Übersicht
I. Einleitung
II. Die Vorschrift des § 10 Abs. 5 LHG BW und andere landesrechtliche
Regelungen
- Zielsetzung und Bedeutung der Unbeachtlichkeitsvorschriften
- Verfassungsrechtliche Einordnung
- Verhältnis zum allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht
a) Verhältnis zu § 44 LVwVfG und zum Nichtigkeitsdogma
b) Eigenständige Bedeutung und Verhältnis zu § 46 LVwVfG - Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 LHG BW
- Ausdehnung der Unbeachtlichkeit auf die „fehlerhafte Besetzung“
a) Sitzungsspezifische und allgemeine Besetzungsfehler
b) Anwendbarkeit des § 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW auf sitzungsspezifische
Besetzungsfehler
c) Differenzierte Betrachtungsweise
III. Schluss
I. Einleitung
Der Organisation der Hochschulen des Bundes und der
Länder ist durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung
der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein rechtlicher Rahmen gesteckt,
innerhalb dessen dem jeweiligen Hochschulgesetzgeber
ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, die Hochschulen
wissenschaftsadäquat zu organisieren.1 Nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die Hochschulorganisation
und damit auch die hochschulorganisatorische Willensbildung
so zu regeln, dass in der Hochschule freie Wissenschaft
möglich ist und ungefährdet betrieben werden
kann. Die Teilhabe der Grundrechtsträger an der Organisation
des Wissenschaftsbetriebs dient dem Schutz vor
wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen und ist deshalb
im dafür erforderlichen Umfang grundrechtlich
garantiert.3
Ausgehend hiervon und zum Zwecke der Begründung
einer hinreichenden hochschuldemokratischen
Legitimation des (rechtlichen) Handelns der Hochschulen4
trifft § 37 Abs. 1 HRG eine detaillierte Regelung zur
Mitwirkung der Mitglieder der Hochschulen an deren
Selbstverwaltung. Die Mitwirkung findet in Gremien
statt, die nach den vier Mitgliedergruppen – Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer, die akademischen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Studierenden und
die sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – zusammengesetzt
sind, § 37 Abs. 1 Satz 3 HRG. Dieser
funktionale Pluralismus solle eine perspektivische Vielfalt
in Forschung und Lehre offenhalten.5 In den nach
Mitgliedergruppen zusammengesetzten Entscheidungsgremien
verfügen die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer
bei der Entscheidung in Angelegenheiten,
die die Lehre mit Ausnahme der Bewertung der Lehre
betreffen, mindestens über die Hälfte der Stimmen, in
Angelegenheiten, die die Forschung, künstlerische Entwicklungsvorhaben
oder die Berufung von Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrern unmittelbar betreffen,
über die Mehrheit der Stimmen,
§ 37 Abs. 1 Satz 5 HRG.
Die Mitgliedschaft in einem Gremium beruht nach
den Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes entweder
auf der Bekleidung eines bestimmten (Wahl-)Amtes
oder auf einer Bestellung für oder Wahl in das Gremium,
§ 37 Abs. 2 Satz 1 HRG.
Die wesentliche Mitwirkung der Mitglieder an der
Selbstverwaltung der Hochschulen findet daher in den
Gremien statt. In Baden-Württemberg sind exemplarisch
zu nennen: der Senat, § 19 LHG BW, der Fakultätsrat,
§ 25 LHG BW, die Studienkommission, § 26 LHG BW,
der Promotionsausschuss, § 38 Abs. 5 Satz 2 LHG BW, so-
Felix Hornfischer
Zur Unbeachtlichkeit von Besetzungsfehlern für die
Tätigkeit von Hochschulgremien nach
§ 10 Abs. 5 LHG BW
1 Gärditz, in: Maunz/Dürig, GG, 88. EL August 2019, Art. 5 Abs. 3
Rn. 210 ff.
2 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 –, BVerfGE 35, 79 (116 f.);
BVerfG 08.7.1980 – 1 BvR 1472/78 –, BVerfGE 54, 363, 389 ff.
3 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 –, BVerfGE 35, 79 (116 f., 127
f.); BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 911/00 u.a. –, NVwZ 2005, 315.
4 Hierzu ausführlich Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche
Systembildung, 2009, S. 492 ff.; ders., in: Maunz/
Dürig, GG, 88. EL August 2019, Art. 5 Abs. 3 Rn. 214 ff, 221 f.
5 BVerfG 24.6.2014 – 1 BvR 3217/07 –, BVerfGE 136, 338
(364); Gärditz, in: Maunz/Dürig, GG, 88. EL August 2019,
Art. 5 Abs. 3 Rn. 222.
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
8 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 8 5 — 9 4
6 Entsprechendes gilt auch für die Wahlen zu Personalvertretungen
in der Hochschule und anderen Organisationseinheiten des
öffentlichen Rechts.
7 Vgl. zur Anfechtung von Wahlen an Hochschulen etwa VG Gera
24.5.2017 – 2 K 606/16 Ge –, juris; VG Augsburg 17.11.2015 – Au
3 K 15.1188 –, juris; VG Arnsberg 26.3.2014 – 9 K 2001/12 –,
juris; VG Kassel 6.3.2014 – 3 K 418/13.KS –, juris;
8 VG Karlsruhe 4.3.2013 – 7 K 3335/11 –, VBlBW 2013, 429 und
darauffolgend VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014,
341; vgl. auch VG Freiburg 25.9.2019 – 1 K 5443/18 –, juris (noch
nicht rechtskräftig).
9 LT-Drs. 13/3640, S. 182.
10 von Coelln/Lindner, BeckOK, HochschulR Bayern, 15. Edition
01.11.2019, Art. 40 Rn. 2.
wie der Habilitationsausschuss, § 39 Abs. 2 Satz 2 LHG
BW. Daneben treten noch die Prüfungsausschüsse und
‑kommissionen nach Maßgabe der Prüfungsordnungen
der Fachbereiche und Fakultäten.
Die Besetzung der Gremien ist teilweise im jeweiligen
Landesrecht, teilweise in den Grundordnungen,
Promotions- und Habilitationsordnungen und den sonstigen
satzungsrechtlichen Prüfungsordnungen der
Hochschulen geregelt. Sie erfolgt nach Maßgabe der
Amtsträgerschaft, die ihrerseits auf einer Wahl oder einem
anderen Ernennungsakt beruhen kann, oder der
Wahl durch die Mitglieder der Hochschule bzw. ihrer
Fakultäten oder Fachbereiche. Nach
§ 9 Abs. 8 Satz 5 LHG BW erlassen die Hochschulen eine
Wahlordnung, in der insbesondere die Abstimmung, die
Ermittlung des Wahlergebnisses, die Wahlprüfung sowie
die weiteren Einzelheiten des Wahlverfahrens und der
Abwahlverfahren nach §§ 18a, 24a und 27e LHG BW einschließlich
Briefwahl geregelt werden. Diese Wahlordnungen
sollen Regelungen zur Abgabe von schriftlichen
Erklärungen in Wahlangelegenheiten durch einfache
elektronische Übermittlung, durch mobile Medien oder
in elektronischer Form enthalten, § 9 Abs. 8 Satz 6 LHG
BW. Insbesondere die Gremienmitgliedschaft aufgrund
einer Wahl birgt im Rahmen der Selbstverwaltung der
Hochschulen und ihrer organisatorischen Untergliederung
die Gefahr von Fehlern, die die Rechtsgültigkeit der
Wahl und damit auch der Mitgliedschaft in den Gremien
und die dortige Mitwirkung berühren können.6
Der Erlass einer gültigen Wahlordnung sowie die Organisation
und Durchführung der Wahlen können für –
vor allem kleinere – Hochschulen eine beachtliche Herausforderung
darstellen. Ferner ist die Wahlanfechtung
nicht selten ein Mittel, um (politisch) unliebsame Ergebnisse
der Wahlen in Frage zu stellen.7 Schließlich zeigt
die verwaltungsgerichtliche Praxis, dass die Ungültigkeit
einer Wahl zu einem Gremium, das seinerseits an einer
belastenden Entscheidung (etwa der Rücknahme eines
akademischen Grades) beteiligt war, im darauffolgenden
Anfechtungsprozess geltend gemacht wird.8
In den Hochschulgesetzen einiger Länder finden sich
daher im Hinblick auf die Ungültigkeit einer Wahl und
die fehlerhafte Besetzung von Gremien besondere Vorschriften
über die Unbeachtlichkeit dieser Fehler, die
den allgemeinen Regelungen der Landesverwaltungsverfahrensgesetze
vorgehen. Baden-Württemberg
(§ 10 Abs. 5 LHG BW) und Bayern (Art. 40 Abs. 2 BayHSchG)
haben dabei besonders weitgehende Bestimmungen
getroffen. Die Existenz dieser Vorschriften, ihre Bedeutung
und Verortung im allgemeinen Fehlerfolgenregime
des Verwaltungsverfahrensrechts sowie ihr Anwendungsbereich
werden in der hochschulrechtlichen
Praxis bisweilen vernachlässigt. Dem möchte der folgende
Beitrag am Beispiel des § 10 Abs. 5 LHG BW
abhelfen.
II. Die Vorschrift des § 10 Abs. 5 LHG BW und andere
landesrechtliche Regelungen
§ 10 Abs. 5 LHG BW geht auf das zweite Gesetz zur
Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom
01.01.2005 (GBl. S. 1) zurück. Die Vorschrift bestimmt:
„Ist die Wahl eines Gremiums oder einzelner Mitglieder
eines Gremiums rechtskräftig für ungültig erklärt worden,
so führt dieses Gremium in der bisherigen Zusammensetzung
die Geschäfte bis zum Zusammentreten
des auf Grund einer Wiederholungs- oder Neuwahl neugebildeten
Gremiums weiter. Die Rechtswirksamkeit der
Tätigkeit dieser Mitglieder wird durch die Ungültigkeit
der Wahl nicht berührt. Satz 2 gilt bei einer fehlerhaften
Besetzung von Gremien entsprechend.“
§ 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW entsprechen dem
früheren § 109 Abs. 3 UG BW.9 Bayern hat mit
Art. 40 Abs. 2 BayHSchG eine entsprechende Regelung
erlassen, die – bis auf den zweiten Halbsatz – dem früheren
Art. 47 BayHSchG 1998 entspricht.10 Hiernach wird
die Wirksamkeit der vorher gefassten Beschlüsse und
Amtshandlungen eines Gremiums nicht berührt, wenn
die Wahl eines Gremiums oder einzelner seiner Mitglieder
rechtskräftig für ungültig erklärt worden sind. Dies
soll nach Art. 40 Abs. 2 Hs. 2 BayHSchG auch bei einer
fehlerhaften Besetzung von Gremien entsprechend gelten.
Die landesrechtlichen Bestimmungen in Nordrhein-
Westfalen und in Sachsen-Anhalt formulieren höhere
Hornfischer · Zur Unbeachtlichkeit von Besetzungsfehlern 8 7
11 von Coelln/Lindner, BeckOK, HochschulR Bayern, 15. Edition
1.11.2019, Art. 40 Rn. 1.
12 VGH BW 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 37; von Coelln/Lindner,
BeckOK, HochschulR Bayern, 15. Edition 01.11.2019, Art. 40
Rn. 1.
13 Sandberger, LHG Badem-Württemberg, 2. Auflage 2015, § 10 Rn.
4; Herberger, in: Haug, Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg, - Auflage 2009, Rn. 241; vgl. zu § 13 Abs. 4 HSchG NRW
LT-Drs. 8/3880, 171; Achelpöhler, in: von Coelln/Schemmer,
BeckOK, HochschulR Nordrhein-Westfalen,
14 § 13 Abs. 4 HSchG NRW und § 62 Abs. 5 HSchG LSA lassen
genügen, dass die Wahl nach Amtsantritt für „ungültig erklärt“
worden ist.
15 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341; noch zu §
109 Abs. 3 UG BW VGH BW 17.9.2003 – 4 S 1636/01 –, juris Rn.
23.
16 VGH BW 2.12.1997 – 9 S 2506/97, GewArch 1998, 164; VG
Karlsruhe 04.03.2013 – 7 K 3335/11 –, juris Rn. 43.
Voraussetzungen für die Unbeachtlichkeit einer ungültigen
Wahl. § 13 Abs. 4 HSchG NRW und der gleichlautende
§ 62 Abs. 5 HSchG LSA bestimmen:
„Wird die Wahl eines Gremiums oder einzelner Mitglieder
nach Amtsantritt für ungültig erklärt, so berührt dies
nicht die Rechtswirksamkeit der vorher gefassten Beschlüsse
des Gremiums, soweit diese vollzogen sind.“
Anders als die Regelungen in Baden-Württemberg
und Bayern setzen diese Bestimmungen den Vollzug der
Beschlüsse voraus, damit die Ungültigkeit der Wahl unbeachtlich
bleibt. Ferner kennen diese Regelungen keine
Erweiterung auf die „fehlerhafte Besetzung“. - Zielsetzung und Bedeutung der Unbeachtlichkeitsvorschriften
Die Bestimmung über die Rechtswirksamkeit der Tätigkeit
der Gremien, insbesondere deren Beschlüsse, ist
eine „zentrale Verfahrensnorm“11 des Hochschulverwaltungsrechts.
Sie nimmt einen Ausgleich der erforderlichen
hochschuldemokratischen Legitimation einerseits
und der Rechtssicherheit12 sowie der Funktionsfähigkeit
der Hochschulverwaltung andererseits vor. Zu diesem
Zweck treffen die landesrechtlichen Normen eine
differenzierte Regelung, unter welchen Voraussetzungen
und bis zu welchem Zeitpunkt die demokratische Legitimation
hinter der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit
der Hochschule zurücktritt.
Soweit es um die Ungültigkeit der Wahl geht, sieht
§ 10 Abs. 5 Satz 1 LHG BW vor, dass die Wahl „rechtskräftig
für ungültig erklärt“ worden ist. Eine entsprechende
Formulierung enthält Art. 40 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG14.
Daraus folgt, dass selbst eine unanfechtbare
Entscheidung der für die Wahlprüfung zuständigen Stellen
der Hochschule über die Ungültigkeit der Wahl die
Rechtswirksamkeit der Handlungen des Gremiums unberührt
lässt. Erst recht gilt dies dann, wenn – z.B. im
Anfechtungsprozess – lediglich die Ungültigkeit geltend
gemacht worden ist, ohne dass eine Wahlprüfung durchgeführt
und eine rechtskräftige Entscheidung getroffen
worden ist.15
Die Rechtssicherheit und die Funktionsfähigkeit der
Hochschule rechtfertigen eine Unbeachtlichkeit der ungültigen
Wahl für die Wirksamkeit des Gremienhandelns
nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt.
§ 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW stellt insoweit auf die
Neubildung des Gremiums durch Wiederholungs- oder
Neuwahl ab. Art. 40 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG,
§ 13 Abs. 4 HSchG NRW und § 62 Abs. 5 HSchG LSA
ordnen die Unbeachtlichkeit indes allein bis zum Zeitpunkt
der Erklärung der Wahl für ungültig (Wirksamkeit
bzw. Rechtswirksamkeit „der vorher gefassten Beschlüsse“)
an. § 13 Abs. 4 HSchG NRW und
§ 62 Abs. 5 HSchG LSA beschränken darüber hinaus die
Unbeachtlichkeit weiter auf die Fälle, in denen die Beschlüsse
bereits vollzogen worden sind.
Die ausdifferenzierte Regelung des § 10 Abs. 5 Satz 1
und 2 LHG BW, die die demokratische Legitimation bis
zur Wiederholungs- bzw. Neuwahl der Funktionsfähigkeit
der Hochschule unterordnet, wirft mit Blick auf den
Wortlaut der Art. 40 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG,
§ 13 Abs. 4 HSchG NRW und § 62 Abs. 5 HSchG LSA die
Frage auf, was in Bayern, Nordrhein-Westfalen und
Sachsen-Anhalt für den Zeitraum zwischen der Erklärung
der Wahl für ungültig und der Behebung des Mangels
der Wahl durch Wiederholung oder Neuwahl gelten
soll.
Nähme man den Wortlaut der Bestimmungen – in
Abgrenzung zu § 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW ernst –
könnten die fehlerhaft gewählten Gremien in diesem
Zeitraum keine wirksame Tätigkeit entfalten. Dieses Ergebnis
widerspräche jedenfalls für die Vertretungsorgane
indes dem Grundsatz, dass eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts stets ein handlungsfähiges Organ haben
muss.16 Daher spricht einiges dafür, dass auch nach
Art. 40 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG, § 13 Abs. 4 HSchG NRW
und § 62 Abs. 5 HSchG LSA die Gremien bis zur Neuwahl
weiter wirksam agieren können, soweit die Gremien
Teil eines Vertretungsorgans sind.
Im Hinblick auf die denkbaren Fehler einer Wahl der
Mitglieder zu Hochschulgremien, die Dauer eines Wahl8
8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 8 5 — 9 4
17 Ausführlich hierzu und zum folgenden VG Karlsruhe 4.3.2013
– 7 K 3335/11 –, juris Rn. 41 ff. und darauffolgend VGH BW
03.02.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341.
18 BVerfG 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 –, BVerfGE 1, 14, 38; vgl. auch
VG Freiburg 24.2.1996 – 10 K 1064/95 –, GewArch 1997, 423.
19 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 16.
20 Vgl. für die Wahlen der Landtage und des Bundestages BVerfG
23.10.1951 – 2 BvG 1/51 –, BVerfGE 1, 14, 38; BVerfG 11.10.1972
– 2 BvR 912/71 –, BVerfGE 34, 81, 95 ff. sowie für die Wahl der
Kreistage und der Gemeinderäte BVerfG 11.11.1953 – 1 BvR
444/53 –, BVerfGE 3, 41, 44 und die dem § 10 Abs. 5 Satz 1 und
2 LHG BW entsprechenden Normen des § 30 Abs. 3 GemO BW
und § 21 Abs. 3 Satz 2 LKrO.
21 VG Karlsruhe 4.3.2013 – 7 K 3335/11 –, juris Rn. 41.
22 Vgl. § 15 Satz 3 BBG, § 13 Abs. 4 Satz 1 LBG.
23 Vgl. § 18 Abs. 3 DRiG.
24 BVerwG 9.6.1987 – 9 CB 36/87 –, DVBl. 1987, 1112.
25 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341.
26 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37.
EL (Stand: Juli 2019), Einleitung Rn. 212.
prüfungsverfahrens und eines gegebenenfalls daran anknüpfenden
Wahlanfechtungsverfahrens ist die hochschulrechtliche
Unbeachtlichkeitsregelung von großer
praktischer Bedeutung für die Rechtssicherheit der von
dem Handeln der Gremien betroffenen Personen und
für die Funktionsfähigkeit der Hochschule selbst. - Verfassungsrechtliche Einordnung
Nach ständiger Rechtsprechung ist § 10 Abs. 5 LHG BW
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.17 Die Unbeachtlichkeitsregelung
verstößt nicht gegen
Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die vollziehende Gewalt an
Gesetz und Recht gebunden ist (Rechtsstaatsprinzip).
Die Unabhängigkeit der Wirksamkeit eines Rechtsakts
von der Wirksamkeit der Wahl oder Bestellung des handelnden
Organs oder Amtswalters ist dem Bedürfnis
nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschuldet.18
Bei gewählten Hauptorganen öffentlich-rechtlicher Körperschaften
folgt sie zudem dem Gebot, dass eine öffentlich-
rechtliche Körperschaft zu keiner Zeit ohne handlungsfähiges
Organ sein darf.19
Demnach lässt nach einem allgemeinen staatsorganisationsrechtlichen
und verwaltungsrechtlichen Grundsatz
die Unwirksamkeit der Bestellung des handelnden
Staatsorgans die rechtliche Wirksamkeit seiner Rechtsakte
unberührt, solange diese Bestellung nicht in dem
dafür vorgesehenen Verfahren widerrufen oder für ungültig
erklärt worden ist. Wurde die Bestellung in dem
dafür vorgesehenen Verfahren widerrufen oder für ungültig
erklärt, wirkt dies allein ex nunc und nicht ex
tunc.20 Ein Mangel an demokratischer Legitimation aufgrund
einer fehlerhaften Wahl ist grundsätzlich ausschließlich
in den hierfür vorgesehenen Wahlprüfungsverfahren
geltend zu machen. 21
Der Grundsatz, dass die Wirksamkeit der Rechtsakte
eines Amtswalters unabhängig von der Wirkung seiner
Bestellung ist, gilt ebenso im Beamtenrecht22 und im
Dienstrecht der Richter . Auch gerichtliche Entscheidungen,
an denen ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt
hat, dessen Wahl nachträglich rechtskräftig für ungültig
erklärt worden ist, bleiben hiervon in ihrer Wirksamkeit
unberührt.24
Auch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz eines
Rechtssubjekts, das von der Wirksamkeit eines Rechtsakts
eines fehlerhaft gewählten oder bestellten Organs
oder Amtswalters betroffen ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen
Bedenken. Nur wenige Verfahrensregelungen
sind überhaupt grundrechtlich geboten. Und
auch im Falle eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren
ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht dazu
gezwungen, einem Verfahrensfehler unbedingte Auswirkungen
auf die Sachentscheidung einzuräumen.25 Denn
bei der Bestimmung des Fehlerfolgenregimes hat der
Gesetzgeber die gegenläufigen Interessen der strikten
Gesetzesbindung und des subjektiven Rechtsschutzes einerseits
und der Aufrechterhaltung der Sachentscheidung
sowie der Verwaltungseffizienz andererseits in
Ausgleich zu bringen.26 - Verhältnis zum allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht
§ 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW sowie die entsprechenden,
oben angeführten landesrechtlichen Bestimmungen
sind keine Heilungsvorschriften. Sie befassen sich
vielmehr mit den Folgen einer ungültigen Wahl für die
(Rechts-)Wirksamkeit des Handelns des gewählten Gremiums.
Die Besetzung und das Handeln der betroffenen
Gremien, insbesondere Satzungsbeschlüsse sowie
Beschlüsse in gestuften Verwaltungsverfahren, bleiben
objektiv rechtswidrig. Sie sind jedoch gleichwohl wirksam.
Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis
sie zum Fehlerfolgenregime des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts,
insbesondere zu § 44 LVwVfG
und § 46 LVwVfG stehen.
a) Verhältnis zu § 44 LVwVfG und zum Nichtigkeitsdogma
Aus § 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW folgt, dass ein Handeln
eines Gremiums in Gestalt eines Verwaltungsakts
wegen der fehlerhaften demokratischen Legitimation
nicht nichtig sein kann. Es kommt daher nicht darauf an,
ob die Ungültigkeit der Wahl zu einem Kollegialorgan
im Hinblick auf das demokratische Legitimationsdefizit
in der Regel einen „besonders schwerwiegender Fehler“
Hornfischer · Zur Unbeachtlichkeit von Besetzungsfehlern 8 9
27 Ossenbühl, Eine Fehlerlehre für untergesetzliche Normen NJW
1986, 2805 (2807); Sachs, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/
Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Auflage
2012, § 31 Rn. 76; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/
Bethge, BVerfGG, 57. EL, Juni 2019, § 78 Rn. 7.
28 BVerfGE, 92, 266; Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn.
86.
29 So auch von Coelln/Lindner, BeckOK, HochschulR Bayern, 15.
Edition 1.11.2019, Art. 40 Rn. 11.1.
30 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341.
31 Für die Befugnis zur Abweichung für die Satzungen des BauGB
Uechtritz, in: Spannowsky/ders., BeckOK BauGB, 47. Edition,
01.11.2019, § 214 Rn. 15.
32 Vgl. zum Fehlerfolgenregime des Baugesetzbuchs überzeugend
Ossenbühl, Eine Fehlerlehre für untergesetzliche Normen, NJW
1986, 2805 (2810).
33 So aber für § 10 Abs. 5 LHG BW Sandberger, LHG Baden-
Württemberg, 2. Auflage 2015, § 10 Rn. 4 und für Art. 40 Abs. 2
BayHSchG von Coelln/Lindner, BeckOK, HochschulR Bayern, 15.
Edition 1.11.2019, Art. 40 Rn. 11
34 So wohl auch zu § 10 Abs. 5 Satz 2 und 3 LHG BW VGH BW,
Beschluss vom 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 37.
i.S.d. § 44 Abs. 1 LVwVfG darstellt. Gegen die Einordnung
als „besonders schwerwiegenden Fehler“ spricht
allerdings der oben skizzierte allgemeine Grundsatz,
dass die Wirksamkeit der Amtshandlung von der Bestellung
des Amtswalters unabhängig ist.
Ferner weichen die landesrechtlichen Bestimmungen
der Hochschulgesetze zur Unbeachtlichkeit der Ungültigkeit
der Wahl vom traditionellen Nichtigkeitsdogma
ab, soweit das Gremium eine Rechtsnorm in Gestalt der
Satzung beschlossen hat. Nach diesem Dogma gilt für
alle Rechtsnormen der Grundsatz, dass sie ipso iure ex
tunc nichtig sind, wenn sie – gleich aus welchem Grund
– rechtswidrig sind.27 Aus diesem Grund kommt einer
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Normenkontrollverfahren
nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO lediglich
eine deklaratorische und keine kassatorische Wirkung
zu.28 § 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG sowie seine weiteren
landesrechtlichen Entsprechungen stehen daher
einer Nichtigerklärung im Normenkontrollverfahren
nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO oder einer inzidenten Verwerfung
im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsoder
Verpflichtungsverfahsren entgegen.29
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
schließt hieraus, dass der Gesetzgeber aufgrund des
Nichtigkeitsdogmas für Rechtsnormen mit der Betonung
der „Rechtswirksamkeit“ der Tätigkeit des Gremiums
auch die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns
(Verwaltungsakt, Satzung) in Bezug auf Besetzungsmängel
des Gremiums und nicht nur die bloße Gültigkeit
trotz Rechtswidrigkeit anordnen wollte.30 Dieser Schluss
ist jedoch zweifelhaft. So kennt das Baugesetzbuch mit
den §§ 214, 215 BauGB ein – auch zeitlich – ausdifferenziertes
Fehlerfolgensystem von Verfahrensmängeln im
Bebauungsplanverfahren, das zwischen Rechtswirksamkeit
und Rechtmäßigkeit von Satzungsrecht differenziert.
Diese Regelung stellt ebenfalls eine Abweichung
vom Nichtigkeitsdogma dar, zu der der Gesetzgeber befugt
sein kann.31 Die Bestimmung, dass die Ungültigkeit
der Wahl die Rechtswirksamkeit der Tätigkeit des Gremiums
unberührt lässt, ist am ehesten als eine verfahrensrechtliche
Konstruktion zu verstehen, wonach ein
Rückgriff auf die materielle Rechtslage verboten ist. Die
materielle Rechtslage bleibt wie sie ist; die Berufung auf
den Fehler bleibt aber ausgeschlossen.32
b) Eigenständige Bedeutung und Verhältnis zu
§ 46 LVwVfG
§ 10 Abs. 5 Satz 1 und 2 LHG BW geht über die Regelung
des § 46 LVwVfG hinaus. Er trifft für den Bereich des
Hochschulverwaltungsverfahrensrechts eine eigenständige
Regelung über die Folgen einer fehlerhaften Wahl.
Es ist daher nicht zutreffend, die hochschulrechtlichen
Regelungen als im Verhältnis zu § 46 LVwVfG speziellere
Regelungen zu qualifizieren.33 Die hochschulrechtlichen
Normen treffen für keine der in § 46 LVwVfG aufgeführten
Rechtsverletzungen eine speziellere Regelung.
Die rechtswidrige aufgrund einer mangelhaften Wahl
fehlerhafte Besetzung eines Gremiums ist kein Fall „der
Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die
Form oder die örtliche Zuständigkeit“, sondern ein
eigenständiger Fehler, der aus einem allgemeinen Mangel
an demokratischer Legitimation des konkret handelnden
Gremiums folgt. Er ist daher ein Fehler, der dem
konkreten, im Ergebnis zu einem Verwaltungsakt führenden
(Beschluss-)Verfahren (vgl. § 9 LVwVfG) vorgelagert
ist, und kein Verfahrensfehler im Sinne des
§ 46 LVwVfG. Allein die „fehlerhafte Besetzung“ nach
§ 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW und nach
Art. 40 Abs. 2 Satz 2 BayHSchG kann z.B. in Gestalt der
Mitwirkung eines ausgeschlossenen Mitglieds oder der
fehlenden Beschlussfähigkeit in der konkreten Sitzung
zugleich einen Verfahrensfehler i.S.d. § 46 LVwVfG darstellen.
34
Auch in der Rechtsfolge ordnen § 10 Abs. 5 Satz 1 und
2 LHG und die entsprechenden anderen landesrechtlichen
Vorschriften keine speziellere Rechtsfolge an. Die
Voraussetzungen für die Unbeachtlichkeit sind nicht enger
als jene des § 46 LVwVfG. Denn dieser setzt für den
Ausschluss des Anspruchs auf Aufhebung eines Verwaltungsakts
voraus, dass offensichtlich ist, dass die Verlet9
0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 8 5 — 9 4
35 Emmenegger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage
2019, § 46 Rn. 36.
36 Vgl. nur Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 46 Rn.
12 m.w.N.
37 VGH BW 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 35.
38 VGH BW 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 33 unter Berufung
auf die Gesetzesbegründung nach LT-Drucks. 13/3640 vom
06.10.2004, S. 182, die beispielhaft ausdrücklich Prüfungsausschüsse
aufzählt; vgl. zur Vorgängernorm § 109 Abs. 3 UG bereits
VGH BW 17.9.2003 – 4 S 1636/01 –, juris.
39 VGH BW 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 35.
40 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341.
41 So etwa VG Karlsruhe 04.03.2013 – 7 K 3335/11 –, juris Rn. 51 f.
42 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341 unter Berufung
auf die Gesetzesbegründung nach LT-Drucks. 13/3640 vom
6.10.2004, S. 182.
43 Vgl. VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341; VG
Freiburg 25.09.2019 – 1 K 5443/18 –, juris.
44 Vgl. etwa VG Karlsruhe 4.3.2013 – 7 K 3335/11 –, juris Rn. 50
und VG Freiburg 25.9.2019 – 1 K 5443/18 –, juris Rn. 108.
zung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Die hochschulrechtlichen Bestimmungen stellen indes
auf keine inhaltliche Ursächlichkeit des Fehlers ab.
Schließlich ist § 46 LVwVfG in das System des subjektiven
Rechtsschutzes eingebettet und versagt dem
Rechtsschutzsuchenden einen prozessualen Aufhebungsanspruch
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), wenn die Voraussetzungen
des § 46 LVwVfG vorliegen.35 Aus diesem
Grund steht § 46 LVwVfG nach zutreffender Ansicht
auch einer Rücknahme nach § 48 LVwVfG aufgrund einer
„Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die
Form oder die örtliche Zuständigkeit“ nicht entgegen.36
Die hochschulrechtlichen Bestimmungen ordnen ihrem
Wortlaut nach indes unabhängig von einem prozessualen
Aufhebungsanspruch eines Rechtsschutzsuchenden
die Wirksamkeit der Tätigkeit des betroffenen Gremiums
an. Dies dürfte auf eine Rücknahmeentscheidung
nach § 48 LVwVfG Rückwirkungen haben. Beruht die
Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts allein auf der
fehlenden demokratischen Legitimation des Gremiums
wegen der Ungültigkeit seiner Wahl, dürfte eine Rücknahme
aus diesem Grund vor dem Hintergrund der objektiv-
rechtlichen Wertung des § 10 Abs. 5 Satz 1 und
2 LHG BW kaum in Betracht kommen. - Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 LHG BW
Der persönliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf
alle mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Personenmehrheiten.
37 Dies folgt aus der Verwendung des
Begriffs „Gremium“. Es ist daher nicht maßgeblich, ob
ein „Ausschuss“ im Sinne des § 88 LVwVfG vorliegt. Die
Regelung bezieht sich auf „Gremien“ und deren Mitglieder
unabhängig davon, ob das Gremium aus Vertretern
der an einer Hochschule vorhandenen Mitgliedergruppen
zusammengesetzt ist, oder ob es – wie etwa ein Prüfungs‑,
Promotions- oder Habilitationsausschuss – allein
aus gewählten oder kraft Amtes berufenen Amtsträgern
besteht. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung
sowie aus der „inneren Systematik der Norm“. 38 § 10
LHG BW hebt mehrfach ausdrücklich die „nach Mitgliedergruppen
zusammengesetzten Gremien“ in besonderer
Weise hervor und grenzt sie gegenüber Gremien ab,
die nicht entsprechend zusammengesetzt sind. Letztere
will das Gesetz ausweislich des § 9 Abs. 5 Satz 2 LHG BW
ebenfalls als Gremien verstanden wissen.39
In sachlicher Hinsicht wird von § 10 Abs. 5 LHG BW
nicht allein die Wahl unmittelbar zum entscheidenden
Gremium erfasst. Die Regelung gilt vielmehr auch für
die fehlerhafte Bildung eines etwaigen Wahlorgans zur
Wahl der Mitglieder des entscheidenden Gremiums.40
Ungeachtet dessen, ob die – richtige – Zusammensetzung
des Wahlorgans eine nach § 10 Abs. 5 Satz 1
und 2 LHG BW unbeachtliche Ungültigkeit der Wahl begründet41,
folgt dies jedenfalls aus
§ 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW. Hiernach wird die Unbeachtlichkeit
auf alle Besetzungsmängel ausgedehnt, also auch
auf jene, die auf der fehlerhaften Zusammensetzung des
Wahlorgans beruhen.42 - Ausdehnung der Unbeachtlichkeit auf die „fehlerhafte
Besetzung“
§ 10 Abs. 5 Satz 3 LHG und Art. 40 Abs. 2 Satz 2 BayHSchG
dehnen die Unbeachtlichkeitsregelung auf die Fälle
einer „fehlerhaften Besetzung“ des Gremiums aus. In
der hochschulrechtlichen Praxis wird im Anfechtungsverfahren
– z.B. gegen die Rücknahme eines akademischen
Titels43 – immer wieder geltend gemacht, an der
Entscheidung eines Gremiums – z.B. eines Promotionsausschusses
– habe ein wegen Befangenheit ausgeschlossenes
oder ein fehlerhaft berufenes Mitglied mitgewirkt
oder das Gremium sei beschlussunfähig gewesen, weil
nicht die erforderliche Anzahl der Mitglieder anwesend
gewesen sei. Dann stellt sich die Frage, ob die genannten
Regelungen diese Fälle erfassen und zu einer Unbeachtlichkeit
führen. Die Folge wäre, dass das befasste Gericht
etwaigen Beweisanträgen zum konkreten Ablauf einer
Beschlussfassung durch Zeugeneinvernahme nicht
nachzukommen bräuchte und auch von Amts wegen
nicht weiter zu ermitteln hätte.44
a) Sitzungsspezifische und allgemeine Besetzungsfehler
Die beispielhaft aufgezählten Rügen betreffen (Verfahrens-)
Fehler der konkreten Gremiensitzung und
Beschlussfassung im konkreten Verwaltungs- oder
Hornfischer · Zur Unbeachtlichkeit von Besetzungsfehlern 9 1
45 So wohl Herberger, in: Haug, Das Hochschulrecht in Baden-
Württemberg, 2. Auflage 2009, Rn. 241.
46 VG Freiburg 25.9.2019 – 1 K 5443/18 –, juris Rn. 103 (noch nicht
rechtskräftig)..
47 LT-Drs. 13/3640, S. 182.
48 LT-Drs. 13/3640, S. 182.
49 VGH BW 30.7.2018 – 9 S 764/18 –, juris Rn. 37.
50 VG Freiburg – 1 K 5443/18 –, juris Rn. 104 (noch nicht rechtskräftig)..
Rechtssetzungsverfahren, während die Ungültigkeit der
Wahl einen Mangel an demokratischer Legitimation
darstellt, der unabhängig von einem konkreten Verfahren
und dort einer konkreten Gremiensitzung vorliegt.
Daher soll im Folgenden von sitzungsspezifischen Besetzungsfehlern,
die im Falle eines Verwaltungsverfahrens
einen Verfahrensfehler darstellen würden, die Rede sein.
b) Anwendbarkeit des § 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW auf
sitzungsspezifische Besetzungsfehler
Eine unmittelbare Anwendung des
§ 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW auf sitzungsspezifische Verfahrensfehler
setzt voraus, dass diese ebenfalls Fälle einer
„fehlerhaften Besetzung“ sind. Dem Wortlaut nach
könnte dagegensprechen, dass § 10 Abs. 5 Satz 3 LHG
BW die fehlerhafte Besetzung von Gremien losgelöst von
einer konkreten Sitzung und einem konkreten Verfahren
bestimmt. In systematischer Hinsicht steht Satz 3 zudem
im Zusammenhang mit Satz 1, der mit der Ungültigkeit
der Wahl ebenfalls einen allgemeinen, von der konkreten
Gremiensitzung in einem konkreten Verfahren losgelösten
Besetzungsmangel beschreibt. Deshalb wird
§ 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW von Teilen der Literatur so
verstanden, dass hierdurch ausschließlich die Rechtsfolge
des § 10 Abs. 5 Satz 2 LHG BW über die in Satz 1
benannten Wahlmitglieder hinaus auf die Mitglieder
kraft Amtes im Falle der fehlerhaften Amtsbesetzung
ausgedehnt werden soll.45 Für eine solche restriktive
Auslegung könnte auch sprechen, dass ein sitzungsspezifischer
Besetzungsmangel nach den Verfahrensvorschriften
der betreffenden Körperschaft in der Regel
durch eine neue Einberufung des Gremiums und nochmalige
Befassung mit dem Beschlussgegenstand ohne
größeren Aufwand ausgeräumt werden könne. Mängel
der Wahl des Gremiums, eines einzelnen Gremienmitglieds
oder der Ernennung eines Amtswalters, der kraft
Amtes Gremienmitglied ist, sind ungleich schwerer zu
beheben.
Einer solchen grammatikalischen und systematischen
Auslegung kann jedoch entgegengehalten werden,
dass § 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW allein auf Satz 2 und gerade
nicht auf Satz 1 verweist.46Auch scheint der Gesetzgeber
die Ungültigkeit der Wahl nicht als den Fall einer
„fehlerhaften Besetzung“ anzusehen, sonst hätte er voraussichtlich
formuliert: „Satz 2 gilt bei einer sonstigen
fehlerhaften Besetzung von Gremien entsprechend“.
Dies hat er jedoch nicht getan. Vielmehr stellt der Gesetzgeber
in der Gesetzesbegründung klar, „dass die
Rechtswirksamkeit der Tätigkeit von Mitgliedern auch
dann unberührt bleibt, wenn das Gremium aus anderen
Rechtsgründen fehlerhaft besetzt sein sollte.“47Lediglich
beispielhaft führt die Gesetzesbegründung weiter aus,
dass dies „insbesondere für die Amtsmitglieder eines
Gremiums selbst, aber auch für vom Gremium gewählte
Funktionsträger, z.B. für den Studiendekan und die Studienkommissionen
sowie die Mitglieder von Prüfungsausschüssen
usw.“ gelte.48 Der Regelungsinhalt des
§ 10 Abs. 5 Satz 2 und 3 LHG BW ist mithin so zu verstehen,
dass die Rechtswirksamkeit der Tätigkeit des Gremiums
bei einer fehlerhaften Besetzung nicht berührt
wird.
Für eine Anwendung des § 10 Abs. 5 Satz 2 und
3 LHG BW auf die Fälle eines sitzungsspezifischen Besetzungsfehlers
spricht zudem das Verständnis des Verwaltungsgerichtshofs,
dass eine fehlerhafte Besetzung selbst
einen Verfahrensfehler darstellt und nicht seinerseits auf
einem Verfahrensfehler beruhen muss.49
Ferner würde es einen Wertungswiderspruch darstellen,
wenn einerseits die Rechtswirksamkeit der Handlungen
eines gesamten Gremiums, dessen Wahl ungültig
ist, hiervon unberührt bleiben soll, während andererseits
der Beschluss eines wirksam gewählten Gremiums wegen
eines jeden sitzungsspezifischen Besetzungsmangels
in einer konkreten Sitzung unwirksam wäre.50 Ein Wertungswiderspruch
läge jedenfalls dann vor, wenn es sich
beim sitzungsspezifischen Besetzungsmangel – wie etwa
bei der Beschlussunfähigkeit – ebenfalls um einen Mangel
demokratischer Legitimation handelt.
c) Differenzierte Betrachtungsweise
Spricht daher einiges für eine grundsätzliche Anwendbarkeit
des § 10 Abs. 5 Satz 3 LHG BW auch auf sitzungsspezifische
Besetzungsfehler innerhalb eines konkreten
Verfahrens, ist allerdings noch die Anwendung im Einzelfall
angesichts des konkreten Besetzungsfehlers zu
klären. Die Frage der Anwendung des § 10 Abs. 5 Satz 2
und 3 LHG BW auf sitzungsspezifische Besetzungsfehler
sollte differenziert betrachtet und beantwortet werden.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg zur Bedeutung von Verfahrensfehlern
im Innenbereich eines Verwaltungsträgers
ist mit Blick auf die Aufgabenvielfalt des Verfahrensrechts
für die Beachtlichkeit des Fehlers ein Rechtswidrigkeitszusammenhang
zwischen Verfahrensfehler und
9 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 0 ) , 8 5 — 9 4
51 VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –, VBlBW 2014, 341; vgl. zu § 10
Abs. 5 Satz 3 LHG BW auch VG Freiburg 25.9.2019 – 1 K 5443/18
–, juris Rn. 105.
52 Vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL,
Stand: Februar 2019, § 42 Abs. 2 Rn. 94.
53 Vgl. allgemein zum verneinten Aufhebungsanspruch bei der
Verletzung von ausschließlich den In-nenbereich betreffenden
Verfahrensvorschriften VGH BW 3.2.2014 – 9 S 885/13 –,
VBlBW 2014, 341.
54 Vgl. hierzu Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36.
EL, Stand: Februar 2019, § 42 Abs. 2 Rn. 91 ff.
55 VG Freiburg 25.09.2019 – 1 K 5443/18 –, juris Rn. 107.
subjektiver Rechtsverletzung erforderlich. Dieser besteht
nur dann, wenn im Gefüge der Verfahrenshandlungen
gerade die einschlägige Verfahrensbestimmung eine
Schutzaufgabe für die materiellrechtliche Position des
Rechtsschutzsuchenden hat. Dies gilt für Adressatenklagen
und Drittklagen gleichermaßen.51 Maßgeblich ist
also, aufgrund welchen Rechtsverstoßes ein sitzungsspezifischer
Besetzungsfehler vorliegt. Das Unterschreiten
des für die Beschlussfähigkeit erforderlichen Quorums
der anwesenden Mitglieder betrifft etwa allein den Innenbereich
des Verwaltungsträgers. Das Entsprechende
gilt, soweit Verfahrensordnungen vorsehen, dass in bestimmten
Fällen der Vorsitzende an Stelle der Gremienmitglieder
allein entscheidet. Die fehlerhafte Annahme,
die Voraussetzungen für eine solche Verschiebung der
Entscheidungskompetenz lägen vor, betrifft ausschließlich
allein den Innenbereich des Verwaltungsträgers.
Solche Bestimmungen bezwecken allenfalls den Schutz
organschaftlicher Rechte und dienen nicht dem vorgezogenen
Rechtsschutz des Bürgers im Verwaltungsverfahren.
52 Ihre Verletzung führt nicht zu einem Aufhebungsanspruch
des (Dritt-)Betroffenen in Bezug auf den auf
der Gremienentscheidung beruhenden
Verwaltungsakt.53
Dagegen kann die Mitwirkung eines wegen Befangenheit
ausgeschlossenen Mitglieds auch die Rechte des
(Dritt-)Betroffenen berühren. § 10 Abs. 5 Satz 2 und
3 LHG BW findet nach hier vertretener Auffassung auf
solch einen sitzungsspezifischen Besetzungsfehler keine
Anwendung.
Durch diese differenzierte Betrachtungsweise werden
die Verfahrensregelungen, die ausschließlich allein
den Innenbereich des Verwaltungsträgers betreffen,
nicht gegenstandslos. Denn die Verletzung dieser Verfahrensvorschriften
kann unter den allgemeinen Voraussetzungen
eines Inter- oder Intraorganstreits54 geltend
gemacht und gegebenenfalls durchgesetzt werden. 55
III. Schluss
Das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Hochschulen,
sich selbst zu verwalten, bringt es mit sich, dass
die Hochschulen – unabhängig von ihrer Größe und
ihrer Leistungsfähigkeit im Hinblick auf Verwaltungstätigkeit
und rechtliches Know-How – die Besetzung ihrer
Gremien zu organisieren und durchzuführen haben.
Kommt es bei den Wahlen zu Gremienmitgliedern oder
zu Amtswaltern, die kraft Amtes Gremienmitglied sind,
zu Fehlern, die zur Ungültigkeit der Wahl führen, hätte
dies für die Tätigkeit des Gremiums und damit für die
Verwaltungstätigkeit der Hochschule selbst weitreichende
negative Folgen. Das Hochschulrecht der Länder sieht
daher – entsprechend einem allgemeinen staatsorganisationsrechtlichen
und verwaltungsorganisatorischen
Grundsatz – vor, dass die Rechtswirksamkeit der Tätigkeit
von der Ungültigkeit der Wahl unberührt bleibt.
Manche Hochschulgesetze der Länder dehnen diese
Unbeachtlichkeit auf Besetzungsmängel aus.
Diese gesetzgeberische Entscheidung ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden und dient maßgeblich
der Funktionsfähigkeit der Hochschule und der Rechtssicherheit
für die Betroffenen Mitglieder der
Hochschule.
Die Regelungen über die Unbeachtlichkeit der Ungültigkeit
der Wahl und der Besetzungsmängel sind in
der Praxis von großer Bedeutung. Zugleich sind diese
Vorschriften den im Hochschulrecht Handelnden häufig
nicht präsent. Gerade in gerichtlichen Anfechtungsverfahren
gegen belastende Entscheidungen der Hochschulen
wird seitens der Antragsteller bzw. Kläger immer
wieder die fehlerhafte Besetzung der entscheidenden
oder mitwirkenden Gremien aufwendig gerügt,
ohne dass die Frage gestellt wird, was aus einem solchen
Fehler denn rechtlich folgen soll.
Hornfischer · Zur Unbeachtlichkeit von Besetzungsfehlern 9 3
Ist sich der Rechtsanwender der Existenz, der Anwendbarkeit
und Rechtsfolge der Unbeachtlichkeitsvorschriften
bewusst, kann eine nicht zielführende Beratungsstrategie
seitens der Anwälte vermieden werden
und ein entsprechender Vortrag im Rechtsschutzverfahren
wird überflüssig, so dass die Beteiligten – unbeirrt
von etwaigen Nebelkerzen – die Rechtmäßigkeit und
Rechtswirksamkeit des betreffenden Verwaltungshandelns
der Hochschule erörtern können.
Dr. Felix Hornfischer ist Richter am Verwaltungsgericht
beim Verwaltungsgericht Freiburg und dort als Beisitzer
der 1. Kammer u.a. für hochschulrechtliche Streitigkeiten
zuständig. Er ist ferner Beisitzer in der Disziplinarkammer
und der Personalvertretungskammer. Der
Beitrag gibt allein seine persönliche Auffassung wieder