Verantwortlichen, die erforderlichen
Informationen bereitzustellen, Klement, in: Simitis et
al. (Fn. 41), Art. 7 Rn. 74 ff.; Buchner/Kühling, in: Kühling/Buchner
(Fn. 44), Art. 7 Rn. 60; skeptischer gegenüber der Freiwilligkeit
Hoeren, Gutachten zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit
von Überwachungsfunktionen bei Online-Klausuren, 2020. S. 10
ff.
64 Die Hamburger Datenschutzbehörde zieht insoweit gegenüber
der Bucerius Law School fälschlicherweise (fast) ausschließlich
Art.6 Abs. 1 lit. b DSGVO in Betracht: Die Verarbeitung der
Daten sei erforderlich für die Erfüllung eines Vertrags, hier in
Gestalt der Studienverträge der Studierenden mit der Hochschule.
Dies vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass die Bucerius Law
School eine staatlich als gleichwertig anerkannte wissenschaftliche
Hochschule ist, die die Studierenden ebenso zum Ersten Examen
führt wie die staatlichen Universitäten.
1 4 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
Zeitplan zu ermöglichen) erforderlich erscheint – sofern
nicht die Interessen oder Grundrechte der betroffenen
Person (der Prüflinge), die den Schutz personenbezogener
Daten erfordern, überwiegen, was im Anschluss geprüft
wird.
dd) Erforderlichkeit der Datenverarbeitung
Nach allen genannten Rechtfertigungsgründen des
Art. 6 Abs. 1 DSGVO muss die Datennutzung im konkreten
Fall für den jeweils genannten legitimen Zweck
„erforderlich“ sein; außerdem trifft den Verantwortlichen
ganz allgemein die Pflicht zur Datenminimierung
(Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO). Im Schrifttum ist darüber
hinaus auch von der Notwendigkeit eines angemessenen
Interessenausgleichs die Rede.65 Damit werden allgemeine
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit rezipiert. Der
dabei eröffnete Abwägungsspielraum muss, wie allgemein
bei der Gesetzesauslegung und ‑anwendung, situationsangemessen
gefüllt werden. Hier liegt der rechtsdogmatische
Schlüssel für die angemessene Berücksichtigung
der Ausnahmelage.66 In der Krise kann der
Einsatz von Videokonferenz-Plattformen u.Ä. zur Aufrechterhaltung
interaktiver Lehre notwendig sein, auch
wenn solche Techniken bei den derzeit am Markt befindlichen
Anbietern datenschutzrechtlich deutlich suboptimal
bleiben, so dass deren Einsatz auf längere Sicht,
außerhalb der Krise, bedenklich erschiene. Wenn schnell
gehandelt werden muss, ist es weit weniger möglich und
zumutbar, zunächst aufwendig nach der datenschutzfreundlichsten
Lösung zu suchen oder gar eigene technische
Systeme zu entwickeln; längerfristig wird dies dagegen
notwendig sein, wenn man solche Tools auch nach
der Pandemie dauerhaft (wenn auch in deutlich reduziertem
Umfang, da nur noch die Präsenzlehre ergänzend)
nutzen wollte.
Es besteht ein hohes Interesse daran, das Bildungswesen
so weit wie möglich gerade im Interesse der Studierenden
(kaum anders als bei den Schülern) im derzeitigen
Ausnahmezustand aufrecht zu erhalten; auch aus
psychologischen Gründen. Neben der allgegenwärtigen
Angst vor potentiellem Massensterben (und sei es auch
„nur“ bei Angehörigen und Freunden aus sog. „Risikogruppen“)
sollte nicht noch die weitere Sorge treten müssen,
für das zukünftige Studium zusätzliche Prüfungslasten
aufzuhäufen bzw. das Studium kostenträchtig deutlich
verlängern zu müssen.
(1) Bei der „Zoom“-Klausuraufsicht will die Hamburger
Datenschutzbehörde fälschlicherweise bereits die
Eignung zur Unterbindung von Täuschungsversuchen
verneinen. Zwar ist es richtig, dass die Aufsichten den
Bildschirm der Klausurbearbeiter/-innen nicht einsehen
und damit verbundene Täuschungsmöglichkeiten nicht
enttarnen konnten. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt
die Geeignetheit jedoch nicht voraus, dass das Ziel immer
und im vollen Umfang erreicht wird; es genügt,
wenn man dem Ziel substantiell näher kommt, es also
teilweise erreicht.67 Durch die „Zoom“-Klausuraufsicht
kann zumindest sichergestellt werden, dass sich nicht
mehrere Personen zusammen im jeweiligen Raum mit
der Klausur beschäftigen. Dies reduziert die Täuschungsmöglichkeiten
spürbar. Psychologisch wird so jedenfalls
ansatzweise eine ernsthafte Prüfungsatmosphäre gesichert,
wenn auch weniger als bei einer Präsenzprüfung.
Eine deutliche Ankündigung der Sanktionierung von
Täuschungsversuchen kann und muss hinzukommen,
ist aber entgegen den Ausführungen der Datenschutzbehörde
allein keine gleich geeignete, die Erforderlichkeit
der „Zoom“-Aufsicht in Frage stellende Alternative.
Angesichts des zugegebenermaßen begrenzten Nutzens
dieser Aufsicht stellt sich freilich hier mit besonderer
Schärfe die weitere Frage, ob dieser Nutzen die „Kosten“
für die Privatsphäre der Prüfungsteilnehmer/-innen
in der Abwägung rechtfertigen kann. Doch auch der
Eingriff in die Privatsphäre bleibt relativ gering. Denn
fast jede® kann sich in seinen/ihren Räumlichkeiten bei
der Klausur am Laptop (der Normalfall bei den Studierenden)
so platzieren, dass nicht allzu viel von ihren/seinen
räumlichen Privatsphäre sichtbar ist. Damit erscheint
der Einsatz diese Technik zur Prüfungsüberwachung
jedenfalls dann vertretbar, wenn den Studierenden
die freie Wahl bleibt, stattdessen später unter
gleichen Prüfungsbedingungen im Hörsaal
nachzuschreiben.
Sobald die Hochschulen wieder (zumindest für Prüfungen)
geöffnet sind, dürfte dagegen eine Online-Klausuraufsicht
mit Einblick in das häusliche Umfeld der zu
Prüfenden regelmäßig unzulässig sein, da dann ohne
Zeitverlust die datenschutzfreundlichere Präsenzprüfung
möglich ist.
65 Buchner/Kühling, in: Kühling/Buchner (Fn. 44), Art. 7 Rn. 54;
Hoeren (Fn. 63), S. 33.
66 Von der Hamburger Datenschutzbehörde wurde dies im Anhörungsverfahren
zur Zoom Klausuraufsicht komplett ignoriert,
obwohl diese Behörde die Ausnahmelage doch in einer früheren
allgemeineren Handreichung (im Internet nicht mehr verfügbar,
nunmehr ersetzt durch eine neue Version unter https://
datenschutz-hamburg.de/pages/corona-faq), noch zur Kenntnis
genommen hatte ebenfalls eher zurückhaltend hinsichtlich der
Ausnahmelage im Rahmen der Abwägung Hoeren (Fn 63), S. 27
ff.
67 Siehe etwa BVerfGE 30, 292 (316); 115, 276 (308); Manssen,
Staatsrecht II, 17. Aufl. 2020, Rn. 209 für die konkrete Konstallation
grundsätzlich auch Hoeren (Fn. 63), S. 26 f.
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 4 9
(2) Für Lehrveranstaltungen ist der Einsatz einer (bestimmten)
Videokonferenztechnik geeignet und erforderlich,
wenn es keine (auch in der Bedienung) zumutbare
technische Alternative gibt, mit der auch größere
Gruppen während der Corona-Ausnahmelage online interaktiv
(mit der Möglichkeit, sich zu melden und aufgerufen
zu werden) unterrichtet werden können. Grundsätzlich
ist zwar nur die datenschutzfreundlichste Lösung
„erforderlich“, doch die Anforderungen an die Suche
und die Optimierung dürfen dabei in der Krise und
unter großem Zeitdruck, wie bereits betont, nicht überspannt
werden. Ein Ausweichen auf rein asynchrone Angebote
(Podcasts u.Ä.) ist nicht gleichermaßen geeignet,
selbst wenn über die Möglichkeit von schriftlichen
Nachfragen (per Mail oder auf einer entsprechenden
Plattform) zeitversetzt eine gewisse Interaktvität möglich
ist. Denn damit lässt sich lernpsychologisch die direkte
Interaktion und die dadurch geschaffene größere
Aufmerksamkeit nicht ersetzen; auch in Podcasts o.Ä,
eingebaute (Multiple-Choice-) Fragen bieten nur einen
äußerst unvollkommenen Ersatz für individuelle Nachfragen
und Diskussionsmöglichkeiten.
Der Eingriff in die Privatsphäre ist bei solchen Online-
Lehrveranstaltungen noch deutlich geringer als bei
der Prüfungsüberwachung. Denn den Studierenden
bleiben bei virtuellen Vorlesungen, Übungen oder Seminaren
zwei zusätzliche und damit insgesamt drei Schutzmöglichkeiten:
Sie können nicht nur – wie bei den Klausuren
– einen möglichst neutralen realen (Zimmer-)
Hintergrund wählen, sondern können zweitens, soweit
mit ihren Endgeräten technisch möglich, auf einen virtuellen
Hintergrund ausweichen (was bei den Klausuren
zwecks Täuschungserschwerung nicht erlaubt war).
Drittens schließlich können die Studierenden ganz ohne
Bild, allein mit Anzeige ihres Namens, teilnehmen. Die
Möglichkeit, sich elektronisch zu melden oder auch vom
Lehrenden aufgerufen zu werden, bleibt – jedenfalls bei
„Zoom“ – auch ohne Bild mittels Namensanzeige erhalten.
In der Abwägung überwiegt deutlich das krisenspezifische
Interesse an der Aufrechterhaltung eines der
Präsenzlehre möglichst angenäherten Lehrbetriebs.
Auf die Normallage lässt sich diese Argumentation
allerdings nicht übertragen. Geht es nur um die Ergänzung
interaktiver Präsenz-Lehrveranstaltungen, werden
asynchrone Angebote regelmäßig ausreichen. Anders
mag dies im Einzelfall aussehen, wenn, beispielsweise in
einem Online-Doktorandenseminar, Teilnehmer/-innen
aus verschiedenen Teilen der Welt eingebunden werden
sollen.
b) Zweites Konfliktfeld: Verantwortung der Hochschule
für potentiellen Missbrauch der generierten Daten
durch den Plattformbetreiber?
Weitaus mehr Gewicht besitzen Bedenken, Plattform-
Anbieter vor allem aus den USA könnten dort anfallende
Daten entgegen der eigenen Datenschutzerklärung
weiterverarbeiten (insb. speichern, an Dritte verkaufen
und übermitteln). Gerade bei „Zoom“ hatte man im
März 2020 insoweit Missstände aufgedeckt;68 das Unternehmen
hat allerdings zwischenzeitlich Verbesserungen
vorgenommen – ob in ausreichendem Umfang, darüber
wird gestritten.69
Aber auch gegenüber anderen Anbietern werden
mehr oder minder massive datenschutzrechtliche Bedenken
geäußert; 70 dies betrifft nicht nur Videokonferenzplattformen,
sondern auch Plattformen für schriftlichen
Austausch.71 Dass ein nicht zu unterschätzendes Risiko
des Daten-Missbrauchs besteht, wird zusätzlich dadurch
plausibel, dass der Daten-Weiterverkauf zum
typischen Geschäftsmodell von Online-Anbietern (vor
68 Siehe etwa Scheuer/Neuerer/K erkmann, Datenschützer warnen
vor Videochat-Software Zoom, Handelsblatt online v.
30.3.2020 (https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/
homeoffice-tool-datenschuetzer-warnen-vor-videochat-softwarezoom/
25694358.html?ticket=ST-5035650-ARFvUC4fOXDoecnrMn66-
ap2); Ries, Videokonferenz-Software: Ist Zoom ein
Sicherheitsalptraum?, heise online v. 2.4.2020 (https://www.heise.
de/security/meldung/Videokonferenz-Software-Ist-Zoom-ein-
Sicherheitsalptraum-4695000.html); vgl auch Universität Kassel
(Roßnagel), Zoom und Datenschutz (23.3.2020) (https://www.
uni-kassel.de/einrichtung/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=109
2&token=0568e4e5bd9f740baf69bf375411bb6c8bd2e37a).
69 Dazu Universität Kassel (Roßnagel), Zoom und Datenschutz
(3.4.2020) (Fn. 58); differenzierte Bewertung bei Hansen-Oest,
Hilfe…ist „Zoom“ etwa eine Datenschleuder? (https://www.
datenschutz-guru.de/zoom-ist-keine-datenschleuder/).
70 Siehe etwa die Kontroverse um die zwischenzeitlich von der
Berliner Datenschutzbeauftragten veröffentlichten Warnung auch
vor Skype und Microsoft Teams, Hurtz, Microsoft schickt bösen
Brief nach Berlin, sueddeutsche online v. 18.5.2020 (https://www.
sueddeutsche.de/digital/microsoft-teams-datenschutz-videokonferenz-
berlin‑1.4911940).
71 Vgl. etwa, auf Office 365 von Microsoft in Konkurrenz zur Open
Source-Software Moodle bezogen, Füller, Microsoft erobert
Schulen, taz v. 18.5.2020, S. 7.
1 5 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 3 7 — 1 5 4
72 Dieser Aspekt findet sich auch bei Universität Kassel (Roßnagel),
Zoom und Datenschutz (3.4.2020) (Fn. 58) – Eine behördliche
Nutzung von Zoom wurde gerade deshalb zwischenzeitlich
teilweise untersagt, Neuerer/Koch, Auswärtiges Amt untersagt
Nutzung von Zoom auf dienstlichen Geräten, Handelsblatt online
v. 8.4.2020 (https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/itsicherheit-
auswaertiges-amt-untersagt-nutzung-von-zoom-aufdienstlichen-
geraeten/25726922.html); Bergt, Bild an, Schutz aus,
taz v. 7.4.2020, S. 9.
73 Zu diesem sog. Marktortprinzip etwa Klar, in: Kühling/Buchner
(Fn. 44), Art. 3 insb. Rn. 54 f.
74 Vgl. Martini, in: Paal/Pauly (Hrsg.), DSGVO/BDSG, Kommentar, - Aufl. 2018, Art. 28 Rn. 76 f.; Spoerr, in: BeckOK
Datenschutzrecht, Stand 1.2.2020, Art. 28 Rn. 104 f.; Hartung,
in: Kühling/Buchner (Fn. 44), Art. 28 Rn. 103; auf eine Kompetenzüberschreitung
der eigenen Mitarbeiter des Unternehmens
bezogen Jung/Hansch, Die Verantwortlichkeit in der DSGVO
und ihre praktischen Auswirkungen. Hinweis zur Umsetzung im
Konzern- oder Unternehmensumfeld, ZD 2019, 143, 146.
75 In dieser Richtung noch für das BDSG a.F. Weichert, Informationstechnische
Arbeitsteilung und datenschutzrechtliche Verantwortung:
Plädoyer für eine Mitverantwortung bei der Verarbeitung
von Nutzungsdaten, ZD 2014, 605, 607 f.; zum Streitstand
im Zusammenhang mit der Auftragsdatenverarbeitung vgl. Petri,
in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 4 Rn. 7, 20; wenig klar etwa Ingold,
in: Sydow, DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art. 26 Rn. 4, 24 ff.
allem, aber keineswegs nur von sozialen Netzwerken wie
Facebook und Suchmaschinen wie Google) gehört. Hinzu
kommt bei Unternehmen aus den USA die ebenfalls
naheliegende Sorge, auch die dortigen Geheimdienste
hätten prinzipiell Zugriff auf die im Zuge der digitalen
Lehre generierten Daten.72
Soweit Daten, wie hier bei der Nutzung zu Zwecken
der Hochschullehre, im Rahmen der Tätigkeit einer europäischen
Niederlassung mit Wirkung für die europäischen
Nutzer – (in Gestalt einiger der deutschen Hochschulen
und deren Studierender) generiert werden, ist
die DSGVO nach deren Art. 3 auch dann anwendbar,
wenn die Daten außerhalb Europas (weiter)verarbeitet
werden.73 Die Frage ist aber, ob neben dem Plattformanbieter
auch die nutzende Hochschule für einen etwaigen
Missbrauch der Daten in den USA nach der DSGVO
verantwortlich ist und dementsprechend gegebenenfalls
allein schon wegen der Nutzung einer solchen Plattform
eine Sanktion (Bußgeld) zu befürchten hätte.
aa) Keine umfassende Verantwortung der Hochschule
aufgrund Auftragsdatenverarbeitung
Teilweise versuchen die Datenschutzbehörden (u.a. in
Hamburg), eine Verantwortung der Hochschule auch
für solchen Missbrauch durch den Betreiber der (Videokonferenz-)
Plattform erneut auf die Auftragsverarbeitung
gemäß Art. 28 DSGVO zu stützen. Dagegen spricht
bei unbefangener Betrachtung jedoch schon die Definition
des Art. 4 Nr. 8 DSGVO. Nach allgemeinem Sprachgebrauch
wird der Plattformanbieter im „Auftrag“ der
Hochschule nur insoweit tätig, wie es um die Durchführung
der Videokonferenzen oder Klausuraufsicht geht,
nicht aber bei einer eventuellen darüber hinausgehenden
Datenverarbeitung und gegebenenfalls rechtswidrigen
Weiterleitung. Der Missbrauch der generierten
Daten überschreitet gerade den von der Hochschule
erteilten Auftrag; dafür kann nach allgemeinen privatrechtlichen
Grundsätzen nur der Plattformanbieter
selbst verantwortlich gemacht werden. Darauf deutet
auch Art. 28 Abs. 10 DSGVO (früher § 11 BDSG a.F.)
hin.74
Allerdings wird im datenschutzrechtlichen Schrifttum
teilweise behauptet, zwecks effektiven Datenschutzes
müsste dennoch auch der Auftraggeber eine (Mit-)
Verantwortung übernehmen, wenn und weil er sich eines
gleichsam unzuverlässigen Auftragnehmers bediene.
75 Ein Auftraggeber darf nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO
nämlich nur mit einem Auftragnehmer zusammenarbeiten,
der hinreichende Garantien für die Einhaltung der
datenschutzrechtlichen Vorschriften bietet. Im Sinne einer
absoluten Gewährleistungspflicht und kompletten
Verantwortungsübernahme kann diese Bestimmung jedoch
schon deshalb nicht verstanden werden, weil dies
dem Auftraggeber etwas Unmögliches abverlangen würde.
Der Auftragnehmer hat keinen Einblick in die unternehmensinternen
(Datenverarbeitungs-) Prozesse seines
Auftragnehmers (besonders, wenn dieser wie „Zoom“ in
den USA sitzt) und kann diesen deshalb in keiner Weise
effektiv kontrollieren, sondern muss sich auf dessen substantiierte
Datenschutzerklärung verlassen. Eine pauschale
Mitverantwortlichkeit des Auftraggebers für jeglichen
Missbrauch der generierten Daten durch den Auftragnehmer
würde zudem zu der untragbaren und auch
vom europäischen Gesetzgeber nicht intendierten Konsequenz
(im Lichte des noch zu erörternden „Privacy
Shields“) führen, dass US-amerikanische Plattformen
und Suchmaschinen im Verhältnis zu Dritten (Studierenden,
aber etwa auch Kunden) gar nicht mehr genutzt
werden dürften. Denn die hier gegenüber Videoplattform-
Betreibern wie namentlich „Zoom“ vorgebrachten
Bedenken sind struktureller Natur (man denke nur an
die vielen Datenschutz-Skandale bei Facebook) und
nicht auf einzelne Anbieter oder Verwendungskontexte
beschränkt.
Dementsprechend wird überwiegend zu Recht hervorgehoben,
dass Art. 28 DSGVO durchaus eine Differenzierung
zulässt, wenn kein einheitlicher Vorgang vorliegt,
der die Zerlegung der Datenverarbeitung in rechtFehling
· Reine Online-Hochschullehre 1 5 1
lich selbständige Teile ausschließt.76 Damit ist der Nutzer
(hier: die Hochschule) aufgrund einer Auftragsverarbeitung
nur bei dem intendierten Teil (hier: der Durchführung
der Videokonferenz zu Lehrzwecken oder zur Prüfungsaufsicht)
datenschutzrechtlich verantwortlich und
nicht für einen überschießenden Daten-Missbrauch
durch den Plattformbetreiber.77 Es handelt sich nämlich
um zwei unterschiedliche und problemlos zu trennende
Datenverarbeitungsvorgänge, wenn auch in Teilen auf
dieselben Daten (generiert bei der Videokonferenz)
bezogen.
Daran ändert auch die – noch zur alten, aber insoweit
wohl vergleichbaren Datenschutz-Richtlinie ergangene
– Fanpage-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
nichts. Dieser hatte bei einer nicht direkt vom Auftragsverhältnis
gedeckten Daten-Weiterverwendung
durch Facebook im Zusammenhang mit der „Fanpage“-
Seite eines hiesigen Unternehmens eine gemeinsame
Verantwortung angenommen. Dabei stützte sich das Gericht
jedoch wesentlich auf die Tatsache, dass das auftraggebende
Unternehmen selbst von der internen Datenverarbeitung
durch Facebook und den dafür gesetzten
Cookies profitierte, weil Facebook nur so die für die
Geschäftsoptimierung des Auftraggebers wichtigen Statistiken
u.Ä. erstellen konnte.78 Insoweit waren die Datenverarbeitung
für das Betreiben der Fanpage-Seite und
die weitere Datenverarbeitung durch Facebook in der
Tat nicht ohne weiteres trennbar. Bei einer zu Zwecken
der Lehre oder Prüfungsaufsicht genutzten Videokonferenzplattform
ist dies anders; dass Differenzierungsmöglichkeiten
bestehen, erkennt auch der Gerichtshof
an.79 Genau das ist hier der Fall: Die Hochschule und
ihre Studierenden haben keinerlei Nutzen davon, dass
der Plattformbetreiber die generierten Daten in den
USA zu ausschließlich eigenen kommerziellen Zwecken
weiterverarbeitet.
bb) Pflicht zur Wahl der datenschutzfreundlichsten
Alternative
Vor diesem Hintergrund müssen die Pflichten der Hochschule
als Auftraggeber aus Art. 28 Abs. 1 DSGVO enger
verstanden werden. Es besteht nur die Verpflichtung,
einen (Videokonferenz-)Dienst auszuwählen, bei dem
die Missbrauchsrisiken möglichst gering sind. Doch
bedarf es auch insoweit einer Verhältnismäßigkeits-
Abwägung. Ein besseres Leistungsangebot gerade für die
spezifischen Bedürfnisse der Hochschullehre und größere
Bedienungs-Freundlichkeit für Dozenten und Studierende
können ein etwas höheres Missbrauchsrisiko aufwiegen.
Erneut wird die Abwägung in der Krisensituation,
wo man auf entsprechend Lehr-Tools mehr oder minder
angewiesen ist und einen Anbieter unter Zeitdruck auswählen
muss, und in der Normallage tendenziell unterschiedlich
ausfallen können und müssen. Die Suche
nach eventuell datenschutzfreundlicheren technischen
Alternativen ist grundsätzlich wichtig, kann aber in der
Krise nur rudimentär stattfinden. Gegebenenfalls müssen
alle technischen Lösungen, die von der jeweiligen
Hochschule getestet oder auch nur erwogen wurden, der
Datenschutzbehörde minutiös dargelegt werden, auch
um den guten Willen zu Datensparsamkeit und Kooperation
zu demonstrieren. Diese Kooperationsbereitschaft
erhöht schon nach allgemeinen Grundsätzen80 die
Schwelle für eventuelle Sanktionen (hier vor allem Geldbußen,
Art. 83 DSGVO).
Umgekehrt ist aber die Datenschutzbehörde im Rahmen
ihrer allgemeinen Verpflichtung zu Auskunft und
Beratung (§ 25 Abs. 1 HmbVwVfG) dazu angehalten, auf
entsprechende Bitte einer Hochschule selbst eventuelle
datenschutzfreundlichere Alternativen zu benennen
(wobei die Hochschule freilich möglichst genau be-
76 Vgl., freilich in ganz anderem Zusammenhang, BayVGH, NVwZ
2019, 171, Rn. 11 ff.; verallgemeinernd Spoerr, in: BeckOK (Fn.
74), Art. 28 Rn. 18. Gelegentlich wird auch OVG Schleswig,
ZD 2014, 643, 644 (mit zustimmender Anm. Werkmeister) für
eine solche Teilbarkeit ins Feld geführt; für den konkreten Fall
(Fanpages und Facebook) ist diese Einschätzung allerdings von
der späteren EuGH-Entscheidung (unten Fn. 78) überholt, für
andere Konstellationen (wie der hiesigen) bleiben die dortigen
Überlegungen zur Teilbarkeit aber nach wie vor bedeutsam.
77 Schon, wenn der Plattformbetreiber die wesentlichen Entscheidungen
über Mittel und Zweck der Datenverarbeitung, für die er
beauftragt ist, trifft, ist dieser aufgrund eines „Funktionsexzess“
gem. Art. 28 Abs. 10 DSGVO selbst Verantwortlicher, siehe d.
N. in Fn. 74; für eine eigene Datenerhebung und ‑verarbeitung
durch den Plattformbetreiber kann daher (erst recht) nichts
anderes gelten.
78 EuGH, Urt. v. 5.6.2018 – C‑210/16, Rn. 34–38 = EuZW 2018, 534
(536 f.). Darauf verweist auch die Hamburger Datenschutzbehörde
in ihrem Anhörungsschreiben an die Bucerius Law School
bezüglich des Einsatzes von Zoom zur Prüfungsaufsicht.
79 EuGH (Fn. 78), Rn. 35: „Der bloße Umstand der Nutzung eines
sozialen Netzwerks wie Facebook [macht] für sich genommen
einen Facebook-Nutzer nicht für die von diesem Netzwerk
vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten mitverantwortlich“.
Vgl. allgemein zur schwierigen Abgrenzung von
Auftragsdatenverarbeitung und gemeinsamer Verantwortung
nach Art. 26 DSGVO gerade bei Social Media Petri, in: Simitis et
al. (Fn. 41), Art. 26 Rn. 13, 15.
80 Bekannt vor allem aus dem Versammlungsrecht, grundlegend
BVerfGE 69, 315 – Brokdorf.
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schreiben muss, welche Funktionalität sie benötigt – insbesondere
die aktive Beteiligung der Studierenden an
den Lehrveranstaltungen betreffend). Die Grenze der
Beratungspflicht ist nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen
Grundsätzen erst dort erreicht, wo sie in anwaltsähnliche
Interessenvertretung ausarten würde.81 Hier dagegen
spricht das fachliche Wissensgefälle zwischen einer
spezialisierten Datenschutzbehörde und einer Hochschule
tendenziell sogar für erweiterte behördliche
Beratungspflichten.82 Wenn der Datenschutzbehörde
selbst dazu nichts Praktikables einfällt, können von einer
Hochschule kaum sehr viel mehr Kenntnisse über die
am Markt vorhandenen Alternativen verlangt werden.
Soweit die Behörde Alternativen vorschlägt, kann und
muss die Hochschule darauf gegebenenfalls gezielt
reagieren.
Neben der Auswahlpflicht lässt sich aus
Art. 28 Abs. 1 DSGVO auch eine gewisse Monitoringund
gegebenenfalls Verhaltensänderungspflicht der auftraggebenden
Hochschule herleiten.83 Wenn klare Verstöße
des Plattformanbieters festgestellt worden waren
und nicht zeitnah abgestellt werden, muss der Auftraggeber
reagieren84 und gegebenenfalls das Auftragsverhältnis
beenden. Denn dann ist die Unzuverlässigkeit
des Unternehmens deutlich. Eine Hochschule muss sich
in diesem Fall nach einer unvermeidlichen Umstellungsfrist
einen anderen Anbieter für eine solche (Videokonferenz-)
Plattform suchen. Einmal mehr ist freilich zwischen
Krise und Normallage zu unterscheiden. Wenn es
in der Pandemie keine technische Alternative gibt, die
den Anforderungen wissenschaftlicher, auf Interaktion
angewiesener Lehre hinreichend Rechnung tragen kann,
so erscheint es für eine Hochschule noch vertretbar, bei
nur weniger schweren Datenschutzverstößen dennoch
weiter mit dem entsprechenden Anbieter zusammenzuarbeiten.
Der Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 DSGVO, der
über eine pauschale Regelung zur Zulässigkeit der Zusammenarbeit
hinaus zum konkreten Vorgehen bei festgestellten
Verstößen des Auftragnehmers keine Aussage
trifft, bietet hier erneut genügend Spielraum für eine situationsangemessene
Handhabung der Vorschrift. Außerhalb
der Krise, wo man nicht auf reine Online-Lehre
angewiesen ist, müssen schon leichtere, aber trotz Nachhakens
nicht abgestellte Datenschutz-Verstöße durch
den (Video-)Plattformbetreiber zur Beendigung des
Auftragsverhältnisses führen.
cc) Der „Privacy Shield“ als Rechtfertigung für die Einschaltung
US-amerikanischer Unternehmen
Müssen Hochschulen allgemein primär auf Anbieter mit
Servern in Europa statt in den USA zurückgreifen, um
vorsorglich das Daten-Missbrauchsrisiko zu verringern?
Diese verbreitete Behauptung85 vernachlässigt den sogenannten
„Privacy Shield“. Dieses Übereinkommen der
Europäischen Union mit den USA soll es gerade ermöglichen,
auch dortige elektronische Unternehmensdienstleistungen,
sofern in den USA zertifiziert und in eine
entsprechende Liste aufgenommen, in der Europäischen
Union zu nutzen. Rechtsdogmatisch hat der „Privacy
Shield“ die Funktion eines Angemessenheitsbeschlusses
nach Art. 45 Abs. 1 DSGVO.86 Dementsprechend können
deutsche Auftraggeber, etwa Hochschulen für Datenschutzverstöße
eines Videoplattform-Anbieters wie
„Zoom“ nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO nicht schon deshalb
verantwortlich gemacht werden, weil man doch habe
wissen müssen, dass man sich auf den Datenschutz in
den USA nicht verlassen könne.87
Es bleibt somit auch unter dem Gesichtspunkt der
Auslandsdatenverarbeitung bei dem zuvor herausgearbeiteten
Ergebnis: Die Beauftragung eines Anbieters wie
„Zoom“ für die technische Durchführung von Videokonferenzen
zu Lehr- oder Prüfungsüberwachungszwecken
ist unter den Bedingungen der Corona-Pandemie
zulässig, solange die Datenschutzbehörden den Hoch-
81 Vgl. Pünder, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, - Aufl. 2016, § 14 Rn. 51.
82 Zu diesem Grundsatz allgemein Fehling, Verwaltung zwischen
Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 308; zur
Orientierung der Beratungspflicht am Adressaten Herrmann, in:
Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG Stand: 1.4.2020, §
25 Rn. 10.
83 Allgemein zu dieser Überprüfungspflicht Petri, in: Simitis et al.
(Fn. 41), Art. 28 Rn. 93 f.
84 Typischerweise wird solch ein Verstoß von Dritten (bei Zoom
etwa von Behörden in den USA) aufgedeckt werden. In dem
unwahrscheinlichen Fall, dass der Auftraggeber selbst solche
Verstöße durch den Auftragnehmer feststellt, muss die auftraggebende
Hochschule zudem nach Art. 33 DSGVO die zuständige
Datenschutzbehörde darüber informieren.
85 Vgl. etwa Universität Tübingen, Zentrum für Datenverarbeitung,
Videokonferenzen und Datenschutz (https://uni-tuebingen.de/
de/176136).
86 Vgl. etwa Schantz, in: Simitis et al. (Fn. 41), Art. 45 Rn. 44 ff.;
Pauly, in: Paal/Pauly (Fn. 74), Art. 45 Rn. 17 ff. Dies ist de lege
lata zu akzeptieren, mag die annähernde Gleichwertigkeit des
Datenschutzes realiter auch eine bloße Fiktion sein.
87 Klarstellend insoweit etwa Hansen-Oest (Fn. 69).
Fehling · Reine Online-Hochschullehre 1 5 3
schulen keine datenschutzfreundliche und zugleich ähnlich
geeignete Alternative nennen können.
V. Fazit
Die Pandemie beschert der Lehre einen Digitalisierungsschub,
der die Hochschulausbildung auch dauerhaft tiefgreifend
verändern dürfte. Während allerdings derzeit
notgedrungen reine Online-Lehre dominiert, werden
nach Rückkehr zur Normalität digitale Formate wohl
primär zur Ergänzung der Präsenzlehre eingesetzt werden.
Die zentrale Aufgabe besteht darin, Online-Lehrformate
und zugehörige technische Lösungen möglichst
wissenschaftsadäquat auszuwählen und auszugestalten.
In der Krise bedarf es dabei Flexibilität, um den Ausbildungsauftrag
weiterhin so weit wie möglich erfüllen
zu können. Nach Überwindung der Pandemie ist eine
vertiefte Reflexion der wissenschaftlichen Eignung der
verschiedenen Online-Formate und deren datenschutzrechtlicher
Nachteile gefordert; man muss dem Risiko
entgegenwirken, dass Notlösungen aus der Krise unreflektiert
als scheinbar bewährt (da für die Studierenden
bequem und für die Politik mittelfristig Sparpotentiale
bergend) fortgeführt werden. Entgegen teilweise geäußerter
Bedenken besitzen Lehrfreiheit und Ausbildungsaufgabe
sowie das Datenschutzrecht hinreichendes Differenzierungspotential
für unterschiedliche Anforderungen
in Krise und Normallage. Weder „Not kennt kein
Gebot“ noch „fiat iustitia et pereat mundus“ sind hier
adäquate und verfassungskonforme Leitlinien zur Krisenbewältigung.
Vielmehr gilt es, die Auslegungs- und
Abwägungsspielräume im geltenden Recht sichtbar und
nutzbar zu machen.
Wissenschaftliche Lehre erfordert ein gewisses Reflexionsniveau
und ist dafür notwendig auf einen Kommunikations-
und partiell auch Interaktionsprozess angewiesen.
Diverse Online-Formate können dies nur (sehr)
eingeschränkt leisten. Die Wissenschaftlichkeit der Lehre
steht jedoch ohnehin in einem labilen Spannungsverhältnis
zum Ausbildungsauftrag der Hochschulen. Dessen
Erfüllung gewinnt in der Krise temporär abwägend
ein höheres Gewicht, während nach Rückkehr zur Normalität
die wissenschaftliche Eignung diverser digitaler
Lehrformate wieder stärker in den Vordergrund rückt.
Beim einzelnen Hochschullehrer ist dessen methodische
Freiheit als Teil der Lehrfreiheit auch in der Krise zu beachten,
doch ist diese Freiheit seit jeher durch die Notwendigkeit
zur Abdeckung der Pflichtlehre beschränkt.
Die durch die Lehrfreiheit überlagerte, aber nicht gänzlich
verdrängte beamtenrechtliche Treuepflicht gewinnt
in Krisenzeiten zusätzliches Gewicht und fordert gegebenenfalls
auch „überobligationsmäßiges“ Engagement
zur Gewährleistung eines digitalen Lehrangebots.
Die Anforderungen der EU-Datenschutzgrundverordnung,
die auch für die Online-Lehre und die digitale
Prüfungsaufsicht gelten, enthalten zahlreiche unbestimmte
Rechtsbegriffe und Abwägungsnotwendigkeiten.
Namentlich die allfällige Anforderung, wonach eine
bestimmte Datenverarbeitung „erforderlich“ sein müsse,
ermöglicht eine der Krise angepasste Auslegung und Anwendung.
Dabei ergeben sich aus der Pflicht, die Ausbildung
auch bei geschlossenen Hochschulen fortzuführen,
verschiedene Rechtfertigungstatbestände für die Verarbeitung
von Daten der (etwa an Videokonferenzen) teilnehmenden
Studierenden. Zwar kann ein Missbrauch
der dabei generierten Daten durch den (wie etwa bei
„Zoom“ häufig in den USA lokalisierten) Plattformbetreiber
regelmäßig nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Doch die datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeitstatbestände
und namentlich die Regelungen zur
Auftragsdatenverarbeitungen fordern insoweit jedenfalls
in der Krise nur die Wahl der datenschutzfreundlichsten
Alternative, wobei Missbrauchsrisiken und Funktionalität
der gewählten Plattform einer gewissen Abwägung
zugänglich sind. Die Datenschutzbehörden trifft dabei
eine Auskunfts- und Beratungspflicht. In der Normallage,
wo die Hochschulen nicht gleichermaßen auf Online-
Lehrformate angewiesen sind, gewinnen demgegenüber
Daten-Missbrauchsrisiken ein deutlich höheres
Gewicht und ist den Hochschulen weitaus mehr Aufwand
am Auffinden der datenschutzfreundlichsten Lösung
und gegebenenfalls auch an Anstrengungen zur
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Entwicklung eigener technischer Lösungen zumutbar.
So bleibt für die Zeit nach der Krise auch bei der Digitalisierung
der Hochschullehre zu hoffen, dass man
sich nicht von der (scheinbaren) „normativen Kraft des
Faktischen“ überwältigen lässt, sondern die Erfahrungen
aus der Ausnahmelage kritisch reflektiert. So könnten
schrittweise „intelligentere“ digitale Formate entwickelt
werden, die die wissenschaftliche Hochschullehre längerfristig
bereichern. Denn gelingende Lehre ist – auch
verfassungsrechtlich – nicht statisch, sondern als Kommunikationsprozess
darauf angewiesen, auf die veränderte
Sozialisation der Studierenden im digitalen Zeitalter
mit einer Erweiterung des didaktischen Arsenals,
aber ohne Einbuße an Wissenschaftlichkeit, zu
reagieren.
Michael Fehling ist Professor an der Bucerius Law
School Hamburg und Inhaber des Lehrstuhls für
Öffentliches Recht III: Öffentliches Recht mit Rechtsvergleichung.