Einleitung
Der Gebrauch des plurizentrischen deutschen Sprachsystems im soziokulturellen Raum und Gebiet der sich Befassenden mit den Verhaltensregeln eines personenmehrheitlichen Verbundes ist von exponierter Bedeutung, setzt man ihn in Relation zu den Glumanda anderer Fachdisziplinen, welche sich in der internen Kommunikation different erläutern.
Dieser einleitende Satz löst vermutlich bei den meisten Rezipienten ein Gefühl des Unbehagens, womöglich der Genervtheit aus. Er ist, neben überflüssigen Dopplungen, gespickt mit Umschreibungen, welche sich durch einen Begriff ersetzen ließen. Teilweise sind Informationen enthalten, die zwar für sich stimmen mögen, für die Kernaussage aber nicht von Belang sind. In Kombination mit dem inflationären Gebrauch von Fremdwörtern und einem Fantasiebegriff1 mag man sogar daran scheitern, die Kernaussage überhaupt zu erkennen. Das ist besonders ärgerlich, wenn man sich einem Fachartikel mit der üblichen Motivation nähert: der schnellen, unmissverständlichen Entnahme von Information zu einem bestimmten Thema.
Auch in Bereichen des juristischen Sprachgebrauchs häufen sich derartige Vorwürfe. Der Fokus liegt dabei unter anderem auf der Frage der sprachlichen Sexusdifferenzierung in diversen Bereichen. Der folgende Aufsatz möchte dabei einen Überblick über Ausprägungsansätze geben und sich der Frage widmen, ob und inwiefern hieraus auch Probleme entstehen, die über bloße Gefühle hinausgehen.
Zunächst wird hierfür die linguistische Grundlage der Sexusdifferenzierung dargelegt (I.). Anschließend sollen verschiedene praktizierte Formen aufgezeigt werden (II.). Sodann soll die Regelgrundlage und Praxis in diversen juristischen Bereichen aufgezeigt und anhand der Frage, welche Funktion die Sprache erfüllen sollte, kritisch gewürdigt werden (III.). Abschließend erfolgt das Fazit (IV.).
I. Sexusdifferenzierung
In der Sprachwissenschaft kann zwischen dem grammatischen Geschlecht (Genus) und dem biologischen Geschlecht (Sexus) unterschieden werden. Auf Wörter, die kein biologisches Geschlecht haben, wie etwa die Lampe, kann der Sexus nicht angewandt werden. Das Genus hingegen kann alle Substantive in eine grammatische Klasse einordnen. So ist die Lampe beispielsweise feminin. Wie bereits die Existenz des Genus bei einer zweifelsfrei biologisch ungeschlechtlichen Lampe andeutet, sind das Genus und der Sexus voneinander prinzipiell unabhängige Institute. Die einzige Aussage, die das Genus über einen Begriff enthält, ist die korrekte Kongruenz zu anderen Wörtern, wie etwa Artikel, Pronomen oder Adjektive. Im Fall Lampe haben diese mit dem femininen Genus übereinzustimmen, also etwa: die (Artikel) schöne (Adjektiv) Lampe, sie (Pronomen) leuchtet. Leuchtet ein.
Spannend wird es bei Oberbegriffen für Lebewesen mit biologischen Geschlechtern. So hat der Mensch ein maskulines Genus bzw. die Person ein weibliches Genus, kann aber auch ein biologisches Geschlecht haben, welches davon abweicht. Auch die Giraffe wurde bereits in biologisch männlicher und der Hund in biologisch weiblicher Ausgabe dokumentiert. Das biologische Geschlecht, auch semantisches2 Geschlecht, lässt sich hier nicht aus dem grammatischen Geschlecht herleiten, obgleich die bezeichneten Lebewesen im Gegensatz zu unserer Lampe ja immerhin die Möglichkeit offenbaren, sie einem biologischen Geschlecht unterzuordnen. In Bewusstsein dieser vertanen Chance, werden diese Oberbegriffe ausdrücklich als sexusunmarkiert bezeichnet. Möchte man nun explizit einen biologisch weiblichen Vertreter eines grammatisch männlichen Oberbegriffs (generisches Maskulinum) bezeichnen, so geschieht das durch sogenannte Movierung. Das ist die Ableitung neuer Wörter zum Zwecke der semantischen Geschlechtsmarkierung, meist durch Suffixe wie etwa „-in“ für den femininen Sexus oder „-rich“ für den maskulinen Sexus. Möchte man nun kennzeichnen, dass sich hinter dem Begriff der Mensch ein Vertreter des weiblichen Geschlechts verbirgt, so wird er, sexusmarkiert, zu der (vom Duden anerkannten) Menschin. Andersrum: Erkennt jemand die Erpellocke einer Ente, so erzählt er seinen Freunden womöglich anschließend von dem beobachteten Enterich.
Diese Movierung bezweckt demnach die erkennbare Differenzierung zwischen unterschiedlichen biologischen Geschlechtern; sie bezweckt die SexusdifferenzieTheodor
Lammich
Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch
1 Glumanda ist der Name eines feuerspeienden Monsters aus der japanischen Videospielserie Pokémon.
2 Aus dem Altgriechischen σημαίνειν (sēmaínein), so viel wie bezeichnen.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
5 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7
3 Pieper/Fokken, Der Spiegel 2021 (10), S. 11.
4 Etwa das –en in Jurist*innen.
5 Die Geschäftsstelle Gender Mainstreaming der Stadt Freiburg im
Breisgau geht noch einen Schritt weiter und ist der Ansicht, dass
das generische Maskulinum nicht nur bestimmte Geschlechter,
sondern auch Menschen unterschiedlichen Lebensalters, mit unterschiedlichen
Behinderungsgraden oder mit unterschiedlichem
Glauben unterschlage. Dem sollen städtische Mitarbeiter_innen
mit dem Unterstrich entgegenwirken, siehe Geschäftsstelle Gender
Mainstreaming, Formen antidiskriminierender Sprachhandlungen,
S. 5.
6 Als eines der grundlegenden Werke gilt unter anderem die
Sammlung feministischer sprachkritischer Aufsätze und Glossen
aus den Jahren 1983–1989 in Pusch, Alle Menschen werden
Schwestern.
rung. Der Empfänger der geäußerten Worte soll erkennen,
welche Rolle das beschriebene Lebewesen bei der
Fortpflanzung seiner Art einnimmt.
II. Varianten der Sexusdifferenzierung
Eine Sexusdifferenzierung durch eine Sexusmarkierung
wird in der deutschen Sprache auf verschiedene Weisen
praktiziert. Unterschieden werden kann zwischen der
vollständigen (1.) und der abgekürzten Paarform (2.).
Schließlich gibt es die explizite Sexusindifferenzierung
durch geschlechtsneutrale Umschreibungen (3.). Die
Praxis all dieser Varianten folgt im Wesentlichen derselben
Begründungslinie (4.).
- Vollständige Paarform
Bei der vollständigen Paarform wird die Bezeichnung
für die Angehörigen des Oberbegriffs sowohl sexusunmarkiert
als auch andersgeschlechtlich sexusmarkiert
ausgeschrieben. Die Trennung erfolgt üblicherweise
durch die Bindewörter und, oder, sowie, wie auch oder
beziehungsweise. So werden beispielsweise die Juristen als
Gruppenbezeichnung als Juristinnen und Juristen
bezeichnet, Menschen als Menschinnen beziehungsweise
Menschen oder Schauspieler als Schauspieler oder Schauspielerinnen. - Abgekürzte Paarform
Bei der abgekürzten Paarform wird versucht, sowohl die
sexusunmarkierte als auch die andersgeschlechtlich
sexusmarkierte Variante in einem Wort unterzubringen.
Dies versucht man in der Regel durch Sonderzeichen wie
etwa den Schrägstrich (Juristinnen/Juristen, Jurist/-
innen, Jurist/innen) oder Klammern (Jurist(innen)), den
Unterstrich (Jurist_innen), den Asterisk (Jurist*innen)
aber auch der Binnenmajuskel (JuristInnen). Dabei ist
der Asterisk das häufigste verwendete Sonderzeichen.3
In der Praxis folgt die abgekürzte Paarform mit Sonderzeichen
fast immer der Regel, dass schlicht die sexusmarkierte
weibliche Begriffsform genommen wird und
das Sonderzeichen vor den Suffix „-in“ bzw. „-innen“
gesetzt wird. Dass dadurch in vielen Fällen die maskulin
markierenden Suffixe unterschlagen werden4, wird in
Kauf genommen. - Explizite Sexusindifferenzierung
Bei der expliziten Sexusindifferenzierung verwendet
man substantivierte Partizipien oder Adjektive und versucht
damit Wörter zu verwenden, die von sich aus keinen
Genus haben. Die begriffliche Kennzeichnung des
Sexus kann hier nicht durch das Substantiv selbst, sondern
durch die Verwendung entsprechender bestimmter
Artikel geschehen. Eine weitere Variante zur sexusindifferenten
Umschreibung ist die Verwendung des Partizip
Präsens eines Verbs. Die Studenten werden zu den Studierenden.
Schließlich gibt es noch den Ansatz, den
Oberbegriff durch Adjektive, Passivformulierungen oder
Relativsätze zu umschreiben. So wird beispielsweise aus
dem Juristen nun jemand, der Jura praktiziert oder aus
der Formulierung „der Kaufmann muss den Jahresabschluss
aufbewahren“ nun „der Jahresabschluss ist aufzubewahren“. - Zweck der Sprachmodifikation
Unabhängig davon, welche zuvor genannte Variante
gewählt wird, so wird sie doch in der Regel zum Zwecke
der sogenannten „geschlechtergerechten Sprache“ bzw.
der sogenannten „gendergerechten Sprache“, kurz auch
„Gendern“ verwendet. Dies ist ein Sprachgebrauch, der
zum Ziel hat, die biologischen bzw. im Falle der gendergerechten
Sprache auch die sozialen Geschlechter (Gender)
in gesprochener und geschriebener Sprache möglichst
umfassend zu repräsentieren.5 Dem liegt der
Gedanke zugrunde, dass das maskuline Genus in Oberbegriffen
wie ein maskuliner Sexus zu werten sei, also
ein biologisch männliches Geschlecht bedeute. Diese
Sichtweise ist der sogenannten feministischen Linguistik
zuzuordnen, welche ihre Anfänge in den späten 1970er
Jahren fand.6 Nach diesem Gedanken seien Frauen und
Diverse bei der Verwendung des generischen Maskulinums
lediglich „mitgemeint“. Dies sei nicht nachvollziehbar,
ist es doch gesellschaftlicher Konsens, die verschiedenen
Geschlechter nur unter sachlichen Gesichtspunkten,
die der Natur der Person entspringen,
Lammich · Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch 5 7
7 Kollmayer et al., Frontiers in Psychology 2018, abrufbar unter:
https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.00985.
8 Vervecken/Hannover, Social Psychology 2015, Vol. 46 Nr. 2, abrufbar
unter: https://doi.org/10.1027/1864–9335/a000229.
9 Am Beispiel Finnland, wo man das geschlechtsneutrale
Pronomen „hen“ einführte: Tavits/Pérez, PNAS 2019, Vol. 116
Nr. 34, S. 16781–16786, abrufbar unter: https://doi.org/10.1073/
pnas.1908156116.
10 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 1991, Rn. 41.
11 Zum Beispiel der/die Käufer/Käuferin.
12 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 1991, Rn. 42.
13 Zum Beispiel der/die KäuferIn.
14 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 1991, Rn. 43.
unterschiedlich zu behandeln. Zudem würde man beim
Gebrauch grammatisch männlicher Bezeichnungen
häufig männliche Bilder assoziieren. Frauen seien also,
so die These, wegen des grammatischen Geschlechts beim
Zuhörer bzw. Leser mental nicht repräsentiert. Die
Sexus(in)differenzierung soll sich auf das Verhalten der
Rezipienten auswirken: Frauen würden beispielsweise
eher berücksichtigt7, weibliche Kinder trauten sich eher
männlich konnotierte Berufe zu8 und man hinterfrage
soziale Geschlechterrolle kritischer.9
Die Sexusdifferenzierung erzeugt also nach Vorstellung
der feministischen Linguistik ein Gegengewicht zu
den „männlichen“ Begriffen, die Sexusindifferenzierung
versucht, jede geschlechtliche Assoziation durch vermeintlich
„geschlechtlose“ Begriffe zu unterbinden.
III. Umsetzung in Sprachvorgaben und Praxis
Auch unter Anwendern des juristischen Sprachgebrauchs
gibt es solche, die die unter II. erläuterten Varianten
praktizieren. Unterteilt werden soll im Folgenden
in die drei großen Bereiche der verschriftlichten Rechtssprache:
Gesetzgebung (1.), Rechtsprechung (2.) und
Wissenschaft (3.). Für diese werden jeweils die wesentlichen
Sprachvorgaben sowie deren praktische Umsetzung
dargestellt und das eine als auch das andere kritisch
gewürdigt. - Gesetzgebung
Wie auch nicht zuletzt das Grundgesetz sind die meisten
Gesetzestexte auf Bundes- oder Landesebene unter
anderem im generischen Maskulinum formuliert. Die
Selbstverständlichkeit der Trennung von Sexus und
Genus im Auge des verfassungsgebenden Gesetzgebers
zeigt sich nicht zuletzt an Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, der feststellt,
dass niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt
oder bevorzugt werden darf. Vergleichbar spricht
das Bürgerliche Gesetzbuch vom Verbraucher, das Strafgesetzbuch
vom Täter und die Kosmetikermeisterverordnung
vom Kosmetikermeister.
a. Regeln der Gesetzessprache
Für Gesetze und Rechtsverordnungen gibt das Bundesjustizministerium
das Handbuch der Rechtsförmlichkeit
(HdR) heraus. Mit diesem kommt das Ministerium seiner
Aufgabe nach, die Entwürfe aus allen Ressorts in
rechtlicher und förmlicher Hinsicht zu überprüfen und
die Bundesministerien in Rechtsetzungsvorhaben zu
beraten. Grundlage für das Handbuch der Rechtsförmlichkeit
ist § 42 Abs. 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien (GGO).
Entsprechend seiner Aufgabenzuweisung war es
auch das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, das bereits
1991 unter Justizminister Klaus Kinkel (FDP) eine Berücksichtigung
der feministischen Sprachkritik kundtat:
„Die Vorschriftensprache wird kritisiert, weil die Häufung
maskuliner Personenbezeichnungen den Eindruck
erwecke, als würden Frauen übersehen oder nur „mitgemeint“.
Frauen müßten immer ausdrücklich erwähnt
werden. Zur Lösung werden verschiedene Formulierungsweisen
vorgeschlagen, die jedoch nur zum Teil
sachgerecht sind […].“10
Eine vollständige Paarform11 sollte, so heißt es im
Weiteren, nicht durchgängig verwendet werden, da es
die Gesetzestexte unübersichtlich und ungenau machen
würde. Zudem würde vom eigentlichen Regelungsgehalt
abgewichen werden. Zum Zwecke der Einheitlichkeit
der Gesetzestexte soll die vollständige Paarform auch
nicht dort eingesetzt werden, wo es im Einzelfall keine
Schwierigkeiten bereiten würde.12 Bei der wörtlichen
Angabe von Berufs‑, Funktions- und Amtsbezeichnungen
soll hingegen eine vollständige Paarform verwendet
werden. Dasselbe gilt für Formulare und persönliche
Dokumente. Im Übrigen sei aber auch innerhalb dieser
Gesetzestexte das generische Maskulinum erlaubt.
Eine abgekürzte Paarform13, etwa durch eine Binnenmajuskel,
sei nicht erlaubt, da es für diese Form keine
Vereinfachung im Singular gebe und der Text nicht
präzise mündlich zitierbar sei.14 Auch wenn andere abgekürzte
Paarformen wie etwa mithilfe des Asterisks
oder des Unterstrichs erst Jahrzehnte später von einzelnen
Anwendern aufgenommen wurde, so würde die damalige
Argumentationslinie auch bei diesen greifen.
Soweit möglich, sollen maskuline Personenbezeichnungen
durch eine explizit sexusindifferente Umschreibung
vermieden werden. So soll beispielsweise der Begriff
der Person verwendet werden. Dies wird auch in der
aktuellen Fassung des Handbuchs für Rechtsförmlichkeit
aus dem Jahre 2008 festgestellt. Hiernach verwirkliche
die explizit sexusindifferente Umschreibung „die
5 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7
15 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 2008, Rn. 116.
16 BGBl Teil I Nr. 38, S. 2154 ff.
17 Vgl. Art. 1 zur Änderung der Bundesnotarordnung.
18 BGBl Teil I Nr. 12, S. 367 ff.
19 Referentenentwurf vom 19.09.2020.
20 Jedenfalls im Entwurf eines Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz.
21 So unter B.
22 Entwurf zu § 270 b InsO.
23 BGBl Teil I Nr. 66, S. 3256 ff.
24 Busse, Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand Fachsprachen, S. 1382.
25 Busse, Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand Fachsprachen, S. 1383.
26 Christensen/Lerch, Recht verstehen, S. 21, 28.
Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung von
Männern und Frauen am besten.“15
b. Praktische Umsetzung
Praktisch umgesetzt werden die Vorgaben mehr oder
weniger konsequent. Während einige Modernisierungsgesetze
sich darauf konzentrieren, grammatisch männliche
Oberbegriffe durch explizit sexusindifferente Begriffe
zu ersetzen, stechen andere durch die (unvollständige)
Verwendung vollständiger Paarformen hervor. So ersetzt
beispielsweise das Gesetz zur Modernisierung des notariellen
Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften
vom 25. Juni 202116 die Begriffe Leiter, Prüfer
und Notaramt durch die das Prüfungsamt leitende Person
(Leitung), Prüfende und notarielles Amt.17 Und auch der
Fußgänger ist seit der Verordnung zur Neufassung der
Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 201318 zwar
noch im amtlichen Titel des § 25 zu lesen, im Übrigen
aber nur als einer der zu Fuß Gehenden zu erkennen.
Der Verwendung vollständiger Paarform widmete
sich hingegen der Gesetzgeber beispielsweise mit der
Neuregelung der Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen.
Während zuvor das Gesetz über die Entschädigung
von Zeugen und Sachverständigen die Materie
regelte, schaut der zu Gericht geladene juristische Laie
heutzutage anschließend in das Gesetz über die Vergütung
von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern,
Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung
von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen
Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten. Dabei
wird ihm auffallen, dass die Zeuginnen aus dem Titel
noch einmal in § 1 und anschließend gar nicht mehr auftauchen.
Schon ab § 2 verzichtet der Gesetzgeber wieder
auf die vollständige Paarform und spricht nur noch von
dem Zeugen. Für die Richterin langte die Ausdauer nicht
einmal für einen ganzen Paragraphen: In § 1 Abs. 1 Nr. 2
noch so bezeichnet, soll sie bereits in § 1 Abs. 4 auch
durch den Richter semantisch getilgt sein.
Im Jahr 2020 hatte die damalige Bundesjustizministerin
Christine Lambrecht (SPD) den Entwurf eines Gesetzes
zur Fortentwicklung den Sanierungs- und Insolvenzrechts19
vorgelegt, in welchem zum größten Teil20
ausschließlich feminin movierte Bezeichnungen wie
etwa Schuldnerin oder Gläubigerin (in der Presseberichterstattung
oft als „generisches Femininum“ bezeichnet),
aber auch vollständige Paarformen wie etwa Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer21 verwendet wurden. Vereinzelt
wurden auch grammatisch maskuline Oberbegriffe
wie der Sachwalter oder auch Arbeitnehmer verwendet.
22 Das Bundesinnenministerium legte gegen die
Formulierungen Widerspruch ein und das Gesetz wurde
schlussendlich unter Verwendung des generischen Maskulinums
verkündet.23
Während die Bundes- und Landesrechtsetzung hiervon
keinen Gebrauch macht, finden sich in einigen kommunalen
Normen auch die abgekürzten Paarformen. So
berücksichtigt § 5 der Freiburger Stadionverordnung
vom 10. November 2020 auch die Anwohner_innenrechte
der Anwohner_innen. Es liegt nahe, dass sich bei dieser
Abweichung von Bundes- und Landesstandard die
Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen gemäß
Art. 28 Abs. 2 GG verwirklichen soll.
c. Kritische Würdigung
Die Gesetzessprache steht naturgemäß in einem Dilemma.
Als „Prototyp einer Fachsprache“ wie etwa auch die
Sprache der Informationstechnik oder die militärische
Sprache ist die Rechtssprache zum einen der Terminologisierung,
der Präzision und der Systematik unterworfen.
24 Dies gilt für die Gesetzessprache in besonderer
Form, ist sie doch der „institutionelle und fachliche Kern
der Rechtssprache.“25 Auf der anderen Seite ist zu
berücksichtigen, dass die Gesetzessprache aus ihrer
demokratischen Basis heraus auch möglichst allgemeinverständlich
sein soll. Schließlich besteht ein demos nicht
nur aus Rechtsgelehrten und hat einen Anspruch darauf,
auch erkennen zu können, in welcher konkreten Form
sich die normgeprägte Staatsgewalt nun manifestiert.
Eine Allgemeinheit kann nichts billigen und damit legitimieren,
wenn sie gar nicht oder missversteht, was sie
billigen soll. Und würde etwa nur der Richter als Fachsprachler
die Gesetzessprache verstehen, wäre sein Sprechen
unangreifbar und der Rechtsunterworfene ganz im
Sinne einer totalitären Ordnung sprachlos.26 Dasselbe
Problem ergibt sich aber auch bei einer nicht-fachlichen
Sprache. Denn nur eine Fachsprache vermag es, konkret
und effizient genug zu sein, um Rechtssicherheit im Sinne
von Klarheit über den Norminhalt zu schaffen. Beide
Seiten der Medaille, sowohl die Erfordernisse der Fachsprachlichkeit
als auch die Erfordernisse der AllgemeinLammich
· Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch 5 9
27 Gleich- und einprägsam erkannte auch der Österreichische Verfassungsgerichtshof,
dass eine Norm verfassungswidrig ist, wenn
sie nur „mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen
Fähigkeiten und mit einer gewissen Lust zum Lösen von
Denksportaufgaben verstanden werden kann“, VfGH 29.06.1990,
G 81/90–11.
28 Im Ergebnis auch Schröder/Würdemann, ZRP 2007, S. 231.
29 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 2008, Rn. 53 ff.
30 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 2008, Rn. 62.
31 Nach § 13 BGB „jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft
zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen
noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet
werden können“.
32 Nach § 14 BGB „eine natürliche oder juristische Person oder eine
rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts
in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen
beruflichen Tätigkeit handelt“.
33 Nach § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn „die
Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht
erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen“.
34 § 2 Abs. 1 Nr. 2 JVEG.
35 BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16 –,
BVerfGE 147, 1–31.
verständlichkeit, sind sowohl Bedingung als auch gegenseitiges
Hindernis für denselben, für einen demokratischen
Staat existentiellen, Zweck.27 Es bleibt nichts
anderes übrig, als die Allgemeinverständlichkeit bei
gleichbleibender Fachsprachlichkeit als dauerhafte, nie
in Gänze zu erreichende Optimierungsaufgabe zu
betrachten.28
Auch das Regelwerk für die deutsche Gesetzessprache,
das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, erkennt die
zwei Ziele der Fachsprachlichkeit (Richtigkeit)29 und der
Allgemeinverständlichkeit theoretisch30 an. Und – um es
allgemeinverständlich zu halten – verkorkst es am Ende
durch seinen Kampf um und mit dem Sexus sowohl in
die eine als auch die andere Richtung.
aa. Richtigkeit
Die gröbste Einbuße in der Richtigkeit erfährt Gesetzessprache
durch die Vorgabe zur bzw. in der Umsetzung
der Sexusdifferenzierung hinsichtlich der Systematik.
Begriffe sollten, wenn nicht schon im Sinner einer einheitlichen
Rechtsordnung gesetzestextübergreifend,
dann jedenfalls innerhalb eines Regelwerkes, in gegenseitiger
Beziehung stehend ausgelegt werden können.
Während Legaldefinitionen von gemeinsprachlichen
Begrifflichkeiten wie Verbraucher31, Unternehmer32 oder
Scheitern der Ehe33 einen absoluten semantischen Fixpunkt
für die Auslegung der Begriffe im Weiteren gibt,
ist auch jeder Begriff schon für sich ein relativer semantischer
Fixpunkt für die Auslegung gleichlautender
Begriffe. Das bedeutet: Begriffe werden, sofern nicht der
Kontext evident dagegenspricht, jedenfalls dahingehend
zu definieren sein, dass sie an jeder Stelle dasselbe bedeuten
(systematische Wortlautauslegung).
Mit dieser bisher trivial erschienenen Regel kämpft
der Gesetzgeber, wenn er grammatisch maskuline, sexusindifferente
Oberbegriffe zu biologisch maskulinen Bezeichnungen
erklärt, indem er die sexusdifferenzierende
vollständige Paarform verwendet. Die vollständige Paarform
erklärt eine Nichtanerkennung des Unterschieds
von Sexus und Genus, die systematisch dergestalt auf die
Semantik der Begriffe einwirkt, dass etwa eine grammatisch
männliche Personenbezeichnung auch nur die Bedeutung
einer biologisch männlichen Person hat. Denn
würde der Zeuge auch weibliche Zeugen bezeichnen,
bräuchte es keine explizite Erwähnung der Zeugin. Wenn
nun das Justizvergütungs- und ‑entschädigungsgesetz in
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 von Zeuginnen und Zeugen spricht und
die Anspruchsfrist nur für den Zeugen34 regelt, bedeutet
das, dass die Anspruchsfrist der weiblichen Zeugen (Zeuginnen)
gar nicht geregelt ist. Diese Regelungslücke kann
aber nach der bisherigen Methode der Gesetzesexegese
nicht planwidrig sein, da das Gesetz ja auch den weiblichen
Zeugen kennt und nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 sogar explizit
zu behandeln verspricht. Der Gesetzgeber versperrt
somit den Weg der analogen Anwendung. Der Rechtsanwender
wird gezwungen, die Verfassung heranzuziehen
und den Begriff des Zeugen entgegen der systematischen
Wortlautauslegung nach dem allgemeinen Gleichheitssatz
des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungskonform so auszulegen,
dass auch weibliche Zeugen hierunter zu fassen
sind.
Die Sexusdifferenzierung durch die vollständige
Paarform scheitert im Weiteren an der Bezeichnung von
Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen
noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Mit
seinem Beschluss zur personenstandsrechtlichen Registrierung
des biologischen Geschlechts stellte das Bundesverfassungsgericht
fest, dass es sowohl das allgemeine
Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG als auch das Grundrecht nach
Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verletze, wenn Personen diversen
Geschlechts dazu gezwungen werden, sich als weiblich
oder männlich zu registrieren.35 Jede Anzeige eines Sexus,
wie etwa in der vollständigen Paarform, ist eine explizite
Unterschlagung der Geschlechter, die sich sprachlich
nicht anzeigen lassen und führt – wenn auch in stark
abgemilderter Form – zu einem Zuordnungszwang, welcher
dem Dilemma in besagtem Beschluss dem Prinzip
nach gleicht. Dieses Problem gibt es bei der sexusindifferenten
Sprache, zu der sowohl alleinstehend grammatisch
männliche wie auch alleinstehend grammatisch
weibliche Oberbegriffe gehören, nicht. Denn sie enthält
keinerlei Aussage über das biologische Geschlecht.
6 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7
36 § 38 Abs. 1 SchG BW wäre bei der nächsten Reform folglich dahingehend
zu modernisieren, dass die Lehrkräfte und Lehrkräfteriche
im Dienst des Landes stehen.
37 Vgl. auch die sexusindifferent umschriebenen Busfahrer, die als
Busfahrende gar nicht mehr zu lokalisieren sind.
38 § 55 Abs. 6 ERegG.
39 Abgekürzt: RflEttÜAÜG M‑V.
40 § 616 S. 1 BGB.
Überdies fällt auf, dass es außerhalb der Umwandlung
des generischen Maskulinums keine Klarheit gibt.
Nach dem Sprachgebrauch des modernen Gesetzgebungshandwerks,
welcher das grammatische Geschlecht
in die Semantik einbezieht, muss die Person, die Waise
oder die Geisel als Träger eines biologischen Geschlechts
ausschließlich einen biologisch weiblichen Menschen
darstellen. Möchte der Gesetzgeber auch Männer ansprechen,
müssten die Begriffe mittels Movierung maskulin
sexusmarkiert werden und in künftigen Fassungen
von der Person und dem Personerich, der Waise und dem
Waiserich und der Geisel und dem Geiselrich sprechen.
Gleiches gilt im Übrigen für vermeintlich sexusindifferente
Umschreibungen wie die Lehrkraft. Denn kraft ihrer
Geschlechtsträgereigenschaft ist die Lehrkraft nach
der feministischen Sprachlogik auch biologisch am
grammatischen Geschlecht zu messen.36
Auch die Präzision als weiteres Erfordernis einer
Fachsprache leidet unter den Richtlinien des Bundesjustizministeriums,
wenn die explizite Sexusindifferenzierung
substantivierte Partizipien verwendet. Denn das
substantivierte Partizip hat in aller Regel eine andere Bedeutung
als das ersetzte Wort. Seine primäre Daseinsberechtigung
in der deutschen Sprache erfährt das substantivierte
Partizip in der Beschreibung eines gerade
stattfindenden Zustands. So ist der Teilnehmende einer
Versammlung jemand, der gerade an etwas teilnimmt.
Ist er auf dem Nachhauseweg von der Versammlung, so
ist er kein Teilnehmender mehr, sondern ein Teilnehmer,
der zugleich Heimkehrender ist. Nun ist es richtig, dass
auch der prä-feministische Sprachgebrauch substantivierte
Partizipien im Sinne einer zeitunabhängigen Personenbezeichnung
kannte. So ist beispielsweise der Vorsitzende
nicht immer in Ausübung seines Vorsitzes,
wenn er so bezeichnet wird. Diese gebräuchliche Argumentation,
dass der allgemeine Sprachgebrauch auch
atypische Verwendungen von substantivierten Partizipien
aufweist, hilft aber nicht darüber hinweg, dass auch
diese zwingend mit dem Verlust eines zeitbezogenen
Präzisierungsinstruments einhergehen. Denn wer den
Teilnehmenden synonym zu den Teilnehmern verwendet,
gewinnt eine neue Bezeichnung für den Teilnehmer hinzu
und verliert die Bezeichnung für den bisherigen Teilnehmenden.
Das ist mitnichten im Sinne einer präzisen
Fachsprache.37
bb. Allgemeinverständlichkeit
Die Gesetzessprache war bereits vor dem Sexuskampf
schwer verständlich. Ein von der Alltagssprache abweichendes
Übermaß an Gerundiven („Die in Bezug auf
überlastete Schienenwege zu befolgenden Verfahren und
anzuwendenden Kriterien sind“38), Suffixoiden (sittenwidrig,
rechtswidrig), Schachtelsätzen und Substantivkomposita
(Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz39)
sowie teilweise veraltete Formulierungen
(„Der […] Verpflichtete wird des
Anspruchs […] nicht dadurch verlustig, […]“40) erschweren
die Erschließung des Inhalts. Dies wird freilich nicht
besser, wenn an sich präzise allgemeinsprachliche Begriffe
durch unübliche Begriffe und Formulierungen verändert
werden. So wird es sowohl dem juristischen Laien
als auch dem juristisch Geschulten schneller einleuchten,
dass es sich bei dem Fußgänger um den Verkehrsteilnehmer
handeln soll als bei dem zu Fuß Gehenden. Es
drängt sich für den juristisch Ungeschulten bei derartigen
(sexusindifferenten) Formulierungen unweigerlich
der Verdacht auf, dass es sich um etwas anderes handeln
muss als um einen Fußgänger – schließlich, so liegt es
nahe, hätte man doch ansonsten den üblichen Begriff
verwenden können. Diese Restzweifel durch die Übersetzungen
von allgemeinsprachlich stehenden Begriffen
in exotische Umschreibungen mindern die Behütetheit
der Gesetzeslektüre und somit die Sicherheit im Recht.
Doch nicht nur die neuartigen Formulierungen erschweren
die Entnahme der durch den Rechtssatz intendierten
Aussage. Als wäre das Phänomen von Schachtelsätzen
in Gesetzestexten nicht schon bedrückend genug,
wird mit der Implementierung der vollständigen Paarform
eine zusätzliche kognitive Barriere geschaffen. So
heißt es etwa in Art. 11 Abs. 2 des bayerischen Kommunal-
Wahlbeamten-Gesetzes: „Ist die Wahl eines Bezirkstagspräsidenten
oder einer Bezirkstagspräsidentin, eines
weiteren Bürgermeisters oder einer weiteren Bürgermeisterin
bzw. eines gewählten Stellvertreters des Landrats
oder der Landrätin bzw. des Bezirkstagspräsidenten
oder der Bezirkstagspräsidentin als nichtig festgestellt
Lammich · Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch 6 1
41 Zur Problematik, dass der Stellvertreter nicht sexusmarkiert als
die Stellvertreterin auftaucht, siehe unter III. 1. c. aa.
42 Anders als etwa rechtlich funktionslose Normen wie § 90a BGB,
denen man geflissentlich, aber guten Gewissens keines Blickes
würdigen kann. Bei funktionslosen Bestandteilen innerhalb eines
Satzes, der auch funktionale Bestandteile innehat, ist das nicht
möglich.
43 So auch Milde, Vermitteln und Verstehen, S. 125.
44 Tausch et al., Sich verständlich ausdrücken, S. 192.
45 Wobei es sich gerade nicht um eine verständlichkeitsfördernde
Redundanz im Sinne einer inhaltlichen Wiederholung mittels
andersartiger Formulierung handelt.
46 BGH, Beschluss vom 14. Juli 1981 – 1 StR 815/80 –, BGHSt 30, 182-
185, Rn. 2.
47 MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl. 2022, GVG § 184 Rn. 5.
48 OLG Hamm, Beschluss vom 22. April 2010 – III‑2 RVs 13/10 –,
Rn. 21, juris.
49 Paulus, JuS 1994, S. 367, 369.
50 „Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen
Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.“
oder aufgehoben, so ist kein Beamtenverhältnis begründet
worden.“41 Würde man hier das sexusindifferente generische
Maskulinum verwenden, so würde der Satz wie
folgt lauten: „Ist die Wahl eines Bezirkstagspräsidenten,
eines weiteren Bürgermeisters bzw. eines gewählten
Stellvertreters des Landrats bzw. des Bezirkstagspräsidenten
als nichtig festgestellt oder aufgehoben, so ist
kein Beamtenverhältnis begründet worden.“ Beide Alternativen
würden vor jedem Verwaltungsgericht zu
gleichem Recht führen, aber nur eine der Alternativen
würde beim ersten Ansatz verstanden sein.
Die Verkomplizierungsproblematik lässt sich im Übrigen
auch nicht durch abgekürzte Paarformen lösen, da
diese auch einer Kongruenz zu Pronomen, Adjektiven
oder Artikeln bedürfen, welche ebenfalls jedes Mal aufs
Neue aufgelistet werden müssten. Auch diese bringen
keinen weiteren rechtlichen Erkenntnisgewinn und auch
diese kann man gerade nicht geistig überspringen, ohne
sie zunächst erkannt und bewertet zu haben.42
Möchte man die Vorgaben zum Sexusgebrauch in
Gesetzestexten also nun beispielsweise unter dem in der
Textverständnisforschung allgemein anerkannten43
Hamburger Konzept bewerten, so sieht es schlecht aus.
Die hiernach44 bestehenden vier Merkmale der Verständlichkeit
„Einfachheit“, „Gliederung/Ordnung“,
„Kürze/Prägnanz“ und „anregende Zusätze“ werden
teilweise mit Füßen getreten. Die Einfachheit fällt – über
das bisherige Maß hinausgehenden – ungewohnten Formulierungen
zum Opfer; die Kürze geht in doppelt langen
und gleich erkenntnisreichen Satzungetümen unter.
45 Die Gliederung ist durch die Gesetzessystematik
vorgegeben, anregende Zusätze kennt die Gesetzessprache
ohnehin nicht.
Nur bestimmte Umformulierungen scheinen in der
Hinsicht mit einer nicht weniger verständlichen Gesetzessprache
vereinbar. Hierzu zählen insbesondere Ersetzungen
von Personenbezeichnungen durch Institutionsbezeichnungen.
So kann beispielsweise der Minister
durch das Ministerium oder der Leiter durch die Leitung
ersetzt werden. - Rechtsprechung
Die Judikative spricht das Recht in konkreten Fällen und
muss schon deswegen über die abstrakt-generell
bestimmte Gesetzessprache hinausgehen.
a. Regeln der Gerichtssprache
Hinsichtlich der Sprache sind Gerichte – wie auch sonst
in der Verfahrensgestaltung – durch Prozessordnungen
gebunden. Als Grundnorm wirkt hierbei § 184 GVG.
Nur vereinzelt lassen sich sprachliche Konkretisierungen
in Formvorschriften für bestimmte gerichtliche
Handlungen entnehmen. So lassen sich etwa für strafrechtliche
Urteile Spracherfordernisse aus § 267 StPO,
für das zivilrechtliche Urteil Erfordernisse aus § 313 ZPO
ziehen. In Betracht kommen schließlich Runderlasse
und Beschlüsse der Länder mit der Bindung an das
Regelwerk für deutsche Rechtschreibung.
aa. Gerichtsverfassung
Nach § 184 S. 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch.
Dies umfasst alle Bereiche der richterlichen Tätigkeit,
namentlich vor allem die mündliche Verhandlung sowie
alle vom Gericht stammenden und an diese gerichteten
Schriftstücke. Die Bestimmung ist zwingender Natur
und von Amts wegen zu beachten.46 Mit der deutschen
Sprache ist in erster Linie die deutsche Hoch- und
Schriftsprache gemeint.47 Fachbegriffe und Fremdwörter
sind jedoch zulässig.48 Etliche jüngere Prozessordnungen
verweisen zur Sprachfrage auf § 184 S. 1 GVG,
etwa in § 55 VwGO, § 52 Abs. 1 FGO, § 17 BVerfGG oder
§ 8 FGG. Die Vorschrift dient dem Zweck, den Verfahrensbeteiligten
das Geschehen verständlich zu machen.49
Dabei ist – wie auch § 184 S. 2 GVG50 verdeutlicht – die
Regelungsreichweite auf die Sprache in den Dimensionen
Mutter- oder Fremdsprache zu verstehen. Insoweit
ist die Vorschrift auch im zeitlichen Kontext des 19. Jahrhunderts
zu sehen, in dem die lateinische Sprache als
Gelehrten- und Universitätssprache in greifbarer Konkurrenz
zur deutschen Sprache stand. Eine Vorgabe für
6 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7
51 MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 313 Rn. 12.
52 RGSt 4, S. 367, 370; 62, S. 216; 66, S. 8.
53 BGH, Urteil vom 25. Oktober 1995 – 3 StR 391/95 –, Rn. 8, juris;
BGH, Urteil vom 13. Oktober 1981 – 1 StR 471/81 –, BGHSt 30,
225–228, Rn. 16.
54 Beilage zum Bundesanzeiger vom 31. Oktober 1996, Nr. 205a.
55 Vgl. etwa für Brandenburg: Amtsblatt für Brandenburg – Nr. 37
vom 11. September 1998, S. 790.
56 „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“
57 BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1961 – 2 BvL 25/60 –, BVerfGE
12, 67–73, Rn. 21; BVerfG, Beschluss vom 09. Mai 1962 – 2 BvL
13/60 –, BVerfGE 14, 56–76, Rn. 44.
58 OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 1956 – 2 Ss 27/56 –, juris;
lesenswert zur Reimdebatte: Beaumont, NJW 1989, S. 372.
59 BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – I ZR 114/20 –, Rn. 13, juris.
60 BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – I ZR 114/20 –, Rn. 16, juris.
61 BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – I ZR 114/20 –, Rn. 18, juris.
den Sprachgebrauch im Sinne der Verwendung von
Begrifflichkeiten innerhalb der Nichtfremdsprache
macht die Vorschrift nicht. Mithin lassen sich keine Antworten
auf die Fragen der Sexusverwendung entnehmen.
bb. Spezifizierungen für konkrete Handlungen
Zieht man als Beispiel für Spezifizierungen die Formulierung
des Tatbestands eines Zivilurteils nach
§ 313 Abs. 2 ZPO heran, so sind auch etwaige Sexusverwendungen
unter dem Leitprinzip der Wesentlichkeit
und Verständlichkeit zu bewerten. Überflüssiges und
Nebensächliches ist wegzulassen.51 Denselben Akzent
legt der Bundesgerichtshof in langer Tradition52 auf die
strafrechtlichen Urteile, welche „aus sich heraus verständlich
sein müssen“.53 Dabei kann es keinen Unterschied
machen, ob sich die Unverständlichkeit nun aus
dem Sprachgebrauch oder aus überflüssigen Verweisungen
ergibt, da beides gleichermaßen das inhaltliche Verständnis
prägt.
cc. Bindung an das Regelwerk für deutsche Rechtschreibung
Am 7. Juni 1999 erließ das Bundesministerium des
Innern zum 1. August 1999 die Einführung der Neuregelung
der deutschen Rechtschreibung in den amtlichen
Schriftverkehr. Als maßgebliches Werk für die deutsche
Rechtschreibung vonseiten Beamter gilt hiernach das im
Bundesanzeiger veröffentlichte Werk „Deutsche Rechtschreibung,
Regeln und Wörterverzeichnis, Amtliche
Regelung“.54 Durch Beschlüsse oder Runderlasse wurde
die Beachtung dieses Regelwerks auch für den amtlichen
Schriftverkehr in den Bundesländern verbindlich.55 Für
den Kernbereich richterlicher Tätigkeit gilt dies jedoch
nicht. Urteile und Beschlüsse, welche der Ausübung originärer
rechtsprechender Gewalt unterliegen, unterfallen
nach Art. 97 Abs. 1 GG56 der richterlichen Unabhängigkeit.
Sie sperrt jegliche Einflussnahme auf die rechtsprechende
Tätigkeit durch Einzelweisungen,
Verwaltungsvorschriften und andere weisende Maßnahmen
vonseiten der Exekutive.57 Dazu zählen auch Vorgaben
zur rechten richterlichen Recht-Schreibung. Diese
findet allenfalls dort Grenzen, wo sie eine Partei in ihrer
Würde verletzt und dadurch das Ansehen der staatlichen
Gerichte beeinträchtigt. Das wäre der Fall, wenn die
Urteilsdarstellung erkennen ließe, dass das Gericht die
Beteiligten nicht als freie, selbstverantwortliche Prozesssubjekte,
sondern als rechtlose Objekte des Staates oder
als zum Objekt eines Kollektivs degradierte Menschen
behandelt oder sie somit diffamiert oder erniedrigt hat.
Verneint werden konnte dies jedenfalls bei an sich sachlichen
Urteilsgründen in Knittelversen.58
b. Praktische Umsetzung
Die weit überwiegende Praxis in der Rechtsprechung
markiert bei natürlichen Personen den Sexus, soweit es
sich um eine konkrete Bezeichnung innerhalb des Entscheidungstextes
handelt. So wird beispielsweise im
Rubrum des Zivilurteils der weibliche Kläger als Klägerin
definiert und konsequenterweise in jeder Folgebezeichnung,
sei es im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen,
auch so betitelt. Bemerkenswerterweise
werden auch juristische Personen, welche kein biologisches
Geschlecht haben, sexusmarkiert. Anknüpfungspunkt
ist dabei das Genus der Rechtsformbezeichnung.
Ist der Kläger also eine Gesellschaft, so wird er zu der Klägerin.
Lediglich bei abstrakten Ausführungen zur Rechtslage,
oftmals in Obersätzen und Definitionen von Entscheidungsgründen,
wird – entsprechend dem regelmäßigen
gesetzlichen Vorbild – der biologisch
geschlechtslose Oberbegriff verwendet. Dieser kann wie
bei einer Person grammatisch weiblich, aber eben wie
auch bei dem Verbraucher grammatisch männlich sein.
Teilweise, wenn auch selten, lassen sich auch abstrakte
Erklärungen in vollständiger Paarform finden. So stellte
der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs fest, dass „ein
erheblicher Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher
davon aus[gehe]“59, dass für sie als „Patientinnen und
Patienten“60 nur ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie
kieferorthopädische Leistungen erbringen dürfe. Bereits
wenige Zeilen später werden auch diese Verbraucherinnen
und Verbraucher an dem durchschnittlich informierten,
aufmerksamen und verständigen Verbraucher
gemessen und zu sexusindifferenten, aber grammatisch
maskulinen Patienten61 gemacht. Von Zahnärztinnen
spricht die Entscheidung namens „Kieferorthopädie“
Lammich · Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch 6 3
62 Vgl. beispielsweise BGH, Urteil vom 15. April 2021 – I ZR 134/20
–, juris; BGH, EuGH-Vorlage vom 29. Juli 2021 – I ZR 135/20
–, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil
vom 09. September 2021 – 1 U 68/20 –, juris; VG Oldenburg
(Oldenburg), Beschluss vom 29. Juli 2021 – 7 B 2440/21 –, juris;
OLG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2020 – 9 U 595/20 –,
juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 23. Januar 2020 – 13 B 1423/19 –, juris.
63 LG Koblenz, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 2090 Js 29752/10
- 12 KLs –, juris.
64 LG Flensburg, Beschluss vom 20. Januar 2021 – V KLs 2/19 –,
Rn. 1, juris.
65 LG Flensburg, Beschluss vom 20. Januar 2021 – V KLs 2/19 –, Rn.
6, juris.
66 Vgl. zur 5. Großen Strafkammer: LG Flensburg, Beschluss vom 11.
Juni 2021 – V Qs 26/21 –, juris; LG Flensburg, Beschluss vom 27.
Mai 2021 – V Qs 17/21 –, juris; LG Flensburg, Beschluss vom 23.
September 2021 – V Qs 42/21 –, juris.
67 BGH, Urteil vom 13. März 2018 – VI ZR 143/17 –, BGHZ 218, 96-
111, Rn. 37.
68 Anders die Neue Juristische Wochenschrift (NJW) in ihren Autorenhinweisen
vom August 2016, welche keinerlei Anforderungen
an die Rechtschreibung haben.
kein einziges Mal. Mit diesem offensichtlich zufälligen,
systemlosen Wechsel von sexusdifferenter Sprache und
sexusindifferenter Sprache steht das Urteil stellvertretend
für nahezu alle von dem Verfasser gelesenen Urteile,
welche sich bei abstrakten Oberbegriffen – jedenfalls
ab und an – der vollständigen Paarform hingaben.62
Nur mit aufwendiger Recherche lassen sich auch abgekürzte
Paarformen finden. So schreibt das Landgericht
Flensburg in einer – erstaunlich bekannt anmutenden63
– Befangenheitsentscheidung zu verteilten Schokoladenweihnachtsmännern
in einer Hauptverhandlung über
Ergänzungsschöffinnen, Berufsrichterinnen und
Verteidiger*innen.64 Was zunächst wie ein Ausdruck feministischen
Sprachaktivismus anmutet, erscheint bei
näherer Betrachtung eher wie ein sarkastischer Seitenhieb
gegenüber den Verteidigern. Diese lehnten zuvor
(erfolglos) die Vorsitzende aufgrund einer kritischen
Anmerkung zu den von den Verteidigern verwendeten
„Gendersternchen“ als befangen ab65 – in anderen Entscheidungen
schreibt der Spruchkörper ohne entsprechende
Sonderzeichen.66
c. Kritische Würdigung
Die Schreibakte der Gerichte sind sprachlich in einer
vermittelnden Funktion zwischen dem Gesetz und den
Verfahrensbeteiligten. Das erkennt man in dem Leitprinzip
der Verständlichkeit, das sich von der allgemeinen
Amtssprache bis hin zur einfachgesetzlichen Formvorgabe
einer konkreten Gerichtshandlung durchzieht.
In dieser Grenze kann die Gerichtssprache auch von der
Verwendung von Systembegriffen abweichen und auch
die Rechtschreibregeln vernachlässigen. Ob nun eine
inkonsequent genutzte vollständige Paarform oder eine
abgekürzte Paarform die Grenze der Verständlichkeit in
den weiträumigen Dimensionen der gesetzlichen Vorgaben
überschreitet, ist für den Einzelfall zu bewerten und
nur im Ausnahmefall zu bejahen. Wer auf Nummer
sicher gehen möchte, kann aber jedenfalls die sexusindifferente
Sprache nach Art des Grundgesetzes übernehmen,
die auch bei grammatisch maskulinen bzw. grammatisch
femininen Oberbegriffen allgemeinhin als biologisch
geschlechtsübergreifend verstanden wird.67
- Wissenschaft
Für den hier sogenannten juristischen Sprachgebrauch
in der Wissenschaft sollen vor allem die Erzeugnisse
juristischer Fachliteratur, insbesondere Kommentarund
Aufsatzliteratur, beleuchtet werden.
a. Regeln der wissenschaftlichen Sprache
Für den Sprachgebrauch innerhalb von Kommentarund
Aufsatzliteratur gibt es in einer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung keine formbezogenen staatlichen
Regeln außerhalb der allgemeinen Gesetze im Sinne
des Art. 5 Abs. 2 GG.
Zwischen der Redaktion und dem Autor können hingegen
formale Regeln vereinbart werden, die in Redaktionsrichtlinien
niedergeschrieben sind. Hinsichtlich der
Verwendung von sexusdifferenter bzw. sexusindifferenter
Sprache gibt es unterschiedliche Ansätze. Die Redaktionsrichtlinie
des Verlags C.H.BECK/Franz Vahlen für
die Gestaltung von Zeitschriften vom 1. Juni 2018 macht
keinerlei Vorgaben zur Rechtschreibung, sondern konzentriert
sich vor allem auf die gleichmäßige Form von
bestimmten typischen Formulierungen, etwa Rechtsprechungszitate,
Zeitschriftenzitate oder die Wiedergabe
von Paragraphen. Mangels Bindung an orthographische
Vorgaben können demnach auch abgekürzte Paarformen
außerhalb der deutschen Rechtschreibung, wie
etwa Binnenmajuskel oder Sonderzeichen, verwendet
werden. Jedoch gibt es auch innerhalb der Verlage Zeitschriften,
die die Regeln für sich spezifizieren. Diese Autorenhinweise
beschreiben den abstrakten Aufbau eines
Artikels, deren Zeichenzahl und machen im Einzelfall
auch orthographische Vorgaben. Beispielsweise erklärt
die Zeitschrift Recht der Transportwirtschaft (RdTW) in
ihren Autorenhinweisen vom September 2012 die neue
deutsche Rechtschreibung für anwendbar.68 Hier wäre
der Gebrauch von rechtschreibwidrigen abgekürzten
Paarformen untersagt. Eine andersartige Sexusmarkierung,
insbesondere die vollständige Paarform, bleibt jedoch
jedem Autor anheimgestellt.
Während es in der Übersicht keine nennenswerte
Verbote zur Sexusmarkierung gibt, sehen einzelne Pub6
4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7
likationsvertreiber das Gegenteil vor: Wer beispielsweise
bei dem Berliner Online-Start-up juriverse, welches juristische
Übungsfälle sammelt, einen Beitrag veröffentlichen
möchte, muss primär eine explizite Sexusindifferenzierung
(Studierende statt Studenten) und hilfsweise
eine abgekürzte Paarform mit dem Doppelpunkt (der:die
Autor:in statt der Autor) verwenden. Das Pronomen
man darf man gar nicht verwenden.69
Dieser Ansatz gleicht damit im Wesentlichen den
Empfehlungen zur „geschlechtergerechten Sprache“, die
auch Dutzende deutsche Hochschulen70 für ihr Personal
machen, wobei überwiegend die Verwendung des Asterisks
als Sonderzeichen für die abgekürzte Paarform vorgeschlagen
wird. Teilweise räumen die Hochschulen den
Dozenten die Möglichkeit ein, die Verwendung der „geschlechtergerechten
Sprache“ als Bewertungskriterium
für Prüfungsleistungen heranzuziehen. So hieß es bis
April 2021 noch auf der Website der Universität Kassel,
es stehe „Lehrenden grundsätzlich frei, die Verwendung
geschlechtergerechter Sprache als ein Kriterium bei der
Bewertung von Prüfungsleistungen heranzuziehen“.
Dem Verfasser liegen auch Korrekturen von Abschlussarbeiten
anderer Hochschulen vor, in denen ausdrücklich
gerügt wurde, dass für bestimmte Begriffe keine abgekürzte
Paarform mittels Sonderzeichen verwendet
wurde. Von dem studentischen Prüfling kann nicht erwartet
werden, in einer solchen ausdrücklichen Rüge
eine Unbeachtlichkeit für die Notengebung zu erkennen.
Gerade für Abschlussarbeiten wie etwa Bachelorarbeiten,
Masterarbeiten oder Dissertationen ist daher im
Einzelfall, abhängig vom Prüfer und der Hochschule,
eine informelle und unter Sanktionsdruck durchsetzbare
Normierung der Sprache anzunehmen, die auch auf die
Sprachverwendung in rechtswissenschaftlichen Texten
durchschlagen kann.
b. Praktische Umsetzung
Ein Blick in die letzten Ausgaben gängiger juristischer
Fachzeitschriften71 offenbart – wenig überraschend –
hinsichtlich des Sprachgebrauchs ein ähnliches Bild wie
die Rechtsprechung. In aller Regel werden klassische
sexusindifferente Oberbegriffe, gegebenenfalls im generischen
Maskulinum, verwendet. Die Beiträge schreiben
über die Vorgaben für Verbraucher, lassen den Käufer
oder den Täter handeln. Kommentierungen, welche
Gesetze behandeln, in denen eine vollständige Paarform
(beispielsweise Zeuginnen und Zeugen) oder eine unübliche
explizit sexusindifferente Umformulierung (beispielsweise
zu Fuß Gehende) verwendet wird, wandeln
diese ebenfalls in die klassische sexusindifferente Form
um (Zeuge72 bzw. Fußgänger73). Nur gelegentlich wird,
wie auch in der Rechtsprechung, in Aufsätzen die vollständige
Paarform verwendet. Dies aber mit ähnlich
überschaubaren Durchhaltevermögen wie in der Rechtsprechung.
74
Nur vereinzelt lassen sich in gedruckten Publikationen
auch abgekürzte Paarformen finden. So kennzeichnet
sich der Kommentar von Huber/Mantel zum Aufenthalts-
und Asylgesetz in konsequenter Abweichung von
gesetzlichen Systembegriffen mit über 2.000 „Gendersternchen“
75 und etlichen explizit sexusindifferenten
Umformulierungen (beispielsweise mit im Ausland lebenden
Personen). Bemerkenswert sind auch engagierte
Wortneuschöpfungen in Form von Sexusmovierungen
bei Begriffen mit grammatisch neutralem Geschlecht. So
sprechen beispielsweise Heldt/Klatt in ihrer Abhandlung
zur „Privilegierung der Justizpressekonferenz durch das
Bundesverfassungsgericht“76 mehrfach, wenn auch nicht
durchgehend77, von Mitglieder*innen der Justizpressekonferenz.
Das einzelne Mitglied der deutschen Sprachgemeinschaft
mag sich wundern.
c. Kritische Würdigung
Es versteht sich in Anbetracht der Notwendigkeit einer
möglichst umfangreichen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit
von selbst, dass ein Autor eines rechtswissenschaftlichen
Werkes vonseiten des Staates schreiben
darf, wie er es für richtig hält. Das gilt insbesondere für
Sprachexperimente mit dem Sexus, die in aller Regel keine
juristisch, sondern politisch motivierte Kundgabe
sind. Während bereits die weniger radikale vollständige
Paarform von einer weit überwiegenden Mehrheit der
69 Autorenhinweise juriverse.com.
70 Insgesamt über 80, darunter die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die Hochschule
Offenburg, die Universität Konstanz, die Humboldt-Universität
zu Berlin und die Freie Universität Berlin.
71 Namentlich Neue Juristische Wochenschrift, Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht, Juristische Schulung, Archiv für die civilistische
Praxis, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht.
72 BDZ/Binz, 5. Aufl. 2021, JVEG § 8 Rn. 1; BeckOK KostR/Bleutge, - Ed. 1.10.2021, JVEG § 1; Landmann/Rohmer GewO/Bleutge,
- EL Februar 2021, GewO § 36 Rn. 44.
73 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVO
§ 25 Rn. 1; Geigel Haftpflichtprozess/Freymann, 28. Aufl. 2020,
Kap. 27 Rn. 593 beispielhaft für einen Fachaufsatz mit demselben
Begriff Rabe/Look, NJW-Spezial 2020, S. 521.
74 Vgl. etwa allein zu der Doppelform Verbraucherinnen und
Verbraucher: Kocher, ZEuP 2021, 606, 629; Geiß/Felz, NJW 2019,
2961, 2965; Kaßler, ZWE 2021, 146, 147; Grunewald, NJW 2021,
1777, 1778; Bilsdorfer/Sigel, NVwZ 2021, S. 594.
75 So jedenfalls die Trefferangabe in der Online-Datenbank beckonline.
76 Heldt/Klatt, NVwZ 2021, S. 684.
77 Dann Mitglieder.
Lammich · Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch 6 5
weiblichen und männlichen Deutschen abgelehnt wird78,
ist die abgekürzte Paarform mit Sonderzeichen ein offenkundiges
politisches Statement79, das auch in wissenschaftlichen
Texten gesetzt werden darf. Entgegen jeder
Vorstellung einer offen meinungspluralistischen Gesellschaft
und somit unvereinbar mit der verfassungsmäßigen
Ordnung ist dementsprechend aber auch der teilweise
praktizierte Zwang von Studenten zu derartiger
Schreibweise.
Nicht gefeit ist der sprachaktivistische Autor hingegen
vor den unterschiedlichen Erwartungen an wissenschaftliche
Arbeiten seitens des Verlags. Wie viel Darstellung
persönlichen, meist themenfremden politischen
Befindens sich in einem Fachtext wiederfinden darf,
bleibt eine Geschmackssache. Allerdings ist gerade für
juristische Texte zu beachten, dass die wertungs- und bedingungslose
Übernahme von Systembegriffen ein
Grundbaustein dafür ist, dass der Text auch die Orientierung
innerhalb des Systems unterstützt. Ein Gesetzeskommentar,
der das kommentierte Gesetz in der Erläuterung
nicht auszusprechen vermag, ist, salopp formuliert,
nur für denjenigen gut geeignet, der sich an der
Komplexität der gesetzlichen Materie langweilt und mit
simultaner Sprachübersetzung bei Laune gehalten werden
möchte.
Schließlich lässt sich sämtlichen Redigierrichtlinien
die Maxime der Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit in
der Darstellung entnehmen. Sei es nun durch das Gebot
der einheitlichen Quellenangabe oder durch das folgerichtige
Gliedern der einzelnen Abschnitte. Begreift man
die einzelnen Wörter richtigerweise als Bestandteil der
formalen Darstellung, so habe auch sie einheitlich und
folgerichtig zu sein – auch hinsichtlich der Sexusdifferenzierung.
Hier stellt sich zum einen das Problem, dass
unklar ist, wie weit die Sexusdifferenzierung gehen soll.
Ist es nun derdie Bürgermeisterkandidatin oder derdie Bürgerinnenmeisterinkandidatin? Und was ist mit
dem so schonungslos verwendeten juristisch? Immerhin
handelt es sich bei ‑isch um ein nachgestelltes Wortbildungselement,
das ein Adjektiv von einem Substantiv
ableitet – hier: dem grammatisch maskulinen Jurist-en.
Und selbst wenn man die Frage der anvisierten Reichweite
der Einheitlich- und Folgerichtigkeit in dieser Dimension
bewältigt hat, bleibt zu fragen: Schafft man es,
das auch konsequent durchzuziehen? Der Blick in die
bisherige Praxis der Gesetzgebung, der Rechtsprechung
und Wissenschaft lässt daran zweifeln.
IV. Fazit
Die Sexualisierung des juristischen Sprachgebrauchs
geht in allen hier beleuchteten Teilgebieten mit Nachteilen
einher, die jedoch in unterschiedlicher rechtlicher
Relevanz zu Buche schlagen. Eine rechtlich besonders
schwerwiegende Beeinträchtigung demokratiebezogener
Natur liegt in der Umformulierung von Gesetzestexten.
Nur in Einzelfällen kann hier den Richtlinien entsprechend
eine Fachsprache abgebildet werden, die nicht
sowohl in ihrer Richtigkeit als auch in ihrer Allgemeinverständlichkeit
einbüßt. Möchte man den Sexusgebrauch
der Gesetzessprache tatsächlich auf dem Gleichberechtigungsförderungsgebot80
einer Verfassung beruhen
lassen, welche selbst das generische Maskulinum
verwendet, so stünden diesen Einbußen jedenfalls ein
überwiegendes kollidierendes Verfassungsinteresse entgegen.
Abschließend, um die Eingangsfrage nun weniger
präzise aber allgemeinverständlich zu beantworten,
bleibt zu sagen: Der Sexus im juristischen Sprachgebrauch
kann nicht nur nerven – er tut dies in etlichen
Fällen auch zu Unrecht.
Dr. Theodor Lammich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht der
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Lehrbeauftragter
der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und
Rechtsreferendar am Landgericht Freiburg.
78 Vgl. 65 Prozent Ablehnung mit steigender Tendenz Infratest
Dimap, Gendergerechte Sprache KW 19/2021; 86 Prozent Ablehnung
Mitteldeutscher Rundfunk AdÖR, MDRfragt-Umfrage KW
29/2021; 82 Prozent Ablehnung forsa, RTL/ntv-Trendbarometer
KW 17/2021.
79 Sie ist ein Ausdruck der sog. Identitätspolitik.
80 Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG.
6 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 5 5 — 6 7