Einleitung
- Wissenschaftliches Fehlverhalten vs. Vielfalt in der Wissenschaft
- Wissenschaftliches Fehlverhalten, Schutzgut und Vielfalt wissenschaftlicher Methoden
- Neue Formen des Wissenschaftsbetrugs und erste Reaktionen der Wissenschaftsgemeinschaft
- Die Problemlage – fachspezifische Unterschiede
- Organisierte Forschungsfälschung
- Strafrechtliche Bewertung
- Einführung eines Straftatbestandes „Wissenschaftsbetrug“ (2012)
- Forschungsfälschungen und Betrug
- Zur Strafbarkeit des Betreibens von Fälschungswerkstätten
- Das Betreiben von Klonjournalen und pseudowissenschaftlichen Zeitschriften
- Ein neuer Straftatbestand zum Schutz der Integrität wissenschaftlicher Forschung?
- Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen
- Resümee
- Einleitung
Als die US-Firma „OpenAI“ im November 2022 ihr System „ChatGPT“ online stellte, wurde die neue Leistungsfähigkeit Künstlicher Intelligenz schlagartig auch einem breiteren Publikum bewusst.[1] Infolge ihrer leichten Verfügbarkeit und ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten beginnt KI, unser Leben mehr und mehr zu durchdringen. Auch Wissenschaft und Lehre bleiben davon nicht unberührt. Systeme wie ChatGPT oder Dall‑E sind außerordentlich leistungsstarke Technologien, die zum Erzeugen von Texten und Bildern in allen Kontexten von Wissenschaft verwendet werden können, angefangen beim Sammeln von Informationen zur ersten Orientierung über die Zusammenfassung relevanter Forschungsergebnisse, das Aufzeigen möglicherweise lohnender Forschungsthemen, das Erstellen von Textentwürfen, ihre Bearbeitung und Finalisierung bis hin zu Visualisierungsaufgaben aller Art und Übersetzungen in fremde Sprachen. Dies gilt für Seminar- und Magisterarbeiten ebenso wie für Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze.[2]
Die skizzierte Entwicklung eröffnet der Wissenschaft aber offenkundig nicht bloß Chancen, sondern wirft auch Probleme auf. Das gilt gerade im Hinblick auf neue Formen möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Vom KI-generierten Textentwurf (den der Autor noch überarbeiten möchte) zum automatisierten Ghostwriter[3] ist es nicht weit, und in Zeiten des „publish or perish“ mag die Bereitschaft, sich mit derartigen Grenzfällen des wissenschaftlichen Ethos zu beschäftigen, nicht selten in den Hintergrund treten. Besondere Probleme entstehen dadurch, dass sich im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens[4] vor allem in Naturwissenschaften, der Medizin und den Ingenieurwissenschaften in den letzten beiden Jahrzehnten ein auf Digitalisierung beruhendes Leistungs- und Reputationsmesssystem herausgebildet hat, welches zu Manipulationen geradezu einlädt.[5] Einschlägige Stichworte sind Zitationsindices,[6] Impact[7]- und Hirsch-Faktoren.[8] Vielfach werden derartige scientometrische Einheiten nicht mehr bloß als Messinstrumente für bestimmte Teilaspekte wissenschaftlichen Arbeitens betrachtet, sondern als eigenständige Optimierungsvorgaben wissenschaftlicher Tätigkeit insgesamt. Messinstrumente mutieren unter der Hand zu Zielvorgaben. Herausgeber von Zeitschriften orientieren sich danach im Extremfall nicht mehr an der Qualität der Artikel, die ihnen zum Abdruck angeboten werden, sondern an der Wahrscheinlichkeit, dass diese Artikel häufig zitiert werden, und Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist nicht mehr gute Forschung und Lehre, sondern die Optimierung ihres „Hirsch-Faktors“. Hier droht nicht nur mit Blick auf die empirischen Wissenschaften eine Fehlentwicklung,[9] die Sorge bereiten muss: „Die Logik eines an bibliometrischen Kennzahlen ausgerichteten Forschens und Publizierens strahlt inzwischen auch auf bisher nicht betroffene Wissenschaftsbereiche aus und beginnt, deren Kulturen zu prägen. Hier ist eine Korrektur erforderlich“.[10]
Neue Technologien eröffnen oft Handlungsmöglichkeiten, deren moralische und juristische Bewertung noch erarbeitet werden muss. Das gilt auch für den Einsatz von KI in Forschung und Lehre: Ist die Nutzung von ChatGPT zur Erstellung eines Überblicks über den Forschungsstand zu einem gegebenen Problem sinnvoll und empfehlenswert oder handelt es sich schon um wissenschaftliches Fehlverhalten? Ändert sich die Bewertung, wenn der Überblick in einen Forschungsantrag eingefügt wird, und macht es dabei einen Unterschied, ob die Verwendung der KI angemerkt wird oder nicht? Wie wirken sich Textänderungen aus, die der Antragsteller in den automatisch erstellten Überblick eingefügt hat?
Fragen wie diese machen deutlich, dass die Einstufung bestimmter Einsatzszenarien der KI als wissenschaftliches Fehlverhalten durchaus Probleme aufwirft. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Standards korrekten wissenschaftlichen Verhaltens und damit auch die Formen von Fehlverhalten mit dem Zeitablauf und mit der Entwicklung neuer Technologien ändern können. Außerdem erscheint sehr fraglich, ob das, was als „gute wissenschaftliche Praxis“ angesehen werden kann, ohne Weiteres aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG herleitbar ist.[11] Bei der Interpretation der Norm muss vielmehr eine Konkretisierung des Norminhalts vorgenommen werden, die auch für Unterschiede zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Traditionen Raum lässt.
In unserem Kontext reicht es aus, sich die bislang akzeptierten Arten und Gefahren wissenschaftlichen Fehlverhaltens erneut vor Augen zu führen. Helmuth Schulze-Fielitz hat dazu folgende Kategorisierung vorgeschlagen:
- Fehlverhalten generierende Konflikte in Forschergruppen (Mängel in der Leitungsverwaltung, Zugang zu Forschungsmaterial und gruppeninterne Konflikte, Forschungsbehinderungen)
- Probleme der Autorschaft (Autor- und Urheberschaftsprobleme, Plagiate, Ideendiebstahl)
- Fehlverhalten im Umgang mit Forschungsdaten (Dokumentationsdefizite, Datenmanipulation und Datenfälschung, Rechte an und Missbrauch von Daten)
- Organisations- und verfahrensfehlerhaftes Verhalten (Falschangaben, Verschweigen von Interessenkonflikten, Befangenheiten, Kompetenzmissbrauch)
- Wissenschaftliches Fehlverhalten in Prüfung, Lehre und Betreuung.[12]
Die neuen technischen Möglichkeiten werfen Probleme in jeder dieser Fallgruppen auf. Offensichtlich darf aber nicht jede Verwendung neuer Techniken als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet werden. So ist die Informationssuche über Datenbanken oder mittels Suchmaschinen wie Google, Bing oder Quant heute ebenso üblich wie die Verwendung von automatisierten Korrekturhilfen, ohne dass dies als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet würde. In einen Graubereich fallen z.B. automatisierte Übersetzungen ohne Angabe der Tatsache, dass ein Computersystem verwendet wurde. Dagegen liegt eindeutig Fehlverhalten vor, wenn Texte und Bilder mittels Künstlicher Intelligenz erstellt werden, ohne dass dies angemerkt wird. Dasselbe gilt erst recht für gezielte Fälschungen von Bildern, Statistiken oder ganzen Forschungsarbeiten.[13]
- Wissenschaftliches Fehlverhalten, Schutzgut und Vielfalt wissenschaftlicher Methoden
Es ist nicht abwegig, auch für solche Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, in denen noch nicht das Vermögen, die körperliche Unversehrtheit oder das Leben von Menschen gefährdet sind, de lege lata und vielleicht auch de lege ferenda über den Einsatz von Strafrecht nachzudenken.[14] Wissenschaftliches Fehlverhalten gefährdet nicht nur die Qualität direkt betroffener Forschungsleistungen und Studien, sondern vermag die Leistungsfähigkeit eines ganzen Forschungsbereichs und mittelbar auch das Ansehen von Wissenschaft insgesamt zu gefährden.[15] Allerdings wäre es verfehlt, angesichts der Gefahren neuer technischer Möglichkeiten ohne Weiteres den Einsatz neuer Straftatbestände zu fordern. Nicht alles, was negativ bewertet wird, ist allein deswegen schon strafbar oder auch nur strafwürdig. Ganz im Gegenteil: In der Auseinandersetzung mit unliebsamen individuellen oder gesellschaftlichen Phänomenen bildet Strafrecht im Rechtsstaat die ultima ratio.
Strafrecht taugt außerdem nur sehr eingeschränkt als wirksame Richtschnur für die Bewertung neuer Technologien; die Vorstellung einer „sittenbildenden Kraft des Strafrechts“ kann als überholt gelten. Vielmehr schützt das Strafrecht bestimmte, vom Gesetzgeber als solche definierte Rechtsgüter, die ihm nicht vorgegeben sind, sondern auf Entscheidungen des Gesetzgebers beruhen. Der Einsatz von Strafrecht muss sich immer durch den Aufweis eines bestimmten, möglichst präzis umschriebenen Rechtsgutes legitimieren lassen.
Denkbar wäre es, die „Integrität wissenschaftlichen Arbeitens“ als ein derartiges neues Rechtsgut zu konzipieren. Bislang existiert kein Straftatbestand, der speziell die Integrität wissenschaftlichen Arbeitens schützt. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass über die Merkmale integren wissenschaftlichen Arbeitens keine Einigkeit besteht. Vor allem die unterschiedlichen Formen nicht-empirischer Wissenschaft sind umstritten. Was in Teilen der Kulturwissenschaften als wissenschaftlich einwandfrei gilt, zieht aus der Perspektive der empirischen Sozialwissenschaften und der Naturwissenschaften gelegentlich sogar den Vorwurf der „Pseudowissenschaft“ auf sich.[16] Immer wieder haben sich Vertreter der empirischen Wissenschaften scharf z.B. gegen als übergriffig empfundene Thesen aus dem Umfeld der „postmodernen“ Kulturwissenschaft gewehrt, man denke nur an „Sokal´s Hoax“.[17] Auch die Rede von „alternativen Fakten“ oder die oft allzu pauschal und unkritisch vorgebrachte These, Wahrheit sei doch „nur eine Konstruktion“ ist zu Recht auf Kritik gestoßen.[18]
Dagegen hat sich in den empirischen Wissenschaften selbst, von der Physik und den anderen Naturwissenschaften über die Medizin bis hin zu den empirisch verfahrenden Sozialwissenschaften ein Wissenschaftsverständnis durchgesetzt, welches man, Karl Poppers Wissenschaftsmodell folgend, mit Hans Albert als die „Methode der kritischen Prüfung“[19]beschreiben könnte: Zur Lösung von Problemstellungen jeder Art werden hypothetische Lösungen vorgeschlagen, welche sodann durch strenge Tests an der Realität überprüft werden. Bewährt sich der Lösungsvorschlag, so wird er einstweilen beibehalten, scheitert er, so wird er möglichst bald durch einen leistungsfähigeren Lösungsansatz ersetzt. Während die Entwicklung des Lösungsvorschlags als kreativer Prozess von Erfahrung und Phantasie geprägt ist, sollen bei der Prüfung möglichst strenge logische und empirische Maßstäbe angelegt werden.[20]
Zweierlei ist dabei im Auge zu behalten: Die „Idee der kritischen Prüfung“ umschreibt die logische Struktur eines Ideals und erhebt nicht den Anspruch, die Wirklichkeit von Wissenschaft korrekt zu beschreiben. Dass es bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Verhalten gibt, welches dem Ideal zuwiderläuft, ist selbstverständlich.[21]Außerdem liegt auf der Hand, dass es nach dem oben skizzierten Wissenschaftsverständnis kein absolut sicheres Wissen geben kann, denn jede Aussage, auch eine solche, die sich bislang auch in den strengsten Tests bewährt hat, kann prinzipiell schon am nächsten Test scheitern. Absolut sicheres Wissen ist dem Menschen verwehrt, es sei denn, wir begnügen uns mit definitorischen Festsetzungen, also analytischen Wahrheiten.[22]
Das Modell der „kritischen Prüfung“ verdeutlicht im Übrigen, dass Wissenschaft keineswegs vollkommen sachbezogen und in diesem Sinne „objektiv“ ist. Wissenschaft ist Menschenwerk, sie ist, wenn man so will, ein „soziales Konstrukt“[23] und damit anfällig für menschliches Fehlverhalten. In seinem kürzlich erschienen Buch „Science fictions“ hat der schottische Naturforscher Stuart Ritchie für die empirischen Wissenschaften vier Typen von wissenschaftsgefährdendem Fehlverhalten herausgearbeitet: „fraud“, „bias“, „negligence“ und „hype“, also Wissenschaftsbetrug, vorurteilsbehaftete Wissenschaft, fahrlässigen Umgang mit Daten und die Tendenz, Forschungsergebnisse (massen)medial aufzublähen.[24] Im Folgenden soll es vor allem um die erste Fallgruppe gehen, den Wissenschaftsbetrug.
- Neue Formen des Wissenschaftsbetrugs und erste Reaktionen der Wissenschaftsgemeinschaft
Das Thema ist insbesondere deshalb wichtig, weil die neuesten Formen des Wissenschaftsbetrugs die Reputation von Wissenschaft insgesamt bedrohen. Politisches und privates Handeln beruht heute in ganz erheblichem Umfang auf wissenschaftlich generiertem Wissen, angefangen von Maßnahmen zur Eindämmung von weltumspannenden Gesundheitskatastrophen wie der Corona-Pandemie über staatliche Programme zur Wirtschaftsförderung bis hin zum privaten Ernährungsverhalten. Ältere Wissensformen wie etwa Alltagswissen, religiös vermitteltes Wissen oder durch Tradition überliefertes Wissen haben dagegen erheblich an Einfluss verloren. [25] Diese Entwicklung ist grundsätzlich zu begrüßen, denn auch wenn Wissenschaft kein absolut sicheres Wissen zu generieren vermag, sind doch wissenschaftlich gestützte Wissensbestände ungleich zuverlässiger und belastbarer als Wissen, das auf Glaubensvorschriften oder Überlieferung beruht. Zuverlässig und belastbar sind jedoch nur solche Wissensbestände, die auf seriöser Wissenschaft beruhen. Aus diesem Grund erscheinen einige aktuelle Formen KI-gestützten wissenschaftlichen Fehlverhaltens besorgniserregend. Allerdings fällt die juristische Einordnung nicht leicht.
Die juristische und insbesondere strafrechtliche Bewertung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz zur Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten ist zunächst deshalb problematisch, weil der Einsatz derartiger Mittel jeweils relativ zu unterschiedlichen Tätigkeitsformen bzw. Arbeitsschritten unterschiedlich zu bewerten ist. Hinzu kommen die Unterschiede zwischen den Disziplinen. Bei einem geisteswissenschaftlichen Text wird man die Themensuche von der Strukturierung des Themas zu unterscheiden haben, sodann die Suche nach Vorarbeiten. Bei all dem vermag ein KI-System Hilfe zu leisten. Ein KI-System kann aber auch zur Formulierung von Textvorschlägen eingesetzt werden, die sodann vom Autor noch überarbeitet werden können – oder auch nicht. Offensichtlich problematisch ist die Übernahme fremder Textpassagen oder Bilder mit oder ohne Änderungen, wobei die Veränderungen vom Streichen einzelner Sätze oder dem Austauschen von Worten bis hin zur Veränderung des Stils oder der Übersetzung eine fremde Sprache reichen können. Die unveränderte Übernahme eines ganzen Textes dürfte eher die Ausnahme bilden.
Es liegt auf der Hand, dass es Plagiate und andere Formen von Täuschung in der Wissenschaft bis hin zum Einsatz von „Ghostwritern“ schon lange vor dem Auftreten Künstlicher Intelligenz, sogar schon lange vor dem Computerzeitalter gegeben hat.[26] Unstrittig dürfte aber auch sein, dass die digitalisierte Textverarbeitung das „Mogeln“ wesentlich erleichtert hat, man denke nur an die Übernahme von Fußnoten oder ganzen Textpassagen mittels „copy und paste“. Generative KI eröffnet Betrügern noch weitere Handlungsmöglichkeiten, etwa indem Textpartien und Aufsätze bis hin zu vollständigen wissenschaftlichen Studien und Büchern in Text und Bild von KI verfasst werden, und zwar so, dass sich die Ergebnisse dieser Arbeit kaum von seriösen Publikationen unterscheiden lassen.
Angesichts dieser Herausforderungen und der damit verbundenen Bewertungsschwierigkeiten scheint es nahezuliegen, den Einsatz generative Modelle für die Text- und Bild-Herstellung bei wissenschaftlichen Publikationen ganz zu untersagen. Eine solche Forderung würde jedoch der Tatsache nicht gerecht, dass neue Technologien (wie eben gezeigt) den wissenschaftlichen Arbeitsprozess durchaus erleichtern und fördern können. Überzeugender erscheint eine Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vom September 2023,[27] die wegen der erheblichen Chancen und Entwicklungspotenziale der neuen Technologie den Einsatz generativer Modelle im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens nicht pauschal ausschließen möchte. Angemahnt werden jedoch „bestimmte verbindliche Rahmenbedingungen, um die gute wissenschaftliche Praxis und die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse zu sichern.“[28]
„Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses und der gewonnenen Erkenntnisse für Dritte“, so die DFG, „sind wesentliche Grundprinzipien wissenschaftlicher Integrität.“ Das damit umschriebene „Wertesystem“ biete „im Hinblick auf den Umgang mit generativen Modellen weiterhin wertvolle Leitlinien.“ Die DFG betont, es entspräche „dem Berufsethos von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass sie selbst für die Einhaltung der Grundprinzipien wissenschaftlicher Integrität einstehen. Der Einsatz generativer Modelle kann Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von dieser inhaltlichen und formalen Verantwortung nicht entbinden.“ Wissenschaftler, so die DFG, „sollten bei der öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Ergebnisse im Sinne wissenschaftlicher Integrität [deshalb, E.H.] offenlegen, ob und welche generativen Modelle sie zu welchem Zweck und in welchem Umfang eingesetzt haben.“ Nur die „verantwortlich handelnden natürlichen Personen“ könnten in wissenschaftlichen Publikationen „als Autorinnen und Autoren in Erscheinung treten.“ Bei ihnen liege deshalb die Verantwortung dafür, „dass durch die Verwendung generativer Modelle kein fremdes geistiges Eigentum verletzt wird und kein wissenschaftliches Fehlverhalten etwa in Form von Plagiaten entsteht.“[29]
Diese Handreichung scheint mir als vorläufige Grundlage für den Einsatz generativer KI in der wissenschaftlichen Forschung gut geeignet zu sein. Sie kann jedoch eine juristische Auseinandersetzung mit den verschiedenen neuartigen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht ersetzen. Diese wiederum setzt zunächst eine zumindest rudimentäre Aufarbeitung der Problemlage voraus.
- Die Problemlage – fachspezifische Unterschiede
Eine angemessene Problemerfassung lässt sich nur erreichen, wenn man die Ziele des Einsatzes von KI beim wissenschaftlichen Arbeiten genauer in den Blick nimmt. Handelt sich um eine private Ideensammlung oder das Exposé eines Antrags oder einer Publikation? Geht es um einen Förderantrag oder um eine Publikation im engeren Sinne? Und auch bei der Publikation selbst wird man unterscheiden müssen: Fehlverhalten kann bei einem geisteswissenschaftlichen Aufsatz ebenso vorkommen wie bei der Darstellung naturwissenschaftlicher, medizinischer oder technischer Forschungsergebnisse. Mit Blick auf die möglichen Folgen gefälschter Ergebnisse unterscheiden sich die genannten Publikationsformen jedoch erheblich. Eine KI-generierte neue Heidegger-Interpretation ist für sich gesehen unproblematisch und möglicherweise sogar geeignet, die Debatte voranzubringen, weil sie neue Perspektiven ansprechen und zu Widerspruch reizen kann. Auch eine KI-gestützte neue Theorie zum Erlaubnistatbestandsirrtum oder zum Handlungsbegriff im Strafrecht scheint grundsätzlich unschädlich. Eine Autorin oder ein Autor, der einen durch KI generierten Text als eigenen ausgibt, handelt zwar unwahrhaftig und verstößt gegen das Ethos der Wissenschaft.[30] Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass durch derartige Publikationen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben anderer Menschen gefährdet werden können.
Ganz anders verhält es sich, wenn medizinische Studien, etwa solche immunologischer Art, frei erfunden und unter dem Anschein genuin wissenschaftlicher Expertise und harter Tests publiziert werden. Auch gefälschte Studien zur Unschädlichkeit von Lebensmitteln oder zur Widerstandsfähigkeit oder zum Ertrag von Saatgut (etwa für Länder des globalen Südens) gehören in diesen Zusammenhang. Derartige pseudowissenschaftliche Publikationen können die Forschung u.U. massiv beeinflussen, indem sie Forschungsentwicklungen befördern, die „ins Leere“ führen, während andere, objektiv gesehen nachhaltigere Forschungsrichtungen diskreditiert werden. Im Extremfall werden im Vertrauen auf gefälschte Studien Medikamente an Menschen eingesetzt oder Nahrungsmittel konsumiert, die unmittelbar Schäden verursachen können. Vor allem dann, wenn die Zeit für längere Testverfahren fehlt (wie z.B. bei der Entwicklung der Corona-Impfstoffe), müssen die durchgeführten Tests strengsten Standards genügen und vertrauenswürdig sein (ob dem in der Pandemie Genüge getan wurde, ist bekanntlich umstritten).
Man sollte außerdem berücksichtigen, dass gerade die Forschung in den Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik in aller Regel unter Bedingungen der Mittelknappheit erfolgt. Fließen vorhandene Fördermittel in Forschungsrichtungen, die auf einer unseriösen und im Extremfall haltlosen Basis beruhen, bedeutet das nicht bloß Geldverschwendung, sondern führt zur Unter- oder gar Nicht-Finanzierung objektiv erfolgversprechenderer Forschung. Hinzu tritt die Verschwendung von Lebens- und Arbeitszeit für wissenschaftlich sinnlose Projekte.
Mit Blick auf das Gefahrenpotenzial unterscheiden sich also geisteswissenschaftliche Publikationen (zu denen man in diesem Zusammenhang auch die juristischen Publikationen rechnen kann) ganz erheblich von naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Publikationen. Gemeinsam ist allen diesen Fällen jedoch, dass sie geeignet sind, das Vertrauen in wissenschaftliches Arbeiten und in wissenschaftlich generiertes und gesichertes Wissen zu erschüttern. Bei endemischer Forschungsfälschung droht die Diskreditierung von Wissenschaft überhaupt, eine Entwicklung, die unabsehbare gesellschaftliche, wirtschaftliche und letztendlich auch politische Folgen haben könnte.[31]
- Organisierte Forschungsfälschung
Seit einigen Jahren hat ein neues Phänomen besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die organisierte Forschungsfälschung durch „Fälschungsagenturen“, wegen ihres erheblichen Publikationsausstoßes auch „paper mills“ („Papiermühlen“) genannt.[32] Ein jüngerer Artikel in einer der bekanntesten naturwissenschaftlichen Zeitschriften berichtet von „paper mills, which churn out bogus manuscripts containing text, data, and images partly or wholly plagiarized or fabricated, often massaged by ghost writers. Some papers are endorsed by unrigorous reviewers solicited by the authors. Such manuscripts threaten to corrupt the scientific literature, misleading readers and potentially distorting systematic reviews. The recent advent of artificial intelligence tools such as ChatGPT has amplified the concern.“[33] Im Jahr 2020 sollen 34 % der Forschungspapiere in den Neurowissenschaften gefälscht gewesen sein, 24 % in der Medizin.[34] In anderen Wissenschaftsbereichen sind die Zahlen nicht ganz so hoch.[35]
Gelegentlich arbeiten Fälschungswerkstätten eng mit bestimmten Publikationsorganen zusammen und können ihren Kunden so eine Art „Gesamtpaket“ anbieten. Das Auftreten pseudowissenschaftlicher Zeitschriften, deren alleiniger Zweck darin liegt, publikationsbedürftigen Autorinnen und Autoren gegen Geld rasch zu neuen Veröffentlichungen zu verhelfen, scheint ein relativ neues Phänomen zu sein. Eine redaktionelle Kontrolle oder ein peer review findet dabei nicht oder allenfalls zum Schein statt. Noch einen Schritt weiter gehen Wissenschaftskriminelle, die etablierte online-Zeitschriften kapern, indem sie z.B. ihre eigenen Kontaktdaten „über“ die der Schriftleitung der Originalzeitschrift legen, oder ganze Websites seriöser Zeitschriften fälschen („Klonjornale“). Derartige Handlungsweisen sind aus der Computer- und Internetkriminalität schon länger bekannt. Ein Beispiel ist das „phishing“ von Kontozugangsinformationen durch Erstellen täuschend echt aussehender Internetseiten von Kreditinstituten. [36]
- Strafrechtliche Bewertung
- Einführung eines Straftatbestandes „Wissenschaftsbetrug“ (2012)
Die strafrechtliche Bewertung der skizzierten neuen Formen von Wissenschaftsbetrug stellt überwiegend Neuland dar. Immerhin gab es bereits im Jahr 2012 einen Vorschlag des Deutschen Hochschulverbands, „Wissenschaftsbetrug“ unter Strafe zu stellen: „(1) Wer eine Qualifikationsarbeit, die der Erlangung eines akademischen Grades oder eines akademischen Titels dient, für einen Dritten verfasst, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer eine Qualifikationsarbeit im Sinne von Abs. 1, die von einem Dritten ganz oder teilweise verfasst wurde, als eigene ausgibt, ohne deren Urheber zu sein, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.[37]
Die Bezeichnung dieser Vorschrift als „Wissenschaftsbetrug“ ist allerdings irreführend, da Betrug ein Vermögensdelikt darstellt, die vorgeschlagene Vorschrift jedoch nicht das Vermögen, sondern die Integrität der Wissenschaft im Hinblick auf die Tätigkeit gewerblicher „Promotionsberater“ und „Ghostwriter“ schützen sollte. Außerdem wirft die Formulierung der Tatbestandsmerkmale schwierige Abgrenzungsfragen auf.[38]
- Forschungsfälschungen und Betrug
Es scheint, dass sich jedenfalls ein Teil der oben unter V. und VI. skizzierten Aktivitäten bereits de lege lata strafrechtlich erfassen lässt. Wer einem Verlag eine gefälschte Studie zur Publikation anbietet, wird vielen Fällen als Betrüger nach § 263 StGB bestraft werden können. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fälschung selbst erstellt oder von einer Fälscherwerkstatt erworben wurde.[39] Die Täuschungshandlung liegt im Angebot einer Forschungsstudie zur Publikation, wobei konkludent miterklärt wird, es handele sich um eine Studie, die nach den Regeln der Wissenschaft erstellt wurde. Dem entspricht der Irrtum des Redakteurs, der das Publikationsangebot annimmt.
Problematischer ist das Vorliegen einer Vermögensverfügung.[40] Wird für die Publikation ein Honorar bezahlt, wie das zum Beispiel bei juristischen Verlagen üblich ist, so lässt sich die Verfügung in der Anweisung des Honorars an den Autor sehen. In vielen Fällen ist es jedoch so, dass nicht nur kein Honorar bezahlt wird, sondern dass diejenigen, die in einer bestimmten Zeitschrift publizieren wollen, sogar einen nicht unerheblichen Druckkostenzuschuss leisten müssen. In diesen Fällen kann eine Vermögensverfügung des Redakteurs darin gesehen werden, dass er den Text zum Abdruck annimmt und den Druck in die Wege leitet. Dass derartige Genehmigungen angesichts begrenzter (und damit knapper) Abdruckmöglichkeiten Geldwert besitzen, zeigt sich gerade darin, dass sie bei vielen Verlagen eine Gegenleistung finanzieller Art voraussetzen. Ob es sich dabei um ein klassisches Print-Produkt oder um eine online-Publikation handelt, bedeutet grundsätzlich keinen wesentlichen Unterschied, da auch im online-Bereich die Abdruckmöglichkeiten begrenzt sind und die redaktionelle Arbeit an der Publikation Kosten verursacht.
Auch die Feststellung eines Vermögensschadens wirft Probleme auf. Ein Schaden auf Verlagsseite kann zunächst in der Zahlung eines Honorars ohne die vereinbarte Gegenleistung in Form eines seriösen Artikels gesehen werden. Dieses Argument greift aber offenkundig nur dann, wenn ein Honorar an den Autor bezahlt wird, was bei naturwissenschaftlichen Zeitschriften meist nicht der Fall ist. Ein Schaden kann auch darin gesehen, dass ein Artikel abgedruckt wird, der im wortwörtlichen Sinn „sein Geld nicht wert“ ist. Zwar wären die Abdruckkosten auch beim Abdruck eines seriösen Artikels entstanden, doch verfehlt die Zeitschrift mit dem Abdruck der Forschungsfälschung den Zweck, einen potentiell nachhaltigen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten.[41] Hinzu kommt, dass der Abdruck von Forschungsfälschungen die Reputation der Zeitschrift erheblich beeinträchtigen kann. Mit dem Ansehen der Zeitschrift nimmt nicht nur ihr ökonomischer Wert, sondern auch die Attraktivität für Abonnenten ab. In Letzterem kann zumindest eine schadensgleiche Vermögensgefährdung gesehen werden.
Auf der subjektiven Tatseite wirft der Vorsatz keine besonderen Probleme auf. Die Bereicherungsabsicht richtet sich in erster Linie auf den Abdruck selbst, in zweiter Linie u.U. aber auch auf ein eventuelles Honorar.[42] In beiden Fällen kann Stoffgleichheit zwischen Schaden und intendierter Bereicherung angenommen werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Initiierung des Abdrucks einer auf einer Forschungsfälschung beruhenden Studie den Tatbestand eines Betrugsversuchs, §§ 263, 22 StGB, erfüllen kann. Wird der Artikel tatsächlich gedruckt, so kann ein vollendeter Betrug vorliegen. Auch § 156 StGB (Falsche Versicherung an Eides Statt) kann u.U. vorliegen; allerdings setzt dies eine zur Abnahme entsprechender Versicherungen „zuständige Behörde“ voraus, woran es im Kontext gefälschter Forschungsstudien meist fehlen wird.[43] Hinzu treten mögliche strafrechtlich bewehrte Verstöße gegen das Urheberrecht, § 106 UrRG, wenn bei der Zusammenstellung des gefälschten Artikels in das Urheberrecht anderer Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler eingegriffen wurde.[44] Auch das Datenschutzstrafrecht kann einschlägig sein.[45] Für Universitäten gilt es insbesondere zu beachten, dass sie dann, wenn sie ChatGPT und andere Programme über ihre Bibliotheken o.ä. anbieten, zu „verantwortlichen Stellen“ im Sinne des Datenschutzrechtes werden können und dann u.U. auch selbst strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Für dolose Gutachter kann eine Beihilfe, § 27 StGB, zu den Straftaten des Pseudo-Autors anzunehmen sein.
Zu beachten ist aber, die die obige Argumentation zum Vorliegen eines Vermögensschadens beim Betrug nur greift, wenn es sich um eine seriöse Zeitschrift handelt. Streben die Betreiber der Zeitschrift einen nachhaltigen Beitrag zur Wissenschaft gar nicht an, so dürfte es meist nicht möglich sein zu argumentieren, sie hätten durch den Abdruck eines gefälschten Artikels einen Vermögensschaden erlitten. Ist ihnen gar die Wertlosigkeit des eingereichten Artikels bekannt, so fehlt es außerdem schon am Vorliegen eines Irrtums. In derartigen Fällen ist ein Betrug durch Einreichung gefälschter Studien ausgeschlossen. Stattdessen stellt sich die Frage, ob die Betreiber der Zeitschrift sich nicht selbst wegen Betrugs, § 263 StGB, strafbar machen können, z.B. zu Lasten gutgläubiger Abonnenten der Zeitschrift oder gegenüber den Käufern von Artikeln. Betrug auf Seiten der Zeitschrift kommt offenkundig auch dann in Betracht, wenn gutgläubigen Autoren gegen Geld eine seriöse Publikationsmöglichkeit angeboten wird, während die Betreiber der Zeitschrift in Wirklichkeit nur darauf aus sind, ohne aufwändige Qualitätskontrolle möglichst viele Texte zu publizieren und sich so zu bereichern.[46]
- Zur Strafbarkeit des Betreibens von Fälschungswerkstätten
Im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit von Fälschungswerkstätten kommt zunächst eine Beihilfe zum Betrug des Autors, §§ 263, 27 StGB, in Betracht. In Ausnahmefällen kann sogar eine Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB anzunehmen sein. Die Mitglieder einer derartigen Fälscherwerkstatt unterfallen zusätzlich dem § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen), denn es handelt sich um eine Vereinigung, deren Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten nach §§ 263 bzw. §§ 263, 27 StGB gerichtet ist.[47]
Nach § 129b Abs. 1 Satz 1 lassen sich auch Fälscherwerkstätten im Ausland erfassen, wobei im Einzelfall die §§ 3 ff. in die strafrechtliche Prüfung einbezogen werden müssen.[48] Dies bedeutet: Handelt der Täter von Deutschland aus, § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB, oder tritt der tatbestandsmäßige Erfolg in Deutschland ein, § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB, so ist der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts eröffnet. Eine Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts kann sich auch nach § 9 Abs. 2 Satz 1 ergeben. Daraus folgt, dass ein Autor, der von Deutschland aus eine gefälschte Arbeit einem Publikationsorgan anbietet, durch sein Handeln in Deutschland auch den Gehilfen, hier also das Mitglied der Fälscherwerkstatt, in den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts einbeziehen kann.[49] Eine mögliche Strafbarkeit nach ausländischem Strafrecht kann hier unbeachtet bleiben.
Natürlich gilt, dass mit der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts über die faktischen Strafmöglichkeiten noch nicht entschieden ist. Die Fälle, in denen ein Mitglied einer Fälscherwerkstatt nach Deutschland einreist und hier festgenommen werden kann,[50] dürften eher die Ausnahme bilden. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, durch Verträge mit den Staaten, in denen sich Fälscherwerkstätten befinden, eine Durchsetzbarkeit des deutschen Strafrechtsanspruchs sicherzustellen.
Probleme wirft die Strafbarkeit wieder dann auf, wenn die gefälschten Artikel nicht seriösen Zeitschriften, sondern pseudowissenschaftlichen Journalen angeboten werden, die von vornherein keinen Beitrag zur Wissenschaft anstreben, sondern lediglich Publikationsmöglichkeiten gegen Geld anbieten, insofern also in das dolose Geschehen eingebunden sind. Im Extremfall arbeitet die Fälschungswerkstatt mit einem bestimmten Publikationsorgan regelmäßig zusammen (oder betreibt es gleich selbst). In derartigen Fällen liegt im Angebot eines gefälschten Artikels, sei es durch den (angeblichen) Autor der Studie oder direkt durch die Fälschungswerkstatt, mangels Irrtumserregung kein Betrug gem § 263 StGB.[51] Werden keine anderen Straftaten begangen, so wird damit auch die Annahme der Bildung einer kriminellen Vereinigung, § 129 StGB, problematisch.
- Das Betreiben von Klonjournalen und pseudowissenschaftlichen Zeitschriften
Die Etablierung eines online-Klonjournals[52] wird regelmäßig den Tatbestand der §§ 267, 269 StGB erfüllen.[53]Werden im Namen der „geklonten“ seriösen Publikation emails mit Zahlungsaufforderungen (z.B. Publikationskostenzuschüsse o.ä.) versendet, dürfte auch ein Betrug bzw. Betrugsversuch, § 263 StGB bzw. §§ 263, 22, 23 StGB, vorliegen. Außerdem können solche emails selbst den §§ 267, 269 StGB unterfallen, wenn z.B. Namen der geklonten (seriösen) Zeitschrift verwendet werden. In Bezug auf die Nicht-Weiterleitung von emails, die an die geklonte Zeitschrift bzw. deren Herausgeber oder Redaktion gerichtet sind, kommen die §§ 303a StGB (Datenveränderung in Form einer Datenunterdrückung) und 274 Abs. 2 Nr. 2 StGB (Datenunterdrückung) in Betracht.[54]
Schwieriger mit dem Strafrecht zu erfassen sind pseudowissenschaftliche Zeitschriften, die eine seriöse Qualitätssicherung vortäuschen. Der auch von der DFG verwendete Name „predatory journals“ („Raubjournale“)[55] soll deutlich machen, dass derartige Publikationsorgane oft sehr aggressiv um Autorinnen und Autoren werben. Die Bezeichnung ist allerdings irreführend, denn weder wird irgendjemand „beraubt“, noch ist die aggressive Eigenwerbung Kern des wissenschaftsethischen und strafrechtlichen Vorwurfs. Es geht vielmehr um den Verzicht auf Qualitätskontrolle, der es Autorinnen und Autoren erlaubt, rasch zahlreiche „Papiere“ mit geringem oder ganz ohne wissenschaftlichen Wert zu publizieren.
Spiegeln geklonte oder andere pseudowissenschaftliche Journale ihrer Leserschaft bzw. der Wissenschaftsgemeinschaft eine Qualitätskontrolle vor, so kommt u.U. ein Betrug, § 263 StGB, in Betracht (z.B. zu Lasten von Abonnenten oder Personen, die kostenpflichtig einzelne Artikel abrufen). Wenn, was allerdings die Ausnahme sein dürfte, auch die Autoren über die Qualitätsstandards oder die wissenschaftliche Seriosität bzw. Akzeptanz der Zeitschrift getäuscht werden, kommt auch ihnen gegenüber eine Tat nach § 263 StGB in Betracht (z.B. bei der Zahlung von Zuschüssen für den Abdruck).
Schließlich ließe sich auch an einen Betrug gegenüber Datenbanken (wie Scopus oder Web of Science) denken, die derartige Zeitschriften gutgläubig in Auflistungen seriöser Zeitschriften aufnehmen. Hat eine Datenbank eine derartige Zeitschrift in ihre Auflistung aufgenommen, so wird ihr bzw. ihren Verantwortlichen meist eine Garantenstellung hinsichtlich der Qualität der gelisteten Zeitschriften zukommen.[56] Dies bedeutet, dass die Datenbank-Betreiber u.U. strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie es vorsätzlich unterlassen, pseudowissenschaftliche Journale aus ihren Listen zu entfernen (in Betracht kommt etwa eine durch Unterlassen begangene Beihilfe zum Betrug an gutgläubigen Artikelkäufern oder Abonnenten, §§ 263 Abs. 1, 27, 13 StGB).
- Ein neuer Straftatbestand zum Schutz der Integrität wissenschaftlicher Forschung?
Auch wenn nach dem bisher Ausgeführten eine Strafbarkeit von Anbietern gefälschter Studien bzw. Betreibern von Fälschungswerkstätten nach deutschem Strafrecht jedenfalls teilweise möglich ist, erscheint es angesichts der unter V. und VI. skizzierten neuen Bedrohungsszenarien nicht abwegig, über einen zusätzlichen Tatbestand zum Schutz der Integrität von Wissenschaft nachzudenken. Es handelt sich dabei um ein überindividuelles Rechtsgut, dessen strafrechtlicher Schutz besonderer Begründung bedarf.[57]
Grundsätzlich gilt, dass die Wahrheit von Aussagen, selbst die Wahrheit von Aussagen im Kontext von Wissenschaft, rechtlich nicht unter besonderem Schutz steht. Im Gegenteil: das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, schließt aus, von den Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Texte eine Wahrheitsgarantie für ihre Thesen zu verlangen.[58] Dies gilt auch deshalb, weil eine solche Garantie aus prinzipiellen Gründen nicht einzulösen wäre.[59]Man kann insofern von einem haftungsrechtlichen „Wissenschaftsprivileg“ sprechen.[60] Immerhin lässt sich fragen, ob vorsätzlich falsche Aussagen bzw. vorsätzlich nicht den wissenschaftlichen Standards entsprechend erstellte Studien dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG unterfallen sollten. Die ganz überwiegende Meinung lehnt dies zu Recht ab.[61]
Ein neuer Strafrechtstatbestand müsste zusätzlich diskutiert und legitimiert werden. Das „Wissenschaftsprivileg“, das sich auf Art. 5 Abs. 3 GG stützen lässt, steht strafrechtlichen Sanktionen für Fehlverhalten jedenfalls nicht entgegen. Der Sinn des Privilegs liegt vielmehr nur darin, „den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess von überzogenen Haftungsrisiken freizustellen, insbesondere für den Fall, dass ein Wissenschaftler (noch) nicht allgemein anerkannte Methoden einsetzen und neue Wege beschreiten will“.[62] Es existieren außerdem im Strafgesetzbuch bereits Normierungen, die für bestimmte gesellschaftliche Sonderbereiche vorsätzlich falsche Aussagen unter Strafe stellen. Dies gilt etwa für die Aussagedelikte, die falsche Aussagen, welche prinzipiell die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen könnten, [63] pönalisieren. Die Urkundendelikte erfassen Handlungsweisen, durch die der Rechtsverkehr mit Urkunden durch Täuschung über die Aussteller oder inhaltliche Verfälschungen gefährdet erscheint.[64] Auch für den Sport wurde jüngst als neues überindividuelles Rechtsgut die „Integrität des Sports“ aus der Taufe gehoben.[65]
Angesichts der überragenden Bedeutung von Wissenschaft in unserer Gesellschaft erscheint es zumindest erwägenswert, die Integrität von Wissenschaft strafrechtlich durch einen ähnlichen Sondertatbestand zu schützen. Angesichts der Vielzahl wissenschaftlicher Methoden und der unterschiedlichen Vorstellungen von integrer Wissenschaft[66] werfen die genaue Bestimmung des Rechtsguts und die Formulierung des Tatbestands allerdings schwierige Fragen auf. Denkbar wäre etwa folgender Tatbestand: „Wer wissenschaftliche Studien wissentlich grob fehlerhaft erstellt, oder derart gefälschte Studien publiziert, und auf diese Weise die Integrität der Wissenschaft gefährdet, wird … bestraft.“ Die Norm sollte als abstraktes Gefährdungsdelikt interpretiert werden.
Durch die Fokussierung auf wissenschaftliche Studien wird die Verwendung umstrittener wissenschaftlicher Methoden oder Darstellungsformen von vornherein aus dem Bereich der Strafbarkeit ausgenommen. Es wäre verfehlt, einen bestimmten Wissenschaftsstil (auch wenn er der ganz herrschenden Ansicht in den empirischen Wissenschaften entspricht), für die Gesamtheit der Wissenschaften verbindlich machen zu wollen und noch dazu durch strafrechtliche Bestimmungen zu sichern. Auch im Zeitalter von Forschungsfälschungen und professionellen Fälschungswerkstätten muss Wissenschaft ein offener Raum bleiben, in dem unterschiedliche Stile, Methoden und Darstellungsformen miteinander konkurrieren können. Dies wird durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit garantiert. Kritik an bestimmten in der Tat hochproblematischen Formen von Wissenschaft, wie sie durch „Sokal´s Hoax“[67] geleistet wurde, ist nicht nur zulässig, sondern sogar nötig; Gegenkritik ist willkommen. Die Sanktionierung abweichender Form von Wissenschaft über das Strafrecht widerspricht hingegen den Geist der Wissenschaft. Nur wer gezielt gegen wissenschaftliche Standards verstößt oder gar kommerzielle Fälscherwerkstätten betreibt, fällt aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit heraus und kann dann auch strafrechtlich sanktioniert werden.[68]
Bevor eine neue Strafnorm zum Schutz der Integrität der Wissenschaft erlassen wird, sollte außerdem überprüft werden, ob nicht die heute schon zur Verfügung stehenden strafrechtlichen Mittel ausreichen. Auch die Möglichkeiten technischer Prävention (Erkennung, Löschung) müssen viel genauer untersucht werden, als dies bislang geschehen ist. Wie stets bei der Prüfung einer Strafrechtsverschärfung de lege ferenda muss geklärt werden, ob es nicht andere, weniger einschneidende Mittel gibt, um dem Problem beizukommen. Das gilt auch und gerade bei wissenschaftlichem Fehlverhalten. Voraussetzung für eine Neupönalisierung ist zunächst eine genaue Ursachenanalyse, die hier nicht geleistet werden konnte.[69] Es spricht einiges dafür, dass der heutige Wissenschaftsbetrieb vor allem in den Naturwissenschaften, der Medizin und den Technikwissenschaften selbst Anreize schafft, gefälschte Forschungsergebnisse zu publizieren bzw. entsprechende Fälschungen in Auftrag zu geben.[70] Einschlägige Stichworte sind der enorme Publikationsdruck, die an nicht wenigen Universitäten eingeforderten Mindestpublikationszahlen und die Fixierung auf zweifelhafte szientometrische Instrumente wie den „Hirsch-Faktor“.[71] Auf der Seite der Publikationsorgane entspricht dem die unkritische Verwendung des sog. „Impact-Faktors“ als Ausweis wissenschaftlicher Bedeutung von Zeitschriften.[72]
Zu Recht schreibt Ritchie: „When we look at the overall trends in scientific practice in recent decades – the exponential proliferation of papers; the strong academic selection on publications, citations and h‑indices and grants; the obsession with impact factors and with new, exciting results; and the appearance of phenomena like predatory journals, which are of course just catering to a demand — wouldn´t it be strange if we didn‘t see such bad behavior on the part of scientists?”[73] Oder kürzer: “The system incentivises scientists not to practice science, but simply to meet its own perverse demands”.[74]
- Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen
Die Analyse wäre unvollständig, wenn nicht abschließend zumindest kurz auch auf den Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen, wissenschaftliches Fehlverhalten begangen zu haben, eingegangen würde. Ein Beispiel: X wirft dem Y bewusst wahrheitswidrig die unzulässige Nutzung von ChatGPT bei der Erstellung eines Beitrags vor, und publiziert diese Falschmeldung in einschlägigen sozialen Netzwerken. Derartige Fälle lassen sich strafrechtlich zum einen durch die Beleidigungsdelikte, insbes. durch die §§ 186 StGB (Üble Nachrede) oder 187 StGB (Verleumdung) erfassen. Hinzu treten Straftatbestände wie die Falsche Verdächtigung, § 164 StGB und das Vortäuschen einer Straftat, § 145d StGB. Zivilrechtlich ist (analog § 1004 BGB) an Unterlassungs- und an Gegendarstellungsansprüche zu denken.
Noch ein weiteres Problemfeld verdient Aufmerksamkeit: Auch wenn Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht bewusst wahrheitswidrig geäußert werden, stellen sich häufig massive verfahrensrechtliche Probleme[75]: Die Folgen öffentlicher (oft noch unbestätigter) Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens sind nicht selten unverhältnismäßig, weil die negativen Wirkungen der Publizität die Wirkung dienstrechtlicher, zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Sanktionen (wenn sie denn gerechtfertigt wären) oft weit übersteigen. Hinzu tritt die faktische Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung und anderer Grundsätze des Strafverfahrens (wie der Verpflichtung auf Wahrheitserforschung) in den sozialen Netzwerken. Auch mit Blick auf andere Fallgruppen der online-Verfolgung echten oder vermeintlichen Fehlverhaltens wird man ohne Übertreibung von einer höchst unerfreulichen „Lust an der Menschenjagd“ sprechen können.[76] Es spricht für sich, dass viele Aktivistinnen und Aktivisten in den sozialen Netzwerken anonym vorgehen. Den online Beschuldigten und Verfolgten bleiben in aller Regel keine wirksamen Möglichkeiten der Verteidigung. KI-betriebenen „Denunziations-bots“, wie sie angeblich bereits im US-Wahlkampf 2016 zum Einsatz kamen,[77] verschärfen die Problemlage weiter. Eine wirksame rechtstaatliche Kontrolle dieser Phänomene steht noch aus.
Ein neuer Straftatbestand würde an all dem voraussichtlich zunächst wenig ändern, könnte jedoch mittelfristig motivieren, die Ermittlungsarbeit fachlich geschulten Personen bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu überlassen und nicht die allzu medienwirksame Anklage über das Internet zu wählen. Hier wie überall gilt: Nur wer glaubt, gänzlich ohne Schuld zu sein, werfe den ersten Stein![78]
- Resümee
Die seit zwei Jahrzehnten immer weiter voranschreitende scientometrische Transformation der Wissenschaften hat zu neuen Formen technikgestützten wissenschaftlichen Fehlverhaltes geführt, eine Tendenz, die durch das Aufkommen und die leichte Verfügbarkeit generativer KI noch verstärkt wird. Die damit eröffneten Täuschungsmöglichkeiten haben sich offenbar stark ausgebreitet und gefährden nicht nur das Ansehen der Wissenschaft, sondern u.U. auch Leib und Leben von Menschen, etwa wenn Patienten auf der Grundlage von gefälschten Forschungsergebnissen medizinisch behandelt oder gesundheitsschädliche Lebensmittel auf den Markt gebracht werden. Es erscheint deshalb vertretbar, gegen die neuen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht nur disziplinar- und zivilrechtliche Maßnahmen zum Einsatz zu bringen, sondern auch nach strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten zu suchen. Die Analyse hat gezeigt, dass viele der einschlägigen Verhaltensweisen schon heute strafrechtlich erfasst werden können. Verbleibende Strafbarkeitslücken kann der Gesetzgeber schließen. Schon wegen der besonderen Internationalität der Problemstellung erscheinen strafrechtliche Maßnahmen jedoch nicht ausreichend. Erforderlich ist es vielmehr, auch die Problemursachen schärfer in den Blick zu nehmen und die vielfach unreflektierte Orientierung an rein szientometrischen Faktoren in der Wissenschaftsbewertung zu überdenken.
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Julius-Maxilimians-Universität Würzburg. Er ist Gründungsdirektor am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation und Mitglied des Bayerischen KI-Rats.
[1] Derzeit (31.1.2024) können sich Interessenten noch über https://chat.openai.com/auth/login bei ChatGPT einloggen.
[2] Eine der ersten fundierten Anleitungen zum Einsatz von ChatGPT an Schule und Universität stammt von Prinz. Lernen mit ChatGPT. Lernbuch und Referenz (erschienen im März 2023 im Eigenverlag); ferner Schieb/Posch, Der Digitalschock, 2023.
[3] Rieck, Schummeln mit ChatGPT: Texte verfassen mit künstlicher Intelligenz für Schule, Uni und Beruf, 2023.
[4] Dazu umfassend das DFG-Positionspapier „Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung. Herausforderungen und Handlungsfelder (Mai 2022), unter https://www.dfg.de/de/aktuelles/neuigkeiten-themen/info-wissenschaft/2022/info-wissenschaft-22–37.
[5] Hilgendorf, Die Juristischen Fakultäten in Deutschland und die jüngsten Universitätsreformen: Skeptische Anmerkungen zu Bologna, Exzellenzinitiative und der Ökonomisierung der Universitäten, in: Hilgendorf/Eckert (Hrsg.), Subsidiarität, Sicherheit, Solidarität. Festgabe für Franz-Ludwig Knemeyer zum 75. Geburtstag, 2012, S. 559 – 580 (574 ff.).
[6] Ein Zitationsindex (auch: Zitationsdatenbank) gibt Aufschluss darüber, wie oft eine Publikation in anderen Publikationen zitiert wird. Für Disziplinen wie die Jurisprudenz, in der regelmäßig auch abgelehnte Ansichten zitiert werden („anderer Ansicht …“) sind derartige Indizes wenig sinnvoll. Ein bekannter Zitationsindex ist etwa Google Scholar.
[7] Der „Impact-Faktor“ soll die Bedeutung einer wissenschaftlichen Zeitschrift markieren, indem angegeben wird, wie häufig Publikationen dieser Zeitschrift während eines bestimmten Zeitraums in anderen Zeitschriften zitiert wurden.
[8] Der “Hirsch-Faktor”, benannt nach einem 2005 formulierten Vorschlag des Physikers Jorge E. Hirsch, gibt an, wie häufig Publikationen eines bestimmten Autor bzw. einer Autorin zitiert werden, und zwar bezogen auf die Zahl der Publikationen. Der Hirsch-Faktor x ist die größte Zahl, für die gilt: x Publikationen eines Autors wurden xmal zitiert. Beispiel: Hat man 5 Arbeiten publiziert, die jeweils 5mal zitiert wurden, besitzt man Hirsch-Faktor 5, wurden 10 Arbeiten je 10mal zitiert, ist der Hirsch-Faktor 10 usw. Das Modell setzt offenkundig die Digitalisierung von Texten und ihre Erfassung durch entsprechende Suchmaschinen voraus.
[9] „When a measure becomes the target, it ceases to be a good measure” (Goodhart´s law), nach Ritchie, Science Fictions. Exposing Fraud, Bias, Negligence and Hype in Science, 2020, S. 192.
[10] Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), S. 7.
[11] So aber Reich, Die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, in: WissR 49 (2016), S. 152.
[12] Schulze-Fielitz, in Löwer/Gärditz (Hrsg.), Wissenschaft und Ethik, 2012, S. 1 ff. Siehe auch die „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der DFG unter https://www.dfg.de/resource/blob/173732/4166759430af8dc2256f0fa54e009f03/kodex-gwp-data.pdf.
[13] Dazu näher unten IV. — VI.
[14] Böse, Die „gekaufte“ Publikation, in: WissR 53 (2020), S. 435 — 458; Goeckenjahn, „Wissenschaftsbetrug“ als Straftat“, in: JZ 2014, S. 723 – 732; Jerouschek, Strafrechtliche Aspekte des Wissenschaftsbetruges, in GA Bd. 146 (1999), S. 416 – 442; Kudlich, Die strafrechtliche Bewertung des Wissenschaftsplagiates, in: Dreier/Ohly (Hrsg.), Plagiate: Wissenschaftsethik und Recht, 2012, S. 117 – 133; Ottemann, Wissenschaftsbetrug und Strafrecht: zu Möglichkeiten der Sanktionierung von Fehlverhalten in der Wissenschaft, 2006.
[15] Manche sehen die Wissenschaft sogar schon jetzt beschädigt, etwa Siegel/Daumüller, Ist das Vertrauen in die Wissenschaft dahin? Betrug und Fehlverhalten in den Wissenschaften, in: dies. (Hrsg.), Wissenschaft und Wahrheit. Ursachen, Folgen und Prävention wissenschaftlichen Fehlverhaltens, 2020, S. 11 — 22.
[16] Man wird in diesem Zusammenhang daran erinnern dürfen, dass auch die Rechtswissenschaft in Teilen der angelsächsischen Welt nicht als „science“ gilt, was ihrer Akzeptanz an den Universitäten aber nicht geschadet hat.
[17] Dazu Sokal/Bricmont, Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen, 2001. Der Titel „Eleganter Unsinn“ ist unglücklich gewählt; die 1997 erschienene französische Originalausgabe trägt den Titel „Impostures Intellectuelles“; die 1998 erschienene englischsprachige Ausgabe spricht von „Fashionable Nonsense“. Zum Ganzen auch Sokal, Beyond the Hoax. Science, Philosophy and Culture, 2008.
[18] Umfassend Kürschner (Hrsg.), Alternative Fakten, Fake News und Verwandtes, 2019; ferner Hendricks/Vestergaard, Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien, 2018; Hilgendorf, Follow the Science? Wissenschaft, Pseudo-Wissenschaft und Recht, in: ders. u.a. (Hrsg.), Liberalität und Verantwortung. Festschrift für Jan C. Joerden zum 70. Geburtstag, 2023, S. 91 – 107.
[19] Albert, Traktat über kritische Vernunft, 1991, S. 49.
[20] Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 42; zur Rolle der Phantasie Hilgendorf, Kreativität, Phantasie und geistige Offenheit im Kontext des Kritischen Rationalismus, in: Gadenne/Neck (Hrsg.), Hans Albert und der Kritische Rationalismus. Festschrift zum 100. Geburtstag von Hans Albert, 2021. S. 279 — 296.
[21] In anderen Worten: Die Wirklichkeit entspricht nicht immer dem Ideal. Deshalb stehen (normative) Wissenschaftstheorie und (deskriptive) Wissenschaftssoziologie zueinander nicht in einem Gegensatz, sondern ergänzen einander.
[22] Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 36: „Alle Sicherheiten in der Erkenntnis sind selbstfabriziert und damit für die Erfassung der Wirklichkeit wertlos“. Ein Beispiel für eine „selbstfabrizierte“ Wahrheit ist die Aussage: „Ein Schimmel ist ein weißes Pferd.“ Dieser Satz bildet eine analytische Wahrheit, beruht allerdings nur auf einer Konvention bzw. Festsetzung.
[23] Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass jedes „Konstrukt“ gleichwertig ist, wie dies manche Denker der „Postmoderne“ suggerieren. Vielmehr lassen sich begriffliche Konstrukte hinsichtlich ihrer Problemlösungskraft unterscheiden und kritisieren, dazu Hilgendorf, FS Joerden (Fn. 18), S. 103 ff.
[24] Siehe Ritchie, Science Fictions (Fn. 9). S. 10 und passim.
[25] Weingart, Wissenschaftssoziologie, 2003, S. 7 ff.
[26] Doll, Fälschung und Fake. Zur kritischen Dimension des Täuschens, 2. Aufl. 2015; speziell zu Täuschungen über die eigene Urheberschaft Bung/Gruber/Kühn (Hrsg.), Plagiate, Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, 2011.
[27] https://www.dfg.de/resource/blob/289674/ff57cf46c5ca109cb18533b21fba49bd/230921-stellungnahme-praesidium-ki-ai-data.pdf.
[28] Stellungnahme (Fn. 27), S. 2
[29] A.a.O., S. 2. Weiter heißt es: „Daraus folgt nach aktueller Einschätzung, dass der Einsatz von generativen Modellen bei der Antragstellung bei der DFG im Prozess der Begutachtung, Bewertung und Entscheidung als solcher grundsätzlich weder positiv noch negativ zu bewerten ist. Bei der Erstellung von Gutachten ist der Einsatz von generativen Modellen mit Blick auf die Vertraulichkeit des Begutachtungsverfahrens unzulässig. Zur Begutachtung bereitgestellte Unterlagen sind vertraulich und dürfen insbesondere nicht als Eingabe für generative Modelle genutzt werden“ (ebenda).
[30] Seine für die heutige Wissenschaft klassische Ausarbeitung erfuhr das wissenschaftliche Ethos durch Robert K. Merton, Die normative Struktur der Wissenschaft (1942), in: Merton, Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie. Mit einer Einleitung von Nico Stehr, 1985, S. 86 – 97, dazu Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 25), S. 15 — 22. Aktuelle Anthologien zu den Standards guter Wissenschaft sind Spieker/Manzeschke (Hrsg.), Gute Wissenschaft. Theorie, Ethik und Politik, 2017, und Miller/Valeva/Prieß-Buchheit (Hrsg.), Verlässliche Wissenschaft. Bedingungen, Analysen, Reflexionen, 2022.
[31] Zur Bedeutung von Wissenschaft für die moderne Gesellschaft Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 25), S. 8 f.
[32] Sabel, How criminal science publishing gangs damage the genesis of knowledge and technology – a call to action to restore trust, in: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8514363.
[33] Brainard, New tools show promise for tackling paper mills, in: Science vom 12. May 2023, https://www.science.org/content/article/fake-scientific-papers-are-alarmingly-common, S. 569. Zum Problem der „paper mills“ auch Nature vom 25.3.2021, S. 516 ff. und ausführlich Sabel, Fake publications in Biomedical Science: Red-flagging Methods indicates Mass Production, in: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.05.06.23289563v2.full.pdf.
[34] Brainard, Paper mills (Fn. 33), S. 568 unter Berufung auf Untersuchungen Bernhard Sabels.
[35] Paper Mills. Research report from Cope & STM, https://publicationethics.org/sites/default/files/paper-mills-cope-stm-research-report.pdf, S. 10.
[36] Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 286, 319.
[37] Pressemitteilung des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) vom 6.8.2012, https://www.verbaende.com/news/pressemitteilung/kempen-wissenschaftsbetrug-ist-kriminell-dhv-fuer-einfuehrung-eines-straftatbestandes-wissenschaftsbetrug-85058.
[38] Goeckenjan, JZ 2014, S. 729. Weiterführend Hartmer/Kudlich, Wissenschaftsbetrug als Straftat?, DRiZ 2013, 360 f.
[39] Zu letzteren oben VI.
[40] Sie wird definiert als jede „Handlung, Duldung oder Unterlassung, die unmittelbar vermögensrelevant ist“, näher Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (AWHH) — Heinrich, Strafrecht Besonderer Teil. Lehrbuch, 4. Aufl. 2021, § 20 Rn. 69 ff.
[41] Zur Figur der Zweckverfehlung in der Betrugsdogmatik Kindhäuser/Hilgendorf, Lehr- und Praxiskommentar Strafgesetzbuch (LPK), 9. Aufl. 2022, § 263 Rn. 166 ff.
[42] Problematisierend Goeckenjan, JZ 2014, S. 726.
[43] Zu § 156 StGB Goeckenjan, JZ 2014, S. 727 (gefälschte Promotions- und Habilitationsarbeiten).
[44] Zu den urheberrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Forschungsfälschungen Bernzen in diesem Heft.
[45] Dazu Seckelmann in diesem Heft.
[46] Die DFG bezeichnet dieses Vorgehen als „predatory publishing“, vgl. Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), Abschnitt 2.3.
[47] Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 129 Rn. 6 ff.
[48] Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 129 Rn. 11.
[49] BayObLG NStZ 1992, 281 (282); Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 9 Rn. 14.
[50] Analog zum „Toeben-Fall“ BGHSt 46, 212, dazu Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, § 2 Rn. 21.
[51] Betrug ist nur die irrtumsbedingte Vermögensverschiebung durch eine Verfügung des Opfers. Bei der Vermögensverfügung handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, siehe Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 263 Rn. 10.
[52] Dazu oben VI. am Ende.
[53] Zur Anwendbarkeit des Urkundenstrafrechts auf online-Publikationen AWHH-Heinrich (Fn. 40), § 32 Rn. 6 ff.
[54] Zum Verhältnis von § 303a zu § 274 Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 303a Rn. 12.
[55] Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), Abschnitt 2.3; so auch Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 184 f.
[56] Näher zu den Garantenstellungen beim Betrug Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Rn. 41), § 263 Rn. 89 ff.
[57] Zu den Rechtsgütern der Allgemeinheit und ihrem Verhältnis zum Individualschutz AWHH-Hilgendorf (Fn. 40), § 1 Rn. 26 ff.
[58] Dies ergibt sich schon aus dem Wissenschaftsverständnis der Verfassung, wonach Wahrheit nicht aufgedeckt, sondern gesucht wird, vgl. Wendt, Art. 5 Abs. 3 Rn. 156, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 7. Aufl. 2021.
[59] Zur die heutige Wissenschaft prägenden Position des Fallibilismus ausführlich Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 43 f.; 227 f. und passim.
[60] Böse, Die „gekaufte“ Publikation, WissR 53 (2020), S. 52.
[61] BVerfGE 90, 1, 13; Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 479.
[62] Böse, WissR 53 (2020), S. 52.
[63] AWHH-Hilgendorf (Fn. 40), § 47 Rn. 2 ff.
[64] AWHH-Heinrich (Fn. 40), § 30 Rn. 1 ff.
[65] Dazu kritisch Kusche, Die Strafbarkeit des Selbstdopings, 2020, Teil 3.
[66] Die die oben Fn. 30 genannten Sammelbände.
[67] Siehe oben Fn. 17 und 18.
[68] Böse, WissR 53 (2020), S. 52.
[69] Siehe aber die Arbeiten oben Fn. 32 und 33.
[70] So schon Goeckenjan, JZ 2014, S. 725.
[71] Siehe oben Fn. 8.
[72] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 192 f.
[73] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 194.
[74] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 177.
[75] Hilgendorf, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der Demokratie, in: Lotter (Hrsg.), Probleme der Streitkultur in Demokratie und Wissenschaft, 2023, S. 21–37 (31 f.).
[76] Besonders deutlich wurden diese Tendenzen bei der Verfolgung des „Drachenlords“ (mit bürgerlichem Namen Rainer Winkler), einem Webvideo-Aktivisten, der von seinen „Hatern“ nicht nur im Internet, sondern auch physisch gedemütigt und verfolgt wurde, dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Drachenlord.
[77] Der Übergang zu „fake news“ ist fließend; umfassend Hendricks/Vestergaard, Postfaktisch (Fn.18), S: 7 ff., 109 ff. und passim.
[78] Das Gebot der Zurückhaltung lässt sich auch damit begründen, dass sich die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht nur von Disziplin zu Disziplin unterscheiden, sondern auch in historischer Perspektive wandeln. Hinzu kommt, dass in Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens häufig nicht ganz unproblematische persönliche Motive eine Rolle zu spielen scheinen, von persönlicher Aversion bis hin zur Geltungssucht. In jüngster Zeit zeichnet sich ab, dass „Überprüfungsaufträge“ auch gegen Geld vergeben werden, oft aus politischen Gründen, um den politischen Gegner zu diskreditieren – semper aliquid haeret. Im Extremfall treten „Überprüfungsagenturen“ von sich aus mit Kontrollangeboten an finanzstarke Stellen heran und bieten an, Gegner „wissenschaftlich“ zu denunzieren. Dass auch die damit angesprochenen Tendenzen in hohem Maße wissenschafts- gefährdend sind, wird man kaum abstreiten können. Noch problematischer sind „Einschüchterungseffekte“, die eintreten, wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Furcht vor Denunziation und online-Hetze politisch heikle Themen meiden. Ein erster rechtspolitischer Schritt könnte darin liegen, dass Universitäten anonyme Beschuldigungen nicht zulassen und Klarname
Eric Hilgendorf
Künstliche Intelligenz, Papiermühlen und „fake research papers“. Neue Formen der Wissenschaftskriminalität in
strafrechtlicher Perspektive
- Einleitung
- Wissenschaftliches Fehlverhalten vs. Vielfalt in der Wissenschaft
- Wissenschaftliches Fehlverhalten, Schutzgut und Vielfalt wissenschaftlicher Methoden
- Neue Formen des Wissenschaftsbetrugs und erste Reaktionen der Wissenschaftsgemeinschaft
- Die Problemlage – fachspezifische Unterschiede
- Organisierte Forschungsfälschung
- Strafrechtliche Bewertung
- Einführung eines Straftatbestandes „Wissenschaftsbetrug“ (2012)
- Forschungsfälschungen und Betrug
- Zur Strafbarkeit des Betreibens von Fälschungswerkstätten
- Das Betreiben von Klonjournalen und pseudowissenschaftlichen Zeitschriften
- Ein neuer Straftatbestand zum Schutz der Integrität wissenschaftlicher Forschung?
- Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen
- Resümee
- Einleitung
Als die US-Firma „OpenAI“ im November 2022 ihr System „ChatGPT“ online stellte, wurde die neue Leistungsfähigkeit Künstlicher Intelligenz schlagartig auch einem breiteren Publikum bewusst.[1] Infolge ihrer leichten Verfügbarkeit und ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten beginnt KI, unser Leben mehr und mehr zu durchdringen. Auch Wissenschaft und Lehre bleiben davon nicht unberührt. Systeme wie ChatGPT oder Dall‑E sind außerordentlich leistungsstarke Technologien, die zum Erzeugen von Texten und Bildern in allen Kontexten von Wissenschaft verwendet werden können, angefangen beim Sammeln von Informationen zur ersten Orientierung über die Zusammenfassung relevanter Forschungsergebnisse, das Aufzeigen möglicherweise lohnender Forschungsthemen, das Erstellen von Textentwürfen, ihre Bearbeitung und Finalisierung bis hin zu Visualisierungsaufgaben aller Art und Übersetzungen in fremde Sprachen. Dies gilt für Seminar- und Magisterarbeiten ebenso wie für Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze.[2]
Die skizzierte Entwicklung eröffnet der Wissenschaft aber offenkundig nicht bloß Chancen, sondern wirft auch Probleme auf. Das gilt gerade im Hinblick auf neue Formen möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Vom KI-generierten Textentwurf (den der Autor noch überarbeiten möchte) zum automatisierten Ghostwriter[3] ist es nicht weit, und in Zeiten des „publish or perish“ mag die Bereitschaft, sich mit derartigen Grenzfällen des wissenschaftlichen Ethos zu beschäftigen, nicht selten in den Hintergrund treten. Besondere Probleme entstehen dadurch, dass sich im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens[4] vor allem in Naturwissenschaften, der Medizin und den Ingenieurwissenschaften in den letzten beiden Jahrzehnten ein auf Digitalisierung beruhendes Leistungs- und Reputationsmesssystem herausgebildet hat, welches zu Manipulationen geradezu einlädt.[5] Einschlägige Stichworte sind Zitationsindices,[6] Impact[7]- und Hirsch-Faktoren.[8] Vielfach werden derartige scientometrische Einheiten nicht mehr bloß als Messinstrumente für bestimmte Teilaspekte wissenschaftlichen Arbeitens betrachtet, sondern als eigenständige Optimierungsvorgaben wissenschaftlicher Tätigkeit insgesamt. Messinstrumente mutieren unter der Hand zu Zielvorgaben. Herausgeber von Zeitschriften orientieren sich danach im Extremfall nicht mehr an der Qualität der Artikel, die ihnen zum Abdruck angeboten werden, sondern an der Wahrscheinlichkeit, dass diese Artikel häufig zitiert werden, und Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist nicht mehr gute Forschung und Lehre, sondern die Optimierung ihres „Hirsch-Faktors“. Hier droht nicht nur mit Blick auf die empirischen Wissenschaften eine Fehlentwicklung,[9] die Sorge bereiten muss: „Die Logik eines an bibliometrischen Kennzahlen ausgerichteten Forschens und Publizierens strahlt inzwischen auch auf bisher nicht betroffene Wissenschaftsbereiche aus und beginnt, deren Kulturen zu prägen. Hier ist eine Korrektur erforderlich“.[10]
Neue Technologien eröffnen oft Handlungsmöglichkeiten, deren moralische und juristische Bewertung noch erarbeitet werden muss. Das gilt auch für den Einsatz von KI in Forschung und Lehre: Ist die Nutzung von ChatGPT zur Erstellung eines Überblicks über den Forschungsstand zu einem gegebenen Problem sinnvoll und empfehlenswert oder handelt es sich schon um wissenschaftliches Fehlverhalten? Ändert sich die Bewertung, wenn der Überblick in einen Forschungsantrag eingefügt wird, und macht es dabei einen Unterschied, ob die Verwendung der KI angemerkt wird oder nicht? Wie wirken sich Textänderungen aus, die der Antragsteller in den automatisch erstellten Überblick eingefügt hat?
Fragen wie diese machen deutlich, dass die Einstufung bestimmter Einsatzszenarien der KI als wissenschaftliches Fehlverhalten durchaus Probleme aufwirft. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Standards korrekten wissenschaftlichen Verhaltens und damit auch die Formen von Fehlverhalten mit dem Zeitablauf und mit der Entwicklung neuer Technologien ändern können. Außerdem erscheint sehr fraglich, ob das, was als „gute wissenschaftliche Praxis“ angesehen werden kann, ohne Weiteres aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG herleitbar ist.[11] Bei der Interpretation der Norm muss vielmehr eine Konkretisierung des Norminhalts vorgenommen werden, die auch für Unterschiede zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Traditionen Raum lässt.
In unserem Kontext reicht es aus, sich die bislang akzeptierten Arten und Gefahren wissenschaftlichen Fehlverhaltens erneut vor Augen zu führen. Helmuth Schulze-Fielitz hat dazu folgende Kategorisierung vorgeschlagen:
- Fehlverhalten generierende Konflikte in Forschergruppen (Mängel in der Leitungsverwaltung, Zugang zu Forschungsmaterial und gruppeninterne Konflikte, Forschungsbehinderungen)
- Probleme der Autorschaft (Autor- und Urheberschaftsprobleme, Plagiate, Ideendiebstahl)
- Fehlverhalten im Umgang mit Forschungsdaten (Dokumentationsdefizite, Datenmanipulation und Datenfälschung, Rechte an und Missbrauch von Daten)
- Organisations- und verfahrensfehlerhaftes Verhalten (Falschangaben, Verschweigen von Interessenkonflikten, Befangenheiten, Kompetenzmissbrauch)
- Wissenschaftliches Fehlverhalten in Prüfung, Lehre und Betreuung.[12]
Die neuen technischen Möglichkeiten werfen Probleme in jeder dieser Fallgruppen auf. Offensichtlich darf aber nicht jede Verwendung neuer Techniken als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet werden. So ist die Informationssuche über Datenbanken oder mittels Suchmaschinen wie Google, Bing oder Quant heute ebenso üblich wie die Verwendung von automatisierten Korrekturhilfen, ohne dass dies als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet würde. In einen Graubereich fallen z.B. automatisierte Übersetzungen ohne Angabe der Tatsache, dass ein Computersystem verwendet wurde. Dagegen liegt eindeutig Fehlverhalten vor, wenn Texte und Bilder mittels Künstlicher Intelligenz erstellt werden, ohne dass dies angemerkt wird. Dasselbe gilt erst recht für gezielte Fälschungen von Bildern, Statistiken oder ganzen Forschungsarbeiten.[13]
- Wissenschaftliches Fehlverhalten, Schutzgut und Vielfalt wissenschaftlicher Methoden
Es ist nicht abwegig, auch für solche Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, in denen noch nicht das Vermögen, die körperliche Unversehrtheit oder das Leben von Menschen gefährdet sind, de lege lata und vielleicht auch de lege ferenda über den Einsatz von Strafrecht nachzudenken.[14] Wissenschaftliches Fehlverhalten gefährdet nicht nur die Qualität direkt betroffener Forschungsleistungen und Studien, sondern vermag die Leistungsfähigkeit eines ganzen Forschungsbereichs und mittelbar auch das Ansehen von Wissenschaft insgesamt zu gefährden.[15] Allerdings wäre es verfehlt, angesichts der Gefahren neuer technischer Möglichkeiten ohne Weiteres den Einsatz neuer Straftatbestände zu fordern. Nicht alles, was negativ bewertet wird, ist allein deswegen schon strafbar oder auch nur strafwürdig. Ganz im Gegenteil: In der Auseinandersetzung mit unliebsamen individuellen oder gesellschaftlichen Phänomenen bildet Strafrecht im Rechtsstaat die ultima ratio.
Strafrecht taugt außerdem nur sehr eingeschränkt als wirksame Richtschnur für die Bewertung neuer Technologien; die Vorstellung einer „sittenbildenden Kraft des Strafrechts“ kann als überholt gelten. Vielmehr schützt das Strafrecht bestimmte, vom Gesetzgeber als solche definierte Rechtsgüter, die ihm nicht vorgegeben sind, sondern auf Entscheidungen des Gesetzgebers beruhen. Der Einsatz von Strafrecht muss sich immer durch den Aufweis eines bestimmten, möglichst präzis umschriebenen Rechtsgutes legitimieren lassen.
Denkbar wäre es, die „Integrität wissenschaftlichen Arbeitens“ als ein derartiges neues Rechtsgut zu konzipieren. Bislang existiert kein Straftatbestand, der speziell die Integrität wissenschaftlichen Arbeitens schützt. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass über die Merkmale integren wissenschaftlichen Arbeitens keine Einigkeit besteht. Vor allem die unterschiedlichen Formen nicht-empirischer Wissenschaft sind umstritten. Was in Teilen der Kulturwissenschaften als wissenschaftlich einwandfrei gilt, zieht aus der Perspektive der empirischen Sozialwissenschaften und der Naturwissenschaften gelegentlich sogar den Vorwurf der „Pseudowissenschaft“ auf sich.[16] Immer wieder haben sich Vertreter der empirischen Wissenschaften scharf z.B. gegen als übergriffig empfundene Thesen aus dem Umfeld der „postmodernen“ Kulturwissenschaft gewehrt, man denke nur an „Sokal´s Hoax“.[17] Auch die Rede von „alternativen Fakten“ oder die oft allzu pauschal und unkritisch vorgebrachte These, Wahrheit sei doch „nur eine Konstruktion“ ist zu Recht auf Kritik gestoßen.[18]
Dagegen hat sich in den empirischen Wissenschaften selbst, von der Physik und den anderen Naturwissenschaften über die Medizin bis hin zu den empirisch verfahrenden Sozialwissenschaften ein Wissenschaftsverständnis durchgesetzt, welches man, Karl Poppers Wissenschaftsmodell folgend, mit Hans Albert als die „Methode der kritischen Prüfung“[19]beschreiben könnte: Zur Lösung von Problemstellungen jeder Art werden hypothetische Lösungen vorgeschlagen, welche sodann durch strenge Tests an der Realität überprüft werden. Bewährt sich der Lösungsvorschlag, so wird er einstweilen beibehalten, scheitert er, so wird er möglichst bald durch einen leistungsfähigeren Lösungsansatz ersetzt. Während die Entwicklung des Lösungsvorschlags als kreativer Prozess von Erfahrung und Phantasie geprägt ist, sollen bei der Prüfung möglichst strenge logische und empirische Maßstäbe angelegt werden.[20]
Zweierlei ist dabei im Auge zu behalten: Die „Idee der kritischen Prüfung“ umschreibt die logische Struktur eines Ideals und erhebt nicht den Anspruch, die Wirklichkeit von Wissenschaft korrekt zu beschreiben. Dass es bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Verhalten gibt, welches dem Ideal zuwiderläuft, ist selbstverständlich.[21]Außerdem liegt auf der Hand, dass es nach dem oben skizzierten Wissenschaftsverständnis kein absolut sicheres Wissen geben kann, denn jede Aussage, auch eine solche, die sich bislang auch in den strengsten Tests bewährt hat, kann prinzipiell schon am nächsten Test scheitern. Absolut sicheres Wissen ist dem Menschen verwehrt, es sei denn, wir begnügen uns mit definitorischen Festsetzungen, also analytischen Wahrheiten.[22]
Das Modell der „kritischen Prüfung“ verdeutlicht im Übrigen, dass Wissenschaft keineswegs vollkommen sachbezogen und in diesem Sinne „objektiv“ ist. Wissenschaft ist Menschenwerk, sie ist, wenn man so will, ein „soziales Konstrukt“[23] und damit anfällig für menschliches Fehlverhalten. In seinem kürzlich erschienen Buch „Science fictions“ hat der schottische Naturforscher Stuart Ritchie für die empirischen Wissenschaften vier Typen von wissenschaftsgefährdendem Fehlverhalten herausgearbeitet: „fraud“, „bias“, „negligence“ und „hype“, also Wissenschaftsbetrug, vorurteilsbehaftete Wissenschaft, fahrlässigen Umgang mit Daten und die Tendenz, Forschungsergebnisse (massen)medial aufzublähen.[24] Im Folgenden soll es vor allem um die erste Fallgruppe gehen, den Wissenschaftsbetrug.
- Neue Formen des Wissenschaftsbetrugs und erste Reaktionen der Wissenschaftsgemeinschaft
Das Thema ist insbesondere deshalb wichtig, weil die neuesten Formen des Wissenschaftsbetrugs die Reputation von Wissenschaft insgesamt bedrohen. Politisches und privates Handeln beruht heute in ganz erheblichem Umfang auf wissenschaftlich generiertem Wissen, angefangen von Maßnahmen zur Eindämmung von weltumspannenden Gesundheitskatastrophen wie der Corona-Pandemie über staatliche Programme zur Wirtschaftsförderung bis hin zum privaten Ernährungsverhalten. Ältere Wissensformen wie etwa Alltagswissen, religiös vermitteltes Wissen oder durch Tradition überliefertes Wissen haben dagegen erheblich an Einfluss verloren. [25] Diese Entwicklung ist grundsätzlich zu begrüßen, denn auch wenn Wissenschaft kein absolut sicheres Wissen zu generieren vermag, sind doch wissenschaftlich gestützte Wissensbestände ungleich zuverlässiger und belastbarer als Wissen, das auf Glaubensvorschriften oder Überlieferung beruht. Zuverlässig und belastbar sind jedoch nur solche Wissensbestände, die auf seriöser Wissenschaft beruhen. Aus diesem Grund erscheinen einige aktuelle Formen KI-gestützten wissenschaftlichen Fehlverhaltens besorgniserregend. Allerdings fällt die juristische Einordnung nicht leicht.
Die juristische und insbesondere strafrechtliche Bewertung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz zur Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten ist zunächst deshalb problematisch, weil der Einsatz derartiger Mittel jeweils relativ zu unterschiedlichen Tätigkeitsformen bzw. Arbeitsschritten unterschiedlich zu bewerten ist. Hinzu kommen die Unterschiede zwischen den Disziplinen. Bei einem geisteswissenschaftlichen Text wird man die Themensuche von der Strukturierung des Themas zu unterscheiden haben, sodann die Suche nach Vorarbeiten. Bei all dem vermag ein KI-System Hilfe zu leisten. Ein KI-System kann aber auch zur Formulierung von Textvorschlägen eingesetzt werden, die sodann vom Autor noch überarbeitet werden können – oder auch nicht. Offensichtlich problematisch ist die Übernahme fremder Textpassagen oder Bilder mit oder ohne Änderungen, wobei die Veränderungen vom Streichen einzelner Sätze oder dem Austauschen von Worten bis hin zur Veränderung des Stils oder der Übersetzung eine fremde Sprache reichen können. Die unveränderte Übernahme eines ganzen Textes dürfte eher die Ausnahme bilden.
Es liegt auf der Hand, dass es Plagiate und andere Formen von Täuschung in der Wissenschaft bis hin zum Einsatz von „Ghostwritern“ schon lange vor dem Auftreten Künstlicher Intelligenz, sogar schon lange vor dem Computerzeitalter gegeben hat.[26] Unstrittig dürfte aber auch sein, dass die digitalisierte Textverarbeitung das „Mogeln“ wesentlich erleichtert hat, man denke nur an die Übernahme von Fußnoten oder ganzen Textpassagen mittels „copy und paste“. Generative KI eröffnet Betrügern noch weitere Handlungsmöglichkeiten, etwa indem Textpartien und Aufsätze bis hin zu vollständigen wissenschaftlichen Studien und Büchern in Text und Bild von KI verfasst werden, und zwar so, dass sich die Ergebnisse dieser Arbeit kaum von seriösen Publikationen unterscheiden lassen.
Angesichts dieser Herausforderungen und der damit verbundenen Bewertungsschwierigkeiten scheint es nahezuliegen, den Einsatz generative Modelle für die Text- und Bild-Herstellung bei wissenschaftlichen Publikationen ganz zu untersagen. Eine solche Forderung würde jedoch der Tatsache nicht gerecht, dass neue Technologien (wie eben gezeigt) den wissenschaftlichen Arbeitsprozess durchaus erleichtern und fördern können. Überzeugender erscheint eine Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vom September 2023,[27] die wegen der erheblichen Chancen und Entwicklungspotenziale der neuen Technologie den Einsatz generativer Modelle im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens nicht pauschal ausschließen möchte. Angemahnt werden jedoch „bestimmte verbindliche Rahmenbedingungen, um die gute wissenschaftliche Praxis und die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse zu sichern.“[28]
„Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses und der gewonnenen Erkenntnisse für Dritte“, so die DFG, „sind wesentliche Grundprinzipien wissenschaftlicher Integrität.“ Das damit umschriebene „Wertesystem“ biete „im Hinblick auf den Umgang mit generativen Modellen weiterhin wertvolle Leitlinien.“ Die DFG betont, es entspräche „dem Berufsethos von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass sie selbst für die Einhaltung der Grundprinzipien wissenschaftlicher Integrität einstehen. Der Einsatz generativer Modelle kann Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von dieser inhaltlichen und formalen Verantwortung nicht entbinden.“ Wissenschaftler, so die DFG, „sollten bei der öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Ergebnisse im Sinne wissenschaftlicher Integrität [deshalb, E.H.] offenlegen, ob und welche generativen Modelle sie zu welchem Zweck und in welchem Umfang eingesetzt haben.“ Nur die „verantwortlich handelnden natürlichen Personen“ könnten in wissenschaftlichen Publikationen „als Autorinnen und Autoren in Erscheinung treten.“ Bei ihnen liege deshalb die Verantwortung dafür, „dass durch die Verwendung generativer Modelle kein fremdes geistiges Eigentum verletzt wird und kein wissenschaftliches Fehlverhalten etwa in Form von Plagiaten entsteht.“[29]
Diese Handreichung scheint mir als vorläufige Grundlage für den Einsatz generativer KI in der wissenschaftlichen Forschung gut geeignet zu sein. Sie kann jedoch eine juristische Auseinandersetzung mit den verschiedenen neuartigen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht ersetzen. Diese wiederum setzt zunächst eine zumindest rudimentäre Aufarbeitung der Problemlage voraus.
- Die Problemlage – fachspezifische Unterschiede
Eine angemessene Problemerfassung lässt sich nur erreichen, wenn man die Ziele des Einsatzes von KI beim wissenschaftlichen Arbeiten genauer in den Blick nimmt. Handelt sich um eine private Ideensammlung oder das Exposé eines Antrags oder einer Publikation? Geht es um einen Förderantrag oder um eine Publikation im engeren Sinne? Und auch bei der Publikation selbst wird man unterscheiden müssen: Fehlverhalten kann bei einem geisteswissenschaftlichen Aufsatz ebenso vorkommen wie bei der Darstellung naturwissenschaftlicher, medizinischer oder technischer Forschungsergebnisse. Mit Blick auf die möglichen Folgen gefälschter Ergebnisse unterscheiden sich die genannten Publikationsformen jedoch erheblich. Eine KI-generierte neue Heidegger-Interpretation ist für sich gesehen unproblematisch und möglicherweise sogar geeignet, die Debatte voranzubringen, weil sie neue Perspektiven ansprechen und zu Widerspruch reizen kann. Auch eine KI-gestützte neue Theorie zum Erlaubnistatbestandsirrtum oder zum Handlungsbegriff im Strafrecht scheint grundsätzlich unschädlich. Eine Autorin oder ein Autor, der einen durch KI generierten Text als eigenen ausgibt, handelt zwar unwahrhaftig und verstößt gegen das Ethos der Wissenschaft.[30] Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass durch derartige Publikationen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben anderer Menschen gefährdet werden können.
Ganz anders verhält es sich, wenn medizinische Studien, etwa solche immunologischer Art, frei erfunden und unter dem Anschein genuin wissenschaftlicher Expertise und harter Tests publiziert werden. Auch gefälschte Studien zur Unschädlichkeit von Lebensmitteln oder zur Widerstandsfähigkeit oder zum Ertrag von Saatgut (etwa für Länder des globalen Südens) gehören in diesen Zusammenhang. Derartige pseudowissenschaftliche Publikationen können die Forschung u.U. massiv beeinflussen, indem sie Forschungsentwicklungen befördern, die „ins Leere“ führen, während andere, objektiv gesehen nachhaltigere Forschungsrichtungen diskreditiert werden. Im Extremfall werden im Vertrauen auf gefälschte Studien Medikamente an Menschen eingesetzt oder Nahrungsmittel konsumiert, die unmittelbar Schäden verursachen können. Vor allem dann, wenn die Zeit für längere Testverfahren fehlt (wie z.B. bei der Entwicklung der Corona-Impfstoffe), müssen die durchgeführten Tests strengsten Standards genügen und vertrauenswürdig sein (ob dem in der Pandemie Genüge getan wurde, ist bekanntlich umstritten).
Man sollte außerdem berücksichtigen, dass gerade die Forschung in den Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik in aller Regel unter Bedingungen der Mittelknappheit erfolgt. Fließen vorhandene Fördermittel in Forschungsrichtungen, die auf einer unseriösen und im Extremfall haltlosen Basis beruhen, bedeutet das nicht bloß Geldverschwendung, sondern führt zur Unter- oder gar Nicht-Finanzierung objektiv erfolgversprechenderer Forschung. Hinzu tritt die Verschwendung von Lebens- und Arbeitszeit für wissenschaftlich sinnlose Projekte.
Mit Blick auf das Gefahrenpotenzial unterscheiden sich also geisteswissenschaftliche Publikationen (zu denen man in diesem Zusammenhang auch die juristischen Publikationen rechnen kann) ganz erheblich von naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Publikationen. Gemeinsam ist allen diesen Fällen jedoch, dass sie geeignet sind, das Vertrauen in wissenschaftliches Arbeiten und in wissenschaftlich generiertes und gesichertes Wissen zu erschüttern. Bei endemischer Forschungsfälschung droht die Diskreditierung von Wissenschaft überhaupt, eine Entwicklung, die unabsehbare gesellschaftliche, wirtschaftliche und letztendlich auch politische Folgen haben könnte.[31]
- Organisierte Forschungsfälschung
Seit einigen Jahren hat ein neues Phänomen besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die organisierte Forschungsfälschung durch „Fälschungsagenturen“, wegen ihres erheblichen Publikationsausstoßes auch „paper mills“ („Papiermühlen“) genannt.[32] Ein jüngerer Artikel in einer der bekanntesten naturwissenschaftlichen Zeitschriften berichtet von „paper mills, which churn out bogus manuscripts containing text, data, and images partly or wholly plagiarized or fabricated, often massaged by ghost writers. Some papers are endorsed by unrigorous reviewers solicited by the authors. Such manuscripts threaten to corrupt the scientific literature, misleading readers and potentially distorting systematic reviews. The recent advent of artificial intelligence tools such as ChatGPT has amplified the concern.“[33] Im Jahr 2020 sollen 34 % der Forschungspapiere in den Neurowissenschaften gefälscht gewesen sein, 24 % in der Medizin.[34] In anderen Wissenschaftsbereichen sind die Zahlen nicht ganz so hoch.[35]
Gelegentlich arbeiten Fälschungswerkstätten eng mit bestimmten Publikationsorganen zusammen und können ihren Kunden so eine Art „Gesamtpaket“ anbieten. Das Auftreten pseudowissenschaftlicher Zeitschriften, deren alleiniger Zweck darin liegt, publikationsbedürftigen Autorinnen und Autoren gegen Geld rasch zu neuen Veröffentlichungen zu verhelfen, scheint ein relativ neues Phänomen zu sein. Eine redaktionelle Kontrolle oder ein peer review findet dabei nicht oder allenfalls zum Schein statt. Noch einen Schritt weiter gehen Wissenschaftskriminelle, die etablierte online-Zeitschriften kapern, indem sie z.B. ihre eigenen Kontaktdaten „über“ die der Schriftleitung der Originalzeitschrift legen, oder ganze Websites seriöser Zeitschriften fälschen („Klonjornale“). Derartige Handlungsweisen sind aus der Computer- und Internetkriminalität schon länger bekannt. Ein Beispiel ist das „phishing“ von Kontozugangsinformationen durch Erstellen täuschend echt aussehender Internetseiten von Kreditinstituten. [36]
- Strafrechtliche Bewertung
- Einführung eines Straftatbestandes „Wissenschaftsbetrug“ (2012)
Die strafrechtliche Bewertung der skizzierten neuen Formen von Wissenschaftsbetrug stellt überwiegend Neuland dar. Immerhin gab es bereits im Jahr 2012 einen Vorschlag des Deutschen Hochschulverbands, „Wissenschaftsbetrug“ unter Strafe zu stellen: „(1) Wer eine Qualifikationsarbeit, die der Erlangung eines akademischen Grades oder eines akademischen Titels dient, für einen Dritten verfasst, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer eine Qualifikationsarbeit im Sinne von Abs. 1, die von einem Dritten ganz oder teilweise verfasst wurde, als eigene ausgibt, ohne deren Urheber zu sein, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.[37]
Die Bezeichnung dieser Vorschrift als „Wissenschaftsbetrug“ ist allerdings irreführend, da Betrug ein Vermögensdelikt darstellt, die vorgeschlagene Vorschrift jedoch nicht das Vermögen, sondern die Integrität der Wissenschaft im Hinblick auf die Tätigkeit gewerblicher „Promotionsberater“ und „Ghostwriter“ schützen sollte. Außerdem wirft die Formulierung der Tatbestandsmerkmale schwierige Abgrenzungsfragen auf.[38]
- Forschungsfälschungen und Betrug
Es scheint, dass sich jedenfalls ein Teil der oben unter V. und VI. skizzierten Aktivitäten bereits de lege lata strafrechtlich erfassen lässt. Wer einem Verlag eine gefälschte Studie zur Publikation anbietet, wird vielen Fällen als Betrüger nach § 263 StGB bestraft werden können. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fälschung selbst erstellt oder von einer Fälscherwerkstatt erworben wurde.[39] Die Täuschungshandlung liegt im Angebot einer Forschungsstudie zur Publikation, wobei konkludent miterklärt wird, es handele sich um eine Studie, die nach den Regeln der Wissenschaft erstellt wurde. Dem entspricht der Irrtum des Redakteurs, der das Publikationsangebot annimmt.
Problematischer ist das Vorliegen einer Vermögensverfügung.[40] Wird für die Publikation ein Honorar bezahlt, wie das zum Beispiel bei juristischen Verlagen üblich ist, so lässt sich die Verfügung in der Anweisung des Honorars an den Autor sehen. In vielen Fällen ist es jedoch so, dass nicht nur kein Honorar bezahlt wird, sondern dass diejenigen, die in einer bestimmten Zeitschrift publizieren wollen, sogar einen nicht unerheblichen Druckkostenzuschuss leisten müssen. In diesen Fällen kann eine Vermögensverfügung des Redakteurs darin gesehen werden, dass er den Text zum Abdruck annimmt und den Druck in die Wege leitet. Dass derartige Genehmigungen angesichts begrenzter (und damit knapper) Abdruckmöglichkeiten Geldwert besitzen, zeigt sich gerade darin, dass sie bei vielen Verlagen eine Gegenleistung finanzieller Art voraussetzen. Ob es sich dabei um ein klassisches Print-Produkt oder um eine online-Publikation handelt, bedeutet grundsätzlich keinen wesentlichen Unterschied, da auch im online-Bereich die Abdruckmöglichkeiten begrenzt sind und die redaktionelle Arbeit an der Publikation Kosten verursacht.
Auch die Feststellung eines Vermögensschadens wirft Probleme auf. Ein Schaden auf Verlagsseite kann zunächst in der Zahlung eines Honorars ohne die vereinbarte Gegenleistung in Form eines seriösen Artikels gesehen werden. Dieses Argument greift aber offenkundig nur dann, wenn ein Honorar an den Autor bezahlt wird, was bei naturwissenschaftlichen Zeitschriften meist nicht der Fall ist. Ein Schaden kann auch darin gesehen, dass ein Artikel abgedruckt wird, der im wortwörtlichen Sinn „sein Geld nicht wert“ ist. Zwar wären die Abdruckkosten auch beim Abdruck eines seriösen Artikels entstanden, doch verfehlt die Zeitschrift mit dem Abdruck der Forschungsfälschung den Zweck, einen potentiell nachhaltigen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten.[41] Hinzu kommt, dass der Abdruck von Forschungsfälschungen die Reputation der Zeitschrift erheblich beeinträchtigen kann. Mit dem Ansehen der Zeitschrift nimmt nicht nur ihr ökonomischer Wert, sondern auch die Attraktivität für Abonnenten ab. In Letzterem kann zumindest eine schadensgleiche Vermögensgefährdung gesehen werden.
Auf der subjektiven Tatseite wirft der Vorsatz keine besonderen Probleme auf. Die Bereicherungsabsicht richtet sich in erster Linie auf den Abdruck selbst, in zweiter Linie u.U. aber auch auf ein eventuelles Honorar.[42] In beiden Fällen kann Stoffgleichheit zwischen Schaden und intendierter Bereicherung angenommen werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Initiierung des Abdrucks einer auf einer Forschungsfälschung beruhenden Studie den Tatbestand eines Betrugsversuchs, §§ 263, 22 StGB, erfüllen kann. Wird der Artikel tatsächlich gedruckt, so kann ein vollendeter Betrug vorliegen. Auch § 156 StGB (Falsche Versicherung an Eides Statt) kann u.U. vorliegen; allerdings setzt dies eine zur Abnahme entsprechender Versicherungen „zuständige Behörde“ voraus, woran es im Kontext gefälschter Forschungsstudien meist fehlen wird.[43] Hinzu treten mögliche strafrechtlich bewehrte Verstöße gegen das Urheberrecht, § 106 UrRG, wenn bei der Zusammenstellung des gefälschten Artikels in das Urheberrecht anderer Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler eingegriffen wurde.[44] Auch das Datenschutzstrafrecht kann einschlägig sein.[45] Für Universitäten gilt es insbesondere zu beachten, dass sie dann, wenn sie ChatGPT und andere Programme über ihre Bibliotheken o.ä. anbieten, zu „verantwortlichen Stellen“ im Sinne des Datenschutzrechtes werden können und dann u.U. auch selbst strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Für dolose Gutachter kann eine Beihilfe, § 27 StGB, zu den Straftaten des Pseudo-Autors anzunehmen sein.
Zu beachten ist aber, die die obige Argumentation zum Vorliegen eines Vermögensschadens beim Betrug nur greift, wenn es sich um eine seriöse Zeitschrift handelt. Streben die Betreiber der Zeitschrift einen nachhaltigen Beitrag zur Wissenschaft gar nicht an, so dürfte es meist nicht möglich sein zu argumentieren, sie hätten durch den Abdruck eines gefälschten Artikels einen Vermögensschaden erlitten. Ist ihnen gar die Wertlosigkeit des eingereichten Artikels bekannt, so fehlt es außerdem schon am Vorliegen eines Irrtums. In derartigen Fällen ist ein Betrug durch Einreichung gefälschter Studien ausgeschlossen. Stattdessen stellt sich die Frage, ob die Betreiber der Zeitschrift sich nicht selbst wegen Betrugs, § 263 StGB, strafbar machen können, z.B. zu Lasten gutgläubiger Abonnenten der Zeitschrift oder gegenüber den Käufern von Artikeln. Betrug auf Seiten der Zeitschrift kommt offenkundig auch dann in Betracht, wenn gutgläubigen Autoren gegen Geld eine seriöse Publikationsmöglichkeit angeboten wird, während die Betreiber der Zeitschrift in Wirklichkeit nur darauf aus sind, ohne aufwändige Qualitätskontrolle möglichst viele Texte zu publizieren und sich so zu bereichern.[46]
- Zur Strafbarkeit des Betreibens von Fälschungswerkstätten
Im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit von Fälschungswerkstätten kommt zunächst eine Beihilfe zum Betrug des Autors, §§ 263, 27 StGB, in Betracht. In Ausnahmefällen kann sogar eine Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB anzunehmen sein. Die Mitglieder einer derartigen Fälscherwerkstatt unterfallen zusätzlich dem § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen), denn es handelt sich um eine Vereinigung, deren Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten nach §§ 263 bzw. §§ 263, 27 StGB gerichtet ist.[47]
Nach § 129b Abs. 1 Satz 1 lassen sich auch Fälscherwerkstätten im Ausland erfassen, wobei im Einzelfall die §§ 3 ff. in die strafrechtliche Prüfung einbezogen werden müssen.[48] Dies bedeutet: Handelt der Täter von Deutschland aus, § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB, oder tritt der tatbestandsmäßige Erfolg in Deutschland ein, § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB, so ist der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts eröffnet. Eine Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts kann sich auch nach § 9 Abs. 2 Satz 1 ergeben. Daraus folgt, dass ein Autor, der von Deutschland aus eine gefälschte Arbeit einem Publikationsorgan anbietet, durch sein Handeln in Deutschland auch den Gehilfen, hier also das Mitglied der Fälscherwerkstatt, in den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts einbeziehen kann.[49] Eine mögliche Strafbarkeit nach ausländischem Strafrecht kann hier unbeachtet bleiben.
Natürlich gilt, dass mit der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts über die faktischen Strafmöglichkeiten noch nicht entschieden ist. Die Fälle, in denen ein Mitglied einer Fälscherwerkstatt nach Deutschland einreist und hier festgenommen werden kann,[50] dürften eher die Ausnahme bilden. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, durch Verträge mit den Staaten, in denen sich Fälscherwerkstätten befinden, eine Durchsetzbarkeit des deutschen Strafrechtsanspruchs sicherzustellen.
Probleme wirft die Strafbarkeit wieder dann auf, wenn die gefälschten Artikel nicht seriösen Zeitschriften, sondern pseudowissenschaftlichen Journalen angeboten werden, die von vornherein keinen Beitrag zur Wissenschaft anstreben, sondern lediglich Publikationsmöglichkeiten gegen Geld anbieten, insofern also in das dolose Geschehen eingebunden sind. Im Extremfall arbeitet die Fälschungswerkstatt mit einem bestimmten Publikationsorgan regelmäßig zusammen (oder betreibt es gleich selbst). In derartigen Fällen liegt im Angebot eines gefälschten Artikels, sei es durch den (angeblichen) Autor der Studie oder direkt durch die Fälschungswerkstatt, mangels Irrtumserregung kein Betrug gem § 263 StGB.[51] Werden keine anderen Straftaten begangen, so wird damit auch die Annahme der Bildung einer kriminellen Vereinigung, § 129 StGB, problematisch.
- Das Betreiben von Klonjournalen und pseudowissenschaftlichen Zeitschriften
Die Etablierung eines online-Klonjournals[52] wird regelmäßig den Tatbestand der §§ 267, 269 StGB erfüllen.[53]Werden im Namen der „geklonten“ seriösen Publikation emails mit Zahlungsaufforderungen (z.B. Publikationskostenzuschüsse o.ä.) versendet, dürfte auch ein Betrug bzw. Betrugsversuch, § 263 StGB bzw. §§ 263, 22, 23 StGB, vorliegen. Außerdem können solche emails selbst den §§ 267, 269 StGB unterfallen, wenn z.B. Namen der geklonten (seriösen) Zeitschrift verwendet werden. In Bezug auf die Nicht-Weiterleitung von emails, die an die geklonte Zeitschrift bzw. deren Herausgeber oder Redaktion gerichtet sind, kommen die §§ 303a StGB (Datenveränderung in Form einer Datenunterdrückung) und 274 Abs. 2 Nr. 2 StGB (Datenunterdrückung) in Betracht.[54]
Schwieriger mit dem Strafrecht zu erfassen sind pseudowissenschaftliche Zeitschriften, die eine seriöse Qualitätssicherung vortäuschen. Der auch von der DFG verwendete Name „predatory journals“ („Raubjournale“)[55] soll deutlich machen, dass derartige Publikationsorgane oft sehr aggressiv um Autorinnen und Autoren werben. Die Bezeichnung ist allerdings irreführend, denn weder wird irgendjemand „beraubt“, noch ist die aggressive Eigenwerbung Kern des wissenschaftsethischen und strafrechtlichen Vorwurfs. Es geht vielmehr um den Verzicht auf Qualitätskontrolle, der es Autorinnen und Autoren erlaubt, rasch zahlreiche „Papiere“ mit geringem oder ganz ohne wissenschaftlichen Wert zu publizieren.
Spiegeln geklonte oder andere pseudowissenschaftliche Journale ihrer Leserschaft bzw. der Wissenschaftsgemeinschaft eine Qualitätskontrolle vor, so kommt u.U. ein Betrug, § 263 StGB, in Betracht (z.B. zu Lasten von Abonnenten oder Personen, die kostenpflichtig einzelne Artikel abrufen). Wenn, was allerdings die Ausnahme sein dürfte, auch die Autoren über die Qualitätsstandards oder die wissenschaftliche Seriosität bzw. Akzeptanz der Zeitschrift getäuscht werden, kommt auch ihnen gegenüber eine Tat nach § 263 StGB in Betracht (z.B. bei der Zahlung von Zuschüssen für den Abdruck).
Schließlich ließe sich auch an einen Betrug gegenüber Datenbanken (wie Scopus oder Web of Science) denken, die derartige Zeitschriften gutgläubig in Auflistungen seriöser Zeitschriften aufnehmen. Hat eine Datenbank eine derartige Zeitschrift in ihre Auflistung aufgenommen, so wird ihr bzw. ihren Verantwortlichen meist eine Garantenstellung hinsichtlich der Qualität der gelisteten Zeitschriften zukommen.[56] Dies bedeutet, dass die Datenbank-Betreiber u.U. strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie es vorsätzlich unterlassen, pseudowissenschaftliche Journale aus ihren Listen zu entfernen (in Betracht kommt etwa eine durch Unterlassen begangene Beihilfe zum Betrug an gutgläubigen Artikelkäufern oder Abonnenten, §§ 263 Abs. 1, 27, 13 StGB).
- Ein neuer Straftatbestand zum Schutz der Integrität wissenschaftlicher Forschung?
Auch wenn nach dem bisher Ausgeführten eine Strafbarkeit von Anbietern gefälschter Studien bzw. Betreibern von Fälschungswerkstätten nach deutschem Strafrecht jedenfalls teilweise möglich ist, erscheint es angesichts der unter V. und VI. skizzierten neuen Bedrohungsszenarien nicht abwegig, über einen zusätzlichen Tatbestand zum Schutz der Integrität von Wissenschaft nachzudenken. Es handelt sich dabei um ein überindividuelles Rechtsgut, dessen strafrechtlicher Schutz besonderer Begründung bedarf.[57]
Grundsätzlich gilt, dass die Wahrheit von Aussagen, selbst die Wahrheit von Aussagen im Kontext von Wissenschaft, rechtlich nicht unter besonderem Schutz steht. Im Gegenteil: das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, schließt aus, von den Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Texte eine Wahrheitsgarantie für ihre Thesen zu verlangen.[58] Dies gilt auch deshalb, weil eine solche Garantie aus prinzipiellen Gründen nicht einzulösen wäre.[59]Man kann insofern von einem haftungsrechtlichen „Wissenschaftsprivileg“ sprechen.[60] Immerhin lässt sich fragen, ob vorsätzlich falsche Aussagen bzw. vorsätzlich nicht den wissenschaftlichen Standards entsprechend erstellte Studien dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG unterfallen sollten. Die ganz überwiegende Meinung lehnt dies zu Recht ab.[61]
Ein neuer Strafrechtstatbestand müsste zusätzlich diskutiert und legitimiert werden. Das „Wissenschaftsprivileg“, das sich auf Art. 5 Abs. 3 GG stützen lässt, steht strafrechtlichen Sanktionen für Fehlverhalten jedenfalls nicht entgegen. Der Sinn des Privilegs liegt vielmehr nur darin, „den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess von überzogenen Haftungsrisiken freizustellen, insbesondere für den Fall, dass ein Wissenschaftler (noch) nicht allgemein anerkannte Methoden einsetzen und neue Wege beschreiten will“.[62] Es existieren außerdem im Strafgesetzbuch bereits Normierungen, die für bestimmte gesellschaftliche Sonderbereiche vorsätzlich falsche Aussagen unter Strafe stellen. Dies gilt etwa für die Aussagedelikte, die falsche Aussagen, welche prinzipiell die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen könnten, [63] pönalisieren. Die Urkundendelikte erfassen Handlungsweisen, durch die der Rechtsverkehr mit Urkunden durch Täuschung über die Aussteller oder inhaltliche Verfälschungen gefährdet erscheint.[64] Auch für den Sport wurde jüngst als neues überindividuelles Rechtsgut die „Integrität des Sports“ aus der Taufe gehoben.[65]
Angesichts der überragenden Bedeutung von Wissenschaft in unserer Gesellschaft erscheint es zumindest erwägenswert, die Integrität von Wissenschaft strafrechtlich durch einen ähnlichen Sondertatbestand zu schützen. Angesichts der Vielzahl wissenschaftlicher Methoden und der unterschiedlichen Vorstellungen von integrer Wissenschaft[66] werfen die genaue Bestimmung des Rechtsguts und die Formulierung des Tatbestands allerdings schwierige Fragen auf. Denkbar wäre etwa folgender Tatbestand: „Wer wissenschaftliche Studien wissentlich grob fehlerhaft erstellt, oder derart gefälschte Studien publiziert, und auf diese Weise die Integrität der Wissenschaft gefährdet, wird … bestraft.“ Die Norm sollte als abstraktes Gefährdungsdelikt interpretiert werden.
Durch die Fokussierung auf wissenschaftliche Studien wird die Verwendung umstrittener wissenschaftlicher Methoden oder Darstellungsformen von vornherein aus dem Bereich der Strafbarkeit ausgenommen. Es wäre verfehlt, einen bestimmten Wissenschaftsstil (auch wenn er der ganz herrschenden Ansicht in den empirischen Wissenschaften entspricht), für die Gesamtheit der Wissenschaften verbindlich machen zu wollen und noch dazu durch strafrechtliche Bestimmungen zu sichern. Auch im Zeitalter von Forschungsfälschungen und professionellen Fälschungswerkstätten muss Wissenschaft ein offener Raum bleiben, in dem unterschiedliche Stile, Methoden und Darstellungsformen miteinander konkurrieren können. Dies wird durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit garantiert. Kritik an bestimmten in der Tat hochproblematischen Formen von Wissenschaft, wie sie durch „Sokal´s Hoax“[67] geleistet wurde, ist nicht nur zulässig, sondern sogar nötig; Gegenkritik ist willkommen. Die Sanktionierung abweichender Form von Wissenschaft über das Strafrecht widerspricht hingegen den Geist der Wissenschaft. Nur wer gezielt gegen wissenschaftliche Standards verstößt oder gar kommerzielle Fälscherwerkstätten betreibt, fällt aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit heraus und kann dann auch strafrechtlich sanktioniert werden.[68]
Bevor eine neue Strafnorm zum Schutz der Integrität der Wissenschaft erlassen wird, sollte außerdem überprüft werden, ob nicht die heute schon zur Verfügung stehenden strafrechtlichen Mittel ausreichen. Auch die Möglichkeiten technischer Prävention (Erkennung, Löschung) müssen viel genauer untersucht werden, als dies bislang geschehen ist. Wie stets bei der Prüfung einer Strafrechtsverschärfung de lege ferenda muss geklärt werden, ob es nicht andere, weniger einschneidende Mittel gibt, um dem Problem beizukommen. Das gilt auch und gerade bei wissenschaftlichem Fehlverhalten. Voraussetzung für eine Neupönalisierung ist zunächst eine genaue Ursachenanalyse, die hier nicht geleistet werden konnte.[69] Es spricht einiges dafür, dass der heutige Wissenschaftsbetrieb vor allem in den Naturwissenschaften, der Medizin und den Technikwissenschaften selbst Anreize schafft, gefälschte Forschungsergebnisse zu publizieren bzw. entsprechende Fälschungen in Auftrag zu geben.[70] Einschlägige Stichworte sind der enorme Publikationsdruck, die an nicht wenigen Universitäten eingeforderten Mindestpublikationszahlen und die Fixierung auf zweifelhafte szientometrische Instrumente wie den „Hirsch-Faktor“.[71] Auf der Seite der Publikationsorgane entspricht dem die unkritische Verwendung des sog. „Impact-Faktors“ als Ausweis wissenschaftlicher Bedeutung von Zeitschriften.[72]
Zu Recht schreibt Ritchie: „When we look at the overall trends in scientific practice in recent decades – the exponential proliferation of papers; the strong academic selection on publications, citations and h‑indices and grants; the obsession with impact factors and with new, exciting results; and the appearance of phenomena like predatory journals, which are of course just catering to a demand — wouldn´t it be strange if we didn‘t see such bad behavior on the part of scientists?”[73] Oder kürzer: “The system incentivises scientists not to practice science, but simply to meet its own perverse demands”.[74]
- Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen
Die Analyse wäre unvollständig, wenn nicht abschließend zumindest kurz auch auf den Schutz vor ungerechtfertigten Beschuldigungen, wissenschaftliches Fehlverhalten begangen zu haben, eingegangen würde. Ein Beispiel: X wirft dem Y bewusst wahrheitswidrig die unzulässige Nutzung von ChatGPT bei der Erstellung eines Beitrags vor, und publiziert diese Falschmeldung in einschlägigen sozialen Netzwerken. Derartige Fälle lassen sich strafrechtlich zum einen durch die Beleidigungsdelikte, insbes. durch die §§ 186 StGB (Üble Nachrede) oder 187 StGB (Verleumdung) erfassen. Hinzu treten Straftatbestände wie die Falsche Verdächtigung, § 164 StGB und das Vortäuschen einer Straftat, § 145d StGB. Zivilrechtlich ist (analog § 1004 BGB) an Unterlassungs- und an Gegendarstellungsansprüche zu denken.
Noch ein weiteres Problemfeld verdient Aufmerksamkeit: Auch wenn Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht bewusst wahrheitswidrig geäußert werden, stellen sich häufig massive verfahrensrechtliche Probleme[75]: Die Folgen öffentlicher (oft noch unbestätigter) Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens sind nicht selten unverhältnismäßig, weil die negativen Wirkungen der Publizität die Wirkung dienstrechtlicher, zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Sanktionen (wenn sie denn gerechtfertigt wären) oft weit übersteigen. Hinzu tritt die faktische Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung und anderer Grundsätze des Strafverfahrens (wie der Verpflichtung auf Wahrheitserforschung) in den sozialen Netzwerken. Auch mit Blick auf andere Fallgruppen der online-Verfolgung echten oder vermeintlichen Fehlverhaltens wird man ohne Übertreibung von einer höchst unerfreulichen „Lust an der Menschenjagd“ sprechen können.[76] Es spricht für sich, dass viele Aktivistinnen und Aktivisten in den sozialen Netzwerken anonym vorgehen. Den online Beschuldigten und Verfolgten bleiben in aller Regel keine wirksamen Möglichkeiten der Verteidigung. KI-betriebenen „Denunziations-bots“, wie sie angeblich bereits im US-Wahlkampf 2016 zum Einsatz kamen,[77] verschärfen die Problemlage weiter. Eine wirksame rechtstaatliche Kontrolle dieser Phänomene steht noch aus.
Ein neuer Straftatbestand würde an all dem voraussichtlich zunächst wenig ändern, könnte jedoch mittelfristig motivieren, die Ermittlungsarbeit fachlich geschulten Personen bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu überlassen und nicht die allzu medienwirksame Anklage über das Internet zu wählen. Hier wie überall gilt: Nur wer glaubt, gänzlich ohne Schuld zu sein, werfe den ersten Stein![78]
- Resümee
Die seit zwei Jahrzehnten immer weiter voranschreitende scientometrische Transformation der Wissenschaften hat zu neuen Formen technikgestützten wissenschaftlichen Fehlverhaltes geführt, eine Tendenz, die durch das Aufkommen und die leichte Verfügbarkeit generativer KI noch verstärkt wird. Die damit eröffneten Täuschungsmöglichkeiten haben sich offenbar stark ausgebreitet und gefährden nicht nur das Ansehen der Wissenschaft, sondern u.U. auch Leib und Leben von Menschen, etwa wenn Patienten auf der Grundlage von gefälschten Forschungsergebnissen medizinisch behandelt oder gesundheitsschädliche Lebensmittel auf den Markt gebracht werden. Es erscheint deshalb vertretbar, gegen die neuen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht nur disziplinar- und zivilrechtliche Maßnahmen zum Einsatz zu bringen, sondern auch nach strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten zu suchen. Die Analyse hat gezeigt, dass viele der einschlägigen Verhaltensweisen schon heute strafrechtlich erfasst werden können. Verbleibende Strafbarkeitslücken kann der Gesetzgeber schließen. Schon wegen der besonderen Internationalität der Problemstellung erscheinen strafrechtliche Maßnahmen jedoch nicht ausreichend. Erforderlich ist es vielmehr, auch die Problemursachen schärfer in den Blick zu nehmen und die vielfach unreflektierte Orientierung an rein szientometrischen Faktoren in der Wissenschaftsbewertung zu überdenken.
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Julius-Maxilimians-Universität Würzburg. Er ist Gründungsdirektor am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation und Mitglied des Bayerischen KI-Rats.
[1] Derzeit (31.1.2024) können sich Interessenten noch über https://chat.openai.com/auth/login bei ChatGPT einloggen.
[2] Eine der ersten fundierten Anleitungen zum Einsatz von ChatGPT an Schule und Universität stammt von Prinz. Lernen mit ChatGPT. Lernbuch und Referenz (erschienen im März 2023 im Eigenverlag); ferner Schieb/Posch, Der Digitalschock, 2023.
[3] Rieck, Schummeln mit ChatGPT: Texte verfassen mit künstlicher Intelligenz für Schule, Uni und Beruf, 2023.
[4] Dazu umfassend das DFG-Positionspapier „Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung. Herausforderungen und Handlungsfelder (Mai 2022), unter https://www.dfg.de/de/aktuelles/neuigkeiten-themen/info-wissenschaft/2022/info-wissenschaft-22–37.
[5] Hilgendorf, Die Juristischen Fakultäten in Deutschland und die jüngsten Universitätsreformen: Skeptische Anmerkungen zu Bologna, Exzellenzinitiative und der Ökonomisierung der Universitäten, in: Hilgendorf/Eckert (Hrsg.), Subsidiarität, Sicherheit, Solidarität. Festgabe für Franz-Ludwig Knemeyer zum 75. Geburtstag, 2012, S. 559 – 580 (574 ff.).
[6] Ein Zitationsindex (auch: Zitationsdatenbank) gibt Aufschluss darüber, wie oft eine Publikation in anderen Publikationen zitiert wird. Für Disziplinen wie die Jurisprudenz, in der regelmäßig auch abgelehnte Ansichten zitiert werden („anderer Ansicht …“) sind derartige Indizes wenig sinnvoll. Ein bekannter Zitationsindex ist etwa Google Scholar.
[7] Der „Impact-Faktor“ soll die Bedeutung einer wissenschaftlichen Zeitschrift markieren, indem angegeben wird, wie häufig Publikationen dieser Zeitschrift während eines bestimmten Zeitraums in anderen Zeitschriften zitiert wurden.
[8] Der “Hirsch-Faktor”, benannt nach einem 2005 formulierten Vorschlag des Physikers Jorge E. Hirsch, gibt an, wie häufig Publikationen eines bestimmten Autor bzw. einer Autorin zitiert werden, und zwar bezogen auf die Zahl der Publikationen. Der Hirsch-Faktor x ist die größte Zahl, für die gilt: x Publikationen eines Autors wurden xmal zitiert. Beispiel: Hat man 5 Arbeiten publiziert, die jeweils 5mal zitiert wurden, besitzt man Hirsch-Faktor 5, wurden 10 Arbeiten je 10mal zitiert, ist der Hirsch-Faktor 10 usw. Das Modell setzt offenkundig die Digitalisierung von Texten und ihre Erfassung durch entsprechende Suchmaschinen voraus.
[9] „When a measure becomes the target, it ceases to be a good measure” (Goodhart´s law), nach Ritchie, Science Fictions. Exposing Fraud, Bias, Negligence and Hype in Science, 2020, S. 192.
[10] Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), S. 7.
[11] So aber Reich, Die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, in: WissR 49 (2016), S. 152.
[12] Schulze-Fielitz, in Löwer/Gärditz (Hrsg.), Wissenschaft und Ethik, 2012, S. 1 ff. Siehe auch die „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der DFG unter https://www.dfg.de/resource/blob/173732/4166759430af8dc2256f0fa54e009f03/kodex-gwp-data.pdf.
[13] Dazu näher unten IV. — VI.
[14] Böse, Die „gekaufte“ Publikation, in: WissR 53 (2020), S. 435 — 458; Goeckenjahn, „Wissenschaftsbetrug“ als Straftat“, in: JZ 2014, S. 723 – 732; Jerouschek, Strafrechtliche Aspekte des Wissenschaftsbetruges, in GA Bd. 146 (1999), S. 416 – 442; Kudlich, Die strafrechtliche Bewertung des Wissenschaftsplagiates, in: Dreier/Ohly (Hrsg.), Plagiate: Wissenschaftsethik und Recht, 2012, S. 117 – 133; Ottemann, Wissenschaftsbetrug und Strafrecht: zu Möglichkeiten der Sanktionierung von Fehlverhalten in der Wissenschaft, 2006.
[15] Manche sehen die Wissenschaft sogar schon jetzt beschädigt, etwa Siegel/Daumüller, Ist das Vertrauen in die Wissenschaft dahin? Betrug und Fehlverhalten in den Wissenschaften, in: dies. (Hrsg.), Wissenschaft und Wahrheit. Ursachen, Folgen und Prävention wissenschaftlichen Fehlverhaltens, 2020, S. 11 — 22.
[16] Man wird in diesem Zusammenhang daran erinnern dürfen, dass auch die Rechtswissenschaft in Teilen der angelsächsischen Welt nicht als „science“ gilt, was ihrer Akzeptanz an den Universitäten aber nicht geschadet hat.
[17] Dazu Sokal/Bricmont, Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen, 2001. Der Titel „Eleganter Unsinn“ ist unglücklich gewählt; die 1997 erschienene französische Originalausgabe trägt den Titel „Impostures Intellectuelles“; die 1998 erschienene englischsprachige Ausgabe spricht von „Fashionable Nonsense“. Zum Ganzen auch Sokal, Beyond the Hoax. Science, Philosophy and Culture, 2008.
[18] Umfassend Kürschner (Hrsg.), Alternative Fakten, Fake News und Verwandtes, 2019; ferner Hendricks/Vestergaard, Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien, 2018; Hilgendorf, Follow the Science? Wissenschaft, Pseudo-Wissenschaft und Recht, in: ders. u.a. (Hrsg.), Liberalität und Verantwortung. Festschrift für Jan C. Joerden zum 70. Geburtstag, 2023, S. 91 – 107.
[19] Albert, Traktat über kritische Vernunft, 1991, S. 49.
[20] Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 42; zur Rolle der Phantasie Hilgendorf, Kreativität, Phantasie und geistige Offenheit im Kontext des Kritischen Rationalismus, in: Gadenne/Neck (Hrsg.), Hans Albert und der Kritische Rationalismus. Festschrift zum 100. Geburtstag von Hans Albert, 2021. S. 279 — 296.
[21] In anderen Worten: Die Wirklichkeit entspricht nicht immer dem Ideal. Deshalb stehen (normative) Wissenschaftstheorie und (deskriptive) Wissenschaftssoziologie zueinander nicht in einem Gegensatz, sondern ergänzen einander.
[22] Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 36: „Alle Sicherheiten in der Erkenntnis sind selbstfabriziert und damit für die Erfassung der Wirklichkeit wertlos“. Ein Beispiel für eine „selbstfabrizierte“ Wahrheit ist die Aussage: „Ein Schimmel ist ein weißes Pferd.“ Dieser Satz bildet eine analytische Wahrheit, beruht allerdings nur auf einer Konvention bzw. Festsetzung.
[23] Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass jedes „Konstrukt“ gleichwertig ist, wie dies manche Denker der „Postmoderne“ suggerieren. Vielmehr lassen sich begriffliche Konstrukte hinsichtlich ihrer Problemlösungskraft unterscheiden und kritisieren, dazu Hilgendorf, FS Joerden (Fn. 18), S. 103 ff.
[24] Siehe Ritchie, Science Fictions (Fn. 9). S. 10 und passim.
[25] Weingart, Wissenschaftssoziologie, 2003, S. 7 ff.
[26] Doll, Fälschung und Fake. Zur kritischen Dimension des Täuschens, 2. Aufl. 2015; speziell zu Täuschungen über die eigene Urheberschaft Bung/Gruber/Kühn (Hrsg.), Plagiate, Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, 2011.
[27] https://www.dfg.de/resource/blob/289674/ff57cf46c5ca109cb18533b21fba49bd/230921-stellungnahme-praesidium-ki-ai-data.pdf.
[28] Stellungnahme (Fn. 27), S. 2
[29] A.a.O., S. 2. Weiter heißt es: „Daraus folgt nach aktueller Einschätzung, dass der Einsatz von generativen Modellen bei der Antragstellung bei der DFG im Prozess der Begutachtung, Bewertung und Entscheidung als solcher grundsätzlich weder positiv noch negativ zu bewerten ist. Bei der Erstellung von Gutachten ist der Einsatz von generativen Modellen mit Blick auf die Vertraulichkeit des Begutachtungsverfahrens unzulässig. Zur Begutachtung bereitgestellte Unterlagen sind vertraulich und dürfen insbesondere nicht als Eingabe für generative Modelle genutzt werden“ (ebenda).
[30] Seine für die heutige Wissenschaft klassische Ausarbeitung erfuhr das wissenschaftliche Ethos durch Robert K. Merton, Die normative Struktur der Wissenschaft (1942), in: Merton, Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie. Mit einer Einleitung von Nico Stehr, 1985, S. 86 – 97, dazu Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 25), S. 15 — 22. Aktuelle Anthologien zu den Standards guter Wissenschaft sind Spieker/Manzeschke (Hrsg.), Gute Wissenschaft. Theorie, Ethik und Politik, 2017, und Miller/Valeva/Prieß-Buchheit (Hrsg.), Verlässliche Wissenschaft. Bedingungen, Analysen, Reflexionen, 2022.
[31] Zur Bedeutung von Wissenschaft für die moderne Gesellschaft Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 25), S. 8 f.
[32] Sabel, How criminal science publishing gangs damage the genesis of knowledge and technology – a call to action to restore trust, in: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8514363.
[33] Brainard, New tools show promise for tackling paper mills, in: Science vom 12. May 2023, https://www.science.org/content/article/fake-scientific-papers-are-alarmingly-common, S. 569. Zum Problem der „paper mills“ auch Nature vom 25.3.2021, S. 516 ff. und ausführlich Sabel, Fake publications in Biomedical Science: Red-flagging Methods indicates Mass Production, in: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.05.06.23289563v2.full.pdf.
[34] Brainard, Paper mills (Fn. 33), S. 568 unter Berufung auf Untersuchungen Bernhard Sabels.
[35] Paper Mills. Research report from Cope & STM, https://publicationethics.org/sites/default/files/paper-mills-cope-stm-research-report.pdf, S. 10.
[36] Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 286, 319.
[37] Pressemitteilung des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) vom 6.8.2012, https://www.verbaende.com/news/pressemitteilung/kempen-wissenschaftsbetrug-ist-kriminell-dhv-fuer-einfuehrung-eines-straftatbestandes-wissenschaftsbetrug-85058.
[38] Goeckenjan, JZ 2014, S. 729. Weiterführend Hartmer/Kudlich, Wissenschaftsbetrug als Straftat?, DRiZ 2013, 360 f.
[39] Zu letzteren oben VI.
[40] Sie wird definiert als jede „Handlung, Duldung oder Unterlassung, die unmittelbar vermögensrelevant ist“, näher Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (AWHH) — Heinrich, Strafrecht Besonderer Teil. Lehrbuch, 4. Aufl. 2021, § 20 Rn. 69 ff.
[41] Zur Figur der Zweckverfehlung in der Betrugsdogmatik Kindhäuser/Hilgendorf, Lehr- und Praxiskommentar Strafgesetzbuch (LPK), 9. Aufl. 2022, § 263 Rn. 166 ff.
[42] Problematisierend Goeckenjan, JZ 2014, S. 726.
[43] Zu § 156 StGB Goeckenjan, JZ 2014, S. 727 (gefälschte Promotions- und Habilitationsarbeiten).
[44] Zu den urheberrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Forschungsfälschungen Bernzen in diesem Heft.
[45] Dazu Seckelmann in diesem Heft.
[46] Die DFG bezeichnet dieses Vorgehen als „predatory publishing“, vgl. Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), Abschnitt 2.3.
[47] Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 129 Rn. 6 ff.
[48] Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 129 Rn. 11.
[49] BayObLG NStZ 1992, 281 (282); Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 9 Rn. 14.
[50] Analog zum „Toeben-Fall“ BGHSt 46, 212, dazu Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, § 2 Rn. 21.
[51] Betrug ist nur die irrtumsbedingte Vermögensverschiebung durch eine Verfügung des Opfers. Bei der Vermögensverfügung handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, siehe Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 263 Rn. 10.
[52] Dazu oben VI. am Ende.
[53] Zur Anwendbarkeit des Urkundenstrafrechts auf online-Publikationen AWHH-Heinrich (Fn. 40), § 32 Rn. 6 ff.
[54] Zum Verhältnis von § 303a zu § 274 Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Fn. 41), § 303a Rn. 12.
[55] Wissenschaftliches Publizieren (Fn. 4), Abschnitt 2.3; so auch Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 184 f.
[56] Näher zu den Garantenstellungen beim Betrug Kindhäuser/Hilgendorf, LPK (Rn. 41), § 263 Rn. 89 ff.
[57] Zu den Rechtsgütern der Allgemeinheit und ihrem Verhältnis zum Individualschutz AWHH-Hilgendorf (Fn. 40), § 1 Rn. 26 ff.
[58] Dies ergibt sich schon aus dem Wissenschaftsverständnis der Verfassung, wonach Wahrheit nicht aufgedeckt, sondern gesucht wird, vgl. Wendt, Art. 5 Abs. 3 Rn. 156, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 7. Aufl. 2021.
[59] Zur die heutige Wissenschaft prägenden Position des Fallibilismus ausführlich Albert, Traktat über kritische Vernunft (Fn. 19), S. 43 f.; 227 f. und passim.
[60] Böse, Die „gekaufte“ Publikation, WissR 53 (2020), S. 52.
[61] BVerfGE 90, 1, 13; Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 479.
[62] Böse, WissR 53 (2020), S. 52.
[63] AWHH-Hilgendorf (Fn. 40), § 47 Rn. 2 ff.
[64] AWHH-Heinrich (Fn. 40), § 30 Rn. 1 ff.
[65] Dazu kritisch Kusche, Die Strafbarkeit des Selbstdopings, 2020, Teil 3.
[66] Die die oben Fn. 30 genannten Sammelbände.
[67] Siehe oben Fn. 17 und 18.
[68] Böse, WissR 53 (2020), S. 52.
[69] Siehe aber die Arbeiten oben Fn. 32 und 33.
[70] So schon Goeckenjan, JZ 2014, S. 725.
[71] Siehe oben Fn. 8.
[72] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 192 f.
[73] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 194.
[74] Ritchie, Science Fictions (Fn. 9), S. 177.
[75] Hilgendorf, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der Demokratie, in: Lotter (Hrsg.), Probleme der Streitkultur in Demokratie und Wissenschaft, 2023, S. 21–37 (31 f.).
[76] Besonders deutlich wurden diese Tendenzen bei der Verfolgung des „Drachenlords“ (mit bürgerlichem Namen Rainer Winkler), einem Webvideo-Aktivisten, der von seinen „Hatern“ nicht nur im Internet, sondern auch physisch gedemütigt und verfolgt wurde, dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Drachenlord.
[77] Der Übergang zu „fake news“ ist fließend; umfassend Hendricks/Vestergaard, Postfaktisch (Fn.18), S: 7 ff., 109 ff. und passim.
[78] Das Gebot der Zurückhaltung lässt sich auch damit begründen, dass sich die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht nur von Disziplin zu Disziplin unterscheiden, sondern auch in historischer Perspektive wandeln. Hinzu kommt, dass in Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens häufig nicht ganz unproblematische persönliche Motive eine Rolle zu spielen scheinen, von persönlicher Aversion bis hin zur Geltungssucht. In jüngster Zeit zeichnet sich ab, dass „Überprüfungsaufträge“ auch gegen Geld vergeben werden, oft aus politischen Gründen, um den politischen Gegner zu diskreditieren – semper aliquid haeret. Im Extremfall treten „Überprüfungsagenturen“ von sich aus mit Kontrollangeboten an finanzstarke Stellen heran und bieten an, Gegner „wissenschaftlich“ zu denunzieren. Dass auch die damit angesprochenen Tendenzen in hohem Maße wissenschafts- gefährdend sind, wird man kaum abstreiten können. Noch problematischer sind „Einschüchterungseffekte“, die eintreten, wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Furcht vor Denunziation und online-Hetze politisch heikle Themen meiden. Ein erster rechtspolitischer Schritt könnte darin liegen, dass Universitäten anonyme Beschuldigungen nicht zulassen und Klarnamen verlangen, bevor wissenschaftsinterne Ermittlungen beginnen.
n verlangen, bevor wissenschaftsinterne Ermittlungen beginnen.