Forscherinnen und Forscher während und nach der Promotion stehen unter Druck: Sie wehren sich gegen befristete Verträge, sie sind unsicher in ihrer Familienplanung, sie haben Angst vor dem Karriere-Aus – und äußern ihre Sorgen tausendfach unter dem Hashtag #IchbinHanna auf Twitter. Im Zentrum der Kritik, mal wieder: das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Befristung von Stellen im akademischen Mittelbau ermöglicht.
Die Ängste der Forschenden sind real, und sie sind ernst zu nehmen. Doch den Wunsch nach deutlich mehr Lebenszeitstellen vor einer Professur sehe ich als Universitätsrektorin kritisch. Anders als die befristet beschäftigten Forscherinnen und Forscher sehen das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Leitungen von Universitäten und Forschungsinstituten einen großen Vorteil des Gesetzes: Um immer wieder Stellen für Promovierende sowie Postdoktorandinnen und Postdoktoranden anbieten zu können, müssen sie alle drei bis sechs Jahre diese Stellen auch wirklich neu vergeben können. Universitäten sind auch wissenschaftliche Ausbildungseinrichtungen. Die Zahl der vorhandenen Stellen im Wissenschaftssystem ist nicht unerschöpflich – wer heute viele Forscherinnen und Forscher unbefristet anstellt, beraubt später ganze Jahrgänge einer wissenschaftlichen Qualifizierung.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon während der Promotion oder Habilitation umfassend zu entfristen hätte weitreichende Konsequenzen: Diese Dauerstellen wären dann einmalig für 30 bis 40 Jahre besetzt. Außerdem wäre es notwendig, dass diese mit klaren Vorgaben in einem besonders kompetitiven Verfahren vergeben werden. Viele beginnende wissenschaftliche Karrieren – auch von denen, die Entfristungen fordern – würden abrupt enden.
Der Grundgedanke des 2016 novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist ein positiver: die bisherige Endlosschleife von Befristungen mit sehr kurzer Dauer zu beenden. Seit der Novellierung läuft eine Stelle so lang wie auch das Forschungsprojekt.
Auch ich habe die eingangs formulierten Sorgen in meiner Laufbahn selbst erleben müssen. Gleichwohl sehe ich keine Alternative zu der großen Zahl befristeter Verträge – und auch nicht zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Die Universitäten erhalten einen wesentlichen Teil ihres Budgets aus eingeworbenen Forschungsgeldern, den Drittmitteln; sie sind an Forschungsprojekte gekoppelt und zeitlich begrenzt – wenn ein Projekt nur fünf Jahre läuft, kann man keine Lebenszeitstellen anbieten.
Natürlich betrachte auch ich unbefristete Verträge an sich als etwas Gutes. Ja, wir müssen uns der berechtigten Fragen nach einem guten Verhältnis von Be- und Entfristungen im wissenschaftlichen Mittelbau stellen. Doch das Thema ist zu komplex, um die Diskussion entlang eines einzelnen Gesetzes zu führen. Das wäre zu eindimensional und der Situation nicht angemessen.
Die Debatte zeigt: Das Thema drängt. Auch die Leitungen der Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wissen, dass sie sich der Sache annehmen müssen. Da keine unbegrenzten Ressourcen vorhanden sind, ist es umso wichtiger, die Karrierewege und zusätzlichen Qualifikationen an den wissenschaftlichen Einrichtungen weiterzuentwickeln.
Meine Zustimmung zu zeitlich befristeten Verträgen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet
Kerstin Krieglstein
Alternativlos
Unter dem Hashtag #IchbinHanna wehren sich Forschende gegen das Befristen von Arbeitsstellen. Zu Recht?1
1 Dieser Artikel ist erstmals in DIE ZEIT 26/2021 erschienen.
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 1 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 0 9 — 2 1 0
nicht, dass ich die Forschenden in ihrer Qualifizierungsphase
für austauschbar halte oder ihre wichtige Arbeit
nicht wertschätze. Im Gegenteil: Es ist für mich wieder
sichtbar geworden, dass wir überdenken müssen, wie
wir miteinander umgehen und miteinander sprechen;
zynische Formulierungen in Kampagnen und Stellungnahmen
sind deplatziert. Die Institutionen und Vorgesetzten
müssen den Forscherinnen und Forschern am
Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn transparent
und ehrlich über die Vertragssituation Auskunft geben –
und ihre Position, Chancen und Möglichkeiten im Wissenschaftssystem
aufzeigen. Das ist nicht nur eine Frage
der Personalentwicklung, sondern des Respekts.
Prof. Dr. Kerstin Krieglstein ist Rektorin der Universität
Freiburg und HRK-Vizepräsidentin für Forschung, Wissenschaftlichen
Nachwuchs, Medizin und Gesundheitswissenschaften.
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