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Über­sicht

I. Ein­lei­tung

II. Rah­men­be­din­gun­gen

1. Reich­wei­te der Entscheidung

2. Recht­spre­chung und Kri­tik der Literatur

3. Bis­he­ri­ge Aus­ge­stal­tung des Verfahrens

4. Sta­tis­tik: Zunah­me der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten und Auswahlgrenzen

5. Aus­gangs­ver­fah­ren

III. Vom „Abitur“ zum „Adit­ur“: Aner­ken­nung ver­än­der­ter Re- ali­tä­ten und Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Auswahlverfahren

1. Aus­gans­punkt der gericht­li­chen Erwägungen

2. Eig­nungs­ori­en­tie­rung des Auswahlverfahrens

3. Gleich­mä­ßi­ge Gewich­tung der Auswahlkriterien

4. Wesent­lich­keits­theo­rie und Aus­ge­stal­tungs­be­fug­nis der Hoch- schulen

5. Abkehr von der War­te­zeit
6. Ableh­nung der Dro­hung mit dem ori­gi­nä­ren Teilhaberecht

IV. Uto­pie der Gleich­heit: Erfor­der­nis einer Berei­ni­gung der Hochschulzugangsberechtigungen

1. Kern­aus­sa­ge
2. Die „drei Säu­len“ der Unvergleichbarkeit

3. Ana­ly­se der feh­len­den Ver­gleich­bar­keit in der Erzie­hungs­wis- senschaft

4. Die „Berei­ni­gung“ von Noten der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti- gung

5. Zwi­schen­fa­zit: Uto­pie der Nor­mal­ver­tei­lung des Bil­dungs­po- tenzials

V. Mit­tel­ba­re Folgen

1. Aus­wir­kung auf Stu­di­en­gän­ge mit ört­li­cher Zulas­sungs­be- schränkung

2. Aus­strah­lungs­wir­kung in sons­ti­ge Rechts­ge­bie­te, ins­be­son­de­re auf Art. 33 Abs. 2 GG

3. Obiter dic­tum: Zulas­sungs­recht und Berück­sich­ti­gung von Gemein­wohl­be­lan­gen vor dem Hin­ter­grund der Dis­kus­si­on über die Ein­füh­rung einer Landarztquote

4. Tätig­wer­den von Bund oder Län­dern?
5. Aus­hand­lung neu­er Ver­fah­rens­grund­sät­ze VI. Fazit oder das Dilem­ma der Verteilung

  1. 1  Urt. v. 19.12.2017, Az.: 1 BvL 3/14; vgl. NVwZ 2018, 233 m. Anm. M. Wie­mers; NJW 2018, 361 m. Anm. C. von Coelln; JuS 2018, 305 m. Anm. F. Hufen; JA 2018, 233 m. Anm. S. MuckelR. Brehm/A. Brehm-Kai­ser, Das Drit­te Nume­rus-Clau­sus-Urteil des BVerfG, NVwZ-Extra 2018, 1 (1 ff.).
  2. 2  Vgl. S. Mau, Das metri­sche Wir, Über die Quan­ti­fi­zie­rung des Sozia­len, 2017.

Mat­thi­as Bode

Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie:
Die „Nume­rus clau­sus III“-Entscheidung des BVerfG

I. Ein­lei­tung

Das BVerfG hat sei­ne seit 1972 ent­stan­de­ne und kunst- voll über die Jah­re fort­ent­wi­ckel­te Recht­spre­chung zu den Grund­sät­zen der Hoch­schul­zu­las­sung um eine maß­ge­ben­de Ent­schei­dung erweitert.1 Ange­sichts ver- änder­ter Rah­men­be­din­gun­gen, etwa eines deut­lich gestie­ge­nen Anteils von Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten pro Jahr­gang, sieht das BVerfG nicht mehr allein den Erwerb des Abiturs als kon­sti­tu­tiv für den Zulas­sungs­an- spruch an, son­dern for­dert den Gesetz­ge­ber auf, zusätz- lich auf Kri­te­ri­en der Eig­nung zurück­zu­grei­fen; dabei wird ins­be­son­de­re auch die Rol­le der Hoch­schu­len im Rah­men der Hoch­schul­zu­las­sung aner­kannt und gestärkt. Damit nimmt das Gericht eine Argu­men­ta­ti- ons­li­nie auf, die zuneh­mend auch in Rechts- und Bil- dungs­wis­sen­schaf­ten ver­tre­ten wird. Indem das Gericht zudem – soweit noch auf die Note der Hoch­schul­zu- gangs­be­rech­ti­gung abge­stellt wird – eine „Berei­ni­gung“ von län­der­spe­zi­fi­schen Ver­gleich­bar­keits­de­fi­zi­ten for- dert, wirft es aller­dings mehr Fra­gen auf als es Ant­wor- ten gibt; die­ser Ansatz dürf­te den Gleich­heits­satz über- for­dern und ist in der Sache eher Aus­druck einer – durch­aus zeittypischen2 – Uto­pie. Die­ser Arti­kel kon­tex­tua­li­siert die Ent­schei­dung vor dem Hin­ter­grund der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung und ord­net ihre Bedeu- tung für das Hoch­schul­zu­las­sungs­recht ein.

Die Fra­ge, wer berech­tigt sein soll, ein Hoch­schul­stu- dium auf­zu­neh­men, ist seit jeher von ent­schei­den­der ge- sell­schaft­li­cher Bedeu­tung. Über den Hoch­schul­zu­gang kon­sti­tu­ie­ren sich Exper­ten­eli­ten, es prä­gen sich insti­tu- tio­nel­le Milieus; die Über­gangs­quo­te von der Schu­le zur Hoch­schu­le hat schließ­lich Aus­wir­kun­gen auf die öko- nomi­sche Entwicklung.3 Über­dies kommt der Berech­ti- gung zum Hoch­schul­be­such auch weit­rei­chen­de Steue- rungs­wir­kung für künf­ti­ge Ent­wick­lun­gen zu; die Öff- nung der Hoch­schu­le lockt – oder ver­schreckt – Stu­di- enin­ter­es­sier­te und ent­schei­det über Bil­dungs­we­ge. Das BVerfG hat­te die­se Bedeu­tung auch vor Augen, als es

3 Vgl. H.-U. Weh­ler, Deut­sche Gesell­schafts­ge­schich­te, 1700–1815, 4. Aufl. 2006, S. 479; A. Wol­ter, Von der Eli­ten­bil­dung zur Bil- dungs­expan­si­on, 1989, S. 3 ff.; ders., Das Abitur, 1987; R. Böl­ling, Klei­ne Geschich­te des Abiturs, 2010; M. Bode, Hoch­schul­zu­las- sungs­recht im Span­nungs­feld von gesamt­staat­li­cher Pla­nung und loka­ler Gerech­tig­keit, WissR 2013, 348 (349 ff.).

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2018, ISSN 2197–9197

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1972 erst­mals mit der Fra­ge nach der Ver­fas­sungs­mä­ßig- keit des Nume­rus clau­sus kon­fron­tiert war. So führ­te es aus, dass „Zulas­sungs­be­schrän­kun­gen der in Rede ste- hen­den Art Ver­tei­lung von Lebens­chan­cen bedeu­ten können“.4

Mit dem ers­ten Nume­rus clau­sus-Urteil vom 18. Juli 1972 ver­kün­de­te das BVerfG schon ein­mal eine Entsch­ei- dung mit gera­de­zu uto­pi­schem Gehalt. Die­ser lag weni- ger in der Aus­sa­ge, dass aus der an sich als Abwehr­recht gegen den Staat kon­zi­pier­ten Berufs­frei­heit nach Art. 12 Abs. 1 GG auch ein Leis­tungs­recht im Sin­ne eines sub- jek­tiv-öffent­li­chen Rechts auf Zulas­sung zum begehr­ten Stu­di­en­fach im Rah­men der ver­füg­ba­ren Plät­ze fol­ge; das war näm­lich weder dog­ma­tisch über­ra­schend noch unter prak­ti­schen Gesichts­punk­ten von grö­ße­rer Bedeu- tung.5 Ent­schei­dend war viel­mehr, dass das Gericht den Wert des Abiturs als ver­meint­lich unmit­tel­ba­re Zugangs- berech­ti­gung her­vor­hob und den Ein­druck erweck­te, es könn­te grund­sätz­lich jeder „prin­zi­pi­ell gleich­be­rech­tig­te hoch­schul­rei­fe Anwär­ter“ das Stu­di­um sei­ner Wahl auf- neh­men. So wur­de die Zulas­sung zur blo­ßen Res­sour- cen­fra­ge. Fol­ge­rich­tig warf das Gericht die Fra­ge auf, „ob aus den grund­recht­li­chen Wert­ent­schei­dun­gen und der Inan­spruch­nah­me des Aus­bil­dungs­mo­no­pols ein objek- tiver sozi­al­staat­li­cher Ver­fas­sungs­auf­trag zur Bereitstel- lung aus­rei­chen­der Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten für die ver- schie­de­nen Stu­di­en­rich­tun­gen“ fol­ge. Auch wenn es dies im Ergeb­nis offen ließ, ver­such­te das Gericht, den „Vor- behalt des Mög­li­chen“ zu modi­fi­zie­ren, also das Recht „gegen die Eigen­lo­gik der Wirk­lich­keit“ zu behaup­ten – und ergriff damit Par­tei für die For­de­rung nach einem Aus­bau der Studienplätze.6 Wie sich Gun­nar Fol­ke Schup­pert, damals wis­sen­schaft­li­cher Hilfs­ar­bei­ter am Ers­ten Senat des BVerfG, erin­nert, ver­wan­del­te das Ur- teil den Nume­rus clau­sus in eine „recht­fer­ti­gungs­be- dürf­ti­ge Tech­nik“ und erzeug­te „nor­ma­ti­ven Druck in Rich­tung auf eine Ver­bes­se­rung in den Pro­blem­be­rei- chen Kapa­zi­täts­nut­zung und Zulassungsverfahren“.7

  1. 4  BVerfGE 33, 303 (338).
  2. 5  Vgl. T. Opper­mann, Kul­tur­ver­wal­tungs­recht, 1969, S. 393;W. Kalisch, Beschrän­kun­gen in der Zulas­sung zum Stu­di­um inver­fas­sungs­recht­li­cher Hin­sicht, in: DVBl. 1967, 134 (134 f.).
  3. 6  BVerfGE 33, 303 (333); O. Depen­heu­er, in: J. Isensee/P. Kirchhof,HdbStR, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 269 Rn. 9, 48.
  4. 7  G. F. Schup­pert, Der Zugang zu den Uni­ver­si­tä­ten, in: H. J. Vogel,FS M. Hirsch, 1981, S. 567 (574 ff.).
  5. 8  W. Has­se­mer, Poli­tik aus Karls­ru­he?, JZ 2008, 1 (5 f.).
  6. 9  P. Häber­le, Das BVerfG im Leis­tungs­staat, in: DÖV 1972, 729 (732).Anders dage­gen Rupp, der kri­ti­sier­te, dass das Urteil „das eigent­li­che Pro­blem grund­recht­li­cher Frei­heits­er­fül­lung über­haupt“ nicht ge- trof­fen habe, da es allein auf den Zulas­sungs­an­spruch des Ein­zel­nen abstel­le und öko­no­mi­sche Fak­to­ren oder die indi­vi­du­el­le Eig­nung für den Beruf unbe­rück­sich­tigt lie­ße. H. H. Rupp, Vom Wan­del der Grund­rech­te, in: AöR 101, 161 (181 f.); kri­tisch auch Kim­mi­nich,

Die­se „Poli­tik aus Karlsruhe“8 hat­te unter ande­rem die im Wesent­li­chen län­der­ein­heit­li­che Aus­ge­stal­tung des Zulas­sungs­rechts zur Fol­ge und kann daher in prag­ma- tisch-poli­ti­scher Hin­sicht mit Häber­le als „eine klu­ge Stra­te­gie“ beur­teilt werden.9

Zugleich ver­lieh das BVerfG mit sei­nem Urteil der Vor­stel­lung Aus­druck, dass die Bewirt­schaf­tungs­rah- men der Nach­kriegs­zeit über­holt sei­en und an ihre Stel- le eine vor­aus­schau­en­de Pla­nung tre­ten müsste.10 Dies ent­sprach dem seit den 1960er Jah­ren vie­ler­orts vor­herr- schen­den Glau­ben, dass durch Steue­rungs­maß­nah­men eine Regu­lie­rung des Bil­dungs­we­sens zum all­ge­mei­nen Vor­teil mög­lich und nötig sei.11 Es war aber auch die Ab- sage an einen rigi­den plan­wirt­schaft­li­chen Diri­gis­mus, wie er sei­tens der „Zen­tral­stel­le für die Stu­di­en­be­wer- bun­gen“ in Mag­de­burg – bereits sechs Jah­re vor Grün- dung der ZVS 1974 – vom bearg­wöhn­ten „Bru­der­staat“ in Osten betrie­ben wurde.12

In der Uto­pie reflek­tier­te sich die Dah­ren­dorf­sche For­de­rung nach dem „Bür­ger­recht auf Bildung“,13 und sie war der Sie­ges­zug des sub­jek­ti­ven Rechts. Das Ge- richt voll­zog die „koper­ni­ka­ni­sche Wen­de“ des Per­spek- tiv­wech­sels von einem Recht der Hoch­schu­le zum Grund­recht der Bewer­ber. Das Urteil kann daher zu- gleich als Mark­stein einer ord­nungs­po­li­ti­schen Durch- drin­gung des Hoch­schul­we­sens ange­se­hen wer­den. Sie sym­bo­li­siert das „klei­ne Glück der größ­ten Zahl“.14

Das Schei­tern der Uto­pie folg­te in den Nie­de­run­gen der Pra­xis – und auf Raten. In Fol­ge des ers­ten Nume­rus clau­sus-Urteils kol­li­dier­ten von nun an – sich stets aus- dif­fe­ren­zie­ren­de – recht­li­che Vor­ga­ben mit den Zie­len der Bildungsplanung.15 Letzt­lich war es der in die­ser Form nicht vor­her­ge­se­he­ne Bil­dungs­boom, der das Ende der Uto­pie mar­kier­te. Die Aus­wahl­gren­zen signa­li­sie­ren dies; die zur Rea­li­sie­rung der Uto­pie in die Pflicht ge- nom­me­nen Bil­dungs­ver­wal­tun­gen taten über die Jah­re viel, um Här­te abzu­mil­dern; bei­spiels­wei­se wur­de ein sog. beson­de­res Aus­wahl­ver­fah­ren kon­zi­piert, das – an

der es als „rüh­ren­des Doku­ment der Hilf­lo­sig­keit“ bezeich­ne­te, O.

Kim­mi­nich, Anmer­kung, in: JZ 1972, 696 (699).
10 Vgl. H. Bah­ro/W. Becker/J. Hit­pass, Abschied vom Abitur?, 1974,

S. 8 ff.
11 Vgl. M. Ruck, Ein kur­zer Som­mer der kon­kre­ten Uto­pie, in:

A. Schildt, Dyna­mi­sche Zei­ten, 2000, S. 362 (362 ff.).
12 Vgl. M. Bode, in: L. Knopp/F.-J. Peine/H. Top­el, Bran­den­bur­gi- sches Hoch­schul­ge­setz, 3. Aufl. 2018, BbgHZG, Vorbemerkung

Rn. 50.
13 Vgl. R. Dah­ren­dorf, Bil­dung ist Bür­ger­recht, 1965, S. 14 ff. 14 M.-E. Geis, Die Recht­spre­chung des BVerfG zum „Recht auf

Bil­dung“ in den Jah­ren 1972–1977, in: WissR, Bei­heft 18, 2007, 9

(10 f.).
15 Anschau­lich: D. Hewig, Steue­rungs­pro­ble­me im Hochschulbe-

reich, in: BayVBl. 1978, 68 (70 ff.).

sich sys­tem­wid­rig – im Fal­le star­ken Bewer­ber­über- hangs nun wie­der Fra­gen der Eig­nung in die Zulas­sung ein­brach­te. Die Hoch­schu­len hat­ten mit ihren Inter­es­sen in die­ser Zeit häu­fig das Nachsehen.16

Der Bei­trag unter­sucht, wie sich das BVerfG zu den Grund­sät­zen sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung posi­tio- niert. Dabei wird zunächst auf die Rah­men­be­din­gun­gen der Hoch­schul­zu­las­sung ein­ge­gan­gen (II.) und sodann auf die im Mit­tel­punkt der Ent­schei­dung ste­hen­de Fra­ge nach der Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Aus­wahl­kri­te­ri­en und die orga­ni­sa­to­ri­schen Anfor­de­run­gen; hier­bei wird argu­men­tiert wer­den, dass das Gericht einen Teil sei­ner Grund­sät­ze den ver­än­der­ten Gege­ben­hei­ten ange­passt hat, was etwa in der Stär­kung der Aus­wahl nach Eig­nung zum Aus­druck kommt (III.). Anschlie­ßend wer­den die weit­rei­chen­den Aus­sa­gen zum Erfor­der­nis der „Berei­ni- gung“ von schu­li­schen Abschluss­zeug­nis­sen im Bil- dungs­fö­de­ra­lis­mus ana­ly­siert. Hier ist zu zei­gen, dass das Gericht ein weit­rei­chen­des Pos­tu­lat in Hin­blick auf die Gleich­be­hand­lung auf­stellt (IV.). Schließ­lich wird die Aus­strah­lungs­wir­kung der Ent­schei­dung auf wei­te­re Be- rei­che dar­ge­stellt (V.).

II. Rah­men­be­din­gun­gen

1. Reich­wei­te der Entscheidung

Es ist sinn­voll, zwi­schen den Begrif­fen Hoch­schul­zu­gang und ‑zulas­sung zu dif­fe­ren­zie­ren: Das Hoch­schul­zu- gangs­recht (sog. Qua­li­fi­ka­ti­ons­recht) regelt, wel­che Qua­li­fi­ka­ti­on eine Per­son auf­wei­sen muss, um das Stu­di- um auf­neh­men zu dür­fen. Das Hoch­schul­zu­las­sungs- recht (sog. Ver­tei­lungs­recht) bestimmt, wel­che zugangs- berech­tig­ten Bewer­ber sich imma­tri­ku­lie­ren dürfen.17 Das Urteil betrifft im Wesent­li­chen Fra­gen des Zulas- sungs­rechts. Indem nun aber auch im Rah­men der Ver- tei­lung Aspek­te der Eig­nung eine Rol­le spie­len sol­len (sie­he III.), ver­schwimmt die Gren­ze zum Zugangs­recht. Ent­schei­dend ist, dass das Qua­li­fi­ka­ti­ons­recht nach wie vor die Bedin­gun­gen fest­legt, unter denen die gene­rel­le Eig­nung zum Stu­di­um im Sin­ne der Hoch­schul­zu­gangs- berech­ti­gung aus­ge­stellt wird, wäh­rend das Ver­tei­lungs- recht an der Eig­nung für ein spe­zi­fi­sches Studienfach

  1. 16  Bode (Fn. 3), 349 ff.
  2. 17  Vgl. J. F. Lind­ner, in: M. Hartmer/H. Det­mer, Hochschulrecht,3. Aufl. 2017, 11 Rn. 1 ff.; A. Pautsch/A. Dil­len­bur­ger, Kom­pen­di­umz­um Hoch­schul- und Wis­sen­schafts­recht, 2. Aufl. 2016, B Rn. 80 ff.
  3. 18  R. Brehm/W. Zim­mer­ling, Die Ent­wick­lung des Hoch­schul­zu­las-sungs­rechts seit 2008, NVwZ-Extra 2014, 1 (1 ff.).
  4. 19  BVerfGE 33, 303 (337 ff.); 40, 352 (354 ff.); 42, 291 (317, 323, 345,364); 59, 172 (205 ff.).
  5. 20  M.w.N. M. Bode, in: M.-E. Geis, Hoch­schul­recht in Bund und­Län­dern, Bd. 1, 2017, HRG, § 32 Rn. 13 ff., 45 ff.
  6. 21  K. Hail­bron­ner, Kom­pe­ten­zen des Bun­des zur Rege­lung des Hoch-

anknüpft. Wei­ter­hin bezieht sich die Ent­schei­dung ledig- lich auf das sog. inner­ka­pa­zi­tä­re Hoch­schul­zu­las­sungs- recht, also die Ver­tei­lung der Stu­di­en­plät­ze im Rah­men der aus­ge­wie­se­nen Kapa­zi­tä­ten. Sie betrifft nicht das Kapa­zi­täts­recht und des­sen Über­prü­fung im Rah­men sog. außer­ka­pa­zi­tä­rer Klageverfahren.18

2. Recht­spre­chung und Kri­tik der Literatur

Nach der Recht­spre­chung des BVerfG darf eine Zulas- sungs­be­schrän­kung nur in den Gren­zen des unbe­dingt Erfor­der­li­chen unter Erschöp­fung der Nut­zung der vor- han­de­nen Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten ange­ord­net wer­den. Die Aus­wahl muss auf Grund­la­ge sach­ge­rech­ter Kri­te­ri- en erfol­gen und jedem an sich hoch­schul­rei­fen Bewer­ber zumin­dest eine Zulas­sungs­chan­ce eröff­nen. Dabei sind star­re Grenz­zie­hun­gen zu vermeiden.19

Die­se Recht­spre­chung wur­de bis­lang über­wie­gend von Gerich­ten und Lite­ra­tur so inter­pre­tiert, dass im Wesent­li­chen das Abitur über den Hoch­schul­zu­gang ent­schei­det und dass sogar eine spe­zi­fi­sche Eig­nung des Bewer­bers die­se Bin­dung an die Note nicht – bzw. im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len nur sehr ein­ge- schränkt – über­spie­len kann. Die seit den 1970er Jah­ren ein­ge­tre­te­nen Umfeld­ver­än­de­run­gen des Hoch­schul­zu- las­sungs­rechts, ins­be­son­de­re der hoch­schul­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen, und die Aus­wei­tung des Krei­ses der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten (sie­he II.4.), haben aller­dings vor allem in der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Lite- ratur Zwei­fel an der bis­he­ri­gen Kon­zep­ti­on wach­sen lassen:20

Dies betrifft zum einen die Fra­ge, ob der Hoch­schul- zugangs­be­rech­ti­gung, regel­mä­ßig dem Abitur, eine „Tür- öff­ner-Funk­ti­on“ für die Hoch­schu­le zukom­men muss. Hier wur­den ver­mehrt Stim­men laut, die für eine neben dem Abitur ste­hen­de Stu­di­en­eig­nungs­fest­stel­lung durch die Hoch­schu­len plädieren,21 teil­wei­se auch als „neu­es Hoch­schul­zu­las­sungs­recht“ bezeichnet.22 Es wur­de ar- gumen­tiert, dass die Ver­gleich­bar­keit der Hoch­schul­zu- gangs­be­rech­ti­gun­gen schon auf­grund der Viel­ge­stal­tig- keit der Bil­dungs­we­ge, die den Hoch­schul­zu­gang eröff- nen, nicht vor­lie­ge. Die not­wen­di­ge „Wis­sen­schaft­lich- keit der Hoch­schul­bil­dung“ erfor­de­re, dass Hochschulen

schul­zu­gangs, WissR 1994, 1 (11 ff.); ders., Hoch­schul­zu­gang, zen­tra­le Stu­di­en­platz­ver­ga­be und Hoch­schul­aus­wahl­ver­fah­ren, WissR 2002, 209 (215 ff.); R. Stein­berg/H. Mül­ler, Art. 12 GG, Nume­rus Clau­sus und die neue Hoch­schu­le, NVwZ 2006, 1113 (1113 f.); H. Dat­zer, Diver­si­fi- zie­rung beim Hoch­schul­zu­gang, in: M. Fehling/J. A. Kämmerer/K. Schmidt, Hoch­schu­len zwi­schen Gleich­heits­idee und Eli­te­stre­ben, 2005, S. 99 (100 ff.). Vgl. W. Löwer, Aktu­el­le Pro­ble­me einer Neu­re­ge­lung des Hoch­schul­zu­gangs, in: M. Wink­ler, FS E.-J. Meu­sel, 1997, S. 175 (191 ff.); T. Mann, in: M. Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 176.

22 P. Hauck-Scholz/B. Brau­hardt, Ver­fas­sungs­recht­li­che Aspek­te der neu­en Stu­di­en­platz­ver­ga­be, WissR 2008, 307 (322).

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176 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190

geeig­ne­te Bewer­ber für ihre Stu­di­en­gän­ge (mit-)aussu- chen.23 Hier­ge­gen wird ein­ge­wandt, dass eine punk­tuel- le Auf­nah­me­prü­fung die Eig­nung eines Bewer­bers kaum reprä­sen­ta­tiv wider­spie­geln kön­ne. Art. 12 Abs. 1 GG schüt­ze gera­de die Frei­heit des grund­sätz­lich Zugangs- berech­tig­ten von der Schu­le zur Ausbildungsstelle.24Auch die Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK) hielt am „Kon­zept der all­ge­mei­nen Hoch­schul­rei­fe als schu­li­scher Ab- schluss­qua­li­fi­ka­ti­on zur Zugangs­be­rech­ti­gung für alle Stu­di­en­gän­ge“ fest.25

3. Bis­he­ri­ge Aus­ge­stal­tung des Verfahrens

Die Ver­tei­lung der Stu­di­en­plät­ze im sog. Zen­tra­len Ver- fah­ren beruht auf den §§ 31 ff. HRG und dem von allen Bun­des­län­dern umge­setz­ten Staats­ver­trag. Zunächst bil- det die Stif­tung für Hoch­schul­zu­las­sung sog. Vor­ab­quo- ten, etwa für Bewer­ber, die auf­grund beson­de­rer indi­vi- duel­ler Här­te sofort stu­die­ren müs­sen oder für Sani­täts- offi­ziers­an­wär­ter der Bun­des­wehr. Die ver­blei­ben­den Stu­di­en­plät­ze wer­den zu 20 Pro­zent an die sog. Abitur- bes­ten vergeben.26 Der Mehr­heit der Bewer­ber soll­te das Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len im Umfang von 60 Pro­zent eine Zulas­sungs­chan­ce eröff­nen, in dem die Hoch­schu­len eige­ne Kri­te­ri­en aus einem vor­ge­ge­be­nen Kata­log aus­wäh­len konn­ten; hier­bei muss­te die Note der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung aller­dings „maß­ge­b­li- chen Ein­fluss“ – je nach lan­des­recht­li­cher Umset­zung also das abso­lut oder rela­tiv stärks­te Gewicht – zukom- men. 20 Pro­zent der Plät­ze erhal­ten die­je­ni­gen, die die längs­te War­te­zeit aufweisen.27

Soweit das bis­he­ri­ge Zulas­sungs­sys­tem als Zulas- sungs­kri­te­ri­um auf die Note der Hoch­schul­zu­gangs­be- rech­ti­gung zurück­greift, wen­det es zwei unter­schied­li- che Metho­den an: Im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu- le gilt die „nomi­na­le“, also aus­ge­wie­se­ne Note, die – je nach Aus­ge­stal­tung – mit wei­te­ren Kri­te­ri­en sei­tens der Hoch­schu­le ver­rech­net wird und in der Bil­dung einer Rang­lis­te aller Bewer­ber mün­det. In der Abitur­bes­ten- quo­te wird die Note zwar eben­falls „nomi­nal“ berück-

  1. 23  K. Hail­bron­ner, Ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen des Hoch­schul­zu- gangs, WissR 1996, 1 (23 ff.); vgl. P. Dal­lin­ger Neu­ord­nung des Hoch­schul­zu­gangs, WissR 1998, 127 (138 f.).
  2. 24  Löwer (Fn. 21), S. 197; I. Rich­ter, Aus­bil­dung und Arbeit, in: JZ 1981, 176 (180).
  3. 25  KMK-Beschl. v. 30.11./1.12.1995.
  4. 26  Dies war vom Gesetz­ge­ber weni­ger als Zulas­sungs­op­ti­on für das­Gros der Bewer­ber kon­zi­piert wor­den, son­dern als Art Pri­vi­leg­für die nach Abitur­no­te leis­tungs­stärks­ten Bewerber.
  5. 27  Bemes­sen wird die War­te­zeit nach den Halb­jah­ren, die sei­t­Er­werb der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung ver­gan­gen sind.
    In die­ser Zeit darf aller­dings nicht an deut­schen Hoch­schu­len stu­diert wer­den. Sog. Park­stu­di­en­reg­lung, vgl. BVerfGE 43, 291 (378 ff.).
  6. 28  Der Anteil eines Lan­des an den Stu­di­en­plät­zen bemisst sich nach

sich­tigt; durch einen Kunst­griff wird jedoch sicher­ge- stellt, dass nur Bewer­ber eines Bun­des­lan­des mit­ein­an- der in Kon­kur­renz tre­ten. Hier­zu wer­den sog. Lan­des- quo­ten gebil­det. Auf der Lan­des­quo­te ste­hen nur Bewer­ber, die in dem jewei­li­gen Bun­des­land ihre Hoch- schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung erwor­ben haben. Die­sen Be- wer­bern steht frei­lich nur ein gewis­ser Anteil aller Plät­ze zur Ver­fü­gung, der jedoch über alle Län­der und alle Hoch­schul­stand­or­te ver­teilt wird. Die­se Ver­tei­lung ist „von außen“ kaum erkenn­bar und beruht auf einer kom- pli­zier­ten Berechnung.28

4. Sta­tis­tik: Zunah­me der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig- ten und Auswahlgrenzen

War Anfang der 1970er Jah­re in den Gre­mi­en der KMK noch davon aus­ge­gan­gen wor­den, dass die Zahl der Stu- die­ren­den nur leicht anstei­gen wür­de, nahm die Zahl der­je­ni­gen, die mit Abitur und Fach­ober­schul­rei­fe ein Stu­di­um antra­ten, in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten stark zu.29 Zudem ver­grö­ßer­te sich auch der Anteil der Hoch- schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten ste­tig: Wäh­rend 2008 rund 43 Pro­zent der 25- bis 30-jäh­ri­gen eine all­ge­mei­ne oder fach­ge­bun­de­ne Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung auf­wie- sen, betrug der ent­spre­chen­de Anteil unter den 60- bis 65-jäh­ri­gen nur 19 Prozent.30 Rund 25 Pro­zent aller Abi- turi­en­ten erwar­ben im Schul­jahr 2009/2010 ihre Hoch- schul­rei­fe nicht mehr an einem all­ge­mein­bil­den­den Gym­na­si­um, son­dern etwa an beruf­li­chen Gym­na­si­en oder inte­grier­ten Gesamtschulen.31

Zum Win­ter­se­mes­ter 2016/2017 konn­ten in der Hu- man­me­di­zin über die Abitur­besten­quo­te nur noch Be- wer­ber einen Stu­di­en­platz erhal­ten, die – je nach Bun- des­land, in dem sie ihre Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung erwor­ben hat­ten – Noten zwi­schen 1,0 und 1,2 auf­wie- sen. Im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len ver­lief die tat­säch­li­che Aus­wahl­gren­ze aller­dings an acht von den 35 Medi­zin-füh­ren­den Hoch­schu­len bei 2,0 oder schwä- cher, wobei die nied­rigs­ten Aus­wahl­gren­zen bei 2,4, 2,5 und 2,8 lagen. Die­se Bewer­ber hat­ten neben der Hoch-

einem lan­des­spe­zi­fi­schen Quo­ti­en­ten. Die­ser rich­tet sich gem. Art. 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StV 2008 zu einem Drit­tel nach dem Anteil des Lan­des an der Ge-samt­zahl der Bewer­ber für den betref­fen­den Stu­di­en­gang (Bewer­ber­an­teil) und zu zwei Drit­teln nach sei­nem Anteil an der Gesamt­zahl der Acht­zehn- bis unter Ein­und­zwan­zig­jäh­ri­gen (Bevöl­ke­rungs­an­teil); für die Län­der Ber­lin, Bre­men und Ham­burg wer­den die sich danach erge­ben- den Quo­ten um drei Zehn­tel erhöht.

29 Bah­ro/Becker/Hit­pass (Fn. 10), S. 20 ff.
30 O. Köl­ler, Abitur und Stu­dier­fä­hig­keit, in: J. Asdonk/

S. U. Kuhnen/P. Born­kes­selVon der Schu­le zur Hochschule,

2013, S. 25 (25 f.).
31 Köl­ler (Fn. 30), S. 26; ders., Wege zur Hoch­schul­rei­fe und

Siche­rung von Stan­dards, in: D. Bos­se, Stan­dar­di­sie­rung in der gym­na­sia­len Ober­stu­fe, 2013, S. 15 (16).

schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung noch wei­te­re der von den Hoch­schu­len erwünsch­ten Kri­te­ri­en nach­ge­wie­sen. In der War­te­zeit­quo­te lag die Zulas­sungs­gren­ze bei 14 Halbjahren,32 also sie­ben Jah­ren War­te­zeit. Dafür hat­ten die Bewer­ber fak­tisch die Garan­tie auf eine Zulassung.

Das Urteil des BVerfG nennt ledig­lich die Aus­wahl- gren­zen in der Abitur­bes­ten- und der War­te­zeit­quo­te, die mode­ra­te­ren Gren­zen des Aus­wahl­ver­fah­rens der Hoch­schu­len ließ es bemer­kens­wer­ter­wei­se uner­wähnt; infol­ge­des­sen kon­zen­trier­te sich auch die media­le Be- richt­erstat­tung nur auf die­se Aus­wahl­gren­zen – die durch­aus bewer­ber­freund­li­che­ren Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len und die Zulas­sungs­ga­ran­tie spiel­ten kei­ne Rolle.

5. Aus­gangs­ver­fah­ren

Die bei­den Klä­ger des Aus­gangs­ver­fah­rens konn­ten mit den Noten der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung von 2,0 und 2,6 sowie jeweils einer Berufs­aus­bil­dung erst nach sie­ben Jah­ren den erwünsch­ten Stu­di­en­platz erhalten.33 Wäh­rend die­ser War­te­zeit erho­ben sie Kla­ge beim zustän­di­gen Ver­wal­tungs­ge­richt. Nach­dem das OVG NRW eine Ände­rung des Ver­fah­rens im Eil­rechts­schutz abge­lehnt hat­te, streng­te das VG Gel­sen­kir­chen eine kon­kre­te Norm­kon­trol­le nach Art. 100 GG an, über die das BVerfG am 19. Dezem­ber 2017 ent­schie­den hat.34

III. Vom „Abitur“ zum „Adit­ur“: Aner­ken­nung ver- änder­ter Rea­li­tä­ten und Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Aus- wahlverfahren

1. Aus­gans­punkt der gericht­li­chen Erwägungen

Das bis­he­ri­ge Zulas­sungs­ver­fah­ren ist vor dem Hin­ter- grund der tat­säch­li­chen Ent­wick­lun­gen „aus den Fugen gera­ten“: die Abitur­besten­quo­te erfüll­te ihren Zweck nur bedingt – denn in fast allen Bun­des­län­dern lag die Zahl der Bewer­ber mit 1,0 höher als die Zahl der zur Ver­fü- gung ste­hen­den Plät­ze, so dass im Ergeb­nis die nach­ran- gigen Kri­te­ri­en ent­schie­den, wer zuge­las­sen wurde.35 Im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len war durch die lan- des­recht­lich unter­schied­lich inter­pre­tier­te Maß­ga­be des „maß­geb­li­chen Ein­flus­ses“ der Abitur­no­te ein Teil der Bewer­ber im Ergeb­nis recht stark an die Abiturnote

  1. 32  Als nach­ran­gi­ges Kri­te­ri­um war min­des­tens eine Note von 2,9 erfor­der­lich; mit der Note 3,0 hät­te die War­te­zeit also bei 15 Halb­jah­ren gelegen.
  2. 33  Eine Per­son bewarb sich nicht mehr weiter.
  3. 34  Vgl. MBode, Vor­la­ge­pflicht nach Art. 100 GG und vor­läu­fi­ger­Rechts­schutz, Ver­w­Ar­chiv 2016, 206 (206 ff.).
  4. 35  Vgl. „Abi mit 0,7 — aber kei­nen Stu­di­en­platz“, Süd­deut­sche Zei-tung, 25.1.2011.
  5. 36  M.w.N. Bode (Fn. 20), § 32 Rn. 201.

gebunden,36 soweit nicht weni­ge Hoch­schu­len sogar gänz­lich auf die Her­an­zie­hung eines wei­te­ren Aus­wahl- kri­te­ri­ums ver­zich­te­ten. In der War­te­zeit­quo­te schließ- lich ver­trau­ten eini­ge Bewer­ber auf ihre Zulas­sungs­ga- ran­tie – nur bewarb sich stets auch eine unvor­her­seh­bar gro­ße Anzahl von Kon­kur­ren­ten, so dass manch ein Bewer­ber der Aus­wahl­gren­ze „hin­ter­her­war­te­te“. Vor allem aber stand der gestie­ge­nen Zahl an Bewer­bern eine gleich­blei­ben­de Men­ge an Stu­di­en­plät­zen gegen- über.

Vor die­sem Hin­ter­grund for­dert das BVerfG eine Kor­rek­tur der Hoch­schul­zu­las­sung. Ein sol­cher Fin­ger- zeig war im Ergeb­nis wohl auch nur durch das Gericht selbst mög­lich, da sich die Staats­ver­wal­tung der schu­li- schen Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung tra­di­tio­nell einen hohen Stel­len­wert beimaß,37 des­sen Preis­ga­be recht­lich risi­ko­reich und poli­tisch wohl uner­wünscht gewe­sen wäre.

2. Eig­nungs­ori­en­tie­rung des Auswahlverfahrens

Das Gericht stellt klar, dass die Ver­ga­be der Stu­di­en­plät- ze „im Fal­le der Knapp­heit nach Regeln erfol­gen“ müs­se, „die sich grund­sätz­lich an dem Kri­te­ri­um der Eig­nung ori­en­tie­ren.“ Damit eta­bliert das Gericht Eig­nung als neu­es Richt­maß des Zulas­sungs­rechts. „Die für die Ver- tei­lung rele­van­te Eig­nung bemisst sich […] an den Erfor- der­nis­sen des kon­kre­ten Stu­di­en­fachs und den sich typi- scher­wei­se anschlie­ßen­den beruf­li­chen Tätig­kei­ten“. Eine danach „dif­fe­ren­zie­ren­de Kri­te­ri­en­bil­dung“ sei „ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten, wenn sich nur so das kon­kret erfor­der­li­che Eig­nungs­pro­fil hin­rei­chend abbil- den“ las­se. Dies nimmt das Gericht für die Medi­zin offen­bar an, denn es fährt fort: „Dafür müs­sen auch prak­ti­sche und sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ve Fähig­kei­ten sowie bereits in medi­zi­ni­schen Beru­fen erwor­be­ne Qua­li­fi­ka­ti- onen eine Rol­le spie­len.“ Hier stellt sich – so wün­schens- wert ein sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ver Arzt sein mag – die Fra- ge, mit wel­cher Berech­ti­gung das Gericht hier in das Aus­bil­dungs­ziel der Human­me­di­zin eingreift.38 Soll­ten so also über Jahr­zehn­te die fal­schen Ärz­te aus­ge­bil­det wor­den sein?

Die bis­her im Aus­wahl­ver­fah­ren ange­wand­ten Aus- wahl­kri­te­ri­en (Gesamt­no­te der Hochschulzugangsbe-

37 Vgl. Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zur Reform des Hoch­schul- zugangs, Drs. 5920/04, 30.1.2004, 39.

38 Gem. der inso­fern maß­geb­li­chen Appro­ba­ti­ons­ord­nung ist das Ziel der ärzt­li­chen Aus­bil­dung „der wis­sen­schaft­lich und prak- tisch in der Medi­zin aus­ge­bil­de­te Arzt, der zur eigen­ver­ant­wort- lichen und selb­stän­di­gen ärzt­li­chen Berufs­aus­übung, zur Wei- ter­bil­dung und zu stän­di­ger Fort­bil­dung befä­higt ist“. Immer­hin nach­ge­ord­net soll die Aus­bil­dung „auch Gesichts­punk­te ärzt­li­cher Gesprächs­füh­rung“ umfas­sen, vgl. § 1 Abs. 1 ÄApprO.

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 7 7

178 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190

rech­ti­gung, gewich­te­te Ein­zel­no­ten, fach­spe­zi­fi­sche Stu- dier­fä­hig­keits­tests, fach­na­he Aus­bil­dun­gen und Aus- wahl­ge­sprä­che) sind aus Sicht des Gerichts „je für sich als Indi­ka­to­ren für eine an der Eig­nung ori­en­tier­te Aus- wahl von Ver­fas­sungs wegen vom Grund­satz her nicht zu bean­stan­den“. Dies gilt ins­be­son­de­re auch für die Ge- samt­no­te der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung, die als vali­der Prä­dik­tor des Stu­di­en­erfol­ges aner­kannt wird,39 aller­dings „berei­nigt“ wer­den muss (sie­he III.). Im Be- reich der medi­zi­ni­schen Stu­di­en­gän­ge besteht bereits eine Rei­he von eig­nungs­dia­gnos­ti­schen Ver­fah­ren. So wer­den Tests ange­bo­ten, in denen neben prak­ti­schen Fä- hig­kei­ten auch berufs­be­zo­ge­ne Kennt­nis­se abge­fragt werden.40 Dem Umstand, dass hier – ins­be­son­de­re auch in Bezug auf ande­re ört­lich zulas­sungs­be­schränk­te Stu- dien­gän­ge – noch eini­ges uner­forscht ist, trägt das Ge- richt Rech­nung, und erlegt dem Gesetz­ge­ber eine Beob- ach­tungs­pflicht auf.

Indem das Gericht die Ori­en­tie­rung an der Eig­nung betont, ver­ab­schie­det es sich impli­ziert von der Wer- tung, dass allein die Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung selbst einen unmit­tel­ba­ren Anspruch auf Auf­nah­me des Stu­di­ums begrün­de. Ein sol­cher Anspruch unter­liegt bei vor­lie­gen­der Zulas­sungs­be­schrän­kung nur noch der Eig­nung, die ihrer­seits zwar die Hoch­schul­zu­gangs­be- rech­ti­gung vor­aus­setzt, aber eben mehr erfor­dern kann als die­se. Über die Auf­nah­me des Stu­di­ums ent­schei­det weni­ger die „abge­ben­de Stel­le“ im Rah­men des „Abi- turs“ als viel­mehr die auf­neh­men­de Hoch­schu­le; es wird also eine Art „Adit­ur“ erteilt.

3. Gleich­mä­ßi­ge Gewich­tung der Auswahlkriterien

Die „Öff­nung des Aus­wahl­ver­fah­rens“ für die Ein­be- zie­hung wei­te­rer Kri­te­ri­en liegt nach Ansicht des BVerfG „nicht allein in der frei­en Ent­schei­dung des Gesetz­ge­bers, son­dern ist zur Gewähr­leis­tung einer gleich­heits­ge­rech­ten Zulas­sung zum Stu­di­um in gewis­sem Umfang auch ver­fas­sungs­recht­lich gebo- ten.“ Hier nimmt das Gericht die zen­tra­le Aus­sa­ge der zwei­ten Nume­rus clau­sus-Ent­schei­dung wie­der auf, nach wel­cher der Grund­satz der Chan­cen­of­fen­heit gebie­te, „den prin­zi­pi­el­len Aus­schluss gan­zer Grup- pen geeig­ne­ter Bewer­ber durch star­re Grenz­ziehun- gen zu ver­mei­den sowie für ange­mes­se­ne Ausweich-

39 Vgl. hier­zu G. Kad­mon/F. Resch/R. Duel­li/M. Kad­mon, Der Vor­her­sa­ge­wert der Abitur­durch­schnitts­no­te und die Pro­gno­se der unter­schied­li­chen Zulas­sungs­quo­ten für Stu­di­en­leis­tung und ‑kon­ti­nui­tät im Stu­di­en­gang Human­me­di­zin, GMS Zeit­schrift für Medi­zi­ni­sche Aus­bil­dung 2014, 1 (1 ff.); Köl­ler (Fn. 30), S. 44

mög­lich­kei­ten Sor­ge zu tra­gen“. Die Note allein darf nicht das Gros der hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten Bewer­ber vom Stu­di­um ausschließen.

Ein Kri­te­ri­um, das „kei­ne hin­rei­chend trag­fä­hi­gen Vor­her­sa­gen zulässt oder das nur Teil­aspek­te der in ei- nem Stu­di­en­fach rele­van­ten Anfor­de­run­gen abbil­det“, dür­fe „nicht als ein­zi­ges Aus­wahl­kri­te­ri­um“ vor­ge­se­hen wer­den, „weil es sonst die­se Schwä­chen bei der Aus­wahl ver­ab­so­lu­tier­te“. Schwä­chen eines Kri­te­ri­ums kann der Gesetz­ge­ber dadurch aus­glei­chen, dass er zusätz­lich ein ande­res Kri­te­ri­um her­an­zieht, das eben­falls auf die Eig- nung hin­weist.“ Die her­an­ge­zo­ge­nen Kri­te­ri­en „müs­sen aber in ihrer Gesamt­heit Gewähr für eine hin­rei­chen­de Vor­her­sa­ge­kraft bieten.“

Zwar habe der Gesetz­ge­ber bei der Bestim­mung der für die Aus­wahl maß­geb­li­chen Kri­te­ri­en „einen sehr wei­ten Ein­schät­zungs- und Gestal­tungs­spiel­raum“. In Bezug auf die Gewich­tung der Aus­wahl­kri­te­ri­en sei aber sicher­zu­stel­len, dass „die Gesamt­sicht der Eig­nungs­kri- teri­en hin­rei­chend breit ange­legt ist“: Um der begrenz- ten Aus­sa­ge­kraft der jewei­li­gen Aus­wahl­kri­te­ri­en zu be- geg­nen, muss also eine Viel­falt von Kri­te­ri­en ange­wandt wer­den. Die­se dür­fen weder aus­schließ­lich noch größ- ten­teils schul­no­ten­ba­siert sein. Es sei dem Gesetz­ge­ber selbst über­las­sen, ob er das Ver­fah­ren – wie gegen­wär­tig – in zen­tra­le und dezen­tra­le Tei­le auf­glie­dert und in wel- chen Quo­ten er wel­che Kom­bi­na­tio­nen vor­sieht. Die Fein­jus­tie­rung, etwa die Aus­wahl der kon­kre­ten Kri­te­ri- en aus dem vor­zu­ge­ben­den Kata­log, obliegt – „auch in Anknüp­fung an von ihnen ver­ant­wor­te­te Pro­fil­bil­dun- gen des Stu­di­ums (vgl. Art. 5 Abs. 3 GG)“ – den Hochschulen.

Eine Beschrän­kung auf sechs Wün­sche im Aus­wahl- ver­fah­ren der Hoch­schu­len sei ver­fas­sungs­recht­lich hin- zuneh­men, da „sie durch die Dezen­tra­li­tät im der­zei­ti- gen Sys­tem bezweck­te Mehr­glei­sig­keit […] die Hoch- schu­len vor erheb­li­che Her­aus­for­de­run­gen“ stelle.41 Al- ler­dings sei es „ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten […], dass bei Gesamt­sicht nur ein hin­rei­chend begrenz­ter Anteil der Stu­di­en­plät­ze jeder Hoch­schu­le von einem hohen Grad der Orts­prä­fe­renz abhängt.“ Auch bei auf­wen­di­gen Aus­wahl­me­cha­nis­men darf der Grad der Orts­prä­fe­renz nur auf einen Teil der jeweils zu ver­ge­ben­den Stu­di­en- plät­ze ange­wandt werden.

m.w.N.; S. Gentsch, Rich­tig aus­ge­wählt? 2009, S. 75 ff.
40 Zu nen­nen sind etwa der TMS, der HAM Nat und der Studierfä-

hig­keits­test der Uni Müns­ter.
41 Unzu­läs­sig sei die Beschrän­kung aller­dings in der Abiturbesten-

und in der Wartezeitquote.

4. Wesent­lich­keits­theo­rie und Aus­ge­stal­tungs­be­fug­nis der Hochschulen

Mit der Ent­schei­dung schrieb das Gericht auch die von ihm maß­geb­lich gepräg­te Wesent­lich­keits­theo­rie fort,42 nach der wesent­li­che, grund­rechts­re­le­van­te Fra­gen nur vom par­la­men­ta­ri­schen Gesetz­ge­ber in Geset­zes­form getrof­fen wer­den dürfen.43

Der Grund­satz des Geset­zes­vor­be­halts ver­lan­ge, „ge- setz­li­che Siche­run­gen dafür, dass die Hoch­schu­len Eig- nungs­prü­fun­gen in stan­dar­di­sier­ten und struk­tu­rier­ten Ver­fah­ren“ durch­füh­ren. Dabei genü­ge es, „wenn der Gesetz­ge­ber die Hoch­schu­len zu einer trans­pa­ren­ten ei- genen Stan­dar­di­sie­rung und Struk­tu­rie­rung ver­pflich­tet, auch um der Gefahr dis­kri­mi­nie­ren­der Anwen­dung vorzubeugen“.

Neu ist, dass das Gericht aus­drück­lich aner­kennt, dass der Gesetz­ge­ber den Hoch­schu­len „gewis­se Spiel­räu­me für die Kon­kre­ti­sie­rung der gesetz­lich der Art nach fest­ge­leg­ten Kri­te­ri­en“ zur Beur­tei­lung der Eig­nung ein­räu­men dürfe.44 „Den Hoch­schu­len steht nach Art. 5 Abs. 3 GG das Recht zu, ihren Stu­di­en­gang nach eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­ri­en zu prä­gen und dabei eige­ne Schwer­punk­te zu set­zen.“ Die­se Kon­kre­ti­sie­rungs­be­fug­nis schla­ge sich in den Aus­ge- stal­tungs­mög­lich­kei­ten hoch­schul­ei­ge­ner Eig­nungs- prü­fun­gen nie­der. Die Eig­nung sei aller­dings „auch im Lich­te der fach­li­chen Aus­ge­stal­tung und Schwer- punkt­set­zung unter Ein­be­zie­hung hoch­schul­spe­zi­fi- scher Pro­fil­bil­dun­gen“ zu beurteilen.

5. Abkehr von der Wartezeit

Die Bil­dung einer War­te­zeit­quo­te ist nach dem BVerfG „an sich ver­fas­sungs­recht­lich zuläs­sig“, jedoch nicht „ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten“. Sie sei geeig­net, Schwä­chen der in ande­ren Quo­ten ver­wen­de­ten Eig- nungs­kri­te­ri­en abzu­mil­dern. Da sich die Quo­te aber nega­tiv auf die Zulas­sungs­chan­cen „bes­ser qua­li­fi- zier­ter Bewer­ber in den ande­ren Quo­ten“ aus­wir­ke, sei sie höchs­tens bis zum Anteil von 20 Pro­zent der Plät­ze in den Haupt­quo­ten verfassungsgemäß.

  1. 42  Vgl. statt vie­ler BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 f.); 134, 141 (184); 141, 143 (170).
  2. 43  Bereits in der ers­ten Nume­rus clau­sus-Ent­schei­dung hat­te das BVerfG aus­ge­führt, dass es „wegen der ein­schnei­den­den Bedeu- tung der Aus­wahl­re­ge­lung“ Auf­ga­be des Gesetz­ge­bers sei, „die Art der anzu­wen­den­den Aus­wahl­kri­te­ri­en und deren Rang­ver- hält­nis unter­ein­an­der selbst fest­zu­le­gen.“ BVerfGE 33, 303 (345). F. Ossen­bühl, in: J. Isensee/P. Kirch­hof, HdbStR, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 14 ff.
  3. 44  Dies recht­fer­ti­ge sich „durch den direk­ten Erfah­rungs­be­zug der Hoch­schu­len und die grund­recht­lich geschütz­te Freiheit

In ihrer der­zei­ti­gen Aus­ge­stal­tung genü­ge die War­te­zeit den ver­fas­sungs­recht­li­chen Anfor­de­run­gen nicht. Sie kön­ne ihre Funk­ti­on nur erfül­len, wenn sie „nicht über- mäßig lan­ge“ dau­ert und sei auf maxi­mal 7 Halb­jah­re zu begren­zen. Ent­spre­chen­de Limi­tie­run­gen exis­tie­ren etwa in Bre­men, Schles­wig-Hol­stein und Hamburg.45 Die­se Rege­lun­gen füh­ren frei­lich nicht zu einer Ver­kür- zung der War­te­zeit, da die Kapa­zi­tät, also die Zahl der Plät­ze, kon­stant bleibt; viel­mehr ver­la­gern sie die Aus- wahl­ent­schei­dung auf die nach­ran­gi­gen Kri­te­ri­en. Dies bewirkt ledig­lich, dass zwi­schen Per­so­nen, die die Kap­pungs­gren­ze über­schrit­ten haben, nicht mehr ent­schei­det, wer die län­ge­re War­te­zeit auf­weist, son- dern dass nach­ran­gig auf die Qua­li­fi­ka­ti­on, dann auf Dienst und Los abge­stellt wird.46 Dies wirft die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit der Quo­te auf, die je nach Aus­ge­stal­tung ent­we­der dau­er­haft aus­schlie­ßend wir- ken oder sich als eine Art qua­li­fi­zier­te Los­quo­te ent- pup­pen könnte.

Bis­lang hat­ten Bewer­ber fak­tisch eine Zulas­sungs­ga- ran­tie. Zwar begrün­de­te das BVerfG nie aus­drück­lich das Erfor­der­nis einer sol­chen Gewähr; viel­mehr hat­te es bereits früh dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Teil­ha­be­rech­te „unter dem Vor­be­halt des Mög­li­chen im Sin­ne des­sen“ ste­hen, „was der Ein­zel­ne ver­nünf­ti­ger­wei­se von der Ge- sell­schaft bean­spru­chen kann,“ und beton­te in der zwei- ten Nume­rus clau­sus-Ent­schei­dung 1977, „schon begriff- lich“ schlie­ße „die Ein­räu­mung von Chan­cen das Risi­ko des Fehl­schla­ges ein“.47 Den­noch wies das Ver­fah­ren in der Pra­xis kei­ne end­gül­ti­ge Aus­schluss­mög­lich­keit auf, so dass spä­tes­tens über die War­te­zeit eine Zulas­sung er- fol­gen konnte.48 Eine Rege­lung des beson­de­ren Aus- wahl­ver­fah­rens, die einen ent­spre­chen­den Aus­schluss zur Fol­ge gehabt hät­te, wur­de abge­schafft, bevor sie erst- mals hät­te ange­wandt wer­den müssen.

In Bezug auf die Mög­lich­keit eines Ver­fah­ren­saus- schlus­ses wird das BVerfG nun deut­li­cher: Das Teil­ha- berecht rei­che „nicht so weit, dass jeder und jede Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­tig­te – unab­hän­gig vom Er- gebnis der schu­li­schen Leis­tun­gen und der sons­ti­gen fach­spe­zi­fi­schen Qua­li­fi­ka­ti­on – bean­spru­chen könn-

von For­schung und Leh­re, was die eige­ne Schwerpunktsetzung

ein­schließt und damit auch eine Pro­fil­bil­dung ermög­licht“.
45 Maxi­mal acht Semes­ter War­te­zeit: § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BremHZG;

§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HZG S‑H. Bis zu zehn Halb­jah­re: § 10 Abs. 5

Uni­ver­si­täts-Zulas­sungs­sat­zung Uni HH.
46 Bode (Fn. 12), § 11 Rn. 16.
47 BVerfGE 33, 303 (333); Depen­heu­er (Fn. 6), § 269 Rn. 9, 48.
48 Eine Aus­nah­me kann in Bezug auf die Ange­hö­ri­gen bestimmter

Vor­ab­quo­ten gel­ten, etwa die Zweit­stu­di­en­be­wer­ber, für deren Zulas­sung die War­te­zeit kei­ne Rol­le spielt. Vgl. Bode (Fn. 20), § 32 Rn. 133 ff., 187 ff.

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 7 9

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te, die Zulas­sung zu dem gewähl­ten Stu­di­um tat­säch- lich eines Tages zu erhal­ten“. In Fächern, „in denen die Anzahl an Bewer­bun­gen das Ange­bot an Stu­di­en­plät- zen weit über­steigt, kann der Teil­ha­be­an­spruch die tat­säch­li­che Stu­di­en­zu­las­sung von vorn­her­ein nicht garan­tie­ren“. Bei der Ver­ga­be knap­per unteil­ba­rer Gü- ter kön­ne „jedes Aus­wahl­sys­tem – wie immer es aus- gestal­tet ist – nur einem Teil der Bewer­be­rin­nen und Be- wer­ber rea­le Aus­sich­ten eröffnen“.

„Nicht jeder grund­sätz­lich hoch­schul­rei­fe Bewer­ber“ müs­se „den Anspruch auf Zulas­sung zu sei­nem Wunsch- stu­di­um im Ergeb­nis tat­säch­lich rea­li­sie­ren kön­nen.“ Die Kehr­sei­te der Auf­he­bung der Zulas­sungs­ga­ran­tie ist frei­lich, dass das Ver­fah­ren „har­te Kan­ten“ auf­weist und einen Teil der Bewer­ber end­gül­tig oder zumin­dest dau- erhaft vom gewünsch­ten Stu­di­um aus­schlie­ßen wird. Das „Risi­ko des Fehl­schlags“ wirft damit die nicht ganz so ein­fach zu beant­wor­ten­de Fra­ge auf, wer und wann unter wel­chen Bedin­gun­gen dar­über ent­schei­den darf, dass ein Bewer­ber dau­er­haft von sei­nem Wunsch­stu­di- um aus­ge­schlos­sen sein soll.49

6. Ableh­nung der Dro­hung mit dem ori­gi­nä­ren Teil­ha- berecht

und der Inan­spruch­nah­me des Aus­bil­dungs­mo­no­pols ein objek­ti­ver sozi­al­staat­li­cher Ver­fas­sungs­auf­trag zur Bereit­stel­lung aus­rei­chen­der Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten für die ver­schie­de­nen Stu­di­en­rich­tun­gen folgt.“ Die­ser käme jedoch erst „bei evi­den­ter Ver­let­zung jenes Ver­fas- sungs­auf­tra­ges in Betracht“ und sei damals nicht fest- stell­bar gewesen.52

Die Dis­kus­si­on über ori­gi­nä­re oder abso­lu­te Leis­tungs- rech­te war in den 1970er Jah­ren – nicht zuletzt in Wech­sel- wir­kung mit den gesell­schaft­li­chen Begleit­um­stän­den – en vogue.53 In grund­rechts­dog­ma­ti­scher Hin­sicht begeg­net die­se Rechts­fi­gur zumin­dest im Bereich des Art. 12 GG je- doch schwer­wie­gen­den Beden­ken und wur­de in der Lite­ra- tur mehr­heit­lich abge­lehnt. Die Auf­ga­be der Aus­ge­stal­tung der sozia­len und wirt­schaft­li­chen Für­sor­ge obliegt pri­mär dem legi­ti­mier­ten Gesetzgeber.54

Von der Idee des ori­gi­nä­ren Leis­tungs­rechts distan- ziert sich das BVerfG nun deut­lich und führt aus, das Teil­ha­be­recht rei­che „nicht so weit, dass es einen indi­vi- duel­len Anspruch begrün­den könn­te, Aus­bil­dungs­ka­pa- zitä­ten in einem Umfang zu schaf­fen, wel­cher der jewei- ligen Nach­fra­ge gerecht wird.“ Die Bemes­sung der Aus- bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten oblie­ge der Ent­schei­dung des de- mokra­tisch legi­ti­mier­ten Gesetzgebers.

IV. Uto­pie der Gleich­heit: Erfor­der­nis einer Berei­ni- gung der Hochschulzugangsberechtigungen

1. Kern­aus­sa­ge

Über­ra­schen­der und von ihrer Bedeu­tung her tief­grei­fen- der als die übri­gen Aus­sa­gen der Ent­schei­dung sind die Pas- sagen zum Erfor­der­nis der Umrech­nung der Abitur­no­ten, soweit die­se im Rah­men der Aus­wahl oder der Vor­auswahl, her­an­ge­zo­gen wer­den: „Mit dem Recht auf glei­che Teil­ha- be“ sei es „nicht ver­ein­bar“, dass der Gesetz­ge­ber „im Aus- wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len eine Berück­sich­ti­gung von Abitur­no­ten vor­sieht, ohne zumin­dest deren annä­hern­de län­der­über­grei­fen­de Ver­gleich­bar­keit – gege­be­nen­falls durch Aus­gleichs­me­cha­nis­men – sicher­zu­stel­len.“ Anders als in der Abitur­besten­quo­te sind im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len kei­ne Län­der­quo­ten vor­ge­se­hen, berück­sich- tigt wird allein die von der Schu­le aus­ge­stellt nomi­nel­le Note (sie­he II.3). Durch die­se Gleich­be­hand­lung der Noten

53 1971 hat­te sich auch die Staats­rechts­leh­rer­ta­gung mit der Fra­ge befasst. D. Schi­man­ke, BVerfG und nume­rus clau­sus, JR 1973, 45 (46); H. M. Hei­nig, Der Sozi­al­staat im Dienst der Frei­heit, 2008, S. 173 f.

54 M.w.N. Hei­nig (Fn. 53), S. 374 ff.; H. Drei­er, Grund­rechts­durch- griff con­tra Geset­zes­bin­dung?, Die Ver­wal­tung 2003, 105 (115 f.); R. Breu­er, in: J. Isensee/P. Kirch­hof, HdbStR, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 170 Rn. 106.

Auch in ande­ren Punk­ten schafft das Gericht beacht­li­che Klar­heit – und distan­ziert sich mit fei­nem Flo­rett von bis­he­ri­gen Ansät­zen. Dies betrifft zum einen die Klas­si- fizie­rung der Teil­ha­be­rech­te. Noch 1972 hat­te das BVerfG ent­schie­den, dass das Frei­heits­recht „ohne die tat­säch­li- che Vor­aus­set­zung, es in Anspruch neh­men zu kön­nen, wert­los“ wäre.50 Neben der abwehr­recht­li­chen Kom­po- nen­te kommt der Berufs­frei­heit also auch eine leis­tungs- recht­li­che Funk­ti­on zu. Soweit sich die­ser Anspruch auf bereits bestehen­de Stu­di­en­platz­kon­tin­gen­te bezieht, ent­wi- ckel­ten sich die­se Aus­füh­run­gen des Gerichts zum Schul- bei­spiel für ein deri­va­ti­ves Teil­ha­be­recht und für einen Ein- griff durch die Ver­let­zung von Leistungspflichten.51

Deut­lich mehr Bri­sanz lag in der Andeu­tung des Ge- richts, ob neben dem deri­va­ti­ven Recht auf Teil­ha­be an den bestehen­den Kapa­zi­tä­ten sogar ein Anspruch auf Schaf­fung wei­te­rer Kapa­zi­tä­ten, also ein ori­gi­nä­res oder abso­lu­tes Teil­ha­be­recht, fol­gen kön­ne. Es „lie­ße sich fra- gen, ob aus den grund­recht­li­chen Wertentscheidungen

  1. 49  Vgl. hier­zu grds. H. Beth­ge, in: J. Isensee/P. Kirch­hof, HdbStR, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203.
  2. 50  BVerfGE 33, 303 (330 f.).
  3. 51  Vgl. F. Hufen, Staats­recht II, 3. Aufl. 2011, § 8 Rn. 14. Die Beson-der­heit des deri­va­ti­ven Teil­ha­be­an­spruchs ist vor allem dar­in zu sehen, dass der Zulas­sungs­an­spruch unab­hän­gig von der rela­ti­ven Stel­lung des Klä­gers im Ver­gleich zu ande­ren Bewer­bern durch- setz­bar ist. BVerfGE 39, 258 (270).
  4. 52  BVerfGE 33, 303 (333).

wer­den aus Sicht des BVerfG „erheb­li­che Ungleich­hei­ten hin­ge­nom­men“. Denn „nach dem der­zei­ti­gen Stand der Ent­wick­lung der Abitur­no­ten kön­nen die Hoch­schul­zu- gangs­be­rech­ti­gun­gen der Län­der nicht als aus sich selbst her­aus hin­rei­chend ver­gleich­bar ange­se­hen werden.“

Die­se Aus­sa­ge knüpft an eine tra­di­ti­ons­rei­che, auch iden­ti­täts­po­li­tisch auf­ge­la­de­ne Dis­kus­si­on über „Gleich- heit im Bun­des­staat“ an.55 In bil­dungs­po­li­ti­scher Hin- sicht steht dahin­ter die Fra­ge, in wel­chem Umfang die Abitur­no­te über­haupt als Prä­dik­tor für Stu­di­en­erfolg nutz­bar ist (sie­he II.). Zudem geht es um Leis­tungs­un­ter- schie­de zwi­schen unter­schied­li­chen Bun­des­län­dern eben­so wie zwi­schen ver­schie­de­nen Schul­for­men, etwa schu­li­schen und beruf­li­chen Gym­na­si­en. In rechts­dog- mati­scher Hin­sicht ist frag­lich, in wel­chem Umfang die unita­ri­sie­ren­de Wir­kung von Bun­des­grund­rech­ten in die Kom­pe­tenz­ver­tei­lung zwi­schen Bund und Län­dern hin­ein­wir­ken darf. Besteht außer­halb des aus­stel­len­den Bun­des­lan­des eine Ver­pflich­tung zur Umrech­nung bzw. Anpas­sung von Noten, so hat dies fak­tisch deut­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Bil­dungs­ho­heit der Länder.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist zunächst zu unter­su- chen, womit das BVerfG einen Gleich­heits­ver­stoß be- grün­det (2.). Sodann ist auf den Stand der empi­ri­schen Bil­dungs­wis­sen­schaft ein­zu­ge­hen (3.) und die For­de­rung auf „Berei­ni­gung“ der Schul­no­ten näher zu ana­ly­sie­ren (4.).

2. Die „drei Säu­len“ der Unvergleichbarkeit

Wor­auf stützt das Gericht die­se in ihrer Aus­sa­ge gewich- tige The­se der Unver­gleich­bar­keit? Die ers­te „Säu­le“ sind Bewer­tun­gen Drit­ter, etwa des Gesetz­ge­bers selbst sowie des Wis­sen­schafts­ra­tes. So fol­ge aus der unun­ter­bro­che- nen Anwen­dung der 1976 als Über­gangs­lö­sung kon­zi- pier­ten Abitur­besten­quo­te, dass der Gesetz­ge­ber selbst bis­lang nicht davon aus­ge­he, „die Noten der Hoch­schul- zugangs­be­rech­ti­gung sei­en ver­gleich­bar“. Dem wider- spricht jedoch bereits der Vor­trag der Län­der im Ver­fah- ren, vor allem aber auch der expli­zi­te Ver­zicht auf Lan- des­quo­ten im Aus­wahl­ver­fah­ren der Hochschulen.

In die­sem Zusam­men­hang zitiert das Gericht unter anderem56 die Emp­feh­lun­gen des Wis­sen­schafts­ra­tes aus

  1. 55  Vgl. m.w.N. S. Boy­sen, Gleich­heit im Bun­des­staat, 2005.
  2. 56  Wei­ter­hin wird ein Pro­to­koll des Aus­schus­ses für Bil­dung, For-schung und Tech­no­lo­gie­fol­gen­ab­schät­zung aus dem Jahr 2004 zi- tiert. Hier taucht in der Tat im Vor­trag einer Frak­ti­on die Aus­sa­ge auf, dass die Schul­ab­schluss-noten „nur begrenzt ver­gleich­bar“ sei­en. Eine vali­de Begrün­dung fehlt aller­dings. BT-Drs. 15/3475, 5, 11.
  3. 57  Wis­sen­schafts­rat (Fn. 37), S. 40 f.
  4. 58  Vgl. O. Köl­ler, Stan­dard­set­zung im Bil­dungs­sys­tem, in: H. Rein-ders, Empi­ri­sche Bil­dungs­for­schung, Struk­tu­ren, 2. Aufl. 2015, S. 197 (198).

dem Jahr 2004, die ohne wei­te­re Nach­wei­se fest­stel­len: „Über die­se enge­re Abstim­mung von Schul­aus­bil­dung und all­ge­mei­nen Anfor­de­run­gen des Hoch­schul­stu­di- ums hin­aus müs­sen Ver­gleich­bar­keit und Trans­pa­renz der Durch­schnitts­no­ten erheb­lich ver­bes­sert wer­den.“ Hier­zu for­der­te der Wis­sen­schafts­rat die „Stan­dar­di­sie- rung der schul­fach­li­chen Ange­bots­struk­tur“, eine kla­re- re Gewich­tung der nach­zu­wei­sen­den Wis­sens­be­stän­de sowie die Ein­füh­rung von län­der­ein­heit­li­chen Zentralabitur-Prüfungen.57

Das Gericht geht aller­dings nicht dar­auf ein, dass die Kul­tus­mi­nis­ter die­ser For­de­rung bereits weit­ge­hend nach­ge­kom­men sind. So haben sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Maß­nah­men ver­an­lasst, um die Ver­gleich­bar­keit der in der gym­na­sia­len Ober­stu­fe erwor­be­nen Zeug­nis- se der All­ge­mei­nen Hoch­schul­rei­fe zu sichern und auf die Ver­ein­heit­li­chung der Prü­fungs­maß­stä­be hin­zu­wir- ken.58 Die KMK novel­lier­te im Dezem­ber 2016 die Ver- ein­ba­rung über die Abitur­prü­fung der gym­na­sia­len Ober­stu­fe und sieht dar­in unter ande­rem Nor­mie­run­gen für die Bear­bei­tungs­zeit der Auf­ga­ben in der schrift­li- chen und der münd­li­chen Abitur­prü­fung vor.59 Über- dies wur­de auf der Basis der Bil­dungs­stan­dards für die All­ge­mei­ne Hoch­schul­rei­fe, die für die zen­tra­len Fächer Deutsch, Mathe­ma­tik und die fort­ge­führ­te Fremd­spra- che (Englisch/Französisch) vor­lie­gen, ein gemein­sa­mer Abitur­auf­ga­ben­pool ent­wi­ckelt. Die­ser stand den Län- dern erst­mals in der Abitur­prü­fung 2017 zur Ver­fü­gung; spä­tes­tens für Schü­ler, die 2019 in die Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha- se ein­tre­ten, haben sich die Län­der zu des­sen Umset­zung verpflichtet.60 Alle Län­der haben die­sem Pool Auf­ga­ben ent­nom­men. Die Auf­ga­ben sol­len sich nor­mie­rend auf die Abitur­auf­ga­ben in den übri­gen Fächern wie auch auf die Klau­su­ren in der Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se der gym­na­sia- len Ober­stu­fe auswirken.61

Als zwei­te „Säu­le“ stützt sich das Gericht auf einen Ver­gleich der durch­schnitt­li­chen Län­de­r­ab­i­tur­durch- schnit­te. „Der Län­der­ver­gleich der Abitur­er­geb­nis­se zeig­te zuletzt eine Span­ne des Noten­mit­tels zwi­schen 2,16 und 2,59 und damit von 0,43 Noten­stu­fen zwi­schen dem bes­ten und dem schwächs­ten Lan­des­schnitt“. Bei der Noten­ver­tei­lung, die das Gericht unter Beru­fung auf

59 KMK-Beschl. v. 13.12.1973 i.d.F. v. 8.12.2016, ver­füg­bar unter: www.kmk.org.

60 Vgl. KMK-Beschl. v. 7.7.1972 i.d.F. v. 8.12.2016, ver­füg­bar unter: www.kmk.org. Vgl. auch M. Neu­mann/G. Nagy/U. Traut­wein/
O. Lüd­tke, Ver­gleich­bar­keit von Abitur­leis­tun­gen, ZfE 2009, 691 (697).

61 Auch die Abschaf­fung des Kurs­sys­tems in bis­lang 11 Bun­des- län­dern und die Vor­ga­be kon­kre­ter Fächer anstatt der Wahl- mög­lich­keit von Kur­sen aus Fächer­grup­pen sol­len der bes­se­ren Ver­gleich­bar­keit die­nen. D. Bos­se, Die gym­na­sia­le Ober­stu­fe unter Stan­dar­di­sie­rungs­druck, in: dies. (Fn. 31), S. 69 (75).

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 8 1

182 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190

die Wer­te der KMK aus­schließ­lich für den deut­schen Bil­dungs­raum unter­sucht, stellt es eben­falls „erheb­li­che Unter­schie­de“ fest. „Die Antei­le der Abitur­no­ten im Be- reich zwi­schen 1,0 und 1,9 beweg­ten sich zwi­schen 38,8 % inThüringenund17,2%inNiedersachsen[…].“62Diese Unter­schie­de sind tat­säch­lich über die Jah­re rela­tiv kon- stant; sie besa­gen aber ledig­lich, dass Noten­un­ter­schie­de bestehen, las­sen jedoch kei­nen Rück­schluss auf Leis- tungs- oder Bewer­tungs­un­ter­schie­de zu.

So bleibt unklar, war­um der Lan­des­durch­schnitt der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gun­gen bun­des­weit nahe­zu gleich sein soll­te: Abwei­chen­de Wer­te deu­ten nicht zwangs­läu­fig auf unter­schied­li­che Beno­tungs­prak­ti­ken hin, son­dern kön­nen auch aus ver­schie­de­nen schul­po­li- tischen Grund­ent­schei­dun­gen resul­tie­ren, etwa der Durch­läs­sig­keits­quo­te zum Abitur. Ein Blick auf die Bun­des­län­der ver­deut­licht hier tat­säch­lich Unter­schie- de. Wäh­rend in Ham­burg der Anteil der Absol­ven­ten von all­ge­mein­bil­den­den und beruf­li­chen Schu­len, die eine all­ge­mei­ne Hoch­schul­rei­fe erwar­ben, 2015 bei 57,7 Pro­zent lag, mach­te er in Bay­ern nur 31,6 Pro­zent aus. Der bun­des­wei­te Mit­tel­wert lag bei 41,2 der Gesamt­be- völkerung.63 Es erscheint nahe­lie­gend, dass Per­so­nen, die mit spe­zi­el­ler För­de­rung zum Abitur beglei­tet wer- den und die­ses unter Umstän­den knapp errei­chen, den Schnitt des Lan­des eher absen­ken als wenn bereits auf dem Weg zum Abitur stren­ge­re Bewer­tungs­maß­stä­be ange­legt werden.64

Die „empirische[n] Stu­di­en“, die das Gericht – als drit­te „Säu­le“ – her­an­zieht, beschrän­ken sich auf einen Auf­satz aus dem Jahr 2009, der am Bei­spiel der Mathe- matik- und Eng­lisch­leis­tun­gen Unter­schie­de in der Be- wer­tung zwi­schen Abitu­ri­en­ten aus Ham­burg und Ba- den-Würt­tem­berg unter­sucht hat. Er kommt zum Ergeb- nis, dass in Mathe­ma­tik die Ham­bur­ger Abitu­ri­en­ten „bei ver­gleich­ba­ren Leis­tun­gen […] bes­se­re Fach­no­ten“ erhiel­ten, was auf eine unter­schied­li­che Beur­tei­lung hin- weist; im Fach Eng­lisch lie­ßen sich dage­gen „kei­ne Un- ter­schie­de in der Bewer­tungs­stren­ge“ fest­stel­len. Zu- gleich zeig­te die Stu­die auf, dass hin­ter den unter­schied- lichen Noten – im Fach Mathe­ma­tik – zwi­schen Ham- bur­ger und Baden-Würt­tem­ber­ger Schü­lern der­ar­tig gro­ße Leis­tungs­un­ter­schie­de lagen, dass eine „leis­tungs- bezo­ge­ne Ver­gleich­bar­keit“ zulas­ten der Ham­bur­ger Schü­ler „kaum noch gege­ben“ sei.65 Mit ande­ren Wor-

  1. 62  Vgl. KMK, Abitur­no­ten 2015 (Schul­jahr 2014/2015), 9.12.2016, ver­füg­bar unter: www.kmk.org.
  2. 63  Sta­tis­ti­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen der KMK, Doku­men­ta­ti­on Nr. 211, Dez. 2016, S. 362, Tabel­le C.III 1.3.2a.
  3. 64  Vgl. zur Hete­ro­ge­ni­tät allein der Schü­ler­schaft im Ver­gleich zwi­schen Ham­burg und Baden-Würt­tem­berg U. Traut­wein/
    O. Köl­ler/R. Leh­mann/O. Lüd­tke, Öff­nung von Bildungswegen,

ten: Soweit in Mathe­ma­tik die wah­ren Leis­tun­gen ge- mes­sen wür­den, hät­ten Ham­bur­ger Schü­ler 2009 zu- recht wesent­lich schlech­te­re Kar­ten bei der Hoch­schul- zulas­sung gehabt als die Kon­kur­ren­ten aus Baden-Würt- tem­berg, bei den Eng­lisch­no­ten allein wären die Chan­cen auf­grund etwa gleich­wer­ti­ger Leis­tun­gen zu- recht unge­fähr gleich gewesen.

Zu ergän­zen ist, dass die­se Kri­tik auch mit der ver- stärkt in Brei­ten­me­di­en auf­ge­grif­fe­nen Kla­ge über ver- meint­li­che Unge­rech­tig­kei­ten des Föde­ra­lis­mus ein­her- geht. So hat­te Der Spie­gel die The­ma­tik Ende April 2017 ineinemLeitartikelunterdemTitel„GlücksspielAbitur, Deutsch­lands unge­rech­te Schu­len“ auf­ge­grif­fen und war zu dem Ergeb­nis gekom­men, das Abitur sei auf­grund seinerlongitudinalenAusrichtung„dasbesteMittel“zur Pro­gno­se der Stu­di­en­eig­nung, „das wir haben“. Auf- grund sei­ner „undurch­sich­ti­gen Abitur­pra­xis“ aber eben „nicht gut genug“. Unter ande­rem hat­te hier ein pen­sio- nier­ter Mathe­ma­tik­leh­rer anhand des fik­ti­ven Schü­lers „Paul“, der extrem posi­ti­ve Leis­tun­gen in Mathe und Deutsch, im Übri­gen aber über man­gel­haf­te Noten ver- füg­te, nach­zu­wei­sen ver­sucht, dass mit der­sel­ben Leis- tung in man­chen Län­dern nicht ein­mal eine Zulas­sung zum Abitur mög­lich war, in ande­ren ein Abitur mit Note „1“ ver­ge­ben wurde.66 Die­se hypo­the­ti­sche Über­le­gung über­sieht aller­dings sowohl die Beur­tei­lungs­spiel­räu­me der Leh­rer als auch das Adap­ti­ons­ver­mö­gen der Schü­ler an die Rege­lun­gen, denen sie aus­ge­setzt sind.

Nach wie vor ist also offen, was kon­kret die Unver- gleich­bar­keit der Noten aus­macht. Zwar ist das BVerfG kei­ne Tat­sa­chen­in­stanz – die­se Auf­ga­be fällt den Fach­ge- rich­ten zu –, doch darf es gem. § 26 Abs. 1 BVerfGG den zur Erfor­schung der Wahr­heit erfor­der­li­chen Beweis er- heben. Ange­sichts der Trag­wei­te sei­ner Ent­schei­dun­gen ist es aber doch bedenk­lich, dass die Unter­su­chung der tat­säch­li­chen Umstän­de, wie in der Lite­ra­tur kri­ti­siert wird, häu­fig „halb­her­zig und in kaum über­zeu­gen­der Wei­se“ erfolgt.67 Dies ist des­halb von Bedeu­tung, weil sich allein hier­aus ergibt, wovon der Gesetz­ge­ber künf­tig die Noten berei­ni­gen soll.

3. Ana­ly­se der feh­len­den Ver­gleich­bar­keit in der Erzie- hungswissenschaft

Es stellt sich die Fra­ge, ob sich aus den – seit der Entste- hung des zitier­ten Auf­sat­zes – fort­ge­schrit­te­nen Erkennt-

erreich­tes Leis­tungs­ni­veau und Ver­gleich­bar­keit von Abschlüssen,

in: dies., Schul­leis­tun­gen von Abitu­ri­en­ten, 2007, S. 11 (14 f.).
65 Neu­mann/Nagy/Traut­wein/Lüd­tke (Fn. 60), 691, 707.
66 „Die Lot­te­rie des Lebens“, Der Spie­gel Nr. 18, 29.4.2017, S. 20 ff. 67 S. Brink, Tat­sa­chen­grund­la­gen ver­fas­sungs­ge­richt­li­cher Judikate,

in: H. Rensen/demselb., Lini­en der Recht­spre­chung des BVerfG, Bd. 1, 2009, S. 1 (26).

nis­sen der Erzie­hungs­wis­sen­schaft Wei­te­res ergibt. Ter- mino­lo­gisch soll­te dabei zwi­schen Leistungs‑, Noten- und Bewer­tungs­un­ter­schie­den dif­fe­ren­ziert wer­den. Wäh­rend Leis­tungs­un­ter­schie­de „tat­säch­lich vor­han­de- ne und mit stan­dar­di­sier­ten Leis­tungs­tests erho­be­ne Unter­schie­de in den Kom­pe­ten­zen“ von Schü­lern bezeich­nen, bezie­hen sich Noten­un­ter­schie­de ledig­lich auf die Noten­ver­tei­lung, ohne dass Leis­tungs­un­ter­schie- de berück­sich­tigt wer­den. Dem­ge­gen­über bezie­hen sich Bewer­tungs­un­ter­schie­de auf die unter­schied­li­chen Beur­tei- lun­gen iden­ti­scher Leistungen.68 Die vom Gericht im Rah- men der ers­ten „Säu­le“ her­an­ge­zo­ge­nen Quel­len stel­len pau­schal auf eine nicht näher unter­scheid­ba­re Unver­gleich- bar­keit ab; mit dem zwei­ten Argu­men­ta­ti­ons­strang wer­den blo­ße Noten­un­ter­schie­de nachgewiesen.

Aus Sicht der Erzie­hungs­wis­sen­schaft lässt sich zu- nächst fest­hal­ten, dass für das Abitur bis zur Jahr­tau- send­wen­de – dem Zeit­punkt der Eta­blie­rung Empi­ri- scher Bil­dungs­wis­sen­schaft als eige­ne Disziplin69 – kaum Unter­su­chun­gen exis­tier­ten, „die ver­läss­li­che Schlüs­se über län­der­über­grei­fen­de Leis­tungs- und Bewer­tungs- unter­schie­de am Ende der gym­na­sia­len Ober­stu­fe“ ge- statten.70 Die – auch inter­na­tio­nal – ver­glei­chen­de Schul- leis­tungs­for­schung bil­det „den Anker­punkt“ des neu­en Zwei­ges der Bildungswissenschaft.71 Für ein­zel­ne Fächer und ein­zel­ne Bun­des­län­der lie­gen inzwi­schen Erkennt- nis­se aus Ein­zel­stu­di­en vor:

Tat­säch­lich zei­gen die vor­lie­gen­den stich­punkt­ar­ti- gen, auf weni­ge Län­der und ein­zel­ne Stu­di­en­fä­cher be- zoge­nen Unter­su­chun­gen, dass „in unter­schied­li­chen Län­dern und unter­schied­li­chen Schul­for­men mit subs- tan­zi­el­len Leis­tungs­dif­fe­ren­zen zu rech­nen“ sei. Bereits im Vor­feld der Gym­na­sia­len Ober­stu­fe, in der Sekun­dar- stu­fe I, sind – auch län­der­über­grei­fend – erheb­li­che Un- ter­schie­de im Leis­tungs­ver­mö­gen der Schü­ler erkenn- bar.72 Wäh­rend sich für die Fächer Mathe­ma­tik und Phy­sik auf Grund­kurs­ni­veau „kei­ne Unter­schie­de der Bewer­tungs­strän­ge in Abhän­gig­keit von der Gebiets­zu- gehö­rig­keit“ fest­stel­len lie­ßen, fan­den sich auf Leis­tungs- kurs­ni­veau „deut­li­che Hin­wei­se auf unter­schied­li­che Be- wer­tungs­maß­stä­be“, vor allem zwi­schen öst­li­chen und

  1. 68  Neu­mann/Nagy/Traut­wein/Lüd­tke (Fn. 60), 694.
  2. 69  „Das Ver­hält­nis zwi­schen Empi­ri­scher Bil­dungs­for­schung und­Bil­dungs­po­li­tik war bis Mit­te der 1990er Jah­re durch ein Auf- trag­s­ver­hält­nis geprägt.“ E. Aljets, Der Auf­stieg der Empi­ri­schen Bil­dungs­for­schung, 2015, S. 310.
  3. 70  Neu­mann/Nagy/Traut­wein/Lüd­tke (Fn. 60), 696 f. Zur „empi­ri- schen Wen­de“, die seit den 1990er Jah­ren in der Erzie­hungs­wis- sen­schaft ein­setzt, vgl. Köl­ler (Fn. 30), S. 27 ff, 32.
  4. 71  Aljets (Fn. 69), S. 311.
  5. 72  Vgl. Köl­ler (Fn. 30), S. 26 f., 30.
  6. 73  R. Water­mann/G. Nagy/O. Köl­ler, Mathe­ma­tik­leis­tun­gen inall­ge­mein bil­den­den und beruf­li­chen Gym­na­si­en, in: O. Köller/

west­li­chen Bun­des­län­dern. Auch inner­halb der Län­der lie­ßen sich zwi­schen unter­schied­li­chen Ober­stu­fen­for- men Leis­tungs- und – dies ist kri­tisch – auch Bewer- tungs­un­ter­schie­de erkennen.73 „Gro­ße Leis­tungs­un­ter- schie­de“, die zu „auf­fal­len­den“ Bewer­tungs­un­ter­schie- den führ­ten, zeig­ten sich auch beim Ver­gleich der Ma- the­ma­tik­leis­tun­gen zwi­schen Schü­lern an Ober­stu­fen von Gesamt­schu­len und Gym­na­si­en in Nord­rhein- West­fa­len. Ähn­li­che Befun­de lie­gen für beruf­li­che und all­ge­mein­bil­den­de Gym­na­si­en vor.74

Wäh­rend sich in Bezug auf die Leis­tungs­fä­hig­keit der Schü­ler unter­schied­li­cher Bun­des­län­der – mit aller gebo­te­nen Vor­sicht – sagen lässt, dass unter­schied­li- che Leis­tungs­ni­veaus vor­lie­gen, die zumin­dest teil- wei­se mit unter­schied­li­chen Beno­tun­gen kor­re­spon- die­ren, ist eine Aus­sa­ge zu unter­schied­li­chen Beur­tei- lun­gen kaum mög­lich. Dies mag dar­an lie­gen, dass Schul­no­ten neben der Dia­gno­se­funk­ti­on auch eine Anreiz- bzw. Moti­va­ti­ons­funk­ti­on zukommt; sie sol- len neben der rei­nen Leis­tung auch „unter­richts­stüt- zen­de Aspek­te“, etwa die Anstren­gungs­be­reit­schaft, erfas­sen. Nicht zuletzt müs­sen sie sich auch nach der Ver­gleichs­ko­hor­te richten.75 Die hier­bei her­an­zu­zie- hen­den Schü­ler sind regel­mä­ßig die Mit­schü­ler, nicht eine Art abs­trak­ter bun­des­durch­schnitt­li­cher „Mus- ter­schü­ler“. So ist etwa nach­ge­wie­sen, dass die glei­che Leis­tung eines Schü­lers in leis­tungs­schwä­che­ren Lern- grup­pen bes­ser bewer­tet wird als in leis­tungs­star­ken Gemeinschaften.76

Ein „Patent­re­zept“ gegen die­se Unter­schie­de hat die Wis­sen­schaft bis­lang nicht. Stark ver­ein­heit­lich­te Anfor- derun­gen – etwa im Sin­ne eines bun­des­wei­ten Zen­tral- abiturs – kön­nen kei­ne Ein­heit­lich­keit der Maß­stä­be ge- währ­leis­ten. Zu berück­sich­ti­gen ist hier die Viel­falt der Bil­dungs­we­ge, die zum Abitur füh­ren. So unter­schei­den sich der­zeit die Abitur­anfor­de­run­gen für all­ge­mein bil- den­de und für beruf­li­che Gym­na­si­en, um der berufs­feld- bezo­ge­nen Aus­prä­gung der beruf­li­chen Gym­na­si­en Rech­nung zu tragen.77

Auf­grund die­ser Befun­de war im wis­sen­schaft­li­chen Fach­dis­kurs bereits früh die For­de­rung erho­ben worden,

R. Watermann/U. Trautwein/O. Lüd­tke, Wege zur Hochschulreife

in Baden-Würt­tem­berg, 2004, S. 205 (277).
74 O. Köl­ler/J. Bau­mert/K. U. Schna­bel, Wege zur Hochschulreife,

ZfE 1999, 385 (415); Köl­ler (Fn. 30), S. 39.
75 Neu­mann/Nagy/Traut­wein/Lüd­tke (Fn. 60), S. 693.
76 U. Traut­wein/F. Bae­ris­wyl, Wenn leis­tungs­star­ke Klassenkame-

raden ein Nach­teil sind, Zeit­schrift für Päd­ago­gi­sche Psychologie

2007, 119 (128).
77 Vgl. O. Köl­ler/R. Water­mann/U. Traut­wein, Trans­for­ma­ti­on des

Sekun­dar­schul­sys­tems in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, in: Köller/Watermann/Trautwein/Lüdtke (Fn. 73), S. 13 (21).

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 8 3

184 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190

dass neben der Note „auch die Eig­nung und Moti­va­ti­on“ des Bewer­bers für den gewähl­ten Stu­di­en­gang zum Aus- wahl­kri­te­ri­um erho­ben wer­den soll­te, nach­zu­wei­sen etwa über einen fach­spe­zi­fi­schen Studierfähigkeitstest.78 So wird die bun­des­wei­te Ver­gleich­bar­keit von einem glo­ba­len in ein loka­les Pro­blem trans­for­miert. Zu be- den­ken ist frei­lich, dass dann die Ver­gleich­bar­keit der ver­schie­de­nen Eig­nungs­tests zu gewähr­leis­ten ist.

Auch die viel­fach ange­führ­te und inzwi­schen lan­des- weit eta­blier­te Zen­tral­prü­fung ist nicht durch­weg vor- teil­haft. Zen­tra­le Abitur­prü­fun­gen kön­nen zu uner- wünsch­ten Neben­ef­fek­ten füh­ren, indem etwa gezielt auf das abge­prüf­te Wis­sen „hin­ge­lernt“ wird und – päd­a­go- gisch wie auch inhalt­lich wich­ti­ge – Neben­ge­bie­te oder aktu­el­le Bezü­ge außer Acht gelas­sen wer­den, sog. „Teaching-to-the-Test-Effekt“.79 Wei­ter­hin ist zu beach- ten, dass Ten­den­zen zur Ver­ein­heit­li­chung ihrer­seits be- stimm­te Schü­ler­grup­pen benach­tei­li­gen, etwa sol­che, die sich beson­ders gut auf das Kurs­sys­tem ein­stel­len kön­nen, das mit sei­ner wech­seln­den per­so­nel­len Zusam- men­set­zung die Fle­xi­bi­li­tät der Schü­ler för­der­te und ge- wis­ser­ma­ßen einen Vor­griff auf die Lern­welt der Hoch- schu­le bot.80 Schü­ler, die bereits früh beson­de­re Talen­te oder Nei­gun­gen in Fächern außer­halb des Kern­cur­ri­cu- lums (Deutsch, Mathe­ma­tik, Fremd­spra­che) ent­wi­ckeln, wer­den in stark zen­tra­li­sier­ten Sys­te­men gegen­über der von 1972 bis 2012 gän­gi­gen gym­na­sia­len Ober­stu­fe mit Kurs­sys­tem benachteiligt.81 So mögen Leis­tun­gen unter Umstän­den ver­gleich­ba­rer wer­den, wäh­rend die Aus­sa- gekraft in Bezug auf die Stu­di­en­eig­nung jedoch abnimmt.

Letzt­lich erweist sich auch die Kom­pe­tenz­ori­en­tie- rung des deut­schen Bil­dungs­sys­tems als schwer zu kal- kulie­ren­der Fak­tor. Bil­dungs­stan­dards wer­den hier als sog. „Can-do-State­ments“ bezeich­net und zie­len dar­auf ab, Kompetenzen82 zu ver­mit­teln, etwa die Aus­sa­gen ein­fa­cher lite­ra­ri­scher Tex­te ver­ste­hen oder in klar ge- schrie­be­nen argu­men­ta­ti­ven Tex­ten zu ver­trau­ten The- men die wesent­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen erken­nen. Dies setzt in aller Regel kom­mu­ni­ka­ti­ve sowie inter­kul- turel­le Fer­tig­kei­ten vor­aus. Die Mes­sung die­ser Kompe-

  1. 78  Water­mann/Nagy/Köl­ler (Fn. 73), S. 277; vgl. Neu­mann/NagyTraut­wein/Lüd­tke (Fn. 60), 708; Köl­ler (Fn. 30), S. 24; Traut­weinKöl­ler/Leh­mann/Lüd­tke (Fn. 64), S. 26.
  2. 79  Vgl. B. Oer­ke/K. M. Mer­ki/E. Maué/D. J. Jäger, Zen­tral­ab­itur und The­men­va­ri­anz im Unter­richt, in: Bos­se (Fn. 31), S. 27 (28).
  3. 80  Vgl. Bos­se (Fn. 64), S. 72 f.; L. Huber, Zur Stu­dier­fä­hig­keit gehört auch­In­ter­es­se, in: Asdonk/Kuhnen/Bornkessel (Fn. 30), S. 147 (148, 156).
  4. 81  Vgl. L. Huber, Wel­che Wahl haben Schü­le­rin­nen und Schü­ler der­gym­na­sia­len Ober­stu­fe?, in: Bos­se (Fn. 31), S. 81 (100 f.).
  5. 82  Als Kom­pe­tenz ist „die bei Indi­vi­du­en ver­füg­ba­ren oder durch­sie erlern­ba­ren kogni­ti­ven Fähig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten, um bestimm­te Pro­ble­me zu lösen, sowie die damit ver­bun­de­nen moti­va­tio­na­len, voli- tio­na­len und sozia­len Bereit­schaf­ten und Fähig­kei­ten, um die Problem-

ten­zen ist aller­dings kom­pli­ziert: sie erfor­dert pro Teil­kom- petenz die Bil­dung einer Viel­zahl psy­cho­me­trisch hoch- wer­ti­ge­rI­tems­so­wie­die­For­mu­lie­rung­von­Kom­pe­tenz­stu- fen.83 Vor allem aber sind Kom­pe­ten­zen viel­fäl­tig und situa­tiv, was ihre Ver­gleich­bar­keit erschwert.84

Ein Grund für unter­schied­li­che Leis­tungs­ni­veaus dürf­te sich jeden­falls dar­aus erge­ben, dass die seit den 1970er Jah­ren auch inter­na­tio­nal vor dem Hin­ter­grund des Über­gangs von der Pro­duk­ti­ons- zur Dienst­leis- tungs­ge­sell­schaft beför­der­te Öff­nung der Bil­dungs­we­ge dazu führt, dass Bil­dungs­zer­ti­fi­ka­te, etwa das Abitur, durch Schul­for­men ver­lie­hen wer­den, die nicht dem tra- ditio­nel­len Gym­na­si­um ent­spre­chen kön­nen. Schul­ab- schlüs­se und Schul­for­men wer­den ent­kop­pelt (sog. ver- tika­le Öff­nung des Schulsystems).85 Es ist unrea­lis­tisch, in einem beruf­li­chen Gymnasium86 die­sel­ben Bewer- tungs­maß­stä­be anzu­le­gen wie an einem schu­li­schen, an einer Gesamt­schu­le die­sel­ben wie an einem Wirt­schafts- gym­na­si­um – und wäre für einen Teil der Schü­ler, die mit ihren Fähig­kei­ten unbe­rück­sich­tigt blei­ben, zudem sei­ner­seits ungerecht.

Aus dem For­schungs­stand der empi­ri­schen Erzie- hungs­wis­sen­schaft ergibt sich also kei­ne „ein­fa­che Lö- sung“, wie die Ver­gleich­bar­keit von Noten, Leis­tun­gen und Bewer­tun­gen her­ge­stellt wer­den könn­te – oder auch nur, wel­che Form von Unter­schied (Leis­tung, Note oder Beur­tei­lung) aus­zu­glei­chen wäre. Viel­mehr wird ein Span­nungs­feld deut­lich: Der höhe­re Grad an Offen­heit und Durch­läs­sig­keit, wel­cher neben der tra­di­tio­nel­len Gym­na­si­as­ten-Kohor­te auch ande­ren, etwa beruf­lich qua­li­fi­zier­ten Bewer­bern, den Zugang zum Gym­na­si- um eröff­net, führt im Umkehr­schluss zu einer stär­ke­ren Hete­ro­ge­ni­tät an Leis­tun­gen und Bewer­tungs­maß­stä- ben. Eine Ein­he­gung in glei­che Stan­dards wür­de – wenn die­se sich am tra­di­tio­nel­len Abitur ori­en­tie­ren – zu Las- ten der Öff­nung wirken.

4. Die „Berei­ni­gung“ von Noten der Hoch­schul­zu- gangsberechtigung

Es ist also nach wie vor offen, wel­ches die aus Sicht des Gerichts aus­zu­glei­chen­den Unter­schie­de sind. Vielleicht

lösun­gen in varia­blen Situa­tio­nen erfolg­reich und ver­ant­wor­tungs­voll nut­zen zu kön­nen“. Vgl. F. E. Wei­nert, Ver­glei­chen­de Leis­tungs­mes­sung in Schu­len – eine umstrit­te­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, in: ders., Leis­tungs- mes­sun­gen in Schu­len, 2001, S. 17 (27 f.).

83 Köl­ler (Fn. 58), S. 198 ff.
84 Vgl. B. Gnie­wosz, Kom­pe­tenz­ent­wick­lung, in: H. Reinders, Em-

piri­sche Bil­dungs­for­schung, Gegen­stands­be­rei­che, 2. Aufl. 2015,

S. 69 (69 f.).
85 Vgl. Köl­ler/Bau­mert/Schna­bel (Fn. 74), 386 ff.; vgl. Traut­wein/

Köl­ler/Leh­mann/Lüd­tke (Fn. 64), S. 12 f.
86 Die Mehr­heit der Schü­ler an beruf­li­chen Gym­na­si­en besteht aus

leis­tungs­star­ken Real­schul­ab­sol­ven­ten, vgl. Traut­wein/Köl­ler/Leh- mann/Lüd­tke (Fn. 64), S. 14.

– so die Hoff­nung – hilft ein Blick in die Argu­men­ta­ti­on des Gerichts zur feh­len­den Recht­fer­ti­gung der der­zei­ti- gen Rege­lung wei­ter. Das Außer­acht­las­sen die­ser Unter- schie­de las­se sich nicht dadurch recht­fer­ti­gen, dass „eine Ver­gleich­bar­keit von Abitur­no­ten von vorn­her­ein struk- turel­le Gren­zen“ begeg­ne. Wäh­rend es sich bei Fak­to­ren wie Klas­sen­grö­ße, Niveau­un­ter­schied und sozia­lem Umfeld um blo­ße „Unschär­fen“ han­de­le, die nur begrenzt ver­all­ge- mei­ner­bar erfasst und aus­ge­gli­chen wer­den kön­nen, sei­en „län­der­über­grei­fen­de Ver­gleich­bar­keits­de­fi­zit der Abitur- noten“ dage­gen sys­tem­be­ding­te Unter­schie­de, die „in den län­der­spe­zi­fisch unter­schied­li­chen Bil­dungs- und ins­be- son­de­re auch Bewer­tungs­sys­te­men ange­legt“ seien.

Auf die ver­fas­sungs­recht­lich garan­tier­te Bun­des- staat­lich­keit und die Kom­pe­tenz­ord­nung des Grundge- set­zes dür­fe ein Ver­zicht auf einen Aus­gleich­me­cha­nis- mus der Noten nicht gestützt wer­den. Es blei­be den Län- dern näm­lich unbe­nom­men, eige­ne gege­be­nen­falls von- ein­an­der abwei­chen­de Rege­lun­gen zu erlas­sen. Für die Hoch­schul­zu­las­sung ver­lan­ge der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Ver­bin­dung mit Art. 3 Abs. 1 GG gewähr­leis­te­te Anspruch auf glei­che Teil­ha­be aller­dings, dass „die Eig- nung für das Stu­di­um gleich­heits­ge­recht beur­teilt wird und nicht die Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung aus be- stimm­ten Län­dern ent­schei­det“. Mit ande­ren Wor­ten dürf­tees­bei­ei­ner­un­ter­stell­ten­gleich­heits­wid­ri­gen­Be- wer­tung inner­halb der Bun­des­län­der blei­ben, ein „fal- sches“ Zeug­nis sei für sich genom­men eben hin­zu­neh- men. Wenn die­ses aber für die Stu­di­en­platz­be­wer­bung genutzt wer­den soll, muss die Note „berei­nigt“ wer­den. Es drängt sich die Fra­ge auf, was dann noch der Nut­zen einer Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung sein soll – und ob nicht eine ent­spre­chen­de „Berei­ni­gung“ glei­cher­ma­ßen auch für die Bewer­bung um Aus­bil­dungs­plät­ze, Sti­pen- dien etc. vor­ge­nom­men wer­den muss.

Hier­aus wird immer­hin deut­lich, dass nur „struk­tu- rel­le“ Unter­schie­de aus­zu­glei­chen sei­en. Wei­te­re Hin- wei­se erge­ben sich aus der ver­gleichs­wei­se aus­führ­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung des Gerichts mit den sog. Lan­des- quo­ten (sie­he II.3.). In Bezug auf die Her­an­zie­hung die- ses Instru­ments im Rah­men der Abitur­besten­quo­te be- tont das Gericht, es sei „nicht ersicht­lich, dass die­se Re- gelung ver­fas­sungs­recht­li­chen Anfor­de­run­gen nicht ge- nügen wür­de“. Gleich­zei­tig erkennt es an, dass die Über­tra­gung des für die zen­tra­le Studienplatzvergabe

  1. 87  Reich, HRG, § 32 Rn. 15a. So auch der Gesetz­ge­ber selbst: BT-Drs. 7/3279, S. 10.; vgl. H. Bahro/H. Ber­lin, Das Hoch­schul­zu­las­sungs- recht in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 4. Aufl. 2003, S. 165.
  2. 88  Hail­bron­ner (Fn. 23), S. 10.
  3. 89  Vgl. Bode (Fn. 20), § 27 Rn. 183. Zurück­hal­tend posi­tiv („noch­nicht abschlie­ßend beur­tei­len“) BVerfGE 43, 291 (313 ff.).
  4. 90  Damals hat­te Art. 11 Abs. 8 StV 1973 vor­ge­se­hen, dass „für jedes

der­zeit vor­ge­se­he­nen Lan­des­quo­ten-Prin­zips für das Aus­wahl­ver­fah­ren der Hoch­schu­len „an Gren­zen“ sto­ße. Es sei nun Auf­ga­be des Gesetz­ge­bers, „eine Rege­lung zu fin­den, die eine annä­hern­de Ver­gleich­bar­keit der Noten prak­ti­ka­bel ermög­licht, etwa durch eine Rela­tio­nie­rung der Noten auf Zen­tral­ebe­ne, auf die die Hoch­schu­len dann zurück­grei­fen kön­nen“, wobei „eine annä­hern­de Ver­gleich­bar­keit der Abitur­no­ten über die Län­der­gren- zen hin­weg“ ausreiche.

Im Ergeb­nis beruht die Bil­dung von Lan­des­quo­ten auf einer Rei­he von Annah­men, die ihrer­seits begrün- dungs­be­dürf­tig sind. In der Lite­ra­tur wur­den die Lan- des­quo­ten von vorn­her­ein als Behelfs­lö­sung mit „Über- gangscharakter“87 – Hail­bron­ner bezeich­net sie als „Krü- cke“88 – und nicht als Ide­al angesehen.89 Tat­säch­lich sind die Lan­des­quo­ten, die im Ergeb­nis zu einer Kon­kur­renz nur eige­ner „Lan­des­kin­der“ unter­ein­an­der füh­ren, ein pro­ba­tes Mit­tel, um jeg­li­che bil­dungs­po­li­ti­sche Unter- schie­de zwi­schen Län­dern auszugleichen.

Der Hin­weis auf ver­schie­de­ne Durch­schnitts­no­ten der Län­der ruft noch einen ande­ren zwi­schen­zeit­lich ver­folg­ten und inzwi­schen wie­der auf­ge­ge­be­nen Ansatz in Erin­ne­rung: Den Bonus bzw. Malus für Abitu­ri­en­ten bestimm­ter Bun­des­län­der. Zunächst ver­wun­dert es, dass sich das Gericht nicht mit der Recht­spre­chung des eige- nen Gerichts hier­zu aus­ein­an­der­setzt, obwohl dies durch­aus nahe­ge­le­gen hät­te. So hat­te das BVerfG bereits Anfang April 1974 zu ent­schei­den, ob die damals vor­lie- gen­de Pra­xis eines arith­me­ti­schen Aus­gleichs von unter- schied­li­chen Lan­des­durch­schnitts­no­ten ver­fas­sungs- kon­form sei.90 Dies führ­te im Win­ter­se­mes­ter 1973/1974 dazu, dass Bewer­ber mit einer in Bay­ern erwor­be­nen Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung einen Malus von 0,3 er- hiel­ten, wäh­rend etwa Bewer­bern mit Rei­fe­zeug­nis aus Nord­rhein-West­fa­len oder Ham­burg pau­schal ein Bonus von 0,2 gut­ge­schrie­ben beka­men, also etwa statt mit 2,0 mit 1,8 am Ver­fah­ren teil­nah­men. Die­se Rege­lung, die ei- nen „Ver­such“ dar­stel­le, „die mit der Aus­wahl nach Durch­schnitts­no­ten ver­bun­de­ne Unzu­träg­lich­kei­ten zu mil­dern“, hielt sich nach Ansicht des BVerfG „noch“ im Rah­men der ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben, da ange- sichts der unkla­ren Ursa­chen für das Noten­ge­fäl­le der Ermes­sens­spiel­raum des Gesetz­ge­bers nicht über­schrit- ten sei und eine Untä­tig­keit des Gesetz­ge­bers „noch we- niger trag­bar“ gewe­sen wäre. Gleich­wohl gab das BVerfG

Land […] jähr­lich die Durch­schnitts­no­ten aller Rei­fe­zeug­nis­se fest­ge­stellt“ wur­den. „Aus dem Ergeb­nis der ein­zel­nen Län­der wird eine Gesamt­durch­schnitts­no­te für alle Län­der ermit­telt. Unter­schrei­tet die Durch­schnitts­no­te eines Lan­des die Gesamt- durch­schnitts­no­te, so wer­den für das Ver­ga­be­ver­fah­ren die Noten der Rei­fe­zeug­nis­se die­ses Lan­des um die Dif­fe­renz her­auf­ge­setzt, im umge­kehr­ten Fall ent­spre­chend herabgesetzt.“

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 8 5

186 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190

den Beschwer­de­füh­ren dar­in recht, dass „das gro­be Mit- tel eines pau­scha­len Noten­aus­gleichs […] wenig befrie- digt“, da unklar blei­be, ob die Berech­nung „auch in je- dem Ein­zel­fall wirk­lich durch sach­li­che Grün­de gerecht- fer­tigt“ sei.91

Der Bay­VerfGH ent­schied Anfang August 1975, dass der pau­scha­le Noten­aus­gleich als kein taug­li­ches Mit­tel zur Erfül­lung des staats­ver­trag­li­chen Ziels anzu­se­hen sei. Maß­stab der Zulas­sung sei näm­lich nicht mehr die im Zeug­nis des Bewer­bers aus­ge­wie­se­ne Note, „son­dern ein Durch­schnitts­wert, den der ein­zel­ne Bewer­ber nicht beein­flus­sen kann“, wodurch das Sys­tem „von der indi­vi- duel­len Leis­tungs­be­wer­tung“ weg­füh­re. Die Best­no­te von 1,0 sei für Ange­hö­ri­ge bestimm­ter Län­der, die einem Malus unter­lä­gen, fak­tisch aus­ge­schlos­sen. Auch gin­gen in die Bil­dung des arith­me­ti­schen Refe­renz­wer­tes unter- schied­li­che Arten von Zugangs­be­rech­ti­gun­gen ein, was sei­ne Vali­di­tät als Berech­nungs­grund­la­ge ver­rin­ge­re. Auch wider­spre­che das Vor­ge­hen der KMK-Ver­ein­ba- rung zur Aner­ken­nung der Leis­tungs­nach­wei­se. Damit erklär­te der Bay­VerfGH den Zustim­mungs­be­schluss zumStaatsvertragfürnichtig,soweitdieserfürInhaber einer baye­ri­schen Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung zu ei- ner Ver­rech­nung der nomi­na­len Note führe.92

Die Kla­ge Bay­erns gegen die übri­gen Län­der, das Ver­fah­ren also ohne die ent­spre­chen­de Rege­lung durch- zufüh­ren, wies das BVerwG Anfang Juli 1976 übri­gens ab. Ohne in der Sache den baye­ri­schen Argu­men­ten ent- gegen­zu­tre­ten, stell­te es klar, dass in einem ent­sp­re- chen­den Streit­fall die Bun­des­län­der ver­pflich­tet sei­en, eine Klä­rung durch ein für alle Län­der bin­den­des Ge- richt her­bei­zu­füh­ren; im Übri­gen füh­re auch der Um- stand, dass sich die „Annah­me der Län­der, das Not­en­ge- fäl­le bei den Lan­des­durch­schnitts­no­ten beru­he auf län- der­spe­zi­fi­schen Bewer­tungs­un­ter­schie­den“, bis­lang nicht habe bewei­sen las­sen, nicht zur Rechts­wid­rig­keit der Bo- nus-Malus-Rege­lung. Viel­mehr gel­te die Ent­schei­dung des BVerfG zu ihrer Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit fort.93 Die Ent­schei­dung des BVerwG konn­te höchs­tens for­mal über­zeu­gen – der Bund setz­te sich im Sin­ne der Rechts- ver­ein­heit­li­chung durch.94 Auf die vom Bay­VerfGH kri- tisier­te pau­scha­le Bewer­tung durch den Malus ging sie nicht ein­mal ein. Poli­ti­sche Fol­ge die­ses rechtlichen

  1. 91  BVerfGE 37, 104 (108 f., 116 ff.).
  2. 92  Bay­VerfGH, Beschl. v. 1.8.1975, NJW 1975, 1733 (1738 f.).
  3. 93  BVerw­GE 50, 137 (137 ff.).
  4. 94  A. Ditt­mann, Das Bil­dungs­we­sen im föde­ra­lis­ti­schen Kom­pe-tenz­ge­fü­ge, RdJB 1978, 168 (177).
  5. 95  BVerfGE 37, 104 (120).
  6. 96  Vgl. Ditt­mann (Fn. 94), 176.
  7. 97  Die mit der sog. modi­fi­zier­ten Baye­ri­schen For­mel errech­ne­ten Noten-

„Tau­zie­hens“ war übri­gens die Ein­füh­rung von Lan­des- quo­ten, ein Weg, den das BVerfG in sei­ner Ent­schei­dung bereits ange­deu­tet hatte.95 Die Beden­ken, die damals ge- gen einen pau­scha­len Bonus bzw. Malus spra­chen, dürf- ten wohl auch heu­te noch gel­ten: Die Band­brei­te der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gun­gen hat sich – auch im Hin­blick auf den Euro­päi­schen Hoch­schul­raum – eher ver­brei­tert als reduziert.

5. Zwi­schen­fa­zit: Uto­pie der Nor­mal­ver­tei­lung des Bil- dungspotenzials

Das Ziel eines höhe­ren Maßes an Ver­gleich­bar­keit ist also auf zwei Wegen erreich­bar: Ent­we­der durch eine Ver­ein­heit­li­chung aller Prü­fun­gen und Stan­dards. Die- ser Weg scheint aller­dings ange­sichts der Viel­ge­stal­tig- keit der Erschei­nungs­for­men des Abiturs als kaum gang- bar – eine umfas­sen­de und aus­nahms­lo­se Rege­lung wäre wohl prak­tisch unmög­lich und wür­de vor allem ihrer- seits bestimm­te Bewer­ber­grup­pen (etwa an beruf­li­chen Gym­na­si­en) benach­tei­li­gen. Der ande­re Weg führt in die Auf­split­te­rung von Res­sour­cen und die Ver­tei­lung in lan­des­spe­zi­fi­schen Kon­tin­gen­ten. Die­ses Vor­ge­hen bedarf wohl vor allem einer kla­ren metho­di­schen Vor­ga- be; er bie­tet den Vor­teil, dass die Län­der sepa­rat betrach- tet wer­den kön­nen – eine Aner­ken­nung der „Bil­dungs- sou­ve­rä­ni­tät der ein­zel­nen Länder“.96 Hier­in liegt aller- dings auch eine gewis­se Dia­lek­tik, macht die „Gleich­rech­nung“ doch das feh­len­de Ver­trau­en der Län- der in die Ver­gleich­bar­keit offen­kun­dig. Frei­lich bie­tet der Ansatz auch Nach­tei­le, indem er Wett­be­werb und Ver­än­de­rung ver­hin­dert – selbst wenn ein Land mit größ­ten Auf­wän­den die Bil­dung för­dern wür­de, wür­den sei­ne Schü­ler im Gesamt­sys­tem stets wie­der rela­ti­viert und mit den Absol­ven­ten schwä­che­rer Län­der gleich­ge- stellt wer­den. Ver­än­de­run­gen im Bil­dungs­ni­veau wür- den stets nivel­liert werden.

Ob die­ses Modell prak­ti­ka­bel ist, wird sich zei­gen; auf dem Gebiet der euro­päi­schen Zeug­nis­se und der Ba- che­lor-Zeug­nis­se hat sich die KMK jeden­falls vom Mo- dell einer Pro­zentrang­trans­for­ma­ti­on, die die Noten ins Ver­hält­nis der Häu­fig­keit ihrer Ver­ga­be set­zen soll­te, schritt­wei­se verabschiedet.97 Ange­sichts der erheb­lich deut­li­che­ren Leis­tungs- und Benotungsunterschiede

wer­te von Sekun­dar­schul­ab­schlüs­sen aus EU- und EWR-Staa­ten sowie der Schweiz soll­ten nach den Pla­nun­gen der KMK einer sog Pro­zent- rang­trans-for­ma­ti­on unter­zo­gen wer­den. Die­se Trans­for­ma­ti­on soll­te die Häu­fig­keit der Noten­ver­ga­be mit ein­be­zie­hen und damit der teil­wei- se sehr unter­schied­li­chen Noten­ver­ga­be (vor allem sehr guter Noten) ent­ge­gen­wir­ken. Das Vor­ha­ben wird wohl der­zeit nicht wei­ter ver­folgt, jeden­falls fin­det es in den aktu­el­len Beschlüs­sen kei­ne Erwäh­nung mehr. Vgl. KMK-Beschl. v. 15.3.1991 idF v. 19.7.2012; Bode (Fn. 12), § 3 Rn. 35.

zwi­schen den euro­päi­schen Staa­ten wird abzu­war­ten sein, ob und wie hier eine „Berei­ni­gung“ vor­ge­nom­men wer­den kann.

Im Ergeb­nis scheint das Gericht die­sen Weg zu mei- nen, wenn es von „Berei­ni­gung“ schreibt. Was die The­se des BVerfG tat­säch­lich auf den ers­ten Blick sym­pa­thisch erschei­nen lässt, ist der aller­dings eher ver­fas­sungs­po­li­ti- sche – Anspruch, dass eine Art bun­des­wei­te „Nor­mal- ver­tei­lung“ der im Abitur zum Aus­druck kom­men­den Leis­tungs- und Eig­nungs­ge­sichts­punk­te für den Stu­die- nerfolg vor­lie­gen müsse.

Was wie­der­um erwie­sen ist, bei der Betrach­tung des BVerfG jedoch kei­ne Beach­tung gefun­den hat bzw. im Ver­fah­ren auch in pro­zess­recht­li­cher Hin­sicht kei­ne Be- rück­sich­ti­gung fin­den durf­te, ist, dass neben den schu­li- schen Kom­pe­ten­zen und Zer­ti­fi­ka­ten vor allem auch die sozia­le Her­kunft über den wei­te­ren Bil­dungs­weg ent- schei­det: „Bei glei­chen Leis­tun­gen besit­zen Schü­le­rin- nen und Schü­ler aus sta­tus­hö­he­ren Fami­li­en eine im Mit­tel höhe­re Erfolgs­er­war­tung im Ver­gleich zu Schü­le- rin­nen und Schü­lern aus sta­tus­nied­ri­ge­ren Familien.“98 Die Deter­mi­nan­ten schu­li­scher Leis­tun­gen stel­len sich als sehr viel­schich­tig dar und umfas­sen indi­vi­du­el­le Dis- posi­tio­nen, Unter­richts­fak­to­ren aber auch elter­li­ches Unterstützungsverhalten.99 So erscheint es frag­wür­dig, wo eigent­lich mit dem Aus­gleich der Unter­schie­de anzu- set­zen wäre – und ob der Preis nicht im Umkehr­schluss ein gera­de­zu unheim­li­ches, alles erfas­sen­des Staats­we- sen wäre.100

V. Mit­tel­ba­re Folgen

1. Aus­wir­kung auf Stu­di­en­gän­ge mit ört­li­cher Zulas- sungsbeschränkung

DieEntscheidung,insbesonderedieAussageninBezug auf die her­an­zu­zie­hen­den Aus­wahl­kri­te­ri­en und ihrer Gewich­tung sowie das Erfor­der­nis der „Berei­ni­gung“ der Noten, betrifft alle Rechts­ge­bie­te, auf die der teil­ha- berecht­li­che Aspekt der Kom­bi­na­ti­on von Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozi­al­staats­prin­zip Anwen­dung fin­det. Zwar gilt die Ent­schei­dung ihrem Wort­laut nach unmit­tel­bar zunächst für die Human­me- dizin. Ihre tra­gen­den Grün­de erwa­chen jedoch in Geset- zes­kraft und bin­den Ver­wal­tung und Gerich­te auch über die Anwen­dung der HRG-Nor­men hin­aus, etwa bei der Anwen­dung der Lan­des­hoch­schul- und Zulassungsge-

  1. 98  R. Water­mann/K. Maaz, Stu­dier­nei­gung bei Absol­ven­ten all­ge­mein bil- den­der und beruf­li­cher Gym­na­si­en, in: Köller/Watermann/Trautwein/ Lüd­tke (Fn. 73), S. 402 (412); vgl. R. Becker, Wie kön­nen „bil­dungs­fer­ne“ Grup­pen für ein Hoch­schul­stu­di­um gewon­nen wer­den?, KZfSS 2009, 563 (563 ff.).
  2. 99  Traut­wein/Köl­ler/Leh­mann/Lüd­tke (Fn. 64), S. 17 ff.; V. Mül­ler-

set­ze. Auch in den übri­gen bun­des­weit zulas­sungs­be- schränk­ten Fächern (Zahn- und Tier­me­di­zin sowie Phar­ma­zie) und in Fächern mit ört­li­cher Zulas­sungs­be- schrän­kung und ent­spre­chen­dem Bewer­ber­über­hang, etwa der Psy­cho­lo­gie und der Sozia­len Arbeit, dürf­te eine Anpas­sung der ent­spre­chen­den lan­des­recht­li­chen Rege­lun­gen erfor­der­lich wer­den. Auch Mas­ter­zu­gang und –zulas­sung soll­ten auf die Ver­ein­bar­keit mit der Ent­schei­dung über­prüft werden.

2. Aus­strah­lungs­wir­kung in sons­ti­ge Rechts­ge­bie­te, ins- beson­de­re auf Art. 33 Abs. 2 GG

Auch auf wei­te­re Rechts­ge­bie­te, die vom teil­ha­be­recht­li- chen Aspekt der Berufs­frei­heit gem. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG betrof­fen sind, dürf­te die Recht- spre­chung Aus­wir­kun­gen haben. Zu nen­nen ist hier etwa die Ver­ga­be von Plät­zen für öffent­lich-recht­li­che Aus­bil­dungs­ver­hält­nis­se, etwa das juris­ti­sche und das Lehramtsreferendariat.101

Ohne­hin dürf­te zu unter­su­chen sein, ob nicht – auch ohne den genann­ten Bezug zur Aus­bil­dungs­frei­heit des Art. 12 Abs. 1 GG – die „Berei­ni­gungs­ver­pflich­tung“ auf Art. 33 Abs. 2 GG aus­strahlt – also unmit­tel­bar die Defi- niti­on der „Eig­nung“ betrifft. Auch hier­für spricht der Gedan­ke des a maio­re ad minus: Wenn schon die Aus­bil- dungs­frei­heit struk­tu­rel­le föde­ra­lis­ti­sche Unter­schie­de aus­zu­glei­chen hat, dann dür­fen die­se erst recht beim Zu- gang zum öffent­li­chen Dienst kei­ne Rol­le spie­len. Auch in prak­ti­scher Sicht steht wenig dage­gen: die Absol­ven- ten­ko­hor­ten der juris­ti­schen Aus­bil­dung sind vom Um- fang her deut­lich gerin­ger als die Grup­pe der Hoch- schul­zu­gangs­be­rech­tig­ten und wer­den ohne­hin sta­tis- tisch erfasst. Dem­ge­gen­über ist der Bereich des Pri­vat- rechts auf­grund der dort nur mit­tel­ba­ren Wir­kung der Grund­rech­te von ent­spre­chen­den „Berei­ni­gun­gen“ ausgenommen.

3. Obiter dic­tum: Zulas­sungs­recht und Berück­sich­ti­gung von Gemein­wohl­be­lan­gen vor dem Hin­ter­grund der Dis- kus­si­on über die Ein­füh­rung einer Landarztquote

Bei der Ver­tei­lung knap­per Stu­di­en­plät­ze darf der Gesetz­ge­ber auch „Gemein­wohl­be­lan­ge“ berück­sich­ti- gen „wie etwa die Pati­en­ten­ver­sor­gung“. Hier­mit anti­zi- piert das Gericht eine Rechts­fra­ge, die der­zeit Gegen- stand von Kon­tro­ver­sen ist, näm­lich die Zuläs­sig­keit – oder gar Gebo­ten­heit – der Ein­füh­rung einer sog.

Bene­dict, Wodurch kann die sozia­le Ungleich­heit des Schulerfolgs

am stärks­ten ver­rin­gert wer­den?, KZfSS 2007, 615 (615 ff.). 100 Vgl. zur Kri­tik am pla­nen­den Sozi­al­staat, F. v. Hay­ek, Recht,

Gesetz­ge­bung und Frei­heit, Bd. 2, 1981, S. 96 ff.
101 Vgl. S. Sie­we­ke, Das Zulas­sungs­ver­fah­ren zum Referendariat,

LKV 2009, 305 (306 f.).

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 8 7

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Land­arzt­quo­te, also einer Quo­te für Bewer­ber, die sich ver­pflich­ten, nach Abschluss des Stu­di­ums eine gewis­se Zeit in medi­zi­nisch unter­ver­sorg­ten Gebie­ten in Deutsch­land beruf­lich tätig zu werden.

Dass Belan­ge des Gemein­wohls – die übri­gens bis- lang in den maß­geb­li­chen Ent­schei­dun­gen des BVerfG kei­ne Erwäh­nung fan­den – bei der Bemes­sung der Zahl der Stu­di­en­plät­ze zu beach­ten sind, erscheint zwin­gend. Dies gilt etwa für die Berück­sich­ti­gung der Sani­täts­of­fi- zie­re, deren Aus­bil­dung für die Bun­des­wehr von exis­ten- tiel­ler Bedeu­tung ist. Ob auch die Steue­rung der Ver­sor- gungs­dich­te in unter­ver­sorg­ten Gebie­ten über das Zu- las­sungs­recht vor­ge­nom­men wer­den darf, wird unter- schied­lich beur­teilt. Eine Ansicht, unter ande­rem ver­tre­ten vom Mar­ti­ni und Zie­kow, befür­wor­te­ten dies.102 Ande­re Stim­men vor allem aus dem Umfeld der Hoch­schu­len sahen dies kri­tisch; die Ver­tei­lung der Ärz- te sei nicht Auf­ga­be des Zulas­sungs­rechts. Anders als bei den über Vor­ab­quo­ten erfass­ten Sani­täts­of­fi­zie­ren han- dele es sich beim „Land­arzt“ – wie auch immer er zu de- finie­ren sei – nicht um eine spe­zi­el­le beruf­li­che Aus­rich- tung mit beson­de­ren Anfor­de­run­gen, son­dern um einen Medi­zi­ner, der sich von ande­ren nur dadurch unter- schei­det, dass er in einem unter­ver­sorg­ten Gebiet prak­ti- ziert. Hin­zu kom­men prak­ti­sche Beden­ken, etwa die Zu- läs­sig­keit einer Ver­pflich­tung über einen so maß­ge­b­li- chen Zeit­raum in einem zum Ver­pflich­tungs­zeit­punkt mut­maß­lich unbe­kann­ten Fach­ge­biet an einem vor­her nicht bestimm­ba­ren Ort zu prak­ti­zie­ren sowie die Fra­ge der Sanktionsmöglichkeiten.

4. Tätig­wer­den von Bund oder Ländern?

Bestimm­te Pas­sa­gen des HRG und des Staats­ver­tra­ges ver­lie­ren zum 1.1.2020 ihre Rechts­kraft. Frag­lich ist, wer nun als Norm­ge­ber tätig wer­den wird. Seit der Föde­ra­lis- mus­re­form ver­fügt der Bund über eine sog. Voll­kom­pe- tenz, könn­te also gesetz­li­che Rege­lun­gen schaf­fen, ohne – wie zuvor – nur einen Rah­men set­zen zu dür­fen, Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 i.V.m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 GG. Alter- nativ könn­ten auch die Län­der kraft ihrer kon­kur­rie­ren- den Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz tätig wer­den oder sie

  1. 102  Vgl. M. Mar­ti­ni/J. Zie­kow, Die Land­arzt­quo­te, 2017.
  2. 103  Vgl. C. Degen­hart, Die Neu­ord­nung der Gesetz­ge­bungs­kom­pe-ten­zen durch die Föde­ra­lis­mus­re­form, NVwZ 2006, 1209 (1212);Bode (Fn. 20), § 32 Rn. 113.
  3. 104  Dies sind Bay­ern, Bran­den­burg, Bre­men, Ham­burg, Hessen,Mecklenburg-Vorpommern, Nord­rhein-West­fa­len, Saarland,Sachsen, Schles­wig-Hol­stein. Vgl. GV NRW, 2017, 239.
  4. 105  Das Gericht ließ Kri­tik an der dar­in vor­ge­se­he­nen Rege­lung­d­er Bewer­bungs­se­mes­ter durch­bli­cken: So sei­en „kei­ne Grün­de ersicht­lich, die es gebie­ten könn­ten, zwi­schen […] Bewer­bern, die auf eine Stu­di­en­be­wer­bung etwa zuguns­ten einer ein­schlä­gi­gen beruf­li­chen Aus­bil­dung oder Tätig­keit ver­zich­tet haben, und

könn­ten nach­träg­lich von einem Bun­des­ge­setz abwei- chen oder lan­des­spe­zi­fisch modifizieren.103 Der 2016 unter­zeich­ne­teund­be­reit­sin­zehn­Bun­des­län­dern­ra­ti­fi- zier­te Staats­ver­trag über die gemein­sa­me Ein­rich­tung für Hochschulzulassung104 ist jeden­falls nach der Ent- schei­dung nicht mehr von Relevanz.105

5. Aus­hand­lung neu­er Verfahrensgrundsätze

Erfor­der­lich wer­den dürf­te die Aus­hand­lung neu­er Ver- fah­rens­grund­sät­ze. Dies betrifft die Fra­ge, wel­che Aus- wahl­kri­te­ri­en mit wel­cher Gewich­tung Anwen­dung fin- den sol­len, aber auch den Umgang mit der For­de­rung der „Berei­ni­gung“ von Schul­no­ten. Eini­ge Fach­ge­sell- schaf­ten haben hier bereits vor­ge­ar­bei­tet und ent­sp­re- chen­de Impul­se gege­ben. So regen die Bun­des­ver­tre­tung der Medi­zin­stu­die­ren­den in Deutsch­land e.V. (bvmd) und des Medi­zi­ni­sches Fakul­tä­ten­ta­ges e.V. (MFT) in ihrem gemein­sam erar­bei­te­ten „Vor­schlag für ein neu­es Modell der Stu­die­ren­den­aus­wahl in der Medi­zin“ an, künf­tig auf die War­te­zeit als Zulas­sungs­kri­te­ri­um zu ver- zich­ten und eine ein­zi­ge Haupt­quo­te vorzusehen.106

VI. Fazit oder das Dilem­ma der Verteilung

Der Anspruch auf Zulas­sung soll sich künf­tig weit über- wie­gend nach der Eig­nung rich­ten, die ihrer­seits zwar das Vor­lie­gen der Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung vor- aus­setzt, aber eben mehr erfor­dern kann als die­se. Stell­te das Abitur seit 1788 eine Art „deut­schen Sonderweg“107 in Bezug auf die Fra­ge dar, wer eine höhe­re Bil­dungs­an- stalt besu­chen darf, indem die abge­ben­de, nicht die auf- neh­men­de Insti­tu­ti­on die Berech­ti­gung hier­zu aus­stell­te, weist das BVerfG nun­mehr wie­der auf den Haupt­pfad zurück, den die weit über­wie­gen­de Anzahl von Staa­ten beschrei­tet. Hier wird deut­lich: Das Abitur ist kein Wert von Verfassungsrang.

Die Uto­pie, der Weg zum Wunsch­stu­di­en­platz sei mit dem Abitur prin­zi­pi­ell geeb­net, hat das BVerfG nun selbst – wer hät­te es sonst auch tun kön­nen? – ad acta ge- legt. Die Aner­ken­nung der sta­tis­ti­schen Rea­li­tä­ten, die Ab- kehr vom unmit­tel­ba­ren Anspruch auf den Studienplatz

sol­chen zu dif­fe­ren­zie­ren, die sich wäh­rend der War­te­zeit immer

wie­der um einen Stu­di­en­platz bewor­ben haben.“
106 Der Platz eines Bewer­bers bestimmt sich nach einem Punktewert,

in den max. 40 Punk­te aus der Note der Hoch­schul­zu­gangs- berech­ti­gung, bis zu 40 Punk­te nach einem Stu­dier­fä­hig­keits-
test, max. 10 Punk­te für berufs­prak­ti­sche Erfah­rung in einem medi­zinna­hen Bereich oder einen Frei­wil­li­gen­dienst und bis zu 10 Punk­te für das Ergeb­nis eines Situa­tio­nal Jud­ge­ment Test (SJT) ein­ge­hen. Ver­füg­bar unter: www.mft-online.de; vgl. auch Deut- sches Ärz­te­blatt, 23.9.2016, A 1636; H. Gros­se, Wie geeig­ne­te Medi­zin­stu­die­ren­de fin­den?, Ber­li­ner Ärz­te 4/2018, 14 (14 ff.).

durch Erwerb des Abiturs sowie der Abschied von der Dro- hung mit dem ori­gi­nä­ren Leis­tungs­recht mar­kie­ren die­sen Weg.EsliegtaufdieserArgumentationslinie,derWartezei- tquo­te, der ja kei­ne Aus­sa­ge über die Eig­nung des Bewer- bers zukommt, kei­ne grö­ße­re Bedeu­tung mehr bei­zu­mes- sen. Das mutet ange­sichts des Umstan­des, dass es gera­de Bewer­ber der War­te­zeit­quo­te waren, die die Ver­fah­ren an- gestrengt haben, gera­de­zu para­dox an.

Ver­wun­der­lich ist aller­dings, dass das Gericht – die gera­de auf­ge­ge­be­ne Uto­pie durch eine neue ersetzt, näm­lich die der Mess­bar­keit und Kor­ri­gier­bar­keit des Bil­dungs­sys­tems. Ver­ein­facht aus­ge­drückt: Bekommt schon nicht jeder Bewer­ber einen Platz, so soll es doch gerecht zuge­hen, fiat ius­ti­tia et pere­as mun­dus. Dabei sind die Erkennt­nis­se, die die noch jun­ge Dis­zi­plin der Empi­ri­schen Bil­dungs­wis­sen­schaft her­vor­bringt, eine wich­ti­ge Diskussionsgrundlage,108 aber bie­ten doch al- lem Anschein nach noch kein greif­ba­res Ver­bes­se­rungs- kon­zept der Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit – abge­se­hen von der Stär­kung loka­ler Akteu­re, etwa Hoch­schu­len. Be- greift man Uto­pien auch als Alter­na­ti­ven zur herr­schen- den Gesell­schafts­ord­nung, also gewis­ser­ma­ßen als kon- fron­ta­ti­ve Gegen­welt, so lässt sich aus der Ent­schei­dung auch ein „Sta­chel“ gegen die Bil­dungs­ver­wal­tung, kon- kret die KMK, herauslesen.

Doch auch hier wirft die – durch­aus sym­pa­thi­sche – Uto­pie den Schat­ten ihres Schei­terns vor­aus: Die Offen- heit bei der Begrün­dung, wor­in genau die Ungleich­be- hand­lung lie­gen soll, lässt es erah­nen: Wel­che Mecha­nis- men sind vor­zu­se­hen, um Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit (wie- der-)herzustellen? Genau­er gesagt: Liegt nicht das Unmög­li­che dar­in, ver­mes­sen zu wol­len und zu ver­ein- heit­li­chen zu wol­len, was sei­ner Hete­ro­ge­ni­tät nach nicht zu ver­ein­heit­li­chen geeig­net ist? Han­delt es sich bei der Vor­stel­lung, Abitur­no­ten ver­glei­chen zu kön­nen, womög­lich um eine „Fiktion“?109 Das Abitur war längst über die Funk­ti­on hin­aus­ge­wach­sen, ein Aus­weis kon-

  1. 107  Vgl. Bra­cher, K. D. (Hrsg.), Deut­scher Son­der­weg – Mythos oder Rea­li­tät? 1982.
  2. 108  „Inter­na­tio­nal ver­glei­chen­de Schul­leis­tungs­for­schung wird sowohl für die wis­sen­schaft­li­chen als auch für die poli­ti­schen Akteu­re ein Mit­tel zum Zwe­cke refle­xi­ver Inter­es­sen.“ Aljets (Fn. 69), S. 311.

109 E. Maué, Ver­gleich­bar­keit von Abitur­no­ten – eine Fik­ti­on?, in: Asdonk/Kuhnen/Bornkessel (Fn. 30), S. 114 (125 f.).

kre­ten Wis­sens zu sein. Viel­mehr spie­gel­te es bestimm­te Kom­pe­ten­zen wider, die mit ver­schie­de­nen Bil­dungs- hin­ter­grün­den in diver­sen Bil­dungs­ein­rich­tun­gen er- worben wer­den konn­ten. Im Prin­zip erkennt ja auch das Gericht die­sen Umstand an, indem es neben dem Abitur den Nach­weis von fach­spe­zi­fi­scher Eig­nung ein­for­dert. Auch wenn in einem meri­to­kra­ti­schen Bil­dungs­sys­tem Ver­let­zun­gen der Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit uner­wünscht sind, wird wohl eine „per­fek­te Ver­gleich­bar­keit von Be- urtei­lungs­maß­stä­ben“ in der Pra­xis „weder erreich­bar noch unbe­dingt erstre­bens­wert“ sein.110

Wie auch immer die Ver­tei­lung der Stu­di­en­plät­ze ab dem Jahr 2020 erfol­gen wird – ein Umstand bleibt vor- aus­seh­bar: Die Zahl der zu ver­tei­len­den Stu­di­en­plät­ze wird aller Vor­aus­sicht nach kaum anstei­gen. Ange­sichts der beträcht­li­chen Kosten111 ist die Human­me­di­zin der mit Abstand kos­ten­in­ten­sivs­te Stu­di­en­gang in Deutsch- land. Gleich­zei­tig dürf­te die Zahl der Stu­di­en­be­rech­tig- ten wei­ter zuneh­men. Wer die Auf­ga­be des Zulas­sungs- sys­tems – wie gene­rell des Rechts­sys­tems – dar­in sieht, Hoff­nun­gen und Erwar­tun­gen zu len­ken und damit die Zukunft „beherrsch­bar“ zu machen, der wird davon aus- gehen müs­sen, dass Bewer­ber sich auf neue Ver­fah­ren der Eig­nungs­dia­gnos­tik ein­stel­len müs­sen, die dann ein Feed­back geben, ob die Zulas­sung sofort erfol­gen kann, in reich­ba­re Nähe rückt oder viel­leicht dau­er­haft aus­ge- schlos­sen ist. Ein belast­ba­rer Anspruch dürf­te aller Vor- aus­sicht nach ent­fal­len. Mehr glück­li­che zuge­las­se­ne Be- wer­ber wird die Ent­schei­dung frei­lich also nicht her­vor- brin­gen – nur andere.

Dr. Mat­thi­as Bode M.A. ist Abtei­lungs­lei­ter und Jus­ti­ti­ar der Stif­tung für Hoch­schul­zu­las­sung (SfH) in Dort­mund. Der Arti­kel gibt sei­ne per­sön­li­che Auf­fas­sung wieder.

Bode · Zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie 1 8 9

110 Trautwein/Köller/Lehmann/Lüdtke (Fn. 64), S. 25.
111 Die Gesamt­kos­ten der Aus­bil­dung im Stu­di­en­gang Human­me­di- zin betru­gen im Jahr 2011 ca. 192.900 € je Stu­di­en­platz (lau­fen­de

Grund­mit­tel). Es han­delt sich um die kos­ten­auf­wän­digs­ten Stu­di- enplät­ze. Vgl. Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Fach­se­rie 11, Rei­he 4.3.2, 2011, S. 187.349 sowie Nach­wei­se bei Höfling/Engels in Kluth/ Krings (Hrsg.), Gesetz­ge­bung, 2014, § 34 Fn. 76, 115.

190 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2018), 173–190