Übersicht*
I. Verbot der Psychotherapeutenausbildung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften durch § 9 Abs. 1 Psychotherapeu- tengesetz – PsychThG
1. Zugang zum Psychotherapiestudium
2. Zielsetzungen der reformierten Psychotherapeutenausbildung
II. Zum Schutz der Lehrfreiheit von Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften
1. Zum Eingriff in die Lehrfreiheit
2. Zur Verfassungswidrigkeit der Prämissen des Psychothera- peutengesetzes
a) Lenkung und Begrenzung der Ausbildungskapazität
b) Zur Fähigkeit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaf- ten zur Organisation der Ausbildung von Psychotherapeuten
3. Keine Rechtfertigungsmöglichkeit des Ausschlusses der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften aus der Psychothera- peutenausbildung
a) Zu den Grundrechten Dritter als verfassungsimmanente Schranke des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
aa) Schutz der Studierenden
bb) Schutz der Gesundheit der psychotherapeutisch zu behan- delnden Personen
b) Ausschluss der Psychotherapeutenausbildung an Hochschu- len für Angewandte Wissenschaften verfassungswidrig
aa) Verkennung des Profils der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften
bb) Psychotherapeutenausbildung auch ohne Grundlagenfor- schung
c) Insbesondere zur Gleichwertigkeit des Psychotherapie-Bache- lors an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit einem entsprechenden universitären Bachelor
III. Ergebnis
Nach dem „Artikelgesetz zur Reform der Psychotherapeu- tenausbildung vom 15.11.2019“1 findet die Psychothera- peutenausbildung mit einem dreijährigen Bachelor- und zweijährigen Master-Studium nur an Universitäten statt.
* Die Ausführungen beruhen zum Teil auf einem Rechtsgutachten.
1 BGBl 2019 I, S. 1604.
2 §§ 5, 6 Psychotherapeutengesetz vom 16. 6. 1998, BGBl. I, S. 1311
Der zuvor mögliche Ausbildungsweg unter Beteiligung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften2 wur- de verschlossen. Der folgende Beitrag befasst sich mit der Frage: Ist dieser vollständige Ausschluss der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften von der Psy- chotherapeutenausbildung mit ihrer von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Lehrfreiheit vereinbar?
I. Verbot der Psychotherapeutenausbildung an Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften durch
§ 9 Abs. 1 Psychotherapeutengesetz – PsychThG
Die Psychotherapie befasst sich mit der Behandlung von psychischen Erkrankungen mit interaktiven psychologi- schen Mitteln. Im Psychologie-Studium, dessen beson- dere Spezialisierung sich der Ausbildung zum Psycho- therapeuten widmet, werden Methoden und Praxis der Verfahren psychologischer Krankenbehandlung vermit- telt.
1. Zugang zum Psychotherapiestudium
Nach § 9 Abs. 1 PsychThG ist für Studierende, die nach dem 1. 9. 2020 eine Psychotherapeutenausbildung absol- vieren wollen, nur das Studium an einer Universität oder an einer vergleichbaren Hochschule möglich. Als ver- gleichbar wird eine Hochschule erachtet, der das Promo- tionsrecht verliehen ist.3 Soweit Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften kein Promotionsrecht haben, was in der Regel der Fall ist, sind sie nicht berechtigt, ein Studium der Psychotherapie anzubieten.
Damit ist ein universitäres Studium Voraussetzung für die Erteilung der für die Berufsaufnahme erforderli- chen Approbation (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 S. 1 PsychThG). Das Psychotherapiestudium er- folgt in einem Bachelorstudiengang, der polyvalent aus- gestaltet sein kann, sowie in einem darauf aufbauenden Masterstudiengang(§9Abs.3S.1PsychThG).DieStudi- engänge müssen nach dem Hochschulrecht der Länder akkreditiert sein (§ 9 Abs. 4 S. 1 PsychThG).
3 Hierzu Sandberger, Abschlüsse, Promotion, Habilitation, in Haug (Hg.), Das Hochschulrecht in Baden- Württemberg, 3. Aufl. 2020, Teil 3, Rn. 728 f.
Thomas Würtenberger
Studium der Psychotherapie – auch an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften?
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
80 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88
Diese Anforderungen an eine universitäre Psycho- therapeutenausbildung haben zur Folge, dass Hochschu- len für Angewandte Wissenschaften ab dem Studienbe- ginn zum 1. 9. 2020 nicht mehr an einem Studium, das zur Approbation in Psychotherapie führt, beteiligt sein können. Dieses Verbot einer Psychotherapeutenausbil- dung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wird mit den Zielsetzungen der Ausbildung nach dem neuen Psychotherapeutengesetz begründet:
2. Zielsetzungen der reformierten Psychotherapeuten- ausbildung
Die Zielsetzungen der reformierten Psychotherapieaus- bildung sind in der Gesetzesbegründung aufgelistet. Zu den wichtigsten Reformanliegen gehören:4
- – eine qualifizierte, patientenorientierte, bedarfsge- rechte und flächendeckende psychotherapeutische Versorgung auf dem „aktuellen Stand wissenschaftli- cher Erkenntnisse“ (S. 1, 70, 74)
- – Berücksichtigung der veränderten Strukturen in der Hochschulausbildung (S. 78, 92)
- – wissenschaftliches Masterstudium an einer Univer- sität als Voraussetzung für die Approbation
- – universitäre Ausbildung, um „wissenschaftliche Qua- lifikation auf höchstem wissenschaftlichen Niveau zu ermöglichen“ (S. 52)
- – Gleichstellung des psychotherapeutischen Heilbe- rufs mit dem medizinischen oder pharmazeutischen Heilberuf (S. 52)
- – Fähigkeit zur Weiterentwicklung des Berufs und Berufsfeldes (S. 52)
- – „Ausweitung der Studienkapazitäten und eine Ein- bindung der Fachhochschulen zur Sicherung des Fachkräftebedarfs … nicht erforderlich“ (S. 53)Bei den folgenden Überlegungen zum Schutz der Lehrfreiheit geht es in der Sache um die Frage, ob der Gesetzgeber das Profil der Hochschulen für Angewand- te Wissenschaften zutreffend gewürdigt hat und ob sie, ebenso wie Universitäten, eine Psychotherapeutenaus-
- 4 BT-Drs. 19/9770, S. 1 ff.
- 5 BVerfGE 126, 1 Rn. 40 ff.; Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 7.Aufl. 2018, § 34 Rn. 595.
- 6 Heidtmann, Grundlagen der Privathochschulfreiheit, 1980, S. 285ff.; Steinkemper, Verfassungsrechtliche Stellung der Privathoch- schule und ihre staatliche Förderung, 2002, S. 110; BeckOK GG/ Kempen, 50. Ed. 15.2.2022, GG Art. 5 Rn. 185; Fehling, in: Bonner Kommentar, 2004, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 129; Von Münch/Kunig/ Wendt, 7. Aufl. 2021, GG Art. 5 Rn. 164; Mager, Freiheit von Forschung und Lehre, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch
bildung anbieten können, die den Zielsetzungen des Psy- chotherapeutengesetzes entspricht.
II. Zum Schutz der Lehrfreiheit von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften
Der Schutzbereich der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Lehrfreiheit umfasst auch die Lehre an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.5 Die ver- fassungsrechtlich geschützte Lehrfreiheit der Hochschu- len für Angewandte Wissenschaften umfasst das Recht, wie noch zu begründen ist, einen Studiengang der Psy- chotherapie anzubieten. Auf diesen Schutz können sich nicht nur die öffentlichen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, sondern auch diese Hochschulen in pri- vater Trägerschaft und deren Trägergesellschaften beru- fen.6 Art. 5 Abs. 3 GG schützt mit der Privathochschul- freiheit nicht nur die einzelne Hochschule, sondern ergänzend auch die wissenschaftsaffine und an besonde- ren Lehrkonzepten orientierte Gründungs- und Betäti- gungsfreiheit ihrer Trägergesellschaften.
1. Zum Eingriff in die Lehrfreiheit
In diesen Bereich grundrechtlich geschützter Lehrfrei- heit greift § 9 Abs. 1 PsychThG ein. Er verhindert mit sei- nem Universitätsvorbehalt, dass Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften in der Lage sind, Studiengänge für die Ausbildung von Psychotherapeuten anzubieten. Dies ist ein schwerer und tiefer Eingriff in die Lehrfreiheit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Der Gesetzgeber unterbindet die Einrichtung entsprechen- der Bachelor- und Masterstudiengänge. Er verdrängt die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aus einer Psychotherapeutenausbildung, an der sie bis zum Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes erfolgreich beteiligt waren.
2. Zur Verfassungswidrigkeit der Prämissen des Psycho- therapeutengesetzes
Bevor die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung näher erörtert wird, seien die Beratungen im Gesetzgebungs-
des Staatsrechts, 3. Aufl., Bd. VII, 2009, § 166 Rn. 16; Kempen, Grundfragen des institutionellen Hochschulrechts, in Hartmer/ Detmer (Hg.), Hochschulrecht, 4. Aufl. 2022, 1. Kap. Rn. 20, 21 mit Nachw.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus, 7. Aufl. 2018, GG Art. 5 Rn. 488; Dreier/Britz, 3. Aufl. 2013, GG Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 24; Würtenberger, Privathochschulfrei- heit – auch bei der Organisation der Leitungsebene?, OdW 2019, 15, 16 f.; Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 120.
verfahren aufgegriffen. Im Referentenentwurf und sodann in der Gesetzesbegründung wurden Gründe für eine allein universitäre Psychotherapeutenausbildung angeführt, denen die Verfassungswidrigkeit auf die Stir- ne geschrieben war. Über diese zu berichten, besteht Anlass. Denn sie zeigen, dass die Gesetzesnovellierung mit nicht verfassungskonformen Zielsetzungen vorbe- reitet wurde.
a) Lenkung und Begrenzung der Ausbildungskapazität
Der Referentenentwurf vom 3. 1. 20197 legt offen, dass die
universitäre Ausbildung von Psychotherapeuten auch daher eingeführt wurde, um den Zugang zum Beruf des Psychotherapeuten zu begrenzen:
„Weiterhin dient die Ansiedlung des Studiums der Psy- chotherapie an Universitäten aber auch der kapazitä- ren Beschränkung von Ausbildungsplätzen. Schon heu- te streben die Studierenden im Bereich der Psychologie in hoher Zahl einen Abschluss des Studiums mit dem akademischen Grad des Masters an. Der Anteil derje- nigen, die danach eine Tätigkeit in der klinischen Psy- chologie oder eine Ausbildung zum Beruf des Psycholo- gischen Psychotherapeuten oder des Kinder- und Ju- gendlichenpsychotherapeuten anstreben, liegt nach Aussagen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bei etwa 70 Prozent. Den schriftlichen Teil der staatli- chen Prüfung nach dem PsychThG 1998 haben nach den statistischen Erhebungen des Instituts für medizi- nische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) im Jahr 2014 etwa 2300 und im Jahr 2016 bereits 2700 Personen abgelegt. Damit setzt sich der langjährige Prozess unbegrenzt steigender Ausbildungszahlen wei- ter fort. Umgekehrt geht mit den steigenden Absolven- tenzahlen aber kein unbegrenzt steigender Bedarf an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einher. Derzeitige Berechnungen zeigen vielmehr, dass eine Zahl von etwa 2300 bis 2500 Personen, die jährlich die Ausbildung und in Zukunft das Studium abschließen, mehr als ausreichen wird, um gemeinsam mit den psy- chotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzten die psychotherapeutische Versorgung dauerhaft zu si-
- 7 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/P/ PsychThG-RefE.pdf (letzter Zugriff am 10.03.2023).
- 8 BT-Drs. 19/9770, S. 53; Linden, Das neue Psychotherapeutenge- setz: Gewinner und Verlierer, in: Psychotherapeut, 2021, S. 42, 45: „Verabschiedet wurde ein Zugangs- und Mengenbegrenzungsge- setz“.
- 9 BVerfG NJW 1972, 1561, 1564 mit Verweis auf BVerwG JZ 1963, 675.
- 10 Inwieweit der Staat die Berufschancen der Ausbildungswilligen
chern. Schon heute gibt es kapazitäre Überhänge bei der Verteilung von Kassensitzen“ (S. 58).
Diese in der Gesetzesbegründung ebenfalls offen ge- legte Orientierung der Ausbildungskapazitäten an einer (bereits damals fehlerhaften) Schätzung des Bedarfs und an der Zahl von Kassensitzen und damit verbunden der Ausschluss der Hochschulen für Angewandte Wissen- schaften von der Psychotherapeutenausbildung8 ist eine verfassungswidrige Zielsetzung des neuen Psychothera- peutengesetzes. In einem freiheitlichen Staat, der mit Art. 12 Abs. 1 GG die Berufsfreiheit vor staatlichen Ein- griffen schützt, ist eine Berufslenkung durch gezielte Ver- knappung und Kontingentierung der Ausbildungsplätze durch eine Regelung der Pflicht der Ausbildung an Uni- versitäten verfassungswidrig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 Abs. 1 GG gehören zur rechtlichen Ordnung der beruflichen Betätigung auch Vorschriften über die Ausbildung und den Zugang zu einem Beruf. Aus dieser engen Verknüpfung folgt, dass Beschränkun- gen bei der Zulassung zur Ausbildung nicht einer am ge- sellschaftlichen Bedarf orientierten Berufslenkung die- nen dürfen.9 Es überrascht, dass derartige Grenzen ge- setzgeberischer Gestaltungsfreiheit bei den Beratungen des neuen Psychotherapeutengesetzes übersehen wer- den konnten.10
Der Hinweis im Referentenentwurf, es gäbe kapazitä- re Überhänge bei der Verteilung von Kassensitzen, ist deplatziert. Das Ministerium verhält sich hier nicht bzw. äußerst einseitig zum gesellschaftlichen Bedarf an Psy- chotherapeuten und zu den heftigen Auseinanderset- zungen um die dringend nötige Erhöhung von Kassen- sitzen.11 Bei dem derzeitigen Mangel an Kassensitz-Psy- chotherapeuten mit monatelangen Wartezeiten auf Be- ratungsmöglichkeiten ist es nicht nachvollziehbar, die Planung der Ausbildungskapazität an einer Festschrei- bung der Zahl an Kassensitzen zu orientieren und damit das Ausbildungspotential der Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften zu negieren. Davon abgesehen fordert der Gesundheitsschutz der Bevölkerung keine Psychotherapeuten, die wissenschaftlich zu forschen in der Lage sind, wie die Gesetzesbegründung verlangt.12
Würtenberger · Studium der Psychotherapie 8 1
11 12
zu berücksichtigen berechtigt ist (Zippelius/Würtenberger, Deut- sches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 37 Rn. 43), muss nicht weiter geprüft werden. Es ist jedenfalls verfassungswidrig, die Zahl der Studierenden an den Kassenarztsitzen zu orientieren und damit den gesellschaftlichen Bedarf einseitig limitierend festzulegen. Vgl. etwa die Pressemitteilung der Bundespsychotherapeuten- kammer https://www.bptk.de/bptk-auswertung-monatelange- wartezeiten-bei-psychotherapeutinnen/ (letzter Zugriff am 10.03.2023).
BT-Drs. 19/9770, S. 52.
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Gefordert sind Therapeuten, worauf zurückzukommen ist, die die wissenschaftlich fundierten Therapieangebote anzuwenden in der Lage sind.
b) Zur Fähigkeit der Hochschulen für Angewandte Wis- senschaften zur Organisation der Ausbildung von Psy- chotherapeuten
Außerdem soll nach Ansicht des Referentenentwurfs sowie der Gesetzesbegründung13 gegen ein Studium der Psychotherapie an Hochschulen für Angewandte Wis- senschaften sprechen, dass sie nicht fähig seien, die neu- en gesetzlich geregelten Anforderungen an ein Psycho- therapeutenstudium umsetzen zu können:
„Die Entscheidung, das Studium an Universitäten oder ihnen gleichgestellten Hochschulen anzusiedeln, be- ruht neben den qualitativen Erwägungen auch auf Überlegungen zur Machbarkeit. Die an den Universi- täten und ihnen gleichgestellten Hochschulen angesie- delten psychologischen Fakultäten werden am schnells- ten in der Lage sein, das in diesem Gesetz und der Ap- probationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geregelte Studium der Psychothera- pie anzubieten. Sie verfügen bereits heute über Struk- turen, die für die Umsetzung des Ausbildungsziels be- nötigt werden. So sind an den universitären psycholo- gischen Instituten Hochschulambulanzen angesiedelt, die bei den berufspraktischen Einsätzen mitwirken können“ (S. 57 des Referentenentwurfs).
Ein derartiges Machbarkeitsargument kann bei der Bestimmung der immanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durchaus zu berücksichtigen sein. Vorliegend kann es jedoch keine Rolle spielen. Es ver- kennt, dass Hochschulen für Angewandte Wissenschaf- ten sich in gleicher Weise wie Universitäten auf eine neu geregelte Psychotherapeutenausbildung einstellen kön- nen. Davon abgesehen gab und gibt es im Bereich der Psychotherapeutenausbildung Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften, die umgehend in der Lage ge- wesen wären, die neuen Vorgaben des Psychotherapeu-
- 13 BT-Drs. 19/9770, S. 52 f.
- 14 Die postgraduale Psychotherapeutenausbildung gehört zurAgenda der „Heidelberger Akademie für Psychotherapie“, einem staatlich anerkannten Ausbildungsinstitut für Verhaltensthera- pie für Kinder und Jugendliche (https://www.srh-hochschule- heidelberg.de/hochschule/institute/heidelberger-akademie-fuer- psychotherapie/ letzter Zugriff am 10.3.2023). Diese „Heidelberger Akademie für Psychotherapie“, errichtet als gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Heidelberg, ist ein Ausbildungsinstitut, das in die Organisation der SRH Hochschule Heidelberg integriert ist.
tengesetzes umzusetzen. Genannt sei nur die SRH Hoch- schule Heidelberg, die Teilbereiche der Psychotherapeu- tenausbildung mit einem eigens eingerichteten Forschungs- und Ausbildungsinstitut über viele Jahre hinweg erfolgreich angeboten hat.14 Insofern geht der Referentenentwurf zum neuen Psychotherapeutengesetz ganz offensichtlich von Annahmen aus, die nicht der Re- alität entsprechen. Dieses Ermittlungsdefizit des Gesetz- gebers kann zur Verfassungswidrigkeit des neuen Psy- chotherapeutengesetzes führen, wenn zu überprüfen ist, ob sich die Grundlagen gesetzgeberischer Entscheidun- gen auf Fakten und Daten stützen lassen, die zutreffend ermittelt worden sind.15
3. Keine Rechtfertigungsmöglichkeit des Ausschlusses der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aus der Psychotherapeutenausbildung
Eingriffe in die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ohne einen Gesetzesvorbehalt geschützte Hochschulfreiheit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften müssen durch Gesetz, wie vorliegend durch das Psychotherapeu- tengesetz, erfolgen. Diese gesetzlichen Eingriffsmöglich- keiten sind begrenzt. Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sind lediglich insoweit gestattet, als sie die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG konkretisieren. Dies bedeutet: In die Lehrfrei- heit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften kann vom Gesetzgeber nur mit Rücksicht auf kollidie- rendes Verfassungsrecht eingegriffen werden. Zum kolli- dierenden Verfassungsrecht zählen entweder Grund- rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestat- tete Rechtswerte.16 Bestehen also verfassungsimmanente Schranken ihrer Lehrfreiheit, die es rechtfertigen, dass Hochschulen für Angewandte Wissenschaften von der Psychotherapeutenausbildung ausgeschlossen werden können?
a) Zu den Grundrechten Dritter als verfassungsimma- nente Schranke des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
Zu den Grundrechten Dritter, die mit der durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Lehrfreiheit kollidieren
Dieses Institut ist nach seinem Selbstverständnis ein metho- denübergreifendes, integratives Ausbildungsinstitut mit einem verhaltenstherapeutischen Schwerpunkt. An ihm sind weit über 80 approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ausgebildet worden, 50 Auszubildende waren zu Ende 2020 dort immatrikuliert.
15 BVerfGE 106, 62, 144, 150; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 48 Rn. 43
16 BVerfG NVwZ 2010, 1285 Rn. 54 f. mit zahlreichen Rückverwei- sen; Würtenberger, OdW 2019, 15, 17 f.
und diese einschränken können, gehören der den Stu- dierenden durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grund- rechtsschutz sowie der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gefor- derte Gesundheitsschutz der künftig zu behandelnden Patienten.
aa) Schutz der Studierenden?
Blicken wir zunächst auf den durch Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Grundrechtsschutz der Studierenden. Ihre von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Wahl von Ausbildung und Ausbildungsstätte schützt ihr Recht auf eine Ausbil- dung, deren erfolgreicher Abschluss zur Aufnahme des gewählten Berufes befähigt.17 Zur Realisierung dieser Ausbildungsfreiheit haben die Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften den Studierenden eine „anwen- dungsbezogene Lehre und Weiterbildung“ zu bieten, „die zu selbstständiger Anwendung wissenschaftlicher Erkennt- nisse und Methoden … in der Berufspraxis“ befähigt.18
Das neue Psychotherapeutengesetz dient zwar auch dem Schutz der Studierenden. Denn es bezweckt unter anderem eine Verkürzung der Ausbildungszeit und ei- nen früheren Berufseinstieg. Dies spielt in vorliegendem Zusammenhang aber keine Rolle. Denn derartige Rege- lungen hätte man auch im Rahmen der vormaligen Aus- bildung der Psychotherapeuten treffen können. Sie sind nicht der Grund dafür, dass die Psychotherapeutenaus- bildung nur noch an Universitäten erfolgen darf.
Davon abgesehen fordert der Schutz der Studieren- den, dass das von ihnen gewählte Studium den Stan- dards der Ausbildung entspricht, die eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit gestatten und dem Vertrauen ge- recht wird, das Personen mit entsprechender Ausbildung entgegengebracht wird. Auf diese Leistungsfähigkeit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ist weiter unten ausführlich einzugehen.
bb) Schutz der Gesundheit der psychotherapeutisch zu behandelnden Patienten
Das Recht auf Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) gehört zu den verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Es verbietet eine Forschung, die zu gesundheitlichen Schäden führen kann, und gebietet, dass die psychotherapeutische Ausbildung in effektiver Weise dem Gesundheitsschutz dient. Der Schutz der Gesundheit fordert ganz allgemein, dass die Zulassung zu Arzt- oder therapeutischen Berufen nur nach einem
17 Gronemeyer, Sind Studierende verpflichtet an Lehrveranstaltun- gen teilzunehmen?, ODW 2023, 45, 46 ff. mit Nachw.
entsprechenden, erfolgreich absolvierten Studium erfolgt. In dieser Hinsicht ist gegen die Regelung der Approbation nach dem neuen Psychotherapeutengesetz im Prinzip nichts zu erinnern.
Gleichwohl steht folgender vom neuen Psychothera- peutengesetz verfolgter Grundsatz nicht im Einklang mit den Vorgaben des Grundgesetzes: Das neue Psycho- therapeutengesetz lässt nur eine universitäre psychothe- rapeutische Ausbildung zu, um das Ziel zu erreichen, den verfassungsrechtlich gebotenen Gesundheitsschutz psy- chisch Erkrankter zu gewährleisten und auch, soweit möglich, zu verbessern. Die Begründung, dass diese Grundsatzentscheidung einen Ausschluss der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften aus der Psycho- therapeutenausbildung fordere, hält einer am Maßstab des Grundgesetzes orientierten Kritik nicht Stand:
b) Ausschluss der Psychotherapeutenausbildung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften verfas- sungswidrig
Der Ausschluss der Psychotherapeutenausbildung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wäre ver- fassungsrechtlich statthaft, wenn nach einer belastbaren Prognose des Gesetzgebers die Psychotherapeutenausbil- dung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften mit Gefährdungen der Gesundheit der nach solcher Aus- bildung behandelten Patienten verbunden wären, die es rechtfertigen, die Fortführung dieser Ausbildung zu untersagen. Dies aber ist nicht der Fall:
Blicken wir nochmals auf die Zielsetzungen des neu- en Psychotherapeutengesetzes:
„Patientinnen und Patienten, die einer psychothera- peutischen Behandlung bedürfen, eine qualifizierte, patientenorientierte, bedarfsgerechte und flächende- ckende psychotherapeutische Versorgung auf dem ak- tuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Ver- fügung zu stellen. … Dabei sollen die veränderten Strukturen in der Hochschulausbildung und ihre Aus- wirkungen auf die Zugangsvoraussetzungen sowie die steigenden Anforderungen an die psychotherapeuti- sche Tätigkeit berücksichtigt und Verbesserungspoten- ziale, die sich im Zuge der langjährigen Diskussionen über eine Änderung der derzeitigen Rahmenbedingun- gen gezeigt haben, genutzt werden“.19
18 So zum Beispiel § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 LHG BW. 19 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 1.
Würtenberger · Studium der Psychotherapie 8 3
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aa) Verkennung des Profils der Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das neue Psycho- therapeutengesetz „die veränderten Strukturen in der Hochschulausbildung“ berücksichtigen. Diesem sich selbst auferlegtem Gebot genügt der Gesetzgeber jedoch nicht. Er verkennt gründlich den „Aufstieg“ der Fach- hochschulen bzw. der Hochschulen für Angewandte Wis- senschaften. Das BVerfG hat eine gewisse Angleichung von Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften bereits vor einem Jahrzehnt klar formu- liert:
„Schließlich haben sich Annäherungen zwischen Uni- versitäten und Fachhochschulen im Zuge des so ge- nannten Bologna-Prozesses ergeben, die erkennen las- sen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch Fach- hochschulen als wissenschaftliche Ausbildungsstätten angesehen werden sollen“.20
Vor allem hat der Bologna-Prozess dazu geführt, dass sich die beiden Hochschultypen Hochschule für Ange- wandte Wissenschaften und Universität mit jetzt gleich- rangigen Abschlüssen einen Wettbewerb „oft auf gleicher Augenhöhe“ um die besten Studierenden liefern konn- ten.21 Es verstößt gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wenn der Gesetzgeber beim Ausschluss der Hochschulen für An- gewandte Wissenschaften von der Psychotherapeuten- ausbildung verkennt, dass an diesen Hochschulen eben- so wie an den Universitäten eine wissenschaftlich fun- dierte Psychotherapeutenausbildung stattgefunden hat undnachwievorstattfindenkann.Dafürstreitetdas hochschulrechtlich normierte Profil von Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: Uni- versitäten haben unter anderem die Grundlagenfor- schung und ein wissenschaftliches Studium, Hochschu- len für Angewandte Wissenschaften eine anwendungs- bezogene Forschung und ein anwendungsbezogenes wissenschaftliches Studium zur Aufgabe.22 Eine instituti- onelle Rang- oder Stufenfolge oder Aufteilung zwischen dem Bachelor an einer Universität oder an einer Hoch- schule für Angewandte Wissenschaften gibt es nicht;
- 20 BVerfGE 126, 1, Rn. 48.
- 21 So von Grünberg/Sonntag, 50 Jahre Fachhochschule. Über daslangsame Entstehen eines neuen Hochschultyps, Ordnung derWissenschaft, 2016, S. 157, 162.
- 22 So zum Beispiel § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 4 LHG BW.
„von einer klaren Trennung der Profile, von Trenn- schärfe oder Typentreue, kann insoweit kaum noch die Rede sein“.23
Der Gesetzgeber hat bei Erlass des neuen Psychothe- rapeutengesetzes nicht nur das rechtliche Profil der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften verkannt, sondern auch, dass sich der alte Rechtszustand bewährt hatte und es weniger einschneidender Maßnahmen be- durft hätte, um das Psychotherapeutenrecht zu reformie- ren. So hat der Gesetzgeber der alten Psychotherapeute- nausbildung auch durch die Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften bescheinigt:
„Grundsätzlich konnte schnell festgestellt werden, dass sich die Schaffung der eigenständigen Heilberufe in der Psychologischen Psychotherapie und in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sowie die Einbindung der nichtärztlichen Psychotherapie in die Versorgung der Patientinnen und Patienten bewährt hat. Die Be- rufsangehörigen haben eine wichtige Funktion im Sys- tem der Heilberufe und im Gesundheitswesen Deutsch- lands inne. Sie genießen hohes Ansehen bei den Patien- tinnen und Patienten, die sie als kompetente Ansprech- partner bei der Behandlung psychischer Störungen mit Krankheitswert ansehen“.24
An sich war zu erwarten, dass der Gesetzgeber den zentralen Perspektivenwechsel von einer Psychothera- peutenausbildung an Universitäten und an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften zu einer nunmehr allein möglichen Psychotherapeutenausbildung an Universitäten mit Argumenten begründet, die den von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gebotenen Freiheitsschutz der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften einzuschrän- ken in der Lage sind. Hieran fehlt es. So wird nur pau- schal darauf verwiesen, es gäbe „zahlreiche Neuentwick- lungen“, die sich bei der Therapie von Patienten als wirk- sam erwiesen haben, aber vom früheren Recht nicht erfasst würden, so dass zusätzliche Qualifikationen er- forderlich würden.25 Die Neufassung des Psychothera- peutengesetzes lässt allerdings nicht ersehen, welche Neuentwicklungen im Bereich der Psychotherapie zu
23 Lynen/Bernice-Warnke, in: Hartmer/Detmer (Hg.), Hochschul- recht, 4. Aufl. 2022, 3. Kap. Rn. 22.
24 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 32. 25 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 33.
welchen Zusatzqualifikationen geführt haben oder füh- ren müssen.
bb) Psychotherapeutenausbildung auch ohne Grundla- genforschung zielführend
Aber selbst unter dieser Prämisse hat der Gesetzgeber bei seinem Eingriff in die Lehrfreiheit der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften nicht geklärt: Können diese Neuentwicklungen in der Psychotherapie nicht ebenfalls in den Studiengängen der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aufgegriffen, gelehrt und in der Umsetzung eingeübt werden?
Nach der Begründung zum Gesetzentwurf des Psy- chotherapeutengesetzes würden nur an Universitäten jene Forschungsleistungen erbracht, derer es als Grund- lage einer modernen und wissenschaftsgestützten Psy- chotherapeutenausbildung bedarf. Denn
„Qualität und Wirksamkeit der jeweiligen medizini- schen und therapeutischen Leistungen haben dem all- gemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu be- rücksichtigen (so auch § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB V). Um diesen Anforderungen zu entsprechen, bedarf es einer Ausbildung, die wissenschaftliche Qualifikationen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau ermöglicht“.26
Allerdings wird dies sofort dahin relativiert, dass für
„das Erreichen des in § 7 festgelegten Ausbildungsziels … es der Entwicklung von Handlungskompetenzen, die auf gesichertem theoretischem Wissen aufbauen“, bedarf.27
Dabei wird vom Gesetzgeber betont,
„es sei den Fortschritten der heilkundlichen Psychothe- rapie als anwendungsorientierter Wissenschaft Rech- nung zu tragen“.28
Der Gesetzgeber verlangt also, die Psychotherapeu- tenausbildung müsse vom anerkannten wissenschaftli- chen Stand der Psychotherapie ausgehen und den An- forderungen an eine anwendungsorientierte Wissen- schaft Rechnung tragen.
- 26 BT Drs. 19/9770, S. 52.
- 27 BT Drs. 19/9770, S. 52.
- 28 BT Drs. 19/9770, S. 49.
- 29 BeckOK HochschulR BW/Gerber/Krausnick, 17. Ed. 1.11.2019,
Die hier geforderte Verwissenschaftlichung der Psy- chotherapeutenausbildung kann von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften geleistet werden. Die Psy- chotherapeutenausbildung an Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften orientiert sich ihrem Auftrag ent- sprechend am fortschreitenden Stand der Wissenschaft. Hierfür steht zunächst das gesetzliche Profil der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften. Sie
„vermitteln durch anwendungsbezogene Lehre und Weiterbildung eine Ausbildung, die zu selbstständiger Anwendung und Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden … in der Berufspraxis be- fähigt; sie betreiben anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung“.
Nach dem Konzept des Gesetzgebers soll der Praxis- bzw. Anwendungsbezug bei den Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften in Lehre und Forschung stärker sein als derjenige bei den Universitäten.
„An beiden Hochschulen wird jedoch gleichwohl eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung vermittelt und die Einheit von Forschung und Lehre (trotz unter- schiedlicher Schwerpunktsetzung) garantiert“.29
Die lange Zeit beträchtlichen Unterschiede zwischen Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wis- senschaften haben deutlich abgenommen. Der Gesetz- geber hat ebenso wie die Rechtsprechung den Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften einen umfas- senden Freiraum zur Forschung eröffnet. Für die gegen- seitige Annäherung der Hochschultypen Universität und Hochschule für Angewandte Wissenschaften spricht auch, dass letzteren nach und nach das Promotionsrecht zugebilligt wird.30
Im Ergebnis bestehen nicht derart gravierende Unter- schiede zwischen dem Studium der Psychotherapie an Universitäten und an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, dass letztere vom Angebot dieses Studi- ums ausgeschlossen werden dürfen. Dass die medizini- sche Ausbildung an Universitäten erfolgt, ist kein Argu- ment, dass dies auch für eine Ausbildung zum Psycho- therapeuten erforderlich ist. Dies zeigt der unterschiedli- che Zugang zur Therapie: Der Psychotherapeut studiert
§ 2 LHG Rn. 25.
30 BeckOK HochschulR BW/Gerber/Krausnick, 17. Ed. 1.11.2019,
§ 2 LHG Rn. 26 ff.; BVerfGE 126, 1, 19 ff.
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an einer psychologischen, nicht aber an einer medizini- schen Fakultät. Grund für diese Differenz ist, dass die Wissenschaft von der Psychotherapie grundverschieden von der medizinischen Wissenschaft ist. Während die Psychotherapie allein Beschwerden der geistigen Situati- on des Menschen heilen möchte, befasst sich die Medi- zin mit der Heilung körperlicher Leiden. Zielsetzungen und Methoden beider Studiengänge sind derart ver- schieden, dass sich nicht für beide ein universitäres Aus- bildungsniveau fordern lässt.
Vor allem ist nicht ersichtlich, wie die universitäre psychotherapeutische Grundlagenforschung zu einer Op- timierung der Psychotherapeutenausbildung beitragen kann. Denn wie bei jeder Grundlagenforschung gilt auch hier der Grundsatz: Ob therapeutische Grundlagenfor- schung ausbildungsrelevant wird, ergibt sich erst aus ih- rem Transfer in die Praxis. Solange diese Translation nicht wissenschaftlich abgesichert ist, taugt sie nicht zur Behandlung von Patienten und auch nicht zur psycho- therapeutischen Ausbildung. Dies gilt sowohl für die Translation medizinischer Forschung als auch für die Translation psychotherapeutischer Grundlagenfor- schung.
Die Translation medizinischer oder psychotherapeu- tischer Grundlagenforschung ist ein eigenes Forschungs- gebiet, hat aber mit einem praxisbezogenen Studium nichts zu tun. Auch insoweit kann das an Universitäten bestehende Forschungspotential im Bereich der Psycho- therapie nicht als Argument dienen, die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften von der Psychothera- peutenausbildung auszuschließen.
Die Psychotherapeutenausbildung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ist forschungsbasiert, weil sie in vielen Bereichen an den Stand der Forschung anknüpft und anleitet, wie der Forschungsstand in die psychotherapeutische Praxis umgesetzt werden kann. Dies entspricht dem Profil von Forschung und Lehre an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Ihre For- schung zielt auf eine „bessere“ psychotherapeutische Pra- xis, ihre Lehre vermittelt die erforderlichen Kenntnisse, um den Stand der Forschung in die Praxis umzusetzen. Neue Felder, wie etwa genetische Faktoren für psychi- sche Störungen, werden an Universitäten erforscht und sind Gegenstand der universitären Psychiatrie-Ausbil- dung. Diese baut eben auf einem Medizinstudium auf,
31 Vom 4. 3. 2020, BGBl I, S. 469 ff.
während die psychotherapeutische Ausbildung auf ein Psychologiestudium aufsetzt. Um etwaige noch nicht auf Praxistauglichkeit geprüfte Forschungsansätze geht es also nicht in der Psychotherapeutenausbildung.
c) Insbesondere zur Gleichwertigkeit des Psychothera- pie-Bachelors an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit einem entsprechenden universitä- ren Bachelor
Wenn an einer Hochschule für Angewandte Wissen- schaften ein Psychologie-Bachelor angeboten wird, der mit einem universitären Psychologie-Bachelor als Zugangsvoraussetzung für ein entsprechendes Master- studium gleichwertig ist, verlangt die von Art. 5 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Gleichheit bei der Ausübung der Lehrfreiheit die Zulas- sung des Psychotherapie-Bachelors an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Den Anforderungen an die Gleichwertigkeit eines Studienganges wird genügt, wenn hinsichtlich des Studi- enprofils und der geprüften Studienleistungen kein we- sentlicher Unterschied zwischen einem Studiengang an einer Universität und an einer Hochschule für Ange- wandte Wissenschaften besteht. Maßstab für diese Gleichwertigkeitsprüfung sind allein die nachgewiese- nermaßen erworbenen Kompetenzen, die nach der Studi- en- und Prüfungsordnung erworben worden sind. Kon- krete Inhalte oder formale Elemente (zum Beispiel Dau- er oder Art der Lehrveranstaltungen) sind ernst zu neh- mende Indizien für die Gleichwertigkeit. Jenseits dessen kommt es zudem darauf an, dass die erworbenen Fertig- keiten und Fähigkeiten eines Uni-Bachelors sich nicht we- sentlich von denen eines Bachelors an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften unterscheiden.
Ob ein von einer Hochschule für Angewandte Wis- senschaften angebotener Bachelor in Psychotherapie gleichwertig mit einem entsprechenden universitären Bachelor sein kann, entscheidet sich danach, ob sie die rechtlich geregelte Lehre erbringen können:
Die Inhalte, die im Psychotherapie-Bachelor im Rah- men der hochschulischen Lehre zu vermitteln und bei dem Antrag auf Zulassung zur psychotherapeutischen Prüfung nachzuweisen sind, werden in der Anlage 1 zur Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (PsychThApprO),31 die die Vorgaben
des § 7 PsychThG konkretisiert, geregelt. Diese Regelun- gen können von Hochschulen für Angewandte Wissen- schaften vollumfänglich in die Regelung ihres Psycholo- gie- sowie Psychotherapie-Bachelors übernommen wor- den. Dies ergibt sich aus dem Modulhandbuch, aus dem Studienverlaufsplan und aus der Gegenüberstellung der Kriterien der Approbationsordnung und der Ausgestal- tung des Studiengangs Bachelor in Psychologie mit Psychotherapie:
– Die zu vermittelnde wissenschaftliche Methoden- lehre im Umfang von 15 ECTS-Punkten umfasst so heterogene Aspekte wie historische Grundlagen, statistische Methoden, EDV-gestützte Datenverar- beitung und wissenschaftliche Methoden für die Erforschung menschlichen Verhaltens – alles Lehrinhalte, die zum Profil von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften gehören.
– Berufsethik und Berufsrecht mit lediglich 2 ECTS- Punkten vermitteln lediglich anerkannte Standards. Auch hier handelt es sich um Lehrinhalte, die von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften auch in anderen Studiengängen seit jeher erfolgreich ver- mittelt werden.
Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sind damit fähig, ein Psychotherapie-Lehrangebot auf Bache- lor-Niveauzuerbringen.Dennsievermitteln,wieallseits anerkannt und zum Beispiel in § 2 Abs. 1 Nr. 4 LHG BW geregelt ist, durch ihre anwendungsbezogene Lehre eine Ausbildung, die zu selbstständiger Anwendung und Wei- terentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Me- thoden in der Berufspraxis befähigt; die Professoren der Psychologischen Fakultät betreiben zudem anwendungs- bezogene Forschung. Ihr Lehr- und Forschungsprofil deckt damit alle Fächer und jene praktische Ausbildung ab, die von der Psychotherapeutenapprobationsordnung gefordert sind. Dabei bleibt zuberücksichtigen, dass die von der Psychotherapeutenapprobationsordnung ange- gebene Mindestzahl von ECTS-Punkten eine weiter ge- hende Vertiefung der Lehrinhalte ohnehin nicht gestattet. Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind also in der Lage, alle Lehrinhalte anzubieten, die von der Approbationsordnung für den Psychotherapie-Bachelor vorausgesetzt werden.32
III. Ergebnis
Als Ergebnis lässt sich festhalten: Der in § 9 Abs. 1 Psy- chotherapeutengesetz geregelte Ausschluss der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften von der Psy- chotherapeutenausbildung verletzt diese und ihre Träger in der von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleisteten Lehrfrei- heit. Denn es ist kein Grund ersichtlich, der rechtferti- gen könnte, zum Schutz der Grundrechte der Patienten
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Die Grundlagen der Psychotherapie im Umfang von mindestens 25 ECTS-Punkten betreffen jenen Bereich, der im polyvalenten Psychologiestudium von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften traditionell angeboten wurde.
Die Grundlagen der Pädagogik mit nur 4 ECTS- Punkten entsprechen dem Standard-Programm der Pädagogik-Veranstaltungen an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.
Die psychotherapeutisch relevanten Grundlagen der Medizin im Umfang von nur 4 ECTS werden von den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in vergleichbarer Weise auch bei anderen Studien- gängen im Bereich der Gesundheitsberufe erfolg- reich vermittelt.
Gleiches gilt für die Grundlagen der Pharmakologie im Umfang von 2 ECTS.
Die Störungslehre im Umfang von 8 ECTS-Punkten ist von den Hochschulen für Angewandte Wissen- schaften in ihrem Psychotherapeutenstudium ver- mittelt worden. Auch hier geht es lediglich um die Vermittlung gesicherter Erkenntnisse, was zum Auf- gabenprofil von Hochschulen für Angewandte Wis- senschaften gehört.
Gleiches gilt für die psychologische Diagnostik im Umfang von 12 ECTS.
Bei der Vermittlung der allgemeinen Verfahrensleh- re der Psychotherapie geht es allein um Kenntnisse, die dem derzeitigen Stand der Psychotherapie ent- sprechen. Gerade diese Vermittlung des Standes der Wissenschaft gehört zum zentralen Aufgabenprofil von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Gleiches gilt für die Vermittlung präventiver und rehabilitativer Konzepte im Bereich der Psychothe- rapie im Umfang von 2 ECTS-Punkten.
Für einen Psychotherapie-Master würde gleiches gelten, was hier nicht weiter vertieft werden soll.
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oder der Studierenden in die Lehrfreiheit der Hoch- schulen für Angewandte Wissenschaften einzugreifen. Nach der Bologna-Reform sind Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften in der Lage, die Psychothera- peutenausbildung nach den Regeln des neuen Psycho- therapeutengesetzes anzubieten. Dass Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, anders als Universitäten, keinen Auftrag zur psychotherapeutischen Grundlagen- forschung haben, ändert nichts an diesem Ergebnis.
Denn auch ohne Grundlagenforschung zu betreiben, ist es möglich, auf der Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis ein wissenschaftsaffines Psychotherapeuten- studium durchzuführen.
Thomas Würtenberger ist Professor an der Universität Freiburg und Leiter der Forschungsstelle für Hoch- schulrecht.