Am 30.10.2020 und 15.1.2021 veranstaltete der Verein zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts bereits zwei Online-Tagungen zu Lehre und Prüfungen in der Corona-Zeit und den damit verbundenen rechtlichen Fragestellungen.1 Da die Coronavirus-Pandemie den Hochschulalltag sowie die Durchführung der anstehenden Semesterabschlussprüfungen weiterhin erschwert, bleibt insbesondere der Gesichtspunkt der Online-Prüfungen für die Hochschulen besonders relevant.
Prof. Dr. Volker Epping, Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts, betonte in seiner Begrüßung, dass das Interesse an dem Thema nicht abreiße und die Praxis weiterhin vor vielgestaltige Herausforderungen stelle, was die erneut 190 Teilnehmenden aus Wissenschaft und Praxis unter Beweis stellten. Die Veranstaltung solle insbesondere die Analyse mittlerweile ergangener Rechtsprechung sowie die Diskussion von Fragen aus dem Teilnehmerkreis ermöglichen.
I. Prüfungsrecht in Zeiten der Coronavirus-Pandemie
Im ersten Impulsvortrag benannten Edgar Fischer (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin) und Dr. Peter Dieterich, LL.M. (Richter am Verwaltungsgericht Berlin)2 zunächst rekurrierend auf die ersten beiden Veranstaltungen die spezifischen Probleme des Prüfungsrechts in der Pandemie, insbesondere bei der Durchführung von Online-Prüfungen und stellten aktuelle Entscheidungen zum Prüfungsrecht während der Pandemie vor.
Zu trennen sei stets zwischen der Verfahrens- und Bewertungsebene einer Prüfung. Daher müssen auch die Fehlerfolgen auf den beiden Ebenen separat betrachtet werden. Fehler im Prüfungsverfahren würden grundsätzlich zur Wiederholung der Prüfung führen, während Bewertungsfehler im Allgemeinen eine Neubewertung nach sich zögen. Die Pandemie werfe insbesondere hinsichtlich der Verfahrensebene vielfältige prüfungsrechtliche Fragestellungen auf. Pandemiespezifische Herausforderungen stellten sich hinsichtlich der Bewertungsebene hingegen nur vereinzelt, z.B. sofern flächendeckende Täuschungen im Prüfungsverfahren zur Verzerrung des relativen Bewertungsmaßstabs führen würden.3 Mängel im Verfahren dürften nicht durch Verschiebungen auf der Bewertungsebene ausgeglichen werden. Entsprechend kritisch seien einzelne Judikate zu sehen, die andeuteten, eine nachträgliche Anpassung des Bewertungsmaßstabs für denkbar zu halten, sofern die Ergebnisse der unter schwierigen Bedingungen leidenden „Pandemie-Kampagnen“ deutlich von früheren Jahrgängen abwichen.4
Bei Betrachtung der Zulässigkeit von Online-Prüfungen müsse man sich die betroffenen Rechtspositionen vor Augen führen. Für die Prüflinge5 seien die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, da die Prüfung ein Berufszugangshindernis darstelle, sowie die Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG, welche während der Prüfung gewährleistet sein müsse, berührt. Daneben seien aber auch die Rechtspositionen der Allgemeinheit zu beachten. Diese komme mit den beruflichen Leistungserbringungen in Berührung und habe ein Recht darauf, dass die Eignung für den Beruf durch eine zweckmäßige, insbesondere hinreichend aussagekräftige, Prüfung nachgewiesen wurde. Insbesondere im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG müsse der Staat der Allgemeinheit gegenüber Schutzpflichten erfüllen und müsse daher das fachliche Niveau sowie die VergleichKaroline
Haake
Prüfungen in der Coronazeit – aktuelle rechtliche Fragestellungen
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 4.2.2022
1 Berichte dieser Tagungen sind veröffentlicht in OdW 2021, 59 ff. und 201 ff.
2 Beide sind Autoren der im März erschienen 8. Auflage des Standardwerks Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht.
3 S. dazu Haake, OdW 2021, 59 (61).
4 So VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 25.1.2021 – 9 S 3423/20; VG Ansbach, Beschluss v. 30.11.2020 – AN 2 E 20.01752.
5 Soweit im Folgenden allein aus Gründen besserer Lesbarkeit die Form des generischen Maskulinums verwendet wird, sind stets alle Geschlechter mitumfasst.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
2 1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 2 ) , 2 1 5 — 2 2 2
6 Zur Anpassung der Prüfungsordnung siehe auch die Ausführungen
bei Haake, OdW 2021, 59 (60). Nach dem VG Berlin
rechtfertige die Pandemie zudem nicht mehr die Annahme von
pauschalen Eilkompetenzen, Urteil v. 16.8.2021 – 3 K 554/20.
7 So auch zuletzt vom VG Dresden angenommen, Beschluss v.
27.5.2021 – 5 L 261/21. Dazu Haake, OdW 2021, 59 (60).
8 So auch VG Frankfurt (Oder), Beschluss v. 11.5.2021 – 1 L 124/21;
VG München, Urteil v. 25.2.2021 – M 3 K 20.4723; VG Dresden,
Beschluss v. 27.5.2021 – 5 L 261/21 (letztere Entscheidung grenze
jedoch die elektronische Prüfung und die Online-Prüfung nicht
scharf genug voneinander ab). Eine Online-Prüfung könne
jedoch im Einzelfall bei speziellen Regelungen in der Prüfungsordnung
(z.B. zur Gewährleistung der Hochschulöffentlichkeit)
nicht mit dieser konform sein. Zudem könne eine Änderung
der Prüfungsordnung aus Klarstellungsgründen oder wegen des
Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrechts der Prüflinge
angezeigt sein. S. auch Haake, OdW 2021, 201 (202 f.).
9 So auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.3.2021 – 14
B 278/21.NE = NJW 2021, 1414, ähnlich VG Frankfurt (Oder),
Beschluss v. 11.5.2021 – 1 L 124/21.
10 Auch andere Tagungsteilnehmende berichteten aus der Praxis,
dass eine steigende Anzahl an Täuschungen und Zusammenarbeit
unter den Prüflingen als Reaktion auf die nun schon seit vier
Semestern stattfindenden Online-Prüfungen zu beobachten sei.
11 Ausführlich dazu auch Dieterich, NVwZ 2021, 511 ff.
12 OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.3.2021 — 14 B 278/21.NE
= NJW 2021, 1414.
13 OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 3.3.2021 — 3 MR 7/21 = NJW
2021, 1407.
barkeit der Prüfungen auch zu Pandemiezeiten
gewährleisten.
Aufgrund der Grundrechtsrelevanz der Prüfungen
sei ferner der grundgesetzliche Gesetzesvorbehalt zu beachten.
Es sei jedoch regelmäßig ausreichend, wenn sich
die Rechtsgrundlage für die Prüfungen aus der Prüfungsordnung
(insb. Satzungen) ergebe. Sofern die Prüfungsordnung
die konkrete Art und Weise der geplanten
Prüfungsdurchführung nicht deckt, müsse diese angepasst
werden.6 Ggf. könne auch mit Einwilligung des
Prüflings von der Prüfungsordnung abgewichen
werden.7
Zwischen den Prüfungsarten werde kompetenzbasiert
abgegrenzt. Daher sei die Online-Prüfung keine eigene
Prüfungsart, sondern nur eine Durchführungsvariante
der klassischen Prüfungsarten z. B. einer mündlichen
oder schriftlichen Prüfung. Aus diesem Grund sei
aus prüfungsrechtlicher Sicht nicht stets eine gesonderte
Rechtsgrundlage für die Durchführung der Prüfung als
Online-Prüfung und daher auch keine Änderung der
Prüfungsordnung angezeigt.8 Zu beachten sei, dass unter
einer Klausur vorbehaltlich abweichender Regelungen in
den einschlägigen Prüfungsordnungen grundsätzlich
eine Aufsichtsarbeit zu verstehen sei. Schriftliche Ausarbeitungen
ohne Aufsicht (Open-Book-Arbeiten) seien
daher prüfungsrechtlich als Hausarbeiten einzuordnen.
Um eine Online-Klausur durchzuführen, sei daher eine
Form von Aufsicht notwendig.9
In der Praxis hätten sich Täuschungen als wesentliches
Problem der Online-Prüfungen erwiesen.10 Um die
Zweckmäßigkeit der Prüfung für die Berufsqualifikation
und die Chancengleichheit i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG aufrechtzuerhalten,
sei es geboten, effektive Täuschungsabwehrmaßnahmen
zu entwickeln. Auch aus diesem
Grund sprachen sich Fischer und Dieterich bereits in der
Vergangenheit für die Durchführung von Fernklausuren
mit Videoaufsicht als Ersatz für Präsenzklausuren aus.
Mit der Online-Prüfung erfüllten die Hochschulen während
der Pandemie ihre Verpflichtung gegenüber den
Prüflingen aus Art. 12 Abs. 1 GG zur (zeitnahen) Durchführung
der Prüfung.
Ähnliche Ansichten vertreten auch neuere Judikate
seit Beginn der Pandemie.11 So erachtete das OVG Nordrhein-
Westfalen nicht nur die Beaufsichtigung über Video-
und Tonverbindung als zulässig, sondern auch die
vorübergehende Aufzeichnung und Speicherung dieser
erhobenen Daten (bei Unregelmäßigkeiten oder auf Antrag).
12 Dies sei auch zur Aufgabenwahrnehmung im Interesse
der Allgemeinheit nach Art. 6 Abs. 1 lit. e) DSGVO
erforderlich, um Täuschungen zur Wahrung der
Chancengleichheit zu vermeiden. Es sei auch kein milderes
Mittel ersichtlich. Insbesondere sei die Videoaufsicht
auch verhältnismäßig im engeren Sinne, das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Prüflinge müsse hinter
der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG
zurücktreten.
Das OVG Schleswig-Holstein setzte sich zudem ausführlich
mit den Grundrechtspositionen der Prüflinge
bei der Videoaufsicht auseinander.13 Die Unverletzlichkeit
der Wohnung aus Art. 13 GG sei durch die Videoaufsicht
nicht verletzt, da diese nur vor einem „Eindringen“
in die Wohnung schütze. Ein solcher Eingriff in den
Schutzbereich des Grundrechts fehle aber bereits, wenn
der Prüfling freiwillig Kamera und Mikrofon freigibt
und damit an der Online-Prüfung teilnimmt. Zudem
finde kein spezifischer Zugriff auf die Wohnung statt, da
die Prüfung auch an anderen Orten abgelegt werden
könne bzw. der Prüfling den Hintergrund so gestalten
könne, dass kein privater Rückzugsort sichtbar ist.
Auch der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung
sei durch die Chancengleichheit sowie Interessen
der Allgemeinheit gerechtfertigt, die durch die berufsqualifizierenden
Anforderungen der Prüfung geschützt
würden. Insbesondere sei die Videoaufsicht dazu
auch geeignet. Sie bleibe auch erforderlich, da keine milderen
Mittel ersichtlich seien: Präsenzprüfungen seien
Haake· Prüfungen in der Coronazeit 2 1 7
14 Auch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die Open-
Book-Arbeit sei ohne unzulässige Hilfsmittel angefertigt worden,
sei kein gleichwertiges Mittel zur Täuschungsprävention.
15 So VG Dresden, Beschluss v. 16.2.2021 – 5 L 5/21.
16 VG Dresden, Beschluss v. 27.5.2021 – 5 L 261/21.
17 VG Dresden, Beschluss v. 27.5.2021 – 5 L 261/21.
18 VG Düsseldorf, Urteil v. 26.4.2021 – 6 K 957/20.
19 Dies ist abhängig vom Infektionsgeschehen, dem Hygienekonzept
vor Ort oder der Zugehörigkeit des Prüflings zu einer
Risikogruppe. Restriktiv jeweils OVG Niedersachsen, Beschluss v.
2.9.2020 – 2 ME 349/20), VG Bremen, Beschluss v. 16.12.2020 – 1
V 2653/20, VG Gießen, Beschluss v. 5.3.2021 – 9 L 491/21.GI, VG
Berlin, Beschluss v. 10.9.2021 – 12 L 237/21.
20 Unter Umständen kann auch auf das Hausrecht der Hochschule
zurück gegriffen werden, OVG Niedersachsen, Beschluss
v. 20.5.2021 – 2 ME 105/21. Ablehnend zur Maskenpflicht VG
Göttingen, Beschluss v. 27.5.2020 – 4 B 112/20, bejahend VG Köln,
Beschluss v. 17.7.2020 – 6 L 1246/20.
21 Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht müssen dabei gesundheitliche
Beeinträchtigungen, deren Ursache und die Grundlage
der ärztlichen Einschätzung konkret benennen, OVG NRW,
Beschluss v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20; VG Düsseldorf, Beschluss v.
24.8.2021 – 29 L 1693/21; VG Münster, Beschluss v. 4.12.2020 – 5 L
1027/20; VG Braunschweig, Beschluss v. 19.11.2020 – 4 B 397/20;
VG Regensburg, Beschluss v. 19.11.2020 – RO 14 E 20.2770; VG
Düsseldorf, Beschluss v. 25.8.2020 – 18 L 1608/20; VG Aachen,
Beschluss v. 2.12.2020 – 9 L 887/20; OLG Dresden, Beschluss v.
6.1.2021 – 6 W 939/20; a.A. außerhalb des (Hoch-)Schulkontexts
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 4.1.2021 – 11 S 132/20.
22 Von weiteren Erfordernissen wie etwa zusätzlich zur positiven
Infektion dem Nachweis eines symptomatischen Verlaufs oder
dem Nachweis der Infektion einer Kontaktperson rieten Fischer
und Dieterich ebenfalls ab. Jedoch rechtfertige eine Quarantäneanordnung
ohne Infektion noch keinen Rücktritt von einer
Online-Prüfung.
23 OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.3.2021 – 14 B 277/21.
24 Schwartmann ist zudem Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbandes
für IT- und Datenrecht und Vorsitzender der Gesellschaft
für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. sowie
Herausgeber der datenschutzrechtlichen Kommentare Schwartmann/
Jaspers/Thüsing/Kugelmann, Heidelberger Kommentar zu
DS-GVO/BDSG und Schwartmann/Pabst, Kommentar zum LDG
NRW.
zu Hochzeiten der Pandemie nicht möglich. Andere
Prüfungsformen wie die Open-Book-Ausarbeitungen
ohne Aufsicht seien als Hausarbeiten ein Aliud zur Klausur
und keine gleichwertige Alternative, da andere Kompetenzen
abgefragt würden.14
Sollten hingegen Open-Book-Arbeiten durchgeführt
werden, bei denen der Gebrauch unbegrenzter Hilfsmittel
zulässig ist, sei zur rechtssicheren Täuschungsprävention
zu beachten, dass es sich um eine neuartige Prüfungsform
handle und daher die Prüflinge nicht ohne
weiteres davon ausgehen können, dass eine Zitierpflicht
bezüglich verwendeter Quellen bestehe.15 Hier seien
deutliche Hinweise notwendig, zumal die Hochschule
für Täuschungsversuche die Beweislast trage und insbesondere
den Täuschungsvorsatz des Prüflings nachzuweisen
habe. Der Beweis des ersten Anscheins der Täuschung
könne nur bei glaubwürdigem Vortrag eines abweichenden
atypischen Verlaufs durch den Prüfling entkräftet
werden.16
Für technische Störungen wie auch für andere Störungen
im Prüfungsverfahren gelte die unverzügliche
Rügeobliegenheit für den Prüfling, ansonsten könne sich
dieser nicht mehr auf die Beachtlichkeit des Fehlers berufen.
17 Bei Verdacht einer „Flucht in die technische Störung“
liege die Befugnis, für die Wiederholungsprüfung
eine Einzelprüfung in den Räumen der Hochschule
durchzuführen, um eine solche erneute Möglichkeit auszuschließen,
im Ermessen der Prüfungsbehörde, welche
dafür keine gesonderte Rechtsgrundlage benötige.18
Ein Anspruch auf Durchführung einer Online-Prüfung
anstelle einer Präsenzprüfung bestehe grundsätzlich
nicht, könne sich aber im Einzelfall aus der Prüfungsordnung
ergeben oder entstehen, wenn sich das
Ermessen der Prüfungsbehörde bezüglich der Durchführung
der Prüfung als Online-Prüfung auf Null reduziere.
19 Auch ein Anspruch auf Präsenz- statt Online-
Prüfung bestehe grundsätzlich nicht. Werden Präsenzprüfungen
durchgeführt, könnten Prüflinge bei Corona-
Symptomen wegen der Schutzpflicht der Hochschule für
die Gesundheit der anderen Prüflinge von der Prüfung
ausgeschlossen werden, wenn nicht nachgewiesen werden
kann, dass keine Covid-19-Infektion vorliegt. Dafür
sei jedoch eine hinreichende Rechtsgrundlage erforderlich.
Auch für die Anordnung einer Pflicht zum Tragen
eines Mund-Nasen-Schutzes während der Prüfung sei
eine Rechtsgrundlage notwendig.20 Für die Befreiung eines
Prüflings von dieser Pflicht würden hinreichend aussagekräftige
Atteste benötigt.21
Ein Rücktritt von der Prüfung sei weiterhin nur unter
den allgemeinen prüfungsrechtlichen Voraussetzungen
möglich, jedoch plädierten Fischer und Dieterich dafür,
den Nachweis des Rücktrittsgrundes im Hinblick auf
pandemiebedingte Kapazitätsgrenzen der (Gesundheitsund
Hochschul-)Verwaltung zu erleichtern, indem z.B.
kein amtsärztliches Attest gefordert werde.22 Auch die
Quarantäneanordnung für die Zeit der Prüfung berechtige
zum Rücktritt, selbst wenn diese auf fahrlässiges
Verhalten des Prüflings zurückzuführen ist, sofern kein
missbräuchliches Verhalten vorliege.23
II. Datenschutz in Zeiten der Corona-Pandemie
Im nächsten Impulsvortrag setzte sich Prof. Dr. Rolf
Schwartmann (Technische Hochschule Köln und Leiter
der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht) mit den
datenschutzrechtlichen Fragestellungen rund um
Online-Prüfungen auseinander.24 Schwartmann stellte
die Beobachtung auf, dass das Datenschutzrecht in vie2
1 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 2 ) , 2 1 5 — 2 2 2
25 Dies lehnten sowohl Schwartmann als auch Fischer und Dieterich
bereits in vorherigen Diskussionen ab, Haake, OdW 2021, 201
(205).
26 Das BVerfG ordnete in dem ursprünglich vom AG Goslar
entschiedenen Fall die Vorlage an den EuGH zur Prüfung des
Schmerzensgeldanspruchs an, Beschl. v. 14.1.2021, Az. 1 BvR
28531/19.
27 S. zu den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und möglichen
Schadensersatzansprüchen nach Art. 83 DS-GVO Schwartmann,
Ist volle Kontrolle möglich?, FAZ v. 11.3.2021.
28 Für die datenschutzrechtliche Zulässigkeit weiterer Maßnahmen
s. Haake, OdW 2021, 201 (204).
29 Wie z.B. § 3 NDSG, § 3 DSG NRW, Art. 4 BayDSG.
30 Z.B. § 32a LHG Baden-Württemberg.
31 Z.B. die Bayerische Fernprüfungserprobungsverordnung (Bay-
FEV) v. 16.9.2020.
len Hinsichten strengere Maßstäbe als das Prüfungsrecht
anlege.
Anders als ein Verstoß gegen das Prüfungsrecht
möge eine datenschutzrechtliche Verletzung nicht zu
Fehlern im Verfahren oder der Bewertung der Prüfung
führen. Dies könne nach § 46 VwVfG (ggf. analog) nur
der Fall sein, wenn sich der datenschutzrechtliche Verstoß
auf das Ergebnis der Prüfung auswirke.25
Ein Verstoß gegen die DS-GVO würde vielmehr andere
Sanktionen mit sich ziehen: Ein Bußgeld nach
Art. 83 DS-GVO sei nach § 43 Abs. 3 BDSG zwar für öffentliche
Stellen wie staatliche Hochschulen ausgeschlossen.
In Betracht kämen allerdings Schadensersatzansprüche
gegen die Hochschule nach Art. 82 DS-GVO.
Demnach kann der Ersatz eines materiellen oder immateriellen
Schadens aufgrund einer Datenschutzverletzung
verlangt werden. Ob ein solcher immaterieller
Schaden z.B. bei einer Videoaufsicht vorliegt, kann noch
nicht abschließend beurteilt werden. Anlass zur Sorge
gibt Schwartmann aber, dass das Bundesverfassungsgericht
kürzlich die Möglichkeit bestätigte, dass eine einzelne
unerwünschte Werbemail einen Datenschutzverstoß
darstellt, der einen Schmerzensgeldanspruch in
Höhe von 500 Euro auslöst.26 Daher warnte Schwartmann
vor datenschutzrechtlichen Rechtsstreitigkeiten
mit Schadensersatzforderungen der Studierenden. An
die bestehende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
zur Zulässigkeit der Videoaufsicht seien die über die
Schadensersatzforderungen entscheidenden Zivilgerichte
nicht gebunden.27
Anschließend lieferte Schwartmann eine aktuelle Beurteilung
der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der in
der Pandemie von den Hochschulen zur Durchführung
von Prüfungen und Vorlesungen vorgenommenen Maßnahmen.
28 Grundsätzlich könne die Datenverarbeitung
durch die Hochschulen über Art. 6 Abs. 1 lit. e) DS-GVO
gerechtfertigt werden, der es als umsetzungspflichtige
Öffnungsklausel erlaube, Ermächtigungsnormen in Landesdatenschutzrecht
zu schaffen.29 Demnach sei die Datenverarbeitung
gerechtfertigt, wenn sie zur Wahrnehmung
öffentlicher Aufgaben erforderlich sei.
Die Aufzeichnung von Vorlesungen könne demnach
gegebenenfalls gerechtfertigt sein. Sei die Aufzeichnung
nicht nach lit. e) erforderlich, müssten die Teilnehmenden
jedoch in die Aufzeichnung einwilligen nach
Art. 6 Abs. 1 lit. a), 7 DS-GVO. Eine solche Einwilligung
genüge dem Freiwilligkeitserfordernis des Art. 7 DSGVO,
da die personenbezogenen Daten in der Vorlesung
auch verborgen werden können (durch technische Unkenntlichmachung
des Klarnamens, Bilds und Tons),
während die Teilnahme an der Vorlesung trotzdem möglich
bleibe. Allerdings seien dann im Vorfeld eine Einverständniserklärung
sowie eine Datenschutzinformation
gem. Art. 13 DS-GVO notwendig. Die Einwilligung
der Teilnehmenden bleibe jedoch jederzeit widerruflich
und die Aufzeichnung müsse bei Widerruf der Einwilligung
gelöscht werden.
Die Aufzeichnungen von Prüfungsleistungen, etwa
mündlichen Prüfungen oder der Mitschnitt der Videoaufsicht
einer schriftlichen Fernprüfung seien jedoch datenschutzrechtlich
unzulässig, da sie zur Aufgabenerfüllung
der Hochschule nicht erforderlich seien. Auch in
Präsenz erbrachte Prüfungsleistungen werden schließlich
nicht aufgezeichnet.
Auch der Durchführung von Fernklausuren mit Videoaufsicht
steht Schwartmann weiterhin kritisch gegenüber.
Zwar erfülle die Hochschule mit der Durchführung
von Online-Prüfungen während der Coronavirus-
Pandemie den Anspruch der Prüflinge aus Art. 12 Abs. 1
GG. Daher liege in Online-Prüfungen grundsätzlich die
Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe i.S.d.
Art. 6 Abs. 1 lit. e) DS-GVO i.V.m. dem jeweiligen Landesrecht.
Schwartmann warf jedoch die Frage auf, ob die
generellen landesdatenschutzrechtlichen Ermächtigungsnormen
für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben
auch auf die datenschutzrechtlich sensible Durchführung
von Fernklausuren mit Videoaufsicht anwendbar
sind. Aus demselben Grund seien daher schon einige
konkretere Ermächtigungsnormen durch die Landesgesetzgeber30
oder Landesverordnungsgeber31 erlassen
worden.
Da die Open-Book-Arbeit ohne Aufsicht als schriftliche
Arbeit ein milderes Mittel darstelle, seien Fernklausuren
unter Videoaufsicht meist nicht zur Durchführung
einer schriftlichen Online-Prüfung erforderlich.
Zwar handele es sich um eine andere Prüfungsform, namentlich
eine Hausarbeit anstelle einer Klausur, es können
aber oft trotzdem ähnliche Kompetenzen wie in einer
Klausur abgefragt werden. In vielen Fällen seien daher
weniger eingriffsintensive Alternativen vorhanden.
Haake· Prüfungen in der Coronazeit 2 1 9
Eine Rechtfertigung der Videoüberwachung nach
Art. 6 Abs. 1 lit e) DS-GVO gelinge daher in vielen Fällen
nicht.
Die Durchführung einer Videoaufsicht sei auch nicht
durch Einholen einer Einwilligung der Prüflinge nach
Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO zu rechtfertigen. Denn für
eine wirksame Einwilligung fehle es an deren Freiwilligkeit
i.S.d. Art. 7 Abs. 4 DS-GVO: Auch wenn die Nichtteilnahme
an der Fernklausur keine rechtlichen Konsequenzen
(wie etwa die Anrechnung als Fehlversuch) trage,
so sei zumindest bei mangelnden Prüfungsalternativen
die Teilnahme an der Online-Prüfung nicht
freiwillig, da sich bei Nichtteilnahme an der Prüfung zumindest
auch die Studiendauer der Prüflinge
verlängere.
Entschieden abzulehnen sei zumindest die automatisierte
Videoaufsicht mittels einer dafür vorgesehenen
Software (Proctoring).32 Dabei wird eine Software auf
das private Endgerät der Studierenden geladen, die in
das informationstechnische System eingreift. Neben der
vollen Kontrolle des Geräts findet über die Software u.a.
eine Gesichtserkennung statt, die etwa Blicke des Prüflings
vermessen und auf unübliche Aktivität untersuchen
kann. Dies stelle eine deutliche Verletzung des
Grundrechts der Prüflinge in ihrem Grundrecht auf Gewährleistung
der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer
Systeme aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG dar.
Aber auch der weniger intensiven Methode der Videoaufsicht,
der Durchführung der Aufsicht durch
Hochschulpersonal mittels Videokonferenz ohne Aufzeichnung,
begegnete Schwartmann mit Zweifeln: Zur
effektiven Täuschungsabwehr sei diese Form der Aufsicht
nicht geeignet. Außerhalb des Erfassungsbereichs
der Kamera wären Täuschungen problemlos möglich,
auch den Bildschirm des Bearbeiters könne die Aufsichten
nicht einsehen. Damit könne durch die Videoaufsicht
mittels einer einfachen Videokonferenz die prüfungsrechtliche
Chancengleichheit nicht gewährleistet
werden.
Schwartmann warf zudem die Frage nach der Rechtsnatur
der Mitwirkung der Studierenden während der
Anfertigung der Fernklausur, ob die Prüflinge etwa als
Verwaltungshelfer der Hochschulen an der eigenen Aufsicht
beteiligt seien, auf.
Ein weiteres Konfliktfeld bleibe neben der Beeinträchtigung
der Privatsphäre bei der Online-Lehre und
Online-Prüfungen die Auswahl der technischen Systeme,
insbesondere vor dem Hintergrund des potentiellen
Missbrauchs der generierten Daten durch den Plattformbetreiber.
Insbesondere Plattformbetreiber aus den
USA stehen unter Verdacht, die Daten der Studierenden
weiterzuverarbeiten.33 Nach Art. 32 DS-GVO sind die
Hochschulen aber dazu verpflichtet, geeignete technische
und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um
ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten.
So müssten neben einer Vereinbarung zur Auftragsverarbeitung
mit dem Plattformbetreiber zum Beispiel
Standardeinstellungen beim Betrieb des Tools zur
Gewährleistung dieses Schutzniveaus vereinbart werden,
etwa eine standardmäßige Schwärzung des privaten
Hintergrunds der Studierenden. Bezüglich der Auswahl
datenschutzrechtlich sicherer Tools herrsche auch unter
den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder noch
Uneinigkeit. So habe etwa die Berliner Datenschutzbehörde
eine behördliche Warnung bezüglich der Verwendung
der Software Cisco Webex ausgesprochen.34 Diese
und andere Warnungen beziehen sich aber häufig nicht
auf konkrete Ermittlungsergebnisse der Datenschutzbehörden,
sondern werden pauschal gegen in den USA gehostete
Plattformen ausgesprochen. Endgültige Entscheidungen
in Form von Untersagungsverfügungen
oder gar gerichtlichen Entscheidungen bestehen jedoch
noch nicht. Rechtssicherheit bestehe für die Hochschulen
daher nur, wenn sie europäisch gehostete Tools verwenden,
bei denen jeglicher Datentransfer in sog. unsichere
Drittstaaten ausgeschlossen ist.35 Wenn solche
Software jedoch nicht dieselbe Funktionalität und Sicherheit
wie die der US-Anbieter vorweise, stünden die
Hochschulen vor der Frage, entweder einen potentiellen
Rechtsverstoß zu begehen oder im harten Lockdown
keine Online-Lehre und ‑Prüfungen betreiben zu können.
36 Aufgrund ihres Verfassungsauftrags zur Durchführung
von Lehre und Prüfungen müssten sich die
Hochschulen aber zumindest die Handlungsfähigkeit
beibehalten können. Bis eine konkrete, rechtskräftige
32 Nicht umsonst habe die Proctoring-Software im Jahr 2021 mit
dem Big Brother Award einen Negativpreis für die besondere Beeinträchtigung
der Privatsphäre erhalten, vgl. https://bigbrotherawards.
de/2021/bildung-proctorio.
33 Insbesondere bei dem US-Tool Zoom waren zu Beginn der
Pandemie im März/April 2020 Mängel entdeckt worden, die eine
Ermittlung der US-Generalstaatsanwaltschaft auf den Plan rief.
34 Die FU Berlin erlaubte in dem Fall jedoch im Vertrag mit der
Plattform die Weitergabe der Daten der Studierenden an Dritte,
Thiel, Aufruf zum Grundrechtsverzicht?, FAZ v. 14.1.2021.
35 Grund dafür sei das im Juli 2020 ergangene „Schrems II“ Urteil
des EuGH, in dem das EU-US-„Privacy Shield“, welches den
Transfer personenbezogener Daten aus der EU an US-amerikanische
Unternehmen (u.a. Zoom, Microsoft) zu kommerziellen
Zwecken ermöglichte, für ungültig erklärt wurde.
36 Laut Schwartmann bestehen für die Hochschulen daher beizeiten
nur die Alternativen, einen faktischen digitalen Lockdown einzugehen
oder einen Rechtsbruch zu begehen, Thiel, Aufruf zum
Grundrechtsverzicht?, FAZ v. 14.1.2021.
2 2 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 2 ) , 2 1 5 — 2 2 2
Entscheidung der Behörden oder Gerichte bezüglich des
Tools bestehe, müssen Hochschulen daher eigene datenschutzrechtliche
Risikoabwägung bei Auswahl der Tools
vornehmen.
III. Fragerunde / Diskussion
Anschließend beantworteten die drei Referenten
zunächst im Vorfeld eingereichte Fragen der Tagungsteilnehmenden.
Diese Fragerunde und die anschließende
Diskussion wurden von Prof. Ulf Pallme König und
Dr. Michael Stückradt moderiert.37
Fischer und Dieterich stimmten Schwartmann in der
Hinsicht zu, dass eine Aufzeichnung und Speicherung
der Online-Prüfung, wie sie das OVG NRW erlaube, kritisch
anzusehen sei, insbesondere in Parallelbetrachtung
zu Präsenzprüfungen, bei denen auch keine Aufzeichnung
stattfinde. Auch die Beweislast der Hochschule für
Täuschungen rechtfertige nicht grundsätzlich die Aufzeichnung
und Speicherung.
Neben der Aufsicht sollten nach Fischer und Dieterich
insbesondere auch „sanfte Maßnahmen“ ergriffen
werden, um Täuschungen von Vornherein zu minimieren,
z.B. das Erfordernis handschriftlicher Ausarbeitungen
und das Stellen von Transferaufgaben. Nicht nur für
Online-Prüfungen sei aber im Multiple-Choice-Verfahren
zu bedenken, dass die Vergabe von Maluspunkten
(der Abzug von Punkten, die durch eine richtige Antwort
erreicht worden sind, für falsche Antworten) je
nach Einzelfallgestaltung prüfungsrechtlichen Grundsätzen
widersprechen könnte.38 Diese „sanften Maßnahmen“
zur Täuschungsabwehr könnten jedoch keinen Ersatz
für eine Aufsicht im Sinne einer Aufsichtsarbeit darstellen,
sondern nur zusätzlich ergriffen werden.39 Im
Nachhinein müssen Täuschungsversuche rechtssicher
nachgewiesen werden. Dabei helfen klare, unmissverständliche
Vorgaben zur Zitierpflicht und unzulässigen
Formen der Zusammenarbeit und der Einsatz einer Plagiatssoftware.
Um die Nachweisfähigkeit zu gewährleisten,
seien die Prüfungsleistungen zudem bis zur Bestandskraft
der Prüfung zu konservieren, unabhängig
davon, ob sie elektronisch oder in Papierform eingereicht
werden.40 Bei Verdacht einer Täuschung während
der Prüfung schaffe eine Protokollierung Rechtssicherheit.
Es könne bei Verdacht auch ein 360-Grad-Schwenk
durch den Raum verlangt werden. Einen solchen
Schwenk hielt auch Schwartmann bei Verdacht für möglich,
sofern darin ein den Eingriff in die Privatsphäre
rechtfertigender konkreter Anlass liegt.
Fischer warf zudem die Frage auf, ob Studierende bei
Online-Prüfungen im Sinne ihrer Mitwirkungspflicht
verpflichtet seien, für einen Hintergrund zu sorgen, der
möglichst wenig häusliche Privatsphäre abbildet, um
Datenschutzverstöße zu minimieren.
Uneinigkeit herrschte zwischen Schwartmann, Fischer
und Dieterich bezüglich der Eignung einer Videoaufsicht
zur Täuschungsabwehr. Dieterich wies darauf
hin, dass zwar bei der Videoaufsicht per Videokonferenz
der Bildschirm des Prüflings nicht eingesehen werden
kann. Es herrsche daher ein geringerer Täuschungsabwehrstandard
als bei der Präsenzprüfung. Dies beseitige
jedoch nicht automatisch die Eignung der Videoaufsicht,
denn die Geeignetheit setze zunächst einmal voraus,
dass diese der Täuschungsabwehr förderlich sei und
Täuschungen erschwere. Die Videoaufsicht könne zumindest
Zusammenarbeit mit anderen Personen im selben
Raum unterbinden und psychologisch eine ernsthafte
Prüfungsatmosphäre sichern. Dazu kämen die angesprochenen
„sanften Maßnahmen“ zur
Täuschungsabwehr.
Fischer und Dieterich sahen zudem die Freiwilligkeit
einer Einwilligung in die Videoaufsicht weniger kritisch
an als Schwartmann. Letztlich werde der Rechtskreis der
Studierenden auch erweitert. Ihnen bliebe in der Regel
immer noch die Möglichkeit, die Prüfung stattdessen im
Hörsaal nachzuholen.
Sei eine Open-Book-Ausarbeitung jedoch ohne erhöhte
Täuschungsanfälligkeit dazu geeignet, die in der
Prüfung nachzuweisenden Kompetenzen abzufragen,
könne auf diese laut Dieterich ebenfalls zurückgegriffen
werden, insbesondere dann, wenn eine Videoaufsicht
durch das Hochschulpersonal per Videokonferenz we-
37 Beide sind Vorstandsmitglieder des Vereins zur Förderung des
deutschen und internationalen Wissenschaftrechts. Pallme König
ist Kanzler der Universität Düsseldorf a.D und Stückradt ist
Kanzler der Universität zu Köln.
38 So OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.12.2008 – 14 A 2154/08
= NVwZ-RR 2009, 422; anders aber OVG Niedersachsen,
Beschluss v. 20.7.2016 – 2 ME 90/16. Ausführlich dazu Fischer/
Jeremias/Dieterich, Rn. 588 ff.
39 Eine Aufsicht lasse sich auch nicht durch die zeitliche Begrenzung
der Bearbeitungszeit auf nur wenige Stunden oder den
Ausschluss der Verwendung von Hilfsmitteln ersetzen. Verlange
die Prüfungsordnung die Durchführung einer Klausur, sei daher
eine Aufsicht erforderlich.
40 Dies gelte jedoch nicht für eventuelle – eh schon von allen
Referenten kritisch betrachtete – Aufzeichnungen der Online-
Prüfung, die vor dem Hintergrund der Datensparsamkeit so
schnell wie möglich zu löschen seien.
Haake· Prüfungen in der Coronazeit 2 2 1
gen der hohen Anzahl der Prüflinge nicht sinnvoll möglich
sei. Zu beachten sei insbesondere, dass die Prüfung
weiter prüfungsordnungskonform durchgeführt werde.
Sobald die Hochschulen wieder (zumindest für Prüfungen)
geöffnet sind, sei fraglich, ob Online-Prüfungen
noch als Alternative zu Präsenzprüfungen zulässig sein
könnten. Eine Videoaufsicht sei dann unter Umständen
nicht mehr zur Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe
i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. e) DS-GVO erforderlich. Gegebenenfalls
könnten die Prüflinge jedoch weiterhin in
diese nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO einwilligen. Hybride
Lösungen, wie etwa die Durchführung von Klausuren
nur teilweise in Präsenz und teilweise online, trügen
je nach Einzelfallgestaltung das Risiko, gegen das Gebot
der Chancengleichheit zu verstoßen. Ein solcher Verstoß
läge z. B. bei unterschiedlichen Gestaltungen des Prüfungsumfangs
oder ‑inhalts solcher hybriden Prüfungen
vor.
IV. Resümee und Ausblick
In prüfungsrechtlicher Hinsicht sind im Laufe der Pandemie
bereits einige gerichtliche Entscheidungen getroffen
worden, die den Hochschulen „Rückendeckung“ bei
der Durchführung der kommenden Semesterabschlussklausuren
geben können. Datenschutzrechtlich stehen
solche jedoch noch aus, da über die Auslegung der DSGVO
letztendlich der EuGH entscheidet. Bis dahin gibt
es insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen
Auffassungen der Landesdatenschutzbehörden nur
wenig Sicherheit bezüglich der Zulässigkeit der Online-
Prüfungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass aus Angst
vor Sanktionen gar keine Online-Prüfungen durchgeführt
werden sollten, jedoch ist eine stringente Risikoabwägung
der Hochschulen vor dem Hintergrund der
datenschutzrechtlichen als auch prüfungsrechtlichen
Implikationen notwendig.
Auch Epping betonte, dass in der Pandemie vor dem
Hintergrund des Verfassungsauftrags der Hochschulen
deren Handlungsfähigkeit bewahrt werden müsse. Als
Präsident der Leibniz Universität Hannover betonte er,
dass in der Prüfungspraxis auch die Rechtspositionen
der Allgemeinheit nicht zu vernachlässigen seien.
Schließlich müssen die Prüfungen eben auch sicherstellen,
dass die Prüflinge zur späteren Berufsausübung geeignet
sind.
Epping eröffnete zudem die Möglichkeit, im nächsten
Jahr bei neuen Rechtsfragen eine erneute Veranstaltung
anzusetzen. Abhängig davon, wie lange die Pandemie
noch andauere, könne dann auch die Fragestellung beleuchtet
werden, welche Prüfungsmodelle sich in die
Zeit nach der Pandemie mitnehmen ließen.
Karoline Haake ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Internationales Recht, Lehrstuhl für
Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der
Leibniz Universität Hannover tätig.
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