Das im Mai 2021 erschienene Kompendium richtet sich vorrangig an die Verantwortlichen der Hochschulen, die Mitglieder von Berufungskommissionen und Bewerberinnen und Bewerber und will ihnen das hochschulrechtliche Bewerbungsverfahren anhand einer abschnittsweisen Darstellung, Beispielsfällen und einer Rechtsprechungssammlung zu einzelnen Problemkreisen und Stichworten näherbringen. Ausgehend hiervon dürften auch Rechtsanwender wie Rechtsanwälte und Richter, die mit berufungsrechtlichen Verfahren befasst sind, interessierte Leser dieses Kompendiums sein.
Die Herausgeber und die Autorinnen und Autoren sind allesamt — in verschiedenen Funktionen — in der Hochschulverwaltung tätig. Neukirchen war seit September 2017 Kanzler und Mitglied des Präsidiums der Technische Universität Berlin, bevor er zum 01. Oktober 2020 eine Stelle als Direktor am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz angenommen hat. Emmrich ist Dekan der Fakultät II — Mathematik und Naturwissenschaften der Technischen Universität Berlin und war zuvor geschäftsführender Direktor des Instituts für Mathematik der TU Berlin. Die weiteren Autoren und Autorinnen entstammen aus dem Arbeitskreis Hochschulpersonal der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands: Brüggeln ist Kanzler der Pädagogischen Hochschule Freiburg; Breder ist Justitiar der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg; Kurlemann hat an der Universität Potsdam als Justitiar und später als Dezernent für Personal- und Rechtsangelegenheiten jahrelange Erfahrungen zum Thema Berufungen gesammelt; Rockmann ist als Leiter der Berliner Geschäftsstelle und Bereichsleiter Grundsatzfragen des Hochschulsystems bei der Hochschulrektorenkonferenz tätig.
Gedanklicher Ausgangspunkt des Kompendiums ist im weitesten Sinne der Widerstreit zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem daraus folgenden personellen Selbstergänzungsrecht der Hochschulen als Wissenschaftsinstitutionen einerseits und dem Erfordernis eines rechtsförmlichen, transparenten und fehlerfreien Berufungsverfahrens, das dem Prinzip der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht wird, andererseits. Besonderes Augenmerk legen die Herausgeber und Autoren auf die Besorgnis der Befangenheit, die gerade in kleineren Fachbereichen Bedeutung erlangt, in denen sich die wissenschaftlichen Akteure persönlich kennen oder durch ihren wissenschaftlichen Werdegang jedenfalls bisweilen zahlreiche Berührungen aufweisen. Der — zunehmende — Wettbewerbsdruck der Bewerberinnen und Bewerber führt dazu, dass für sie persönlich nicht erfolgreiche Verfahren häufig auf dem Rechtsweg angegriffen werden. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle — gleichgültig ob im Eilverfahren oder (eher selten) im Hauptsacheverfahren — macht es im besonderen Maße erforderlich, das Berufungsverfahren zu professionalisieren und etwaigen Fehlern vorzubeugen. Zu diesem Zweck steht die rechtskonforme Ausgestaltung des Bewerbungsverfahrens im Zentrum des Kompendiums, wobei ein Schwerpunkt auf den Problemkreis der Besorgnis der Befangenheit gelegt wird. In der Folge werden auch Fragen des effektiven Rechtsschutzes zur Wahrung des Bewerbungsverfahrensanspruchs beleuchtet. Zu Recht spart das Kompendium Innenrechtsstreitigkeiten innerhalb der Hochschule und zwischen den Hochschulen einerseits und den die Aufsicht ausübenden Ministerien andererseits aus, um die Darstellung nicht zu überlasten.
Felix Hornfischer
Besprechung von Neukirchen, Mathias / Emmrich, Etienne (Hrsg.), Berufungen, Befangenheit und Bewerbungsverfahrensanspruch — Ein Kompendium für Berufungskommissionen, Bewerberinnen und Bewerber, Nomos, 20211
1 270 Seiten, 72 Euro.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
6 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 6 7 — 7 0
Das Werk gliedert sich in insgesamt sieben Abschnitte,
an die sich im Anhang eine Rechtsprechungsübersicht
(VIII.) und ein Überblick über das Berufungsverfahren
(IX.) anschließen. Ferner enthält es ein vorangestelltes
Abkürzungs- und nachgestelltes Literaturverzeichnis.
Die Abhandlung besticht durch einen klaren,
einleuchtenden und nachvollziehbaren Aufbau. Die Einleitung
skizziert unter dem bereits angesprochenen Topos
des Widerstreits von wissenschaftlicher Selbstergänzung
und Befangenheit die Bedeutung und Herausforderungen
des Berufungsverfahrens und bietet abschließend
einen Überblick über den Gang der weiteren
Darstellung. Hieran schließt sich im zweiten Abschnitt
eine Darstellung des Berufungsverfahrens im Einzelnen
an. Der dritte Abschnitt wendet sich dann der Befangenheit
im Berufungsverfahren und der vierte Abschnitt
den Rechtsfolgen der (relativen und absoluten) Befangenheit
zu. Während der fünfte Abschnitt die Handlungsoptionen
der Hochschulen im Falle von Verfahrensfehlern
zum Gegenstand hat, stellt der sechste Abschnitt
die Rechtsschutzmöglichkeiten des unterlegenen
Bewerbers oder der unterlegenen Bewerberin dar.
Schließlich wird das Kompendium im siebten und letzten
Abschnitt zusammengefasst.
In der Einleitung weist das Kompendium zutreffend
auf die Fülle der rechtlichen Vorgaben für die fehlerfreie
Durchführung eines Berufungsverfahrens hin, die sich
nicht nur im grundgesetzlichen Grundsatz der Bestenauslese
und den Landeshochschulgesetzen, sondern vor
allem auch in den satzungsrechtlichen Berufungsordnungen
der einzelnen Hochschulen finden. In der Natur
der Sache begründet liegt die Konzentration des Kompendiums
auf die grundgesetzlichen und — soweit übereinstimmend
- die landesrechtlichen Vorgaben. Der
zweite Abschnitt bietet eine griffige Darstellung des Ablaufs
des Berufungsverfahrens. Vorangestellt findet sich
eine übersichtliche und hilfreiche Tabelle über den Verfahrensablauf
und die handelnden Akteure. Die einzelnen
Verfahrensschritte werden anschließend näher erläutert.
Die Unterabschnitte 4. und 5. lenken den Blick
schließlich noch auf die Förderung von Frauen und die
Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten sowie auf
die Besonderheiten bei Junior- und
Tenure-Track-Professuren.
Erheblichen Raum nimmt sodann der dritte Abschnitt
ein, der sich mit der Befangenheit im Berufungsverfahren
befasst und damit die im Titel des Kompendiums
angelegte Schwerpunktsetzung umsetzt. Einleitend
werden die einschlägigen rechtlichen Regelungen, nämlich
die Normen der jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetze,
der Landeshochschulgesetze und der
hochschulinternen Normen dargestellt. Hinsichtlich etwaiger
hochschuleigener Verwaltungsvorschriften wird
zu Recht darauf hingewiesen, dass diese mangels Rechtssatzqualität
allenfalls mittelbar durch eine aufgrund
ständiger Übung eintretende Selbstbindung Rechtswirkungen
gegenüber Dritten begründen können. Schließlich
werden die Standards der Scientific Community,
nämlich die Regeln der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
von den verbindlichen rechtlichen Regelungen
abgegrenzt. Im zweiten Unterabschnitt befasst sich das
Kompendium ausführlich mit dem Tatbestand der Befangenheit
nach den § 20 LVwVfG (absolute Befangenheit)
und § 21 LVwVfG (relative Befangenheit), wobei der
relativen Befangenheit in der Praxis weit größere Bedeutung
zukommen dürfte. Die Autoren beleuchten dabei
insbesondere, inwiefern Lehrer-Schüler-Beziehungen
oder sonstige Abhängigkeitsverhältnisse sowie Kooperationen
oder Konkurrenzen die Besorgnis der Befangenheit
begründen können. Hierauf folgt die Auseinandersetzung
mit den Rechtsfolgen von absoluter und relativer
Befangenheit. Dabei sticht besonders die hochschulspezifische
Betrachtung des Widerstreits der Einhaltung
der Befangenheitsregelungen einerseits und der Sicherstellung
des Fachprinzips andererseits hervor. Das Kompendium
stellt kritisch Lösungsansätze dar, die die Autoren
für unzureichend halten, um sodann drei Möglichkeiten
aufzuzeigen, wie aus ihrer Sicht ein schonender
Ausgleich der konfligierenden Prinzipien vorgenommen
werden kann. Diese werden anschließend grafisch-schematisch
dargestellt. Sodann wird der Prinzipienkonflikt
noch spezifisch für Junior- und Tenure-Track-Professuren
betrachtet.
Der fünfte Abschnitt behandelt knapp die Handlungsmöglichkeiten
der Hochschule bei Fehlern im Berufungsverfahren,
nämlich die Heilung des Fehlers oder
den Abbruch des Verfahrens. Umfassend befasst sich
dann der sechste Abschnitt mit den Rechtsschutzmöglichkeiten
des unterlegenen Bewerbers, wobei der vorläufige
Rechtsschutz nach § 123 VwGO zu Recht den
größten Raum einnimmt. Strukturiert nach Zulässigkeit
und Begründetheit des Rechtsbehelfs sowie nach ordentlichen
und außerordentlichen Rechtsmitteln gegen
die gerichtliche Entscheidung werden die jeweiligen VoHornfischer
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raussetzungen sowie der gerichtliche Kontrollmaßstab
dargelegt. Abgerundet werden die Ausführungen durch
Überlegungen zum sekundären Rechtsschutz, also insbesondere
zu Ansprüchen aus der Staatshaftung. Der
sechste Abschnitt fasst die Darstellung insgesamt
zusammen.
Das Kompendium besticht nicht nur durch seinen
klaren und nachvollziehbaren Aufbau, sondern durch
seine große Nähe zur Praxis. Eine bemerkenswerte Leistung
ist es, ausgehend von den allgemeinen rechtlichen
Vorgaben des Grundgesetzes, der Landeshochschulgesetze
und der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder,
die sich in der Berufungspraxis der Hochschulen stellenden
Probleme zu skizzieren und fundierte Lösungsansätze
aufzuzeigen. Das Thema birgt die Gefahr der Überfrachtung,
die die Herausgeber und Autoren jedoch
durch eine pointierte Darstellung und Konzentration auf
das Wesentliche bannen. Den Besonderheiten der in der
Praxis an Bedeutung gewinnenden Junior- und Tenure-
Track-Professuren wird dabei angemessener Raum
eingeräumt.
Für Verantwortungsträger aus der Hochschulverwaltung
stellt dieses Kompendium ein absolut alltagstaugliches
Hilfsmittel für die effiziente und fehlerfreie Gestaltung
von Bewerbungsverfahren dar. Für Rechtsanwender
aus Anwaltschaft und Justiz bietet es einen gelungenen
Einstieg und Überblick über die Materie mit einer
hinreichenden Zahl an Nachweisen. Die angehängte
Rechtsprechungsübersicht und der schematische Überblick
über das Berufungsverfahren unterstreichen den
Anspruch des Werkes, eine praktische Arbeitshilfe zu
sein und erfüllen diesen gemeinsam mit der rezensierten
Darstellung zweifelsohne.
Dr. Felix Hornfischer
Richter am Verwaltungsgericht Freiburg
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