Die rechtfertigende Wirkung von Befristungen gem. WissZeitVG innerhalb von gemischten Kettenbefristungen ist weithin ungeklärt. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera vom 27. Oktober 2021 gibt insofern besonderen Anlass zur vertieften Auseinandersetzung, da sich die Befristungstatbestände des WissZeitVG und TzBfG im zugrundeliegenden Fall nicht nur abgewechselt, sondern auch überlappt haben und das Arbeitsgericht hieraus auf die Unerheblichkeit der Befristungszeiten gem. WissZeitVG geschlossen hat.
Die Ausführungen gliedern sich hierzu in eine kurze Zusammenfassung der Entscheidung (I.), rechtliche Würdigung (II.) und einen anschließenden Praxishinweis (III.).
I. Entscheidung des Arbeitsgerichts
Der Entscheidung des Arbeitsgerichts Gera1 liegt die Entfristungsklage einer Literaturwissenschaftlerin (Magistra Artium) zugrunde, die von der arbeitgebenden Hochschule wie folgt befristet beschäftigt wurde:
Die Verlängerungen 1–4 sollen dazu auf das sog. „große Arbeitsverhältnis“ (10 Jahre 4 Monate; Entgeltgruppe 12 TV‑L) entfallen, für dessen letzte Befristung ein Rechtsmissbrauch aufgrund der Vertragslaufzeit indiziert und mangels besonderer Umstände als unwirksam erkannt wurde. Dass das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit nach dem WissZeitVG befristet wurde, spiele demgegenüber keine Rolle. Die Beklagte hätte erkennen müssen, dass die Klägerin mit der zuletzt abgeschlossenen Verlängerung „für mehr als 10 Jahre ununterbrochen befristet beschäftigt werden sollte“.2
Die Verlängerungen 5–9 seien hingegen hiervon „rechtlich zu unterscheiden“ und einem sog. „kleinen Arbeitsverhältnis“ (6 Jahre 5 Monate; Entgeltgruppen 13, 12 & 11 TV‑L) zuzuordnen, für das eine Rechtmissbrauchskontrolle schon angesichts der Dauer oder Anzahl der Verlängerungen nicht angezeigt sei.3
II. Würdigung
Der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nicht zuzustimmen. Sie berücksichtigt die in der Vergangenheit liegenden Befristungen gem. § 2 Abs. 1 und Abs. 2 WissZeitVG nicht hinreichend und verkürzt damit die darin liegende Wissenschaftsfreiheit der arbeitgebenden Hochschule unzulässig.
Werden die in diesen Zeiten liegenden „besonderen Umstände“ entsprechend gewürdigt, scheidet ein Rechtmissbrauch aus. Im Einzelnen:
- Zum Maßstab und maßgeblichen Arbeitsverhältnis
Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Arbeitsgericht von der „Befristungsampel“ des Bundesarbeitsgerichts
Tobias Mandler und Katharina Schindler
Berücksichtigung vergangener Befristungen gem. WissZeitVG bei der Rechtsmissbrauchskontrolle
einer Befristung gem. TzBfG? – Anmerkung zum
Arbeitsgericht Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21
1 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris; die Berufung ist anhängig beim LAG Thüringen unter dem Az. 2 Sa 277/21. Mit einer Entscheidung dürfte Ende des Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres zu rechnen sein.
2 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris Rn. 37.
3 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris Rn. 3 f., 42.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
1 3 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 9 — 1 3 4
4 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris Rn.
42.
5 § 2 Abs. 2 TV‑L: “Mehrere Arbeitsverhältnisse zu demselben Arbeitgeber
dürfen nur begründet werden, wenn die jeweils übertragenen
Tätigkeiten nicht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang
stehen. Andernfalls gelten sie als ein Arbeitsverhältnis”.
6 Vgl. zu einem ganz analogen Fall: BAG NZA 2016, 824 Rn. 18 ff.
zu § 2 II 1 TV‑H.
7 Allenfalls denkbar wäre eine Trennung der Beschäftigungsverhältnisse
nach dem Befristungsgrund, der insoweit Anhaltspunkt
für das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines Sachzusammenhangs
geben könnte. Hierzu ist dem Urteil aber nichts Stichhaltiges
zu entnehmen.
8 Vgl. hierzu etwa BAG NZA 2016, 814 Rn. 34; BAG NZA 2018,
1061 Rn. 36; Müller-Glöge in ErfK, 22. Aufl. 2022, TzBfG § 3 Rn.
18.
9 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris Rn. - Die Überlegung des Arbeitsgerichts, dass die Beklagte „ihrer
Vorbildfunktion als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber nicht
gerecht werde“ (ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca
19/21 –, juris Rn. 38 aE), ist für die Rechtsmissbrauchskontrolle
unerheblich und bedenklich, zumal hierdurch rechtlich irrelevante
Gesichtspunkte in die Gesamtbetrachtung eingestellt werden
und die Entscheidung hierauf beruht. Die Prüfung des Arbeitsgerichts
dürfte daher schon aus diesem Grund angreifbar sein.
10 Vgl. BAG NZA 2016, 1463 Rn. 33, 37; BAG NZA 2016, 552; BAG
NZA 2012, 385, 389; BAG NZA 2018, 1399; vgl. auch Preis/Ulber,
WissZeitVG, 2. Aufl. 2017, § 2 Rn. 15, 30; Mandler, Rechtsmissbrauch
bei Drittmittelbefristungen gem. § 2 Abs. 2 WissZeitVG,
OdW 2015, S. 221 ff.; Maschmann, Missbrauch im Recht der
Hochschulbefristung, Grundlagen des Arbeits- und Sozialrechts
2021, 839 ff.; Rambach in Arnold/Gräfl, TzBfG, § 2 Rn. 6.
aus und prüft – dem punktuellen Streitgegenstandsbegriff
entsprechend – die zuletzt abgeschlossene Befristung.
In seiner Prüfung geht das Gericht allerdings – ohne
dies näher zu begründen – unzutreffend davon aus, dass
zwischen dem „großen“ und „kleinen Arbeitsverhältnis“
unterschieden werden müsse.4 Die Klägerin wurde aber
– soweit erkennbar – nach dem TV‑L beschäftigt, weshalb
die Annahme zweier verschiedener Arbeitsverhältnisse
nur nach den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1
TV‑L in Betracht kommen kann.5
Dafür, dass zwischen den Befristungen im Rahmen
des „großen“ und „kleinen“ Arbeitsverhältnis kein unmittelbarer
Sachzusammenhang besteht, liegen jedoch
keine Anhaltspunkte vor. Insbesondere wurde die Klägerin
sowohl im Rahmen des „großen“ als auch des „kleinen
Arbeitsverhältnisses“ – im selben Zeitraum – mehrfach
nach dem WissZeitVG befristet, wodurch sich ein
unmittelbarer Sachzusammenhang zwischen den beiden
Verhältnissen ergeben dürfte. Hieran sollten auch die
unterschiedlichen Befristungsgründe gem. § 2 Abs. 1
WissZeitVG (eigene Qualifizierung) und § 2 Abs. 2 Wiss-
ZeitVG (Projekt: „Flexibilisierung individueller Studienverläufe“)
nichts ändern. Beide Tätigkeiten sind auf die
Durchführung bzw. Unterstützung der Forschung und /
oder Lehre der arbeitgebenden Hochschule gerichtet.
Die Zuständigkeit verschiedener Dekanate oder Abteilungen
oder die – nachträgliche – Umgruppierung beseitigt
den Sachzusammenhang nicht.6 Selbiges dürfte für
die Befristungen gem. § 14 Abs. 1 TzBfG gelten, die zwar
gegenüber dem „großen Arbeitsverhältnis“ Befristungslücken
ausweisen aber zu keinem Zeitpunkt über dessen
jeweiliges Befristungsende hinausgingen und zuletzt
auch am selben Tag endeten.7
Die Befristungen im Rahmen des „kleinen Arbeitsverhältnisses“
werden daher für die hiesigen Zwecke – und
vorbehaltlich abweichender Feststellungen im Berufungsverfahren
– als Teil des „großen Arbeitsverhältnisses“
im Sinne einer zeitweisen Befristung eines erhöhten
Beschäftigungsumfangs zugrunde gelegt.8 Von der
Wirksamkeit dieser Befristungen ist – ebenso wie für die
übrigen nicht angegriffenen Befristungen – gem. § 17
Satz 2 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG auszugehen.
Der Entfristungsklage liegt daher ein befristetes Arbeitsverhältnis
zugrunde, das über einen Zeitraum von
10 Jahren 4 Monaten bestand und dessen Befristung insgesamt
viermal verlängert wurde. Aus dieser Befristungsdauer
(23. August 2010 bis 31. Dezember 2020) folgt
damit – wie auch das Arbeitsgericht für das große Arbeitsverhältnis
erkannt hat – ein indizierter Rechtsmissbrauch
(„Rot“), der die Prüfung „besondere Umstände“
erfordert. Im Unterschied zum Arbeitsgericht ist allerdings
auch das „kleine Arbeitsverhältnis“ betroffen und
somit keiner eigenständigen Rechtsmissbrauchskontrolle
zu unterziehen. - Zu den besonderen Umständen gem. WissZeitVG
Das Arbeitsgericht misst den Befristungen nach dem
WissZeitVG keinerlei Bedeutung zu, da die beklagte
Hochschule beim Abschluss der zuletzt abgeschlossenen
Befristung hätte erkennen müssen, dass die Klägerin
mehr als 10 Jahre beschäftigt war.9 Dem ist nicht zuzustimmen.
Anerkanntermaßen verkörpern gerade die Befristungstatbestände
in § 2 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 WissZeitVG
die grundgesetzlich und europarechtlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit
(Art. 5 Abs. 3 GG, Art. 13 GRCh) und
bilden damit im Grundsatz einen „besonderen Umstand“,
der im Rahmen der Rechtsmissbrauchsprüfung nicht
übergangen werden darf:10
„Daneben können grundrechtlich gewährleistete Freiheiten
von Bedeutung sein (BAG, NZA 2015, 928 = NJW
Mandler/Schindler · Berücksichtigung vergangener Befristungen gem. WissZeitVG? 1 3 1
11 Vgl. BAG NZA 2016, 552; Mandler, Die Verlängerung von Arbeitsverhältnissen
gem. § 2 Abs. 5 WissZeitVG, OdW 2014, 221;
siehe auch Graue, Verlängerungen im Hochschulbereich, PersR
2021, Nr 2, 33–37.
12 Mandler, Rechtsmissbrauch bei Drittmittelbefristungen gem. § 2
Abs. 2 WissZeitVG, OdW 2015, 223; vgl. hierzu auch Löwisch/Anselment,
Befristung wissenschaftlicher Mitarbeiter an Fachhochschulen,
OdW 2021, 165.
13 Die Angabe des genauen Befristungsgrundes ist nach dem Zitiergebot
gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 WissZeitVG nicht geschuldet. Ebenso
ist es nicht erforderlich auf Satz 4 zu verweisen, wenn Kinder
vorhanden sind und diese zur Verlängerung der Höchstbefristungsdauer
für eine wirksame Befristung herangezogen werden
müssen. Derartige Angaben binden den Arbeitgeber letztendlich
nur unnötig – etwa, wenn eine Verlängerung gem. § 2 Abs. 5 Nr.
1 WissZeitVG möglich ist oder erklärt wurde oder die Voraussetzungen
gem. § 2 Abs. 2 WissZeitVG vorliegen; vgl. BAG NZA
2016, 552; Müller-Glöge in ErfK, 21. Aufl. 2021, WissZeitVG § 2
Rn. 15.
14 Mandler, Rechtsmissbrauch bei Drittmittelbefristungen gem. § 2
Abs. 2 WissZeitVG, OdW 2015, 222; vgl. BAG, Urteil vom 18. Juli
2012 – 7 AZR 443/09 – juris Rn. 41, 48.
15 ArbG Gera, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 1 Ca 19/21 –, juris Rn.
37.
16 Vgl. BAG, Urteil vom 18. Mai 2016 – 7 AZR 533/14 = NZA 2016,
1276; BAG, Urteil vom 8. Juni 2016 – 7 AZR 259/14 = BeckRS
2016, 73446; BAG, Urteil vom 28. September 2016 – 7 AZR 549/14
= NZA 2017, 249; dazu Mandler/Wegmann, Der Befristungsgrund
gem. § 14 Abs. 2 TzBfG im Anwendungsbereich des
WissZeitVG, OdW 2018, 201 ff.
17 Vgl. hierzu Mandler/Wegmann, Der Befristungsgrund gem. § 14
Abs. 2 TzBfG im Anwendungsbereich des WissZeitVG, OdW
2018, 201 ff.
18 Vgl. BAG NZA 2021, 786; Maschmann, Befristung — Hochschule -
Anrechnung auf die Höchstdauer – angemessene Befristungsdauer,
AP Nr 18 zu § 2 WissZeitVG; Boemke, jurisPR-ArbR 39/2021
Anm. 3; Mandler/Meißner, Die Angemessenheit der Befristungsdauer
nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG, OdW 2017, 199 ff.;
Mandler/Meißner, Entwurfsdiskussion WissZeitVG – Möglichkeiten,
Einschränkungen, Verbesserungspotential, OdW 2016 S.
40 f.
2016, 185 Rn. 25; NZA 2015, 301 Rn. 38; NZA-RR 2014, 408
Rn. 36 = NZA 2014, 1296 Ls.; BAGE 142, 308 = NZA 2012,
1351 = NJW 2013, 1254 Rn. 47) …
Die den Befristungen zugrunde liegenden gesetzlichen
Regelungen des „Sonderbefristungsrechts“ der vormaligen
§§ 57 a ff. HRG dienten ebenso wie die genannten Bestimmungen
des Sächsischen Hochschulgesetzes einem angemessenen
Ausgleich der Interessen der Hochschule, welche
die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 III GG für sich in Anspruch
nehmen kann und deren wissenschaftlichem Personal
(vgl. BAG, NZA 2016, 758 Rn. 36). Auch § 2 I Wiss-
ZeitVG ermöglicht seit seinem Inkrafttreten am 18.4.2007
langjährige sachgrundlose Befristungen zur wissenschaftlichen
Qualifikation. In diesen Regelungen ist eine Höchstbefristungsdauer
festgelegt, was den Anforderungen von
§ 5 Nr. 1 Buchst. b der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung
über befristete Arbeitsverträge im Anhang der RL
1999/70/EG genügt (BAGE 139, 109 = NZA 2012, 385 Rn.
35). § 2 I WissZeitVG lässt daher für wissenschaftliches
Personal an Hochschulen in weitaus größerem Umfang
sachgrundlose Befristungen zu als § 14 II TzBfG. Dabei
wirkt die am Qualifikationsziel orientierte Maximalbefristungsdauer
der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme
der Befristungsmöglichkeit entgegen.“
Die sachgrundlose Befristung gem. § 2 Abs. 1 Wiss-
ZeitVG unterliegt als lex specialis ihren eigenen Regeln
und ermöglicht auch ohne die Verlängerungstatbestände
in § 2 Abs. 3, 511 WissZeitVG zulässige Befristungen von
12 bzw. 15 Jahren. Für die Sachgrundbefristung in
§ 2 Abs. 2 WissZeitVG, die an sich keinen Höchstbefristungsgrenzen
unterliegt, ist das zwar prinzipiell anders,
aber jedenfalls solange im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle
unbedenklich, wie die konkreten
Höchstbefristungsgrenzen – des Wissenschaftlers12 –
gem. § 2 Abs. 1 , 3, 5 WissZeitVG nicht überschritten
wurden. Die Befristungstatbestände stehen der Hochschule,
den Universitätsklinika und den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen alternativ zur Verfügung13,
wobei die Befristungszeiten gem. § 2 Abs. 2 Wiss-
ZeitVG gem. § 2 Abs. 3 Satz 2 WissZeitVG auf die
Höchstbefristungsgrenzen anzurechnen sind.14
Die insoweit vorliegenden „besonderen Umstände“
werden auch nicht – wie das Arbeitsgericht meint15 – dadurch
entwertet, dass die zuletzt erfolgte Befristung
nicht mehr nach dem WissZeitVG, sondern nach dem
TzBfG erfolgt ist.
Zwar ist es richtig, dass der Rechtsmissbrauch für die
zuletzt vereinbarte Befristung indiziert wird, dies führt
aber nicht dazu, dass die für vergangene Befristungen
gegebenen besonderen Umstände rückwirkend wieder
entfallen oder unerheblich werden.
Erforderlich ist eine rückschauende Gesamtbetrachtung,
die dem lex specialis Verhältnis zwischen Wiss-
ZeitVG und TzBfG und der daraus folgenden Sperrwirkung
des WissZeitVG Rechnung trägt.16 Das Wiss-
ZeitVG ist allein für die Befristung wissenschaftlichen
Personals zur wissenschaftlichen Qualifizierung maßgeblich
und bestimmt infolgedessen auch im Zusammenhang
mit einer anschließenden TzBfG-Befristung
weiterhin den Bezugspunkt für die Rechtsmissbrauchsprüfung
dieser Zeiten.17 WissZeitVG und TzBfG liegen –
insbesondere auch wegen des neu eingefügten Angemessenheitskriteriums
in § 2 Abs. 1 WissZeitVG18 oder den
gesetzlichen Verlängerungstatbeständen in
§ 2 Abs. 3, 5 WissZeitVG – unterschiedlichen Voraussetzungen
und unterschiedliche Vorstellungen über die zulässigen
Befristungslängen zugrunde. Einer Anwendung
der Rechtsmissbrauchsgrundsätze des TzBfG für Wiss1
3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 9 — 1 3 4
19 § 2 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 WissZeitVG und § 6 WissZeitVG, vgl.
zu letzterem BAG NZA 2021, 1483; Bader, jurisPR-ArbR 47/2021
Anm. 2.
20 Zur Berechnung der Höchstbefristungsgrenze siehe jüngst BAG,
Urteil vom 20. Mai 2020 – 7 AZR 72/19 und LAG Hamm, Urteil
vom 28. November 2019 – 11 Sa 381/19; vgl. Mandler/Wegmann,
Wie viele Tage hat das Jahr? Berechnung der Höchstbefristungsgrenzen
gem. § 2 WissZeitVG, OdW 2020, 53 ff.; Mandler/Wegmann,
Berechnung der Höchstbefristungsgrenze gem. § 2 Abs. 1
Satz 1 und 2 WissZeitVG – Anmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 16. August 2018 – 21 Sa 201/18, OdW 2019, 125 ff.
21 Vgl. bspw. BAG NZA 2016, 1463, 1468 Rn. 38.
22 Mandler, Rechtsmissbrauch bei Drittmittelbefristungen gem. § 2
Abs. 2 WissZeitVG, OdW 2015 S. 217 ff.; vgl. LAG Sachsen, Urteil
vom 6. März 2014 – 6 Sa 676/13; LAG Hessen, Urteil vom 6. August
2015 – 2 Sa 1210/14; LAG Köln, Urteil vom 6. November 2013
– 11 Sa 226/13; ArbG Aachen, Urteil vom 29. Januar 2013 – 5 Ca
3759/12; LAG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2016 – 7 Sa 1208/15 =
BeckRS 2016, 74885.
23 Vgl. BAG NZA 2018, 858; BAG NZA 2017, 706.
24 Die Beklagte hat offenbar die „Verlängerung“ der Rechtsmissbrauchsgrenzen
durch die WissZeitVG-Zeiten vertreten. Das ist
sicherlich auch ein gangbarer Weg und führt im Kern zum selben
Ergebnis. Allerdings kann hierdurch die zeitliche und inhaltliche
Zäsur zwischen den TzBfG-Befristungen nicht hinreichend
berücksichtigt werden, die durch die dazwischenliegenden
WissZeitVG-Befristungen entsteht und den Missbrauchsvorwurf
gegenüber weit zurückliegenden TzBfG abschneidet. Ohne
Unterbrechung beträgt die Befristungsdauer knapp über 8 Jahre
und führt somit gleichwohl zur Missbrauchsprüfung („gelb“)
– freilich unter Umkehrung der Darlegungslast. Fehlt es an
entsprechenden Einlassungen der Klägerin, kann die Frage der
Unterbrechung dahinstehen.
ZeitVG-Befristungen – für die das TzBfG gar nicht anwendbar
wäre – muss daher durch die Anerkennung der
„besonderen Umstände“ im Rahmen der Gesamtbetrachtung
vorgebeugt werden.
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung
sind daher vergangene WissZeitVG-Befristungen19 bei
der Prüfung des Rechtsmissbrauchs der letzten TzBfGBefristung
nicht einzupreisen, sofern die konkreten
Höchstbefristungsgrenzen gem. WissZeitVG noch nicht
überschritten waren.20 In diesem Fall ist nicht von einer
rechtsmissbräuchlichen Befristung für einen dauerhaften,
nicht-wissenschaftsbezogenen Bedarf, sondern von
einer zulässigen Befristung zur wissenschaftlichen Qualifizierung
auszugehen. Die Wirksamkeit der zurückliegenden
WissZeitVG-Befristung wird gem. § 17 Satz 2
TzBfG i.V.m. § 7 KSchG vorausgesetzt.21 Dies gilt entsprechend
auch für Befristungen von Wissenschaftlern
gem. § 2 Abs. 2 WissZeitVG, solange es sich um die Befristung
eines Wissenschaftlers handelt und die Höchstbefristungsgrenzen
für eine sachgrundlose Befristung
gem. § 2 Abs. 1 WissZeitVG noch nicht überschritten
waren.22
Darüber hinaus muss die WissZeitVG-Befristung im
Rahmen der Missbrauchsprüfung gleich einer (gerechtfertigten)
Unterbrechung der TzBfG-Befristung wirken,
wenn hierdurch zwei TzBfG-Befristungen so weit voneinander
getrennt werden, dass zwischen diesen ein längerer
Zeitraum wissenschaftlicher Qualifizierung liegt. In
diesem Fall besteht zwischen den TzBfG-Befristungen
kein erkennbarer Zusammenhang mehr, aus dem ein indizierter
Rechtsmissbrauch durch Zeitablauf oder ein
vorwerfbarer, dauerhafter Beschäftigungsbedarf folgen
könnte. Von einer entsprechenden Unterbrechungswirkung
dürfte – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts – jedenfalls dann auszugehen
sein, wenn die WissZeitVG-Befristung für
mehr als zwei Jahre erfolgt ist23 und zwischen den
TzBfG-Befristungen somit ein durch besondere Umstände
„gerechtfertigter“ Zeitraum von mehr als zwei
Jahren liegt. So liegen die Dinge hier.
Auf die WissZeitVG-Befristungen (Nr. 3, 5 & 6) entfallen
– unter Berücksichtigung ihrer Überlappung – 4
Jahre und 8 Monate. Die Höchstbefristungsgrenze gem.
§ 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG wurde daher eingehalten,
sodass sich für die gem. dem WissZeitVG erfolgten Befristungszeiträume
besondere, rechtfertigende Umstände
ergeben, die für sich einen Rechtsmissbrauch
ausschließen.
Der Zeitraum wirkt zudem im vorliegenden Fall auch
im Sinne einer Unterbrechung der TzBfG-Befristungen
soweit er sich nicht mit der TzBfG-Befristung (Nr. 2, 7)
überschneidet, mithin für 2 Jahre und 6 Monate. Die zurückliegenden
TzBfG-Befristungen (Nr. 0–2,) können
daher für eine Missbrauchsprüfung nicht mehr herangezogen
werden. Es verbleibt damit ein zu prüfender Befristungszeitraum
von rund 5 Jahren (Nr. 4, 7, 8, 9), dessen
Befristungsdauer die Grenzen des Rechtsmissbrauchs
weder in Bezug auf den Befristungsumfang
noch die Anzahl der – hier nicht gegebenen – Verlängerungen
überschreitet.24
III. Praxishinweis & Ausblick
Der vorliegende Fall zeigt anschaulich, welche prozessualen
Risiken für die Hochschulen, Universitätsklinika
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in
Befristungen gem. TzBfG liegen können, die auf langjährige
Befristungen gem. WissZeitVG folgen.
Es ist daher anzuraten auf eine derartige Kombination
von Befristungen gem. WissZeitVG und TzBfG – jedenfalls
innerhalb der Befristungsampel – soweit wie
möglich zu verzichten, um den Gerichten erst gar keinen
Anlass zur Beanstandung zu geben. Sollte eine Befristung
aber dennoch erforderlich sein, ist anzuraten jeMandler/
Schindler · Berücksichtigung vergangener Befristungen gem. WissZeitVG? 1 3 3
denfalls nicht in den „roten“ Bereich der Befristungsampel
zu gelangen, um zumindest die prozessualen Risiken
entsprechender Darlegungen zum Rechtsmissbrauch auf
den Arbeitnehmer zu verlagern. Schließlich kann eine
Lösung auch darin liegen, bereits bestehende Verträge
auf eine mögliche (sachgrundlose) Neubefristung gem.
WissZeitVG zu überprüfen, um damit ggf. auf die noch
nicht erreichten Höchstbefristungsgrenzen zurückgreifen
zu können. Erfolgt die letzte Befristung nach dem
WissZeitVG und innerhalb der Höchstbefristungsgrenzen
ist das Vorliegen „besonderer Umstände“ nicht
bestreitbar.
Ob dieser „Tausch“ günstig wäre, ist aber sorgfältig
zu überdenken. Schließlich sind die Anforderungen an
die Wirksamkeit einer Befristung gem. WissZeitVG
hoch und die darin liegenden Risiken durch Erfordernis
eines zwingenden Beschäftigungsumfangs von mehr als
einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit durch das
Bundesarbeitsgericht25, der Berechnung von Promotionszeiten26
oder die Annahme weiterer Tatbestandsmerkmale27
nicht geringer geworden. Von der bei Einführung
des WissZeitVG noch beabsichtigten einfachen
und rechtssicheren Handhabung der Befristungen gem.
§ 2 WissZeitVG zum Schutze der Wissenschaftsfreiheit
und zur Entlastung der Hochschulen, Universitätsklinika
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist
nicht mehr viel zu erkennen.
Dr. Tobias Mandler ist Rechtsanwalt bei Jones Day in
München. Katharina Schindler ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin ebenda. Der Beitrag gibt ausschließlich
die persönliche Auffassung der Autoren wieder.
25 BAG, Urteil vom 20. Januar 2021 – 7 AZR 193/20 = NZA 2021,
786; bei Mischtätigkeiten muss die wissenschaftliche Tätigkeit
überwiegen, vgl. Müller-Glöge, ErfK, 21. Aufl. 2021, § 2 Wiss-
ZeitVG Rn. 2b; Boemke, jurisPR-ArbR 39/2021 Anm. 3.
26 Vgl. BAG, Urteil vom 23. März 2016 – 7 AZR 70/14, BAG Urteil
vom 18. Mai 2016 – 7 AZR 712/14; BAG Urteil vom 21. August
2019 – 7 AZR 563/17; dazu Mandler/Banerjee, Berechnung der
Promotionszeiten gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 HS 2 WissZeitVG, OdW
2020 S. 261 ff.; siehe auch BAG NZA 2012, 385; zum Ausschluss
der Verlängerung nach Ausschöpfung der Promotionszeit vgl.
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. März 2021 – 8 Sa 160/20 –,
juris.
27 Vgl. LAG Köln, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 5 Sa 451/20; dazu
Pschorr, Qualifikation durch Beschäftigung?, RdA 2021, 237 ff.;
Mandler/Banerjee, Die Förderung der eigenen wissenschaftlichen
Qualifizierung als Tatbestandsmerkmal der sachgrundlosen
Befristungen gem. § 2 Abs. 1 WissZeitVG?, OdW 2021 S. 193 ff.
1 3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 9 — 1 3 4