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Jür­gen Hand­ke ist ein Vor­rei­ter und aus­ge­wie­se­ner Exper­te auf dem Gebiet digi­ta­ler Leh­re. Mit der nun­mehr im Nomos-Ver­lag erschie­nen 4. Auf­la­ge sei­nes Hand­buchs „Hoch­schul­leh­re Digi­tal“ hat er dies erneut ein­drück­lich unter Beweis gestellt. Nach einer kur­zen inhalt­li­chen Beschrei­bung (1.) wird sodann der Wert des Hand­buchs für Leh­ren­de auf­ge­zeigt (2.) und durch eini­ge unter­stüt­zen­de Anre­gun­gen ergänzt (3.).

1.

Aus­weis­lich des Rück­ein­bands des Buchs ist das zen­tra­le Anlie­gen des Werks, „Wege auf­zu­zei­gen, wie der Ein­stieg in die Digi­ta­li­sie­rung gelin­gen kann“, und dies aus­gangs der Coro­na-Kri­se und neu­er KI-basier­ter Mög­lich­kei­ten wie ChatGPT. Die­ses Ziel ver­folgt Hand­ke auf 258 Sei­ten und in neun Kapiteln. 

Der rote Faden des Hand­buchs ist eben­so ein­fach wie grif­fig. Hand­ke nimmt aus einer sei­ner eige­nen Lehr­ver­an­stal­tun­gen im Bereich der Lin­gu­is­tik eine Lern­ein­heit von 90 Minu­ten her­aus und zeigt minu­ti­ös auf, wie die ent­spre­chen­den Lehr­ma­te­ria­li­en von einem ana­lo­gen in ein digi­ta­les For­mat umge­wan­delt wer­den kön­nen. Nach einer umfas­sen­den Ana­ly­se der klas­si­schen Leh­re zu die­ser betref­fen­den Lehr­ein­heit (S. 57 ff.) ver­deut­licht er im Detail, wie wesent­li­che Inhal­te (S. 113 ff.), Vide­os (S. 117 ff., 185 ff.) und wei­te­re flan­kie­ren­de Maß­nah­men (S. 137 ff.) digi­tal erstellt, imple­men­tiert und in der Leh­re ver­wen­det wer­den kön­nen. Da für Hand­ke der Gewinn der digi­ta­len Ein­bet­tung von Lehr­in­hal­ten haupt­säch­lich dar­in liegt, freie Zeit für die sich anschlie­ßen­de Prä­senz­pha­se zu gene­rie­ren, zeigt er danach fol­ge­rich­tig auf, wie sich die Prä­senz­pha­se neu­ge­stal­ten lässt (S. 159 ff.) und kommt dabei von einer Ver­mitt­lungs- zu einer Ver­tie­fungs­funk­ti­on der Prä­senz­pha­se. Eine Rei­he von Emp­feh­lun­gen (S. 235 ff.) inklu­si­ve der Anre­gung einer (neu­en) Wert­schät­zung der Leh­re oder der Adres­sie­rung von Medi­en­kom­pe­ten­zen der Leh­ren­den und KI-Mög­lich­kei­ten run­det die Dar­stel­lung ab.

2.

Der Wert des Hand­buchs für Leh­ren­de ist erheblich. 

Beson­ders bestechend ist die fach­lich-inhalt­li­che Anlei­tung des Autors, die behan­del­ten Inhal­te vom klas­si­schen ins digi­ta­le For­mat zu über­füh­ren. Die Beglei­tung des ima­gi­nä­ren Ansprech­part­ners erfolgt minu­ti­ös und im Detail. Die ein­zel­nen Ver­fah­rens­schrit­te, bei­spiels­wie­se zum Fin­den von Bil­dern oder Schnei­den von Vide­os, sind in einer sinn­vol­len Rei­hen­fol­ge ange­ord­net. Die Dar­stel­lung erfolgt in einem intui­ti­ven Stil und ist ange­rei­chert durch eine Rei­he von Bil­dern, Tabel­len oder Inter­net­quel­len, die das Inter­es­se am Wei­ter­le­sen auf­recht­erhal­ten. Ange­sichts des­sen fällt es schwer, sich vor­zu­stel­len, dass sich Lehrende

*273 Sei­ten, ISBN 978–3‑7560–0773‑8 

nicht gern von die­ser „Bedie­nungs­an­lei­tung“ inspi­rie­ren las­sen, über den Wech­sel von klas­si­schen zu digi­ta­len Inhal­ten und Medi­en nach­den­ken, krea­tiv expe­ri­men­tie­ren und digi­ta­le Inputs leicht erstel­len kön­nen. Nach der Lek­tü­re die­ses Hand­buchs ver­spricht die­ser Pro­zess leicht zu gelingen.

Doch damit ist der Mehr­wert des Hand­buchs bei Wei­tem noch nicht erschöpft. Hand­ke setzt sich statt­des­sen aus­führ­lich und inten­siv mit beglei­ten­den Umstän­den die­ses Pro­zes­ses aus­ein­an­der. Im Aus­gangs­punkt zeigt er eine inter­na­tio­nal über­durch­schnitt­lich aus­ge­präg­te Skep­sis der Deut­schen gegen­über digi­ta­len Pro­zes­sen auf und for­dert nicht weni­ger als ein neu­es Mind­set (S. 24 f.) zur Digi­ta­li­sie­rung. Kon­se­quen­ter­wei­se tritt der Autor danach schnell, zumeist im Rah­men der Coro­na-Zeit, ent­stan­de­nen, aber nicht voll­stän­dig durch­dach­ten Kon­zep­ten einer blo­ßen digi­ta­len Anrei­che­rung ent­ge­gen, deren Haupt­ver­tre­ter die sog. hybri­de Leh­re ist (S. 74 ff.). Die­se digi­ta­le Anrei­che­rung ver­än­de­re am (aus sei­ner Sicht ver­al­te­ten) Grund­kon­zept klas­si­scher Leh­re nichts und bewir­ke ledig­lich „kos­me­ti­sche“ Ver­än­de­run­gen, die das wah­re Poten­zi­al der digi­ta­len Leh­re nicht aus­schöpf­ten. Um die Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den zu stei­gern, digi­ta­le Lehr­in­hal­te eigen­stän­dig zu erschlie­ßen, bringt Hand­ke das Sys­tem der sog. digi­ta­len Abzei­chen (engl. digi­tal bad­ges) ein (S. 80 ff.) und erhöht damit die Moti­va­ti­on der Leh­ren­den, sich für den Umstel­lungs­pro­zess zu moti­vie­ren. Auch für die neu kon­zi­pier­te Prä­senz­pha­se hält das Hand­buch schließ­lich wert­vol­le, leicht umsetz­ba­re Hin­wei­se bereit mit Blick auf eine etwas frei­er gestal­te­te Lern­an­ord­nung der phy­si­schen Lern­räu­me (S. 88), wobei sich im Kern auf die sog. Mohn­blu­men-Archi­tek­tur (engl. pop­py archi­tec­tu­re) bezo­gen wird. 

Dane­ben ent­hält das Werk vie­le unter­stüt­zen­de und beglei­ten­de Fak­to­ren, wel­che die Inte­gri­tät des Inhalts und die Authen­ti­zi­tät des Autors unter­strei­chen. So ent­hält das Hand­buch einen rei­chen Fun­dus an ver­tie­fen­den Quel­len und Refe­ren­zen, aus denen sich zudem die Exper­ti­se des Autors auf den ers­ten Blick ergibt. Hand­ke stellt sich offen dem Dia­log und zeigt auf, mit wel­chen Argu­men­ten sei­ne Ansich­ten ange­grif­fen wur­den und wie man dem begeg­nen kann (S. 235 ff.). Beson­ders glaub­wür­dig wirkt auch die Aus­sa­ge des Autors, in den Augen sei­ner Fachkolleg:innen nicht als Inno­va­tor, son­dern eher als Nest­be­schmut­zer zu gel­ten (S. 42). 

3.

Die vor­lie­gen­de Mischung aus Fach­in­for­ma­ti­on und Hand­lungs­an­lei­tung ist ein umfas­sen­des Werk, das vie­le Facet­ten eines Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zes­ses in der Hoch­schul­leh­re auf­greift und über­zeu­gend behan­delt. Den­noch könn­ten sich eini­ge Ergän­zun­gen in gerin­gem, unter­stüt­zen­dem Umfang anbie­ten, um den Titel „Hoch­schul­leh­re Digi­tal“ erschöp­fend abzu­bil­den. Die­se mög­li­chen Ergän­zun­gen bezie­hen sich auf das „War­um?“ (a.) und auf das „Wie?“ (b.)

a. So lässt sich trotz der Hand­lungs­ma­xi­me „Didak­tik muss Tech­nik füh­ren, nicht umge­kehrt.“ (S. 24) nicht voll­stän­dig erken­nen, war­um die — anschau­lich beschrie­be­nen Inhal­te und Medi­en – digi­ta­li­siert wer­den soll­ten. Hand­ke greift zwar zunächst impli­zit die Attrak­ti­vi­tät digi­ta­ler Leh­re bei den Stu­die­ren­den und die dar­aus fol­gen­de höhe­re Akzep­tanz bei der Ziel­grup­pe auf. Aus der Schil­de­rung der viel­fäl­ti­gen Inhal­te, die ver­wen­det wer­den kön­nen, ergibt sich eben­falls impli­zit die Mög­lich­keit, mit digi­ta­len Anwen­dun­gen zu inter­agie­ren und die ent­spre­chen­de Kom­pe­tenz in Vor­be­rei­tung des beruf­li­chen All­tags zu ent­wi­ckeln. Die stellt sich jedoch eher als all­ge­mei­nes Lern­ziel der Leh­re dar als wirk­lich modul- bzw. lern­ein­heit­be­zo­ge­nes Erfor­der­nis bzw. Desi­de­rat dar. Hand­ke bezieht sich in sei­nen Dar­stel­lun­gen aber weder auf kon­kre­te Klas­si­fi­zie­rungs­sys­te­me von Lern­zie­len und Kom­pe­ten­zen, bei­spiels­wei­se die Taxo­no­mie nach Ander­son und Kra­th­wohl, noch wer­den für die ein­zel­nen beschrie­be­nen digi­ta­len Ele­men­te mög­li­che Kom­pe­tenz­ver­än­de­run­gen auf­ge­zeigt. Haben Leh­ren­de also eine kon­kre­te Anpas­sung von Lern­zie­len und Kom­pe­ten­zen durch Digi­ta­li­sie­rung bereits im Blick, so wird ihnen eine gan­ze Tool­box von ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten auf­ge­zeigt, aus denen sie wäh­len kön­nen. Das Hand­buch beschreibt jedoch nicht, wel­ches kon­kre­te Ele­ment, z. B. ein Video, im Fal­le sei­ner Digi­ta­li­sie­rung zu wel­chen (mög­li­chen) Ver­schie­bun­gen von Lern­zie­len und Kom­pe­ten­zen führt (wenn man von all­ge­mei­nen Ele­men­ten wie Umgang mit digi­ta­len Medi­en und mehr Inhalt durch ver­tie­fen­de Prä­senz­pha­sen ein­mal absieht). Da die Lehr­frei­heit der Leh­ren­den, die Teil der Wis­sen­schafts­frei­heit nach Art. 5 Abs. 3 GG ist, auch die Wahl der Lehr­me­tho­den erfasst, ver­fü­gen die Leh­ren­den damit auch über die Kom­pe­tenz, zu ent­schei­den, „ob“ sich über­haupt etwas ändern soll und, falls ja, „wie“ das geschieht. Eine Infor­ma­ti­on, die für jeden zu digi­ta­li­sie­ren­den Con­tent die damit typi­scher­wei­se ver­bun­de­nen Kom­pe­tenz­ent­wick­lun­gen beschreibt, könn­te die Fra­ge nach dem „War­um?“ damit leich­ter beant­wor­ten las­sen und eine Moti­va­ti­on für Digi­ta­li­sie­rung stärken.

b. Die Fra­ge des „Wie?“ ist im Hand­buch auf viel­fäl­ti­ge Wei­se adres­siert wor­den. Offen sind jedoch sowohl Aspek­te des Rechts als auch Ele­men­te des ope­ra­tiv-admi­nis­tra­ti­ven Prozessmanagements.

Im Hand­buch wur­den Aspek­te des Rechts grund­le­gend ange­spro­chen. So fin­den sich grund­sätz­li­che Aus­füh­run­gen zur Ver­wen­dung von Inhal­ten, die frei ver­füg­bar oder pri­vi­le­giert lizen­siert (sog. Crea­ti­ve Com­mons Lizen­zen) wor­den sind (S. 113 ff.). Hand­ke zeigt auch Bewusst­sein für recht­li­che Fra­gen, indem er Fra­gen des Urhe­ber­rechts an spe­zi­ell digi­ta­len Pro­duk­ten als eine der offe­nen Fra­ge­stel­lun­gen adres­siert (S. 252). Was geschieht jedoch mit dem Urhe­ber­recht an nicht pri­vi­le­gier­ten Inhal­ten, die Leh­ren­de eben­falls digi­tal ver­wen­den wol­len? Wel­che ins­be­son­de­re daten­schutz,- bild­nis­schutz- oder per­sön­lich­keits­recht­li­chen Aspek­te sind zu beach­ten? Und wann machen sich Stu­die­ren­den straf­bar, wenn sie digi­ta­le Inhal­te auf wel­che Wei­se ver­viel­fäl­ti­gen und wie kön­nen Leh­ren­de dies ver­hin­dern oder wenigs­tens abmil­dern? All dies sind Fra­ge­stel­lun­gen, die das Hand­buch offen­lässt. Auch hier könn­te eine grund­le­gen­de Behand­lung zu mehr Sicher­heit und damit Moti­va­ti­on bei den Leh­ren­den füh­ren, die Digi­ta­li­sie­rung im Rah­men der Leh­re ernst­haft anzugehen.

Damit ein­her geht der zwei­te Aspekt. Leh­ren­de wer­den im Hand­buch nur teil­wei­se dar­auf hin­ge­wie­sen, dass auch der Pro­zess der Digi­ta­li­sie­rung von Inhal­ten in der Leh­re ein kom­ple­xes Geflecht admi­nis­tra­ti­ver Pro­zes­se sein kann. Neben den im Werk ange­spro­che­nen Fra­gen der Anrech­nung auf das Lehr­de­pu­tat oder der Bar­rie­re­frei­heit bestehen min­des­tens wei­te­re Fra­gen der fach­lich-inhalt­li­chen modul- bzw. stu­di­en­gangs­über­grei­fen­den Abstim­mung von Lern­zie­len und Kom­pe­ten­zen (Fach­grup­pe, Pro­fes­so­ri­um), des Rechts (Jus­ti­zia­ri­at, s. soeben), der Spei­che­rung der Inhal­te in gene­rel­len Repo­si­to­ri­en (Geschäfts­füh­rung von Fakul­tät bzw. Fach­be­reich, Abtei­lung Lehr­ma­nage­ment) oder der Stu­dier­bar­keit (Abtei­lung Qua­li­täts­ma­nage­ment — Akkre­di­tie­rung). Auch hier kann natür­lich nicht ver­langt wer­den, typi­sche Pro­zes­se auf­zu­zei­gen – hier­für sind die inter­nen Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren in Hoch­schu­len viel zu viel­fäl­tig. Eine gene­rel­le Aus­sa­ge die­ses Umstands, gege­be­nen­falls ange­rei­chert um eini­ge grund­le­gen­de Aus­sa­gen und Erfah­run­gen, könn­te bzw. wür­de bei den Leh­ren­den aber auch dies­be­züg­lich infor­ma­to­ri­sche bzw. moti­va­tio­nel­le Lücken schlie­ßen können. 

4.

Ins­ge­samt ist die Neu­auf­la­ge des Hand­buchs „Hoch­schul­leh­re Digi­tal“ von Jür­gen Hand­ke ein „must-have“ im Schrank jeder Hoch­schu­le, die sich ernst­haft mit der Digi­ta­li­sie­rung der Leh­re befas­sen und hier­bei auf dem neu­es­ten Stand agie­ren möchte.

Dr. iur. Cars­ten Mor­gen­roth ist Jus­ti­zi­ar und Ver­tre­ter der Kanz­le­rin der Ernst-Abbe-Hoch­schu­le Jena. Er ist Autor eines Lehr­buchs zum Hoch­schul­stu­di­en­recht und Hoch­schul­prü­fungs­recht sowie Refe­rent für stu­di­en- bzw. prü­fungs­recht­li­che Fra­gen. Die Dar­stel­lung gibt die per­sön­li­che Auf­fas­sung des Autors wie­der. Sta­tus- und Funk­ti­ons­an­ge­ben gel­ten für alle Personen.