Der vom Verwaltungsgericht Freiburg entschiedene Rechtsstreit betrifft die Klage eines Hochschullehrers gegen seine Hochschule auf Anrechnung einer Lehrveranstaltung auf seine Lehrverpflichtung.
Der Kläger verlangt die volle Anrechnung der Lehrveranstaltung auf seine Lehrverpflichtung. Die Veranstaltung war über eine zweiwöchige Dauer nicht hinausgekommen und ist jedenfalls ab der dritten Vorlesungswoche von keinen Studierenden mehr besucht worden. Dem waren nach Angaben von Beteiligten Differenzen über die Anforderungen der Lehrveranstaltung vorausgegangen.
I. Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg
Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis stattgegeben. Es hat die Anrechnung der streitbefangenen Lehrveranstaltung auf das Lehrdeputat des Klägers in erster Linie auf die Annahme gestützt, dass in der hier anwendbaren Lehrverpflichtungsverordnung des Landes Baden-Württemberg nähere Bestimmungen darüber fehlen, „wann genau eine Vorlesung oder Übung als erbracht gilt“ und hieraus aus „allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen“ die Notwendigkeit einer Anrechnung auch dann abgeleitet, wenn die Lehrveranstaltung nicht wie ursprünglich geplant durchgeführt wird. Da es sich bei der Regelung des § 3 Abs. 2 Lehrverpflichtungsverordnung um eine solche zur Arbeitszeit handele, würden sonst der Vorbereitungsaufwand und eine bis zum Ausbleiben von Teilnehmern tatsächlich erbrachte Lehrleistung „unter den Tisch fallen“.1
Die nach Ansicht des Verwaltungsgerichts fehlenden Regelungen in der Lehrverpflichtungsverordnung beträfen nicht nur den Fall, dass der Hochschullehrer dienstunfähig erkrankt und dadurch an der Dienstleistung gehindert ist,2 sondern auch den hier einschlägigen Fall, dass die Lehrveranstaltung – aus welchem Grund auch immer – von wenigen oder keinen Teilnehmern besucht wird. Habe der Hochschullehrer eine mit den maßgeblichen Gremien abgestimmte Vorlesung angeboten, die sich innerhalb der Bandbreite des zur Erfüllung des Ausbildungsauftrags der Hochschule typischerweise erforderlichen Lehrangebots hält,3 sich also zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgefunden, zu lehren, habe er seine Lehrverpflichtung in zeitlicher Hinsicht vollständig erbracht. Diese Anforderungen habe der Kläger mit der Vorlesung „C.“ ersichtlich erfüllt. Wie bei anderen Beamten auch, die ihre Dienstleistung nur erbringen können, wenn Publikum erscheint, ändere das Ausbleiben von Publikum nichts daran, dass Arbeitszeit zurückgelegt wird.
Nicht gefolgt werden könne daher der Rechtsauffassung des Beklagten, die Lehrverpflichtung werde nicht schon durch das Anbieten einer Veranstaltung erfüllt, vielmehr müsse die angebotene Veranstaltung auch stattfinden, so dass eine Lehrveranstaltung nicht anzurechnen sei, die mangels ausreichender Teilnehmerzahl gar nicht zustande komme. Dies folge nicht, wie der Beklagte meint, aus dem Wortlaut von § 46 Abs. 2 Satz 1 Landeshochschulgesetz (LHG), wonach Lehrveranstaltungen „abzuhalten“ sind. Auch wenn diese Formulierung für sich genommen durchaus im Sinne einer durchgehenden Aktivität des Lehrenden verstanden werden kann, habe dergleichen in den einschlägigen Vorschriften der LVVO keinen Niederschlag gefunden. Vor allem spräche entscheidend gegen ein solches Normverständnis, dass Vorgaben dazu fehlen, welche Teilnehmerzahl noch als ausreichend zu betrachten ist, um eine Vorlesung als „abgehalten“ zu verstehen. Würde eine Vorlesung wegen des Ausbleibens von Teilnehmern beispielsweise kurz vor Ende des Semesters abgebrochen und deshalb – so das Verständnis des Beklagten – auf die Lehrverpflichtung des Hochschullehrers nicht angerechnet, müsste dieser in dem darauffolgenden Semester zusätzliche Lehrverpflichtungen übernehmen, ohne dass er im laufenden Semester im gleichen Umfang mehr Zeit auf seine andere Dienstpflicht, die eigene Forschung, hat verwenden können. Damit würde sich das Verhältnis
Manfred Witznick
Erfüllung der Lehrverpflichtung durch Hochschullehrer – Anmerkung zu Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 8.10.2021, 1 K 2327/19
1 Verwaltungsgericht Freiburg (Breisgau), Urteil 8. Oktober 2021 – 1 K 2327/19 –, juris, Rn. 24. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
2 Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil 14.Dezember 2020 — 11 K 1503/19 -, juris, Rn. 33 ff.),
3 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss 11.Dezember.2002 — DL 17 S 9/02 -, juris, Rn. 4
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 9 — 4 4
4 Verwaltungsgericht Freiburg, a.a.O. Rn. 19 5 Verwaltungsgericht Freiburg, a.a.O. Rn. 20
der beiden Dienstpflichten Forschung und Lehre signifikant
zu Lasten der Forschung verschieben.
Hinzu komme, dass der Hochschullehrer es nur in
gewissem Umfang selbst in der Hand hat, ein Ausbleiben
von Teilnehmern zu verhindern. Vielmehr könne er gezwungen
sein, eine Veranstaltung anzubieten, die bei
den Studenten keinen Anklang findet, etwa weil sie zwar
im Studienplan enthalten ist, aber nach der Studien- und
Prüfungsordnung das Bestehen einer hierauf bezogenen
Prüfung für den Fortgang des Studiums keine Bedeutung
hat. In einer solchen Situation müsse der
Hochschullehrer die Vorlesung gewissenhaft vorbereiten
und beginnen, auch wenn von vornherein mit dem Ausbleiben
von Teilnehmern im Laufe des Semesters gerechnet
werden muss.
Nach alledem lasse sich eine von der Vollanrechnung
abweichende Regelung – etwa in Gestalt einer Teilanrechnung
wie sie die Hochschule im Laufe des Verwaltungsverfahrens
erwogen hat – der LVVO im Wege der
Auslegung auch nicht mit Blick auf die Formulierung
des § 46 Abs. 2 Satz 1 LHG entnehmen. Sollte der Beklagte
eine Vollanrechnung für unangemessen halten, stehe
es ihm in seiner Eigenschaft als Gesetz- oder Verordnungsgeber
frei, eine Regelung zu treffen.
Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 124a Abs. 1 Nr. 1
i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung wegen
grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, die daraufhin
eingelegt wurde.
II. Würdigung
Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann nicht
zugestimmt werden. Ihr liegt eine fehlerhafte Interpretation
der einschlägigen Lehrverpflichtungsverordnung
sowie daraus abgeleiteten unzutreffenden Schlussfolgerungen
zugrunde.
Das Verwaltungsgericht stellt zunächst fest, dass in
der Lehrverpflichtungsverordnung nähere Bestimmungen
dazu fehlen, „wann genau eine Vorlesung oder Übung
als erbracht gilt“ 4 und hält sich deshalb für befugt, „in
Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung“ auf „allgemeine
beamtenrechtliche Grundsätze zurückzugreifen“. 5
Diese Vorgehensweise ist in mehrfacher Hinsicht
methodisch problematisch. Zum Einen wird nicht begründet,
warum das Verwaltungsgericht nur eine „ausdrückliche“
Regelung in der Lehrverpflichtungsverordnung
als eine relevante Rechtsregelung ansieht und deshalb
insoweit eine Regelungslücke identifiziert, die es
zum Andern sodann mit dem Rückgriff auf „allgemeine
beamtenrechtliche Grundsätze“ schließen zu müssen
glaubt.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts besteht
das von ihm für diese Regelungsmaterie angenommene
Schweigen des Verordnungsgebers nicht und damit
auch keine zu schließende Regelungslücke.
Der Umstand, dass eine bei der Auslegung von Normen
bestehende Einzelfrage in einer Norm nicht „ausdrücklich“
einer Regelung zugeführt wird, lässt für sich
genommen noch nicht den Schluss zu, dass es an einer
diesbezüglichen Regelung „mangelt“. Vielmehr ist zunächst
anzustreben, mit den üblichen Auslegungsmethoden
den objektivierten Willen des Normgebers zu
ermitteln.
Bei der Auslegung von Rechtsverordnungen ist dabei
in erster Linie deren Ermächtigungsgrundlage in den
Blick zu nehmen, um den dort zum Ausdruck gebrachten
gesetzgeberischen Willen zu erkunden.
Rechtsgrundlage für die Lehrverpflichtungsverordnung
ist die auch in deren Rubrum aufgeführte Vorschrift
des § 44 Abs. 4 Satz 1 LHG. Danach ist in der Verordnung
„der Umfang der Lehrverpflichtung des hauptberuflichen
wissenschaftlichen Personals“ unter Berücksichtigung
verschiedener Faktoren zu regeln. Hierbei handelt
es sich um eine komplexe Materie, die sich nicht darauf
reduzieren lässt, sie durch inhaltliches oder zeitliches
Aufaddieren einzelner Teilaufgaben aufzuspalten. Regelungszweck
der Lehrverpflichtungsverordnung ist nicht,
wie das Verwaltungsgericht meint, vorrangig die Organisation
der Arbeitszeit des wissenschaftlichen Personals,
sondern in erster Linie die Gewährleistung und Sicherstellung
des gesetzlich normierten Ausbildungsauftrages
der Hochschulen. Die Verordnung dient damit
der Erfüllung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden
Rechtspflichten der Hochschulen insbesondere auf vollständige
Ausschöpfung der Lehrkapazität.
Hinsichtlich der Ausgestaltung der Lehrverpflichtungsverordnung
ist dabei zu berücksichtigen, dass gemäß
§ 46 Abs. 1 Satz 1 LHG die Hochschullehrer die ihrer
Universität obliegenden Aufgaben in Wissenschaft,
Forschung und Lehre in ihren Fächern nach näherer
Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses zwar selbständig
wahrnehmen. Dabei sind sie nach
§ 46 Abs. 2 Satz 1 LHG im Rahmen der für ihr
Dienstverhältnis geltenden Regelungen aber verpflichtet,
Witznick · Erfüllung der Lehrverpflichtung 4 1
6 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil 23. Mai
2006,- 4 S 1957/04‑, juris, Rn. 23
7 Ebenso z.B. § 1 a Abs. 1 LVV NRW, eine vergleichbare Bestimmung
findet sich in fast allen Verordnungen der Bundesländer.
8 Denkschrift des Rechnungshofes 2005 über die „Wahrnehmung
der Lehre an den Universitäten (Beitrag Nr. 27)“.
9 vgl. dazu Droste-Lehnen, Die authentische Interpretation, 1990.
Eine solche kann auch zur Eingrenzung einer Gesetzesauslegung
durch Richterrecht dienen (S. 20)
10 Die Verbindlichkeit der authentischen Interpretation wird regelmäßig
nur bei einer – hier nicht einschlägigen – rückwirkenden
Auslegung einer Norm problematisiert.
11 https://www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/de/veroeffentlichungen/
ergebnisberichte/236879/238278.html (letzter
Zugriff am 02.12.2022)
Lehrveranstaltungen ihrer Fächer in allen Studiengängen
abzuhalten. Zur Konkretisierung dieser Verpflichtungen
hat der Gesetzgeber in zulässiger Weise eine Verordnungsermächtigung
erlassen.6
§ 46 Abs. 2 Satz 1 LHG legt dabei die Verpflichtung
fest, Lehrveranstaltungen abzuhalten, nicht etwa nur
anzubieten. In Umsetzung dieser, das gesetzliche Gebot
der vollständigen Kapazitätsausschöpfung umsetzenden,
Vorgabe konkretisiert die Lehrverpflichtungsverordnung
den Umfang der Lehrverpflichtung für die verschiedenen
Mitglieder des hauptberuflichen wissenschaftlichen
Personals.
§ 1 Abs. 1 Satz 2 LVVO bestimmt, dass eine Lehrveranstaltungsstunde
ein Lehrangebot von einer Lehrstunde
je Woche der Vorlesungszeit des Semesters (Semesterwochenstunden)
umfasst.7 Nachdem die nach
§ 29 Abs. 4 LHG festzusetzende Vorlesungszeit regelmäßig
14/15 Wochen beträgt, setzt die Erfüllung der dort
vorgegebenen Anzahl an Semesterwochenstunden
schon begrifflich deren tatsächliche Durchführung in
dem genannten Zeitraum voraus. Dies beinhaltet z.B. für
den Typus des Standardangebots regelmäßig durchgeführter
Lehrveranstaltungen die ordnungsgemäß durchgeführte
wöchentliche Abhaltung der Lehrveranstaltung
während der gesamten Vorlesungszeit. Falls hiervon abweichend
für die Erfüllung des Lehrdeputats geringere
inhaltliche und zeitliche Anforderungen gestellt werden
sollen, bedürfte dies einer ausdrücklichen Regelung in
der Verordnung, die hier fehlt.
Die – soweit ersichtlich einzige im Bundesvergleich –
einschlägige diesbezügliche Regelung enthält § 13 Abs. 3
Lehrverpflichtungsverordnung des Landes Berlin, worauf
sich der Kläger ausdrücklich bezogen hatte. Danach
müssen auf Grund fehlender Nachfrage ausgefallene
Lehrveranstaltungen nicht nachgeholt werden. Diese
Regelung beschränkt sich aber auf das Land Berlin und
bringt insoweit deren gesetzgeberisches Ermessen für
das dortige landesrechtliche Hochschulrecht zum Ausdruck.
Folgerungen für das Land Baden-Württemberg
und die anderen Bundesländer können hieraus nicht abgeleitet
werden. Im Gegenteil zwingt die Nichtaufnahme
einer vergleichbaren Bestimmung in die anderen
Lehrverpflichtungsverordnungen zu dem Schluss, dass
dort keine diesbezügliche Ausnahme zugelassen ist.
Zusätzlich belegt wird diese Sichtweise durch
Äußerungen des zuständigen Ministeriums im Nachgang
zu einer Prüfung des Rechnungshofes des Landes Baden-
Württemberg im Jahr 2005. Dort findet sich folgende
Aussage des Rechnungshofes:
„3.3.8 Anrechnung ausgefallener Veranstaltungen.
In einzelnen Fällen wurden Lehrveranstaltungen auf die
Lehrverpflichtung angerechnet, die mangels ausreichender
Teilnehmerzahlen gar nicht zustande kamen. Eine Erfüllung
der Lehrverpflichtung tritt jedoch nicht schon durch das Anbieten
einer Veranstaltung ein, sondern setzt voraus, dass die
angebotene Veranstaltung auch stattfindet.“ 8
In der unter Nummer 6 der Denkschrift aufgeführten
„Stellungnahme des Ministeriums“ heißt es u.a.:
„Das Ministerium schließt sich der Kritik des RH an der Praxis
der Anrechnung von Lehrveranstaltungen hinsichtlich der
Mehrzahl der gerügten Fehler an. Nicht einverstanden ist das
MWK allerdings mit der Auffassung des RH, dass Doktorandenseminare
und Graduiertenkollegs nicht auf die Lehrverpflichtung
angerechnet werden dürften.“
Daraus ergibt sich, dass das Ministerium als Verordnungsgeber
die in diesem Zusammenhang geäußerte
Rechtsauffassung des Rechnungshofes teilt. Somit geht
es hier nicht etwa nur um eine – unmaßgebliche – persönliche
Meinungsäußerung der Rechnungsprüfer, sondern
um die authentische9 und damit verbindliche10 Interpretation
der Verordnung durch das Land in seiner
Eigenschaft als Verordnungsgeber und damit „Autor“
und Urheber der Norm. Diese authentische Interpretation
wird auch durch die Reaktion der Landesregierung
und die weitere parlamentarische Debatte belegt.11
Umso mehr muss erstaunen, dass das Verwaltungsgericht
trotz ausdrücklichen Hinweises der Beklagten
und Übergabe der Dokumente diesen Einwand schlicht
übergangen und in seiner Entscheidung nicht gewürdigt,
geschweige denn berücksichtigt hat.
Damit steht fest, dass das Land die vom Rechnungshof
formulierte Interpretation der Lehrverpflichtungsverordnung
mit der Folge der Nichtanrechnung nicht
durchgeführter Lehrveranstaltungen auf das Lehrdepu4
2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 9 — 4 4
12 Verwaltungsgericht Freiburg, a.a.O. Rn. 20
13 Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil 14. Dezember 2020 – 11 K
1503/19 –, juris Rn. 25
tat gebilligt hat und diese somit auch seinem eigenen
Willen und Verständnis als Verordnungsgeber entsprach
und entspricht. Nachdem der Verordnungsgeber auch in
der Folgezeit keine Veranlassung gesehen hat, in die
Lehrverpflichtungsverordnung die diesbezüglichen aus
Sicht des Verwaltungsgerichts weitergehenden klarstellenden
Regelungen aufzunehmen, ist davon auszugehen,
dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.
Die zwingende Folge ist, dass die vom Verwaltungsgericht
gesehene Regelungslücke in der Lehrverpflichtungsverordnung
nicht existiert, sodass auch für deren
vermeintlich erforderliche Schließung durch das Verwaltungsgericht
kein Raum ist.
Den Gerichten ist es wegen ihrer Bindung an Gesetz
und Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG verwehrt, sich über
eine bewusst getroffene Entscheidung des Gesetz- oder
Verordnungsgebers durch z.B. Rückgriff auf „allgemeine
beamtenrechtliche Grundsätze“ hinwegzusetzen. Das gilt
auch, soweit dieser bewusst von einer inhaltlichen Regelung
absieht. Letztere Variante betrifft beispielsweise die
Arbeitszeitregelungen bei Hochschullehrern.
Das Verwaltungsgericht verkennt, dass dem von ihm
vorgenommenen Rückgriff „auf allgemeine beamtenrechtliche
Grundsätze“12 im Hochschulbereich rechtliche
Hürden entgegenstehen.
So sind nach § 45 Abs. 2 Satz 2 LHG die beamtenrechtlichen
Vorschriften über die Arbeitszeit auf Hochschullehrer
nicht anwendbar. Der Gesetzgeber hat darüber
hinaus auch darauf verzichtet, im Landeshochschulgesetz
oder in darauf fußenden Verordnungen eigenständige
Bestimmungen über die Arbeitszeit der
Hochschullehrer zu treffen. Solche Regelungen würden
– ihre generelle Zulässigkeit unter Berücksichtigung der
Wissenschaftsfreiheit hier einmal unterstellt — ohnehin
nur dann Sinn machen, wenn sie nicht nur die Lehrleistungen,
sondern auch die anderen den Hochschullehrern
übertragenen in § 46 Abs. 1 LHG aufgelisteten
Dienstaufgaben erfassen und regeln.
Von daher ist die Annahme des Verwaltungsgerichts,
bei der Lehrverpflichtungsverordnung handele es sich
um eine Regelung der Arbeitszeit, in dieser Absolutheit
unscharf und führt zu falschen Schlussfolgerungen.
Für diese weiteren Dienstaufgaben nach
§ 46 Abs. 1 LHG hat der Gesetz- und Verordnungsgeber
jedoch ebenfalls keine Regelungen getroffen. Dabei sind
diese durchaus arbeits- und zeitintensiv. So ist beispielsweise
mit den regelmäßig gestellten Drittmittelanträgen
für Forschungsvorhaben häufig sehr viel Aufwand verbunden,
der sich im Falle einer Ablehnung ggf. als mehrmonatige
Fehlinvestition erweisen kann. Ebensowenig
wird die zeitintensive Mitarbeit der Hochschullehrer in
Berufungskommissionen bei der Besetzung von Professorenstellen
als Arbeitszeit „verbucht“. Auch diese Tätigkeit
kann sich als vergeblich herausstellen, wenn Gelistete
den Ruf ablehnen oder die Berufungsliste aus sonstigen
Gründen „platzt“. Schließlich werden auch die zahlreichen
oft sehr zeitintensiven Diskussionen in diversen
Hochschulgremien und Ausschüssen über die Neufassung
oder Änderungen von Studien- und Prüfungsordnungen,
Zulassungssatzungen, Lehr- und sonstigen Evaluationen,
diversen weiteren Satzungen, Richtlinien etc.
nicht gesondert als Arbeitszeit erfasst. In allen diesen
Fällen ist die Bewertung der Tätigkeit und der eingesetzten
Arbeitszeit nicht davon abhängig, ob der damit angestrebte
„Erfolg“ eintritt.
Von daher ist kein Grund erkennbar, warum es notwendig
sein soll, speziell und nur bei den Lehraufgaben
zur Vermeidung, dass eine Tätigkeit „unter den Tisch
fällt“, eine darauf gerichtete Tätigkeit auch dann als vollzogen
zu klassifizieren, wenn der damit angestrebte Erfolg
gerade nicht eingetreten ist.
Für die vom Verwaltungsgericht geforderte Berücksichtigung
einer von ihm ansonsten offenbar als „nutzlos“
angesehenen Arbeitszeit bei der Vorbereitung einer
Lehrveranstaltung gibt es im Übrigen auch keinerlei
sachliche Gründe. Diese Arbeitszeit wird ja tatsächlich
berücksichtigt. Der Dienstherr verlangt keine Nacharbeit,
schon gar nicht steht eine wie vom Verwaltungsgericht
als – abgelehnte — Option erörterte Kürzung der Bezüge
wegen Fernbleibens vom Dienst zur Debatte.
Auch der in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgericht
gezogene Vergleich mit einem krankheitsbedingten
Ausfall einer Lehrveranstaltung vermag die
Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht zu stützen.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Lehrverpflichtungsverordnung
dabei nur unter dem Gesichtspunkt
eines krankheitsbedingten Ausfalls einer Lehrveranstaltung
in den Blick genommen.13 Tatsächlich entbindet
eine zu Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung
grundsätzlich von den dienst- und arbeitsrechtlichen
Pflichten. Im vorliegenden Fall geht es aber darum, ob
von den — im konkreten Fall dienstfähigen — Lehrenden
Witznick · Erfüllung der Lehrverpflichtung 4 3
14 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,
Urteil 23. Mai 2006 – 4 S 1957/04 –, juris
ein unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der
Studierenden entstandenes Lehrangebot verlangt werden
kann.
Im Ergebnis verlangt das Verwaltungsgericht, dass
auch eine nicht zustande gekommene oder frühzeitig abgebrochene
Lehrveranstaltung in vollem Umfang auf das
Lehrdeputat angerechnet werden muss. Dieses Postulat
lässt sich aus den genannten Gründen aus der Lehrverpflichtungsverordnung
in der hier maßgeblichen Auslegung
nicht ableiten. Vor diesem Hintergrund hätte das
Verwaltungsgericht die Verordnung als insoweit nicht
von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt bewerten
müssen, was jedoch – aus seiner Sicht konsequenterweise
– unterblieben ist.
Eine solche rechtliche Einschätzung wäre indessen
nicht gerechtfertigt. Bei der näheren Ausgestaltung der
hochschulrechtlichen Vorschriften ist dem Gesetzgeber
unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum
eingeräumt, von dem bei der Lehrverpflichtungsverordnung
in zulässiger Weise Gebrauch gemacht worden
ist.
Diese Ermächtigung beinhaltet auch die Befugnis, in
der Lehrverpflichtungsverordnung Regelungen darüber
zu treffen, unter welchen Voraussetzungen die Verpflichtung
zur Erfüllung der Dienstaufgaben als erfüllt gilt mit
der Folge, dass die entsprechende Lehrveranstaltung auf
das Deputat des zur Lehre verpflichteten Angehörigen
des wissenschaftlichen Personals angerechnet werden
kann. Wie oben ausgeführt, ordnet die Lehrverpflichtungsverordnung
entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung
zur „Abhaltung“ einer Lehrveranstaltung
auch deren Durchführung an.
Diese Verpflichtung ist auch sachgerecht. Denn es
geht hierbei darum, der in § 2 Abs. 1 Satz 2 LHG normierten
Ausbildungsverpflichtung der Hochschulen
nachzukommen.
Allerdings trifft es natürlich zu, dass Aufwendungen
für die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung, die — aus
welchen Gründen auch immer — letztlich nicht auf das
Lehrdeputat angerechnet wird, aus Sicht des Lehrenden
jedenfalls teilweise als vergeblich empfunden werden.
Dies stellt aber wie auch die oben angeführten Beispiele
deutlich machen bei den Dienstaufgaben der Hochschullehrer
eine dem Wissenschaftsbetrieb immanente
und ihn prägende Erscheinung dar. Der Normgeber
muss daher auch bei der Ausgestaltung der Lehrverpflichtungsverordnung
nicht gewährleisten, dass sämtliche
Tätigkeiten in diesem Zusammenhang als „erfolgsorientiert“
verbucht werden können. Dies ist wie oben
ausgeführt ebensowenig bei den anderen Dienstaufgaben
der Hochschullehrer der Fall und konsequente Folge
der Befreiung der Hochschullehrer von den beamtenrechtlichen
Arbeitszeitvorschriften. Dieser Verzicht auf
arbeitszeitorientierte Detailregelungen trägt zum einen
der besonderen verfassungsrechtlich gewährleistenden
Rechtsstellung der Hochschullehrer als Träger des
Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit Rechnung und
soll nicht zuletzt deren Unabhängigkeit sichern. Auf der
anderen Seite begrenzt sie im Interesse der Sicherstellung
der Grundrechte der weiteren Beteiligten (weiteres
wissenschaftliches Personal der Fakultät und Studierende)
einseitige Handlungsspielräume und fordert Kooperation
ein.
Bei der Festlegung der Rahmenbedingungen für die
Erfüllung der Lehrverpflichtung sind im Ergebnis neben
den Rechten des betroffenen Hochschullehrers auch die
Rechte der Studierenden und deren Anspruch auf
Durchführung einer ordnungsgemäßen Lehre nach näherer
Maßgabe der einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen
in den Blick zu nehmen. Diese sich
durch „Wechselwirkung“ bei konkurrierenden Verfassungsrechtsgut
aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden
Grenzen sind durch konkrete Abwägung am Maßstab
des Verhältnismäßigkeitsprinzips herauszuarbeiten.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
hat in seiner Entscheidung vom 23.05.200614 betreffend
das Normenkontrollverfahren zur Erhöhung der Lehrverpflichtung
für Professoren die verschiedenen dabei
zu berücksichtigenden Aspekte dargestellt:
„In diesem Sinne grenzt die beamtenrechtliche Lehrverpflichtung
des Hochschullehrers, deren Ausgestaltung in der Lehrverpflichtungsverordnung
den Umfang der in der Lehre regelmäßig
zu erbringenden Dienstaufgaben konkretisiert, das
Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit im Rahmen des Ausbildungsbetriebs
der Universität notwendigerweise ein
(BVerfGE 54, 173, 193; BVerwG, Urteil vom 08.02.1980, BVerwGE
60, 25, 48; Wendt, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-
Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl., Art. 5 RdNr. 105
„Lehrverpflichtung“).
Hier überschneiden sich zwei verschiedene Interessen- und
Rechtskreise, die beide grundrechtsrelevant sind: einerseits
die durch den verfassungsrechtlichen Zulassungsanspruch
4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 9 — 4 4
15 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, a.a.O., juris, Rn. 32
16 Verwaltungsgericht Freiburg, a.a.O. Rn. 24
17 Verwaltungsgericht Freiburg, a.a.O. Rn. 22
18 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss 11.
Dezember 2002,- 4 DL 17 S 9/02 -, juris, Rn. 4
der Studienbewerber bestimmte Pflicht zur erschöpfenden
Kapazitätsnutzung und andererseits die nicht allein durch
das Dienstrecht, sondern zugleich durch das Grundrecht der
Wissenschaftsfreiheit bestimmte Rechtsposition des Lehrpersonals.
Beide stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis
zueinander. Einschränkungen des Zulassungsrechts hängen
wesentlich davon ab, welche Lehrverpflichtungen dem Lehrpersonal
abverlangt werden; Festlegungen dieser Lehrverpflichtungen
führen zugleich zu einer Reglementierung der
Arbeitszeit und Arbeitsweise des wissenschaftlichen Personals
im Rahmen des Ausbildungsbetriebs der Universität
(BVerfGE 54, 173, 192), wobei vor dem Hintergrund der Wissenschaftsfreiheit
der Professoren deren Lehrverpflichtung
wiederum nicht generell übermäßig oder für den einzelnen
unverhältnismäßig sein darf (BVerwG, Urteil vom 08.02.1980,
a.a.O.; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des
Staatsrechts, a.a.O., § 145 RdNr. 40)“.15
Diese Notwendigkeit einer sachgerechten Abwägung
widerstreitender Interessen hat das Verwaltungsgericht
verkannt. Es hat vielmehr einseitig nur die dem Hochschullehrer
drohenden Nachteile und Einschränkungen
betrachtet und geht hierbei zudem noch von unzutreffenden
Annahmen aus.
So fällt der Vorbereitungsaufwand für eine nicht abgehaltene
Lehrveranstaltung entgegen der Annahme des
Verwaltungsgerichts keineswegs „unter den Tisch“. Wie
auch die streitbefangene Lehrveranstaltung des Klägers,
die bereits in einem vorangegangenen Semester durchgeführt
worden war, finden jedenfalls die Standardveranstaltungen
regelmäßig statt, sodass der jeweilige Vorbereitungsaufwand
deutlich herabgesetzt ist. Ebenso
entbehren die Vermutungen des Verwaltungsgerichts
über eine dem Hochschullehrer aufgezwungene Veranstaltung,
„die bei den Studenten keinen Anklang findet,“16
jeglicher Grundlage. Seit der Umsetzung der Bologna-
Reform gibt es in den Studiengängen praktisch keine
Lehrveranstaltung mehr, die „für den Fortgang des Studiums
keine Bedeutung hat“ und deren Abhaltung dem
Hochschullehrer aufgezwungen wird.
Nimmt man für die konkrete Durchführung einer
Lehrveranstaltung lediglich die Vorstellungen und Interessen
des anbietenden Hochschullehrers als Maßstab,
würden zwangsweise zahlreiche Veranstaltungen mangels
Nachfrage ausfallen. Müsste auch für diese gleichwohl
das volle Lehrdeputat angerechnet werden, wäre
der Ausbildungsauftrag der Hochschulen nicht zu gewährleisten.
Der Staat müsste dann zusätzliche Steuergelder
aufbringen, um beispielsweise über Lehraufträge
das nach den Studien- und Prüfungsordnungen geforderte
ordnungsgemäße Lehrangebot sicherzustellen.
Von daher ist es notwendig und kann vorausgesetzt werden,
dass die Hochschullehrer bei der ihnen grundsätzlich
in Eigeninitiative überantworteten persönlichen
Lehrplanung auch die rechtlichen und sachlichen Vorgaben
der Lehreinheit sowie die Bedürfnisse der Studierenden
in den Blick nehmen, denen die Studierfreiheit
eingeräumt ist. Dies verkennt das Verwaltungsgericht,
wenn es für ausreichend erachtet, dass „der Hochschullehrer
eine mit den maßgeblichen Gremien abgestimmte
Vorlesung angeboten (hat), die sich innerhalb der Bandbreite
des zur Erfüllung des Ausbildungsauftrags der
Hochschule typischerweise erforderlichen Lehrangebots
hält“.17 Vielmehr bedingt dies insbesondere auch eine
Verpflichtung der Lehrenden zur „Fairness“18 gegenüber
den studentischen Interessenten an der Veranstaltung.
Eine Lehrveranstaltung, die nicht durchgeführt oder
wegen Differenzen mit den Interessenten schon nach
kurzer Zeit ohne Teilnehmer bleibt, kann daher im Ergebnis
nicht auf das Lehrangebot angerechnet werden.
Dies schließt andererseits jedoch nicht aus, dass eine
Anrechnung erfolgen kann, sollte beispielweise in einem
fortgeschrittenem Stadium trotz Abbruch eine Anrechnung
der Studienleistung für die Studierenden möglich
sein.
Manfred Witznick ist Rechtsanwalt in Konstanz. Zuvor
war er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2016 in der
Wissenschaftsverwaltung tätig, hauptsächlich als Justitiar
der Universität Konstanz. Sein Tätigkeitsschwerpunkt
ist die Beratung von Hochschulen in hochschulund
personalrechtlichen Angelegenheiten. Der Beitrag
gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung
wieder.
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