Übersicht*
I. Einleitung
II. Grundrechtliche Einordnung
III. Überblick über die geltenden Rechtsgrundlagen 1. Hochschulgesetze der Länder
2. Promotionsordnungen
3. Zwischenbetrachtung
IV. Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung
1. Täuschung und „geltungserhaltende Reduktion“
2. Sanktionierung und Grenzen der Satzungsautonomie
V. Fazit und rechtspolitischer Ausblick
I. Einleitung
Seit im Februar 2011 erste Meldungen über Unregelmä- ßigkeiten in der Doktorarbeit des damaligen Verteidi- gungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg die Runde
* Der Beitrag ist in Dankbarkeit und Verehrung meinem akade- mischen Lehrer Thomas Würtenberger zu seinem 80. Geburtstag gewidmet. Dem gesamten Team des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Dt., Europ. und Intern. Steuerrecht, Universität Würzburg danke ich ganz herzlich für die wertvolle Unterstützung bei der Abfassung des Beitrags, insbesondere bei der umfangreichen Sichtung der Rechtsquellen.
- 1 Angestoßen worden ist die Affäre bekanntlich durch Fischer- Lescano, Rezension zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungs- vertrag, KJ 2011, 112, aufgegriffen in der SZ vom 16.02.2011 Preuß/ Schultz, Guttenberg soll bei Doktorarbeit abgeschrieben haben, Süddeutsche Zeitung 16.2.2011 (https://www.sueddeutsche.de/ politik/plagiatsvorwurf-gegen-verteidigungsminister-guttenberg- soll-bei-doktorarbeit-abgeschrieben-haben‑1.1060774–0#seite‑2, zuletzt abgerufen am 17.07.2023).
- 2 Tagesschau Meldung v. 23.02.2011 (Uni Bayreuth entzieht Gutten- berg den Doktor www.tagesschau.de/inland/guttenberg-ts-198. html, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); Wikipedia-Eintrag zur Plagiatsaffäre Guttenberg (wikipedia.org, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); maßgeblichen Anteil hatte GuttenPlag Wiki, ein offenes Wiki, dessen Mitarbeiter plagiierte Stellen der Dissertation dokumentierten (https://guttenplag.fandom.com/de/wiki/Gutten Plag_Wiki, zuletzt abgerufen am 17.07.2023).
- 3 Schavan verliert Doktortitel — und kündigt Klage an, Süddeutsche Zeitung 5.2.2013; Annette Schavan bei
Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Annette_ Schavan#Plagiatsvorw%C3%BCrfe,_Aberkennung_des_Doktor grads_und_R%C3%BCcktritt, zuletzt abgerufen am17.07.2023); Entzug gerichtlich bestätigt durch VG Düsseldorf,
Urt. v .20.03.2014, 15 K 2271/13, ZUM 2014, 602; siehe auch https://
machten,1 vergeht praktisch kein Monat, in dem das Thema Wissenschaftsplagiate nicht die Öffentlichkeit bewegt. Die Liste derjenigen, die sich gegen Plagiatsvor- würfe verteidigen mussten, ist lang und prominent. Auf Ebene der Bundesminister hat dies nicht nur bei Karl- Theodor zu Guttenberg,2 sondern auch bei Annette Schavan3 sowie Franziska Giffey4 zum Titelentzug geführt. Nicht bestätigt haben sich oder jedenfalls fol- genlos geblieben sind hingegen die Vorwürfe, die gegen die frühere Verteidigungsministerin und heutige Präsi- dentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen5 sowie den früheren Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier6 erhoben worden sind.
Die Gründe, warum das Thema Wissenschaftsplagia- te an Relevanz gewonnen hat, sind vielfältig. Gelegenheit macht bekanntlich Diebe. Mit dem Internet ist eine na- hezu unbegrenzte Wissensressource nur einen Maus- klick entfernt.7 Auch Bücher und Zeitschriftenartikel,
schavanplag.wordpress.com, zuletzt abgerufen am 31.08.2023.
4 Meldung der FU Berlin vom 10.06.2021 (Freie Universität Berlin entzieht Franziska Giffey den Doktorgrad – https://www.fu-
berlin.de/presse/informationen/fup/2021/fup_21_109-ergebnis- pruefverfahren-franzsiska-giffey/index.html, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); Wikipedia Eintrag zu Franziska Giffey u.a. zur Plagiatsaffäre (wikipedia.org, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); die Dissertation wurde von VroniPlag Wiki überprüft, siehe dazu https://vroniplag.fandom.com/de/wiki/Dcl, zuletzt abgerufen am 31.08.2023.
5 Greiner/Gebauer/Töpper, Darum darf von der Leyen ihren Doktor behalten, Spiegel 9.3.2016; Ursula von der Leyen bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_von_der_Leyen#Plagiate_ in_der_Dissertation, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); siehe auch Ursula von der Leyen bei VroniPlag Wiki (https://vroniplag. fandom.com/de/wiki/Ugv, zuletzt abgerufen am 17.07.2023).
6 Plagiatsverdacht gegen SPD-Politiker Steinmeier – Vorwürfe aus umstrittener Quelle, Süddeutsche Zeitung vom. 29.9.2013 (https:// www.sueddeutsche.de/bildung/plagiatsverdacht-gegen-spd- politiker-steinmeier-vorwuerfe-aus-umstrittener-quelle‑1.1783302, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); auch thematisiert im Wikipedia- Eintrag zu Frank-Walter Steinmeier (https://de.wikipedia.org/ wiki/Frank-Walter_Steinmeier, zuletzt abgerufen am 17.07.2023); Überprüfung der Dissertation auf VroniPlag Wiki, siehe dazu https://vroniplag.fandom.com/de/wiki/Fws, zuletzt abgerufen am 31.08.2023.
7 Trotz Plagiatsvorwürfen lesenswert zu den Möglichkeiten der juristischen Recherche im Internet (Holznagel/Schumacher/Ricke, Juristische Arbeitstechniken und Methoden, 1. Aufl. 2012, S. 35 ff.).
Ralf P. Schenke*
Promotion und Wissenschaftsplagiate: Eine Be- standsaufnahme im Regelungsverbund zwischen Landesgesetzgebung, Hochschulen und Richterrecht
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
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die nicht originär digital angeboten werden, können ein- gescannt, sprachlich verschleiert und dann als eigener Text ausgegeben werden. Wichtiger als die Mühelosig- keit des Plagiierens durch „Copy and Paste“ ist aber ein anderes Moment. Der digitale Fortschritt hat gegenläufig auch verbesserte Möglichkeiten geschaffen, Plagiatoren auf die Schliche zu kommen. Um einen ersten Plagiats- verdacht zu begründen, muss kein großer technischer Aufwand betrieben werden. Sofern aus frei zugänglichen Internetquellen plagiiert wurde, kann sich bereits die schlichte Eingabe einzelner Passagen der Arbeit in eine Suchmaschine als zielführend erweisen. Aufwendiger ist eine systematische Plagiatssuche, wenn die Referenztex- te hinter Bezahlschranken verborgen oder zunächst nicht digital verfügbar sind. Hier führt kein Weg daran vorbei, die Vergleichstexte zunächst in digitaler Form zu erfassen. Schon wer über begrenzte Programmierkennt- nisse verfügt, kann sich dann aber einen Plagiatsdetektor auf einem Standardrechner installieren, der die Einspei- sung zuvor eingescannter Referenztexte ermöglicht.8 Die noch bessere Alternative sind professionelle Programme zur Plagiatssuche, wie beispielswiese Ithenicate.9
Zusätzlich befeuert worden ist die Aufdeckung von Plagiaten durch die kollaborative Plagiatssuche. Gold- standard der kollaborativen Plagiatssuche ist die Inter- netplattform vroniplag-wiki.10 Die Seite ging Ende März 2011 online. Namensgeberin war Veronica Saß, die Toch- ter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Ed- mund Stoiber, deren Doktorarbeit zunächst im Rahmen des Wiki Guttenplag diskutiert wurde. Auf vroniplag-wi- ki sind Stand Juli 2023 217 Dissertationen gelistet, die sich einer kollaborativen Plagiatssuche unterziehen mussten. Nach eigenen Angaben sind die Mitwirkenden rein ehrenamtlich tätig. Nach den Regeln der Communi- ty setzt eine Aufnahme in die öffentliche Liste plagiats- verdächtiger Arbeiten einen Anfangsverdacht voraus, der eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten haben muss.11 Die Qualität der dort geleisteten Arbeit darf bei aller Kritik, die an der Einrichtung geübt wird,
8 https://github.com/topics/plagiarism-checker?l=python (zuletzt abgerufen am 11.09.2023).
9 https://www.ithenticate.com/ (zuletzt abgerufen am 11.09.2023).
- 10 Abrufbar unter https://vroniplag.fandom.com/de/wiki/Home.Nicht verwechselt werden darf vroniplag-wiki mit vroniplag.de. Hierbei handelt es sich um ein kommerzielles Angebot zur Plagi- atssuche, das seinen Auftraggebern strikte Anonymität zusichert und für den „Einstieg in die Plagiatssuche” offensichtlich noch nicht einmal einen Anfangsverdacht voraussetzt (https://www.vroniplag.de/plagiatssuche/articles/plagiatsuche-der- einstieg.html, zuletzt abgerufen am 31.08.2023).
- 11 https://vroniplag.fandom.com/de/wiki/VroniPlag_Wiki:FAQ — Wie wird die Plagiatsdokumentation finanziert? (zuletzt abgerufen am 19.7.2023).
keinesfalls unterschätzt werden. Dies unterstreicht schon die Anzahl der Entziehungen, die auf der Seite von vro- niplag-wiki dokumentiert und in den allermeisten Fäl- len wohl entscheidend durch den auf der Seite geäußer- ten Plagiatsverdacht angestoßen worden sind.
Wenn Titel entzogen wurden, hatte dies in nicht we- nigen Fällen ein juristisches Nachspiel. Die Versuche, sich dagegen verwaltungsgerichtlich zur Wehr zu setzen, sind zahlreich. Insgesamt waren sie aber nur von sehr bescheidenem Erfolg gekrönt.12 Bei den Verwaltungsge- richten können Plagiatoren offensichtlich auf wenig Sympathie hoffen. Soweit ersichtlich, sind bislang nahe- zu sämtliche Klagen erfolglos abgewiesen worden.13 Dies gründet in wesentlichen Teilen darauf, dass der Standardeinwand, die Arbeit weise trotz der Plagiate noch hinreichend viel Substanz auf, regelmäßig zurück- gewiesen wurde.14
Die relative Geräuschlosigkeit der administrativen und juristischen Verarbeitung des Phänomens erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, die rechtswissen- schaftlichen Fragen der Entziehung des Doktorgrades seien abschließend und zufriedenstellend beantwortet. Anlass, diesen Befund in Zweifel zu ziehen, bieten aber sowohl jüngere Entwicklungen im Landeshochschul- recht, den Promotionsordnungen der Fakultäten, aber auch in der Rechtsprechung, die im Folgenden nachge- zeichnet werden sollen.
Um die Analyse vorzubereiten, soll die Thematik in einem ersten Schritt zunächst grundrechtlich eingeord- net werden (dazu II.). Dies ist notwendig, weil die grund- rechtliche Dimension nicht nur im Rahmen von Ermes- sensentscheidungen über die Aberkennung mitgedacht werden muss, sondern bereits die Anforderungen an die Rechtsgrundlagen für den Titelentzug bestimmt. Im An- schluss ist ein Überblick über die geltenden Regelungen in den Landeshochschulgesetzen und den Promotions- ordnungen zu geben (dazu III.). Mit Recht viel Beach- tung haben eine bereits 2017 ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Täuschungstatbe-
12 Esposito, Anna/Schäfer, Ansgar, Überblick über die Rechtsprechung zu Plagiaten in Hochschule und Wissenschaft, 07.02.2017 (aus- gewertet wurde eine Auswahl von rund 80 besonders relevanten einschlägigen Gerichtsentscheidungen in Deutschland).
13 Gärditz, Der Entzug von Doktorgrad oder Habilitation wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, WissR 2021, 150 (167) unter Verweis auf VG Köln, Urt. v. 12.01.2017, 6 K 7332/15 und einen wei- teren Fall, in dem verwaltungsgerichtliche Entscheidungen nicht veröffentlicht wurden. In beiden Fällen gründete der Erfolg der Anfechtungsklagen auf formellen Mängeln, weil die entscheiden- den Hochschulgremien falsch besetzt waren.
14 VGH BW, Urt. v. 18.11.1980, IX 1302/78, ESVGH 31, 54 (57); VGH BW, Urt. v. 19.4.2000, 9 S 2435/99, juris Rn. 25; VG Düsseldorf, Urt. v. 20.03.2014, 15 K 2271/13, ZUM 2014, 602, juris Rn. 149.
stand15 sowie ein 2020 ergangener Nichtannahmebe- schluss des Bundesverfassungsgerichts zum Regelungs- verbund zwischen Landesgesetzgebung und Satzungsau- tonomie der Hochschulen16 erfahren. Nach der Analyse der Entscheidungsgründe und den sich aus ihnen erge- benden Folgerungen (dazu IV.) schließt die Untersu- chung mit einem rechtspolitischen Ausblick (dazu VI.).
II. Grundrechtliche Einordnung
Aus grundrechtlicher Perspektive bewegt sich der Ent- zug eines Doktorgrades in einem komplexen Span- nungsfeld.17 Vorsätzliches ebenso wie grob fahrlässiges wissenschaftliches Fehlverhalten steht außerhalb des Schutzbereichs der Wissenschaftsfreiheit.18 Solange ein entsprechender Nachweis nicht erbracht ist, müssen sich aber die von einem Plagiatsverdacht Betroffenen zunächst auf die Wissenschaftsfreiheit berufen kön- nen.19 Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ist zugunsten der Betroffenen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Da im Fall der Aberkennung regelmäßig mit Nachteilen im beruflichen Werdegang zu rechnen ist, wird dies zumindest ein Ein- griff in die Freiheit der Berufsausübung sein (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG).20 Sofern die Promotion, wie insbesondere im Bereich der Hochschullehre, Voraussetzung für die Aus- übung eines Berufs ist, berührt ein Entzug darüber hin- aus sogar die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG).21 Vor dem mit der Aberkennung verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Ansehens- verlust schützt das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
Gegenläufiger grundrechtlich geschützter Belang ist die den Hochschulen und ihren Fakultäten anvertraute Pflege der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG).22 Dass ein systematisches Plagiieren der Wissenschaft schweren Schaden zufügt, versteht sich von selbst. Plagiatoren bauen wissenschaftliche Reputation auf Kosten Dritter auf, enthalten den wahren Autoren die verdiente wissen- schaftliche Anerkennung vor und untergraben so die In- tegrität und das Vertrauen in die Wissenschaft insge-
15 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148.
16 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.05.2020, 1 BvR 2103/17,
WissR 2020, 385.
17 Vgl. etwa Zenthöfer, Plagiate in der Wissenschaft, 2022, S. 108 ff. 18 Vgl. Fehling, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK, Art. 5 Abs. 3 (Wissen-
schaftsfreiheit) Rn. 167.
19 Schulze-Fielitz, Reaktionsmöglichkeiten des Rechts auf wissen-
schaftliches Fehlverhalten, WissR 2012, 1 (51); Gärditz (Fußn. 13)
(154).
20 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 16.
samt. Zu Recht geht das Bundesverwaltungsgericht des- halb davon aus, dass die Universitäten nicht nur berech- tigt, sondern sogar verpflichtet sind, wissenschaftliches Fehlverhalten zu sanktionieren.23
Auch im Hochschulbereich wirkt sich die Grund- rechtsrelevanz einer Maßnahme auf das “Ob” und das “Wie” einer gegebenenfalls notwendigen Ermächti- gungsgrundlage aus. Allerdings muss die tradierte We- sentlichkeitslehre, die den Vorbehalt des Gesetzes kon- kretisiert, hier modifiziert werden. Üblicherweise stei- gen die Anforderungen an die Regelungsdichte, je inten- siver staatliches Handeln Grundrechte berührt.24 Angesichts der oben skizzierten Grundrechtsbezüge würde dies auf den ersten Blick für eine hohe Regelungs- dichte mittels parlamentsgesetzlicher Ermächtigungs- grundlage sprechen. Ein derartiger Schluss ist aber zu- mindest voreilig und verkennt die institutionelle Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit und die Rolle der Hochschulen. Diese verfügen als Selbstverwaltungskör- perschaften über Satzungsautonomie.25 Durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist ihnen das Recht verliehen, ihren Wissenschaftsbetrieb, d. h. Angelegenheiten von For- schung und Lehre, eigenverantwortlich zu regeln. Die- sem geschützten Bereich ist nach einhellig vertretener Auffassung auch das Promotionswesen zuzuordnen, das innerhalb der Hochschule den Fakultäten anvertraut ist.
Was dies speziell für den Regelungsverbund von Lan- desgesetzgebung und Promotionsordnungen im Fall der Aberkennung akademischer Grade bedeutet, war Ge- genstand jüngerer Entscheidungen sowohl des Bundes- verwaltungsgerichts als auch des Bundesverfassungsge- richts. Hierauf wird noch im Einzelnen im Teil IV 2 nä- her einzugehen sein.
III. Überblick über die geltenden Rechtsgrundlagen
Die Rechtsgrundlagen für den Entzug eines Doktorgra- des finden sich im Hochschulrecht der Länder sowie in den Promotionsordnungen der Fakultäten. Die folgende Analyse muss sich auf anfängliche Mängel beschränken.
Schenke · Promotion und Wissenschaftsplagiate 2 1 1
21 22 23
24 25
BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 16. BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 23. BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 40;
s. auch Hebeler, Entziehung des Doktorgrades wegen Plagiats, JA 2018, 399 (400).
Zur Wesentlichkeitslehre nur Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 12 Rn. 43 ff.
Allgemein zu den Grenzen der Satzungsautonomie Zippelius/Wür- tenberger (Fußn. 24), § 45 Rn. 135 ff.
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1. Hochschulgesetze der Länder
Auf einfachgesetzlicher Ebene war die Materie lange Zeit bundeseinheitlich durch § 4 Abs. 1 Buchst. a GFaG (Gesetz über die Führung akademischer Grade)26 gere- gelt, auf den auch vielfach in früheren Promotionsord- nungen verwiesen wurde. Nach dieser vorkonstitutio- nellen Norm konnte der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad wieder entzo- gen werden, „wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzung für die Verleihung irriger- weise als gegeben angenommen worden sind.“ Weitere Entziehungstatbestände waren die „Unwürdigkeit“ ent- weder bereits bei Verleihung des akademischen Grades (§ 4 Abs. 1 Buchst. b GFaG) oder durch späteres Verhal- ten nach der Verleihung (§ 4 Abs. 1 Buchst. c GFaG). Das GFaG ist über Art. 123 Abs. 1 GG in die bundesdeutsche Rechtsordnung überführt worden. Da sein Regelungsge- genstand zum maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttre- tens des Grundgesetzes kompetenzrechtlich der Gesetz- gebungshoheit der Länder zuzuordnen war, galt das GFaG als Landesrecht fort.27 Einzige Ausnahme war die auf Ebene des Bundesrechts einzuordnende Strafrechts- norm des § 5 GFaG, die erst 2010 aufgehoben worden ist. Hinsichtlich des Titelentzugs stand es den Ländern hin- gegen von Anfang an frei, das GFaG durch eigenständi- ge Regelungen zu ersetzen.
Von dieser Möglichkeit ist mittlerweile durchgehend Gebrauch gemacht worden.28 Gegenwärtig können auf Ebene des förmlichen Landesrechts drei Regelungskon- zeptionen unterschieden werden, die sich nach dem Grad der Bindung der Satzungsautonomie durch den Landesgesetzgeber ausdifferenzieren. Sämtlichen Lan- deshochschulgesetzen ist gemein, dass sie die Universi- täten zum Erlass von Promotionsordnungen ermächti- gen. Das erste Regelungsmodell, wie es in Brandenburg,
26 G. v. 07.06.1939 RGBl. I S. 985; aufgehoben durch Artikel 9 Abs. 2 G. v. 23.11.2007 BGBl. I S. 2614.
27 BVerwG, Urt. v. 31.07.2013, 6 C 9.12, BVerwGE 147, 292. Abwei- chendes gilt allein für die Strafrechtsnorm des § 5 GFaG. In dieser war das Angebot, gegen Vergütung den Erwerb eines ausländi- schen akademischen Grades zu vermitteln, mit Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bewährt. Diese Norm galt im Rang von Bundesrecht und ist erst durch Art. 9 Abs. 2 des Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz (G. v. 23.11.2007 BGBl. I S. 261) aufgehoben worden.
28 Die einschlägigen Landeshochschulgesetze werden wie folgt zitiert: Baden-Württemberg: BW LHG; Bayern: BayHIG; Berlin: BerlHG; Brandenburg: BbgHG; Bremen: BremHG; Hamburg: HmbHG; Hessen: HessHG; Mecklenburg-Vorpommern: LHG M‑V; Niedersachen: NHG; Nordrhein-Westfalen: HG-NRW; Rheinland-Pfalz: HochSchG; Saarland: SHSG; Sachsen: SächsHSG;
Bremen, Hamburg, Niedersachen, Rheinland-Pfalz so- wie Schleswig-Holstein umgesetzt worden ist, lässt es dabei bewenden.29 In Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sind die ein- schlägigen Bestimmungen in den Promotionsordnun- gen zum Titelentzug noch zusätzlich durch Satzungser- mächtigungen abgesichert, die die Hochschulen zum Er- lass von Prüfungsordnungen einschließlich der Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften ermächti- gen.30 Deutlich stärkeren Bindungen unterliegt die Sat- zungsautonomie im zweiten Regelungsmodell, das sich in Berlin, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Thü- ringen durchgesetzt hat. Dort sieht das Landeshoch- schulgesetz Sondertatbestände für den Titelentzug vor, die an eine Täuschung31 anknüpfen. Der Entzug steht dann entweder im Ermessen (Sachsen, Sachsen-An- halt)32 oder ist als Sollvorschrift33 ausgestaltet. Das dritte Regelungsmodell liegt den baden-württembergischen und den bayerischen Vorschriften zugrunde. Beide Län- der verweisen in ihren Landeshochschulgesetzen für Entzug eines Hochschulgrades auf die Parallelvorschrif- ten im Landesrecht zur Rücknahme von Verwaltungsak- ten.34 Ergänzt wird der Verweis durch die Generaler- mächtigung zum Erlass von Promotionsordnungen so- wie durch eine weitere Ermächtigung, im Falle von Ver- stößen gegen die Prüfungsordnung auch Sanktionen zu regeln.35
Im ersten und zweiten Regelungsmodell, d.h. außer- halb von Baden-Württemberg und Bayern, stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein Titelentzug neben den spe- zialgesetzlichen Vorschriften in den Landeshochschul- gesetzen bzw. den Promotionsordnungen auch auf die Parallelvorschriften zu § 48 VwVfG im Landesrecht ge- stützt werden kann. Tatbestandlich setzt § 48 VwVfG zu- nächst nicht mehr, aber auch nicht weniger als die schlichte Rechtswidrigkeit voraus.36 Wären die Parallel- vorschriften zu § 48 VwVfG generell neben den spezial-
Sachen-Anhalt: HSG LSA; Schleswig-Holstein: HSG SH; Thüring-
en: ThürHG.
29 § 32 Abs. 3 S. 2 BbgHG; § 65 Abs. 4 BremHG; § 70 Abs. 6 HmbHG;
§ 43 Abs. 3 S. 1 LHG M‑V; § 9 Abs. 3 NHG; § 67 Abs. 3 S. 3 HG- NRW; § 34 Abs. 8 S. 2 HochSchG; §§ 69 Abs. 3 S. 1 i.V.m. 64 SHSG; § 54 Abs. 3 S. 1 HSG SH.
30 § 38 Abs. 2 Nr. 12 LHG M‑V; § 64 Abs. 2 Nr. 9 HG-NRW; § 69 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 64 Abs. 3 Nr. 10 SHSG.
31 § 34 Abs. 7 Nr. 1 BerlHG; § 32 S. 1 Alt. 1 HessHG;
§ 40 Abs. 4 Nr. 1 SächsHSG; § 21 Abs. 1 Nr. 1 HSG LSA; § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ThürHG.
32 § 40 Abs. 4 SächsHSG; § 21 Abs. 1 HSG LSA.
33 § 34 Abs. 7 BerlHG; § 32 HessHG; § 58 Abs. 7 S. 1 ThürHG.
34 Siehe § 36 Abs. 7 S. 1 BW LHG; Art. 101 S. 1 BayHIG.
35 Art. 84 Abs. 3 Nr. 9 BayHIG.
36 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uetrichtz, VwVfG, 2. Aufl. 2019,
§ 48 VwVfG Rn. 252.
gesetzlichen Regelungen anwendbar, könnten so die spe- ziellen Entzugstatbestände ausgehebelt werden, die den Entzug an qualifizierte Voraussetzungen binden.37 Dies spricht dafür, dass die allgemeinen Vorschriften im Lan- desrecht zur Rücknahme von Verwaltungsakten durch die spezielleren Regelungen im Landeshochschulrecht verdrängt werden.38
2. Promotionsordnungen
An dieser Stelle kann kein umfassender und fakultäten- übergreifender Überblick über die Regelungen für den Titelentzug in den Promotionsordnungen gegeben wer- den. Vielmehr wird sich folgende Auswertung von vorn- herein auf Promotionsordnungen juristischer Fakultäten beschränken und je Bundesland jeweils auch nur eine Promotionsordnung berücksichtigen. Ausgewählt wur- den die Promotionsordnungen der juristischen Fakultä- ten in Tübingen, München, Berlin (FU), Potsdam, Bre- men, Hamburg (Landesuniversität), Frankfurt am Main, Greifswald, Hannover, Düsseldorf, Mainz, Saarbrücken, Leipzig, Halle, Kiel und Jena.39 Aus Gründen der Ein- fachheit wird auf die exakte Bezeichnung der Ordnun- gen verzichtet und abkürzend allein die jeweilige Uni- versitätsstadt benannt.
Auffällig ist, dass sich die unterschiedlichen Rege- lungskonzeptionen in den Landeshochschulgesetzen
37 OVG-NRW, Urt. v. 10.12.2015, 19 A 2820/11, juris Rn. 47.
38 S. auch OVG-NRW, Urt. v. 10.12.2015, 19 A 254/13, BeckRS 2016,
40861 Rn. 52 sowie Hebeler (Fußn. 23) (400), allerdings mit problematischem Rückgriff auf § 1 Abs. 1 LVwVfG; differenzierend Löwer, Aus der Welt der Plagiate, RW 2012, 116 (133), der von einem Vorrang der Rücknahmevorschriften ausgeht, sofern im Landeshochschulrecht nicht zumindest eine Ermächtigung an den Satzungsgesetzgeber enthalten ist, Rechtsfolgen für die Verstöße gegen Prüfungsnormen in der Prüfungsordnung zu regeln.
39 Im Einzelnen wurden ausgewählt: für Baden-Württemberg die Promotionsordnung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (amtl. Bek. der zentralen Verwaltung, Jahrgang 41 – Nr. 12 – 30.07.2015), für Bayern die Promotionsordnung der Ludwig-Maxi- milians-Universität München (Bekanntmachung durch Anschlag in der Ludwig-Maximilians-Universität München am 03.11.2017), für Berlin die Promotionsordnung der Freien Universität Berlin (Amtsblatt der Freien Universität Berlin 13/2017, 251, 24. Mai 2017), für Brandenburg die Promotionsordnung der Universität Potsdam (amtl. Bek., 1998, Nr. 1, I. Rechts- und Verwaltungsvorschriften), für Bremen die Promotionsordnung der Universität Bremen (bekanntgemacht am 13.11.2017), für Hamburg die Promotionsord- nung der Universität Hamburg (amtl. Anz. Nr. 100 vom 21.12.2010, S. 2634), für Hessen die Promotionsordnung der Goethe-Univer- sität Frankfurt am Main (UniReport Satzungen und Ordnungen vom 23.07.2015), für Mecklenburg-Vorpommern die Promo- tionsordnung der Universität Greifswald (Hochschulöffentlich be- kanntgemacht am 25.08.2021), für Niedersachen die Promotions- ordnung der Leibniz Universität Hannover (Verkündungsblatt 20/2017 der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover vom 07.09.2017), für Nordrhein-Westfalen die Promotionsordnung der
nur sehr bedingt in den Promotionsordnungen wider- spiegeln. Grund- bzw. Zentraltatbestand der Aberken- nung wegen anfänglicher Mängel ist durchgehend die Täuschung. Dies gilt auch für Tübingen40 und Mün- chen41. An die Stelle der Täuschung treten in Düsseldorf42„ein nicht nur geringfügiges wissenschaftli- ches Fehlverhalten“ und in Kiel43 der Erwerb durch „gro- be Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis“. Diese Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe im Lichte des Kodex der DFG-Leitlinien zur Sicherung gu- ter wissenschaftlicher Praxis44 führt dann aber über das dort genannte „Plagiat“ im Ergebnis doch wieder auf die Täuschung zurück.
Wenn der Täuschungstatbestand erfüllt ist, verfügen die Fakultäten im Regelfall über ein nicht näher konkre- tisiertes Entziehungsermessen.44 Den zwingenden Ent- zug sehen allein Potsdam45, Kiel46 sowie Jena47 vor, der dann an qualifizierte Voraussetzungen gebunden ist. In Einklang mit den landesgesetzlichen Vorgaben ist der Entzug in Berlin (FU)48 und Frankfurt49 bei Täuschung als Sollbestimmung ausgestaltet. Selten differenzieren die Promotionsordnungen bei der Ermessenausübung danach, in welchen Teilen der Arbeit getäuscht wurde. Dies ist lediglich in Düsseldorf50 und in Hamburg51 vor- gesehen. Insoweit kommt in Düsseldorf als Alternative zum Entzug eine Rüge insbesondere in Betracht, wenn
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (amtl. Bek. Nr. 35/2022 vom 30.06.2022), für Rheinland-Pfalz die Promotionsordnung der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (bekanntgemacht am 28.03.2023), für das Saarland die Promotionsordnung der Univer- sität des Saarlandes (Dienstblatt der Hochschulen des Saarlandes, Nr. 26, ausgegeben zu Saarbrücken, 06.07.2020), für Sachsen
die Promotionsordnung der Universität Leipzig (amtl. Bek.
Nr. 32/2020, 11.09.2021), für Sachsen-Anhalt die Promotionsord- nung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Amtsblatt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 22. Jahrgang,
Nr. 1 vom 30.01.2012, S. 3), für Schleswig-Holstein die Promotions- ordnung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (bekanntge- macht am 27. März 2017), für Thüringen die Promotionsordnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Verkündungsblatt der Friedrich-Schiller-Universität Jena Nr. 1/2019 S. 2, 16.10.2018).
40 § 22 Abs. 1 der PromO Tübingen. 41 § 23 Abs. 1 der PromO München. 42 § 13 Abs. 1 der PromO Düsseldorf. 43 § 40 Abs. 2 der PromO Kiel.
44 DFG-Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Kodex, Stand April 2022, S. 25, (https://is.gd/PEqmdL, zuletzt abgerufen am 20.07.2023).
45 § 25 Abs. 1 PromO Potsdam.
46 § 40 Abs. 2 PromO Kiel.
47 § 20 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz PromO Jena.
48 § 32 PromO FU Berlin i.V.m. § 34 Abs. 7 BerlHG. 49 § 19 Abs. 2 lit. a) PromO Frankfurt.
50 § 13 Abs. 1 Satz 2, 3 und 4 PromO Düsseldorf.
51 § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO Hamburg.
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„Falschangaben in einem untergeordneten Teil der Ar- beit nicht deren Hauptaussagen betreffen und wenn die wissenschaftliche Leistung insgesamt durch diese Män- gel ausnahmsweise nicht gänzlich entwertet wird und deshalb der Entzug des Doktorgrades unverhältnismä- ßig wäre“.52 Ähnlich bestimmt Hamburg, dass die Aber- kennung insbesondere dann zu erfolgen hat, „wenn die Täuschung Leistungen in solchen Teilen der Promotion betrifft, die für die Bewertung der Dissertation oder Dis- putation oder die Gesamtnote einen wichtigen Stellen- wert hat“.53
Als Rechtsfolge sehen die Promotionsordnungen mit einer Ausnahme allein den Entzug vor und widersetzen sich damit dem Trend anderer Fachbereiche, alternative Reaktionsmöglichkeiten vorzusehen.54 In Düsseldorf kann hingegen in nicht schwerwiegenden Fällen wissen- schaftlichen Fehlverhaltens statt der Entziehung des Doktorgrades auch eine Rüge erteilt werden.
Im Verhältnis der Promotionsordnungen zu den lan- desgesetzlichen Vorgaben stellt sich eine vergleichbare Frage, wie sie schon oben zum Verhältnis spezieller lan- desgesetzlicher Regelungen zu den allgemeinen Vor- schriften zur Rücknahme von Verwaltungsakten disku- tiert worden ist. Vielfach sind die Entzugstatbestände in den Promotionsordnungen enger als im Landesrecht ge- fasst. Vordergründig könnte ein entsprechendes Kon- kurrenzverhältnis im Einklang mit allgemeinen Grund- sätzen der Rechtsquellenlehre durch den Vorrang der höherrangigen Norm aufzulösen sein. Damit wäre ein Entzug unter Rückgriff auf die einschlägigen Bestim- mungen des Landeshochschulrechts auch dann möglich, wenn ein Entzug auf Ebene der Promotionsordnungen an dort vorgesehenen qualifizierten Tatbeständen schei- tern würde.55
Mit Rücksicht auf die Wissenschaftsfreiheit und Au- tonomie der Hochschulen ist aber eine andere Auflösung des (scheinbaren) Konkurrenzverhältnisses vorzugswür- dig. Soweit der Entzug auf Ebene des Landesrechts in das Ermessen der zuständigen Gremien gestellt wird, sind entsprechende Vorschriften als Ermessensdirektiven zu interpretieren.56 Dies ist so lange unkritisch, wie die Selbstprogrammierung der Ermessensausübung nicht
- 52 § 13 Abs. 1 Satz 4 PromO Düsseldorf.
- 53 § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO Hamburg.
54 So etwa in der Promotionsordnung, die dem Fall Mathiopoulos
(BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 42) zugrundelag und die nachträgliche Änderung der Bewertung erlaubt hätte.
55 So wohl BayVGH, Urt. v. 04.04.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281.
56 Vgl. auch Löwer (Fußn. 38) (133).
57 Dies rechtspolitisch befürwortend etwa auch Gärditz, Die Feststell-
die Grenzen sprengt, die sich aus den § 40 VwVfG ent- sprechenden Vorschriften des Landesrechts ergeben.
3. Zwischenbetrachtung
Bei isolierter Betrachtung der landesgesetzlichen Vorga- ben ergibt sich regelungstechnisch zunächst ein relativ buntes Bild. In der Zusammenschau mit den Promoti- onsordnungen der Fakultäten wird die Aberkennung eines Titels wegen anfänglicher Mängel im Ergebnis aber doch weiterhin ganz überwiegend von einer Täuschung abhängig gemacht, was dem Tatbestand der früher bun- deseinheitlich geltenden Regelung des § 4 GFaG ent- spricht. Die Bereitschaft, sich auf ein differenziertes Rechtsfolgenregime einzulassen,57 ist in den juristischen Fakultäten offensichtlich noch unterentwickelt. Die ein- zige Ausnahme der hier betrachteten Promotionsord- nungen stellt bislang die Universität Düsseldorf dar.
IV. Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung
Wie in der Einleitung schon angedeutet wurde, sollen im Folgenden jüngere Entwicklungen in der Rechtspre- chung näher beleuchtet werden, denen das Potential zukommt, die tradierten Grundsätze für die Aberken- nung in Frage zu stellen. Hier ist einmal auf die Mathiopoulos-Entscheidung des Bundesverwaltungsge- richts sowie einen Nichtannahmebeschluss des Bundes- verfassungsgerichts einzugehen, die aber zunächst in ihren jeweiligen Kontext einzuordnen sind.
1. Täuschung und „geltungserhaltende Reduktion“
Häufig wird in Plagiatsverfahren vorgetragen, die nicht- plagiierten Stellen der beanstandeten Arbeit würden ausreichen, um den in der Promotion zu erbringenden Nachweis der Befähigung zu selbstständiger wissen- schaftlicher Arbeit zu erbringen.
Dass dieser Einwand den Tatbestand der Täuschung nicht infrage zu stellen vermag, entsprach lange Zeit der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Maßstabbildend war hierfür die Rechtsprechung des VGH BW,58 die häufig zitiert worden ist59 und die bereits auf eine 1980 getroffene Entscheidung zurückgeht.60 Für
ung von Wissenschaftsplagiaten im Verwaltungsverfahren, WissR
2013, 3 (34).
58 VGH BW, B. v. 13.10.2008, 9 S 494/08, NVwZ-RR 2009, 285. 59 Vgl. etwa VG Hamburg, Urt. v. 06.07.2018, 2 K 2158/14; Fort-
führung Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, B. v. 09.02.2015, 9 S 327/14; Vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 14.04.2011, 3 K 899/10.DA.
60 VGH BW, Urt. v. 19.4.2000, 9 S 2435/99, BeckRS 2000, 21248, Rn. 24 ff.; VGH BW, Urt. v. 18.11.1980, IX 1302/78, ES-VGH 31, 54 (57).
das Vorliegen eines Irrtums über die Eigenleistung des Doktoranden muss danach von der Identität der konkre- ten Arbeit ausgegangen werden, was eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit verbieten muss.61 Damit wurde in die gleitende Skala zwischen einer einzelnen, ganz un- bedeutenden Plagiatsstelle und dem Vollplagiat ein har- ter Schnitt gezogen. Jenseits eines bloßen Bagatellvorbe- haltes liegt immer eine beachtliche Täuschung vor. Wel- chen wissenschaftlichen (Rest-)Wert die übrigen Teile der Arbeit hatten, war ausnahmslos irrelevant.
Umstritten ist, ob an diesen Grundsätzen nach der 2017 ergangenen Entscheidung des 6. Senats des Bundes- verwaltungsgerichts in der Rechtssache „Mathiopoulos“ festzuhalten ist.62 Die einschlägige Passage in dem Urteil wandelt zunächst auf vertrauten Pfaden. Danach ist die Verleihung durch Entziehung des Doktorgrades rück- gängig zu machen, wenn sich nach der Verleihung eine Täuschung über die grundlegende Pflicht herausstellt, mit der Arbeit die Befähigung zum selbstständigen wis- senschaftlichen Arbeiten nachgewiesen zu haben.63 Ob die Dissertation noch als Eigenleistung des Promoven- den gelten könne, soll sich dann aber einer allgemeingül- tigen Bewertung entziehen. Für die Würdigung des je- weiligen Sachverhaltes seien die Anzahl der Plagiatsstel- len, ihr quantitativer Anteil an der Dissertation sowie ihr qualitatives Gewicht, d.h. ihre Bedeutung für die wissen- schaftliche Aussagekraft, zu berücksichtigen.64 An der notwendigen Eigenleistung fehle es, wenn die Plagiats- stellen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Ge- samtschau beider Möglichkeiten prägen würden. Von ei- ner quantitativen Prägung will der 6. Senat ausgehen, wenn „die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtumfangs überhand- nehmen“. „[W]enn die restliche Dissertation den inhalt- lichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaft- liche Leistung nicht genügt“, ist die Arbeit qualitativ durch plagiierte Teile geprägt.65
Diese Ausführungen sind in der Literatur sehr unter- schiedlich gedeutet worden. So ist in einem vielbeachte- ten Beitrag die Auffassung vertreten worden, nunmehr seien Inhalt, Erkenntnisgewinn oder Originalität mit
- 61 Vgl. etwa VG Düsseldorf, Urt. v. 20.03.2014, 15 K 2271/13, ZUM 2014, 602 (615); aus der Literatur etwa Linke, Verwaltungsrecht- liche Aspekte der Entziehung akademischer Grade, WissR, 146(157 f.); Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uetrichtz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 48 VwVfG Rn. 254; Löwer (Fußn. 38) (138).
- 62 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 44.
- 63 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 44.
64 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 44. 65 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 44. 66 Fisahn, Wahrheit und Fußnote — Wissenschaftliche Ehrlichkeit
den unkorrekten oder falschen Quellenangaben in Be- ziehung zu setzen. Nur wenn die Plagiate in der „be- rühmten Gesamtschau“ die Arbeit quantitativ und quali- tativ prägen, so dass die Eigenleistung in den Hinter- grund trete, könne man einen Titel aberkennen.66 Dieser Interpretation der Entscheidungsgründe ist nachdrück- lich zu widersprechen. Sie mag rechtspolitisch vertretbar sein. Mit den Anforderungen an eine Täuschung, wie sie der 6. Senat in der Entscheidung „Mathiopolous“ formu- liert hat, hat dies aber nichts zu tun. Der 6. Senat verlangt keine „Gesamtschau“. Vielmehr sind drei, im Ergebnis voneinander unabhängige Fallgestaltungen zu unter- scheiden, die jeweils für sich betrachtet den Täuschungs- vorwurf begründen können. Die Täuschung liegt vor, wenn in quantitativer Hinsicht von einer fehlenden Ei- genleistung auszugehen ist, kann sich aber auch aus dem qualitativen Gewicht der Plagiatsstellen ergeben. Be- gründet weder eine isolierte quantitative noch eine iso- lierte qualitative Betrachtung den Täuschungsvorwurf, kann es auch noch in einer Gesamtschau an der notwen- digen Eigenleistung fehlen.
Umgekehrt vermag es aber wohl auch nicht zu über- zeugen, die Entscheidung des 6. Senats als eine bloße Fortschreibung der früheren Bagatellrechtsprechung zu deuten.67 Dies ist kaum mit einer Passage in den Urteils- gründen zu vereinbaren, wonach es in der Verantwor- tung der Hochschulen bzw. ihrer Fakultäten liegt, ob eine Dissertation „trotz zahlreicher Plagiatsstellen noch als wissenschaftliche Eigenleistung“ gelten kann.68 Da- mit müssen auch jenseits von Bagatellen Fälle denkbar sein, in denen Plagiate noch nicht überhandnehmen. Eine derartige Interpretation würde zudem der dritten Variante einer fehlenden Eigenleistung, nämlich der Ge- samtschau der quantitativen wie qualitativen Elemente, die Berechtigung entziehen. Wenn sich die Anzahl der Plagiate noch unterhalb einer Bagatellgrenze bewegt, ist schwer einzusehen, wie trotz einer nicht qualitativen Prägung der Arbeit durch Plagiate noch von einer nicht ausreichenden Eigenleistung auszugehen ist. Richtiger- weise muss das quantitative Moment damit eine eigen- ständige Grenze jenseits bloßer Bagatellen markieren.69
und der Plagiatspranger, NJW 2020, 743 (746).
67 So aber Gärditz, Gutachterliche Stellungnahme betreffend die
Überprüfung einer Dissertation durch die Freie Universität Berlin (Fall Dr. Franziska Giffey), 27.10.2020, S. 13; Gärditz (Fußn. 13) (177).
68 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 39. 69 So im Ergebnis wohl auch Solte, Gutachten zu einer Reihe von
Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Entzug eines Doktor- titels aufgrund der Aufdeckung von Plagiaten Abgeordnetenhaus von Berlin — Wissenschaftlicher Parlamentsdienst -, 31.7.2020, S. 6.
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Zumindest unglücklich ist, dass die Konkretisierun- gen der beiden Elemente in der Entscheidung nur wenig hilfreich sind und eher mehr Fragen aufwerfen als dort beantwortet werden. Wenn „die Anzahl der Plagiatsstel- len und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Ge- samtumfangs überhandnehmen“ dürfen, kann es für die quantitative Prägung nicht auf eine absolute Zahl der be- anstandeten Stellen ankommen. Vielmehr müssen diese in Relation zu den übrigen Teilen gesetzt werden. Eine im Sinne der Rechtssicherheit begrüßenswerte Quantifi- zierung ist der 6. Senat allerdings schuldig geblieben. Kaum vertretbar dürfte es sein, von einem Überhand- nehmen erst auszugehen, wenn die Arbeit zum überwie- genden Teil aus Plagiaten besteht. Wenn „Überhandneh- men“ in „übermächtiger Weise an Zahl, Stärke zuneh- men; stark anwachsen, sich stark vermehren“ bedeutet,70 erscheint bereits ein Anteil von 5 % plagiatsbehafteter Seiten als diskussionswürdig, um diesen Tatbestand zu erfüllen.
Von einer qualitativen Prägung soll hingegen auszu- gehen sein, „wenn die restliche Dissertation den inhaltli- chen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftli- che Leistung nicht genügt“.71 Hierunter dürften vor al- lem Strukturplagiate fallen, weil von einer eigenständi- gen wissenschaftlichen Leistung auch dann nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn Fremdtexte zwar nicht wortwörtlich abgeschrieben, sondern lediglich para- phrasiert werden.
Fast sechs Jahre nach der „Mathiopoulos“-Entschei- dung ist das Urteil des 6. Senats mittlerweile in einer Vielzahl von Entscheidungen rezipiert worden.72 Auffäl- lig ist, dass es sich dabei um ziemlich eindeutige Fälle handelt, bei denen im großem Stil plagiiert worden ist.73 Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Eine Erklärung könnte sein, dass die Fakultäten prozes- suale Risiken minimieren wollen und sich in weniger eindeutigen Fällen eher gegen einen Entzug ausspre- chen. Damit droht eine schleichende Erosion bestehen- der Standards, weil jeder Fall, der nicht sanktioniert wird, aus Gründen der Gleichbehandlung eine Unter- grenze einzieht, die in zukünftigen Fällen überschritten werden muss.
- 70 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/ueberhandnehmen (zuletzt abgerufen am 24.7.2023).
- 71 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148 Rn. 44.
- 72 Stand Juli 2023 enthält die Datenbank von Beck 25 Entscheidun- gen der Verwaltungsgerichte, in denen auf die Entscheidung des6. Senats Bezug genommen wird.
- 73 Vgl. exemplarisch VG Ansbach, Urt. v. 20.01.2022, AN 2 K 20.2658,BeckRS 2022, 12633.
74 Vgl. etwa zu den rechtsmethodischen Problemen, die sich bei
Schon aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint es daher wünschenswert, das quantitative Moment auch tatsächlich zu quantifizieren. Mit Rücksicht auf die Wis- senschaftsfreiheit spricht viel dafür, dass diese Aufgabe nicht durch die Rechtsprechung, sondern in den Fakul- täten geschultert werden sollte. Das Steuerrecht bietet reichlich Anschauungsmaterial dafür, dass derartige Quantifizierungen immer angreifbar, aber letztlich der einzige Weg sind, Abgrenzungsfragen intersubjektiv vorzustrukturieren.74 Die Schwelle für ein „quantitati- ves“ Plagiat sollte dabei aus Gründen der Verhältnismä- ßigkeit nicht zu niedrig angesetzt werden. Hierfür be- steht auch keine Notwendigkeit, weil ein Plagiat auch noch unter dem qualitativen Aspekt bejaht werden kann. Wo die Grenzen im Einzelnen zu setzen ist, wird von Fach zu Fach variieren. Im Bereich der Rechtswissen- schaft könnte eine 10 %-Grenze der Seiten, die substanti- elle Plagiate enthalten, für die gebotene Rechtssicherheit sorgen.
2. Sanktionierung und Grenzen der Satzungsautonomie
Wie im Abschnitt zur grundrechtlichen Einordnung ausgeführt wurde, verfügen die Universitäten nur über eine eingeschränkte Rechtssetzungsbefugnis.75 Gegen- stand und Zweck der Satzungsautonomie hat der Gesetz- geber zu umreißen. Inwieweit es darüber hinaus noch inhaltlicher Vorgaben oder doch jedenfalls einer Rah- menvorgabe bedarf, soll dann von der Intensität des Grundrechtseingriffs abhängig sein.76 Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Themenkreis war durch eine starke Betonung der (Sat- zungs-)Autonomie der Hochschulen geprägt. Dies lässt sich anhand zweier bereits 2006 und 2012 getroffener Entscheidungen zur Plagiatsproblematik verdeutlichen.
In der im Jahr 2006 getroffenen Entscheidung77 konnte sich eine bayerische Universität allein auf die ein- schlägige Bestimmung im Landeshochschulrecht stüt- zen, die für den Titelentzug auf die § 48 VwVfG entspre- chende Regelung im Landesverwaltungsverfahrensge- setz verwies. Auch in der damals geltenden Promotions- ordnung wurde diese Vorgabe nicht näher konkretisiert. Deren Regelungsgehalt erschöpfte sich in einem Verweis
dem Versuch stellen, im Einkommensteuerrecht zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandeln abzugrenzen Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2008, S. 131 ff.
75 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148. Rn. 28. 76 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 3.16, BVerwGE 159, 148. Rn. 28. 77 BVerfG, B. v. 20.10.2006, 6 B 67/06, Buchholz 316 § 48 VwVfG
Nr. 116; vorgehend BayVGH, Urt. v. 04.04.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281.
auf das GFaG, das in Bayern zum damaligen Zeitpunkt aber bereits außer Kraft getreten war.78 Ähnlich wie be- reits die Vorinstanz erachtete das Bundesverwaltungsge- richt den Verweis im Hochschulrecht auf Art. 48 BayV- wVfG als ausreichende Rechtsgrundlage. Bei verfas- sungskonformer Auslegung böte Art. 48 BayVwVfG hin- reichend Raum für das rechtsstaatlich gebotene Abwägungsprogramm zwischen Vertrauensschutz und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.
Umfangreiche und aufschlussreiche Ausführungen zur Reichweite der Satzungsautonomie enthält ein weite- res im Juni 2017 gefälltes Urteil des 6. Senats.79 Der Ent- zug des Doktorgrades des Klägers gründete auf straf- rechtlich relevantem Fehlverhalten nach der Promotion. Verurteilt worden war der Beschwerdeführer, weil ein von ihm geleitetes „Institut für Wissenschaftsberatung“ gegen Honorar Promotionswillige an Hochschullehrer vermittelt hatte. Die Verurteilung wegen Bestechung nahm die beklagte Hochschule zum Anlass, ihm selbst den Doktorgrad zu entziehen. Rechtsgrundlage war eine Bestimmung in der Promotionsordnung, wonach der Doktorgrad entzogen werden konnte, wenn der Promo- vierte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Frei- heitsstrafe von mindestens einem Jahr oder einer vor- sätzlichen Straftat verurteilt worden war, bei deren Vor- bereitung oder Begehung der Doktorgrad eingesetzt wurde. Das nordrheinwestfälische Hochschulrecht be- schränkte sich hingegen auf die Satzungsermächtigung, das Nähere des Promotionsstudiums durch eine Prü- fungsordnung (Promotionsordnung) zu regeln.
Das Bundesverwaltungsgericht sah im Landeshoch- schulrecht eine ausreichende gesetzliche Rechtsgrundla- ge und widersprach damit der Rechtsauffassung des Klä- gers, der eine Verletzung des Gesetzesvorbehalts gerügt hatte. Der Landesgesetzgeber sei zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, abschließend vorzugeben, welches wissenschaftliche Fehlverhalten den hochschulintern zuständigen Fakultäten Anlass zur Entziehung des Dok- torgrades geben könne. Möglich sei es, stattdessen einen gesetzlichen Rahmen vorzugeben oder den Fakultäten stattdessen auch nur einen Regelungsauftrag zu erteilen. Die Verpflichtung der Fakultäten, schwerwiegende Ver- letzungen grundlegender Gebote der wissenschaftlichen Redlichkeit zu sanktionieren, folge bereits aus ihrer grundgesetzlichen Verantwortlichkeit für eine redliche Wissenschaft. Weiterhin seien sie bereits aufgrund ihrer Grundrechtsbindung verpflichtet, durch Gestaltung und
78 Vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 04.04.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281.
79 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 4/16, BVerwGE 159, 171.
80 BVerwG, Urt. v. 21.06.2017, 6 C 4/16, BVerwGE 159, 171 Rn. 26.
Anwendung des Satzungsrechts sicherzustellen, dass die grundrechtsrelevanten Nachteile einer Entziehung mit ihrem fallbezogenen Gewicht berücksichtigt würden.80
Gegen das letztinstanzliche Urteil des Bundesverwal- tungsgerichts ist Verfassungsbeschwerde eingelegt wor- den.81 Diese wurde durch einen Nichtannahmebeschluss zurückgewiesen, weil es der Beschwerdeführer entgegen §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG versäumt hatte, seine Be- schwerde hinreichend zu substantiieren. Umso mehr lassen die als obiter dictum formulierten Ausführungen aufhorchen. Der parlamentarische Gesetzgeber sei auch im Hochschulbereich verpflichtet, die für die Grund- rechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen zu überlassen. Auch in An- sehung des vom Bundesverwaltungsgericht im Ansatz zutreffend betonten Rechts auf akademische Selbstver- waltung aus Art. 5 Abs. 3 HS. 1 GG erscheine es insoweit als zweifelhaft, ob die Entziehung des Doktorgrades we- gen eines Fehlverhaltens nach seiner Verleihung auf Grundlage einer Satzung verfassungsrechtlichen Anfor- derungen genüge. Aus dem Hochschulrecht des Landes ergebe sich lediglich, dass in der Promotionsordnung die Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften zu re- geln sei. Das Verhalten nach der Prüfung gehöre nicht dazu.82
Auch wenn die Entscheidung unmittelbar allein die Entziehung eines Doktorgrades wegen nachträglichen Fehlverhaltens betrifft, wirft sie auch ein Schlaglicht auf die hier in Rede stehende Thematik. Sie unterstreicht, dass die Universitäten im Regelungsverbund mit Lan- desgesetzgebung nur über eine abgeleitete Satzungsauto- nomie verfügen. Was die Fakultäten in ihren Promoti- onsordnungen regeln, muss dort, wo es grundrechtsrele- vant ist, parlamentsgesetzlich vorgezeichnet sein. Für die Sanktionierung von Plagiaten stehen damit die Bundes- länder, die dem zweiten und dritten Regelungsmodell folgen, auf der sicheren Seite, weil die Sanktionierung entweder bereits im Landeshochschulrecht verankert ist oder dieses doch zumindest eine konkretisierende Spezi- alermächtigung enthält, die über die Generalermächti- gung zum Satzungserlass hinausgeht. Letztlich dürfte aber auch das erste Regelungsmodell, bei dem sich der Landesgesetzgeber auf eine Generalermächtigung be- schränkt, keinen durchgreifenden Einwänden ausgesetzt sein. Die Ermächtigung zum Erlass einer Prüfungsord- nung kann nur so verstanden werden, dass damit auch die Befugnis zum Erlass von Regelungen zur Sicherung
81 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.05.2020, 1 BvR 2103/17, WissR 2020, 385.
82 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.05.2020, 1 BvR 2103/17, WissR 2020, 385 Rn. 10.
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der Integrität der Promotionsprüfung eingeschlossen ist. Dazu gehören nicht nur die Regeln zum ordnungsgemä- ßen Ablauf, sondern auch die Reaktion auf prüfungsbe- zogene Verstöße. Dies muss umso mehr gelten, als der Umgang mit Wissenschaftsplagiaten kein unbeschriebe- nes Blatt ist, sondern festen Regeln folgt, die auch in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt sind. Mit der Generalermächtigung zum Erlass einer Promotionsord- nung ist den Fakultäten damit kein Blankoscheck ausge- stellt, sondern kann sich eine Fakultät allein in dem Rah- men des tradierten Reaktionsrechts bewegen.
Von diesem Rahmen dürften auf Ebene der Landes- gesetzgebung auch sogenannte Minusmaßnahmen ge- deckt sein. Auf einen Prüfungsverstoß kann eine Fakul- tät deshalb grundsätzlich auch mit einer Herabsetzung der Note oder einer schlichten Rüge reagieren. Voraus- setzung hierfür muss aber sein, dass diese Option in den Promotionsordnungen eröffnet worden ist. In den hier betrachteten juristischen Fakultäten ist dies ledig- lich in Düsseldorf vorgesehen (§ 13 Abs. 1 S. 2 PromO Düsseldorf ).
Der vereinzelt unternommene Versuch, derartige Minusmaßnahmen auch ohne ausdrückliche Ermächti- gung zu legitimieren,83 erweist sich hingegen als untaug- lich. Dies gilt insbesondere für den in diesem Zusam- menhang häufig bemühten Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit. Dessen freiheitsschützender Gehalt wird ge- radezu in sein Gegenteil verkehrt, wenn er gegen den Bestimmtheitsgrundsatz ausgespielt wird. Wenn der Tat- bestand einer Eingriffsgrundlage nicht erfüllt ist, kann nach dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip eine an- dere Sanktion nicht allein deshalb zulässig sein, weil die- se milder als die gesetzlich vorgesehene Sanktionierung ist. Vielmehr bedarf es einer klaren Regelung entweder bereits durch den Landesgesetzgeber oder doch jeden- falls in der Promotionsordnung. Dies hat zur Konse- quenz, dass eine Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens jedenfalls dann zwingend ausgeschlossen ist, wenn der Grad des Fehlverhaltens nicht die Schwere erreicht, die auch einen Entzug rechtfertigen würde. Da- mit sind einer Fakultät etwa in Fällen grober Fahrlässig- keit die Hände gebunden sind, wenn im Gesetz oder in der eigenen Promotionsordnung die Schwelle für ein Einschreiten auf ein vorsätzliches Handeln festgeschrie- ben ist. Wer das als unbillig ansieht, ist gehalten, die ge- setzlichen Grundlagen zu ändern.
83 Battis, Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag der Freien Universität Zur Klärung der Rechtsfrage: „Ist es rechtmäßig, auf der Grundlage von § 34 Absätze 7 und 8 Berliner Hochschulgesetz (BerIHG) eine Rüge zu erteilen, auch wenn das BerIHG dies nicht
Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, ob Mi- nusmaßnahmen verhängt werden können, wenn die Schwelle zum Entzug erreicht ist, die Fakultät aber im Rahmen ihrer Ermessensausübung Milde walten lassen will. Wird in solchen Fällen eine Rüge ausgesprochen oder die Benotung herabgesetzt, kann dem der oben for- mulierte Einwand, durch Aufweichung des Tatbestandes den Vorrang des Gesetzes zu missachten, nicht entge- genhalten werden. Gleichwohl drängen sich andere rechtsstaatliche Bedenken auf. Der Vorbehalt des Geset- zes beruht neben dem grundrechtlichen auch auf einem objektiv-rechtsstaatlichen Fundament. Letzteres zielt da- rauf, staatliches Handeln berechen- und vorhersehbar zu machen. Dies erfordert, ein Sanktionenregime tatbe- standlich zu vertypen, um willkürlichen Entscheidungen vorzubeugen. Dies spricht dafür, die Zulässigkeit von Minusmaßnahmen von einer entsprechenden Regelung in Promotionsordnungen abhängig zu machen.
Wenn sich Fakultäten über entsprechende Bedenken hinwegsetzen wollen, sind weitere Einschränkungen zu beachten. Zulässig können nur solche Sanktionen sein, die sich tatsächlich als Minusmaßnahmen darstellen. Hierunter fällt die Absenkung der Promotionsnote. Nicht zulässig kann es dagegen sein, den Betroffenen zu einem aktiven Tun zu verpflichten, wie ihm beispielswei- se aufzugeben, sein Manuskript nach einer Überarbei- tung erneut zu veröffentlichen. Ebenso unzulässig müs- sen von der Fakultät ausgesprochene förmliche Rügen sein. Eine solche Rüge tangiert den sozialen Achtungs- anspruch und greift deshalb in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Auch wenn die Betroffenen kaum schutzwürdig sind, handelt es sich in beiden Fällen nicht mehr um Minusmaßnahmen zum Entzug, sondern um ein Aliud. Fakultäten, die an die Stelle des bisherigen Alles-oder-Nichts-Regimes diffe- renzierte Regelungen treten lassen wollen, sind daher ge- halten, diese Möglichkeiten explizit in ihren Promoti- onsordnungen zu verankern.
V. Fazit und rechtspolitischer Ausblick
Weder das Mathiopoulos-Urteil des Bundesverwal- tungsgerichts noch der Nichtannahmebeschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts bieten Anlass, den bestehenden Umgang mit Plagiaten grundsätzlich in Frage zu stellen. Dieser Befund bedeutet aber noch lange
ausdrücklich regelt und die jeweilige Promotionsordnung zur Ent- ziehung eines Doktorgrades auf die gesetzlichen Bestimmungen bzw. das BerIHG verweist?“, 11.2020.
nicht, dass sich die gegenwärtige Praxis bewährt hat. Sofern Prominente, insbesondere Spitzenpolitiker betroffen sind, finden Plagiatsverfahren unter einem erheblichen medialen Druck statt.84 Das Ideal, unpartei- isch zu entscheiden und sich nicht von persönlichen Interessen leiten zu lassen, kommt dann einer Herkules- aufgabe gleich. Gleiches gilt aber auch, wenn Plagiatsfäl- le zügig auffallen und die betroffene Fakultät zum Rich- ter in eigener Sache wird. Die sinnvollste Strategie, die- sen Druck zu neutralisieren, besteht in der normativen Vorstrukturierung des Entscheidungsprozesses. Je offe- ner die Entscheidungsmaßstäbe hingegen formuliert sind, umso größer ist auch die Gefahr sachwidriger Ein- flussnahmen.
Noch schwer abzuschätzen ist zudem, welche Aus- wirkungen die Entwicklung der KI auf den Wettlauf zwi- schen Plagiatoren und Plagiatsjägern haben wird. Die Textproduktion mit Hilfe von KI lässt Texte entstehen, bei denen der menschliche Benutzer nur noch als Stich- wortgeber fungiert. Auch der Selbstversuch, Teile dieses Beitrages durch die KI so umformulieren zu lassen, dass die Paraphrase nicht mehr als Plagiat zu erkennen ist, lieferte durchaus vielversprechende Ergebnisse. Ein plumpes „Copy and Paste“ dürfte also zukünftig der Ver- gangenheit angehören, was zusätzliche Anreize setzt, die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis außer Acht zu las- sen. KI eröffnet aber nicht nur neue Optionen zu plagiie- ren, sondern auch neue Möglichkeiten, Strukturplagiate offenzulegen.85 Damit könnte auf die Fakultäten eine gi- gantische Welle von Plagiatsverfahren zurollen.
Hierauf sind die Fakultäten gegenwärtig nur schlecht vorbereitet. Daran hat die Aufgabe der früheren Baga-
tellgrenze durch die Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts einen nicht unerheblichen Anteil. Wenn es jetzt eine zweite, noch nicht wirklich quantifizierte Grenze gibt, bei deren Unterschreitung in eine qualitative Betrachtung und zuletzt möglicherweise auch noch in eine Gesamtschau eingetreten werden muss, ist hiermit eine erhebliche Rechtsunsicherheit ver- bunden. Misslich ist dabei insbesondere, dass jeder Pla- giatsfall, der nicht zum Titelentzug geführt hat, einen neuen Benchmark setzt, der bei weiteren Fällen als Refe- renz dient. Um einer Erosion wissenschaftlicher Stan- dards entgegenzuwirken, sind unterschiedliche Strategi- en denkbar. Eine Option wäre es, für Altfälle erneut über eine Verjährungsregel nachzudenken.86 Vorzugwürdig erscheint es, den Fakultäten klare Entscheidungsmaßstä- be an die Hand zu geben. Nach der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung sind hier aber weder die Landesge- setzgeber noch die Rechtsprechung, sondern in erster Linie die Fakultäten selbst aufgerufen, für Rechtssicher- heit zu sorgen.
Prof. Dr. Ralf P. Schenke ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Deutsches, Europäisches und Inter- nationales Steuerrecht an der Julius-Maximilians-Uni- versität Würzburg. Seine Forschungsinteressen liegen neben dem Steuerrecht vor allem im Verwaltungspro- zessrecht, im Datenschutzrecht sowie in der juristischen Methodenlehre. Von 2013 bis 2019 war er Vorsitzender der Ständigen Kommission zur Untersuchung wissen- schaftlichen Fehlverhaltens der Universität Würzburg.
84 Reiches Anschauungsmaterial hierfür bieten die Plagiatsverfahren Giffey und Schavan (s. oben die Nw. in Fn. 3 und 4).
85 Vgl. hierzu etwa Keita, Plagiarism Detection Using Transformers (https://www.pinecone.io/learn/plagiarism-detection/, zuletzt
abgerufen am 23.7.2023).
86 Löwer, Verjährungsfrist für Plagiatsvergehen?, Forschung & Lehre
2012, 550; dagegen etwa Rieble, Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktorgrades, OdW 2014, 19.
Schenke · Promotion und Wissenschaftsplagiate 2 1 9
220 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 209–220