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Über­sicht
I. Ein­lei­tung: Gel­ten rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en auch für Uni­ver­si­tä­ten?
II. Fra­ge­stel­lung
III. Ver­wir­run­gen: Wel­ches Ver­fah­ren für wel­che Verfehlung?

  1. Wis­sen­schaft­li­ches Fehlverhalten
  2. „Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten“
    IV. Zur Rechts­staat­lich­keit der inter­nen Verfahren
  3. Wahr­neh­mung der inter­nen Ver­fah­ren durch die betrof­fe­nen Professorinnen
  4. Män­gel der zum Ein­satz gekom­me­nen Ver­fah­ren
    V. Zur Über­zeu­gungs­kraft der inter­nen Ver­fah­ren
    VI. Fazit: Funk­ti­ons­fä­hi­ge Wis­sen­schaft … oder insti­tu­tio­nel­les Schei­tern?
    I. Ein­lei­tung: Gel­ten rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en auch für Uni­ver­si­tä­ten?
    Uni­ver­si­tä­ten gel­ten als eine der zen­tra­len Insti­tu­tio­nen im sozia­len Sys­tem der Wis­sen­schaft. Über ihr Mono­pol zur Aus­bil­dung des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses und der Ver­ga­be von Bil­dungs­zer­ti­fi­ka­ten und Titeln gestal­ten sie den gesell­schaft­li­chen Pro­zess der Wis­sens­er­zeu­gung nach wie vor wesent­lich stär­ker als die übri­gen Sek­to­ren und Insti­tu­tio­nen im Wissenschaftssystem3. Als staat­li­che Insti­tu­tio­nen pro­du­zie­ren sie „öffent­li­che Güter“4 oder erbrin­gen „Leis­tun­gen, die dem Gemein­wohl dienen”5. Die Erbrin­gung die­ser Leis­tun­gen setzt eine weit­ge­hen­de Unab­hän­gig­keit der betei­lig­ten Wis­sen­schaft­lerinnen vor­aus. Dem­entspre­chend ist ihre Tätig­keit in Deutsch­land in Art. 5 Abs. 3 GG (Frei­heit von Kunst und Wis­sen­schaft, For­schung und Leh­re), in Öster­reich durch Art. 17 des Bun­des-Ver­fas­sungs­ge­set­zes und in der Schweiz durch Art. 20 der Bun­des­ver­fas­sung beson­ders geschützt. Der Ent­las­sung und Degra­die­rung von (in Deutsch­land zudem oft ver­be­am­te­ten) Wis­sen­schaft­lerinnen sind schon mit die­sen ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­sät­zen hohe Hür­den gesetzt.
    Trotz­dem wer­den seit eini­ger Zeit zuneh­mend mehr Fäl­le von Ent­las­sun­gen und öffent­li­cher Degra­die­rung von Pro­fes­so­rin­nen bekannt. Wäh­rend die Ent­las­sung zu einer kom­plet­ten Been­di­gung des Dienst­ver­hält­nis­ses führt, ver­bleibt die Pro­fes­so­rin oder der Pro­fes­sor bei einer Degra­die­rung im Dienst­ver­hält­nis, ver­liert jedoch eine oder meh­re­re hohe Posi­tio­nen. Geschieht dies unter Ein­satz der Medi­en­öf­fent­lich­keit, führt die Degra­die­rung zu einer ähn­lich gra­vie­ren­den Berufs­schä­di­gung wie die Ent­las­sung. Bei­de For­men des Umgangs las­sen sich sowohl an Uni­ver­si­tä­ten als auch an außer­uni­ver­si­tä­ren Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen beob­ach­ten und sie beschrän­ken sich nicht auf Deutsch­land, son­dern kom­men im gesam­ten deutsch­spra­chi­gen Raum, also auch in den bei­den oben bereits genann­ten Staa­ten Öster­reich und der Schweiz, vor. Auf­fäl­lig an allen Ent­las­sun­gen und öffent­li­chen Degra­die­run­gen ist, dass ihnen weder ein Fehl­ver­hal­ten im wis­sen­schaft­li­chen Bereich noch straf­recht­lich rele­van­te Sach­ver­hal­te zugrun­de lie­gen, son­dern sie ein­zig und allein auf Grün­den beru­hen, die der Per­sön­lich­keit der Betrof­fe­nen zuge­schrie­ben wer­den, also auf per­sön­lich attri­bu­ier­ten Grün­den und nicht auf objek­ti­vier­ba­ren Sachverhalten.6 Medi­en­be­rich­te über die bekannt gewor­de­nen Fäl­le zei­gen zudem, dass die Ent­las­sun­gen und Degra­die­run­gen teils unter eigen­tüm­li­chen Umstän­den erfolgt sind7. Dies hat bereits die Poli­tik erreicht: Die den Ent­las­sun­gen und öffent­li­chen Degra­die­run­gen vor­aus­ge­gan­ge­nen insti­tu­ti­ons­in­ter­nen Ver­fah­ren sind im Juli 2019 Gegen­stand einer Klei­nen Anfra­ge an die Bun­des­re­gie­rung (sowie zwei­er Nach­fra­gen zur Klei­nen Anfra­ge im Okto­ber 2019 und im Janu­Hei­ke
    Egner und Anke Uhlen­win­kel
    Zur Rechts­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren bei Ent­las­sung oder öffent­li­cher Degra­die­rung von Pro­fes­sorinnen1, 2 1 Zur gen­der­ge­rech­ten Schreib­wei­se ver­fah­ren wir wie folgt: In jenen Fäl­len, in denen fak­tisch über­wie­gend Frau­en gemeint sind, ver­wen­den wir die weib­li­che Form; ana­log dazu, in jenen Fäl­len in denen fak­tisch über­wie­gend Män­ner gemeint sind, die männ­li­che Form. An allen ande­ren Stel­len erscheint der Gen­der­stern. 2 Wir dan­ken unse­ren vier Pre-Review­ern für die aus­ge­spro­chen kon­struk­ti­ven Hin­wei­se, Kom­men­ta­re, Erwei­te­rungs­vor­schlä­ge und Ver­tie­fungs­wün­sche. 3 Becker/Wehling, Risi­ko Wis­sen­schaft. Öko­lo­gi­sche Per­spek­ti­ven in Wis­sen­schaft und Hoch­schu­le, Cam­pus, 1993, 28. 4 Zeu­ner, in: Sambale/Eick/Walk: Das Elend der Uni­ver­si­tä­ten. Neo­li­be­ra­li­sie­rung deut­scher Hoch­schul­po­li­tik, West­fä­li­sches Dampf­boot, 2008, 36. 5 ebd. 6 Egner/Uhlenwinkel, Ent­las­sung und öffent­li­che Degra­die­rung von Pro­fes­so­rin­nen. Eine empi­ri­sche Ana­ly­se struk­tu­rel­ler Gemein­sam­kei­ten anschei­nend unter­schied­li­cher „Fäl­le“, Bei­trä­ge zur Hoch­schul­for­schung, 2021, 43, Heft 1–2, 62. 7 Bspw. Buchhorn/Freisinger, Mis­si­on: Ruf­mord, mana­ger maga­zin, 2020, Heft 2, 84; Rub­ner, Die Ange­klag­ten, DIE ZEIT, 31.01.2020, 39. Ord­nung der Wis­sen­schaft 2021, ISSN 2197–9197 1 7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4 8 Klei­ne Anfra­ge an den Deut­schen Bun­des­tag: Mob­bing-Anschul­di­gun­gen an außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen und dar­aus fol­gen­de Unter­su­chun­gen, 17.07.2019, Druck­sa­che 19/11732; Nach­fra­ge, 04.10.2019, Druck­sa­che 19/13751; zwei­te Nach­fra­ge, 17.01.2020, Druck­sa­che 19/16594. 9 Klei­ne Anfrage,17.07.2019, Druck­sa­che 19/11732, Fra­ge 26, 6. 10 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung vom 05. 08. 2019, Druck­sa­che 19/12165, 10. 11 ebd. 12 Egner/Uhlenwinkel, Bei­trä­ge zur Hoch­schul­for­schung, 2021, Jg. 43, Heft 1–2, 75 f. 13 Wal­der-Rich­li, Feld­zug gegen eine Pro­fes­so­rin. Gleich­zei­tig Ana­ly­se der mit einem Lehr­stuhl in der Schweiz ver­bun­de­nen Fähr­nis­se samt zwölf Merk­punk­te für all­fäl­li­ge Beru­fungs­ge­sprä­che, DHV, 2004, 25. 14 Kie­ser­ling, in: Jahraus/Nassehi/Grizelj/Saake/Kirchmeier/Müller: Luh­mann Hand­buch. Leben – Werk – Wir­kung, J.B.Metzler, 2012, 145 f.; Schei­ber, Mut zum Recht. Plä­doy­er für einen moder­nen Rechts­staat, Fal­ter-Ver­lag, 2019, 149. 15 Luh­mann, Legi­ti­ma­ti­on durch Ver­fah­ren, Suhr­kamp, 1983. 16 Auf den Aspekt, dass “Selbst­ähn­lich­keit” einer­seits Vor­aus­set­zung, ande­rer­seits Prin­zip und gleich­zei­tig Ergeb­nis von Glo­ba­li­sie­rungs­dy­na­mi­ken von sozia­len Sys­te­men ist, haben Alt­va­ter & Mahn­kopf (Gren­zen der Glo­ba­li­sie­rung. Öko­no­mie, Öko­lo­gie und Poli­tik in der Welt­ge­sell­schaft, West­fä­li­sches Dampf­boot, 2007, 152 ff) unter dem Stich­wort Frak­ta­li­sie­rung hin­ge­wie­sen. 17 Egner/Uhlenwinkel, Bei­trä­ge zur Hoch­schul­for­schung, 2021, Jg. 43, Heft 1–2, Tabel­le 1. ar 2020)8 der FDP-Bun­des­tags­frak­ti­on gewor­den. Auf die Fra­ge, wel­che Mög­lich­kei­ten die Bun­des­re­gie­rung sehe, dar­auf hin­zu­wir­ken, „dass Ver­fah­ren, die ohne nach­voll­zieh­ba­re Struk­tur, Sys­te­ma­tik und Regel­werk statt­ge­fun­den haben, neu bewer­tet und ggf. neu auf­ge­rollt werden“9, erhal­ten die Fra­ge­stel­ler die Ant­wort, dass der Bun­des­re­gie­rung „kein der­ar­ti­ger Fall bekannt“10 sei und sie „des­halb […] kei­ne Notwendigkeit“11 für ent­spre­chen­de Hand­lun­gen sehe. Ganz anders bewer­ten die von Ent­las­sung und öffent­li­cher Degra­die­rung betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen sowie exter­ne Beob­ach­ter der Ver­fah­ren die Situa­ti­on. In einer ver­glei­chen­den Stu­die über die Ent­las­sung oder öffent­li­che Degra­die­rung von Pro­fes­so­rin­nen in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz gaben alle (!) befrag­ten Pro­fes­so­rin­nen an, dass sie jene Ver­fah­ren, die insti­tu­ti­ons­in­tern ihrer Ent­las­sung oder Degra­die­rung vor­aus­ge­gan­ge­nen waren, als unfair, intrans­pa­rent und vor­ein­ge­nom­men wahr­ge­nom­men haben, und dass sie aus ihrer Sicht grund­le­gen­der rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en entbehrten12. Ein ein­schlä­gig geschul­ter Beob­ach­ter eines der Ver­fah­ren schreibt, dass er in sei­ner „lang­jäh­ri­gen juris­ti­schen Tätig­keit […] noch kaum je gese­hen [habe], dass die rechts­staat­li­chen Grund­sät­ze der­art mit Füs­sen getre­ten wor­den wären“13. Die­ser Befund ist alar­mie­rend. Denn neben der Absicht, dass die für der­ar­ti­ge Ver­fah­ren vor­ge­se­he­nen Regeln und Rol­len die Ent­schei­dungs­pro­zes­se sichern und ver­bes­sern sol­len, haben Ver­fah­ren vor allem auch den Zweck, die unter­le­ge­ne Par­tei von der Rich­tig­keit (Wahr­heit, Gerech­tig­keit) der Ent­schei­dung zu überzeugen14. Dass geord­ne­te Ver­fah­ren zur Legi­ti­ma­ti­on von recht­lich ver­bind­li­chen Ent­schei­dun­gen nicht nur bei­tra­gen, son­dern die­se tra­gen kön­nen, gehört zu den zen­tra­len Vor­stel­lun­gen libe­ra­ler Gesell­schaf­ten, die Niklas Luh­mann in der Kurz­for­mel „Legi­ti­ma­ti­on durch Verfahren“15 fass­te. II. Fra­ge­stel­lung Vor die­sem Hin­ter­grund geht der Bei­trag der Fra­ge nach, war­um die zur Anwen­dung gekom­me­nen inter­nen Ver­fah­ren offen­bar nicht geeig­net waren, die Betrof­fe­nen (sowie Drit­te, die Ein­blick in die kom­ple­xen Sach­la­gen haben) von der Legi­ti­mi­tät der Ent­las­sungs- oder Degra­die­rungs­ent­schei­dung zu über­zeu­gen. Vor dem Hin­ter­grund der Grund­sätz­lich­keit der Fra­ge­stel­lung spie­len weder die kon­kre­ten Aspek­te der Anstel­lung der aus ihrer Posi­ti­on ent­fern­ten Pro­fes­so­rin (wie z. B. die Art des Dienst­ver­hält­nis­ses – ver­be­am­tet oder ange­stellt; Art der Wis­sen­schafts­in­sti­tu­ti­on – Uni­ver­si­tät, Fach­hoch­schu­le oder außer­uni­ver­si­tä­re Wis­sen­schafts­ein­rich­tung) noch die spe­zi­fi­schen poli­ti­schen oder recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen der Insti­tu­tio­nen eine Rol­le. Wir bezie­hen in unse­re Beob­ach­tung Fäl­le aus allen drei Län­dern des deutsch­spra­chi­gen Raums ein, wohl wis­send, dass sich die Situa­tio­nen der Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen sowohl his­to­risch, aber auch poli­tisch und recht­lich unter­schei­den. Gleich­wohl ähneln sich die prin­zi­pi­el­len Regeln für ordent­li­che Ver­fah­ren und kön­nen über all­ge­mein for­mu­lier­te rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en gefasst wer­den. Die ver­glei­chen­de Stu­die zur Ent­las­sung von Pro­fes­so­rin­nen in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz ergab eine so frap­pie­ren­de Ähn­lich­keit in der Art der Ver­fah­ren und der Art und Wei­se des Umgangs mit den Betrof­fe­nen, dass von einer gro­ßen Selbstähnlichkeit16 der Ent­wick­lun­gen aus­ge­gan­gen wer­den kann. Dar­über hin­aus zeigt die Erhe­bung auch, dass in Öster­reich und der Schweiz fast aus­schließ­lich Aus­län­de­rin­nen von Ent­las­sung betrof­fen sind, wovon die meis­ten deut­scher Her­kunft waren17. Die Über­prü­fung des Vor­wurfs einer Ver­feh­lung, die zu einer Ent­las­sung oder öffent­li­chen Degra­die­rung einer Pro­fes­so­rin füh­ren kann, setzt vor­aus, dass einer­seits Egner/Uhlenwinkel · Zur Recht­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren 1 7 5 18 Klei­ne Anfra­ge, 17.07.2019, Druck­sa­che 19/11732, 1. 19 ebd. 20 ebd., 3 21 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung, 05.08.2019, Druck­sa­che 19/12165, 2. die Ver­feh­lung sank­ti­ons­fä­hig defi­niert ist und die Ver­fah­ren der vor­ge­wor­fe­nen Ver­feh­lung ange­mes­sen sind. Hier sind erheb­li­che Zwei­fel ange­bracht. Aus der Beschrei­bung der Situa­ti­on von Sei­ten der Wis­sen­schafts­po­li­tik (Kapi­tel 2) wird deut­lich, dass bereits die Sach­ver­halts­be­schrei­bun­gen im Wesent­li­chen opak und damit auch die Art der Ver­feh­lung unklar sind. Dem­zu­fol­ge müs­sen den dort beschrie­be­nen Ver­feh­lun­gen schon struk­tu­rell bedingt unge­eig­ne­te Ver­fah­rens­ab­läu­fe zuge­ord­net wer­den. Dar­über hin­aus ist zu erwar­ten, dass bei inter­nen Ver­fah­ren, die einer Ent­schei­dung mit für die betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen so schwer­wie­gen­den Fol­gen vor­aus­ge­hen, all­ge­mein­gül­ti­ge Geset­ze (z. B. Straf­recht, Arbeits­recht, Dienst­recht, Hoch­schul­recht) auch im Wis­sen­schafts­be­reich berück­sich­tigt und die ihnen zugrun­de­lie­gen­den rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en in insti­tu­ti­ons­in­ter­nen Ver­fah­ren beach­tet wer­den. Auch hier erschei­nen Zwei­fel ange­bracht (Kapi­tel 3.2). Wie sich die­se Unklar­hei­ten im Kon­kre­ten nie­der­schla­gen, zeigt und dis­ku­tiert Kapi­tel 4 an aus­ge­wähl­ten und zum Schutz der Betei­lig­ten anony­mi­sier­ten Bei­spie­len. Es geht uns dabei nicht um die Beleuch­tung einer kon­kre­ten Ent­schei­dung oder eines spe­zi­fi­schen Falls an einer Uni­ver­si­tät oder außer­uni­ver­si­tä­ren Wis­sen­schafts­ein­rich­tung; auch nicht um juris­ti­sche Aspek­te die­ser oder jener Ein­zel­ent­schei­dung eines Prä­si­den­ten oder Rek­tors; und schon gar nicht um die Fra­ge, ob die­se oder jene Pro­fes­so­rin zu Recht oder Unrecht von ihrer Posi­ti­on ent­fernt wur­de. Dies ordent­lich fest­zu­stel­len, wäre die Auf­ga­be der Lei­tung der Wis­sen­schafts­in­sti­tu­tio­nen vor der Ent­schei­dung gewe­sen, und es ist allen­falls die Auf­ga­be von Gerich­ten, dies im Nach­gang zu prü­fen. Viel­mehr rich­ten wir unse­ren Fokus auf die Art der insti­tu­ti­ons­in­tern zum Ein­satz gekom­me­nen Ver­fah­ren, die der Ent­schei­dungs­fin­dung durch die Lei­tung vor­aus­gin­gen. Die­ser Bei­trag ist somit auch der Ver­such einer Rekon­struk­ti­on juris­ti­scher Ver­fah­rens­fra­gen mit sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Mit­teln – durch­aus ver­bun­den mit der Hoff­nung, Juris­tin­nen oder Juris­ten mögen dies als Her­aus­for­de­rung ver­ste­hen und sich die­ser Pro­ble­ma­tik anneh­men. III. Ver­wir­run­gen: Wel­ches Ver­fah­ren für wel­che Ver­feh­lung? Die Ergeb­nis­se der Stu­die über die Ent­las­sung oder öffent­li­chen Degra­die­rung von Pro­fes­so­rin­nen zei­gen unter ande­ren, – dass kei­ne der Pro­fes­so­rin­nen auf­grund eines Fehl­ver­hal­tens in der Wis­sen­schaft, son­dern allein auf­grund per­sön­lich attri­bu­ier­ter Grün­de ent­las­sen oder degra­diert wur­de; – dass anony­me Vor­wür­fe oft die Grund­la­ge für die Ent­fer­nung der Pro­fes­so­rin aus ihrer Posi­ti­on bil­de­ten; – dass vor allem Frau­en (68 %) und Aus­län­de­rin­nen (63 %) davon betrof­fen waren, und – dass die Fäl­le seit 2015 zuneh­men (11 der ins­ge­samt 19 seit dem Jahr 2000 bekannt gewor­de­nen Ent­las­sun­gen / öffent­li­chen Degra­die­run­gen (= 58 %) fan­den zwi­schen 2015 und 2020 statt). Eine der grund­le­gen­den Fra­gen bei der Behand­lung der Ent­las­sun­gen oder öffent­li­chen Degra­die­run­gen von Pro­fes­so­rin­nen auf­grund per­sön­lich attri­bu­ier­ter Vor­wür­fe beginnt bereits bei der Ent­schei­dung über das ange­mes­se­ne Ver­fah­ren zur Prü­fung der Ange­le­gen­heit. Da es sich augen­schein­lich um ein neu­es Phä­no­men han­delt, herrscht über die adäqua­te Vor­ge­hens­wei­se zur Klä­rung der Vor­wür­fe oder Sach­ver­hal­te der­zeit offen­bar Unklar­heit. Auch der Klei­nen Anfra­ge der FDP lie­gen sehr unter­schied­li­che Ver­ge­hen zugrun­de, die in den Fra­gen oft in eins gesetzt wer­den. Im ein­lei­ten­den Text ist zunächst von „wis­sen­schaft­li­chem Fehl­ver­hal­ten“, von „Mob­bing­vor­wür­fen“ und von „Machtmissbrauch“18 die Rede. Spä­ter wird das Fehl­ver­hal­ten nicht näher spe­zi­fi­ziert, dafür aber mit der Straf­ge­setz­ge­bung in Ver­bin­dung gebracht: die Per­so­nen sei­en „eines Fehl­ver­hal­tens oder einer Straf­tat angeklagt“19. Eine wei­te­re Fra­ge nennt „Führungsfehlverhalten“20 als Vor­wurf. Die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung führt die­se Ver­wir­rung fort und spricht in der Ein­lei­tung in einem Atem­zug von „wis­sen­schaft­li­chem und per­sön­li­chem Fehlverhalten“21. Ange­sichts die­ses Pot­pour­ris an mögli1 7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4 22 Herr­mann, Wie Hoch­schu­len mit anony­men Ver­dachts­äu­ße­run­gen umge­hen müs­sen, OdW 2020, 66, 69. 23 DFG, Leit­li­ni­en zur Siche­rung der guten wis­sen­schaft­li­chen Pra­xis, 2019. 24 DFG Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem Fehl­ver­hal­ten, 2019. 25 ebd., III 1. a) (2). 26 ebd., III 3. b) (2). 27 ebd. 28 Im Digi­ta­len Wör­ter­buch der Deut­schen Spra­che, https://www. dwds.de/?q=Führungsfehlverhalten (20.08.2020) kommt der Begriff bis­her nicht vor, auch wenn er gera­de durch die Ent­las­sun­gen oder Degra­die­run­gen von Pro­fes­sorinnen nun im Sprach­ge­brauch
    öfter auf­tritt, jedoch ohne Defi­ni­ti­on, was dar­un­ter zu
    ver­ste­hen sei.
    29 Klei­ne Anfra­ge, 17.07.2019, Druck­sa­che 19/11732, 5.
    chen Vor­wür­fen ver­wun­dert es kaum, dass die Fra­ge
    nach den jeweils ange­mes­se­nen Ver­fah­ren sowohl auf
    Sei­ten der Fra­gen­den als auch auf Sei­ten der Ant­wor­ten­den
    wenig über­zeu­gend abge­han­delt wird.
    Grund­sätz­lich las­sen sich hier zwei Grup­pen von
    Ver­stö­ßen unter­schei­den, die in der Klei­nen Anfra­ge
    und der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung mit­ein­an­der ver­mischt
    wer­den, die jedoch eine fun­da­men­tal unter­schied­li­che
    Bedeu­tung haben: (a) wis­sen­schaft­li­ches
    Fehl­ver­hal­ten, das im Hin­blick auf die Gemein­wohl­be­deu­tung
    wis­sen­schaft­li­cher Pro­zes­se ver­folgt wird22 und
    in den Bereich der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung fällt,
    und (b) „Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten“, unter das Mob­bing
    und Macht­miss­brauch sub­su­miert wer­den kön­nen. Die
    Fra­ge nach dem ange­mes­se­nen Ver­fah­ren für ein Ver­ge­hen
    muss sich an dem Fehl­ver­hal­ten ori­en­tie­ren, das
    vor­ge­wor­fen wird.
  5. Wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten
    Bis­lang lie­gen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten des inner­uni­ver­si­tä­ren
    Bereichs allein für wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten
    (Fall a) vor. Hier­für wur­den umfang­rei­che und
    detail­lier­te Instru­men­te ent­wi­ckelt. Wis­sen­schaft­li­ches
    Fehl­ver­hal­ten kann mit Hil­fe der „Leit­li­ni­en zur Siche­rung
    guter wis­sen­schaft­li­cher Praxis“23 und der „Ver­fah­rens­ord­nung
    zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem Fehl­ver­hal­ten“
    24 der DFG ver­folgt wer­den, wie es fol­ge­rich­tig
    auch in der Klei­nen Anfra­ge, den zwei Nach­fra­gen und
    den Ant­wor­ten der Bun­des­re­gie­rung mehr­fach benannt
    wird. Wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten liegt bei­spiels­wei­se
    dann vor, wenn Wis­sen­schaft­lerinnen Falsch­an­ga­ben machen, etwa durch die freie Erfin­dung von Daten, oder wenn sie sich frem­de wis­sen­schaft­li­che Leis­tun­gen zu eigen machen, z. B. in Form eines Pla­gi­ats oder eines Ideen­dieb­stahls. Gemäß den DFG-Richt­li­ni­en wird das Vor­lie­gen wis­sen­schaft­li­chen Fehl­ver­hal­tens in einem zwei­stu­fi­gen Ver­fah­ren aus Vor­prü­fung und, bei Bedarf, dem förm­li­chen Ver­fah­ren fest­ge­stellt. Aus­gangs­punkt der Unter­su­chung kann dabei auch ein anony­mer Hin­weis sein. Unge­ach­tet der Anony­mi­tät der Erstan­zei­ge ist „dem vom Ver­dacht des Fehl­ver­hal­tens Betrof­fe­nen unter Nen­nung der belas­ten­den Tat­sa­chen und Beweis­mit­tel Gele­gen­heit zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me zu geben“25. Ver­här­ten sich die Ver­dachts­mo­men­te, schließt sich ein förm­li­ches Ver­fah­ren an, in dem den Betrof­fe­nen erneut die „Gele­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu geben“26 ist. Auf Wunsch ist eine münd­li­che Anhö­rung anzu­be­rau­men, zur der „sie bzw. er eine Per­son ihres bzw. sei­nes Ver­trau­ens als Bei­stand hinzuziehen“27 kann. Die Anony­mi­tät der Hin­weis­ge­berinnen bleibt unberührt.
  6. „Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten“
    Für die ange­mes­se­ne Behand­lung des Vor­wurfs eines
    Fehl­ver­hal­tens im per­sön­li­chen Bereich, der sich auf kei­ne
    straf­recht­lich rele­van­ten Tat­be­stän­de bezie­hen kann,
    lie­gen kei­ner­lei Ver­fah­rens­re­geln vor. Die Ant­wort der
    Bun­des­re­gie­rung auf die Klei­ne Anfra­ge impli­ziert, dass
    die Ver­fah­rens­re­geln für wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten
    auf die Unter­su­chung von ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘
    ange­wen­det wer­den könn­ten. Dies erweist sich aus drei
    Grün­den als unan­ge­mes­sen:
    – Ers­tens wird ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ in der DFG­Ver­fah­rens­ord­nung
    nicht nur nicht näher, son­dern
    gar nicht bestimmt. Dies wie­der­um nimmt nicht
    wun­der, da der Begriff des ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­tens‘
    (bis­lang zumin­dest) im deut­schen Wort­schatz offi­zi­ell
    nicht hin­rei­chend defi­niert wur­de und damit
    nicht existiert28. Für die Defi­ni­ti­on eines Fehl­ver­hal­tens
    im Füh­rungs­be­reich wäre wie­der­um ein Ver­ständ­nis
    davon, was unter ‚Füh­rungs­wohl­ver­hal­ten‘
    zu ver­ste­hen ist, von­nö­ten – eben­falls ein Begriff,
    der in unse­rer Spra­che (bis­lang) fehlt.
    – Zwei­tens setzt die Mög­lich­keit der Stel­lung­nah­me
    bei Vor­wür­fen von ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ vor­aus,
    dass Ort, Zeit und Per­so­nen genannt wer­den, damit
    die Vor­wür­fe nicht in „all­ge­mei­nen Aussagen“29 ver­fan­gen
    blei­ben. Zur Ver­deut­li­chung stel­le man sich
    ana­log eine „all­ge­mei­ne Aus­sa­ge“ zu wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten vor: „Sie / er hat pla­gi­iert.” –
    „Wo?” – „Weiß ich nicht genau.“ – “Bei wem abge­schrie­ben?”
    – “Weiß ich auch nicht.” Es wird deut­lich:
    Das Ver­fah­ren hät­te sich sehr schnell erle­digt.
    – Drit­tens über­steigt der Vor­wurf von ‚FührungsfehlEgner/
    Uhlen­win­kel · Zur Recht­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren 1 7 7
    30 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung, 05.08.2019, Druck­sa­che 19/12165,
    2.
    31 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung, 05.08.2019, Druck­sa­che 19/12165,
    8: „15. Hält die Bun­des­re­gie­rung die Anony­mi­sie­rung von Per­so­nen
    im Zuge der Arbeit der Kom­mis­sio­nen für ange­mes­sen?“; (a)
    Geht die Bun­des­re­gie­rung bei einer sol­chen Anony­mi­sie­rung von
    einem fai­ren Ver­fah­ren aus (bit­te begrün­den)?; (b) Wie ist nach
    Auf­fas­sung der Bun­des­re­gie­rung eine fai­re und fak­ten­ba­sier­te
    Auf­klä­rung von Sach­ver­hal­ten mög­lich, wenn kei­ne kon­kre­ten
    Vor­wür­fe, die es erlau­ben, Zeit, Ort und Per­so­nen zu ken­nen,
    vor­ge­legt wer­den, son­dern nur all­ge­mei­ne Aus­sa­gen?; © Hält
    die Bun­des­re­gie­rung eine Anony­mi­sie­rung für ange­mes­sen,
    wenn zum Zeit­punkt des Ver­fah­rens kei­ner­lei Betreu­ungs- und/
    oder Abhän­gig­keits­ver­hält­nis mit den Beklag­ten mehr besteht?“;
  7. „Wie ist nach Kennt­nis der Bun­des­re­gie­rung die Tat­sa­che zu
    bewer­ten, dass die Gewäh­rung von ein­sei­ti­ger Anony­mi­tät nur
    für die Beschwer­de­füh­rer sowohl Dia­log als auch Klä­rung von
    Sach­ver­hal­ten erschwert und die Mög­lich­keit für Ver­leum­dung,
    pri­va­te Rache­ak­tio­nen und fal­sche Anschul­di­gun­gen eröff­net?“.
    32 Klei­ne Anfra­ge, 17.07.2019, Druck­sa­che 19/11732, 7.
    33 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung, 05.08.2019, Druck­sa­che 19/12165,
    11.
    34 ebd.
    35 Smut­ny, Mob­bing – recht­li­che Über­le­gun­gen, WISO, 2017, 40, 87,
    88.
    36 ebd., 89.
    37 Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung, 05. 08. 2019, Druck­sa­che
    19/12165, 11.
    38 DFG, Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten. 2019, III 3. c).
    39 ebd.
    ver­hal­ten‘ die Kom­pe­ten­zen der aka­de­mi­schen
    Selbst­ver­wal­tung, weil es sich dabei um kein wis­sen­schafts­spe­zi­fi­sches
    Pro­blem han­delt. Es müss­ten
    also bei die­ser Art des Vor­wurfs Ver­fah­ren zum Ein­satz
    kom­men, in denen Drit­te jen­seits des uni­ver­si­tä­ren
    Betriebs mit ein­be­zo­gen wer­den.
    Ent­spre­chend der feh­len­den Tren­nung der ver­schie­de­nen
    Ver­ge­hen schwankt die Bun­des­re­gie­rung in ihrer
    Ant­wort auf die Klei­ne Anfra­ge der FDP hin­sicht­lich der
    Bear­bei­tung des ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’ bei der Benen­nung
    der rele­van­ten Ver­fah­rens­schrit­te. Dabei bleibt sogar
    der recht­li­che Bezugs­rah­men unklar: Er reicht von
    wis­sen­schafts­in­ter­nen Ver­fah­rens­re­geln über Arbeits­recht
    bis hin zum Straf­recht. In ihrer Ein­lei­tung ver­weist
    die Bun­des­re­gie­rung zunächst auf arbeits­recht­li­che Vor­schrif­ten
    und dann hin­sicht­lich des „Umgangs mit wis­sen­schaft­li­chem
    und per­sön­li­chem Fehlverhalten“30 auf
    die Grund­prin­zi­pi­en der Inter­na­tio­na­len Ombuds­ver­ei­ni­gung.
    Inter­ne Ver­fah­ren wie die­se könn­ten zudem einer
    spä­te­ren Über­prü­fung durch die Gerichts­bar­keit unter­zo­gen
    wer­den. Spä­tes­tens bei der Ant­wort auf die Fra­gen
    15 und 16 der Klei­nen Anfrage31 impli­ziert die Bun­des­re­gie­rung
    aber auch die Mög­lich­keit der Nut­zung der
    DFG-Ver­fah­rens­ord­nung zur Fest­stel­lung von ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘.
    In der Ant­wort auf die Fra­ge nach
    der “recht­li­chen oder anders kodi­fi­zier­ten Grundlage”32,
    auf der „Ankla­gen wegen Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten erho­ben“
    33 wer­den kön­nen, ver­weist sie dage­gen auf
    § 170 Abs. 1 StPO, nach dem Ankla­gen „von der Staats­an­walt­schaft
    erho­ben [wer­den], wenn der hin­rei­chen­de
    Tat­ver­dacht einer Straf­tat vorliegt“34.
    Wenn ein ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’ straf­recht­lich ver­folgt
    wer­den soll, müss­te jedoch ein ent­spre­chen­der Tat­be­stand
    vor­lie­gen. Dies ist schon beim Mob­bing nicht
    der Fall: Wer hier­ge­gen kla­gen will, muss sich auf ein­zel­ne
    Straf­tat­be­stän­de, wie üble Nach­re­de, Ver­leum­dung
    oder Kör­per­ver­let­zung, bezie­hen. In Öster­reich wird im
    Dienst­recht für Beam­te des Bun­des zwar ein Mob­bing-
    Ver­bot ausgesprochen35, aber es fehlt eine all­ge­mei­ne
    Defi­ni­ti­on von Mobbing36. Beim ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’
    legt die Bun­des­re­gie­rung selbst in ihrer Ant­wort
    nahe, dass es kei­ne recht­lich ver­bind­li­che Vor­stel­lung
    davon gibt, was dar­un­ter zu ver­ste­hen sei. Statt­des­sen
    ver­weist sie auf inter­ne Per­so­nal­ent­wick­lungs­kon­zep­te
    der betref­fen­den Forschungseinrichtungen37. Ein Ver­stoß
    gegen sol­che Kon­zep­te kann jedoch nicht straf­recht­lich
    ver­folgt wer­den, weil es sich dabei um kei­nen
    Ver­stoß gegen Geset­ze han­delt. Wenn aber offen­bleibt,
    auf­grund wel­cher Geset­ze oder Bestim­mun­gen eine für
    die Betrof­fe­nen exis­tenz­be­dro­hen­de oder ‑ver­nich­ten­de
    Ent­schei­dung getrof­fen wur­de, ist auch frag­lich, was eine
    nach­fol­gen­de Gerichts­bar­keit ent­schei­den soll­te. Sie
    könn­te tat­säch­lich nur Will­kür fest­stel­len, die in jedem
    Fall rechts­wid­rig wäre. Die Bun­des­re­gie­rung kann nicht
    ernst­haft für ein der­art eigen­wil­li­ges Vor­ge­hen der Uni­ver­si­täts­lei­tun­gen
    plä­die­ren oder sol­ches als adäquat
    hin­stel­len.
    Eben­so unge­re­gelt und dem­entspre­chend unan­ge­mes­sen
    ist der der­zei­ti­ge Umgang mit dem Vor­wurf des
    ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’ hin­sicht­lich der Kon­se­quen­zen:
    Wäh­rend die DFG in ihrer „Ver­fah­rens­ord­nung zum
    Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem Fehl­ver­hal­ten“ einen
    Maß­nah­men­ka­ta­log vor­sieht, der aus gestuf­ten Sank­tio­nen
    „je nach Art und Schwe­re des fest­ge­stell­ten Fehl­ver­hal­ten“
    38 besteht und von der schrift­li­chen Rüge, über
    die Rück­nah­me von För­der­ent­schei­dun­gen bis zur Aberken­nung
    des akti­ven und pas­si­ven Wahl­rechts für die
    Orga­ne und Gre­mi­en der DFG reicht39, wird angeb­li­ches
    ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’ in der Pra­xis nun­mehr regel­mä­ßig
    mit Ent­las­sung oder öffent­li­cher Degra­die­rung geahn­det.
    Schon die feh­len­de Nen­nung die­ser Fol­gen im
    Maß­nah­men­ka­ta­log der DFG zeigt, dass die­ses Ver­fah­ren
    im Fall des Vor­wurfs von ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’
    unge­nü­gend ist. Wenn für den Vor­wurf eines Fehl­ver­hal­tens
    im per­sön­li­chen Bereich, der sich auf kei­ne dis­zi­pli­nar-
    oder straf­recht­lich rele­van­ten Tat­be­stän­de bezie1
    7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
    40 § 27 AngG (Öster­reich).
    41 ebd.
    42 § 24 Abs. 4 BDG.
    43 Egner/Uhlenwinkel, Bei­trä­ge zur Hoch­schul­for­schung, 2021, Jg.
    43, Heft 1–2, 74.
    44 Die hier auf­ge­führ­ten Prin­zi­pi­en wur­den im Rah­men der
    Tagung „Vor­wür­fe ohne Absen­der. Zum Umgang mit anony­men
    Vor­wür­fen in der Wis­sen­schaft” (20./21.02.2020 in Pas­sau) von
    ver­schie­de­nen Refe­ren­ten aus Wis­sen­schafts­po­li­tik, Ombuds­we­sen
    und Recht genannt, eher neben­bei und als selbst­ver­ständ­li­che
    Ele­men­te von wis­sen­schafts­in­ter­nen Ver­fah­ren zur Prü­fung von
    Fehl­ver­hal­ten.
    hen kann, kei­ner­lei Ver­fah­rens­re­geln vor­lie­gen, kann
    das eigent­lich nur den Schluss zulas­sen, dass es ohne einen
    „ver­fah­rens­wür­di­gen“ Vor­gang auch kei­ne Schluss­fol­ge­run­gen
    und Kon­se­quen­zen wie Ent­las­sun­gen geben
    darf.
    Woll­te man ’Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten’ als Ent­las­sungs­grund
    sehen, müss­te man es, ähn­lich dem Mob­bing, mit
    vor­han­de­nen Straf­tat­be­stän­den kop­peln, wie etwa Untreue
    oder Tät­lich­kei­ten und Ver­let­zung der Sitt­lich­keit
    im Betrieb40, oder sich auf gesetz­lich fest­ge­leg­te mög­li­che
    Ent­las­sungs­grün­de beru­fen, wie etwa Wei­ge­rung
    oder Unfä­hig­keit, die ver­ein­bar­ten Dienst­leis­tun­gen zu
    erbrin­gen, Ver­lei­tung ande­rer Bediens­te­ter zum Unge­hor­sam
    gegen den Arbeit­ge­ber oder län­ge­re Frei­heits­stra­fen.
    41 Zur Ermitt­lung der Rich­tig­keit der Anschul­di­gun­gen
    bräuch­te es ein Ver­fah­ren, das zumin­dest inso­weit
    einem Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ähnelt, als es die Anony­mi­tät
    der Zeu­gen nicht als Regel, son­dern als
    Aus­nah­me definiert42. Anders als im Fall von wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten wird eine Sach­ver­halts­auf­klä­rung
    von ’Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ bei gleich­zei­ti­ger
    Auf­recht­erhal­tung der Anony­mi­tät der Zeu­gen
    ver­un­mög­licht.
    Dies lässt den Schluss zu: Wer ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘
    mit der „Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten“ der DFG ver­fol­gen will,
    ist sich bewusst, dass die vor­ge­ge­be­nen Grün­de für ein
    ordent­li­ches Ver­fah­ren (Dis­zi­pli­nar- oder Straf­ver­fah­ren)
    nicht aus­rei­chen. Eine Wahl zwi­schen inter­ner Unter­su­chung
    und Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren, wie sie eine Fra­ge
    der FDP-Frak­ti­on des Bun­des­ta­ges nahe­legt, erscheint
    schon von daher wenig sinn­voll. In bei­den Fäl­len wer­den
    sehr ver­schie­de­ne Tat­be­stän­de unter­sucht, die auf­grund
    ihrer Unter­schied­lich­keit auch ver­schie­de­ne Ver­fah­ren
    erfor­dern. Wäh­rend für wis­sen­schaft­li­che Ver­feh­lun­gen
    kla­re Ver­fah­ren und Rege­lun­gen ent­wi­ckelt und immer
    wie­der ver­bes­sert wur­den, feh­len für jene Ver­feh­lun­gen
    „im per­sön­li­chen Bereich“, die aktu­ell zuneh­mend zur
    Ent­fer­nung von Pro­fes­so­rin­nen als Begrün­dung her­an­ge­zo­gen
    wer­den, ganz offen­bar ange­mes­se­ne Begrif­fe,
    Ver­fah­ren und Rege­lun­gen.
    IV. Zur Rechts­staat­lich­keit der inter­nen Ver­fah­ren
    Wäh­rend die Klei­ne Anfra­ge an die Bun­des­re­gie­rung
    mit ihren bei­den Nach­fra­gen und den jewei­li­gen Ant­wor­ten
    der Bun­des­re­gie­rung gleich­sam eine „Außen­sicht“
    auf die insti­tu­ti­ons­in­ter­nen Ver­fah­ren dar­stellt,
    ermög­li­chen die Berich­te der von Ent­las­sung oder
    Degra­die­rung betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen eine Innen­sicht
    aus dem Erle­ben der Ver­fah­ren. Die­ses Kapi­tel
    fokus­siert zunächst auf die zum Ein­satz gekom­me­nen
    inter­nen Ver­fah­ren mit Blick auf die Beach­tung zen­tral
    erschei­nen­der rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en (Abschnitt
    III.1). Die Dis­kus­si­on der Befun­de erfolgt ent­lang der
    von der Bun­des­re­gie­rung in ihrer Ant­wort auf die Klei­ne
    Anfra­ge vor­ge­schla­ge­nen Vor­ge­hens­wei­se anhand
    der „Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten“ (Abschnitt III.2.). Dies bringt
    Stär­ken und Schwä­chen des Vor­schlags zum Vorschein.
  8. Wahr­neh­mung der inter­nen Ver­fah­ren durch die
    betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen
    Die Stu­die über die Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de
    ent­las­se­ner oder öffent­lich degra­dier­ter Professorinnen43
    ver­glich auf der Grund­la­ge von Medi­en­ana­ly­sen,
    stan­dar­di­sier­ten Fra­ge­bö­gen und qua­li­ta­ti­ven Inter­views
    ins­ge­samt 19 Fäl­le aus den so genann­ten D‑A-CH-Staa­ten
    (Deutsch­land [= 7 Fäl­le], Öster­reich [= 4 Fäl­le] und
    der Schweiz [= 8 Fäl­le]). Teil der stan­dar­di­sier­ten Erhe­bung
    war auch die Fra­ge nach der Beach­tung eini­ger
    grund­le­gen­der rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en in den intern
    ein­ge­setz­ten Ver­fah­ren, die der Ent­schei­dung der Lei­tung
    der Wis­sen­schafts­ein­rich­tung vor­aus­gin­gen. Dazu
    zählen:44
    – Fair­ness – alle Sei­ten wer­den in glei­cher Wei­se
    behan­delt;
    – Trans­pa­renz – des Ver­fah­rens ins­ge­samt, der ein­zel­nen
    Ver­fah­rens­schrit­te, der in jedem Schritt zugrun­de
    geleg­ten Kri­te­ri­en usw.;
    – Ver­trau­lich­keit – die für alle Sei­ten glei­cher­ma­ßen
    gilt;
    – Unschulds­ver­mu­tung – zen­tra­les Grund­prin­zip
    rechts­staat­li­cher Straf­ver­fah­ren;
    Egner/Uhlenwinkel · Zur Recht­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren 1 7 9
    45 Von den 15 in den D‑A-CH-Staa­ten ver­sand­ten Fra­ge­bö­gen
    wur­den 13 aus­ge­füllt zurück­ge­sandt. Dies ent­spricht einer Rück­lauf­quo­te
    von 87 %.
    46 Aus Egner/Uhlenwinkel, Bei­trä­ge zur Hoch­schul­for­schung, 2021,
    Jg. 43, Heft 1–2, 76.
    – Recht auf Anhö­rung – in jedem Gre­mi­um, das sich
    mit dem Sach­ver­halt befasst;
    – Recht auf Stel­lung­nah­me – dies setzt vor­aus, dass die
    Vor­wür­fe schrift­lich zur Kennt­nis gege­ben und aus­rei­chend
    Zeit zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me ein­ge­räumt
    wird;
    – Recht auf Kon­fron­ta­ti­on mit Beschwer­de­füh­ren­den –
    dies setzt die Auf­he­bung ihrer, im Sin­ne eines Pri­vi­legs
    gegen­über der Beschul­dig­ten gewähr­ten, Anony­mi­tät
    vor­aus;
    – Recht auf Rechts­bei­stand – in allen münd­li­chen
    Kom­mu­ni­ka­tio­nen, die das eige­ne Arbeits­ver­hält­nis
    betref­fen.
    Abb. 1 fasst die Ant­wor­ten aus der stan­dar­di­sier­ten
    Erhe­bung zusam­men und zeigt, dass aus Sicht der ins­ge­samt
    13 Betrof­fe­nen, die einen aus­ge­füll­ten Fra­ge­bo­gen
    zurücksandten45, alle erfrag­ten rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en
    in erheb­li­chem Maße miss­ach­tet wur­den. Nur bei
    zwei der acht Prin­zi­pi­en gaben Befrag­te über­haupt an,
    dass die­se im Ver­fah­ren in aus­rei­chen­dem Maße beach­tet
    wor­den waren, bei­de Zah­len bewe­gen sich mit 23 %
    (Gewäh­rung eines Rechts­bei­stan­des) und 18 % (Recht
    auf schrift­li­che Stel­lung­nah­me) in einem Bereich, der
    nicht dafür spricht, dass die Gewäh­rung die­ser Rech­te
    als Regel ange­se­hen wird. Alle ande­ren erfrag­ten Prin­zi­pi­en
    kamen in einem erheb­li­chen Aus­maß nicht zum
    Ein­satz. Mit Blick auf eines der Zie­le rechts­staat­li­cher
    Ver­fah­ren, das lau­tet, die unter­le­ge­ne Par­tei von der
    Rich­tig­keit (Wahr­heit, Gerech­tig­keit) der Ent­schei­dung
    zu über­zeu­gen, ist dies ein desas­trö­ses Ergeb­nis.
    Abb. 1 Beach­tung der Prin­zi­pi­en der Rechts­staat­lich­keit in den inter­nen
    Pro­ze­du­ren aus Sicht der entlassenen/degradierten Professor*innen. Im
    Fra­ge­bo­gen wur­den die Prin­zi­pi­en mit einer sie­ben­stu­fi­gen Likert-Ska­la
    erho­ben; in der Aus­wer­tung ist die­se Ska­la auf drei Wer­te verdichtet.46
    Man mag ein­wen­den, dass sich aus den Anga­ben der
    betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen nicht erschlie­ßen lässt, ob es
    die jewei­li­gen Ver­fah­rens­schrit­te tat­säch­lich nicht gege­ben
    hat; schließ­lich wur­de bei der Erhe­bung nur eine
    Sei­te befragt und zwar jene, die von dem für sie nega­ti­ven
    Aus­gang des Ver­fah­rens betrof­fen war. Auch wenn
    die Fra­ge auf Erin­ne­rung und Wahr­neh­mung beruht, so
    geht es bei der Hälf­te der abge­frag­ten rechts­staat­li­chen
    Prin­zi­pi­en nicht um eine per­spek­ti­ven­ab­hän­gi­ge Ein­schät­zung,
    son­dern um die Fra­ge, ob etwas statt­ge­fun­den
    hat oder nicht. Die Fra­ge, ob eine Gele­gen­heit für
    eine schrift­li­che Stel­lung­nah­me oder eine münd­li­che
    Anhö­rung in einer Kom­mis­si­on gege­ben wur­de, lässt
    sich in der Regel ein­deu­tig beant­wor­ten. Allen­falls die
    Ein­schät­zung, ob etwas in einem für die Betrof­fe­nen aus­rei­chen­den
    Maß gewährt wur­de, unter­liegt der per­sön­li­chen
    Ein­schät­zung; um dies zu erfas­sen, wur­de bei der
    Fra­ge eine sie­ben­stu­fi­ge Likert-Ska­la ein­ge­setzt. Wären
    ein­zel­ne der abge­frag­ten Prin­zi­pi­en zwar beach­tet, jedoch
    nur nicht in einem für die Betrof­fe­nen aus­rei­chend
    erschei­nen­den Maße, müss­ten die mitt­le­ren Wer­te domi­nie­ren.
    Die Domi­nanz der einen Sei­te der Extrem­wer­te
    (“trifft nicht oder über­haupt nicht zu”) bei allen abge­frag­ten
    Prin­zi­pi­en stellt den einer Ent­las­sung oder Degra­die­rung
    vor­aus­ge­gan­ge­nen inter­nen Ver­fah­ren daher
    ein über­ra­schend ein­deu­tig nega­ti­ves Zeug­nis aus.
  9. Män­gel der zum Ein­satz gekom­me­nen inter­nen Ver­fah­ren
    Um zu ver­deut­li­chen, war­um das zuvor dar­ge­stell­te
    Befra­gungs­er­geb­nis ein Armuts­zeug­nis für die den Ent­las­sun­gen
    und öffent­li­chen Degra­die­run­gen vor­an­ge­gan­ge­nen
    insti­tu­ti­ons­in­ter­nen Ver­fah­ren ist, sol­len die
    ein­zel­nen Aspek­te in die­sem Kapi­tel ent­lang der Grund­sät­ze
    der von der Bun­des­re­gie­rung in ihrer Ant­wort auf
    1 8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
    47 Ver­gleich­ba­re Rege­lun­gen fin­den sich in der Schweiz und in
    Öster­reich. In der Schweiz z. B. “Wis­sen­schaft­li­che Inte­gri­tät.
    Grund­sät­ze und Ver­fah­rens­re­geln” der Aka­de­mien der Wis­sen­schaf­ten
    (http://academies-suisses.ch/index/Schwerpunkte/
    Wissenschaftliche-Integritaet.html (20.08.2020) oder das
    “Regle­ment über wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten” des Schwei­zer
    Natio­nal­fonds (http://www.snf.ch/de/derSnf/forschungspolitische_
    positionen/wissenschaftliche_integritaet/Seiten/default.
    aspx (20.08.2020). In Öster­reich wer­den ent­spre­chen­de Ver­fah­ren
    durch die Öster­rei­chi­sche Agen­tur für wis­sen­schaft­li­che Inte­gri­tät
    durch­ge­führt. Zum Ver­fah­ren sie­he https://oeawi.at/untersuchung-
    2/ (20.08.2020).
    48 DFG, Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten, VIII. 1. a) (2).
    49 ebd., III. 3. b) (2).
    50 § 21 Abs. 1 S. 1f und 2 BDG, Her­vorh. durch die Autorin­nen.
    51 DFG, Ver­fah­rens­ord­nung zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten, III. 3. b) (3).
    die Klei­ne Anfra­ge mehr­fach emp­foh­le­nen „Ver­fah­rens­ord­nung
    zum Umgang mit wis­sen­schaft­li­chem Fehl­ver­hal­ten“
    47 der DFG dis­ku­tiert wer­den, auch wenn wir im
    vor­he­ri­gen Kapi­tel die par­ti­el­le Unge­eig­ne­t­heit die­ser
    Ver­fah­rens­ord­nung für Ver­ge­hen im „per­sön­li­chen
    Bereich“ dar­ge­stellt und begrün­det haben. Gleich­wohl
    gibt sie Anhalts­punk­te dafür, wie insti­tu­ti­ons­in­ter­ne
    Ver­fah­ren zur Über­prü­fung der vor­ge­wor­fe­nen Ver­ge­hen
    hät­ten aus­se­hen müs­sen, hät­te eine ordent­li­che
    Sach­ver­halts­prü­fung erfol­gen sol­len. Gleich­zei­tig rufen
    wir in Erin­ne­rung, dass die Behand­lung von Fehl­ver­hal­ten
    „im per­sön­li­chen Bereich“ grund­sätz­lich die Kom­pe­tenz
    der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung über­steigt und
    es Ver­fah­ren bedarf, die den Ein­be­zug Drit­ter jen­seits
    der Wis­sen­schaft vor­se­hen. Wir behan­deln im Fol­gen­den
    die Punk­te:
    (a) Vor­ver­fah­ren,
    (b) Ein­lei­tung eines förm­li­chen Ver­fah­rens,
    © freie Beweis­wür­di­gung,
    (d) Anony­mi­tät.
    (a) Vor­ver­fah­ren:
    “Bei hin­läng­lich kon­kre­ti­sier­ten, auch anonym und in
    der Regel schrift­lich vor­ge­brach­ten, Ver­dachts­mo­men­ten
    für wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten ist der bzw.
    dem vom Ver­dacht des Fehl­ver­hal­tens Betrof­fe­nen unter
    Nen­nung der belas­ten­den Tat­sa­chen und Beweis­mit­tel
    Gele­gen­heit zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me zu
    geben.”48
    Nur zwei der 13 Befrag­ten gaben an, das Recht auf
    schrift­li­che Stel­lung­nah­me in einem aus­rei­chen­den
    Maße erhal­ten zu haben, wäh­rend zehn Betrof­fe­ne
    (77 %) kei­ner­lei Gele­gen­heit dazu ein­ge­räumt wur­de. In
    den offe­nen Text­an­ga­ben zu die­ser Fra­ge gab die Mehr­zahl
    der Befrag­ten an, dass sie gar nicht wuss­ten, was ihnen
    eigent­lich vor­ge­wor­fen wird. Wenn kei­ne „hin­läng­lich
    kon­kre­ti­sier­ten Ver­dachts­mo­men­te“ prä­sen­tiert
    wer­den, kann dazu auch nicht sinn­voll schrift­lich Stel­lung
    genom­men wer­den. Dass aus einer sol­chen Situa­ti­on
    der Ein­druck erwächst, die Ver­fah­ren sei­en intrans­pa­rent
    (92 %) ver­wun­dert kaum.
    (b) Nach der mög­li­cher­wei­se not­wen­dig gewor­de­nen
    Ein­lei­tung eines förm­li­chen Ver­fah­rens, ist
    “[d]er Wis­sen­schaft­le­rin bzw. dem Wis­sen­schaft­ler, der
    bzw. dem wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten vor­ge­wor­fen
    wird, […] in geeig­ne­ter Wei­se Gele­gen­heit zur Stel­lung­nah­me
    zu geben. Sie bzw. er ist auf ihren bzw. sei­nen
    Wunsch hin münd­lich anzu­hö­ren; dazu kann sie
    bzw. er eine Per­son ihres bzw. sei­nes Ver­trau­ens als Bei­stand
    hinzuziehen.”49
    Die hier for­mu­lier­ten Ver­fah­rens­be­stand­tei­le, die auf
    Wunsch mög­li­che münd­li­che Anhö­rung und die Hin­zu­zie­hung
    eines Bei­stands, sind von den befrag­ten Pro­fes­so­rin­nen
    in wei­ten Tei­len als nicht gege­ben wahr­ge­nom­men
    wor­den. Das Recht auf Rechts­bei­stand in Gesprä­chen,
    die das eige­ne Dienst­ver­hält­nis betref­fen, erach­te­ten
    nur drei Befrag­te (23 %) in einem ihnen aus­rei­chend
    erschei­nen­den Maße als gewährt an; 12 (92 %) gaben an,
    kei­ner­lei Mög­lich­keit für eine Anhö­rung erhal­ten zu
    haben.
    © Die in der Ver­fah­rens­ord­nung der DFG genann­ten
    Schrit­te ent­spre­chen weit­ge­hend den Vor­ga­ben des
    § 20 Abs. 1 BDG. Dort wird dar­über hin­aus die Mög­lich­keit
    einer frei­en Beweis­wür­di­gung kon­kre­ti­siert:
    “Zur Auf­klä­rung des Sach­ver­halts sind die erfor­der­li­chen
    Ermitt­lun­gen durch­zu­füh­ren. Dabei sind die belas­ten­den,
    die ent­las­ten­den und die Umstän­de zu ermit­teln,
    die für die Bemes­sung einer Dis­zi­pli­nar­maß­nah­me bedeut­sam
    sind.”50
    Durch den Hin­weis auf all­sei­ti­ge Ermitt­lung wird
    hier die Unschulds­ver­mu­tung sub­stan­ti­iert, ein wesent­li­ches
    Ele­ment in einem Ver­fah­ren zur Über­prü­fung eines
    vor­ge­wor­fe­nen Ver­ge­hens. 92 % der von einer Ent­las­sung
    oder öffent­li­chen Degra­die­rung betrof­fe­nen Befrag­ten
    sahen dies in ihren Ver­fah­ren als nicht gege­ben
    an. Viel­mehr gaben sie an, dass oft ein­sei­tig gegen sie ermit­telt
    wur­de sowie Stel­lung­nah­men zu ihren Guns­ten
    ent­we­der gar nicht ein­ge­holt oder igno­riert wur­den. In
    eini­gen Fäl­len wur­den behaup­te­te Sach­ver­hal­te als unum­stöß­lich
    gewer­tet und die mit objek­ti­vier­ba­ren Fak­ten
    unter­mau­er­ten Wider­le­gun­gen nicht berück­sich­tigt.
    Es ver­wun­dert daher nicht, dass die Ver­fah­ren als unfair
    (100 %) wahr­ge­nom­men wur­den.
    (d) Deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen der „Ver­fah­rens­ord­nung
    zur Siche­rung der guten wis­sen­schaft­li­chen
    Pra­xis“ der DFG und dem BDG bestehen in der Fra­ge
    nach der Anony­mi­tät mög­li­cher Hin­weis­ge­ber. Wäh­rend
    die DFG eine „Offen­le­gung des Namens […] nur im
    Einzelfall“51 vor­sieht, for­mu­liert das BDG:
    Egner/Uhlenwinkel · Zur Recht­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren 1 8 1
    52 § 24 Abs. 4 BDG.
    53 Den­noch ist auch hier die Fra­ge der Geheim­hal­tung all­fäl­li­ger
    Hin­weis­ge­ber und Zeu­gen frag­wür­dig, vgl. Herr­mann, OdW,
    2020, 65, 72. Zudem stellt sich immer auch die Fra­ge “bös­gläu­bi­ger
    Hin­weis­ge­ber” (ebd., 65, 75).
    54 Luh­mann dekli­niert die Kri­te­ri­en am Bei­spiel von Gerichts­pro­zes­sen
    durch. Um sol­che han­delt es sich in den insti­tu­ti­ons­in­ter­nen
    Ver­fah­ren an Uni­ver­si­tä­ten und Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    selbst­ver­ständ­lich nicht. Die vor­ge­brach­te Argu­men­ta­ti­on trägt
    aus unse­rer Sicht jedoch erheb­lich zur Klä­rung der Anfor­de­run­gen
    an ordent­li­che Ver­fah­ren bei.
    55 Luh­mann, Legi­ti­ma­ti­on durch Ver­fah­ren, Suhr­kamp, 1983, 59.
    56 ebd., 63.
    „Dem Beam­ten ist Gele­gen­heit zu geben, an der Ver­neh­mung
    von Zeu­gen und Sach­ver­stän­di­gen sowie an
    der Ein­nah­me des Augen­scheins teil­zu­neh­men und
    hier­bei sach­dien­li­che Fra­gen zu stel­len. Er kann von der
    Teil­nah­me aus­ge­schlos­sen wer­den, soweit dies aus
    wich­ti­gen Grün­den, ins­be­son­de­re mit Rück­sicht auf den
    Zweck der Ermitt­lun­gen oder zum Schutz der Rech­te
    Drit­ter, erfor­der­lich ist. Ein schrift­li­ches Gut­ach­ten ist
    ihm zugäng­lich zu machen, soweit nicht zwin­gen­de
    Grün­de dem entgegenstehen.“52
    Das in unse­rer Erhe­bung erfrag­te Prin­zip des „Rechts
    auf Kon­fron­ta­ti­on mit den Beschwer­de­füh­ren­den“ setzt
    eine Rege­lung wie im BDG vor­aus, damit die Anony­mi­tät
    von Beschwer­de­füh­ren­den gegen­über der mit einem
    Ver­ge­hen im per­sön­li­chen Bereich beschul­dig­ten Pro­fes­so­rin
    die Aus­nah­me und nicht die Regel bil­det. Anders
    als in Fäl­len wis­sen­schaft­li­cher Ver­feh­lun­gen, in denen
    „Whist­le­b­lower“ Hin­wei­se auf etwas geben, das in
    der Regel objek­ti­vier­bar und somit durch Fak­ten über­prüf­bar
    ist, stellt sich die Sach­la­ge bei Vor­wür­fen über
    Ver­ge­hen im per­sön­li­chen Bereich anders dar. Ein Pla­gi­at
    lässt sich „auf ande­rem Wege“ eben­so über­prü­fen, wie
    die Fäl­schung von Daten oder Titel­be­trug, ohne dass die
    Hin­weis­ge­berin in Erschei­nung tre­ten oder deren Iden­ti­tät der beschul­dig­ten Per­son offen­ge­legt wer­den muss.53 Im Fal­le des Vor­wurfs eines ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­tens’ jedoch han­delt es sich um Akti­vi­tä­ten, die im zwi­schen­mensch­li­chen Bereich statt­fin­den. Ohne die Kennt­nis von Tat, Ort und Zeit des Vor­falls, über den Beschwer­de geführt wird, ist weder eine Über­prü­fung noch eine Stel­lung­nah­me durch die ange­schul­dig­te Per­son mög­lich. Hier von „Whist­le­b­lo­wern“ zu spre­chen und einen ent­spre­chen­den Zeu­gen­schutz ins Feld zu füh­ren, erweist sich als unüber­wind­ba­re Hür­de für die beschul­dig­ten Pro­fes­so­rin­nen, da es eine Iden­ti­fi­zie­rung der kon­kre­ten Vor­wür­fe nach den oben genann­ten Kri­te­ri­en aus­schließt und dem­zu­fol­ge eine qua­li­fi­zier­te Stel­lung­nah­me ver­un­mög­licht. Von den 82 % der Befrag­ten, denen das Recht auf Kon­fron­ta­ti­on mit den Beschwer­de­füh­ren­den ver­wei­gert wur­de, führ­ten vie­le die­sen Aspekt als zen­tral in der eige­nen Beur­tei­lung ihrer inter­nen Ver­fah­ren als unfair, intrans­pa­rent, vor­ein­ge­nom­men und in der Ermitt­lung als gegen sie gerich­tet an. V. Zur Über­zeu­gungs­kraft inter­ner Ver­fah­ren Für die Mög­lich­kei­ten der „Legi­ti­ma­ti­on von Ver­fah­ren“ hat Niklas Luh­mann ver­schie­de­ne Kri­te­ri­en ent­wi­ckelt, die von der Aus­dif­fe­ren­zie­rung über die Auto­no­mie der Ver­fah­ren und den Rol­len­zu­schrei­bun­gen in den Ver­fah­ren bis hin zu den Wir­kungs­mög­lich­kei­ten der Ent­schei­dun­gen in der gesell­schaft­li­chen Umwelt rei­chen. Um nach­voll­zie­hen zu kön­nen, war­um die inter­nen Ver­fah­ren von den von Ent­las­sung und öffent­li­cher Degra­die­rung betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen als der­art unbe­frie­di­gend emp­fun­den wer­den, prü­fen wir anhand des Mate­ri­als der qua­li­ta­ti­ven Inter­views, wie eini­ge die­ser Kri­te­ri­en in den Ver­fah­ren zur Gel­tung kamen oder eben nicht. Es zei­gen sich eini­ge Mus­ter, die sich auf­grund der gro­ßen Par­al­le­li­tä­ten in Umstän­den und Ablauf als typisch, und somit einen bestimm­ten Ablauf ver­kör­pernd, klas­si­fi­zie­ren las­sen. Die Kon­tras­tie­rung die­ser Fäl­le mit den Kri­te­ri­en zur Legi­ti­ma­ti­on von Ver­fah­ren ver­folgt das Ziel, die Schwach­punk­te der zum Ein­satz gekom­me­nen Ver­fah­ren deut­li­cher her­aus­zu­ar­bei­ten. Wie alle Sys­te­me zeich­nen sich nach Luh­mann auch Gerichtsprozesse54 u. a. dadurch aus, dass sie von ihrer Umwelt weit­ge­hend getrennt sind. Infor­ma­tio­nen, die sie errei­chen, wer­den „durch sys­tem­ei­ge­ne Regeln und Ent­schei­dun­gen gesteuert“55, sodass „pro­zeß­frem­de Rol­len unberücksichtigt“56 blei­ben. Das Sys­tem fil­tert die für sei­ne Zwe­cke rele­van­ten Infor­ma­tio­nen her­aus und deu­tet sie sei­nen eige­nen Maß­stä­ben ent­spre­chend. Die­se Deu­tung ist grund­sätz­lich kon­tin­gent. Die Über­füh­rung in ein ande­res Sys­tem, das die Infor­ma­tio­nen nach sei­nen Regeln deu­tet, fand in den Ver­fah­ren gegen Pro­fes­so­rin­nen, die ent­las­sen oder degra­diert wur­den, mehr­heit­lich nicht statt. Ein Bei­spiel hier­für ist die Rol­le der an etwa einem Drit­tel der Ent­las­sun­gen oder Degra­die­run­gen betei­lig­ten Nach­wuchs­wis­sen­schaft­lerinnen.
    Sie war in allen Fäl­len nahe­zu iden­tisch: Die Pro­fes­so­rin
    1 8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
    wei­gert sich bei­spiels­wei­se, das Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis
    einer Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin zu ver­län­gern, weil
    die bis­her erbrach­ten Leis­tun­gen den Erwar­tun­gen nicht
    entsprechen57, oder sie weist all­ge­mein auf Män­gel in ihrer
    bis­he­ri­gen Leis­tung hin. In einem Fall wur­de der
    Dok­to­ran­din ein Pla­gi­at nachgewiesen58.
    Eigent­lich wären der­ar­ti­ge Sach­ver­hal­te im Rah­men
    der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung klar und leicht zu
    klä­ren: Ana­log zu den Ver­fah­ren bei wis­sen­schaft­li­chem
    Fehl­ver­hal­ten der DFG könn­te ein Ver­fah­ren ein­ge­setzt
    wer­den, in dem über­prüft wird, ob die Leis­tungs­be­wer­tung
    durch die Pro­fes­so­rin ange­mes­sen ist oder nicht.
    Statt­des­sen wur­de in den uns bekann­ten Fäl­len der Kon­flikt
    auf eine per­sön­li­che Ebe­ne ver­la­gert: Die Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin
    zum Bei­spiel, die nach­weis­lich
    pla­gi­iert hat­te, wirft der Pro­fes­so­rin aus hei­te­rem Him­mel
    Mob­bing vor59. Folgt die Hoch­schul­lei­tung die­sem
    Vor­wurf, statt den Aus­gangs­sach­ver­halt zu prü­fen, wird
    aus einem der objek­ti­ven Über­prü­fung zugäng­li­chen
    Dis­sens ein sub­jek­ti­ver Kon­flikt, der dem „per­sön­li­chen
    Bereich“ zuge­ord­net wird. Wie oben bereits skiz­ziert, ist
    ein der­ar­ti­ger Kon­flikt, der sich auf die mensch­li­chen
    Bezie­hun­gen zwi­schen Arbeit­neh­mern bezieht, im Kon­text
    und mit den Mit­teln der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung
    nicht zu lösen. Er müss­te – hin­rei­chen­de Begrün­dung
    vor­aus­ge­setzt – in ein förm­li­ches außer­uni­ver­si­tä­res
    Ver­fah­ren über­führt werden60. Die­ses Ver­fah­ren
    könn­te dann eige­ne Deu­tun­gen anle­gen und
    bei­spiels­wei­se fra­gen, ob es zu übler Nach­re­de oder Ver­leum­dung
    gekom­men ist. Da es – in den geschil­der­ten
    Fäl­len – nicht fün­dig wür­de, müss­te das Ver­fah­ren ein­ge­stellt
    wer­den, denn einen Straf­tat­be­stand der nega­ti­ven
    Leis­tungs­be­ur­tei­lung gibt es bis­her (noch?) nicht.
    Kommt es aber zu kei­nem ent­spre­chen­den Ankla­ge­ver­fah­ren,
    kann die Pro­fes­so­rin sich erst im Nach­hin­ein, d.
    h. nach der Ent­las­sung oder öffent­li­chen Degra­die­rung
    vor einem ordent­li­chen Gericht, zur Wehr set­zen. Das
    Risi­ko für die Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin dage­gen ist
    über­aus gering, und ihr Ver­such, von ihrer feh­len­den
    Leis­tungs­er­brin­gung dadurch abzu­len­ken, dass sie als
    Ursa­che dafür die per­sön­li­che Ein­stel­lung der Pro­fes­so­rin
    ihr gegen­über benennt, ist mit Bil­li­gung oder Unter­stüt­zung
    der Hoch­schul­lei­tung von Erfolg gekrönt.
    Wäh­rend sich die­ser Typus der Kon­flik­te auf der ver­ti­ka­len
    Ebe­ne uni­ver­si­tä­rer Arbeits­be­zie­hun­gen abspielt,
    zeich­nen sich die Kon­flik­te der hori­zon­ta­len Ebe­ne in
    den uns bekann­ten Fäl­len oft durch eine ande­re Struk­tur
    aus. Die Akteu­re des Ver­fah­rens sind in die­sen Fäl­len regel­mä­ßig
    alle­samt Uni­ver­si­täts­pro­fes­sorinnen in ver­schie­de­nen Posi­tio­nen. Hier kommt die Luh­mann­sche Unter­schei­dung zwi­schen der „Per­son des Ent­schei­den­den“ 61, die „aus der Dar­stel­lung aus­ge­schal­tet werden“62, muss und der „Per­son des Entscheidungsempfängers“63, die „in die Dar­stel­lung ein­be­zo­gen werden“64 soll, zum Tra­gen. Der Ein­be­zug des Ent­schei­dungs­emp­fän­gers dient dabei der Ermög­li­chung der Über­nah­me der Ent­schei­dungs­prä­mis­se, damit der Kon­flikt am Ende tat­säch­lich als gelöst betrach­tet wer­den kann. In allen uns bekann­ten insti­tu­ti­ons­in­ter­nen Ver­fah­ren gegen die ent­las­se­nen oder degra­dier­ten Pro­fes­so­rin­nen fand sich die Per­son des Ent­schei­den­den in den Lei­tungs­ebe­nen der Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen: Deka­ne und Prä­si­den­ten oder Rek­to­ren, aber auch Mit­glie­der von Kom­mis­sio­nen, wie Ombuds­per­so­nen oder Betriebs­rä­te. Sie alle sind nicht frei von Inter­es­sen. In nahe­zu der Hälf­te der unter­such­ten Fäl­le lässt sich das Vor­ge­hen der Wis­sen­schafts­ein­rich­tung gegen eine ein­zel­ne Pro­fes­so­rin expli­zit auf Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Res­sour­cen zurück­füh­ren. Dabei kann es dar­um gehen, sich ent­we­der „nur“ die Kapa­zi­tä­ten der Pro­fes­so­rin für die eige­nen Zwe­cke nutz­bar zu machen, oder gleich dar­um, die Stel­le an das eige­ne Insti­tut zu ver­la­gern oder mit „eige­nen Leu­ten“ zu beset­zen. In allen uns bekann­ten Fäl­len waren die Ent­schei­den­den in zen­tra­ler Wei­se in die Dar­stel­lung ein­be­zo­gen; sie erhiel­ten dadurch Raum für die umfäng­li­che Prä­sen­ta­ti­on ihrer Vor­stel­lun­gen. Die betrof­fe­nen Pro­fes­so­rin­nen, also die eigent­li­chen Ent­schei­dungs­emp­fän­ge­rin­nen, wur­den dage­gen weit­ge­hend aus der Dar­stel­lung her­aus­ge­hal­ten. In der Logik der Ent­schei­den­den erscheint die­ses Vor­ge­hen unter Umstän­den durch­aus sinn­voll, da es ja letzt­lich auch nicht um die Ent­schei­dungs­emp­fän­ge­rin­nen selbst geht, son­dern um die Res­sour­cen, die sie im Kon­text der Uni­ver­si­tät für ihre For­schung und Leh­re genutzt haben. Zwar wur­den den Pro­fes­so­rin­nen zur Begrün­dung ihrer Ent­fer­nung „per­sön­li­che Ver­feh­lun­gen“ zur Last gelegt, die­se erwei­sen sich in der Rekon­struk­ti­on jedoch ent­we­der als über- 57 Dies gilt in Öster­reich nach § 27 Abs. 2 AngG als ein recht­lich vali­der Ent­las­sungs­grund – wohl­ge­merkt für die Per­son, die den Leis­tun­gen nicht ent­spricht, nicht der­je­ni­gen, die die Leis­tung bewer­tet. 58 Dies gilt in allen drei Län­dern als wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten. 59 Wal­der-Rich­li, Feld­zug gegen eine Pro­fes­so­rin. DhV 2004, 13f. 60 Ähn­lich argu­men­tiert Schei­ber, Mut zum Recht, Fal­ter-Ver­lag, 2019, 188, in Bezug auf Asyl­ver­fah­ren in Öster­reich: Sie soll­ten „auf­grund ihrer Trag­wei­te auch in ers­ter Instanz von Gerich­ten und nicht wie der­zeit von Ver­wal­tungs­be­hör­den geführt wer­den“. 61 Luh­mann, Legi­ti­ma­ti­on durch Ver­fah­ren, Suhr­kamp, 1983, 108. 62 ebd. 63 ebd. 64 ebd. Egner/Uhlenwinkel · Zur Recht­staat­lich­keit uni­ver­si­täts­in­ter­ner Ver­fah­ren 1 8 3 aus vage oder beruh­ten sogar auf eigens für die vor­ge­wor­fe­ne Ver­feh­lung kon­stru­ier­ten Fak­ten und hat­ten letzt­lich mit der Pro­fes­so­rin selbst nichts zu tun. Die Ent­wick­lung die­ser Dyna­mik ist vor dem Hin­ter­grund der ver­schie­de­nen Hoch­schul­re­for­men zu ver­ste­hen. Ins­be­son­de­re seit der Bolo­gna-Reform und der etwa zeit­glei­chen Ent­las­sung der Uni­ver­si­tä­ten in die soge­nann­te „Auto­no­mie“ hat sich das Ver­ständ­nis hin zu einer „unter­neh­me­ri­schen Uni­ver­si­tät“ ver­scho­ben. Die Uni­ver­si­tät wird behan­delt, als ob sie ein „Betrieb“ sei. Damit ein­her­ge­hend wur­de mit Nach­druck der inner­uni­ver­si­tä­re Wett­be­werb zwi­schen Per­so­nen, Arbeits­grup­pen und Orga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten geför­dert und durch ein Sys­tem von Kenn­zif­fern bewertet.65 Gleich­zei­tig feh­len die dafür not­wen­di­gen Regeln und Anlei­tun­gen, wie die­ser Wett­be­werb „geord­net“ ablau­fen soll. Die­se Situa­ti­on lässt Raum, im Kon­flikt­fall oder bei Vor­lie­gen stark diver­gie­ren­der Inter­es­sen ein wei­te­res wich­ti­ges Kri­te­ri­um für die Legi­ti­ma­ti­on durch Ver­fah­ren zu igno­rie­ren: dass „die Ein­zugs­be­rei­che für recht­li­che und für fak­ti­sche Ent­schei­dungs­prä­mis­sen sozi­al aus­ein­an­der­ge­zo­gen sind“66, oder anders gesagt, dass die­je­ni­gen Instan­zen, die Recht set­zen, nicht gleich­zei­tig ent­schei­den kön­nen, wel­che Sach­ver­hal­te wahr sind und wel­che nicht. Über­setzt in die Ent­schei­dungs­ver­fah­ren an Uni­ver­si­tä­ten und außer­uni­ver­si­tä­ren Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen heißt das, dass Rek­to­ren bzw. Prä­si­den­ten (oder auch ande­re Lei­tungs­ebe­nen inner­halb der Insti­tu­tio­nen) nicht allei­ne fest­le­gen kön­nen, wel­che Prä­mis­sen für eine Ent­schei­dung Gül­tig­keit haben, und dann gleich­zei­tig die Ent­schei­dung dar­über tref­fen, ob die­se Prä­mis­sen erfüllt sind oder nicht. Der­ar­ti­ge Anma­ßun­gen fin­den sich in den Ent­schei­dun­gen gegen Pro­fes­so­rin­nen jedoch immer wie­der: So wur­den in Erman­ge­lung einer Ten­ure-Track-Ord­nung die per­sön­li­chen Wün­sche des Dekans oder eines Insti­tuts­lei­ters zum Qua­li­täts­maß­stab, dem eine Juni­or­pro­fes­so­rin zu genü­gen hatte67. An ande­rer Stel­le wur­den, unter Miss­ach­tung jeg­li­cher daten­schutz­recht­li­cher Beden­ken, pri­va­te Brie­fe zur Dif­fa­mie­rung und zur öffent­lich­keits­wirk­sa­men Insze­nie­rung immer wie­der neu­er inter­ner Ver­fah­ren gegen eine Pro­fes­so­rin genutzt, ohne die­se jemals wei­ter­zu­ver­fol­gen oder ordent­lich zu einem Abschluss zu brin­gen: Der scheib­chen­wei­se prak­ti­zier­te Ruf­mord ist gelun­gen, die Pro­fes­so­rin von ihrer Posi­ti­on ent­fernt. Und an einer wei­te­ren Stel­le schaff­te sich der Fakul­täts­rat die Rechts­grund­la­ge für die Ent­fer­nung einer Pro­fes­so­rin selbst, indem er sie ent­ge­gen ihrer Stel­lung fak­tisch zur Juni­or­pro­fes­so­rin erklärt und als unwür­dig befin­det, wäh­rend ande­re Pro­fes­sorinnen in der glei­chen Eva­lua­ti­ons­si­tua­ti­on
    an der glei­chen Uni­ver­si­tät in ande­ren Fakul­tä­ten
    eine ande­re Behand­lung erfuh­ren.
    Soll­te „Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten“ tat­säch­lich als ein
    sank­tio­nier­ba­res Ver­ge­hen in Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    gel­ten, bedarf es dafür einer Defi­ni­ti­on der Tat­be­stands­merk­ma­le
    sowie, dar­aus abge­lei­tet, der Ent­wick­lung
    und Eta­blie­rung adäqua­ter Ver­fah­ren zur Behand­lung
    von Vor­wür­fen und Ver­ge­hen im „per­sön­li­chen Bereich“.
    Andern­falls bil­den – wie bis­her – die Delik­te aus
    den Berei­chen wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten, dis­zi­pli­nar­recht­li­che
    Ver­ge­hen, Per­sön­lich­keits­ver­let­zun­gen
    und straf­recht­lich rele­van­te Hand­lun­gen den Rah­men
    für sank­tio­nier­ba­re Ver­ge­hen im Wis­sen­schafts­be­reich.
    Hält man an dem Ver­ge­hen ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘
    fest und ent­wi­ckelt dazu weder pas­sen­de Nor­men noch
    Ver­fah­ren, liegt letzt­lich der Schluss nahe, dass sol­che
    „Ver­feh­lun­gen im per­sön­li­chen Bereich“ zuneh­mend ins
    Spiel gebracht wer­den, um sich unlieb­sa­mer
    Professor*innen auf­grund ganz ande­rer Moti­ve zu ent­le­di­gen.
    Dem­nach wür­de hier eine Rechts­lü­cke kon­stru­iert,
    der man sich – von Fall zu Fall bzw. „Erfolg“ zu „Erfolg“
    – dann will­kür­lich bedie­nen kann, um sich Jeman­dem
    schein­bar legal mit­tels Kon­struk­ti­on eines „Feh­lers“
    ent­le­di­gen zu kön­nen. Auch das könn­te die auf­fäl­lig
    hohe Dis­kre­panz zwi­schen „Außen­sicht“ und „Innen­sicht“
    in der Adäquat­heit der intern zum Ein­satz gekom­me­nen
    Ver­fah­ren erklä­ren.
    VI. Fazit: Funk­ti­ons­fä­hi­ge Wis­sen­schaft … oder insti­tu­tio­nel­les
    Schei­tern?
    Die Ergeb­nis­se unse­rer empi­ri­schen Unter­su­chung zur
    Ent­las­sung oder Degra­die­rung von Pro­fes­so­rin­nen deu­ten
    auf frap­pie­ren­de sys­tem­re­le­van­te recht­li­che Lücken
    bei der Behand­lung der Betrof­fe­nen im Ver­fah­ren hin,
    sowohl (a) hin­sicht­lich der Defi­ni­ti­on des Tat­be­stands
    als auch (b) hin­sicht­lich der für sei­ne Bear­bei­tung sinn­vol­len
    Ver­fah­ren. (ad a) Hin­sicht­lich des Tat­be­stands
    lässt sich ins­be­son­de­re auch unter Berück­sich­ti­gung der
    Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf die Klei­ne Anfra­ge
    der FDP-Bun­des­tags­frak­ti­on fest­stel­len, dass es für die
    Über­prü­fung des Vor­wurfs „Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ an
    einer geeig­ne­ten Defi­ni­ti­on fehlt. Wenn aber schon
    unklar ist, wor­um es sich bei einem Ver­ge­hen eigent­lich
    65 Münch, Aka­de­mi­scher Kapi­ta­lis­mus. Über die poli­ti­sche Öko­no­mie
    der Hoch­schul­re­form, Suhr­kamp. 2011, 155ff.
    66 Luh­mann, Legi­ti­ma­ti­on durch Ver­fah­ren, Suhr­kamp, 1983, 71.
    67 Die betref­fen­de Pro­fes­sur war zunächst als W2-Pro­fes­sur aus­ge­schrie­ben.
    Die Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin wur­de zum Vor­trag
    ein­ge­la­den und kam in die Begut­ach­tung. Das Ver­fah­ren wer­de
    abge­bro­chen und die Stel­le spä­ter „W1 mit Ten­ure-Track-Opti­on“,
    ver­bun­den mit den­sel­ben umfas­sen­den Dienst­auf­ga­ben wie zuvor,
    neu aus­ge­schrie­ben. Die erneu­te Bewer­bung war erfolg­reich,
    die Ent­fris­tung in der Fol­ge nicht.
    1 8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 1 7 3 — 1 8 4
    kon­kret han­delt, ist auch unklar, wie sach­lich kor­rekt
    damit umge­gan­gen wer­den kann. (ad b) Hin­sicht­lich der
    Ver­fah­ren ist eine Ver­schie­bung der Ver­ant­wor­tung von
    arbeits- und dienst­recht­li­chen Fra­gen von den Minis­te­ri­en
    in die Uni­ver­si­tä­ten selbst zu beob­ach­ten, ohne dass
    die Zustän­dig­keits­fra­gen einer neu­en offi­zi­el­len Rege­lung
    zuge­führt wur­den. In Erman­ge­lung ent­spre­chen­der
    Ver­fah­ren wür­den die Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen idea­ler­wei­se
    zumin­dest ver­su­chen, die mit dem neu­en
    Begriff des ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ ange­spro­che­nen
    Ver­ge­hen mit den Ver­fah­ren der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung
    zu bear­bei­ten, so unge­eig­net sie auch jeweils
    sind. Dies fin­det offen­bar nicht statt. Statt­des­sen hat die
    Über­tra­gung der Per­so­nal­ho­heit an die Uni­ver­si­tä­ten
    recht­li­che (de fac­to rechts­freie) Räu­me eröff­net, in denen
    sich der gleich­zei­tig geför­der­te inner­uni­ver­si­tä­re Wett­be­werb
    ohne Beschrän­kung ent­fal­ten kann. Nicht nur,
    weil nun Orga­ne der aka­de­mi­schen Selbst­ver­wal­tung
    sich Gesetz­ge­bungs­kom­pe­ten­zen anma­ßen, die sie nicht
    haben, son­dern auch weil es in den Minis­te­ri­en – und
    wie es scheint auch in der Jus­tiz – am Wil­len oder an der
    Ein­sicht man­gelt, die­se Maß­lo­sig­kei­ten in ihre Schran­ken
    zu wei­sen.
    Für die ent­las­se­nen oder degra­dier­ten Pro­fes­so­rin­nen
    und Pro­fes­so­ren ent­steht aus die­sen Ver­fah­rens­merk­ma­len
    eine Situa­ti­on, in der sie die Ergeb­nis­se des
    Ver­fah­rens weder mit Über­zeu­gung noch ohne Ver­lus­te
    der eige­nen Glaub­wür­dig­keit anneh­men kön­nen. Denn
    sie sehen sich als Ent­schei­dungs­emp­fän­ge­rin­nen kei­nen
    neu­tra­len Ent­schei­dern gegen­über, son­dern Akteu­ren,
    die offen­bar nichts ande­res im Sinn haben, als ihre eige­nen
    Inter­es­sen ohne Rück­sicht auf etwa­ige rechts­staat­li­che
    Prin­zi­pi­en und Ansprü­che durch­set­zen zu kön­nen.
    Die star­ke Häu­fung von Ent­las­sun­gen und öffent­li­chen
    Degra­die­run­gen von Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren
    seit 2015 scheint anzu­deu­ten, dass sich der Vor­wurf eines
    ‚Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ (oder all­ge­mei­ner: Fehl­ver­hal­tens
    im „per­sön­li­chen Bereich“) als beson­ders geeig­net
    erweist, um den inner­uni­ver­si­tä­ren Wett­be­werb um
    Res­sour­cen mit ande­ren Mit­teln als denen der Wis­sen­schaft
    aus­zu­tra­gen. Vor dem Hin­ter­grund der Ana­ly­sen
    der bekannt gewor­de­nen Ent­las­sun­gen und öffent­li­chen
    Degra­die­run­gen zie­hen wir einen ers­ten, bereits heu­te
    ein­deu­ti­gen Schluss: Die als Täte­rin­nen dar­ge­stell­ten
    Pro­fes­so­rin­nen sind dem­nach Opfer man­geln­der Rege­lun­gen
    im Kon­text der Hoch­schul­re­for­men der letz­ten
    20 Jah­re, bei denen die Rol­len- und Funk­ti­ons­ver­än­de­run­gen
    der Pro­fes­so­ren­schaft offen­bar nicht berück­sich­tigt
    wur­den. Inso­fern beschreibt die­se Ana­ly­se zugleich
    ein Schei­tern der Insti­tu­tio­nen.
    Da sich die Zahl der von der­lei Vor­gän­gen betrof­fe­nen
    Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren in den letz­ten Jah­ren
    deut­lich erhöht hat, scheint sich hier ein Trend abzu­zeich­nen.
    Ver­stö­rend dabei ist, dass gera­de im Wis­sen­schafts­be­reich
    nicht dar­auf hin­ge­wirkt wird zu ver­mei­den,
    „dass die Erhe­bung der Anschul­di­gun­gen dem
    Hin­weis­ge­ber Vor­tei­le bringt“68. Damit ent­steht die rea­le
    Gefahr, dass „die Funk­ti­ons­fä­hig­keit des Wis­sen­schafts­pro­zes­ses“
    69 als „ein über­ra­gend wich­ti­ges Gemein­schafts­gut“
    70 durch die Umgangs­wei­sen der Lei­tun­gen
    wis­sen­schaft­li­cher Ein­rich­tun­gen mit Kon­flik­ten um
    angeb­li­ches ‘Füh­rungs­fehl­ver­hal­ten‘ selbst infra­ge gestellt
    wird. Will man die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Wis­sen­schaft
    nicht gefähr­den, ist Abhil­fe gebo­ten und drin­gend
    erfor­der­lich.
    Hei­ke Egner ist im Som­mer­se­mes­ter 2021 Gast­pro­fes­so­rin
    an der Uni­ver­si­tät für Boden­kul­tur Wien. Sie wur­de
    als Pro­fes­so­rin für Geo­gra­phie und Regio­nal­for­schung
    2018 an der Uni­ver­si­tät Kla­gen­furt für sie über­ra­schend
    und ohne Anga­be von Grün­den ent­las­sen.
    Anke Uhlen­win­kel ist Uni­ver­si­täts­pro­fes­so­rin für
    Didak­tik der Geo­gra­phie und Wirt­schafts­kun­de an der
    Paris-Lodron-Uni­ver­si­tät Salz­burg. Sie wur­de 2013 mit­hil­fe
    eines im Hoch­schul­ge­setz nicht kodi­fi­zier­ten Ver­fah­rens
    an der Uni­ver­si­tät Pots­dam als Pro­fes­so­rin
    nicht entfristet.71
    68 Herr­mann, OdW 2020, 65, 74.
    69 ebd., 66.
    70 ebd.
    71 Wert­hei­mer, OdW 2014, 81.