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Über­sicht*

I. Ver­bot der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten durch § 9 Abs. 1 Psy­cho­the­ra­peu- ten­ge­setz – PsychThG

1. Zugang zum Psy­cho­the­ra­pie­stu­di­um
2. Ziel­set­zun­gen der refor­mier­ten Psychotherapeutenausbildung

II. Zum Schutz der Lehr­frei­heit von Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wissenschaften

1. Zum Ein­griff in die Lehrfreiheit

2. Zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Prä­mis­sen des Psy­cho­the­ra- peutengesetzes

a) Len­kung und Begren­zung der Ausbildungskapazität

b) Zur Fähig­keit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf- ten zur Orga­ni­sa­ti­on der Aus­bil­dung von Psychotherapeuten

3. Kei­ne Recht­fer­ti­gungs­mög­lich­keit des Aus­schlus­ses der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten aus der Psy­cho­the­ra- peutenausbildung

a) Zu den Grund­rech­ten Drit­ter als ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schran­ke des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

aa) Schutz der Studierenden

bb) Schutz der Gesund­heit der psy­cho­the­ra­peu­tisch zu behan- deln­den Personen

b) Aus­schluss der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch­schu- len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten verfassungswidrig

aa) Ver­ken­nung des Pro­fils der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften

bb) Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung auch ohne Grund­la­gen­for- schung

c) Ins­be­son­de­re zur Gleich­wer­tig­keit des Psy­cho­the­ra­pie-Bache- lors an einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten mit einem ent­spre­chen­den uni­ver­si­tä­ren Bachelor

III. Ergeb­nis

Nach dem „Arti­kel­ge­setz zur Reform der Psy­cho­the­ra­peu- ten­aus­bil­dung vom 15.11.2019“1 fin­det die Psy­cho­the­ra- peu­ten­aus­bil­dung mit einem drei­jäh­ri­gen Bache­lor- und zwei­jäh­ri­gen Mas­ter-Stu­di­um nur an Uni­ver­si­tä­ten statt.

* Die Aus­füh­run­gen beru­hen zum Teil auf einem Rechts­gut­ach­ten.
1 BGBl 2019 I, S. 1604.
2 §§ 5, 6 Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz vom 16. 6. 1998, BGBl. I, S. 1311

Der zuvor mög­li­che Aus­bil­dungs­weg unter Betei­li­gung der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften2 wur- de ver­schlos­sen. Der fol­gen­de Bei­trag befasst sich mit der Fra­ge: Ist die­ser voll­stän­di­ge Aus­schluss der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten von der Psy- cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung mit ihrer von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschütz­ten Lehr­frei­heit vereinbar?

I. Ver­bot der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten durch
§ 9 Abs. 1 Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz – PsychThG

Die Psy­cho­the­ra­pie befasst sich mit der Behand­lung von psy­chi­schen Erkran­kun­gen mit inter­ak­ti­ven psy­cho­lo­gi- schen Mit­teln. Im Psy­cho­lo­gie-Stu­di­um, des­sen beson- dere Spe­zia­li­sie­rung sich der Aus­bil­dung zum Psycho- the­ra­peu­ten wid­met, wer­den Metho­den und Pra­xis der Ver­fah­ren psy­cho­lo­gi­scher Kran­ken­be­hand­lung ver­mit- telt.

1. Zugang zum Psychotherapiestudium

Nach § 9 Abs. 1 PsychThG ist für Stu­die­ren­de, die nach dem 1. 9. 2020 eine Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung absol- vie­ren wol­len, nur das Stu­di­um an einer Uni­ver­si­tät oder an einer ver­gleich­ba­ren Hoch­schu­le mög­lich. Als ver- gleich­bar wird eine Hoch­schu­le erach­tet, der das Pro­mo- tions­recht ver­lie­hen ist.3 Soweit Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten kein Pro­mo­ti­ons­recht haben, was in der Regel der Fall ist, sind sie nicht berech­tigt, ein Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie anzubieten.

Damit ist ein uni­ver­si­tä­res Stu­di­um Vor­aus­set­zung für die Ertei­lung der für die Berufs­auf­nah­me erfor­der­li- chen Appro­ba­ti­on (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 in Ver­bin­dung mit § 1 Abs. 1 S. 1 PsychThG). Das Psy­cho­the­ra­pie­stu­di­um er- folgt in einem Bache­lor­stu­di­en­gang, der poly­va­lent aus- gestal­tet sein kann, sowie in einem dar­auf auf­bau­en­den Masterstudiengang(§9Abs.3S.1PsychThG).DieStudi- engän­ge müs­sen nach dem Hoch­schul­recht der Län­der akkre­di­tiert sein (§ 9 Abs. 4 S. 1 PsychThG).

3 Hier­zu Sand­ber­ger, Abschlüs­se, Pro­mo­ti­on, Habi­li­ta­ti­on, in Haug (Hg.), Das Hoch­schul­recht in Baden- Würt­tem­berg, 3. Aufl. 2020, Teil 3, Rn. 728 f.

Tho­mas Würtenberger

Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie – auch an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften?

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197

80 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88

Die­se Anfor­de­run­gen an eine uni­ver­si­tä­re Psycho- the­ra­peu­ten­aus­bil­dung haben zur Fol­ge, dass Hoch­schu- len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ab dem Stu­di­en­be- ginn zum 1. 9. 2020 nicht mehr an einem Stu­di­um, das zur Appro­ba­ti­on in Psy­cho­the­ra­pie führt, betei­ligt sein kön­nen. Die­ses Ver­bot einer Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil- dung an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten wird mit den Ziel­set­zun­gen der Aus­bil­dung nach dem neu­en Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz begründet:

2. Ziel­set­zun­gen der refor­mier­ten Psy­cho­the­ra­peu­ten- ausbildung

Die Ziel­set­zun­gen der refor­mier­ten Psy­cho­the­ra­pie­aus- bil­dung sind in der Geset­zes­be­grün­dung auf­ge­lis­tet. Zu den wich­tigs­ten Reform­an­lie­gen gehören:4

  • –  eine qua­li­fi­zier­te, pati­en­ten­ori­en­tier­te, bedarfs­ge- rech­te und flä­chen­de­cken­de psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Ver­sor­gung auf dem „aktu­el­len Stand wis­sen­schaft­li- cher Erkennt­nis­se“ (S. 1, 70, 74)
  • –  Berück­sich­ti­gung der ver­än­der­ten Struk­tu­ren in der Hoch­schul­aus­bil­dung (S. 78, 92)
  • –  wis­sen­schaft­li­ches Mas­ter­stu­di­um an einer Uni­ver- sität als Vor­aus­set­zung für die Approbation
  • –  uni­ver­si­tä­re Aus­bil­dung, um „wis­sen­schaft­li­che Qua- lifi­ka­ti­on auf höchs­tem wis­sen­schaft­li­chen Niveau zu ermög­li­chen“ (S. 52)
  • –  Gleich­stel­lung des psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Heil­be- rufs mit dem medi­zi­ni­schen oder phar­ma­zeu­ti­schen Heil­be­ruf (S. 52)
  • –  Fähig­keit zur Wei­ter­ent­wick­lung des Berufs und Berufs­fel­des (S. 52)
  • –  „Aus­wei­tung der Stu­di­en­ka­pa­zi­tä­ten und eine Ein- bin­dung der Fach­hoch­schu­len zur Siche­rung des Fach­kräf­te­be­darfs … nicht erfor­der­lich“ (S. 53)Bei den fol­gen­den Über­le­gun­gen zum Schutz der Lehr­frei­heit geht es in der Sache um die Fra­ge, ob der Gesetz­ge­ber das Pro­fil der Hoch­schu­len für Ange­wand- te Wis­sen­schaf­ten zutref­fend gewür­digt hat und ob sie, eben­so wie Uni­ver­si­tä­ten, eine Psychotherapeutenaus-
  1. 4  BT-Drs. 19/9770, S. 1 ff.
  2. 5  BVerfGE 126, 1 Rn. 40 ff.; Hufen, Staats­recht II – Grund­rech­te, 7.Aufl. 2018, § 34 Rn. 595.
  3. 6  Heidt­mann, Grund­la­gen der Pri­vat­hoch­schul­frei­heit, 1980, S. 285ff.; Steink­em­per, Ver­fas­sungs­recht­li­che Stel­lung der Pri­vat­hoch- schu­le und ihre staat­li­che För­de­rung, 2002, S. 110; Beck­OK GG/ Kem­pen, 50. Ed. 15.2.2022, GG Art. 5 Rn. 185; Feh­ling, in: Bon­ner Kom­men­tar, 2004, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 129; Von Münch/Kunig/ Wendt, 7. Aufl. 2021, GG Art. 5 Rn. 164; Mager, Frei­heit von For­schung und Leh­re, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch

bil­dung anbie­ten kön­nen, die den Ziel­set­zun­gen des Psy- cho­the­ra­peu­ten­ge­set­zes entspricht.

II. Zum Schutz der Lehr­frei­heit von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften

Der Schutz­be­reich der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschütz­ten Lehr­frei­heit umfasst auch die Leh­re an den Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften.5 Die ver- fas­sungs­recht­lich geschütz­te Lehr­frei­heit der Hoch­schu- len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten umfasst das Recht, wie noch zu begrün­den ist, einen Stu­di­en­gang der Psy- cho­the­ra­pie anzu­bie­ten. Auf die­sen Schutz kön­nen sich nicht nur die öffent­li­chen Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten, son­dern auch die­se Hoch­schu­len in pri- vater Trä­ger­schaft und deren Trä­ger­ge­sell­schaf­ten beru- fen.6 Art. 5 Abs. 3 GG schützt mit der Pri­vat­hoch­schul- frei­heit nicht nur die ein­zel­ne Hoch­schu­le, son­dern ergän­zend auch die wis­sen­schafts­af­fi­ne und an beson­de- ren Lehr­kon­zep­ten ori­en­tier­te Grün­dungs- und Betä­ti- gungs­frei­heit ihrer Trägergesellschaften.

1. Zum Ein­griff in die Lehrfreiheit

In die­sen Bereich grund­recht­lich geschütz­ter Lehr­frei- heit greift § 9 Abs. 1 PsychThG ein. Er ver­hin­dert mit sei- nem Uni­ver­si­täts­vor­be­halt, dass Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten in der Lage sind, Stu­di­en­gän­ge für die Aus­bil­dung von Psy­cho­the­ra­peu­ten anzu­bie­ten. Dies ist ein schwe­rer und tie­fer Ein­griff in die Lehr­frei­heit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten. Der Gesetz­ge­ber unter­bin­det die Ein­rich­tung ent­spre­chen- der Bache­lor- und Mas­ter­stu­di­en­gän­ge. Er ver­drängt die Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten aus einer Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung, an der sie bis zum Inkraft­tre­ten des Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­set­zes erfolg­reich betei­ligt waren.

2. Zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Prä­mis­sen des Psycho- therapeutengesetzes

Bevor die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit die­ser Rege­lung näher erör­tert wird, sei­en die Bera­tun­gen im Gesetzgebungs-

des Staats­rechts, 3. Aufl., Bd. VII, 2009, § 166 Rn. 16; Kem­pen, Grund­fra­gen des insti­tu­tio­nel­len Hoch­schul­rechts, in Hartmer/ Det­mer (Hg.), Hoch­schul­recht, 4. Aufl. 2022, 1. Kap. Rn. 20, 21 mit Nachw.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Pau­lus, 7. Aufl. 2018, GG Art. 5 Rn. 488; Dreier/Britz, 3. Aufl. 2013, GG Art. 5 Abs. 3 (Wis­sen­schaft) Rn. 24; Wür­ten­ber­ger, Pri­vat­hoch­schul­frei- heit – auch bei der Orga­ni­sa­ti­on der Lei­tungs­ebe­ne?, OdW 2019, 15, 16 f.; Tru­te, Die For­schung zwi­schen grund­recht­li­cher Frei­heit und staat­li­cher Insti­tu­tio­na­li­sie­rung, 1994, S. 120.

ver­fah­ren auf­ge­grif­fen. Im Refe­ren­ten­ent­wurf und sodann in der Geset­zes­be­grün­dung wur­den Grün­de für eine allein uni­ver­si­tä­re Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung ange­führt, denen die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit auf die Stir- ne geschrie­ben war. Über die­se zu berich­ten, besteht Anlass. Denn sie zei­gen, dass die Geset­zes­no­vel­lie­rung mit nicht ver­fas­sungs­kon­for­men Ziel­set­zun­gen vor­be- rei­tet wurde.

a) Len­kung und Begren­zung der Ausbildungskapazität

Der Refe­ren­ten­ent­wurf vom 3. 1. 20197 legt offen, dass die

uni­ver­si­tä­re Aus­bil­dung von Psy­cho­the­ra­peu­ten auch daher ein­ge­führt wur­de, um den Zugang zum Beruf des Psy­cho­the­ra­peu­ten zu begren­zen:

„Wei­ter­hin dient die Ansied­lung des Stu­di­ums der Psy- cho­the­ra­pie an Uni­ver­si­tä­ten aber auch der kapa­zi­tä- ren Beschrän­kung von Aus­bil­dungs­plät­zen. Schon heu- te stre­ben die Stu­die­ren­den im Bereich der Psy­cho­lo­gie in hoher Zahl einen Abschluss des Stu­di­ums mit dem aka­de­mi­schen Grad des Mas­ters an. Der Anteil der­je- nigen, die danach eine Tätig­keit in der kli­ni­schen Psy- cho­lo­gie oder eine Aus­bil­dung zum Beruf des Psy­cho­lo- gischen Psy­cho­the­ra­peu­ten oder des Kin­der- und Ju- gend­li­chen­psy­cho­the­ra­peu­ten anstre­ben, liegt nach Aus­sa­gen der Deut­schen Gesell­schaft für Psy­cho­lo­gie bei etwa 70 Pro­zent. Den schrift­li­chen Teil der staat­li- chen Prü­fung nach dem PsychThG 1998 haben nach den sta­tis­ti­schen Erhe­bun­gen des Insti­tuts für medi­zi- nische und phar­ma­zeu­ti­sche Prü­fungs­fra­gen (IMPP) im Jahr 2014 etwa 2300 und im Jahr 2016 bereits 2700 Per­so­nen abge­legt. Damit setzt sich der lang­jäh­ri­ge Pro­zess unbe­grenzt stei­gen­der Aus­bil­dungs­zah­len wei- ter fort. Umge­kehrt geht mit den stei­gen­den Absol­ven- ten­zah­len aber kein unbe­grenzt stei­gen­der Bedarf an Psy­cho­the­ra­peu­tin­nen und Psy­cho­the­ra­peu­ten ein­her. Der­zei­ti­ge Berech­nun­gen zei­gen viel­mehr, dass eine Zahl von etwa 2300 bis 2500 Per­so­nen, die jähr­lich die Aus­bil­dung und in Zukunft das Stu­di­um abschlie­ßen, mehr als aus­rei­chen wird, um gemein­sam mit den psy- cho­the­ra­peu­tisch täti­gen Ärz­tin­nen und Ärz­ten die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Ver­sor­gung dau­er­haft zu si-

  1. 7  https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/P/ PsychThG-RefE.pdf (letz­ter Zugriff am 10.03.2023).
  2. 8  BT-Drs. 19/9770, S. 53; Lin­den, Das neue Psy­cho­the­ra­peu­t­en­ge- setz: Gewin­ner und Ver­lie­rer, in: Psy­cho­the­ra­peut, 2021, S. 42, 45: „Ver­ab­schie­det wur­de ein Zugangs- und Men­gen­be­gren­zungs­ge- setz“.
  3. 9  BVerfG NJW 1972, 1561, 1564 mit Ver­weis auf BVerwG JZ 1963, 675.
  4. 10  Inwie­weit der Staat die Berufs­chan­cen der Ausbildungswilligen

chern. Schon heu­te gibt es kapa­zi­tä­re Über­hän­ge bei der Ver­tei­lung von Kas­sen­sit­zen“ (S. 58).

Die­se in der Geset­zes­be­grün­dung eben­falls offen ge- leg­te Ori­en­tie­rung der Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten an einer (bereits damals feh­ler­haf­ten) Schät­zung des Bedarfs und an der Zahl von Kas­sen­sit­zen und damit ver­bun­den der Aus­schluss der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen- schaf­ten von der Psychotherapeutenausbildung8 ist eine ver­fas­sungs­wid­ri­ge Ziel­set­zung des neu­en Psy­cho­the­ra- peu­ten­ge­set­zes. In einem frei­heit­li­chen Staat, der mit Art. 12 Abs. 1 GG die Berufs­frei­heit vor staat­li­chen Ein- grif­fen schützt, ist eine Berufs­len­kung durch geziel­te Ver- knap­pung und Kon­tin­gen­tie­rung der Aus­bil­dungs­plät­ze durch eine Rege­lung der Pflicht der Aus­bil­dung an Uni- ver­si­tä­ten ver­fas­sungs­wid­rig. Nach der Recht­spre­chung des BVerfG zu Art. 12 Abs. 1 GG gehö­ren zur recht­li­chen Ord­nung der beruf­li­chen Betä­ti­gung auch Vor­schrif­ten über die Aus­bil­dung und den Zugang zu einem Beruf. Aus die­ser engen Ver­knüp­fung folgt, dass Beschrän­kun- gen bei der Zulas­sung zur Aus­bil­dung nicht einer am ge- sell­schaft­li­chen Bedarf ori­en­tier­ten Berufs­len­kung die- nen dürfen.9 Es über­rascht, dass der­ar­ti­ge Gren­zen ge- setz­ge­be­ri­scher Gestal­tungs­frei­heit bei den Bera­tun­gen des neu­en Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­set­zes über­se­hen wer- den konnten.10

Der Hin­weis im Refe­ren­ten­ent­wurf, es gäbe kapa­zi­tä- re Über­hän­ge bei der Ver­tei­lung von Kas­sen­sit­zen, ist deplat­ziert. Das Minis­te­ri­um ver­hält sich hier nicht bzw. äußerst ein­sei­tig zum gesell­schaft­li­chen Bedarf an Psy- cho­the­ra­peu­ten und zu den hef­ti­gen Aus­ein­an­der­set- zun­gen um die drin­gend nöti­ge Erhö­hung von Kas­sen- sitzen.11 Bei dem der­zei­ti­gen Man­gel an Kas­sen­sitz-Psy- cho­the­ra­peu­ten mit mona­te­lan­gen War­te­zei­ten auf Be- ratungs­mög­lich­kei­ten ist es nicht nach­voll­zieh­bar, die Pla­nung der Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tät an einer Fest­schrei- bung der Zahl an Kas­sen­sit­zen zu ori­en­tie­ren und damit das Aus­bil­dungs­po­ten­ti­al der Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten zu negie­ren. Davon abge­se­hen for­dert der Gesund­heits­schutz der Bevöl­ke­rung kei­ne Psy­cho­the­ra­peu­ten, die wis­sen­schaft­lich zu for­schen in der Lage sind, wie die Geset­zes­be­grün­dung verlangt.12

Wür­ten­ber­ger · Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie 8 1

11 12

zu berück­sich­ti­gen berech­tigt ist (Zippelius/Würtenberger, Deut- sches Staats­recht, 33. Aufl. 2018, § 37 Rn. 43), muss nicht wei­ter geprüft wer­den. Es ist jeden­falls ver­fas­sungs­wid­rig, die Zahl der Stu­die­ren­den an den Kas­sen­arzt­sit­zen zu ori­en­tie­ren und damit den gesell­schaft­li­chen Bedarf ein­sei­tig limi­tie­rend fest­zu­le­gen. Vgl. etwa die Pres­se­mit­tei­lung der Bun­des­psy­cho­the­ra­peu­ten- kam­mer https://www.bptk.de/bptk-auswertung-monatelange- war­te­zei­ten-bei-psy­cho­the­ra­peu­tin­nen/ (letz­ter Zugriff am 10.03.2023).

BT-Drs. 19/9770, S. 52.

82 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88

Gefor­dert sind The­ra­peu­ten, wor­auf zurück­zu­kom­men ist, die die wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten The­ra­pie­an­ge­bo­te anzu­wen­den in der Lage sind.

b) Zur Fähig­keit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten zur Orga­ni­sa­ti­on der Aus­bil­dung von Psy- chotherapeuten

Außer­dem soll nach Ansicht des Refe­ren­ten­ent­wurfs sowie der Gesetzesbegründung13 gegen ein Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten spre­chen, dass sie nicht fähig sei­en, die neu- en gesetz­lich gere­gel­ten Anfor­de­run­gen an ein Psycho- the­ra­peu­ten­stu­di­um umset­zen zu können:

„Die Ent­schei­dung, das Stu­di­um an Uni­ver­si­tä­ten oder ihnen gleich­ge­stell­ten Hoch­schu­len anzu­sie­deln, be- ruht neben den qua­li­ta­ti­ven Erwä­gun­gen auch auf Über­le­gun­gen zur Mach­bar­keit. Die an den Uni­ver­si- täten und ihnen gleich­ge­stell­ten Hoch­schu­len ange­sie- del­ten psy­cho­lo­gi­schen Fakul­tä­ten wer­den am schnells- ten in der Lage sein, das in die­sem Gesetz und der Ap- pro­ba­ti­ons­ord­nung für Psy­cho­the­ra­peu­tin­nen und Psy­cho­the­ra­peu­ten gere­gel­te Stu­di­um der Psy­cho­the­ra- pie anzu­bie­ten. Sie ver­fü­gen bereits heu­te über Struk- turen, die für die Umset­zung des Aus­bil­dungs­ziels be- nötigt wer­den. So sind an den uni­ver­si­tä­ren psy­cho­lo- gischen Insti­tu­ten Hoch­schul­am­bu­lan­zen ange­sie­delt, die bei den berufs­prak­ti­schen Ein­sät­zen mit­wir­ken kön­nen“ (S. 57 des Refe­ren­ten­ent­wurfs).

Ein der­ar­ti­ges Mach­bar­keits­ar­gu­ment kann bei der Bestim­mung der imma­nen­ten Schran­ken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch­aus zu berück­sich­ti­gen sein. Vor­lie­gend kann es jedoch kei­ne Rol­le spie­len. Es ver- kennt, dass Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf- ten sich in glei­cher Wei­se wie Uni­ver­si­tä­ten auf eine neu gere­gel­te Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung ein­stel­len kön- nen. Davon abge­se­hen gab und gibt es im Bereich der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten, die umge­hend in der Lage ge- wesen wären, die neu­en Vor­ga­ben des Psychotherapeu-

  1. 13  BT-Drs. 19/9770, S. 52 f.
  2. 14  Die post­gra­dua­le Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung gehört zurAgen­da der „Hei­del­ber­ger Aka­de­mie für Psy­cho­the­ra­pie“, einem staat­lich aner­kann­ten Aus­bil­dungs­in­sti­tut für Ver­hal­tens­the­ra- pie für Kin­der und Jugend­li­che (https://www.srh-hochschule- heidelberg.de/hochschule/institute/heidelberger-akademie-fuer- psychotherapie/ letz­ter Zugriff am 10.3.2023). Die­se „Hei­del­ber­ger Aka­de­mie für Psy­cho­the­ra­pie“, errich­tet als gemein­nüt­zi­ge Stif­tung mit Sitz in Hei­del­berg, ist ein Aus­bil­dungs­in­sti­tut, das in die Orga­ni­sa­ti­on der SRH Hoch­schu­le Hei­del­berg inte­griert ist.

ten­ge­set­zes umzu­set­zen. Genannt sei nur die SRH Hoch- schu­le Hei­del­berg, die Teil­be­rei­che der Psy­cho­the­ra­peu- ten­aus­bil­dung mit einem eigens ein­ge­rich­te­ten For­schungs- und Aus­bil­dungs­in­sti­tut über vie­le Jah­re hin­weg erfolg­reich ange­bo­ten hat.14 Inso­fern geht der Refe­ren­ten­ent­wurf zum neu­en Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz ganz offen­sicht­lich von Annah­men aus, die nicht der Re- ali­tät ent­spre­chen. Die­ses Ermitt­lungs­de­fi­zit des Gesetz- gebers kann zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des neu­en Psy- cho­the­ra­peu­ten­ge­set­zes füh­ren, wenn zu über­prü­fen ist, ob sich die Grund­la­gen gesetz­ge­be­ri­scher Ent­schei­dun- gen auf Fak­ten und Daten stüt­zen las­sen, die zutref­fend ermit­telt wor­den sind.15

3. Kei­ne Recht­fer­ti­gungs­mög­lich­keit des Aus­schlus­ses der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten aus der Psychotherapeutenausbildung

Ein­grif­fe in die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ohne einen Geset­zes­vor­be­halt geschütz­te Hoch­schul­frei­heit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten müs­sen durch Gesetz, wie vor­lie­gend durch das Psy­cho­the­ra­peu- ten­ge­setz, erfol­gen. Die­se gesetz­li­chen Ein­griffs­mög­lich- kei­ten sind begrenzt. Ein­grif­fe in den Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sind ledig­lich inso­weit gestat­tet, als sie die ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kon­kre­ti­sie­ren. Dies bedeu­tet: In die Lehr­frei- heit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten kann vom Gesetz­ge­ber nur mit Rück­sicht auf kol­li­die- ren­des Ver­fas­sungs­recht ein­ge­grif­fen wer­den. Zum kol­li- die­ren­den Ver­fas­sungs­recht zäh­len ent­we­der Grund- rech­te Drit­ter oder ande­re mit Ver­fas­sungs­rang aus­ges­tat- tete Rechts­wer­te.16 Bestehen also ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schran­ken ihrer Lehr­frei­heit, die es recht­fer­ti­gen, dass Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten von der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung aus­ge­schlos­sen wer­den können?

a) Zu den Grund­rech­ten Drit­ter als ver­fas­sungs­im­ma- nen­te Schran­ke des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

Zu den Grund­rech­ten Drit­ter, die mit der durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschütz­ten Lehr­frei­heit kollidieren

Die­ses Insti­tut ist nach sei­nem Selbst­ver­ständ­nis ein metho- den­über­grei­fen­des, inte­gra­ti­ves Aus­bil­dungs­in­sti­tut mit einem ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen Schwer­punkt. An ihm sind weit über 80 appro­bier­te Kin­der- und Jugend­li­chen­psy­cho­the­ra­peu­ten aus­ge­bil­det wor­den, 50 Aus­zu­bil­den­de waren zu Ende 2020 dort immatrikuliert.

15 BVerfGE 106, 62, 144, 150; Zippelius/Würtenberger, Deut­sches Staats­recht, 33. Aufl. 2018, § 48 Rn. 43

16 BVerfG NVwZ 2010, 1285 Rn. 54 f. mit zahl­rei­chen Rück­ver­wei- sen; Wür­ten­ber­ger, OdW 2019, 15, 17 f.

und die­se ein­schrän­ken kön­nen, gehö­ren der den Stu- die­ren­den durch Art. 12 Abs. 1 GG gewähr­leis­te­te Grund- rechts­schutz sowie der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gefor- der­te Gesund­heits­schutz der künf­tig zu behan­deln­den Patienten.

aa) Schutz der Studierenden?

Bli­cken wir zunächst auf den durch Art. 12 Abs. 1 GG ver­bürg­ten Grund­rechts­schutz der Stu­die­ren­den. Ihre von Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­te freie Wahl von Aus­bil­dung und Aus­bil­dungs­stät­te schützt ihr Recht auf eine Aus­bil- dung, deren erfolg­rei­cher Abschluss zur Auf­nah­me des gewähl­ten Beru­fes befähigt.17 Zur Rea­li­sie­rung die­ser Aus­bil­dungs­frei­heit haben die Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten den Stu­die­ren­den eine „anwen- dungs­be­zo­ge­ne Leh­re und Wei­ter­bil­dung“ zu bie­ten, „die zu selbst­stän­di­ger Anwen­dung wis­sen­schaft­li­cher Erkennt- nis­se und Metho­den … in der Berufs­pra­xis“ befähigt.18

Das neue Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz dient zwar auch dem Schutz der Stu­die­ren­den. Denn es bezweckt unter ande­rem eine Ver­kür­zung der Aus­bil­dungs­zeit und ei- nen frü­he­ren Berufs­ein­stieg. Dies spielt in vor­lie­gen­dem Zusam­men­hang aber kei­ne Rol­le. Denn der­ar­ti­ge Rege- lun­gen hät­te man auch im Rah­men der vor­ma­li­gen Aus- bil­dung der Psy­cho­the­ra­peu­ten tref­fen kön­nen. Sie sind nicht der Grund dafür, dass die Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus- bil­dung nur noch an Uni­ver­si­tä­ten erfol­gen darf.

Davon abge­se­hen for­dert der Schutz der Stu­die­ren- den, dass das von ihnen gewähl­te Stu­di­um den Stan- dards der Aus­bil­dung ent­spricht, die eine erfolg­rei­che beruf­li­che Tätig­keit gestat­ten und dem Ver­trau­en ge- recht wird, das Per­so­nen mit ent­spre­chen­der Aus­bil­dung ent­ge­gen­ge­bracht wird. Auf die­se Leis­tungs­fä­hig­keit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ist wei­ter unten aus­führ­lich einzugehen.

bb) Schutz der Gesund­heit der psy­cho­the­ra­peu­tisch zu behan­deln­den Patienten

Das Recht auf Gesund­heit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) gehört zu den ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Es ver­bie­tet eine For­schung, die zu gesund­heit­li­chen Schä­den füh­ren kann, und gebie­tet, dass die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Aus­bil­dung in effek­ti­ver Wei­se dem Gesund­heits­schutz dient. Der Schutz der Gesund­heit for­dert ganz all­ge­mein, dass die Zulas­sung zu Arzt- oder the­ra­peu­ti­schen Beru­fen nur nach einem

17 Gro­ne­mey­er, Sind Stu­die­ren­de ver­pflich­tet an Lehr­ver­an­stal­tun- gen teil­zu­neh­men?, ODW 2023, 45, 46 ff. mit Nachw.

ent­spre­chen­den, erfolg­reich absol­vier­ten Stu­di­um erfolgt. In die­ser Hin­sicht ist gegen die Rege­lung der Appro­ba­ti­on nach dem neu­en Psy­cho­the­ra­peu­ten­ge­setz im Prin­zip nichts zu erinnern.

Gleich­wohl steht fol­gen­der vom neu­en Psy­cho­the­ra- peu­ten­ge­setz ver­folg­ter Grund­satz nicht im Ein­klang mit den Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes: Das neue Psycho- the­ra­peu­ten­ge­setz lässt nur eine uni­ver­si­tä­re psy­cho­the- rapeu­ti­sche Aus­bil­dung zu, um das Ziel zu errei­chen, den ver­fas­sungs­recht­lich gebo­te­nen Gesund­heits­schutz psy- chisch Erkrank­ter zu gewähr­leis­ten und auch, soweit mög­lich, zu ver­bes­sern. Die Begrün­dung, dass die­se Grund­satz­ent­schei­dung einen Aus­schluss der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten aus der Psycho- the­ra­peu­ten­aus­bil­dung for­de­re, hält einer am Maß­stab des Grund­ge­set­zes ori­en­tier­ten Kri­tik nicht Stand:

b) Aus­schluss der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ver­fas- sungswidrig

Der Aus­schluss der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten wäre ver- fas­sungs­recht­lich statt­haft, wenn nach einer belast­ba­ren Pro­gno­se des Gesetz­ge­bers die Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil- dung an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten mit Gefähr­dun­gen der Gesund­heit der nach sol­cher Aus- bil­dung behan­del­ten Pati­en­ten ver­bun­den wären, die es recht­fer­ti­gen, die Fort­füh­rung die­ser Aus­bil­dung zu unter­sa­gen. Dies aber ist nicht der Fall:

Bli­cken wir noch­mals auf die Ziel­set­zun­gen des neu- en Psychotherapeutengesetzes:

„Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die einer psy­cho­the­ra- peu­ti­schen Behand­lung bedür­fen, eine qua­li­fi­zier­te, pati­en­ten­ori­en­tier­te, bedarfs­ge­rech­te und flä­chen­de- cken­de psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Ver­sor­gung auf dem ak- tuel­len Stand wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se zur Ver- fügung zu stel­len. … Dabei sol­len die ver­än­der­ten Struk­tu­ren in der Hoch­schul­aus­bil­dung und ihre Aus- wir­kun­gen auf die Zugangs­vor­aus­set­zun­gen sowie die stei­gen­den Anfor­de­run­gen an die psy­cho­the­ra­peu­ti- sche Tätig­keit berück­sich­tigt und Ver­bes­se­rungs­po­ten- zia­le, die sich im Zuge der lang­jäh­ri­gen Dis­kus­sio­nen über eine Ände­rung der der­zei­ti­gen Rah­men­be­din­gun- gen gezeigt haben, genutzt wer­den“.19

18 So zum Bei­spiel § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 LHG BW. 19 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 1.

Wür­ten­ber­ger · Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie 8 3

84 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88

aa) Ver­ken­nung des Pro­fils der Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wissenschaften

Nach dem Wil­len des Gesetz­ge­bers soll das neue Psycho- the­ra­peu­ten­ge­setz „die ver­än­der­ten Struk­tu­ren in der Hoch­schul­aus­bil­dung“ berück­sich­ti­gen. Die­sem sich selbst auf­er­leg­tem Gebot genügt der Gesetz­ge­ber jedoch nicht. Er ver­kennt gründ­lich den „Auf­stieg“ der Fach- hoch­schu­len bzw. der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten. Das BVerfG hat eine gewis­se Anglei­chung von Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten bereits vor einem Jahr­zehnt klar for­mu- liert:

„Schließ­lich haben sich Annä­he­run­gen zwi­schen Uni- ver­si­tä­ten und Fach­hoch­schu­len im Zuge des so ge- nann­ten Bolo­gna-Pro­zes­ses erge­ben, die erken­nen las- sen, dass nach dem Wil­len des Gesetz­ge­bers auch Fach- hoch­schu­len als wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dungs­stät­ten ange­se­hen wer­den sol­len“.20

Vor allem hat der Bolo­gna-Pro­zess dazu geführt, dass sich die bei­den Hoch­schul­ty­pen Hoch­schu­le für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten und Uni­ver­si­tät mit jetzt gleich- ran­gi­gen Abschlüs­sen einen Wett­be­werb „oft auf glei­cher Augen­hö­he“ um die bes­ten Stu­die­ren­den lie­fern konn- ten.21 Es ver­stößt gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wenn der Gesetz­ge­ber beim Aus­schluss der Hoch­schu­len für An- gewand­te Wis­sen­schaf­ten von der Psy­cho­the­ra­peu­ten- aus­bil­dung ver­kennt, dass an die­sen Hoch­schu­len eben- so wie an den Uni­ver­si­tä­ten eine wis­sen­schaft­lich fun- dier­te Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung statt­ge­fun­den hat undnachwievorstattfindenkann.Dafürstreitetdas hoch­schul­recht­lich nor­mier­te Pro­fil von Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten: Uni- ver­si­tä­ten haben unter ande­rem die Grund­la­gen­for- schung und ein wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um, Hoch­schu- len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten eine anwen­dungs- bezo­ge­ne For­schung und ein anwen­dungs­be­zo­ge­nes wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um zur Aufgabe.22 Eine insti­tu­ti- onel­le Rang- oder Stu­fen­fol­ge oder Auf­tei­lung zwi­schen dem Bache­lor an einer Uni­ver­si­tät oder an einer Hoch- schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten gibt es nicht;

  1. 20  BVerfGE 126, 1, Rn. 48.
  2. 21  So von Grünberg/Sonntag, 50 Jah­re Fach­hoch­schu­le. Über das­lang­sa­me Ent­ste­hen eines neu­en Hoch­schul­typs, Ord­nung der­Wis­sen­schaft, 2016, S. 157, 162.
  3. 22  So zum Bei­spiel § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 4 LHG BW.

„von einer kla­ren Tren­nung der Pro­fi­le, von Trenn- schär­fe oder Typen­treue, kann inso­weit kaum noch die Rede sein“.23

Der Gesetz­ge­ber hat bei Erlass des neu­en Psy­cho­the- rapeu­ten­ge­set­zes nicht nur das recht­li­che Pro­fil der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ver­kannt, son­dern auch, dass sich der alte Rechts­zu­stand bewährt hat­te und es weni­ger ein­schnei­den­der Maß­nah­men be- durft hät­te, um das Psy­cho­the­ra­peu­ten­recht zu refor­mie- ren. So hat der Gesetz­ge­ber der alten Psy­cho­the­ra­peu­te- naus­bil­dung auch durch die Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten bescheinigt:

„Grund­sätz­lich konn­te schnell fest­ge­stellt wer­den, dass sich die Schaf­fung der eigen­stän­di­gen Heil­be­ru­fe in der Psy­cho­lo­gi­schen Psy­cho­the­ra­pie und in der Kin­der- und Jugend­li­chen­psy­cho­the­ra­pie sowie die Ein­bin­dung der nicht­ärzt­li­chen Psy­cho­the­ra­pie in die Ver­sor­gung der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten bewährt hat. Die Be- rufs­an­ge­hö­ri­gen haben eine wich­ti­ge Funk­ti­on im Sys- tem der Heil­be­ru­fe und im Gesund­heits­we­sen Deutsch- lands inne. Sie genie­ßen hohes Anse­hen bei den Pati­en- tin­nen und Pati­en­ten, die sie als kom­pe­ten­te Ansprech- part­ner bei der Behand­lung psy­chi­scher Stö­run­gen mit Krank­heits­wert anse­hen“.24

An sich war zu erwar­ten, dass der Gesetz­ge­ber den zen­tra­len Per­spek­ti­ven­wech­sel von einer Psy­cho­the­ra- peu­ten­aus­bil­dung an Uni­ver­si­tä­ten und an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten zu einer nun­mehr allein mög­li­chen Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Uni­ver­si­tä­ten mit Argu­men­ten begrün­det, die den von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gebo­te­nen Frei­heits­schutz der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ein­zu­schrän- ken in der Lage sind. Hier­an fehlt es. So wird nur pau- schal dar­auf ver­wie­sen, es gäbe „zahl­rei­che Neu­ent­wick- lun­gen“, die sich bei der The­ra­pie von Pati­en­ten als wirk- sam erwie­sen haben, aber vom frü­he­ren Recht nicht erfasst wür­den, so dass zusätz­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen er- for­der­lich würden.25 Die Neu­fas­sung des Psy­cho­the­ra- peu­ten­ge­set­zes lässt aller­dings nicht erse­hen, wel­che Neu­ent­wick­lun­gen im Bereich der Psy­cho­the­ra­pie zu

23 Lynen/­Ber­nice-Warn­ke, in: Hartmer/Detmer (Hg.), Hoch­schul- recht, 4. Aufl. 2022, 3. Kap. Rn. 22.

24 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 32. 25 BT Drs. 19/9770 vom 30. 4. 2019, S. 33.

wel­chen Zusatz­qua­li­fi­ka­tio­nen geführt haben oder füh- ren müssen.

bb) Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung auch ohne Grund­la- gen­for­schung zielführend

Aber selbst unter die­ser Prä­mis­se hat der Gesetz­ge­ber bei sei­nem Ein­griff in die Lehr­frei­heit der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten nicht geklärt: Kön­nen die­se Neu­ent­wick­lun­gen in der Psy­cho­the­ra­pie nicht eben­falls in den Stu­di­en­gän­gen der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten auf­ge­grif­fen, gelehrt und in der Umset­zung ein­ge­übt werden?

Nach der Begrün­dung zum Gesetz­ent­wurf des Psy- cho­the­ra­peu­ten­ge­set­zes wür­den nur an Uni­ver­si­tä­ten jene For­schungs­leis­tun­gen erbracht, derer es als Grund- lage einer moder­nen und wis­sen­schafts­ge­stütz­ten Psy- cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung bedarf. Denn

„Qua­li­tät und Wirk­sam­keit der jewei­li­gen medi­zi­ni- schen und the­ra­peu­ti­schen Leis­tun­gen haben dem all- gemei­nen Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se zu ent­spre­chen und den medi­zi­ni­schen Fort­schritt zu be- rück­sich­ti­gen (so auch § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB V). Um die­sen Anfor­de­run­gen zu ent­spre­chen, bedarf es einer Aus­bil­dung, die wis­sen­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen auf höchs­tem wis­sen­schaft­li­chem Niveau ermög­licht“.26

Aller­dings wird dies sofort dahin rela­ti­viert, dass für

„das Errei­chen des in § 7 fest­ge­leg­ten Aus­bil­dungs­ziels … es der Ent­wick­lung von Hand­lungs­kom­pe­ten­zen, die auf gesi­cher­tem theo­re­ti­schem Wis­sen auf­bau­en“, bedarf.27

Dabei wird vom Gesetz­ge­ber betont,

„es sei den Fort­schrit­ten der heil­kund­li­chen Psy­cho­the- rapie als anwen­dungs­ori­en­tier­ter Wis­sen­schaft Rech- nung zu tra­gen“.28

Der Gesetz­ge­ber ver­langt also, die Psy­cho­the­ra­peu- ten­aus­bil­dung müs­se vom aner­kann­ten wis­sen­schaft­li- chen Stand der Psy­cho­the­ra­pie aus­ge­hen und den An- for­de­run­gen an eine anwen­dungs­ori­en­tier­te Wis­sen- schaft Rech­nung tragen.

  1. 26  BT Drs. 19/9770, S. 52.
  2. 27  BT Drs. 19/9770, S. 52.
  3. 28  BT Drs. 19/9770, S. 49.
  4. 29  Beck­OK Hoch­schulR BW/Gerber/Krausnick, 17. Ed. 1.11.2019,

Die hier gefor­der­te Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Psy- cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung kann von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten geleis­tet wer­den. Die Psy- cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung an Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten ori­en­tiert sich ihrem Auf­trag ent- spre­chend am fort­schrei­ten­den Stand der Wis­sen­schaft. Hier­für steht zunächst das gesetz­li­che Pro­fil der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten. Sie

„ver­mit­teln durch anwen­dungs­be­zo­ge­ne Leh­re und Wei­ter­bil­dung eine Aus­bil­dung, die zu selbst­stän­di­ger Anwen­dung und Wei­ter­ent­wick­lung wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se und Metho­den … in der Berufs­pra­xis be- fähigt; sie betrei­ben anwen­dungs­be­zo­ge­ne For­schung und Entwicklung“.

Nach dem Kon­zept des Gesetz­ge­bers soll der Pra­xis- bzw. Anwen­dungs­be­zug bei den Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten in Leh­re und For­schung stär­ker sein als der­je­ni­ge bei den Universitäten.

„An bei­den Hoch­schu­len wird jedoch gleich­wohl eine wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Aus­bil­dung ver­mit­telt und die Ein­heit von For­schung und Leh­re (trotz unter- schied­li­cher Schwer­punkt­set­zung) garan­tiert“.29

Die lan­ge Zeit beträcht­li­chen Unter­schie­de zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten haben deut­lich abge­nom­men. Der Gesetz- geber hat eben­so wie die Recht­spre­chung den Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten einen umfas- sen­den Frei­raum zur For­schung eröff­net. Für die gegen- sei­ti­ge Annä­he­rung der Hoch­schul­ty­pen Uni­ver­si­tät und Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten spricht auch, dass letz­te­ren nach und nach das Pro­mo­ti­ons­recht zuge­bil­ligt wird.30

Im Ergeb­nis bestehen nicht der­art gra­vie­ren­de Unter- schie­de zwi­schen dem Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie an Uni­ver­si­tä­ten und an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten, dass letz­te­re vom Ange­bot die­ses Stu­di- ums aus­ge­schlos­sen wer­den dür­fen. Dass die medi­zi­ni- sche Aus­bil­dung an Uni­ver­si­tä­ten erfolgt, ist kein Argu- ment, dass dies auch für eine Aus­bil­dung zum Psycho- the­ra­peu­ten erfor­der­lich ist. Dies zeigt der unter­schied­li- che Zugang zur The­ra­pie: Der Psy­cho­the­ra­peut studiert

§ 2 LHG Rn. 25.
30 Beck­OK Hoch­schulR BW/Gerber/Krausnick, 17. Ed. 1.11.2019,

§ 2 LHG Rn. 26 ff.; BVerfGE 126, 1, 19 ff.

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86 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88

an einer psy­cho­lo­gi­schen, nicht aber an einer medi­zi­ni- schen Fakul­tät. Grund für die­se Dif­fe­renz ist, dass die Wis­sen­schaft von der Psy­cho­the­ra­pie grund­ver­schie­den von der medi­zi­ni­schen Wis­sen­schaft ist. Wäh­rend die Psy­cho­the­ra­pie allein Beschwer­den der geis­ti­gen Situa­ti- on des Men­schen hei­len möch­te, befasst sich die Medi- zin mit der Hei­lung kör­per­li­cher Lei­den. Ziel­set­zun­gen und Metho­den bei­der Stu­di­en­gän­ge sind der­art ver- schie­den, dass sich nicht für bei­de ein uni­ver­si­tä­res Aus- bil­dungs­ni­veau for­dern lässt.

Vor allem ist nicht ersicht­lich, wie die uni­ver­si­tä­re psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Grund­la­gen­for­schung zu einer Op- timie­rung der Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung bei­tra­gen kann. Denn wie bei jeder Grund­la­gen­for­schung gilt auch hier der Grund­satz: Ob the­ra­peu­ti­sche Grund­la­gen­for- schung aus­bil­dungs­re­le­vant wird, ergibt sich erst aus ih- rem Trans­fer in die Pra­xis. Solan­ge die­se Trans­la­ti­on nicht wis­sen­schaft­lich abge­si­chert ist, taugt sie nicht zur Behand­lung von Pati­en­ten und auch nicht zur psycho- the­ra­peu­ti­schen Aus­bil­dung. Dies gilt sowohl für die Trans­la­ti­on medi­zi­ni­scher For­schung als auch für die Trans­la­ti­on psy­cho­the­ra­peu­ti­scher Grund­la­gen­for- schung.

Die Trans­la­ti­on medi­zi­ni­scher oder psy­cho­the­ra­peu- tischer Grund­la­gen­for­schung ist ein eige­nes For­schungs- gebiet, hat aber mit einem pra­xis­be­zo­ge­nen Stu­di­um nichts zu tun. Auch inso­weit kann das an Uni­ver­si­tä­ten bestehen­de For­schungs­po­ten­ti­al im Bereich der Psycho- the­ra­pie nicht als Argu­ment die­nen, die Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten von der Psy­cho­the­ra- peu­ten­aus­bil­dung auszuschließen.

Die Psy­cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung der Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ist for­schungs­ba­siert, weil sie in vie­len Berei­chen an den Stand der For­schung anknüpft und anlei­tet, wie der For­schungs­stand in die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Pra­xis umge­setzt wer­den kann. Dies ent­spricht dem Pro­fil von For­schung und Leh­re an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten. Ihre For- schung zielt auf eine „bes­se­re“ psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Pra- xis, ihre Leh­re ver­mit­telt die erfor­der­li­chen Kennt­nis­se, um den Stand der For­schung in die Pra­xis umzu­set­zen. Neue Fel­der, wie etwa gene­ti­sche Fak­to­ren für psy­chi- sche Stö­run­gen, wer­den an Uni­ver­si­tä­ten erforscht und sind Gegen­stand der uni­ver­si­tä­ren Psych­ia­trie-Aus­bil- dung. Die­se baut eben auf einem Medi­zin­stu­di­um auf,

31 Vom 4. 3. 2020, BGBl I, S. 469 ff.

wäh­rend die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Aus­bil­dung auf ein Psy­cho­lo­gie­stu­di­um auf­setzt. Um etwa­ige noch nicht auf Pra­xis­taug­lich­keit geprüf­te For­schungs­an­sät­ze geht es also nicht in der Psychotherapeutenausbildung.

c) Ins­be­son­de­re zur Gleich­wer­tig­keit des Psy­cho­the­ra- pie-Bache­lors an einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten mit einem ent­spre­chen­den uni­ver­si­tä- ren Bachelor

Wenn an einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen- schaf­ten ein Psy­cho­lo­gie-Bache­lor ange­bo­ten wird, der mit einem uni­ver­si­tä­ren Psy­cho­lo­gie-Bache­lor als Zugangs­vor­aus­set­zung für ein ent­spre­chen­des Mas­ter- stu­di­um gleich­wer­tig ist, ver­langt die von Art. 5 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG geschütz­te Gleich­heit bei der Aus­übung der Lehr­frei­heit die Zulas- sung des Psy­cho­the­ra­pie-Bache­lors an einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wissenschaften.

Den Anfor­de­run­gen an die Gleich­wer­tig­keit eines Stu­di­en­gan­ges wird genügt, wenn hin­sicht­lich des Stu­di- enpro­fils und der geprüf­ten Stu­di­en­leis­tun­gen kein we- sent­li­cher Unter­schied zwi­schen einem Stu­di­en­gang an einer Uni­ver­si­tät und an einer Hoch­schu­le für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten besteht. Maß­stab für die­se Gleich­wer­tig­keits­prü­fung sind allein die nach­ge­wie­se- ner­ma­ßen erwor­be­nen Kom­pe­ten­zen, die nach der Stu­di- en- und Prü­fungs­ord­nung erwor­ben wor­den sind. Kon- kre­te Inhal­te oder for­ma­le Ele­men­te (zum Bei­spiel Dau- er oder Art der Lehr­ver­an­stal­tun­gen) sind ernst zu neh- men­de Indi­zi­en für die Gleich­wer­tig­keit. Jen­seits des­sen kommt es zudem dar­auf an, dass die erwor­be­nen Fer­tig- kei­ten und Fähig­kei­ten eines Uni-Bache­lors sich nicht we- sent­lich von denen eines Bache­lors an einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten unterscheiden.

Ob ein von einer Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten ange­bo­te­ner Bache­lor in Psy­cho­the­ra­pie gleich­wer­tig mit einem ent­spre­chen­den uni­ver­si­tä­ren Bache­lor sein kann, ent­schei­det sich danach, ob sie die recht­lich gere­gel­te Leh­re erbrin­gen können:

Die Inhal­te, die im Psy­cho­the­ra­pie-Bache­lor im Rah- men der hoch­schu­li­schen Leh­re zu ver­mit­teln und bei dem Antrag auf Zulas­sung zur psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Prü­fung nach­zu­wei­sen sind, wer­den in der Anla­ge 1 zur Appro­ba­ti­ons­ord­nung für Psy­cho­the­ra­peu­tin­nen und Psy­cho­the­ra­peu­ten (PsychThApprO),31 die die Vorgaben

des § 7 PsychThG kon­kre­ti­siert, gere­gelt. Die­se Rege­lun- gen kön­nen von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen- schaf­ten voll­um­fäng­lich in die Rege­lung ihres Psy­cho­lo- gie- sowie Psy­cho­the­ra­pie-Bache­lors über­nom­men wor- den. Dies ergibt sich aus dem Modul­hand­buch, aus dem Stu­di­en­ver­laufs­plan und aus der Gegen­über­stel­lung der Kri­te­ri­en der Appro­ba­ti­ons­ord­nung und der Aus­ge­s­tal- tung des Stu­di­en­gangs Bache­lor in Psy­cho­lo­gie mit Psychotherapie:

– Die zu ver­mit­teln­de wis­sen­schaft­li­che Metho­den- leh­re im Umfang von 15 ECTS-Punk­ten umfasst so hete­ro­ge­ne Aspek­te wie his­to­ri­sche Grund­la­gen, sta­tis­ti­sche Metho­den, EDV-gestütz­te Daten­verar- bei­tung und wis­sen­schaft­li­che Metho­den für die Erfor­schung mensch­li­chen Ver­hal­tens – alles Lehr­in­hal­te, die zum Pro­fil von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten gehören.

– Berufs­ethik und Berufs­recht mit ledig­lich 2 ECTS- Punk­ten ver­mit­teln ledig­lich aner­kann­te Stan­dards. Auch hier han­delt es sich um Lehr­in­hal­te, die von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten auch in ande­ren Stu­di­en­gän­gen seit jeher erfolg­reich ver- mit­telt werden.

Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten sind damit fähig, ein Psy­cho­the­ra­pie-Lehr­an­ge­bot auf Bache- lor-Niveauzuerbringen.Dennsievermitteln,wieallseits aner­kannt und zum Bei­spiel in § 2 Abs. 1 Nr. 4 LHG BW gere­gelt ist, durch ihre anwen­dungs­be­zo­ge­ne Leh­re eine Aus­bil­dung, die zu selbst­stän­di­ger Anwen­dung und Wei- ter­ent­wick­lung wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se und Me- tho­den in der Berufs­pra­xis befä­higt; die Pro­fes­so­ren der Psy­cho­lo­gi­schen Fakul­tät betrei­ben zudem anwen­dungs- bezo­ge­ne For­schung. Ihr Lehr- und For­schungs­pro­fil deckt damit alle Fächer und jene prak­ti­sche Aus­bil­dung ab, die von der Psy­cho­the­ra­peu­ten­ap­pro­ba­ti­ons­ord­nung gefor­dert sind. Dabei bleibt zube­rück­sich­ti­gen, dass die von der Psy­cho­the­ra­peu­ten­ap­pro­ba­ti­ons­ord­nung ange- gebe­ne Min­dest­zahl von ECTS-Punk­ten eine wei­ter ge- hen­de Ver­tie­fung der Lehr­in­hal­te ohne­hin nicht gestat­tet. Hoch­schu­len für ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten sind also in der Lage, alle Lehr­in­hal­te anzu­bie­ten, die von der Appro­ba­ti­ons­ord­nung für den Psy­cho­the­ra­pie-Bache­lor vor­aus­ge­setzt werden.32

III. Ergeb­nis

Als Ergeb­nis lässt sich fest­hal­ten: Der in § 9 Abs. 1 Psy- cho­the­ra­peu­ten­ge­setz gere­gel­te Aus­schluss der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten von der Psy- cho­the­ra­peu­ten­aus­bil­dung ver­letzt die­se und ihre Trä­ger in der von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewähr­leis­te­ten Lehr­frei- heit. Denn es ist kein Grund ersicht­lich, der recht­fer­ti- gen könn­te, zum Schutz der Grund­rech­te der Patienten

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Die Grund­la­gen der Psy­cho­the­ra­pie im Umfang von min­des­tens 25 ECTS-Punk­ten betref­fen jenen Bereich, der im poly­va­len­ten Psy­cho­lo­gie­stu­di­um von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten tra­di­tio­nell ange­bo­ten wurde.

Die Grund­la­gen der Päd­ago­gik mit nur 4 ECTS- Punk­ten ent­spre­chen dem Stan­dard-Pro­gramm der Päd­ago­gik-Ver­an­stal­tun­gen an Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wissenschaften.

Die psy­cho­the­ra­peu­tisch rele­van­ten Grund­la­gen der Medi­zin im Umfang von nur 4 ECTS wer­den von den Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten in ver­gleich­ba­rer Wei­se auch bei ande­ren Stu­di­en- gän­gen im Bereich der Gesund­heits­be­ru­fe erfolg- reich vermittelt.

Glei­ches gilt für die Grund­la­gen der Phar­ma­ko­lo­gie im Umfang von 2 ECTS.
Die Stö­rungs­leh­re im Umfang von 8 ECTS-Punk­ten ist von den Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen- schaf­ten in ihrem Psy­cho­the­ra­peu­ten­stu­di­um ver- mit­telt wor­den. Auch hier geht es ledig­lich um die Ver­mitt­lung gesi­cher­ter Erkennt­nis­se, was zum Auf- gaben­pro­fil von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis- sen­schaf­ten gehört.

Glei­ches gilt für die psy­cho­lo­gi­sche Dia­gnos­tik im Umfang von 12 ECTS.
Bei der Ver­mitt­lung der all­ge­mei­nen Ver­fah­rens­leh- re der Psy­cho­the­ra­pie geht es allein um Kennt­nis­se, die dem der­zei­ti­gen Stand der Psy­cho­the­ra­pie ent- spre­chen. Gera­de die­se Ver­mitt­lung des Stan­des der Wis­sen­schaft gehört zum zen­tra­len Auf­ga­ben­pro­fil von Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten. Glei­ches gilt für die Ver­mitt­lung prä­ven­ti­ver und reha­bi­li­ta­ti­ver Kon­zep­te im Bereich der Psy­cho­the- rapie im Umfang von 2 ECTS-Punkten.

Für einen Psy­cho­the­ra­pie-Mas­ter wür­de glei­ches gel­ten, was hier nicht wei­ter ver­tieft wer­den soll.

Wür­ten­ber­ger · Stu­di­um der Psy­cho­the­ra­pie 8 7

88 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2023), 79–88

oder der Stu­die­ren­den in die Lehr­frei­heit der Hoch- schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ein­zu­grei­fen. Nach der Bolo­gna-Reform sind Hoch­schu­len für Ange- wand­te Wis­sen­schaf­ten in der Lage, die Psy­cho­the­ra- peu­ten­aus­bil­dung nach den Regeln des neu­en Psycho- the­ra­peu­ten­ge­set­zes anzu­bie­ten. Dass Hoch­schu­len für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten, anders als Uni­ver­si­tä­ten, kei­nen Auf­trag zur psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Grund­la­gen- for­schung haben, ändert nichts an die­sem Ergebnis.

Denn auch ohne Grund­la­gen­for­schung zu betrei­ben, ist es mög­lich, auf der Basis gesi­cher­ter wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis ein wis­sen­schafts­af­fi­nes Psy­cho­the­ra­peu­ten- stu­di­um durchzuführen.

Tho­mas Wür­ten­ber­ger ist Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Frei­burg und Lei­ter der For­schungs­stel­le für Hoch- schulrecht.