Die Entscheidung des OVG NRW betrifft den Themen- kreis der Konkurrentenstreitigkeiten im Hochschulbe- reich. Der Kläger hatte sich auf eine ausgeschriebene W3-Professur beworben, wurde von der Berufungskom- mission aber nicht berücksichtigt. Weil diese u.a. Publi- kationsleistungen des Klägers, die kurz vor der Veröf- fentlichung standen, nicht berücksichtigt hatte, erhob der Kläger nach der Ernennung eines Mitwerbers zum W3-Professor Klage. In der Entscheidung setzte sich das OVG schwerpunktmäßig mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen einem nicht berücksich- tigten Bewerber ein Schadensersatzanspruch zusteht. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage erörtert, zu welchem Zeitpunkt eines Berufungsverfahrens ein unterlegener Bewerber sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die bevorstehende Ernennung eines Mitbewerbers wenden muss.
I. Zentrale Aussagen der Entscheidung
Das OVG hat in den Urteilsgründen zunächst festgehal- ten, dass einem Bewerber grundsätzlich kein – gebunde- ner – Anspruch auf Ernennung zusteht, ein solcher kom- me nur im Ausnahmefall in Betracht (dazu nachfolgend II.). Wer sich auf eine ausgeschriebene Professorenstelle bewerbe, habe lediglich einen sog. Bewerbungsverfah- rensanspruch, also einen Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewer- bung (III.). Dieser Anspruch erlischt aber mit der rechts- beständigen Ernennung eines anderen Bewerbers. Nach Ernennung eines Mitbewerbers kommt nur ein Scha- densersatzanspruch in Betracht (IV.). Dieser setzt einen schuldhaften Ermessensfehler der Berufungskommissi- on voraus, der für die unterbliebene Ernennung kausal gewesen sein muss. Schadensersatz kann der unterlege- ne Bewerber hingegen nicht verlangen, wenn er es sei- nerseits schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das als rechtswidrig beanstandete Verhalten der Hochschule abzuwenden.
- 1 DÖD 2014, 304 = NWVBl 2015, 30.
- 2 BVerwG, Gerichtsbescheid v. 21.9.2005, 2 A 5/04, juris; BayVGH,Beschl. v. 13.12.2013, 3 ZB 09.3245, juris; VGH Hessen, Beschl. v.7.1.1993, 1 TG 1777/92, NVwZ-RR 1993, 361.
- 3 Zu den Anforderungen an eine abweichende Entscheidung vgl.
Das Urteil des OVG NRW weicht von der bisherigen Rechtsprechung, die die Durchführung von Berufungs- verfahren zum Gegenstand hat, nicht ab. Es ist gleich- wohl deshalb von Interesse, weil ihm sowohl für die Hochschulen als auch für Bewerber um ausgeschriebene Professorenstellen wichtige Konsequenzen zu entneh- men sind, die hohe Praxisrelevanz haben (V.).
II. Kein Anspruch auf Ernennung
Wenn das OVG in den Entscheidungsgründen zunächst festgehalten hat, dass ein Bewerber grundsätzlich keinen – gebundenen – Anspruch auf Ernennung hat, so ist dies letztlich selbsterklärend, weil eine ausgeschriebene Profes- sur, um die sich mehrere Wissenschaftlicher bewerben, nur miteinerPersonbesetztwerdenkann.SogewährtArt.33 Abs. 2 GG nur ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt nach Eignung, Befä- higung und fachlicher Leistung, garantiert aber eben nicht, dass der Bewerber die Stelle auch erhält.
In Anlehnung an die zu Beförderungen von Beamten ergangene Rechtsprechung hielt das OVG einen An- spruch auf Ernennung zum Professor nur in dem Aus- nahmefall für möglich, dass eine freie und besetzbare Stelle vorhanden ist, die der Dienstherr im Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewerbung auch tatsächlich be- setzen will, und er sein Ermessen dahin ausgeübt hat, dass er nur den betreffenden Beamten für den am besten Geeigneten hält.2 Eine solche Konstellation ist in Beru- fungsverfahren praktisch kaum vorstellbar. So garantiert ein erster Listenplatz einem Bewerber noch keinen An- spruch auf Ernennung, zumal er damit rechnen muss, dass der zuständige Landesminister oder, wenn die Zuständig- keit über die Ruferteilung bei der Hochschule liegt, der Rek- tor bzw. Präsident vom Berufungsvorschlag abweicht und beispielsweise den Zweitplatzierten beruft.3 Selbst aus ei- nem erteilten Ruf lässt sich ein Ernennungsanspruch nicht ableiten, weil dieser wieder zurückgenommen werden kann.4
VGH Hessen, Beschl. v. 7.11.1993, a.a.O.
4 Hierzu Wertheimer, OdW 2015, 148, 151 sowie F&L 2015, 636;
vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 29.4.2015, 7 CE 15.54, ZBR 2015, 319.
Frank Wertheimer
Schadensersatzanspruch bei fehlerhaft durch- geführtem Berufungsverfahren – OVG Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 22.7.2014, 6 A 815/111
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
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III. Bewerbungsverfahrensanspruch
Wer sich auf eine ausgeschriebene Professur beruft, hat, so das OVG NRW, lediglich einen aus Art. 33 Abs. 2 GG resultierenden Bewerbungsverfahrensanspruch, also einen Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfreie Entscheidung über seine Bewerbung. In diesem Zusam- menhang gilt es zu berücksichtigten, dass der Hochschu- le eine besondere, durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verfas- sungsrechtlich geschützte, Beurteilungskompentenz über die Qualifikation eines Bewerbers zusteht. Dass Entscheidungen einer Berufungskommission nur dar- aufhin überprüfbar sind, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und ob der ihnen eingeräumte Beurteilungsspielraum überschritten ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung.5
Auf Linie der bisherigen Rechtsprechung liegt das OVG dann auch mit der Feststellung, dass der Bewer- bungsverfahrensanspruch durch eine rechtsbeständige Ernennung eines Mitbewerbers erlischt.6 Das gilt auch dann, wenn die Hochschule das Berufungsverfahren be- rechtigt abbricht.7
Bis hierher enthält die Entscheidung nichts Neues.
IV. Anspruch auf Schadensersatz wegen unterbliebener Ernennung
Anerkannt war in der Rechtsprechung bislang auch, dass einem unterlegenen Bewerber um eine Professorenstelle, dessen Mitbewerber bereits ernannt wurde, ein Scha- densersatzanspruch wegen unterbliebener Einstellung zustehen kann. Ein solcher Anspruch resultiert aus Art. 33 Abs. 2 GG iVm § 9 BeamtStG sowie der jeweiligen Vorschrift aus dem einschlägigen Landesbeamtengesetz, die die Regelungen aus Art. 33 Abs. 2 GG sowie § 9 BeamtStG aufnimmt, im streitigen Fall § 15 Abs. 3 S. 1 LBG NRW.
1. Pflichtverletzung
Fehlerquellen in Auswahlverfahren bestehen reichlich.8 In Betracht kommen formelle Verfahrensfehler, wie etwa die fehlerhafte Zusammensetzung einer Berufungskom- mission oder die Beteiligung eines befangenen Kommis- sionsmitglieds. Verstößt die Kommission gegen die Prin- zipien des Art. 33 Abs. 3 GG, ist der Beurteilungsspiel- raum überschritten. Davon ist auch auszugehen, wenn
- 5 BayVGH, Beschl. v. 5.1.2012, 7 CE 11.1432, juris; OVG Berlin- Brandenburg, Beschl. v. 29.3.2007, OVG 4 S 16.06, juris; Detmer, in: HSchR-Praxishandbuch, 2. Aufl. 2011, S. 143 (Rn. 94).
- 6 BVerwG, Urt. v. 29.11.2012, 2 C 6/11, ZTR 2013, 345.
- 7 BVerwG, Urt. v. 29.11.2012, a.a.O.; zum Abbruch vgl. OVGSchleswig-Holstein, Urt. v. 14.2.1994, 3 M 7/94, juris; OVG Kob-
Bewerber mit nicht näher begründeten Pauschalbewer- tungen nicht weiter berücksichtigt werden.9
Vorliegend sah das OVG NRW die Pflichtverletzung der Berufungskommission darin, dass deren Entschei- dung, den Kläger nicht zum Probevortrag einzuladen, auf unzureichender Erkenntnisgrundlage getroffen wur- de. Die Kommission hatte bei der Beurteilung der fachli- chen Qualifikation des Klägers dessen Beiträge für einen Strafrechtskommentar unberücksichtigt gelassen. Wird die Einbeziehung eines Bewerbers in die engere Wahl mit Zweifeln an dessen Qualifikation aufgrund der bis- lang erbrachten wissenschaftlichen Leistungen begrün- det, ist es zutreffend, einen Ermessensfehler anzuneh- men, wenn vorhandene Publikationen von der Kommis- sion nicht einbezogen worden sind. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass jedwede Nichtberücksichtigung von Forschungsleistungen stets zu einer unzureichenden Er- kenntnisgrundlage und in der Folge zu einer Überschrei- tung des Beurteilungsspielraums führt. Zum Beurtei- lungsspielraum der Berufungskommission gehört es nämlich auch festzulegen, welche Leistungen eines Be- werbers in die Beurteilung seiner Qualifikation einflie- ßen. Ein Ermessensfehler liegt danach, insoweit ist dem OVG zu folgen, jedenfalls dann vor, soweit es sich bei den nicht berücksichtigten Leistungen um einen wesent- lichen Teil der Tätigkeit des Bewerbers handelt.10
Das Besondere an der hiesigen Fallgestaltung lag da- rin, dass der Strafrechtskommentar, in dessen Rahmen der Kläger Kommentierungsarbeiten verfasst hatte, noch nicht erschienen war, der Verlag während des Laufs des Berufungsverfahrens aber bereits die Druckfreigabe er- teilt hatte. Auf diese Kommentierungsarbeiten hatte der Kläger im Rahmen der eingereichten Publikationsliste auch hingewiesen. Nach Auffassung des OVG hätte der Vorsitzende der Berufungskommission den Kläger zur Überlassung des Manuskripts auffordern müssen. In diesem Unterlassen, welches in der Folge zu einer Ent- scheidung auf unzureichender Erkenntnisgrundlage ge- führt hat, sah das OVG die maßgebliche Pflichtverlet- zung. Im Ergebnis hat das OVG der Berufungskommis- sion damit eine „Holschuld“ hinsichtlich der Erkennt- nisgrundlage aufgebürdet. Dem ist hier zuzustimmen, weil der Kläger in seiner Bewerbung darauf hingewiesen hatte, dass die Kommentierungsleistungen erbracht wur- den. Indessen wird man eine solche „Holschuld“ nicht
lenz, Beschl. v. 9.3.1993, 2 B 11743/93, n.v.
8 Beispiele bei Detmer, WissR 1995, 1, 18 ff. und Detmer, in:
HSchR-Praxishandbuch, S. 136 f. Rn. 76 ff.
9 Z.B. OVG Lüneburg, Urt. v. 11.2.1987, 2 OVG A 170/85, n.v.
10 So auch OVG NRW, Beschl. v. 26.6.2014, 6 B 294/14, juris; OVG
NRW, Beschl. v. 20.12.2006, 6 B 2214/06, IÖD 2007, 38.
Wertheimer · Schadensersatzsanspruch bei fehlerhaft durchgeführtem Berufungsverfahren 5 3
annehmen können, wenn sich für die Berufungskom- mission aus den eingereichten Bewerbungsunterlagen keine Hinweise ergeben, dass weitere wissenschaftliche Leistungen des Klägers vorhanden sind.
Aus Sicht der Berufungskommission, insbesondere dessen Vorsitzenden, folgt daraus eine erhöhte Aufmerk- samkeitspflicht beim Studium der Bewerbungsunterla- gen. Dieser Gedanke lässt sich auch auf andere berück- sichtigungsbedürftige wissenschaftliche Leistungen ei- nes Bewerbers übertragen. Gibt dieser beispielsweise an, Forschungsanträge auf die Bewilligung von Drittmitteln gestellt zu haben, über die zum Zeitpunkt, zu dem der Bewerber seine Unterlagen eingereicht hat, noch nicht entschieden ist, so dürfte folgendes gelten: Wurde der Antrag den Unterlagen nicht beigefügt, müsste dessen Vorlage vom Vorsitzenden der Berufungskommission erbeten werden, wenn die Thematik für die Beurteilung der Qualifikation des Bewerbers relevant sein kann. Hin- gegen geht die „Holschuld“ nicht soweit, dass der Kom- missionsvorsitzende beim Bewerber während des Ver- fahrens nachfragen muss, ob der Drittmittelantrag zwi- schenzeitlich bewilligt wurde. Ist das der Fall, liegt die Verpflichtung beim Bewerber, den Kommissionsvorsit- zenden hierüber zu informieren und den Bewilligungs- bescheid nachzureichen.
2. Verschulden der Hochschule
Nach Auffassung des OVG hatte die beklagte Hochschu- le den im Berufungsverfahren begangenen Rechtsver- stoß verschuldet. Angelegt wurde hierbei der allgemeine zivilrechtliche Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 1 BGB. Fahrlässigkeit wurde bejaht, weil die Berufungskommissi- on bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass weitere Publikationsleistun- gen des Klägers verfügbar sind, die zur Beurteilung sei- ner Qualifikation hätten herangezogen werden müssen.
Unabhängig von der vorliegenden Fallgestaltung kann sich die Frage stellen, wer die Beweislast für ein Verschulden der Hochschule zu tragen hat. Da das Ver- schulden zu den anspruchsbegründenden Tatsachen ge- hört, wäre dies der unterlegene Bewerber, der mit seiner Klage Schadensersatz geltend macht. Da der Rechtsver- stoß aber aus der Sphäre der Hochschule kommt, liegt es nahe, dass das Verschulden bei feststehendem Pflicht- verstoß indiziert ist. So hält es die Rechtsprechung auch bei der Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB, bei der der in Anspruch Genommene nachweisen muss, dass Um- stände vorliegen, unter denen die Amtspflichtverletzung
- 11 So z.B. BGH, Urt. v. 28.9.2002, IX ZR 279/99, BGHZ 145, 265; Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, § 839 Rn. 84.
- 12 BVerwG, Urt. v. 26.1.2012, 2 A 7/09, NVwZ 2012, 1477; Urt. v.
nicht schuldhaft wäre.11 Eine Orientierung an der bei § 839 BGB geltenden Beweislastverteilung erscheint kon- sequent, da sich das OVG auch bei der Kausalitätsfrage auf die bei der Amtshaftung geltenden Grundsätze beruft.
3. Kausalität
In der Entscheidung setzte sich das OVG auch mit der Kausalitätsfrage auseinander. Der Anspruch auf Scha- densersatz setzt nämlich voraus, dass dem Kläger als unterlegenem Bewerber ohne den Rechtsverstoß der Berufungskommission die angestrebte Professur voraus- sichtlich übertragen worden wäre. Zu ermitteln ist vom Gericht der hypothetische Kausalverlauf, den das Aus- wahlverfahren ohne den Rechtsverstoß genommen hät- te. Erkennbar nahm das OVG eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers an und ließ es ausreichen, wenn er zumindest reelle Ernennungschancen gehabt hätte, wenn also seine Ernennung ohne den schuldhaften Ver- stoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG nach Lage der Dinge ernst- haft möglich gewesen wäre. Das wurde in der Folge bejaht.
Die vom OVG in Bezug genommene Rechtsprechung sieht Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislas- tumkehr einerseits dann vor, wenn das Auswahlverfah- ren besonders fehlerhaft war, insbesondere wenn mehre- re Verfahrensfehler begangen wurden, andererseits auch dann, wenn der Dienstherr zur Aufklärung des hypothe- tischen Kausalverlaufs nichts beiträgt, etwa durch um- fassende Aktenvorlage.12 Eine Subsumtion, ob diese Vo- raussetzungen vorliegend erfüllt waren, ist den Urteils- gründen dann aber nicht weiter zu entnehmen. Wenn das OVG es als ausreichend ansah, dass der unterlegene Bewerber zumindest reelle Ernennungschancen gehabt hätte, so entspricht dies einer Beweiserleichterung, wäh- rend in den Gründen von einer Beweislastumkehr die Redeist.13HierwäremehrKlarheitwünschenswertge- wesen. Man kann deshalb nur vermuten, dass das OVG die vom BVerwG aufgestellten Kriterien für eine Bewei- serleichterung bzw. Beweislastumkehr als erfüllt angese- hen hat, inbesondere von einem gravierenden Verfah- rensfehler ausgegangen ist.
Für die Praxis folgt daraus, dass das Risiko einer Hochschule, von einem unterlegenen Bewerber in einem Berufungsverfahren mit einem Schadensersatzanspruch überzogen zu werden, größer wird, je mehr Verfahrens- fehler ihr im Auswahlverfahren unterlaufen und je schwerwiegender diese Fehler sind. Dem kann nur durch
21.8.2003, 2 C 14/02, DVBl 2004, 317.
13 OVG NRW, Urt. v. 22.7.2014, a.a.O., juris Rn.56.
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eine nachvollziehbare und sorgfältige Dokumentation der Kommission entgegengewirkt werden. Dann besteht nämlich die Chance darzulegen, dass der Anspruchstel- ler auch ohne den Rechtsverstoß nicht zum Zuge gekom- men wäre.
Für die hier gegebene Konstellation, dass wesentliche Unterlagen eines Bewerbers von der Berufungskommis- sion nicht berücksichtigt worden sind, enthält das Urteil noch einen weiteren, wichtigen Aspekt: Die Hochschule kann zur Abwendung des Schadensersatzanspruches später nicht argumentieren, die Auswertung der – im Berufungsverfahren – nicht berücksichtigen Unterlagen hätten die Vorbehalte gegen die Qualifikation des Be- werbers gestützt. Dem kann man nur zustimmen. Wäre die Hochschule mit einer solchen Argumentation zu hö- ren, müsste sich das erkennende Gericht mit inhaltli- chen Fragen der Qualifikation des Bewerbers, die durch den der Berufungskommission zugestandenen Beurtei- lungsspielraum gerade einer gerichtlichen Kontrolle ent- zogen sind, auseinandersetzen. So gesehen wendet sich der üblicherweise bestehende „Vorteil“ der beschränkten Justiziabilität bei Entscheidungen auf unzureichender Erkenntnisgrundlage im Ergebnis gegen die Hochschule.
4. Unterlassene Schadensabwehr?
In Anlehnung an § 839 Abs. 3 BGB setzte sich das OVG schließlich mit der Frage auseinander, ob dem Schadens- ersatzanspruch des Klägers entgegensteht, dass er den Schaden nicht durch rechtzeitige Geltendmachung eines Rechtsmittels abgewendet hat. Damit ist das Problem angesprochen, zu welchem Zeitpunkt ein im Berufungs- verfahren unterlegener Bewerber mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung versuchen muss, die Ernennung eines Mitbewerbers zu verhindern.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass der verwal- tungsgerichtliche Rechtsschutz gegen behördliche Maß- nahmen oder Handlungen aus Gründen der Verfahrens- ökonomie grundsätzlich nachträglich gewährt wird, be- stehen Ausnahmen dann, wenn bei Abwarten einer end- gültigen Entscheidung wirksamer Rechtsschutz verkürzt oder versagt würde. Das ist der Fall, wenn durch die be- hördliche Entscheidung irreversible Fakten geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, den Rechtsschutz vorzuverlagern, allerdings nur soweit, als die Gefahr eines sich verändernden Zustandes unmittel- bar bevorsteht oder konkret droht.14
- 14 So auch die Literatur, vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 2013, § 44a Rn. 3, § 123 Rn. 10, 76 ff.
- 15 BVerwG, Urt. v. 19.2.1998, 2 C 14/97, BVerwGE 106, 187;
In einem Berufungsverfahren kommen hierfür meh- rere Fallgestaltungen in Betracht:
a) Der Bewerber wird von Anfang an nicht in die en- gere Wahl genommen und von der Berufungskommissi- on zu Beginn gleich „aussortiert“.
b) Er wird – wie im Fall der OVG-Entscheidung – nicht zu den Probevorträgen eingeladen.
c) Die Berufungskommission beschließt nach den Probevorträgen und nach Vorliegen der externen Gut- achten eine Liste, die den Bewerber nicht berücksichtigt.
d) Der zuständige Landesminister oder der Rektor bzw. Präsident der Hochschule erteilt einem Mitbewer- ber den Ruf.
e) Die Hochschule teilt dem Bewerber mit, dass das Berufungsverfahren abgeschlossen ist, er (unter Angabe der Gründe) nicht berücksichtigt wurde und der Rufin- haber in Kürze auf die ausgeschriebene Professur er- nannt wird.
Zu bedenken ist in diesem Zuammenhang, dass ein Berufungsverfahren aus mehreren Teilschritten besteht, die einschließlich der Ruferteilung rechtlich unselbstän- dig sind und keine Rechtswirkung nach außen erzeugen. Auch die Ruferteilung wird nach ständiger Rechtspre- chung nicht als Verwaltungsakt eingestuft, sondern le- diglich als rechtlich unbeachtliche invitatio ad offeren- dum.15 Das bedeutet, und hierin besteht einer der Kern- aussagen der OVG-Entscheidung, dass in den Fällen a)- d) ein Antrag des nicht berücksichtigten Bewerbers nach § 123 VwGO mangels Vorliegen eines Anordnungsgrun- des scheitern würde. Erst dann, wenn die Hochschule gegenüber den abgelehnten Bewerbern die sog. Konkur- rentenmitteilung überbringt, d.h. den erfolgreichen Be- werber bekannt gibt, droht durch die anstehende Ernen- nung die Gefahr eines sich verändernden Zustandes, durch den irreversible Fakten geschaffen werden. Dem OVG ist folglich auch in diesem Punkt zuzustimmen.
Diese Auffassung gilt auch für den Bewerber, dem zunächst ein Ruf erteilt, dieser aber durch die rufertei- lende Stelle – Minister oder Rektor bzw. Präsident – spä-
VG Wiesbaden, Urt. v. 20.3.1995, 8/V 844/93, NVwZ-RR 1996, 207; ausführlich Wertheimer, OdW 2015, 147 ff.
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ter wieder zurückgenommen wurde.16 Zwar ist die Rück- nahme eines Rufs, im Unterschied zu seiner Erteilung, als Verwaltungsakt zu qualifizieren;17 gleichwohl nimmt das Berufungsverfahren nach der Rufrücknahme seinen Fortgang und ist noch nicht formell abgeschlossen. Auch in diesemFallistesausreichend,wennderdurchdenRufentzug unterlegene Bewerber den Antrag nach § 123 VwGO erst dann stellt, nachdem ihm die Konkurrentenmitteilung zugegan- gen ist. Ist das Rufrücknahmeschreiben mit einer Rechts- mittelbelehrung versehen, muss er allerdings innerhalb der Frist des § 74 VwGO zunächst Widerspruch einlegen.
Was aber gilt, wenn die Hochschule die Konkur- rentenmitteilung unterlässt, was in der Praxis durch- aus vorkommt?18 Zum Teil begnügen Hochschulen sich auch damit, die unterlegenen Bewerber über die Ruferteilung zu informieren, später aber nicht mehr über die bevorstehende Ernennung eines Mitbewer- bers. Erfährt der unterlegene Bewerber vom Verfah- rensabschluss erst, wenn der Mitbewerber bereits auf die ausgeschriebene Professur ernannt ist, kommt er mit ei- nem Antrag nach § 123 VwGO zu spät. Dann kann ihm die Hochschule, wenn er nun Schadensersatz verlangt, nicht mehr entgegenhalten, er hätte den Schadensein- tritt durch Beantragung einer einstweiligen Anord- nung verhindern können.
V. Praktische Konsequenzen der Entscheidung
Aus der Entscheidung wird – ein weiteres Mal – deutlich, welche Sorgfaltsanforderungen an die Arbeit einer Beru- fungskommission, letztlich an deren Vorsitzenden, gestellt werden. Mitunter kann sich für ihn die Verpflich- tung ergeben, beim Bewerber vorhandene, aber nicht vorgelegte Unterlagen anzufordern; dies jedenfalls dann, wenn sie Wissenschaftsleistungen betreffen, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Bewerbers ausma- chen.
Die Ausführungen des OVG zur Kausalität zwischen Rechtsverstoß und unterbliebener Ernennung zeigen auf, dass das Haftungsrisiko einer Hochschule bei einer Häufung von Verfahrensfehlern und/oder dem Vorlie- gen gravierender Ermessensfehler steigt. Und: Je sorgfäl- tiger die Berufungskommission ihre Argumentation bzgl. der getroffenen Auswahl dokumentiert und diese Dokumentation im Streitfall offen legt, desto größer sind die Chancen, dass einem unterlegenen Bewerber eine Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr zu seinen Gunsten bei der Kausalitätsfrage nicht zugute kommt.
Wichtige Hinweise gibt die Entscheidung zu den In- formationspflichten einer Hochschule im Rahmen eines Berufungsverfahrens. Verfahrensrechtlich ausschlagge- bend ist letztlich nur die sog. Konkurrentenmitteilung, also die Mitteilung an die unterlegenen Bewerber, war- um sie nicht berücksichtigt wurden und welcher Bewer- ber demnächst auf die Professur ernannt wird. Für den unterlegenen Bewerber bedeutet sie, dass er jetzt erst einstweiligen Rechtsschutz gem. § 123 VwGO beantragen kann. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Hochschule zu- vor nicht zu Zwischeninformationen über den Stand des Verfahrens verpflichtet ist. Entsprechenden administra- tiven Aufwand kann sie sich auch sparen, indem sie für Stellenbewerber den aktuellen Stand des Berufungsver- fahrens auf ihrer Homepage darstellt.19 Die Konkurren- tenmitteilung vermag ein solches System allerdings nicht zu ersetzen, da der Bewerber nicht verpflichtet werden kann, den Stand des Berufungsverfahrens von sich aus abzurufen.
Frank Wertheimer ist Partner der Kanzlei KRAUSS LAW in Lahr/Schwarzwald. Zuvor war er 17 Jahre im Univer- sitätsbereich, davon über 10 Jahre in der Hochschul- medizin tätig. Zu seinen Beratungsfeldern gehört im Bereich des Arbeitsrechts auch das Hochschulrecht.
- 16 Zum rechtlichen Rahmen einer Rufrücknahme vgl. zuletzt Wert- heimer, OdW 2015, 147, 150 ff m.w.N.
- 17 BVerwG, Urt. v. 19.2.1998, juris, Rn. 21; ebenso Wertheimer, a.a.O., S. 150.
- 18 Vgl. insoweit Detmer, HSchR-Praxishandbuch, a.a.O., S. 145 (Rn. 103).
19 Vgl. hierzu Detmer, in: HSchR-Praxishandbuch, a.a.O., S. 143 (Rn. 96). Ein Beispiel hierzu findet sich für die Med. Fak. der Univ. Freiburg unter http://www.med.uni-freiburg.de/dekanat/ berufungsverfahren; vgl. auch den Berufungsmonitor der RWTH Aachen – zu finden auf den Internet-Seiten der RWTH Aachen.
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