Übersicht
I. Einleitung: Gelten rechtsstaatliche Prinzipien auch für Universitäten?
II. Fragestellung
III. Verwirrungen: Welches Verfahren für welche Verfehlung?
- Wissenschaftliches Fehlverhalten
- „Führungsfehlverhalten“
IV. Zur Rechtsstaatlichkeit der internen Verfahren - Wahrnehmung der internen Verfahren durch die betroffenen Professorinnen
- Mängel der zum Einsatz gekommenen Verfahren
V. Zur Überzeugungskraft der internen Verfahren
VI. Fazit: Funktionsfähige Wissenschaft … oder institutionelles Scheitern?
I. Einleitung: Gelten rechtsstaatliche Prinzipien auch für Universitäten?
Universitäten gelten als eine der zentralen Institutionen im sozialen System der Wissenschaft. Über ihr Monopol zur Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Vergabe von Bildungszertifikaten und Titeln gestalten sie den gesellschaftlichen Prozess der Wissenserzeugung nach wie vor wesentlich stärker als die übrigen Sektoren und Institutionen im Wissenschaftssystem3. Als staatliche Institutionen produzieren sie „öffentliche Güter“4 oder erbringen „Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen”5. Die Erbringung dieser Leistungen setzt eine weitgehende Unabhängigkeit der beteiligten Wissenschaftlerinnen voraus. Dementsprechend ist ihre Tätigkeit in Deutschland in Art. 5 Abs. 3 GG (Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre), in Österreich durch Art. 17 des Bundes-Verfassungsgesetzes und in der Schweiz durch Art. 20 der Bundesverfassung besonders geschützt. Der Entlassung und Degradierung von (in Deutschland zudem oft verbeamteten) Wissenschaftlerinnen sind schon mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen hohe Hürden gesetzt.
Trotzdem werden seit einiger Zeit zunehmend mehr Fälle von Entlassungen und öffentlicher Degradierung von Professorinnen bekannt. Während die Entlassung zu einer kompletten Beendigung des Dienstverhältnisses führt, verbleibt die Professorin oder der Professor bei einer Degradierung im Dienstverhältnis, verliert jedoch eine oder mehrere hohe Positionen. Geschieht dies unter Einsatz der Medienöffentlichkeit, führt die Degradierung zu einer ähnlich gravierenden Berufsschädigung wie die Entlassung. Beide Formen des Umgangs lassen sich sowohl an Universitäten als auch an außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen beobachten und sie beschränken sich nicht auf Deutschland, sondern kommen im gesamten deutschsprachigen Raum, also auch in den beiden oben bereits genannten Staaten Österreich und der Schweiz, vor. Auffällig an allen Entlassungen und öffentlichen Degradierungen ist, dass ihnen weder ein Fehlverhalten im wissenschaftlichen Bereich noch strafrechtlich relevante Sachverhalte zugrunde liegen, sondern sie einzig und allein auf Gründen beruhen, die der Persönlichkeit der Betroffenen zugeschrieben werden, also auf persönlich attribuierten Gründen und nicht auf objektivierbaren Sachverhalten.6 Medienberichte über die bekannt gewordenen Fälle zeigen zudem, dass die Entlassungen und Degradierungen teils unter eigentümlichen Umständen erfolgt sind7. Dies hat bereits die Politik erreicht: Die den Entlassungen und öffentlichen Degradierungen vorausgegangenen institutionsinternen Verfahren sind im Juli 2019 Gegenstand einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung (sowie zweier Nachfragen zur Kleinen Anfrage im Oktober 2019 und im JanuHeike
Egner und Anke Uhlenwinkel
Zur Rechtsstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren bei Entlassung oder öffentlicher Degradierung von Professorinnen1, 2 1 Zur gendergerechten Schreibweise verfahren wir wie folgt: In jenen Fällen, in denen faktisch überwiegend Frauen gemeint sind, verwenden wir die weibliche Form; analog dazu, in jenen Fällen in denen faktisch überwiegend Männer gemeint sind, die männliche Form. An allen anderen Stellen erscheint der Genderstern. 2 Wir danken unseren vier Pre-Reviewern für die ausgesprochen konstruktiven Hinweise, Kommentare, Erweiterungsvorschläge und Vertiefungswünsche. 3 Becker/Wehling, Risiko Wissenschaft. Ökologische Perspektiven in Wissenschaft und Hochschule, Campus, 1993, 28. 4 Zeuner, in: Sambale/Eick/Walk: Das Elend der Universitäten. Neoliberalisierung deutscher Hochschulpolitik, Westfälisches Dampfboot, 2008, 36. 5 ebd. 6 Egner/Uhlenwinkel, Entlassung und öffentliche Degradierung von Professorinnen. Eine empirische Analyse struktureller Gemeinsamkeiten anscheinend unterschiedlicher „Fälle“, Beiträge zur Hochschulforschung, 2021, 43, Heft 1–2, 62. 7 Bspw. Buchhorn/Freisinger, Mission: Rufmord, manager magazin, 2020, Heft 2, 84; Rubner, Die Angeklagten, DIE ZEIT, 31.01.2020, 39. Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197 1 7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4 8 Kleine Anfrage an den Deutschen Bundestag: Mobbing-Anschuldigungen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen und daraus folgende Untersuchungen, 17.07.2019, Drucksache 19/11732; Nachfrage, 04.10.2019, Drucksache 19/13751; zweite Nachfrage, 17.01.2020, Drucksache 19/16594. 9 Kleine Anfrage,17.07.2019, Drucksache 19/11732, Frage 26, 6. 10 Antwort der Bundesregierung vom 05. 08. 2019, Drucksache 19/12165, 10. 11 ebd. 12 Egner/Uhlenwinkel, Beiträge zur Hochschulforschung, 2021, Jg. 43, Heft 1–2, 75 f. 13 Walder-Richli, Feldzug gegen eine Professorin. Gleichzeitig Analyse der mit einem Lehrstuhl in der Schweiz verbundenen Fährnisse samt zwölf Merkpunkte für allfällige Berufungsgespräche, DHV, 2004, 25. 14 Kieserling, in: Jahraus/Nassehi/Grizelj/Saake/Kirchmeier/Müller: Luhmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, J.B.Metzler, 2012, 145 f.; Scheiber, Mut zum Recht. Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat, Falter-Verlag, 2019, 149. 15 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Suhrkamp, 1983. 16 Auf den Aspekt, dass “Selbstähnlichkeit” einerseits Voraussetzung, andererseits Prinzip und gleichzeitig Ergebnis von Globalisierungsdynamiken von sozialen Systemen ist, haben Altvater & Mahnkopf (Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Westfälisches Dampfboot, 2007, 152 ff) unter dem Stichwort Fraktalisierung hingewiesen. 17 Egner/Uhlenwinkel, Beiträge zur Hochschulforschung, 2021, Jg. 43, Heft 1–2, Tabelle 1. ar 2020)8 der FDP-Bundestagsfraktion geworden. Auf die Frage, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sehe, darauf hinzuwirken, „dass Verfahren, die ohne nachvollziehbare Struktur, Systematik und Regelwerk stattgefunden haben, neu bewertet und ggf. neu aufgerollt werden“9, erhalten die Fragesteller die Antwort, dass der Bundesregierung „kein derartiger Fall bekannt“10 sei und sie „deshalb […] keine Notwendigkeit“11 für entsprechende Handlungen sehe. Ganz anders bewerten die von Entlassung und öffentlicher Degradierung betroffenen Professorinnen sowie externe Beobachter der Verfahren die Situation. In einer vergleichenden Studie über die Entlassung oder öffentliche Degradierung von Professorinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gaben alle (!) befragten Professorinnen an, dass sie jene Verfahren, die institutionsintern ihrer Entlassung oder Degradierung vorausgegangenen waren, als unfair, intransparent und voreingenommen wahrgenommen haben, und dass sie aus ihrer Sicht grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien entbehrten12. Ein einschlägig geschulter Beobachter eines der Verfahren schreibt, dass er in seiner „langjährigen juristischen Tätigkeit […] noch kaum je gesehen [habe], dass die rechtsstaatlichen Grundsätze derart mit Füssen getreten worden wären“13. Dieser Befund ist alarmierend. Denn neben der Absicht, dass die für derartige Verfahren vorgesehenen Regeln und Rollen die Entscheidungsprozesse sichern und verbessern sollen, haben Verfahren vor allem auch den Zweck, die unterlegene Partei von der Richtigkeit (Wahrheit, Gerechtigkeit) der Entscheidung zu überzeugen14. Dass geordnete Verfahren zur Legitimation von rechtlich verbindlichen Entscheidungen nicht nur beitragen, sondern diese tragen können, gehört zu den zentralen Vorstellungen liberaler Gesellschaften, die Niklas Luhmann in der Kurzformel „Legitimation durch Verfahren“15 fasste. II. Fragestellung Vor diesem Hintergrund geht der Beitrag der Frage nach, warum die zur Anwendung gekommenen internen Verfahren offenbar nicht geeignet waren, die Betroffenen (sowie Dritte, die Einblick in die komplexen Sachlagen haben) von der Legitimität der Entlassungs- oder Degradierungsentscheidung zu überzeugen. Vor dem Hintergrund der Grundsätzlichkeit der Fragestellung spielen weder die konkreten Aspekte der Anstellung der aus ihrer Position entfernten Professorin (wie z. B. die Art des Dienstverhältnisses – verbeamtet oder angestellt; Art der Wissenschaftsinstitution – Universität, Fachhochschule oder außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtung) noch die spezifischen politischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen der Institutionen eine Rolle. Wir beziehen in unsere Beobachtung Fälle aus allen drei Ländern des deutschsprachigen Raums ein, wohl wissend, dass sich die Situationen der Wissenschaftseinrichtungen sowohl historisch, aber auch politisch und rechtlich unterscheiden. Gleichwohl ähneln sich die prinzipiellen Regeln für ordentliche Verfahren und können über allgemein formulierte rechtsstaatliche Prinzipien gefasst werden. Die vergleichende Studie zur Entlassung von Professorinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ergab eine so frappierende Ähnlichkeit in der Art der Verfahren und der Art und Weise des Umgangs mit den Betroffenen, dass von einer großen Selbstähnlichkeit16 der Entwicklungen ausgegangen werden kann. Darüber hinaus zeigt die Erhebung auch, dass in Österreich und der Schweiz fast ausschließlich Ausländerinnen von Entlassung betroffen sind, wovon die meisten deutscher Herkunft waren17. Die Überprüfung des Vorwurfs einer Verfehlung, die zu einer Entlassung oder öffentlichen Degradierung einer Professorin führen kann, setzt voraus, dass einerseits Egner/Uhlenwinkel · Zur Rechtstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren 1 7 5 18 Kleine Anfrage, 17.07.2019, Drucksache 19/11732, 1. 19 ebd. 20 ebd., 3 21 Antwort der Bundesregierung, 05.08.2019, Drucksache 19/12165, 2. die Verfehlung sanktionsfähig definiert ist und die Verfahren der vorgeworfenen Verfehlung angemessen sind. Hier sind erhebliche Zweifel angebracht. Aus der Beschreibung der Situation von Seiten der Wissenschaftspolitik (Kapitel 2) wird deutlich, dass bereits die Sachverhaltsbeschreibungen im Wesentlichen opak und damit auch die Art der Verfehlung unklar sind. Demzufolge müssen den dort beschriebenen Verfehlungen schon strukturell bedingt ungeeignete Verfahrensabläufe zugeordnet werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass bei internen Verfahren, die einer Entscheidung mit für die betroffenen Professorinnen so schwerwiegenden Folgen vorausgehen, allgemeingültige Gesetze (z. B. Strafrecht, Arbeitsrecht, Dienstrecht, Hochschulrecht) auch im Wissenschaftsbereich berücksichtigt und die ihnen zugrundeliegenden rechtsstaatlichen Prinzipien in institutionsinternen Verfahren beachtet werden. Auch hier erscheinen Zweifel angebracht (Kapitel 3.2). Wie sich diese Unklarheiten im Konkreten niederschlagen, zeigt und diskutiert Kapitel 4 an ausgewählten und zum Schutz der Beteiligten anonymisierten Beispielen. Es geht uns dabei nicht um die Beleuchtung einer konkreten Entscheidung oder eines spezifischen Falls an einer Universität oder außeruniversitären Wissenschaftseinrichtung; auch nicht um juristische Aspekte dieser oder jener Einzelentscheidung eines Präsidenten oder Rektors; und schon gar nicht um die Frage, ob diese oder jene Professorin zu Recht oder Unrecht von ihrer Position entfernt wurde. Dies ordentlich festzustellen, wäre die Aufgabe der Leitung der Wissenschaftsinstitutionen vor der Entscheidung gewesen, und es ist allenfalls die Aufgabe von Gerichten, dies im Nachgang zu prüfen. Vielmehr richten wir unseren Fokus auf die Art der institutionsintern zum Einsatz gekommenen Verfahren, die der Entscheidungsfindung durch die Leitung vorausgingen. Dieser Beitrag ist somit auch der Versuch einer Rekonstruktion juristischer Verfahrensfragen mit sozialwissenschaftlichen Mitteln – durchaus verbunden mit der Hoffnung, Juristinnen oder Juristen mögen dies als Herausforderung verstehen und sich dieser Problematik annehmen. III. Verwirrungen: Welches Verfahren für welche Verfehlung? Die Ergebnisse der Studie über die Entlassung oder öffentlichen Degradierung von Professorinnen zeigen unter anderen, – dass keine der Professorinnen aufgrund eines Fehlverhaltens in der Wissenschaft, sondern allein aufgrund persönlich attribuierter Gründe entlassen oder degradiert wurde; – dass anonyme Vorwürfe oft die Grundlage für die Entfernung der Professorin aus ihrer Position bildeten; – dass vor allem Frauen (68 %) und Ausländerinnen (63 %) davon betroffen waren, und – dass die Fälle seit 2015 zunehmen (11 der insgesamt 19 seit dem Jahr 2000 bekannt gewordenen Entlassungen / öffentlichen Degradierungen (= 58 %) fanden zwischen 2015 und 2020 statt). Eine der grundlegenden Fragen bei der Behandlung der Entlassungen oder öffentlichen Degradierungen von Professorinnen aufgrund persönlich attribuierter Vorwürfe beginnt bereits bei der Entscheidung über das angemessene Verfahren zur Prüfung der Angelegenheit. Da es sich augenscheinlich um ein neues Phänomen handelt, herrscht über die adäquate Vorgehensweise zur Klärung der Vorwürfe oder Sachverhalte derzeit offenbar Unklarheit. Auch der Kleinen Anfrage der FDP liegen sehr unterschiedliche Vergehen zugrunde, die in den Fragen oft in eins gesetzt werden. Im einleitenden Text ist zunächst von „wissenschaftlichem Fehlverhalten“, von „Mobbingvorwürfen“ und von „Machtmissbrauch“18 die Rede. Später wird das Fehlverhalten nicht näher spezifiziert, dafür aber mit der Strafgesetzgebung in Verbindung gebracht: die Personen seien „eines Fehlverhaltens oder einer Straftat angeklagt“19. Eine weitere Frage nennt „Führungsfehlverhalten“20 als Vorwurf. Die Antwort der Bundesregierung führt diese Verwirrung fort und spricht in der Einleitung in einem Atemzug von „wissenschaftlichem und persönlichem Fehlverhalten“21. Angesichts dieses Potpourris an mögli1 7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4 22 Herrmann, Wie Hochschulen mit anonymen Verdachtsäußerungen umgehen müssen, OdW 2020, 66, 69. 23 DFG, Leitlinien zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis, 2019. 24 DFG Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten, 2019. 25 ebd., III 1. a) (2). 26 ebd., III 3. b) (2). 27 ebd. 28 Im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache, https://www. dwds.de/?q=Führungsfehlverhalten (20.08.2020) kommt der Begriff bisher nicht vor, auch wenn er gerade durch die Entlassungen oder Degradierungen von Professorinnen nun im Sprachgebrauch
öfter auftritt, jedoch ohne Definition, was darunter zu
verstehen sei.
29 Kleine Anfrage, 17.07.2019, Drucksache 19/11732, 5.
chen Vorwürfen verwundert es kaum, dass die Frage
nach den jeweils angemessenen Verfahren sowohl auf
Seiten der Fragenden als auch auf Seiten der Antwortenden
wenig überzeugend abgehandelt wird.
Grundsätzlich lassen sich hier zwei Gruppen von
Verstößen unterscheiden, die in der Kleinen Anfrage
und der Antwort der Bundesregierung miteinander vermischt
werden, die jedoch eine fundamental unterschiedliche
Bedeutung haben: (a) wissenschaftliches
Fehlverhalten, das im Hinblick auf die Gemeinwohlbedeutung
wissenschaftlicher Prozesse verfolgt wird22 und
in den Bereich der akademischen Selbstverwaltung fällt,
und (b) „Führungsfehlverhalten“, unter das Mobbing
und Machtmissbrauch subsumiert werden können. Die
Frage nach dem angemessenen Verfahren für ein Vergehen
muss sich an dem Fehlverhalten orientieren, das
vorgeworfen wird. - Wissenschaftliches Fehlverhalten
Bislang liegen Verfahrensvorschriften des inneruniversitären
Bereichs allein für wissenschaftliches Fehlverhalten
(Fall a) vor. Hierfür wurden umfangreiche und
detaillierte Instrumente entwickelt. Wissenschaftliches
Fehlverhalten kann mit Hilfe der „Leitlinien zur Sicherung
guter wissenschaftlicher Praxis“23 und der „Verfahrensordnung
zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“
24 der DFG verfolgt werden, wie es folgerichtig
auch in der Kleinen Anfrage, den zwei Nachfragen und
den Antworten der Bundesregierung mehrfach benannt
wird. Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt beispielsweise
dann vor, wenn Wissenschaftlerinnen Falschangaben machen, etwa durch die freie Erfindung von Daten, oder wenn sie sich fremde wissenschaftliche Leistungen zu eigen machen, z. B. in Form eines Plagiats oder eines Ideendiebstahls. Gemäß den DFG-Richtlinien wird das Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in einem zweistufigen Verfahren aus Vorprüfung und, bei Bedarf, dem förmlichen Verfahren festgestellt. Ausgangspunkt der Untersuchung kann dabei auch ein anonymer Hinweis sein. Ungeachtet der Anonymität der Erstanzeige ist „dem vom Verdacht des Fehlverhaltens Betroffenen unter Nennung der belastenden Tatsachen und Beweismittel Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben“25. Verhärten sich die Verdachtsmomente, schließt sich ein förmliches Verfahren an, in dem den Betroffenen erneut die „Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben“26 ist. Auf Wunsch ist eine mündliche Anhörung anzuberaumen, zur der „sie bzw. er eine Person ihres bzw. seines Vertrauens als Beistand hinzuziehen“27 kann. Die Anonymität der Hinweisgeberinnen bleibt unberührt. - „Führungsfehlverhalten“
Für die angemessene Behandlung des Vorwurfs eines
Fehlverhaltens im persönlichen Bereich, der sich auf keine
strafrechtlich relevanten Tatbestände beziehen kann,
liegen keinerlei Verfahrensregeln vor. Die Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage impliziert, dass
die Verfahrensregeln für wissenschaftliches Fehlverhalten
auf die Untersuchung von ‚Führungsfehlverhalten‘
angewendet werden könnten. Dies erweist sich aus drei
Gründen als unangemessen:
– Erstens wird ‚Führungsfehlverhalten‘ in der DFGVerfahrensordnung
nicht nur nicht näher, sondern
gar nicht bestimmt. Dies wiederum nimmt nicht
wunder, da der Begriff des ‚Führungsfehlverhaltens‘
(bislang zumindest) im deutschen Wortschatz offiziell
nicht hinreichend definiert wurde und damit
nicht existiert28. Für die Definition eines Fehlverhaltens
im Führungsbereich wäre wiederum ein Verständnis
davon, was unter ‚Führungswohlverhalten‘
zu verstehen ist, vonnöten – ebenfalls ein Begriff,
der in unserer Sprache (bislang) fehlt.
– Zweitens setzt die Möglichkeit der Stellungnahme
bei Vorwürfen von ‚Führungsfehlverhalten‘ voraus,
dass Ort, Zeit und Personen genannt werden, damit
die Vorwürfe nicht in „allgemeinen Aussagen“29 verfangen
bleiben. Zur Verdeutlichung stelle man sich
analog eine „allgemeine Aussage“ zu wissenschaftlichem
Fehlverhalten vor: „Sie / er hat plagiiert.” –
„Wo?” – „Weiß ich nicht genau.“ – “Bei wem abgeschrieben?”
– “Weiß ich auch nicht.” Es wird deutlich:
Das Verfahren hätte sich sehr schnell erledigt.
– Drittens übersteigt der Vorwurf von ‚FührungsfehlEgner/
Uhlenwinkel · Zur Rechtstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren 1 7 7
30 Antwort der Bundesregierung, 05.08.2019, Drucksache 19/12165,
2.
31 Antwort der Bundesregierung, 05.08.2019, Drucksache 19/12165,
8: „15. Hält die Bundesregierung die Anonymisierung von Personen
im Zuge der Arbeit der Kommissionen für angemessen?“; (a)
Geht die Bundesregierung bei einer solchen Anonymisierung von
einem fairen Verfahren aus (bitte begründen)?; (b) Wie ist nach
Auffassung der Bundesregierung eine faire und faktenbasierte
Aufklärung von Sachverhalten möglich, wenn keine konkreten
Vorwürfe, die es erlauben, Zeit, Ort und Personen zu kennen,
vorgelegt werden, sondern nur allgemeine Aussagen?; © Hält
die Bundesregierung eine Anonymisierung für angemessen,
wenn zum Zeitpunkt des Verfahrens keinerlei Betreuungs- und/
oder Abhängigkeitsverhältnis mit den Beklagten mehr besteht?“; - „Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Tatsache zu
bewerten, dass die Gewährung von einseitiger Anonymität nur
für die Beschwerdeführer sowohl Dialog als auch Klärung von
Sachverhalten erschwert und die Möglichkeit für Verleumdung,
private Racheaktionen und falsche Anschuldigungen eröffnet?“.
32 Kleine Anfrage, 17.07.2019, Drucksache 19/11732, 7.
33 Antwort der Bundesregierung, 05.08.2019, Drucksache 19/12165,
11.
34 ebd.
35 Smutny, Mobbing – rechtliche Überlegungen, WISO, 2017, 40, 87,
88.
36 ebd., 89.
37 Antwort der Bundesregierung, 05. 08. 2019, Drucksache
19/12165, 11.
38 DFG, Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten. 2019, III 3. c).
39 ebd.
verhalten‘ die Kompetenzen der akademischen
Selbstverwaltung, weil es sich dabei um kein wissenschaftsspezifisches
Problem handelt. Es müssten
also bei dieser Art des Vorwurfs Verfahren zum Einsatz
kommen, in denen Dritte jenseits des universitären
Betriebs mit einbezogen werden.
Entsprechend der fehlenden Trennung der verschiedenen
Vergehen schwankt die Bundesregierung in ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP hinsichtlich der
Bearbeitung des ‘Führungsfehlverhalten’ bei der Benennung
der relevanten Verfahrensschritte. Dabei bleibt sogar
der rechtliche Bezugsrahmen unklar: Er reicht von
wissenschaftsinternen Verfahrensregeln über Arbeitsrecht
bis hin zum Strafrecht. In ihrer Einleitung verweist
die Bundesregierung zunächst auf arbeitsrechtliche Vorschriften
und dann hinsichtlich des „Umgangs mit wissenschaftlichem
und persönlichem Fehlverhalten“30 auf
die Grundprinzipien der Internationalen Ombudsvereinigung.
Interne Verfahren wie diese könnten zudem einer
späteren Überprüfung durch die Gerichtsbarkeit unterzogen
werden. Spätestens bei der Antwort auf die Fragen
15 und 16 der Kleinen Anfrage31 impliziert die Bundesregierung
aber auch die Möglichkeit der Nutzung der
DFG-Verfahrensordnung zur Feststellung von ‚Führungsfehlverhalten‘.
In der Antwort auf die Frage nach
der “rechtlichen oder anders kodifizierten Grundlage”32,
auf der „Anklagen wegen Führungsfehlverhalten erhoben“
33 werden können, verweist sie dagegen auf
§ 170 Abs. 1 StPO, nach dem Anklagen „von der Staatsanwaltschaft
erhoben [werden], wenn der hinreichende
Tatverdacht einer Straftat vorliegt“34.
Wenn ein ‘Führungsfehlverhalten’ strafrechtlich verfolgt
werden soll, müsste jedoch ein entsprechender Tatbestand
vorliegen. Dies ist schon beim Mobbing nicht
der Fall: Wer hiergegen klagen will, muss sich auf einzelne
Straftatbestände, wie üble Nachrede, Verleumdung
oder Körperverletzung, beziehen. In Österreich wird im
Dienstrecht für Beamte des Bundes zwar ein Mobbing-
Verbot ausgesprochen35, aber es fehlt eine allgemeine
Definition von Mobbing36. Beim ‘Führungsfehlverhalten’
legt die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort
nahe, dass es keine rechtlich verbindliche Vorstellung
davon gibt, was darunter zu verstehen sei. Stattdessen
verweist sie auf interne Personalentwicklungskonzepte
der betreffenden Forschungseinrichtungen37. Ein Verstoß
gegen solche Konzepte kann jedoch nicht strafrechtlich
verfolgt werden, weil es sich dabei um keinen
Verstoß gegen Gesetze handelt. Wenn aber offenbleibt,
aufgrund welcher Gesetze oder Bestimmungen eine für
die Betroffenen existenzbedrohende oder ‑vernichtende
Entscheidung getroffen wurde, ist auch fraglich, was eine
nachfolgende Gerichtsbarkeit entscheiden sollte. Sie
könnte tatsächlich nur Willkür feststellen, die in jedem
Fall rechtswidrig wäre. Die Bundesregierung kann nicht
ernsthaft für ein derart eigenwilliges Vorgehen der Universitätsleitungen
plädieren oder solches als adäquat
hinstellen.
Ebenso ungeregelt und dementsprechend unangemessen
ist der derzeitige Umgang mit dem Vorwurf des
‘Führungsfehlverhalten’ hinsichtlich der Konsequenzen:
Während die DFG in ihrer „Verfahrensordnung zum
Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“ einen
Maßnahmenkatalog vorsieht, der aus gestuften Sanktionen
„je nach Art und Schwere des festgestellten Fehlverhalten“
38 besteht und von der schriftlichen Rüge, über
die Rücknahme von Förderentscheidungen bis zur Aberkennung
des aktiven und passiven Wahlrechts für die
Organe und Gremien der DFG reicht39, wird angebliches
‘Führungsfehlverhalten’ in der Praxis nunmehr regelmäßig
mit Entlassung oder öffentlicher Degradierung geahndet.
Schon die fehlende Nennung dieser Folgen im
Maßnahmenkatalog der DFG zeigt, dass dieses Verfahren
im Fall des Vorwurfs von ‘Führungsfehlverhalten’
ungenügend ist. Wenn für den Vorwurf eines Fehlverhaltens
im persönlichen Bereich, der sich auf keine disziplinar-
oder strafrechtlich relevanten Tatbestände bezie1
7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
40 § 27 AngG (Österreich).
41 ebd.
42 § 24 Abs. 4 BDG.
43 Egner/Uhlenwinkel, Beiträge zur Hochschulforschung, 2021, Jg.
43, Heft 1–2, 74.
44 Die hier aufgeführten Prinzipien wurden im Rahmen der
Tagung „Vorwürfe ohne Absender. Zum Umgang mit anonymen
Vorwürfen in der Wissenschaft” (20./21.02.2020 in Passau) von
verschiedenen Referenten aus Wissenschaftspolitik, Ombudswesen
und Recht genannt, eher nebenbei und als selbstverständliche
Elemente von wissenschaftsinternen Verfahren zur Prüfung von
Fehlverhalten.
hen kann, keinerlei Verfahrensregeln vorliegen, kann
das eigentlich nur den Schluss zulassen, dass es ohne einen
„verfahrenswürdigen“ Vorgang auch keine Schlussfolgerungen
und Konsequenzen wie Entlassungen geben
darf.
Wollte man ’Führungsfehlverhalten’ als Entlassungsgrund
sehen, müsste man es, ähnlich dem Mobbing, mit
vorhandenen Straftatbeständen koppeln, wie etwa Untreue
oder Tätlichkeiten und Verletzung der Sittlichkeit
im Betrieb40, oder sich auf gesetzlich festgelegte mögliche
Entlassungsgründe berufen, wie etwa Weigerung
oder Unfähigkeit, die vereinbarten Dienstleistungen zu
erbringen, Verleitung anderer Bediensteter zum Ungehorsam
gegen den Arbeitgeber oder längere Freiheitsstrafen.
41 Zur Ermittlung der Richtigkeit der Anschuldigungen
bräuchte es ein Verfahren, das zumindest insoweit
einem Disziplinarverfahren ähnelt, als es die Anonymität
der Zeugen nicht als Regel, sondern als
Ausnahme definiert42. Anders als im Fall von wissenschaftlichem
Fehlverhalten wird eine Sachverhaltsaufklärung
von ’Führungsfehlverhalten‘ bei gleichzeitiger
Aufrechterhaltung der Anonymität der Zeugen
verunmöglicht.
Dies lässt den Schluss zu: Wer ‚Führungsfehlverhalten‘
mit der „Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten“ der DFG verfolgen will,
ist sich bewusst, dass die vorgegebenen Gründe für ein
ordentliches Verfahren (Disziplinar- oder Strafverfahren)
nicht ausreichen. Eine Wahl zwischen interner Untersuchung
und Disziplinarverfahren, wie sie eine Frage
der FDP-Fraktion des Bundestages nahelegt, erscheint
schon von daher wenig sinnvoll. In beiden Fällen werden
sehr verschiedene Tatbestände untersucht, die aufgrund
ihrer Unterschiedlichkeit auch verschiedene Verfahren
erfordern. Während für wissenschaftliche Verfehlungen
klare Verfahren und Regelungen entwickelt und immer
wieder verbessert wurden, fehlen für jene Verfehlungen
„im persönlichen Bereich“, die aktuell zunehmend zur
Entfernung von Professorinnen als Begründung herangezogen
werden, ganz offenbar angemessene Begriffe,
Verfahren und Regelungen.
IV. Zur Rechtsstaatlichkeit der internen Verfahren
Während die Kleine Anfrage an die Bundesregierung
mit ihren beiden Nachfragen und den jeweiligen Antworten
der Bundesregierung gleichsam eine „Außensicht“
auf die institutionsinternen Verfahren darstellt,
ermöglichen die Berichte der von Entlassung oder
Degradierung betroffenen Professorinnen eine Innensicht
aus dem Erleben der Verfahren. Dieses Kapitel
fokussiert zunächst auf die zum Einsatz gekommenen
internen Verfahren mit Blick auf die Beachtung zentral
erscheinender rechtsstaatlicher Prinzipien (Abschnitt
III.1). Die Diskussion der Befunde erfolgt entlang der
von der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage vorgeschlagenen Vorgehensweise anhand
der „Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten“ (Abschnitt III.2.). Dies bringt
Stärken und Schwächen des Vorschlags zum Vorschein. - Wahrnehmung der internen Verfahren durch die
betroffenen Professorinnen
Die Studie über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede
entlassener oder öffentlich degradierter Professorinnen43
verglich auf der Grundlage von Medienanalysen,
standardisierten Fragebögen und qualitativen Interviews
insgesamt 19 Fälle aus den so genannten D‑A-CH-Staaten
(Deutschland [= 7 Fälle], Österreich [= 4 Fälle] und
der Schweiz [= 8 Fälle]). Teil der standardisierten Erhebung
war auch die Frage nach der Beachtung einiger
grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien in den intern
eingesetzten Verfahren, die der Entscheidung der Leitung
der Wissenschaftseinrichtung vorausgingen. Dazu
zählen:44
– Fairness – alle Seiten werden in gleicher Weise
behandelt;
– Transparenz – des Verfahrens insgesamt, der einzelnen
Verfahrensschritte, der in jedem Schritt zugrunde
gelegten Kriterien usw.;
– Vertraulichkeit – die für alle Seiten gleichermaßen
gilt;
– Unschuldsvermutung – zentrales Grundprinzip
rechtsstaatlicher Strafverfahren;
Egner/Uhlenwinkel · Zur Rechtstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren 1 7 9
45 Von den 15 in den D‑A-CH-Staaten versandten Fragebögen
wurden 13 ausgefüllt zurückgesandt. Dies entspricht einer Rücklaufquote
von 87 %.
46 Aus Egner/Uhlenwinkel, Beiträge zur Hochschulforschung, 2021,
Jg. 43, Heft 1–2, 76.
– Recht auf Anhörung – in jedem Gremium, das sich
mit dem Sachverhalt befasst;
– Recht auf Stellungnahme – dies setzt voraus, dass die
Vorwürfe schriftlich zur Kenntnis gegeben und ausreichend
Zeit zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt
wird;
– Recht auf Konfrontation mit Beschwerdeführenden –
dies setzt die Aufhebung ihrer, im Sinne eines Privilegs
gegenüber der Beschuldigten gewährten, Anonymität
voraus;
– Recht auf Rechtsbeistand – in allen mündlichen
Kommunikationen, die das eigene Arbeitsverhältnis
betreffen.
Abb. 1 fasst die Antworten aus der standardisierten
Erhebung zusammen und zeigt, dass aus Sicht der insgesamt
13 Betroffenen, die einen ausgefüllten Fragebogen
zurücksandten45, alle erfragten rechtsstaatlichen Prinzipien
in erheblichem Maße missachtet wurden. Nur bei
zwei der acht Prinzipien gaben Befragte überhaupt an,
dass diese im Verfahren in ausreichendem Maße beachtet
worden waren, beide Zahlen bewegen sich mit 23 %
(Gewährung eines Rechtsbeistandes) und 18 % (Recht
auf schriftliche Stellungnahme) in einem Bereich, der
nicht dafür spricht, dass die Gewährung dieser Rechte
als Regel angesehen wird. Alle anderen erfragten Prinzipien
kamen in einem erheblichen Ausmaß nicht zum
Einsatz. Mit Blick auf eines der Ziele rechtsstaatlicher
Verfahren, das lautet, die unterlegene Partei von der
Richtigkeit (Wahrheit, Gerechtigkeit) der Entscheidung
zu überzeugen, ist dies ein desaströses Ergebnis.
Abb. 1 Beachtung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit in den internen
Prozeduren aus Sicht der entlassenen/degradierten Professor*innen. Im
Fragebogen wurden die Prinzipien mit einer siebenstufigen Likert-Skala
erhoben; in der Auswertung ist diese Skala auf drei Werte verdichtet.46
Man mag einwenden, dass sich aus den Angaben der
betroffenen Professorinnen nicht erschließen lässt, ob es
die jeweiligen Verfahrensschritte tatsächlich nicht gegeben
hat; schließlich wurde bei der Erhebung nur eine
Seite befragt und zwar jene, die von dem für sie negativen
Ausgang des Verfahrens betroffen war. Auch wenn
die Frage auf Erinnerung und Wahrnehmung beruht, so
geht es bei der Hälfte der abgefragten rechtsstaatlichen
Prinzipien nicht um eine perspektivenabhängige Einschätzung,
sondern um die Frage, ob etwas stattgefunden
hat oder nicht. Die Frage, ob eine Gelegenheit für
eine schriftliche Stellungnahme oder eine mündliche
Anhörung in einer Kommission gegeben wurde, lässt
sich in der Regel eindeutig beantworten. Allenfalls die
Einschätzung, ob etwas in einem für die Betroffenen ausreichenden
Maß gewährt wurde, unterliegt der persönlichen
Einschätzung; um dies zu erfassen, wurde bei der
Frage eine siebenstufige Likert-Skala eingesetzt. Wären
einzelne der abgefragten Prinzipien zwar beachtet, jedoch
nur nicht in einem für die Betroffenen ausreichend
erscheinenden Maße, müssten die mittleren Werte dominieren.
Die Dominanz der einen Seite der Extremwerte
(“trifft nicht oder überhaupt nicht zu”) bei allen abgefragten
Prinzipien stellt den einer Entlassung oder Degradierung
vorausgegangenen internen Verfahren daher
ein überraschend eindeutig negatives Zeugnis aus. - Mängel der zum Einsatz gekommenen internen Verfahren
Um zu verdeutlichen, warum das zuvor dargestellte
Befragungsergebnis ein Armutszeugnis für die den Entlassungen
und öffentlichen Degradierungen vorangegangenen
institutionsinternen Verfahren ist, sollen die
einzelnen Aspekte in diesem Kapitel entlang der Grundsätze
der von der Bundesregierung in ihrer Antwort auf
1 8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
47 Vergleichbare Regelungen finden sich in der Schweiz und in
Österreich. In der Schweiz z. B. “Wissenschaftliche Integrität.
Grundsätze und Verfahrensregeln” der Akademien der Wissenschaften
(http://academies-suisses.ch/index/Schwerpunkte/
Wissenschaftliche-Integritaet.html (20.08.2020) oder das
“Reglement über wissenschaftliches Fehlverhalten” des Schweizer
Nationalfonds (http://www.snf.ch/de/derSnf/forschungspolitische_
positionen/wissenschaftliche_integritaet/Seiten/default.
aspx (20.08.2020). In Österreich werden entsprechende Verfahren
durch die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität
durchgeführt. Zum Verfahren siehe https://oeawi.at/untersuchung-
2/ (20.08.2020).
48 DFG, Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten, VIII. 1. a) (2).
49 ebd., III. 3. b) (2).
50 § 21 Abs. 1 S. 1f und 2 BDG, Hervorh. durch die Autorinnen.
51 DFG, Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten, III. 3. b) (3).
die Kleine Anfrage mehrfach empfohlenen „Verfahrensordnung
zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“
47 der DFG diskutiert werden, auch wenn wir im
vorherigen Kapitel die partielle Ungeeignetheit dieser
Verfahrensordnung für Vergehen im „persönlichen
Bereich“ dargestellt und begründet haben. Gleichwohl
gibt sie Anhaltspunkte dafür, wie institutionsinterne
Verfahren zur Überprüfung der vorgeworfenen Vergehen
hätten aussehen müssen, hätte eine ordentliche
Sachverhaltsprüfung erfolgen sollen. Gleichzeitig rufen
wir in Erinnerung, dass die Behandlung von Fehlverhalten
„im persönlichen Bereich“ grundsätzlich die Kompetenz
der akademischen Selbstverwaltung übersteigt und
es Verfahren bedarf, die den Einbezug Dritter jenseits
der Wissenschaft vorsehen. Wir behandeln im Folgenden
die Punkte:
(a) Vorverfahren,
(b) Einleitung eines förmlichen Verfahrens,
© freie Beweiswürdigung,
(d) Anonymität.
(a) Vorverfahren:
“Bei hinlänglich konkretisierten, auch anonym und in
der Regel schriftlich vorgebrachten, Verdachtsmomenten
für wissenschaftliches Fehlverhalten ist der bzw.
dem vom Verdacht des Fehlverhaltens Betroffenen unter
Nennung der belastenden Tatsachen und Beweismittel
Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu
geben.”48
Nur zwei der 13 Befragten gaben an, das Recht auf
schriftliche Stellungnahme in einem ausreichenden
Maße erhalten zu haben, während zehn Betroffene
(77 %) keinerlei Gelegenheit dazu eingeräumt wurde. In
den offenen Textangaben zu dieser Frage gab die Mehrzahl
der Befragten an, dass sie gar nicht wussten, was ihnen
eigentlich vorgeworfen wird. Wenn keine „hinlänglich
konkretisierten Verdachtsmomente“ präsentiert
werden, kann dazu auch nicht sinnvoll schriftlich Stellung
genommen werden. Dass aus einer solchen Situation
der Eindruck erwächst, die Verfahren seien intransparent
(92 %) verwundert kaum.
(b) Nach der möglicherweise notwendig gewordenen
Einleitung eines förmlichen Verfahrens, ist
“[d]er Wissenschaftlerin bzw. dem Wissenschaftler, der
bzw. dem wissenschaftliches Fehlverhalten vorgeworfen
wird, […] in geeigneter Weise Gelegenheit zur Stellungnahme
zu geben. Sie bzw. er ist auf ihren bzw. seinen
Wunsch hin mündlich anzuhören; dazu kann sie
bzw. er eine Person ihres bzw. seines Vertrauens als Beistand
hinzuziehen.”49
Die hier formulierten Verfahrensbestandteile, die auf
Wunsch mögliche mündliche Anhörung und die Hinzuziehung
eines Beistands, sind von den befragten Professorinnen
in weiten Teilen als nicht gegeben wahrgenommen
worden. Das Recht auf Rechtsbeistand in Gesprächen,
die das eigene Dienstverhältnis betreffen, erachteten
nur drei Befragte (23 %) in einem ihnen ausreichend
erscheinenden Maße als gewährt an; 12 (92 %) gaben an,
keinerlei Möglichkeit für eine Anhörung erhalten zu
haben.
© Die in der Verfahrensordnung der DFG genannten
Schritte entsprechen weitgehend den Vorgaben des
§ 20 Abs. 1 BDG. Dort wird darüber hinaus die Möglichkeit
einer freien Beweiswürdigung konkretisiert:
“Zur Aufklärung des Sachverhalts sind die erforderlichen
Ermittlungen durchzuführen. Dabei sind die belastenden,
die entlastenden und die Umstände zu ermitteln,
die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam
sind.”50
Durch den Hinweis auf allseitige Ermittlung wird
hier die Unschuldsvermutung substantiiert, ein wesentliches
Element in einem Verfahren zur Überprüfung eines
vorgeworfenen Vergehens. 92 % der von einer Entlassung
oder öffentlichen Degradierung betroffenen Befragten
sahen dies in ihren Verfahren als nicht gegeben
an. Vielmehr gaben sie an, dass oft einseitig gegen sie ermittelt
wurde sowie Stellungnahmen zu ihren Gunsten
entweder gar nicht eingeholt oder ignoriert wurden. In
einigen Fällen wurden behauptete Sachverhalte als unumstößlich
gewertet und die mit objektivierbaren Fakten
untermauerten Widerlegungen nicht berücksichtigt.
Es verwundert daher nicht, dass die Verfahren als unfair
(100 %) wahrgenommen wurden.
(d) Deutliche Unterschiede zwischen der „Verfahrensordnung
zur Sicherung der guten wissenschaftlichen
Praxis“ der DFG und dem BDG bestehen in der Frage
nach der Anonymität möglicher Hinweisgeber. Während
die DFG eine „Offenlegung des Namens […] nur im
Einzelfall“51 vorsieht, formuliert das BDG:
Egner/Uhlenwinkel · Zur Rechtstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren 1 8 1
52 § 24 Abs. 4 BDG.
53 Dennoch ist auch hier die Frage der Geheimhaltung allfälliger
Hinweisgeber und Zeugen fragwürdig, vgl. Herrmann, OdW,
2020, 65, 72. Zudem stellt sich immer auch die Frage “bösgläubiger
Hinweisgeber” (ebd., 65, 75).
54 Luhmann dekliniert die Kriterien am Beispiel von Gerichtsprozessen
durch. Um solche handelt es sich in den institutionsinternen
Verfahren an Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen
selbstverständlich nicht. Die vorgebrachte Argumentation trägt
aus unserer Sicht jedoch erheblich zur Klärung der Anforderungen
an ordentliche Verfahren bei.
55 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Suhrkamp, 1983, 59.
56 ebd., 63.
„Dem Beamten ist Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung
von Zeugen und Sachverständigen sowie an
der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und
hierbei sachdienliche Fragen zu stellen. Er kann von der
Teilnahme ausgeschlossen werden, soweit dies aus
wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den
Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte
Dritter, erforderlich ist. Ein schriftliches Gutachten ist
ihm zugänglich zu machen, soweit nicht zwingende
Gründe dem entgegenstehen.“52
Das in unserer Erhebung erfragte Prinzip des „Rechts
auf Konfrontation mit den Beschwerdeführenden“ setzt
eine Regelung wie im BDG voraus, damit die Anonymität
von Beschwerdeführenden gegenüber der mit einem
Vergehen im persönlichen Bereich beschuldigten Professorin
die Ausnahme und nicht die Regel bildet. Anders
als in Fällen wissenschaftlicher Verfehlungen, in denen
„Whistleblower“ Hinweise auf etwas geben, das in
der Regel objektivierbar und somit durch Fakten überprüfbar
ist, stellt sich die Sachlage bei Vorwürfen über
Vergehen im persönlichen Bereich anders dar. Ein Plagiat
lässt sich „auf anderem Wege“ ebenso überprüfen, wie
die Fälschung von Daten oder Titelbetrug, ohne dass die
Hinweisgeberin in Erscheinung treten oder deren Identität der beschuldigten Person offengelegt werden muss.53 Im Falle des Vorwurfs eines ‚Führungsfehlverhaltens’ jedoch handelt es sich um Aktivitäten, die im zwischenmenschlichen Bereich stattfinden. Ohne die Kenntnis von Tat, Ort und Zeit des Vorfalls, über den Beschwerde geführt wird, ist weder eine Überprüfung noch eine Stellungnahme durch die angeschuldigte Person möglich. Hier von „Whistleblowern“ zu sprechen und einen entsprechenden Zeugenschutz ins Feld zu führen, erweist sich als unüberwindbare Hürde für die beschuldigten Professorinnen, da es eine Identifizierung der konkreten Vorwürfe nach den oben genannten Kriterien ausschließt und demzufolge eine qualifizierte Stellungnahme verunmöglicht. Von den 82 % der Befragten, denen das Recht auf Konfrontation mit den Beschwerdeführenden verweigert wurde, führten viele diesen Aspekt als zentral in der eigenen Beurteilung ihrer internen Verfahren als unfair, intransparent, voreingenommen und in der Ermittlung als gegen sie gerichtet an. V. Zur Überzeugungskraft interner Verfahren Für die Möglichkeiten der „Legitimation von Verfahren“ hat Niklas Luhmann verschiedene Kriterien entwickelt, die von der Ausdifferenzierung über die Autonomie der Verfahren und den Rollenzuschreibungen in den Verfahren bis hin zu den Wirkungsmöglichkeiten der Entscheidungen in der gesellschaftlichen Umwelt reichen. Um nachvollziehen zu können, warum die internen Verfahren von den von Entlassung und öffentlicher Degradierung betroffenen Professorinnen als derart unbefriedigend empfunden werden, prüfen wir anhand des Materials der qualitativen Interviews, wie einige dieser Kriterien in den Verfahren zur Geltung kamen oder eben nicht. Es zeigen sich einige Muster, die sich aufgrund der großen Parallelitäten in Umständen und Ablauf als typisch, und somit einen bestimmten Ablauf verkörpernd, klassifizieren lassen. Die Kontrastierung dieser Fälle mit den Kriterien zur Legitimation von Verfahren verfolgt das Ziel, die Schwachpunkte der zum Einsatz gekommenen Verfahren deutlicher herauszuarbeiten. Wie alle Systeme zeichnen sich nach Luhmann auch Gerichtsprozesse54 u. a. dadurch aus, dass sie von ihrer Umwelt weitgehend getrennt sind. Informationen, die sie erreichen, werden „durch systemeigene Regeln und Entscheidungen gesteuert“55, sodass „prozeßfremde Rollen unberücksichtigt“56 bleiben. Das System filtert die für seine Zwecke relevanten Informationen heraus und deutet sie seinen eigenen Maßstäben entsprechend. Diese Deutung ist grundsätzlich kontingent. Die Überführung in ein anderes System, das die Informationen nach seinen Regeln deutet, fand in den Verfahren gegen Professorinnen, die entlassen oder degradiert wurden, mehrheitlich nicht statt. Ein Beispiel hierfür ist die Rolle der an etwa einem Drittel der Entlassungen oder Degradierungen beteiligten Nachwuchswissenschaftlerinnen.
Sie war in allen Fällen nahezu identisch: Die Professorin
1 8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
weigert sich beispielsweise, das Beschäftigungsverhältnis
einer Nachwuchswissenschaftlerin zu verlängern, weil
die bisher erbrachten Leistungen den Erwartungen nicht
entsprechen57, oder sie weist allgemein auf Mängel in ihrer
bisherigen Leistung hin. In einem Fall wurde der
Doktorandin ein Plagiat nachgewiesen58.
Eigentlich wären derartige Sachverhalte im Rahmen
der akademischen Selbstverwaltung klar und leicht zu
klären: Analog zu den Verfahren bei wissenschaftlichem
Fehlverhalten der DFG könnte ein Verfahren eingesetzt
werden, in dem überprüft wird, ob die Leistungsbewertung
durch die Professorin angemessen ist oder nicht.
Stattdessen wurde in den uns bekannten Fällen der Konflikt
auf eine persönliche Ebene verlagert: Die Nachwuchswissenschaftlerin
zum Beispiel, die nachweislich
plagiiert hatte, wirft der Professorin aus heiterem Himmel
Mobbing vor59. Folgt die Hochschulleitung diesem
Vorwurf, statt den Ausgangssachverhalt zu prüfen, wird
aus einem der objektiven Überprüfung zugänglichen
Dissens ein subjektiver Konflikt, der dem „persönlichen
Bereich“ zugeordnet wird. Wie oben bereits skizziert, ist
ein derartiger Konflikt, der sich auf die menschlichen
Beziehungen zwischen Arbeitnehmern bezieht, im Kontext
und mit den Mitteln der akademischen Selbstverwaltung
nicht zu lösen. Er müsste – hinreichende Begründung
vorausgesetzt – in ein förmliches außeruniversitäres
Verfahren überführt werden60. Dieses Verfahren
könnte dann eigene Deutungen anlegen und
beispielsweise fragen, ob es zu übler Nachrede oder Verleumdung
gekommen ist. Da es – in den geschilderten
Fällen – nicht fündig würde, müsste das Verfahren eingestellt
werden, denn einen Straftatbestand der negativen
Leistungsbeurteilung gibt es bisher (noch?) nicht.
Kommt es aber zu keinem entsprechenden Anklageverfahren,
kann die Professorin sich erst im Nachhinein, d.
h. nach der Entlassung oder öffentlichen Degradierung
vor einem ordentlichen Gericht, zur Wehr setzen. Das
Risiko für die Nachwuchswissenschaftlerin dagegen ist
überaus gering, und ihr Versuch, von ihrer fehlenden
Leistungserbringung dadurch abzulenken, dass sie als
Ursache dafür die persönliche Einstellung der Professorin
ihr gegenüber benennt, ist mit Billigung oder Unterstützung
der Hochschulleitung von Erfolg gekrönt.
Während sich dieser Typus der Konflikte auf der vertikalen
Ebene universitärer Arbeitsbeziehungen abspielt,
zeichnen sich die Konflikte der horizontalen Ebene in
den uns bekannten Fällen oft durch eine andere Struktur
aus. Die Akteure des Verfahrens sind in diesen Fällen regelmäßig
allesamt Universitätsprofessorinnen in verschiedenen Positionen. Hier kommt die Luhmannsche Unterscheidung zwischen der „Person des Entscheidenden“ 61, die „aus der Darstellung ausgeschaltet werden“62, muss und der „Person des Entscheidungsempfängers“63, die „in die Darstellung einbezogen werden“64 soll, zum Tragen. Der Einbezug des Entscheidungsempfängers dient dabei der Ermöglichung der Übernahme der Entscheidungsprämisse, damit der Konflikt am Ende tatsächlich als gelöst betrachtet werden kann. In allen uns bekannten institutionsinternen Verfahren gegen die entlassenen oder degradierten Professorinnen fand sich die Person des Entscheidenden in den Leitungsebenen der Wissenschaftseinrichtungen: Dekane und Präsidenten oder Rektoren, aber auch Mitglieder von Kommissionen, wie Ombudspersonen oder Betriebsräte. Sie alle sind nicht frei von Interessen. In nahezu der Hälfte der untersuchten Fälle lässt sich das Vorgehen der Wissenschaftseinrichtung gegen eine einzelne Professorin explizit auf Auseinandersetzungen um Ressourcen zurückführen. Dabei kann es darum gehen, sich entweder „nur“ die Kapazitäten der Professorin für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen, oder gleich darum, die Stelle an das eigene Institut zu verlagern oder mit „eigenen Leuten“ zu besetzen. In allen uns bekannten Fällen waren die Entscheidenden in zentraler Weise in die Darstellung einbezogen; sie erhielten dadurch Raum für die umfängliche Präsentation ihrer Vorstellungen. Die betroffenen Professorinnen, also die eigentlichen Entscheidungsempfängerinnen, wurden dagegen weitgehend aus der Darstellung herausgehalten. In der Logik der Entscheidenden erscheint dieses Vorgehen unter Umständen durchaus sinnvoll, da es ja letztlich auch nicht um die Entscheidungsempfängerinnen selbst geht, sondern um die Ressourcen, die sie im Kontext der Universität für ihre Forschung und Lehre genutzt haben. Zwar wurden den Professorinnen zur Begründung ihrer Entfernung „persönliche Verfehlungen“ zur Last gelegt, diese erweisen sich in der Rekonstruktion jedoch entweder als über- 57 Dies gilt in Österreich nach § 27 Abs. 2 AngG als ein rechtlich valider Entlassungsgrund – wohlgemerkt für die Person, die den Leistungen nicht entspricht, nicht derjenigen, die die Leistung bewertet. 58 Dies gilt in allen drei Ländern als wissenschaftliches Fehlverhalten. 59 Walder-Richli, Feldzug gegen eine Professorin. DhV 2004, 13f. 60 Ähnlich argumentiert Scheiber, Mut zum Recht, Falter-Verlag, 2019, 188, in Bezug auf Asylverfahren in Österreich: Sie sollten „aufgrund ihrer Tragweite auch in erster Instanz von Gerichten und nicht wie derzeit von Verwaltungsbehörden geführt werden“. 61 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Suhrkamp, 1983, 108. 62 ebd. 63 ebd. 64 ebd. Egner/Uhlenwinkel · Zur Rechtstaatlichkeit universitätsinterner Verfahren 1 8 3 aus vage oder beruhten sogar auf eigens für die vorgeworfene Verfehlung konstruierten Fakten und hatten letztlich mit der Professorin selbst nichts zu tun. Die Entwicklung dieser Dynamik ist vor dem Hintergrund der verschiedenen Hochschulreformen zu verstehen. Insbesondere seit der Bologna-Reform und der etwa zeitgleichen Entlassung der Universitäten in die sogenannte „Autonomie“ hat sich das Verständnis hin zu einer „unternehmerischen Universität“ verschoben. Die Universität wird behandelt, als ob sie ein „Betrieb“ sei. Damit einhergehend wurde mit Nachdruck der inneruniversitäre Wettbewerb zwischen Personen, Arbeitsgruppen und Organisationseinheiten gefördert und durch ein System von Kennziffern bewertet.65 Gleichzeitig fehlen die dafür notwendigen Regeln und Anleitungen, wie dieser Wettbewerb „geordnet“ ablaufen soll. Diese Situation lässt Raum, im Konfliktfall oder bei Vorliegen stark divergierender Interessen ein weiteres wichtiges Kriterium für die Legitimation durch Verfahren zu ignorieren: dass „die Einzugsbereiche für rechtliche und für faktische Entscheidungsprämissen sozial auseinandergezogen sind“66, oder anders gesagt, dass diejenigen Instanzen, die Recht setzen, nicht gleichzeitig entscheiden können, welche Sachverhalte wahr sind und welche nicht. Übersetzt in die Entscheidungsverfahren an Universitäten und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen heißt das, dass Rektoren bzw. Präsidenten (oder auch andere Leitungsebenen innerhalb der Institutionen) nicht alleine festlegen können, welche Prämissen für eine Entscheidung Gültigkeit haben, und dann gleichzeitig die Entscheidung darüber treffen, ob diese Prämissen erfüllt sind oder nicht. Derartige Anmaßungen finden sich in den Entscheidungen gegen Professorinnen jedoch immer wieder: So wurden in Ermangelung einer Tenure-Track-Ordnung die persönlichen Wünsche des Dekans oder eines Institutsleiters zum Qualitätsmaßstab, dem eine Juniorprofessorin zu genügen hatte67. An anderer Stelle wurden, unter Missachtung jeglicher datenschutzrechtlicher Bedenken, private Briefe zur Diffamierung und zur öffentlichkeitswirksamen Inszenierung immer wieder neuer interner Verfahren gegen eine Professorin genutzt, ohne diese jemals weiterzuverfolgen oder ordentlich zu einem Abschluss zu bringen: Der scheibchenweise praktizierte Rufmord ist gelungen, die Professorin von ihrer Position entfernt. Und an einer weiteren Stelle schaffte sich der Fakultätsrat die Rechtsgrundlage für die Entfernung einer Professorin selbst, indem er sie entgegen ihrer Stellung faktisch zur Juniorprofessorin erklärt und als unwürdig befindet, während andere Professorinnen in der gleichen Evaluationssituation
an der gleichen Universität in anderen Fakultäten
eine andere Behandlung erfuhren.
Sollte „Führungsfehlverhalten“ tatsächlich als ein
sanktionierbares Vergehen in Wissenschaftseinrichtungen
gelten, bedarf es dafür einer Definition der Tatbestandsmerkmale
sowie, daraus abgeleitet, der Entwicklung
und Etablierung adäquater Verfahren zur Behandlung
von Vorwürfen und Vergehen im „persönlichen Bereich“.
Andernfalls bilden – wie bisher – die Delikte aus
den Bereichen wissenschaftliches Fehlverhalten, disziplinarrechtliche
Vergehen, Persönlichkeitsverletzungen
und strafrechtlich relevante Handlungen den Rahmen
für sanktionierbare Vergehen im Wissenschaftsbereich.
Hält man an dem Vergehen ‚Führungsfehlverhalten‘
fest und entwickelt dazu weder passende Normen noch
Verfahren, liegt letztlich der Schluss nahe, dass solche
„Verfehlungen im persönlichen Bereich“ zunehmend ins
Spiel gebracht werden, um sich unliebsamer
Professor*innen aufgrund ganz anderer Motive zu entledigen.
Demnach würde hier eine Rechtslücke konstruiert,
der man sich – von Fall zu Fall bzw. „Erfolg“ zu „Erfolg“
– dann willkürlich bedienen kann, um sich Jemandem
scheinbar legal mittels Konstruktion eines „Fehlers“
entledigen zu können. Auch das könnte die auffällig
hohe Diskrepanz zwischen „Außensicht“ und „Innensicht“
in der Adäquatheit der intern zum Einsatz gekommenen
Verfahren erklären.
VI. Fazit: Funktionsfähige Wissenschaft … oder institutionelles
Scheitern?
Die Ergebnisse unserer empirischen Untersuchung zur
Entlassung oder Degradierung von Professorinnen deuten
auf frappierende systemrelevante rechtliche Lücken
bei der Behandlung der Betroffenen im Verfahren hin,
sowohl (a) hinsichtlich der Definition des Tatbestands
als auch (b) hinsichtlich der für seine Bearbeitung sinnvollen
Verfahren. (ad a) Hinsichtlich des Tatbestands
lässt sich insbesondere auch unter Berücksichtigung der
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
der FDP-Bundestagsfraktion feststellen, dass es für die
Überprüfung des Vorwurfs „Führungsfehlverhalten‘ an
einer geeigneten Definition fehlt. Wenn aber schon
unklar ist, worum es sich bei einem Vergehen eigentlich
65 Münch, Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie
der Hochschulreform, Suhrkamp. 2011, 155ff.
66 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Suhrkamp, 1983, 71.
67 Die betreffende Professur war zunächst als W2-Professur ausgeschrieben.
Die Nachwuchswissenschaftlerin wurde zum Vortrag
eingeladen und kam in die Begutachtung. Das Verfahren werde
abgebrochen und die Stelle später „W1 mit Tenure-Track-Option“,
verbunden mit denselben umfassenden Dienstaufgaben wie zuvor,
neu ausgeschrieben. Die erneute Bewerbung war erfolgreich,
die Entfristung in der Folge nicht.
1 8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
konkret handelt, ist auch unklar, wie sachlich korrekt
damit umgegangen werden kann. (ad b) Hinsichtlich der
Verfahren ist eine Verschiebung der Verantwortung von
arbeits- und dienstrechtlichen Fragen von den Ministerien
in die Universitäten selbst zu beobachten, ohne dass
die Zuständigkeitsfragen einer neuen offiziellen Regelung
zugeführt wurden. In Ermangelung entsprechender
Verfahren würden die Wissenschaftseinrichtungen idealerweise
zumindest versuchen, die mit dem neuen
Begriff des ‚Führungsfehlverhalten‘ angesprochenen
Vergehen mit den Verfahren der akademischen Selbstverwaltung
zu bearbeiten, so ungeeignet sie auch jeweils
sind. Dies findet offenbar nicht statt. Stattdessen hat die
Übertragung der Personalhoheit an die Universitäten
rechtliche (de facto rechtsfreie) Räume eröffnet, in denen
sich der gleichzeitig geförderte inneruniversitäre Wettbewerb
ohne Beschränkung entfalten kann. Nicht nur,
weil nun Organe der akademischen Selbstverwaltung
sich Gesetzgebungskompetenzen anmaßen, die sie nicht
haben, sondern auch weil es in den Ministerien – und
wie es scheint auch in der Justiz – am Willen oder an der
Einsicht mangelt, diese Maßlosigkeiten in ihre Schranken
zu weisen.
Für die entlassenen oder degradierten Professorinnen
und Professoren entsteht aus diesen Verfahrensmerkmalen
eine Situation, in der sie die Ergebnisse des
Verfahrens weder mit Überzeugung noch ohne Verluste
der eigenen Glaubwürdigkeit annehmen können. Denn
sie sehen sich als Entscheidungsempfängerinnen keinen
neutralen Entscheidern gegenüber, sondern Akteuren,
die offenbar nichts anderes im Sinn haben, als ihre eigenen
Interessen ohne Rücksicht auf etwaige rechtsstaatliche
Prinzipien und Ansprüche durchsetzen zu können.
Die starke Häufung von Entlassungen und öffentlichen
Degradierungen von Professorinnen und Professoren
seit 2015 scheint anzudeuten, dass sich der Vorwurf eines
‚Führungsfehlverhalten‘ (oder allgemeiner: Fehlverhaltens
im „persönlichen Bereich“) als besonders geeignet
erweist, um den inneruniversitären Wettbewerb um
Ressourcen mit anderen Mitteln als denen der Wissenschaft
auszutragen. Vor dem Hintergrund der Analysen
der bekannt gewordenen Entlassungen und öffentlichen
Degradierungen ziehen wir einen ersten, bereits heute
eindeutigen Schluss: Die als Täterinnen dargestellten
Professorinnen sind demnach Opfer mangelnder Regelungen
im Kontext der Hochschulreformen der letzten
20 Jahre, bei denen die Rollen- und Funktionsveränderungen
der Professorenschaft offenbar nicht berücksichtigt
wurden. Insofern beschreibt diese Analyse zugleich
ein Scheitern der Institutionen.
Da sich die Zahl der von derlei Vorgängen betroffenen
Professorinnen und Professoren in den letzten Jahren
deutlich erhöht hat, scheint sich hier ein Trend abzuzeichnen.
Verstörend dabei ist, dass gerade im Wissenschaftsbereich
nicht darauf hingewirkt wird zu vermeiden,
„dass die Erhebung der Anschuldigungen dem
Hinweisgeber Vorteile bringt“68. Damit entsteht die reale
Gefahr, dass „die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses“
69 als „ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“
70 durch die Umgangsweisen der Leitungen
wissenschaftlicher Einrichtungen mit Konflikten um
angebliches ‘Führungsfehlverhalten‘ selbst infrage gestellt
wird. Will man die Funktionsfähigkeit der Wissenschaft
nicht gefährden, ist Abhilfe geboten und dringend
erforderlich.
Heike Egner ist im Sommersemester 2021 Gastprofessorin
an der Universität für Bodenkultur Wien. Sie wurde
als Professorin für Geographie und Regionalforschung
2018 an der Universität Klagenfurt für sie überraschend
und ohne Angabe von Gründen entlassen.
Anke Uhlenwinkel ist Universitätsprofessorin für
Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde an der
Paris-Lodron-Universität Salzburg. Sie wurde 2013 mithilfe
eines im Hochschulgesetz nicht kodifizierten Verfahrens
an der Universität Potsdam als Professorin
nicht entfristet.71
68 Herrmann, OdW 2020, 65, 74.
69 ebd., 66.
70 ebd.
71 Wertheimer, OdW 2014, 81.