Die Dissertation „Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen“ wurde an der Universität zu Köln er- stellt. Betreut wurde die Arbeit von Professor Dr. Bernhard Kempen. Die Arbeit ist im Jahr 2020 als 61. Band der Schrif- tenreihe „Kölner Schriften zu Staat und Recht“ beim Peter Lang Verlag erschienen.
I. Das Kernproblem
Die Frage nach der Zulässigkeit von Anwesenheitspflich- ten ist ein Thema, über das leidenschaftlich im hoch- schulpolitischen Diskurs debattiert wird. Während sich Studierende durch die ihnen auferlegten Anwesenheits- pflichten in ihrer Studier- und Lernfreiheit beschränkt fühlen, sehen vor allem Hochschullehrende in dem Ver- bot, Anwesenheitspflichten anzuordnen, einen Eingriff in ihre Lehrfreiheit. Von vielen Hochschulprofessorin- nen und ‑professoren wird gerade die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen als Schlüssel zur Bildung gesehen. Dies war und ist in vielen Fällen ein Grund für die Hoch- schulprofessorinnen und ‑professoren und ihre Hoch- schulen, die Teilnahme an einigen Lehrveranstaltungen in Form von Anwesenheitspflichten verbindlich zu machen.
Lange Zeit haben sich die Verantwortlichen staatli- cher Stellen mit diesem Umstand nicht auseinanderge- setzt, ihn aber geduldet. Doch vor ein paar Jahren gab ein Erlass des Ministeriums für Innovation, Wissen- schaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen1 Anlass, die Frage nach den Anwesenheitspflichten aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und dieser Proble- matik neue Aufmerksamkeit zu schenken.
Triebfeder des Erlasses war der Umstand, dass in zahlreichen universitären Studien- und Prüfungsord- nungen der Besuch einer Mindestzahl von Veranstal- tungsterminen zur Voraussetzung für die erfolgreiche
1 Erlass des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und For- schung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9.11.2012 – Az. 411.
Teilnahme an der Lehrveranstaltung oder für die Teil- nahme an einer Prüfung gemacht wurde. Solche Anord- nungen hielt das Ministerium aber durchweg für recht- lich angreifbar.
Da auch der damalige Landtag von Nordrhein-West- falen der Auffassung war, dass Anwesenheitspflichten weder hochschulpolitisch sinnvoll noch verfassungs- und hochschulrechtlich hinnehmbar seien, fasste der Landtag im Rahmen umfassender Reformen das Hoch- schulgesetz auch in der Frage nach den Anwesenheits- pflichten neu2 und schaffte dadurch — nach eigener Ein- schätzung — rechtliche Klarheit zu den Anwesenheits- pflichten für Studierende in Nordrhein-Westfalen. So hieß es in § 64 Abs. 2a HG NRW
„Eine verpflichtende Teilnahme der Studierenden an Lehr- veranstaltungen darf als Teilnahmevoraussetzung für Prü- fungsleistungen nicht geregelt werden, es sei denn, bei der Lehrveranstaltung handelt es sich um eine Exkursion, einen Sprachkurs, ein Praktikum, eine praktische Übung oder eine vergleichbare Lehrveranstaltung.“
Ein vorläufiges Ende bereitete der Landtag der Diskussi- on um die Anwesenheitspflicht mit dieser Regelung jedoch nicht. Die bestehende Rechtslage und ihre tat- sächliche Umsetzung führten nicht nur zu vielen Fragen bei den Betroffenen, die neue Regelung gab auch Anlass zu der Debatte, ob ein Verbot von Anwesenheitspflich- ten überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die nach einem Regierungswechsel im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen neu gewählte Ministerin für Kul- tur und Wissenschaft bereitete dem Verbot von Anwe- senheitspflichten dann jedoch ein frühzeitiges Ende und strich § 64 Abs. 2 HG NRW kurzerhand aus dem Hochschulgesetz.
Doch nicht nur in Nordrhein-Westfalen hat der Ge- setzgeber eine explizite Regelung zu den Anwesenheits-
2 Hochschulzukunftsgesetz vom 16.9.2014, GV, NRW, S. 543.
Sarah Gronemeyer
Sind Studierende verpflichtet an Lehrveranstaltun- gen teilnehmen? — Buchvorstellung der Dissertation „Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen“
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
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pflichten getroffen. So wurde § 64 Abs. 2s HG NRW wortgleich im Hochschulgesetz des Landes Schleswig- Holstein aufgenommen. Im Hochschulgesetz Nieder- sachsens ist hingegen in § 7 Abs. 5 S. 1 Nds. HG geregelt, dass Studien- und Prüfungsordnungen eine Verpflich- tung der Studierenden zur Anwesenheit in Lehrveran- staltungen nur vorsehen dürfen, wenn diese erforderlich sind, um das Ziel einer Lehrveranstaltung zu erreichen. Der Thüringer Gesetzgeber fordert in § 55 Abs. 2 Nr. 17 ThürHG, dass die Prüfungsordnungen unter anderem festlegen müssen, für welche Lehrveranstaltungen die verpflichtende Teilnahme als Prüfungsvoraussetzung gilt und erklärt in § 55 Abs. 3 ThürHG, dass eine ver- pflichtende Teilnahme der Studierenden an Lehrveran- staltungen als Prüfungsvoraussetzung nur geregelt wer- den darf, wenn das Lernziel der Lehrveranstaltung nur durch die Anwesenheit der Studierenden erreicht wer- den kann.
Die meisten Bundesländer haben demgegenüber je- doch keine Regelung in ihren Hochschulgesetzen vorge- sehen, welche ausdrücklich eine verpflichtende Teilnah- me an Lehrveranstaltungen zulässt oder auf andere Wei- se regelt. Dennoch ist auch in diesen Ländern die An- ordnung einer Anwesenheitspflicht nicht ausgeschlossen. Auf der Grundlage von allgemeinen hochschulpoliti- schen Bestimmungen können Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen eine Ausgestaltung erfahren.
Wie sich der gesetzliche Umgang mit Anwesenheits- pflichten in den einzelnen Bundesländern entwickeln wird, bleibt allerdings fraglich. Fest steht aber, dass die Handhabung von Anwesenheitspflichten in Lehrveran- staltungen in der universitären Praxis, nicht nur in Nord- rhein-Westfalen, sondern bundesweit unübersichtlich ist und auch in der Zukunft weiterhin kontrovers disku- tiert werden wird.
II. Die Lern- und Studierfreiheit als ein verfassungs- rechtlich garantiertes Recht
Bevor man sich mit der Frage auseinandersetzen kann, ob Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen zuläs- sig sind, ist zunächst nach dem verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt der Lern- und Studierfreiheit zu fra- gen. Es bestehen zwar kaum mehr Zweifel, dass die Stu-
- 3 Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, S. 198; Kimminich, Die Rechtstellung des Studenten im Wandel, DVBl. 1968, 679 (683); nur einfachgesetzlich garantiert sieht die Lern- freiheit jetzt noch Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatrechts, Bd. VI, 1989, § 145 Rn. 11.
- 4 Kaufhold, Die Lehrfreiheit – ein verlorenes Grundrecht?, 2006, S. 202 f.
- 5 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr-
dierfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet ist,3 über den Ort der verfassungsrechtlichen Verankerung wird jedoch intensiv diskutiert. Während ein Teil der Literatur die Lern- und Studierfreiheit von der Wissenschaftsfreiheit umfasst sieht, begreift ein anderer Teil des Schrifttums die Lern- und Studierfreiheit als Bestandteil der Berufsfreiheit.
Die Frage, ob die Lern-und Studierfreiheit vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG oder von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst wird, ist aufgrund des Erforder- nisses einer grundrechtspezifischen Konkretisierung des Gewährleistungsinhalts und der Schrankendivergenz, die zwischen den genannten Freiheitsrechten besteht, nicht nur theoretischer Natur,4 sondern von praktischer Relevanz.5 Während die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Ausbildungsfreiheit einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt, handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 GG um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Je nach dem welches Grundrecht man für einschlägig erachtet, sind an die Rechtfertigung eines Eingriffs unterschiedliche Anforderungen zu stellen.6
1. Wissenschaftsfreiheit vs. Berufsfreiheit – der grund- rechtliche Schutzbereich der Lern- und Studierfreiheit
Die wissenschaftliche Tätigkeit erfasst „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“.7
Es stellt sich daher die Frage, ob das Lernen auch die „Suche nach der Wahrheit“ verkörpert. In diesem Fall wäre die Lern- und Studierfreiheit ebenfalls als ein Schutzgut der Wissenschaftsfreiheit anzuerkennen.
Darüber, dass im Studium notwendige Kenntnisse für eine spätere berufliche und auch wissenschaftliche Tätigkeit erworben werden, besteht allgemeiner Kon- sens.8 Der Anteil an wissenschaftlicher Tätigkeit ist ge- genüber dem Ziel der reinen Kenntnisvermittlung je- doch nicht ausreichend, um dem Studierenden bereits zur Zeit seines Studiums den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG zu garantieren.
Das Studium soll die Studierenden in die Lage verset- zen, forschend und lehrend tätig zu werden. Dieses Ziel ist jedoch ein zukünftiges, während des Studiums ist die- ser Gedanke nicht mehr als eine bloße Theorie. Tatsäch- lich werden die Studierenden während ihres Studiums
veranstaltungen, 2020, S. 99 ff.
6 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr-
veranstaltungen, 2020, S. 99 ff., m.w.N.
7 BVerfG, Urt. v. 29.05.1973, Az.: 1 BvR 424/71 u. 325/72 = NJW
1973, 1176.
8 So argumentiert beispielsweise Stein, Die Wissenschaftsfreiheit
der Studierenden, JA 2002, 253 (256).
Gronemeyer · Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten 4 7
nicht wissenschaftlich tätig, der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG ist somit auch nicht eröffnet.9
Zu Zeiten Wilhelm von Humboldts mag dies anders gewesen sein. Das „Miteinander“ von Lehrenden und Lernenden war in dieser Zeit prägend für den wissen- schaftlichen Betrieb an den Hochschulen. Die Lernen- den lernten von den Lehrenden und aufgrund eines um- fassenden Austauschs lernten die Lehrenden gleichzeitig von den Lernenden.
Doch heutzutage ist das Bild des Lehrenden, der mit einer Handvoll Studierender zusammensitzt und wis- senschaftliche Aspekte erörtert, aus dem universitären Alltag verschwunden. Es handelt sich um ein Trugbild, dass sich in den Köpfen festgesetzt hat, tatsächlich aber nicht mehr existiert. Die heutigen Studierenden verfol- gen andere Ziele als diejenigen zu Zeiten Humboldts. Heutzutage steht nicht mehr Bildung im Vordergrund eines Studiums, sondern Ausbildung. Stetig wachsende Studierendenzahlen, eng gefasste Prüfungs- und Studi- enordnungen und ein gewandeltes Verständnis vom Zweck des Studiums ließen die Einheit von Lernenden und Lehrenden zerfallen. Im Gewährleistungsgefüge des Art. 5 Abs. 3 GG kann der Lern- und Studierfreiheit da- her kein eigenständiger Platz zukommen.10
Der universitäre Abschluss ist mittlerweile bereits in- nerhalb eines schmalen Zeitfensters zu erreichen. So er- hält man einen Bachelorabschluss innerhalb von drei Jahren, sofern man die einzelnen Module mit der not- wendigen Punktzahl abschließt. Auch eine Ausbildung dauert nicht länger. Der Unterschied ist nur, dass bei ei- ner Ausbildung nicht diskutiert wird, von welchem Grundrecht diese geschützt ist. Der heutige Studierende lernt in erster Linie für seinen Abschluss, ein Ringen um Erkenntnis als Verständnis von Wissenschaft findet im laufenden Hochschulbetrieb nicht mehr statt. Während des Studiums sollen die Studierende vielmehr die Kennt- nisse und Fähigkeiten erlernen, die sie für die Ausübung eines Berufes mit wissenschaftlicher Prägung benötigen.11
Hiergegen kann man sicher einwenden, dass viele Studiengänge nicht auf die Ausübung eines bestimmten Berufes ausgerichtet sind, sondern Kenntnisse vermit- teln, die für Tätigkeiten verschiedener Berufsfelder nütz-
- 9 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 126.
- 10 Geck, Die Stellung der Studenten in der Universität, VVDStRL Bd. 27 (1969), S. 143 (156 ff.); Kimminich, Die Rechtstellung des Studenten im Wandel des Universitätsbegriffs, DVBl. 1968, 679 (683); ders., Grundgesetz und Gruppenuniversität, WissR Bd. 6 (1973), S. 193 (206 ff.); Pieroth, Störung, Streik und Aussperrung an der Hochschule, 1975, S. 140; Rupp, Die Stellung des Studenten in der Universität. VVDStRL Bd. 27 (1969), S. 113 (135) – a. A. Lüthje, in: Denninger, HRG, 1984, § 3 Rn. 45 f.; Hauck/Lüthje,
lich sind. Dem soll nicht widersprochen werden. Aus diesem Grund ist das vordergründige Ziel des Studiums, dass die Studierenden sich auch außerhalb der Universi- tät und ohne die Anleitung eines Hochschullehrers eine eigene wissenschaftliche Meinung erarbeiten können. Die Fähigkeiten hierzu werden ihnen während ihres Stu- diums vermittelt. Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Studium nicht von einer Ausbildung. Wie einem Auszubildenden wird den Studierenden während des Studiums das Handwerkszeug vermittelt, so dass sie am Ende des Studiums in der Lage sind, nicht nur bereits vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zu verste- hen, sondern auch eigene wissenschaftliche Erkenntnis- se zu erarbeiten.12
Mit dem Abschluss eines Studiums sind die Studie- renden also befähigt, eigenständig am wissenschaftli- chen Prozess teilzunehmen. In dem Moment, in dem die Studierenden tatsächlich in der Wissenschaft tätig wer- den, steht ihnen auch der Schutz der Wissenschaftsfrei- heit zu. Doch eben nur ab diesem Moment. Allein der Umstand, dass sie zu Wissenschaft, Forschung und Leh- re befähigt sind, bedeutet noch nicht, dass die Studieren- den sich auch tatsächlich in Forschung und Lehre betäti- gen. Nur in dem Fall der Ausübung ist der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG eröffnet. Daher hat die bloße Aus- übung eines Berufes, den man nach dem Abschluss eines Studiums ergreift, auch nicht zur Folge, dass man sich auf den Grundrechtsschutz der Wissenschaftsfreiheit be- rufen kann. Ohne wissenschaftlich tätig zu werden, stellt sich die Frage nach dem Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht. Stattdessen ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit eröffnet und Eingriffe in die Aus- übung eines Berufes werden am Maßstab der Berufsfrei- heit geprüft. Es ist die logische Folge, dass den Studieren- den während des Studiums der Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG und nicht aus Art. 5 Abs. 3 GG zustehen sollte.13
Dieser Umstand zeigt auch auf, dass für die Beurtei- lung, aus welchem Grundrecht sich die Lern- und Stu- dierfreiheit ableiten lässt, weder auf einen vergangenen noch einen zukünftigen Zeitpunkt abgestellt werden kann. Maßgeblich kann nur die gegenwärtige Betroffen- heit sein. Zum Zeitpunkt des Studiums besteht lediglich
Wissenschaftsfreiheit durch Mitbestimmung, 1970, S. 15, 17 ff., 25 ff.; Köttgen, Das Grundrecht der deutschen Universität, 1959, S. 66; Rinken, Verfassungsrechtliche Aspekte zum Status des Studen- ten, JuS 1968, 257 (262 f.).
11 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 127.
12 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 127.
13 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 127.
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die abstrakte Möglichkeit, dass die Studierenden zukünf- tig einmal forschend oder lehrend tätig werden. Dies reicht jedoch nicht aus, um sich auf die Wissenschafts- freiheit berufen zu können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Studierenden nach dem Studienabschluss nicht in der Wissenschaft tä- tig werden wird, sei es, weil sie ihr Studium nicht ab- schließen, oder, weil sie keine Wissenschaft betreiben wollen.14
Ungeachtet dessen darf aber nicht verkannt werden, dass Studierende, die unabhängig von ihrem Studium forschend tätig werden, sich auf den Schutz der Wissen- schaftsfreiheit berufen können. Allein der Umstand, dass sie an einer Universität eingeschrieben sind, führt nicht dazu, dass ihnen der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 3 GG nicht zusteht. Nur die Lern- und Stu- dierfreiheit, die ihnen im Rahmen ihres Studiums ver- fassungsrechtlichen Schutz garantiert, steht ihnen nicht aus Art. 5 Abs. 3 GG zu, sondern aus Art. 12 Abs. 1 GG.15
Dass die Lern- und Studierfreiheit vom Schutzbe- reich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst sein muss, zeigt auch der Umstand, dass das Studium zunehmend als notwen- diger Bestandteil der Berufsausbildung angesehen wird. Die Wissenschaft als eine methodische Erkenntnissuche tritt immer mehr in den Hintergrund. Die Wissen- schaftsfreiheit schützt zwar jeden, der darlegen kann, dass er nicht nur Erkenntnisse anwenden, sondern sie auf systematische und kritische Weise gewinnen will.16 Auf die Studierenden, die das Studium lediglich als Vor- bereitung auf die Ausübung eines späteren Berufs anse- hen, trifft dies jedoch nicht zu. Eine solche Einstellung lässt wenig Raum für die Suche nach neuen Erkenntnis- sen. Im Vordergrund steht allein das Erlernen von be- reits gewonnenen Kenntnissen und ihrer Anwendung.17
So stimmt es zwar, dass die Lern- und Studierfreiheit ein tatsächliches Korrelat18 oder auch Spiegelbild19 der Lehrfreiheit bildet. In dieser Eigenschaft ist die Lern- und Studierfreiheit jedoch nicht mehr als ein rechtlicher Reflex der Lehrfreiheit.20 Als ein zur Lehrfreiheit gleich- rangiges Komplementärrecht kann die Lern- und Stu-
- 14 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 128.
- 15 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 128.
- 16 Siehe dazu Fries, Die Rechtstellung der Studenten innerhalb der wissenschaftlichen Hochschule, 1974, S. 56.
- 17 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 128.
- 18 Geck, Die Stellung der Studenten in der Universität, VVDStRL Bd. 27 (1969), S. 143 (156).
- 19 Köttgen, Grundrecht der deutschen Universität, 1959, S. 66.
- 20 Kimminich, Grundgesetz und Gruppenuniversität, WissR Bd. 6(1973), S. 193 (211).
dierfreiheit gerade nicht qualifiziert werden.21 Die Lehr- freiheit steht als ein subjektives Individualrecht nur den Lehrenden zu. Der Dialog allein führt nicht dazu, dass den Lernenden als Gegenüber im dialogischen Prozess ein eigenständiges Recht subjektiver Lern- und Studier- freiheit zugesprochen werden kann.22
Die Lern- und Studierfreiheit ist somit nicht von Art. 5 Abs. 3 GG, sondern von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.23
2. Berufsfreiheit
Die Lern- und Studierfreiheit stellt somit ein von Art.12 Abs. 1 GG geschütztes Grundrecht dar. Dieses Grundrechtrecht umfasst viele Einzelfreiheiten. So wird nicht nur die freie Wahl von Studienort und Studienfach garantiert, sondern auch die freie Gestaltung des Studi- ums. Die Gestaltungsfreiheit muss dem Studierenden umfassend gewährleistet werden, alles andere käme einem Eingriff gleich.24
Von dieser Gestaltungsfreiheit umfasst ist auch die Entscheidung der Studierenden, ob sie an einer Lehrver- anstaltung teilnehmen möchten oder ob sie von der Teil- nahme absehen. Entscheiden sie sich für die Teilnahme an einer Lehrveranstaltung, steht den Studierenden auch das Recht auf aktive Teilnahme an einer Lehrveranstal- tung zu.
Vor allem dem Recht auf aktive Teilnahme an einer Lehrveranstaltung kommt im Hinblick auf die Rechtfer- tigung von Anwesenheitspflichten besondere Bedeutung zu.25
III. Die Anwesenheitspflicht als rechtfertigungsbe- dürftiger Eingriff
Allein der Umstand, dass den Studierenden ein verfas- sungsrechtlich garantierter Schutz der Lern- und Stu- dierfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zusteht, bedeutet nicht, dass dieser nach allen Seiten umfassend ist. Beschrän- kungen und Verkürzungen können durch Eingriffe erfolgen. Es drängt sich daher die Frage auf, ob Anwe-
21 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Loseblatt, Stand September 2017, Art. 5 Abs. 3 Rn. 113; für ein Komplementärrecht aber Nitsch/Ger- hard/Offe/Preuß, Hochschule in der Demokratie, 1965, S. 202 ff.; Mallmann/Strauch, Verfassungsgarantie in der freien Wissen- schaft, 1970, S. 70, 87 ff., 163.
22 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Loseblatt, Stand September 2017, Art. 5 Abs. 3 Rn. 113.
23 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 129.
24 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 148.
25 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 148.
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senheitspflichten in die Lern- und Studierfreiheit ein- greifen. Sofern Anwesenheitspflichten in die Studien- und Prüfungsordnungen festgelegt sind, muss ein Ein- griff sicherlich bejaht werden.26 Grund dafür ist, dass die Verpflichtung zur Teilnahme den Studierenden ihr Wahlrecht nimmt, an der Lehrveranstaltung teilzuneh- men oder sich die Unterrichtsinhalte im Eigenstudium anzueignen. Sobald in den Studien- und Prüfungsord- nungen Anwesenheitspflichten angeordnet sind, wird die Präsenz zu einer verbindlichen Voraussetzung des Studiums und damit auch für den Erwerb eines zur Berufsausübung berechtigenden Abschlusses. In ihrer striktesten Anordnung kann die Anwesenheitspflicht daher zu einem faktischen Verbot des Selbststudiums führen. Anwesenheitspflichten greifen somit in die ein- fachgesetzlichen und auch verfassungsrechtlich gewähr- leisteten Rechte der Studierenden ein.27 Nichts anderes kann daher gelten, wenn die Anwesenheit nicht explizit in den Studien- und Prüfungsordnungen genannt ist, sondern die Hochschullehrenden die Pflicht zur Anwe- senheit eigenständig festlegen.
Ein Eingriff in die Lern- und Studierfreiheit muss ebenfalls bejaht werden, wenn die Anwesenheitspflicht zur Voraussetzung für den Erwerb von Leistungsnach- weisen und Creditpoints gemacht wird. Ohne den Er- werb solcher Nachweise werden die Studierenden ihr Studium nicht beenden können. Der Abschluss des Stu- diums ist jedoch die Voraussetzung für die Aufnahme des angestrebten Berufs.28 In der Konsequenz bedeutet die Pflicht zur Anwesenheit auch, dass beim Fernbleiben von Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflichten der entsprechende Leistungsnachweis und die Gutschrift der Creditpoints für diese Veranstaltung verweigert werden kann. Insofern gilt für die Anwesenheitspflicht nichts anderes als für die Zulassung zu einer Prüfung oder die Prüfung selbst: Sie greift in das Grundrecht der Berufs- freiheit ein und bedarf der Legitimation durch den Gesetzgeber.29
IV. Die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Lehr- und Studierfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG
Das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs ist jedoch noch kein Indiz für die Rechtswidrigkeit der Anwesen-
- 26 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen, S. 159.
- 27 Epping, Ist Dasein förderlich?, WissR Bd. 45 (2012), S. 112 (123); Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 159 f.
- 28 VGH Mannheim, Urt. v. 21.11.2017, Az.: 9 S 1145/16 = BeckRS 2017, 133435.
- 29 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 160.
heitspflicht. Eingriffe sind zwar rechtfertigungsbedürf- tig, aber in vielen Fällen auch rechtfertigungsfähig.30 Ob die Rechtfertigung einer im Einzelfall bestehenden Anwesenheitspflicht gelingt, hängt davon ab, ob diese auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage beruht und formell sowie materiell verfassungsgemäß ist. 31
1. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Grundrechte müssen einschränkbar sein. Nur so kann gewährleistet werden, dass der Gebrauch von Grund- rechten durch den Einzelnen nicht mit den Grundrech- ten anderer in verfassungswidriger Weise kollidiert.
Damit der grundrechtliche Schutz des Einzelnen je- doch nicht über das notwendige Maß hinaus einge- schränkt wird, muss es eine Eingriffsermächtigung ge- ben, die verfassungskonform ausgestaltet ist. Die Festset- zung einer Anwesenheitspflicht ist daher nur gerechtfer- tigt, wenn sie sich auf eine zulässige Schranke der Berufsfreiheit stützt.32
a. Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG
Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG unterliegt die Berufsfrei- heit einem Regelungsvorbehalt. Dies umfasst sämtliche Formen der berufsrechtlichen Regelung, angefangen von der konkretisierenden Ausgestaltung bis hin zur Grund- rechtseinschränkung. Inhaltlich kann unterschieden werden zwischen berufsbeschränkenden, berufslenken- den und berufsfördernden Regelungen.33
Daneben kann Art. 12 Abs. 1 GG auf Grund von an- deren Verfassungsnormen beschränkt werden. Besonde- re Relevanz kommt in diesem Zusammenhang kollidie- renden Grundrechten zu.
b. Gesetzliche Ausgestaltung des Regelungsvorbehalts
Anwesenheitspflichten müssen als Eingriff in die Lern- und Studierfreiheit den Anforderungen von Art. 12 Abs. 1 GG entsprechen. Deshalb sind die maßgeb- lichen Leistungsanforderungen und Bewertungskriteri- en gesetzlich zu regeln. Alle Landeshochschulgesetze enthalten daher eine Ermächtigung zum Erlass von Stu- dien- und Prüfungsordnungen. Sofern die Länder die Frage nach der Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in ihren Hochschulgesetzen nicht explizit gesetzlich aus- gestaltet haben, kann die Regelung von Anwesenheits-
30 Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 200 Rn. 102.
31 Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 46; Kingreen/Poscher, Grundrechte — Staatsrecht II, 33. Aufl. 2017, Rn. 401; Sachs, Ver- fassungsrecht II – Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kap. 10 Rn. 4.
32 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 162.
33 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 162 ff.
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pflichten in den Prüfungs- und Studienordnungen erfol- gen.34
In den Prüfungs- und Studienordnungen werden un- ter anderen die Anforderungen festgelegt, denen Studie- rende nachkommen müssen, um ihr Studium erfolg- reich abzuschließen. So kann in den Prüfungs- und Stu- dienordnungen vorgesehen werden, dass in einzelnen Lehrveranstaltungen, die nach dem Ziel des Studiums unabdingbar sind, die Teilnahme zwingende Vorausset- zung für den Abschluss eines Studiums ist. In diesem Zusammenhang können auch Anwesenheitspflichten in den Prüfungs- und Studienordnungen angeordnet wer- den. Daneben können Anwesenheitspflichten beispiels- weise als Leistungsnachweis dienen oder eine Zulas- sungsvoraussetzung zu einer Prüfung darstellen.35
Allerdings sind die Hochschulen in der Ausgestal- tung der Satzungen nicht gänzlich frei. So müssen sie si- cherstellen, dass die Regelungen den verfassungsrechtli- chen Anforderungen entsprechen. Studien- und Prü- fungsordnungen müssen den Vorbehalt des Gesetzes wahren und in einem angemessenen Verhältnis zur Lern- und Studierfreiheit stehen. Eine Kollision mit der Lehrfreiheit der Hochschullehrenden ist dagegen nur denkbar, soweit von den gestellten Leistungsanforderun- gen Rückwirkungen auf die inhaltliche und methodische Gestaltung der Lehrveranstaltung ausgehen.36
c. Verfassungsmäßigkeit des einschränkenden Gesetzes
Nur solche Gesetze können den Grundrechtsschutz wirksam einschränken, die ihrerseits formell und mate- riell rechtmäßig sind.37 So steht die mit Art. 12 Abs. 1 GG verfolgte Lern- und Studierfreiheit zwar unter einem Gesetzesvorbehalt, aber nur unter dem Vorbehalt der Verfassungsgemäßheit des die Lern- und Studierfreiheit einschränkenden Gesetzes. In diesem Zusammenhang muss vornehmlich der Grundsatz der Verhältnismäßig- keit Berücksichtigung finden.38
- 34 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 162 ff.; 194.
- 35 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 206 f.
- 36 BVerwG, Beschl. v. 22.08.2005, Az.: 6 BN 1/05 = DÖV 2006, 518.
- 37 BVerfG, Urt. v. 15.02.2006, Az.: 1 BvR 357/05 = NJW 2006, 751; Degenhart, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd.III, 2009, § 61 Rn. 74; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof, Handbuchdes Staatsrechts, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 201 Rn. 35.
- 38 BVerfG, Urt. v. 16.01.1957, Az.: 1 BvR 253 56 = NJW 1957, 297;Degenhart, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. III, 2009, § 61 Rn. 74; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 201 Rn. 36.
d. Materielle Verfassungsgemäßheit des einschränken- den Gesetzes
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass Grundrechtseingriffe einen legitimen Zweck verfol- gen, der geeignet, erforderlich und angemessen ist.
aa. Legitimer Zweck
Im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG richtet sich der legiti- me Zweck nach dem anhand der Dreistufen-Theorie zu bemessenden legitimierenden Gemeinwohl.39 Da Anwe- senheitspflichten in die subjektive Berufsausübungsfrei- heit eingreifen, müssen diese dem Schutz eines wichti- gen Gemeinschaftsguts dienen.40
Ein solches Gemeinschaftsgut wird in der Regel in den in der Prüfungsordnung beschriebenen Zielen des Studiums liegen. Das Studium soll die Grundlagen und wesentlichen Forschungsergebnisse in dem studierten Fach vermitteln und die Studierenden in der Anwen- dung fachwissenschaftlicher Methoden schulen. Durch das Erlernen von Kenntnissen und Fähigkeiten, die sich unter dem Begriff der Lernziele zusammenfassen lassen, sollen die Studierenden auf die spätere Ausübung des angestrebten Berufes vorbereitet werden. So wird ge- währleistet, dass ein gewisser Leistungsstandard und eine hinreichende Bereitschaft zur Leistungsfähigkeit im jeweiligen Berufsbild erreicht und gehalten wird.41
Dass Studierende die in der Prüfungsordnung festge- legten Lernziele erreicht haben, weisen die Studierenden durch das Ablegen einer Prüfung nach. Ist eine Prüfung nicht möglich oder vorgesehen, können Anwesenheits- pflichten diese Nachweisfunktion übernehmen. Es fällt leichter, einem Studierenden, der zur regelmäßigen Teil- nahme angehalten ist, die Aneignung der vermittelten Inhalte zu unterstellen, als einem, der nie eine Lehrver- anstaltung besucht hat.42 Folglich eignen sich Anwesen- heitspflichten, die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Ar- beit zu schulen. Durch die Pflicht zur regelmäßigen Teil-
39 BVerfG, Beschl. v. 02.10.1973, Az.: 1 BvR 459 u. 477/72 = NJW 1974, 30; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 12 Rn. 126; Sachs, Verfassungsrecht II, 3. Aufl. 2017, Kap. 24 Rn. 36, 41 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, S. 803.
40 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 240.
41 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 13.3.1997, Az. 2 A 13091/95 = BeckRS 1997, 2117; Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflich- ten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 240 f.
42 Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass sich einige Teilnehmer während der Lehrveranstaltung mit anderen Dingen beschäftigen, wird dies eher eine Ausnahme bleiben.
Gronemeyer · Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten 5 1
nahme wird gleichzeitig dem Entstehen von Wissenslü- erforderlich gehalten werden. So gibt es Lehrveranstal- cken durch Abwesenheit vorgebeugt.tungen,derenInhaltesichauchimSelbststudium47
Anwesenheitspflichten stellen somit eine gewisse Kont- rollinstanz hinsichtlich des angestrebten Lernerfolges dar. Zudem bereiten sie den Studierenden auf den Leis- tungsnachweis in der jeweiligen Lehrveranstaltung vor und leisten dadurch einen Beitrag zur Prüfungsfähigkeit.43
Da Anwesenheitspflichten einen Beitrag zum Errei- chen der in den Studien- und Prüfungsordnungen fest- gelegten Lernziele leisten, dienen sie somit auch dem Schutz des Volkes als besonders wichtiges „absolutes“ Gemeinschaftsgut.44
bb. Geeignetheit
Die Verpflichtung zur regelmäßigen Teilnahme erleich- tert in jedem Studienabschnitt das Bestehen einer Prü- fung und damit das Erlangen einer entsprechenden wis- senschaftlichen Berufsqualifikation. Vor allem in Lehr- veranstaltungen, deren Schwerpunkt auf dem wissenschaftlichen Diskurs liegt, tragen Anwesenheits- pflichten dazu bei, dass ein solcher überhaupt entstehen kann. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Gesprächs lassen sich wissenschaftliche Methoden erproben und einüben mit der Folge, dass Lernziele tatsächlich erreicht werden. Hiergegen lässt sich zwar einwenden, dass nicht garantiert werden kann, ob die Studierenden den Inhal- ten des Lehrenden tatsächlich folgen werden und die vermittelten Kenntnisse erwerben. Eine solche Garantie besteht jedoch auch bei der freiwilligen Teilnahme nicht. Hierauf kommt es bei der Geeignetheit aber auch nicht an. Entscheidend ist allein, dass eine abstrakte Möglich- keit zur Zweckerreichung besteht,45 was zu bejahen ist.46
cc. Erforderlichkeit
Wird zunächst das legitime Ziel in den Blick genommen, dass Studierende ihre Lernziele erreichen sollen, kann die Anwesenheitspflicht nicht uneingeschränkt für
- 43 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 241.
- 44 BVerfG, Beschl. v. 14.12.1965, Az.: 1 BvL 14/60 = NJW 1966, 291 mit Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 11.06.1958, Az.: 1 BvR 596/56 = NJW 1958, 1035; VGH Mannheim, Urt. v. 21.11.2017, Az.: 9 S 1145/16 = BeckRS 2017, 133435 Rn. 46; Böttner, Wenn ihr ́s nicht fühlt, ihr werdet ́s nicht erjagen – Zur Anwesenheitspflicht im Studium im sächsischen Hochschulrecht, SächsVBl. 2015, 244 (246).
- 45 Schleiermacher, in: E. Müller, Gelegentliche Gedanken über Uni- versitäten, 1990, S. 159 (188) verweist darauf, dass auch viele an die Universität kommen, die eigentlich nicht für die Wissenschaft tauglich seien und die Lernziele daher nicht erreichen würden
- 46 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 247.
erlernen lassen. Das Selbststudium bietet den Vorteil, dass der individuelle Charakter des Lernens berücksich- tigt wird. Dies führt nicht nur zu mehr Effektivität, son- dern verhindert auch den Zwang zu ungeeignetem Lern- verhalten.48
Allerdings stellt das Selbststudium kein milderes Mittel gleicher Wirkung gegenüber jeder Form von Lehrveranstaltungen dar. So gibt es Lehrveranstaltun- gen, deren Inhalte sich nicht im Eigenstudium erlernen lassen oder bei denen mangels Abschlussprüfung keine Kontrollinstanz hinsichtlich des erreichten Wissensstan- des der Studierenden besteht. Gerade an einer hinrei- chenden Kontrolle wird die Allgemeinheit ein großes In- teresse haben. Sie muss auf die Kenntnisse des ausgebil- deten Studierenden vertrauen können, beispielweise wenn sie von einem Arzt oder einer Ärztin behandelt oder einem Anwalt oder einer Anwältin vertreten wird. Ob das Eigenstudium daher als ein milderes Mittel glei- cher Wirkung zu bewerten ist, hängt von der Art der Lehrveranstaltung ab.49
Während die Anwesenheit in einer Vorlesung man- gels wissenschaftlichen Diskurses nicht verlangt werden kann, ist ihre Erforderlichkeit in einem Seminar zu beja- hen. Dies gilt jedenfalls, solange die wissenschaftliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht oder sich die vermittelten Kenntnisse in einer Prüfung nicht abfragen lassen. Auszuschließen ist die Notwendigkeit der Anwe- senheitspflicht daher nur, wenn sie lediglich eine Vor- aussetzung der Zulassung zur Prüfung darstellt.50
Eine Anwesenheitspflicht in Vorlesungen kann allen- falls als erforderlich erachtet werden, wenn die Entlas- tung der Universitäten hinsichtlich des Prüfungswesens als legitimes Ziel zugrunde gelegt wird. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass mit der Verpflichtung zur Teilnahme an der Lehrveranstaltung die Zahl der nicht bestandenen Prüfungen reduziert wird.51
47 Gemeint ist in diesem Zusammenhang nicht das teilweise vom Gesetz vorgeschriebene Selbststudium, durch das dem Stu- dierende die selbstständige Vorbereitung und Vertiefung der vermittelten Inhalte ermöglicht werden soll. Dieses Recht muss den Studierenden unabhängig davon eingeräumt werden, ob eine Anwesenheitspflicht angeordnet ist oder nicht.
48 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 277.
49 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 277.
50 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 277.
51 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 277 f.
52 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2023), 45–54
dd. Angemessenheit
Unter der Prämisse, dass die Anwesenheit nicht aus- nahmslos in jeder Lehrveranstaltung angeordnet wird, ist die Anwesenheitspflicht angemessen im Sinne der Verhältnismäßigkeit.
Zwar gibt es durchaus Argumente, die gegen die An- gemessenheit der Anwesenheitspflicht sprechen, wie etwa der mit der Anwesenheit einhergehende Verlust von Flexibilität und freier Zeiteinteilung im Studium. Im Rahmen einer Gesamtabwägung reichen diese Argu- mente jedoch nicht aus, um Anwesenheitspflichten als einen unangemessenen Eingriff in die Lern- und Stu- dierfreiheit zu bewerten. Der Schutz der Lern- und Stu- dierfreiheit muss hinter den mit einer Anwesenheits- pflicht verfolgten legitimen Zwecken zurückstehen.52
Es darf vor allem nicht außer Acht gelassen werden, dass der Freiheit des Studiums die Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Absolvieren eines Studiums gegen- übersteht.53 Entscheidet sich der oder die Studierende für die Aufnahme eines Studiums, liegt darin zugleich das freiwillige Einverständnis zur Übernahme solcher Verpflichtungen, die mit dem Studium notwendigerweise verknüpft sind. Die Universitäten versuchen die Studie- renden durch pädagogische Hilfestellung und didakti- sche stufenweise Einführung hierbei zu unterstützen. Trotz ihres Erziehungsauftrages sind die Universitäten dazu angehalten, den Studierenden nicht mehr Anstren- gungen zuzumuten als notwendig erscheint.54 Um diese Erfordernisse in Ausgleich zu bringen, werden in den Lehrveranstaltungen daher in der Regel nur Kenntnisse vermittelt, die die Studierenden zum erfolgreichen Ab- schluss des Studiums benötigen und sie auf das spätere Berufsleben vorbereiten.55
Mit der Anwesenheitspflicht wird auch der legitime Zweck verfolgt, dass die Studierenden zum Schutz der Allgemeinheit die mit dem Studium verfolgten Ziele er- reichen. Eine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Ziele erreicht werden, liegt sicherlich in der Abschlussprü- fung. Allerdings lassen sich nicht alle in einer Lehrver- anstaltung vermittelten Inhalte in einer Prüfung abfra- gen. Dies gilt in erster Linie für die in einem Seminar er-
- 52 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 297.
- 53 Nolden, in: Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2010, S. 16; Starck, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 5 Abs. 3 Rn. 380.
- 54 VG Berlin WissR Bd. 8 (1975), S. 183 (185); BVerwG, Urt. v. 30.03.1978, Az.: 5 C 20/76 = JZ 1978, 470; Reich, Hochschulrah- mengesetz, 11. Aufl. 2012, § 4 Rn. 29; zum Leistungsprinzip Knöpf- le, in: Leibholz, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag,
lernte Fähigkeit, Diskussionen zu führen. Anwesenheits- pflichten geben eine Bestätigung, dass die Studierenden die vermittelten Inhalte tatsächlich aufgenommen ha- ben, die sich in einer Prüfung nicht abfragen lassen. Zu- dem wird gewährleistet, dass eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Theorien erfolgt und die Studie- renden zur eigenverantwortlichen Arbeit auf theoreti- schem, empirischem und praktischem Gebiet befähigt werden.56
2.Fazit
Anwesenheitspflichten greifen unmittelbar in die Frei- heit der Studierenden ein. Als rechtfertigungsbedürfti- ger Eingriff in die Lern- und Studierfreiheit sind Anwe- senheitspflichten aber auch rechtfertigungsfähig.
In den Prüfungs- und Studienordnungen, zu deren Erlass die Universitäten durch die Hochschulgesetze als formelle Gesetze ermächtigt werden, liegt in der Regel die gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Anwesenheitspflichten.
Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Anwe- senheitspflichten ist allerdings danach zu differenzieren, in welcher Lehrveranstaltung sie angeordnet werden. Die Anordnung von Anwesenheitspflichten soll den Stu- dierenden das Erreichen ihrer Studienziele erleichtern und die Universitäten entlasten. An der Geeignetheit dieser legitimen Ziele bestehen keine Zweifel. Die Erfor- derlichkeit kann indes nur bejaht werden, wenn keine milderen Mittel gleicher Wirkung ersichtlich sind.
Das Eigenstudium könnte als ein milderes Mittel gleicher Wirkung anzuerkennen sein. Der Vorteil des Ei- genstudiums liegt darin, dass die Studierenden ihr Studi- um an ihren individuellen Bedürfnissen ausrichten kön- nen und sich der individuelle Charakter des Lernens frei entfalten kann.
Bei Vorlesungen, die der reinen Wissensvermittlung dienen, ist Erforderlichkeit von Anwesenheitspflichten daher zu verneinen. Im Übrigen hängt die Frage der Er- forderlichkeit maßgeblich von der Art der Lehrveran- staltung sowie der Möglichkeit der Lernkontrolle ab. Werden Kenntnisse vermittelt, die sich in einer Prüfung
1974, S. 591 (604).
55 BVerwG, Urt. v. 30.03.1978, Az.: 5 C 20/76 = JZ 1978, 470; Knöpfle,
in: Leibholz, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, 1974, S. 591 (597); Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheits- pflichten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 297.
56 Epping, Ist Dasein förderlich?, WissR Bd. 45 (2012), S. 112 (118 f.); Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen, 2020, S. 298.
Gronemeyer · Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten 5 3
abfragen lassen, spricht dies gegen die Erforderlichkeit von Anwesenheitspflichten.
Anwesenheitspflichten sind im Rahmen ihrer Erfor- derlichkeit auch angemessen. Der durch sie erfolgende Eingriff in die Lern- und Studierfreiheit steht nicht au- ßer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck, dass die Studie- renden ihre Lernziele erreichen und die Universitäten entlastet werden.
Unter diesen Prämissen greifen Anwesenheitspflich- ten nicht in ungerechtfertigter Weise in die Lern- und Studierfreiheit ein. Universitäten dürften demzufolge weiterhin Anwesenheitspflichten anordnen.
V. Die Zulässigkeit eines Verbots von Anwesenheits- pflichten
Mit einem gesetzlichen Verbot von Anwesenheitspflich- ten greift der Landesgesetzgeber jedoch in das Selbstver- waltungsrecht von Universitäten und Fakultäten sowie in die Lehrfreiheit der Hochschullehrenden ein. Im Staatsgefüge obliegt den Universitäten die Erfüllung der akademischen Angelegenheiten. Da sie in diesem Bereich grundrechtsberechtigt sind, garantiert ihnen der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG die vom Staat unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Im Innenverhältnis der Universität sind es allerdings die Fakultäten, die für die spezifischen Aufgaben der Lehre zuständig sind. Sie sind berechtigt, in den Studien- und Prüfungsordnungen Regelungen zu den Anwesenheitspflichten zu treffen. Daneben können auch die Hochschullehrenden die Anwesenheit anordnen, sofern ihnen dieses Recht nicht durch gesetzliche Regelungen untersagt wird. Die Lehr- freiheit garantiert ihnen die Wahl und die eigenständige Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen.57
Die Rechtfertigung eines Eingriffs durch den Gesetz- geber in das Selbstverwaltungsrecht der Universitäten und Fakultäten und in die Lehrfreiheit der Hochschul- professorinnen und ‑professoren gelingt jedoch nicht. Das Verbot von Anwesenheitspflichten muss nicht nur auf eine gesetzliche Grundlage zurückzuführen sein, sondern auch verhältnismäßig sein. Statt die Anordnung vollständig zu verbieten, könnte der Gesetzgeber das Verbot von Anwesenheitspflichten auch unter einen Er- laubnisvorbehalt stellen oder in das Ermessen der Uni- versitäten legen. Ferner steht ihm das Recht der nach-
- 57 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 410.
- 58 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 410 f.
- 59 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr-
träglichen Rechtskontrolle offen. Diese Möglichkeiten sind als mildere Mittel gleicher Wirkung zu qualifizie- ren, so dass die Erforderlichkeit und damit auch die Ver- hältnismäßigkeit des Verbotes zu verneinen ist.58
Zudem wäre ein gesetzliches Verbot im Hinblick auf die Lehrfreiheit auch nicht angemessen. Für die Hoch- schullehrenden hat das Verbot von Anwesenheitspflich- ten zur Folge, dass ihnen die Durchführung von solchen Lehrveranstaltungen unmöglich gemacht wird, in denen sie auf die regelmäßige und terminübergreifende Teil- nahme der Studierenden angewiesen sind. Dem Eingriff überwiegt auch nicht der Schutz der Lern- und Studier- freiheit als kollidierendes Verfassungsrecht. Studierende haben im Hinblick auf die verpflichtende Teilnahme an Lehrveranstaltungen Einschränkungen in ihre Rechte hinzunehmen. Grund hierfür ist, dass die Allgemeinheit ein Interesse daran hat, dass die Studierenden ihre Lern- ziele erreichen. Anwesenheitspflichten stellen das Medi- um dar, dass dieses Ziel sicherstellen kann.59
Das Verbot von Anwesenheitspflichten führt auch im Innenverhältnis der Universitäten zu rechtfertigungsbe- dürftigen Grundrechtseingriffen. Da die Universitäten im Innenverhältnis grundrechtsverpflichtet sind, greifen sie durch die Anordnung eines Verbots von Anwesen- heitspflichten oder die Versagung einer Studien- oder Prüfungsordnung, die Anwesenheitspflichten anordnet, in das Selbstverwaltungsrecht der Fakultäten und die Lehrfreiheit der Hochschulprofessorinnen und ‑profes- soren ein. Dieser Eingriff kann jedoch nicht zu Schutz der Lern- und Studierfreiheit als kollidierendes Verfas- sungsrecht gerechtfertigt werden. Studierende haben ei- nen Eingriff aufgrund des Ausbildungsauftrags hinzunehmen.60
Verbieten die Fakultäten, die sich wie die Universitä- ten auch in einer janusköpfigen Grundrechtssituation befinden, die Anordnung von Anwesenheitspflichten, gelingt die Rechtfertigung nur teilweise. Grundsätzlich muss es den Hochschullehrenden überlassen bleiben, die Methode ihrer Lehrveranstaltung eigenständig fest- zusetzen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Hoch- schullehrenden die Anwesenheit als Zulassungsvoraus- setzung zu Prüfungen erklären wollen. Zum Schutz der Studierenden sind die Prüfungsvoraussetzungen in den Prüfungsordnungen festzulegen. Ihr Erlass liegt aller- dings im Zuständigkeitsbereich der Fakultäten.61
veranstaltungen, 2020, S. 411.
60 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr-
veranstaltungen, 2020, S. 411.
61 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr-
veranstaltungen, 2020, S. 411.
54 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2023), 45–54
VI. Ausblick
Die Normierung von Anwesenheitspflichten, wie sie in § 64 Abs. 2a HG NRW a.F. erfolgt ist, ist verfassungswid- rig. Das Verbot von Anwesenheitspflichten greift in nicht zu rechtfertigender Weise in die Rechte der Hochschul- lehrenden, Fakultäten und Hochschulen ein. Die Anord- nung von Anwesenheitspflichten greift zwar in die Lern- und Studierfreiheit der Studierenden ein. Dieser Eingriff ist aber rechtfertigungsfähig. Daher kann ein Eingriff in die Lehrfreiheit der Hochschullehrenden bzw. in das Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen und Fakultäten nicht zugunsten der Lern- und Studierfreiheit als verfas- sungsunmittelbare Schranke gerechtfertigt werden.62
Aus diesem Grund ist den anderen Bundesländern nur zu raten, von ähnlichen Regelungen wie § 64 Abs. 2a
HG NRW abzusehen. Der Umstand, dass § 64 Abs. 2a HG NRW im Rahmen der Novellierung des Hochschul- gesetzes wieder gestrichen worden ist, zeigt, dass auch die Verantwortlichen an der Verfassungsgemäßheit die- ser Norm gezweifelt haben.63
Nach Studium an der Universität zu Köln und Promoti- on bei Prof. Dr. Kempen, hat Sarah Gronemeyer bis zuletzt als Anwältin bei Friedrich Graf von Westfalen in Köln gearbeitet und fängt zum neuen Jahr im öffentli- chen Dienst an.
- 62 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S. 415 f.
- 63 Gronemeyer, Die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten in Lehr- veranstaltungen, 2020, S 415 f.