I. Notwendigkeit der wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Transformation zur Nachhaltigkeit
1. Ursachen des Handlungsbedarfs
Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht neu. Im Laufe der wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Diskussion über die Notwendigkeit von mehr nachhalti- gem Handeln in einem gesamtgesellschaftlichen, wirt- schaftlichen und politischen Kontext wurde der Nach- haltigkeitsbegriff inhaltlich weiterentwickelt und lau- fend ergänzt. So setzte sich nach dem »Erdgipfel« der UN in Rio de Janeiro 1992 in der politischen Diskussion ein Nachhaltigkeitsverständnis durch, das neben einer ökologischen auch eine soziale und ökonomische Dimension berücksichtigt. Im Ergebnis sollte sich damit gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln am Erreichen eines Gleichgewichtes zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Interessen orientieren. Die- ser »Dreiklang« hat sich in der weiteren politischen Dis- kussion durchgesetzt und war auch Grundlage für den „Green Deal“ der Europäischen Union sowie der Nach- haltigkeitsagenda der Bundesregierung.1 Die Erweite- rung des Begriffs entstand aus der Erkenntnis, dass die anhaltende Globalisierung massive Risiken für das fried- liche Zusammenleben der Menschen haben wird, wenn nicht gegengesteuert wird. UN-Generalsekretär Kofi Annan befürchtete aufgrund dieser Entwicklung sogar eine zunehmende Fragilität für die Weltordnung. Denn nach seiner Überzeugung führte die Globalisierung zu einem dauerhaften und weltweiten Ungleichgewicht in ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und damit auch in politischen Fragen. In letzter Konsequenz sah er die Stabilität der Weltengemeinschaft in Gefahr.2
Ein Blick auf zentrale ökologische und gesellschaftli- che Bereiche zeigt, dass sich trotz der bereits zur Jahrtau- sendwende vorhandenen Erkenntnisse die Situation weiter verschlechtert hat. So sind die Treibhausemissio-
- 1 Vgl. Europäische Kommission, Europäischer Grüner Deal (eu- ropa.eu); Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie — Neuauflage 2016, Berlin, April 2017.
- 2 Vgl. Annan, Kofi, „Wir, die Völker: Die Rolle der Vereinten Natio- nen im 21. Jahrhundert“, New York, 27.3.2000.
- 3 Vgl. UNESCO, Weltwasserbericht der Vereinten Nationen 2020 — Wasser und Klimawandel, Perugia, 2020; Secretariat of the
nen vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2020 um 40 % auf 35 Mrd. Tonnen pro Jahr angestiegen. Auch der Ressour- cenverbrauch ging ungebremst weiter. Ebenso ist beim Wasser die Entwicklung besorgniserregend. Seit dem Jahr 2000 sind die Süßwasserressourcen pro Kopf welt- weit um 20 % rückläufig. Und im Bereich Biodiversität ist ebenfalls ein nahezu ungebremster Verlust an biologi- scher Vielfalt mit all seinen Folgen für z.B. die Ernäh- rung der Menschheit zu beobachten.3 Auch im Bereich Gesellschaft und Sozialsystem sind negative Entwicklun- gen zu beobachten. Das gilt für die anhaltenden Verstö- ße gegen die Menschenrechte sowie für das hohe Niveau an Arbeitnehmerrechtverletzungen weltweit. Außerdem nimmt weltweit die Korruption weiter zu. Aus dieser entstehen den Volkswirtschaften Schäden in Höhe von 1 %-4 % ihrer jährlichen Bruttowirtschaftsleistung.4
2. Nachhaltigkeit als globale Aufgabe
Diese Entwicklungen haben unmittelbare Auswirkun- gen auf das Zusammenleben der Menschheit, die an Grenzen nicht Halt machen. Das gilt insbesondere für den Klimawandel und die damit einhergehende Erder- wärmung, den Verlust der Biodiversität mit seinen Fol- gen für die Ernährungssicherheit der Menschheit und auch die Wasserknappheit. Aus diesem Grunde haben die Vereinten Nationen neben ihrer ursprünglichen Auf- gabe der Sicherung des weltweiten Friedens, der Einhal- tung der Menschenrechte und der Bekämpfung der Armut, die Stabilisierung und Sicherung des weltweiten Ökosystems zu ihrer Aufgabe gemacht.5
II. Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen
1. Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen
Im Jahr 2000 verabschiedete die Weltgemeinschaft auf dem Millennium-Gipfel in New York zunächst die sog.
Convention on Biological Diversity, Global Biodiversity Outlook 5
SUMMARY FOR POLICYMAKERS, Montreal, 2020.
4 Vgl. zu den Schäden durch Korruption: Enste, Dominik, Folgen
von Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in: APuZ,
7.5.2021.
5 Vgl. Annan, Kofi, „Wir, die Völker: Die Rolle der Vereinten Natio-
nen im 21. Jahrhundert“, New York, 27.3.2000.
Felix Zimmermann
Hochschulen und Nachhaltigkeit: Stand und Perspektiven
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
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»Millennium Development Goals« (MDG) der Verein- ten Nationen. Die acht formulierten Entwicklungsziele konzentrierten sich mit konkreten Zielvorgaben für das Jahr 2015 auf die weltweite Bekämpfung der Armut, den Erhalt des Friedens sowie den Schutz der Umwelt.6 Auch wenn im Zeitraum bis 2015 erhebliche Fortschritte in den Handlungsfeldern der MDGs erzielt werden konn- ten, wurden im Jahr 2015 mit den SDG neue und weit umfangreichere Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis zum Jahr 2030 vereinbart. Im Gegensatz zu den Mill- ennium-Zielen, die primär auf die Entwicklungsländer ausgerichtet waren, wurden die SDGs nun für alle Nati- onen der Welt entwickelt.
Die SDGs umfassen insgesamt 17 Ziele mit 169 Ziel- vorgaben und konzentrieren sich erstmals weltweit in gleicher Weise auf soziale, ökonomische und ökologi- sche Handlungsfelder. Primärer Adressat der SDGs sind die nationalen Regierungen. Ihnen obliegt es, entspre- chende Maßnahmen in ihren Ländern zu ergreifen, um ihren Beitrag bis 2030 zu erreichen. Ebenso wie im Pari- ser Abkommen soll damit den Ländern die Möglichkeit eingeräumt werden, bei der Erarbeitung ihrer Agenden die aktuelle Situation des eigenen Landes zu berücksich- tigen, ohne das Gesamtziel aus den Augen zu verlieren. In regelmäßigen Abständen müssen die Länder auch hier einen Fortschrittsbericht bei der UN vorlegen.7 So bildeten die SDGs die Grundlage für die Deutsche Nach- haltigkeitsstrategie, welche die Bundesregierung im Ja- nuar 2017 verabschiedet hat und über deren Umsetzung sie regelmäßig berichtet.8
2. Pariser Abkommen
Im Dezember 2015 haben sich 195 Staaten auf das Pariser Abkommen als Nachfolge des Kyoto-Protokolls geeinigt. Darin verpflichteten sich die Unterzeichner, alle Anstren- gungen zu unternehmen, um insbesondere durch die Reduktion der Treibhausgasemissionen die Erderwär- mung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (1850 bis 1900) auf deutlich unter 2 Grad Celsius (möglichst 1,5 Grad Celsius) zu beschränken. Ferner verpflichteten sich die Staaten dazu, mit geeigneten Maßnahmen die nega- tiven Folgen des bereits zu beobachtenden und noch zu erwartenden Klimawandels zu mindern. Dazu zählen sowohl Maßnahmen in den vom Klimawandel bereits stark betroffenen Ländern der Erde als auch Vorsichts- maßnahmen in den bisher weniger betroffenen Regio-
- 6 Vgl. United Nations (UN), Millennium Development Goals.
- 7 Vgl. UN, The Sustainable Development Goals Report 2022.
- 8 Vgl. Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie — Neu-auflage 2016, Berlin, April 2017.
nen. Damit sollte die Widerstandsfähigkeit gegenüber weiterer Klimaveränderung gestärkt werden. Und schließlich wurde festgelegt, dass eine Vereinbarkeit der Finanzmittelströme mit den Klimazielen erreicht wer- den soll. Sowohl öffentliche als auch private Finanzmittel sollen künftig in treibhausgasarme und die Widerstands- fähigkeit stärkende Aktivitäten »gelenkt« werden. Dazu zählt die finanzielle Unterstützung von Entwicklungs- ländern durch die Industrieländer bei der Bewältigung der Folgen des bereits erfolgten Klimawandels, als auch die Stärkung der Resilienz dieser Länder gegenüber noch zu erwartenden Klimaveränderungen. Das Pariser Abkommen trat als völkerrechtlicher Vertrag im Novem- ber 2016 in Kraft.9
Am 26. Oktober 2022 haben die Vereinten Nationen die ersten zusammengefassten Ergebnisse der vorgeleg- ten Nationally Determined Contributions Reports (NDC-Reports) von 193 Ländern veröffentlicht. Danach steigen die CO2-Emissionen weltweit bis 2030 auf ein Niveau, welches um 10,6 % über dem des Jahres 2010 liegt. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken, bedarf es aber ei- ner Reduktion der CO2-Emissionen um rund 45 % im Jahr 2030 gegenüber 2010. Die in den NDC-Reports fest- gelegten Ziele würden somit die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts nur auf 2,5 Grad Celsius begren- zen. Mit diesem Ergebnis wurde deutlich, dass die bishe- rigen Anstrengungen und Pläne der Nationalstaaten nicht ausreichen, um die angestrebte Begrenzung der Erderwärmung zu erreichen.10
3. Green Deal der EU
Die Europäische Union hat mit dem Green Deal im Jahr 2019 ihr Konzept zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen vorgelegt. Dabei handelt es sich nach Auffassung der Europäischen Kommission um eine Wachstumsstrategie mit dem Ziel, die CO2-Emissi- onen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um 50 % zu reduzieren. Im Jahr 2020 setzte die Kommission im Rahmen ihrer Initiative »Fit for 55« das Redukti- onsziel für das Jahr 2030 bei 55 % fest. Bis zum Jahr 2050 sollen dann die Nettoemissionen von Treibhausgasen in der EU auf null reduziert werden. Mit diesen ehrgeizigen Zielen will die EU weltweiter Vorreiter beim Klima- schutz und erster klimaneutraler Kontinent werden.11
9 Vgl. Klimaabkommen von Paris | BMZ.
10 Vgl. UN, The Sustainable Development Goals Report 2022.
11 Vgl. „Fit für 55“ – Der EU-Plan für den grünen Wandel — Consili-
um (europa.eu).
Zimmermann · Hochschulen und Nachhaltigkeit: Stand und Perspektiven 5 9
Um die Ziele der SDG, des Pariser Klimaabkommens und des Green Deals zu erreichen, bedarf es massiver Anstrengungen für eine gesellschaftliche und wirtschaft- liche Transformation.
III. Die Treiber der notwendigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation
1. Internationale Organisationen
dards (ESRS)16 zur Berichterstattung fördern die Trans- parenz und machen den Fortschritt entlang der Kriteri- en Environmental, Social und Governance (ESG) mess- und steuerbar. Hier ist zu beobachten, dass die Unternehmen diese gestiegenen Anforderungen zuneh- mend auch als Chance begreifen und durch den Wettbe- werb untereinander der Transformationsprozess an Fahrt gewinnt.17
4. Bildung
Schließlich ist die Bildung ein wesentlicher Treiber für das Erreichen der SDGs. Dies umfasst sowohl die früh- kindliche Bildung, die Ausbildung an den Schulen als auchdieForschungundLehreandenHochschulen.Nur eine entsprechend ausgebildete Bevölkerung versteht die Notwendigkeit der Transformation und kann entspre- chend ihr jeweils individuelles Verhalten verändern bzw. bei der Erforschung neuer Lösungen zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ihren Beitrag leis- ten. Diesen Zusammenhang hat die UN bereits sehr früh erkannt.
IV. Hochschulen als zentrales Element nachhaltiger Entwicklung in der Bildung
1. Das UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Zeitgleich zu der Verabschiedung der SDGs durch die UN wurde im Jahr 2015 das UNESCO-Weltaktionspro- gramm Bildung für nachhaltige Entwicklung gestartet. Ziel des Programms war, eine systemische Veränderung des Bildungssystems zu erreichen, um entsprechende Strukturen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklun- gen zu schaffen. Das Programm hatte eine Laufzeit von 5 Jahren. Im Jahr 2020 startete die UNESCO in Berlin das Nachfolgeprogramm „Bildung für nachhaltige Entwick- lung: Die globalen Nachhaltigkeitsziele verwirklichen“ (kurz BNE: 2030). Ziel dieses Programms ist, eine welt- weiteVerankerungvonBNEinallenBildungsbereichen bis 2030 zu erreichen, um damit einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der SDGs zu leisten.18
Das Programm umfasst ähnlich zu dem ersten Pro- gramm von 2015 fünf „Prioritäre Handlungsfelder“, um das gesetzte Ziel auch zu erreichen:
15 CSRD: Corporate Sustainability Reportig Directive.
16 ESRS: European Sustainability Reporting Standards.
17 Vgl. Zimmermann, Felix, ESG-Made in Germany, Freiburg, 2023. 18 Vgl. UNESCO: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Paris/Bonn,
2021.
Die UN hat mit der Entwicklung der SDG eine zentrale Rolle bei der Setzung von Nachhaltigkeitszielen über- nommen. Sie sind hinreichend konkret und messbar und für alle Länder der Welt relevant. Das regemäßige Berichtswesen auf Grundlage einheitlicher Standards macht den Fortschritt für jedes Land weltweit transpa- rent und zeigt den Handlungsbedarf für weitere Anstren- gungen konkret auf.12 Es fördert damit die Aktivitäten der jeweiligen Regierungen, ihren Beitrag zur Errei- chung der Ziele im Rahmen der SDGs zu leisten.
2. Nationale Regierungen
Die nationalen Regierungen haben auf Grundlage der SDGs in der Regel eine konkrete und spezifische Nach- haltigkeitsstrategie für ihr Land entwickelt. So hat die Bundesregierung im Jahr 2016 eine Neuauflage ihrer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt.13 In ihr bekennt sie sich ausdrücklich zu den Zielen der SDGs und stellt pro SDG ihre Ziele und geplanten Maßnah- men vor. Auch hier erfolgt ein regelmäßiges Tracking der Fortschritte und deren Veröffentlichung.14
3. Wirtschaft
Der erwartete Beitrag der Wirtschaft zur Transformati- on hin zu mehr Nachhaltigkeit wird insbesondere auf EU-Ebene formuliert. Grundlage hierfür ist der Green Deal der EU, der konkrete Ziele und Maßnahmen for- muliert. Der Erlass entsprechender Richtlinien, Gesetze und delegierter Rechtsakte setzt den Rahmen für das zukünftige wirtschaftliche Handeln innerhalb der EU. Neben zahlreichen branchen- und fachspezifischen Richtlinien kommt hier dem Kapitalmarkt durch die „Lenkung“ von Finanzmitteln in nachhaltige Investitio- nen eine besondere Transformationsfunktion zu. Aber auch die Richtlinien zur zukünftigen Nachhaltigkeitsbe- richterstattung (CSRD)15 sowie die entsprechenden Stan-
- 12 Vgl. UN, The Sustainable Development Goals Report 2023.
- 13 Vgl. Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Neu-auflage 2016, Berlin 2016.
- 14 Vgl. Statistisches Bundesamt, www.sdg-indikatoren.de, zuletztabgerufen am 31.10.2023.
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- Unterstützung durch die Politik: Ziel ist es hier, die wesentlichen politischen Akteure auf globaler, nati- onaler und auch lokaler Ebene für die Verankerung von BNE in den Bildungseinrichtungen zu gewin- nen.
- Ganzheitliche Transformation von Lernumge- bungen: Dieses Handlungsfeld zielt darauf ab, die gesamtenBildungseinrichtungenandenPrinzipien einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Das betrifft sowohl die Betriebsabläufe und Ausstattung der Einrichtungen als auch die Lerninhalte und die entsprechenden Methoden der Vermittlung.
- Kompetenzentwicklung von Lehrenden: Ziel die- ses Handlungsfeldes ist die Vermittlung von Kennt- nissen, Fähigkeiten, Werten und Verhaltensweisen an Lehrende, um die nachhaltige Selbstwirksamkeit der Lernenden zu fördern.
- Stärkung und Mobilisierung der Jugend: Mit die- sem Handlungsfeld sollen insbesondere die jünge- ren und nachfolgenden Generationen als die Betrof- fenen der derzeitigen Entwicklung adressiert wer- den. Dies betrifft sowohl die Entwicklung von Lösungen für Nachhaltigkeitsherausforderungen, als auch die Veränderungen des Verhaltens.
- Förderung nachhaltiger Entwicklung auf lokaler Ebene: Dieses Handlungsfeld fördert die aktive Zusammenarbeit zwischen Gemeinwesen und Bil- dungseinrichtungen, damit aktuellste Erkenntnisse und Methoden nachhaltiger Entwicklungen auch vor Ort genutzt werden können.192. Der nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige EntwicklungIn Deutschland ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) federführend bei der Umset- zung des UNESCO Programms BNE 2030. Die Bundes- regierung unterstützte die Bildungsinitiativen der UNESCO von Anfang an. Zusammen mit über 300 Organisationen und Institutionen soll auf Grundlage des „Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Ent- wicklung“ („NAP BEN“) das Thema BEN strukturell im deutschen Bildungssystem verankert werden.20Wichtiges Element der Umsetzung ist die Schaffung eines leistungsfähigen Partnernetzwerkes von Bildungs- akteurinnen und ‑akteuren aus allen gesellschaftlichen Bereichen und über alle politischen Ebenen hinweg. Die Partnernetzwerke sind inhaltlich in sieben Fachforen
- 19 Vgl. Ebd., S. 25–34.
- 20 Vgl. Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Bildungfür nachhaltige Entwicklung – 19. Legislaturperiode, Berlin.
- 21 21 Vgl. Ebd., S. 117 ff.
- 22 Vgl. HOCH‑N: Nachhaltigkeitsverständnis des Verbundprojekts
aufgeteilt. Neben den frühkindlichen Bildungseinrich- tungen, den Schulen, den beruflichen Bildungseinrich- tungen u.a. bilden auch die Hochschulen ein Fachforum.
Im Rahmen der Verankerung von BNE an den Hoch- schulen konzentrieren sich die Aktivitäten unter Be- rücksichtigung der jeweiligen Länderinteressen und ‑nachhaltigkeitsstrategien auf fünf Handlungsfelder (HF):
• HF 1: „Finanzierungs- und Anreizsysteme der Hochschulen auf inhaltliche und strukturelle Nach- haltigkeit und BNE ausrichten“,
• HF 2: „Forschung und BNE systematisch anhand von Qualitätskriterien verknüpfen“,
• HF 3: „Eine diversifizierte Hochschullandschaft mit unterschiedlichen BNE-Pfaden sowie BNE-Pioniere und „Second Follower“ fördern“,
• HF 4: „Studierende und Absolventinnen und Absol- venten als zentrale Gestalterinnen und Gestalter nachhaltiger Entwicklung“,
• HF 5: „Transformative Narrative für BNE entwi- ckeln“.21
Innerhalb dieser Handlungsfelder gibt es zahlreiche Pro- jekte und Initiativen, die die Verankerung von BNE an den Hochschulen in den Bereichen Forschung, Lehre und Transfer vorantreiben sollen. Exemplarisch sei hier die Sustainability in Science Initiative (SISI) des BMBF erwähnt. Sie hat zum Ziel, die forschungsorientierte Lehre für Nachhaltigkeit an den Hochschulen zu för- dern. Im Rahmen von SISI ist weiter das Projekt „Nach- haltigkeit an Hochschulen“ (HOCH‑N) ins Leben geru- fen worden. In diesem Netzwerk sind rund ein Drittel aller deutschen Hochschulen vertreten. Ziel von HOCH- N ist es, ein gemeinsames Grundverständnis zum Thema Nachhaltigkeit an den Hochschulen zu entwickeln und dieses für die Bereiche Forschung, Lehre, Betrieb, Trans- fer und Governance zu operationalisieren.22
Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung eines hoch- schulspezifischen Standards für die Nachhaltigkeitsbe- richterstattung. Die hochschulspezifische Version des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (HS-DNK) umfasst 20 Kriterien, über die nach dem „comply or explain-An- satz“ zu berichten ist. Die Kriterien betreffen die Berei- che Strategie, Prozessmanagement, Umwelt und Gesellschaft.23
Ähnlich zum Umsetzungsstrang in der Wirtschaft besteht also auch im Bereich der Bildung eine Zuord-
HOCH‑N, 16. Januar 2020.
23 Vgl. Deutscher Nachhaltigkeitskodex, https://www.deutscher-
nachhaltigkeitskodex.de/de/bericht/fuer-hochschulen/, zuletzt abgerufen am 6.12.2023.
Zimmermann · Hochschulen und Nachhaltigkeit: Stand und Perspektiven 6 1
nung von Verantwortlichkeiten, Zielen und Maßnah- men über die unterschiedlichen politischen Ebenen hin- weg. Während bei der Wirtschaft die Kaskade bei den SDGs und dem Pariser Klimaabkommen startet und sich über den Green Deal der EU in einzelnen Richtlini- en bis hin zu klaren Standards in der Nachhaltigkeitsbe- richterstattung manifestiert, startet im Bereich Bildung die Kaskade zwar auch bei den SDGs und dem Pariser Klimaabkommen, verzweigt sich dann jedoch über das UNESCO Weltaktionsprogramm Bildung für nachhalti- ge Entwicklung direkt auf Initiativen auf Bundesebene und Landesebene. Hochschulen kommt hier aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für Forschung, Lehre und Transfer eine besondere Bedeutung zu.
3. Auswirkungen des besonderen Status der Hochschu- len im Bildungssystem
Hochschulen sind in Deutschland in der Regel als rechts- fähige öffentlich-rechtliche Körperschaften organisiert und haben das Recht auf Selbstverwaltung. Sie sind staatliche Einrichtungen und wirtschaften mit zur Ver- fügung gestellten Landesmitteln und von ihnen einge- worbenen Drittmitteln. Sie unterstehen der Aufsicht des jeweils zuständigen Ministeriums auf Landesebene. Hierbei finden die Landeshochschulgesetze Anwen- dung.24
Auf der einen Seite verpflichten die Landeshoch- schulgesetze die Hochschulen dazu, im Rahmen ihrer Aufgaben Nachhaltigkeit einschließlich Schutz des Kli- mas und Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels zu fördern.25 Auf der anderen Seite sind die Hochschulen frei in Forschung und Lehre. „Land und Hochschule stellen sicher, dass die Mitglieder der Hochschule die durch Art. 5 Absatz 3 Satz 1 des Grund- gesetzes verbürgten Grundrechte wahrnehmen kön- nen.“26 „Die Freiheit der Forschung umfasst insbesonde- re die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik, so- wie die Bewertung der Forschungsergebnisse und seine Verbreitung“.27
Letztere Regelungen schützen zu Recht die Hoch- schulen und die Wissenschaft vor unberechtigten Ein- griffen in ihre Freiheiten. Das führt aber gleichzeitig dazu, dass der Erfolg der Umsetzung des UNESCO Welt- aktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung sehr stark von der Bereitschaft der Hochschulen und ih- rer Mitglieder abhängt, sich diesem Thema aktiv zu wid-
- 24 Vgl. Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg. § 8 Rechtsnatur und Satzungsrecht.
- 25 Vgl. Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, § 2 Absatz 5.
- 26 Vgl. Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, § 3 Freiheit vonWissenschaft und Kunst, Forschung. Lehre und Studium; wissen-
men. Hier sind in den letzten Jahren große Anstrengun- gen zu beobachten gewesen. Nahezu jede große deutsche Hochschule hat in einem Nachhaltigkeitsbericht über die eigenen Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Lehre, Transfer, Betrieb und Governance und ihren ent- sprechenden Beiträgen zur Erreichung der SDGs berich- tet. Es scheint geradezu ein Wettbewerb zwischen den Hochschulen, insbesondere den Universitäten zu diesem Thema entstanden zu sein. Dies ist vor dem Hintergrund des zunehmenden Engagements aller Stakeholder (ins- besondere der Lehrenden wie Lernenden) in den Hoch- schulen beim Thema Nachhaltigkeit nicht wirklich über- raschend. Dieser Wettbewerb fördert die Transparenz über die einzelnen Aktivitäten der Hochschulen im Be- reich Nachhaltigkeit in den Segmenten Forschung, Leh- re, Transfer und Betrieb. Das unterstützt den Wettbe- werb und treibt im Ergebnis den Beitrag der Hochschu- len zur notwendigen gesellschaftlichen und wirtschaftli- chen Transformation im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv voran. Bei einem genaueren Blick auf die Nachhal- tigkeitsberichterstattung der Hochschule wird jedoch deutlich, dass hier noch Defizite bestehen.
V. Nachhaltigkeitsberichterstattung der Hochschulen im Kontext von BNE
1. Herausforderung
Der Querschnittscharakter, die Komplexität und auch Multikausalität des Themas Nachhaltigkeit stellt die Hochschulen vor große Herausforderungen bei der Berichterstattung. Jede Hochschule hat ihr eigenes Profil und Nachhaltigkeitsverständnis. Das gilt für die For- schung, die Lehre, den Transfer, den Betrieb und die Governance der Hochschulen in gleichem Maße. Zwar verpflichten die Landeshochschulgesetze die Hochschu- len zur jährlichen Berichterstattung über die Erfüllung ihrer Aufgaben und damit auch zur Berichterstattung über ihre Aktivitäten bei der Förderung der Nachhaltig- keit.28 Aber diese Verpflichtung ist allgemein gehalten und für sie existieren auch keine verbindlichen Stan- dards. Deshalb ist die Qualität der Berichterstattung sehr unterschiedlich. Auch wenn mit dem HS-DNK ein erster (unverbindlicher) Standard entwickelt wurde, ist doch zu beobachten, dass dieser sich noch nicht durchgesetzt hat und auch nicht durchgängig gleich angewendet wird. Das schränkt die Aussagekraft und damit die Vergleich-
schaftliche Redlichkeit, Absatz 1.
27 Vgl. Ebd, Absatz 2.
28 Vgl. Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, § 13 Absatz 9
Satz 2.
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barkeit der Berichte weiter ein. Trotz dieser Defizite geben Analysen der Berichterstattungen der Hochschu- len interessante Einblicke.
2. Verbesserungspotenzial bei Strategie und Lehre
Die Analyse „Hochschul-Barometer des Stifterverban- des“29 hat z.B. aufgezeigt, dass die strategische Veranke- rung des Themas Nachhaltigkeit an den Hochschulen noch Verbesserungspotenzial hat. So gibt nur ein Drittel der Hochschulen an, über eine Nachhaltigkeitsstrategie zu verfügen. Allerdings sagen auch knapp 65 %, dass eine entsprechende Strategie in Planung sei. Ebenfalls nur ein Drittel der Hochschulen gibt regelmäßig einen Nachhal- tigkeitsbericht raus. Erstaunlich ist vor diesem Hinter- grund, dass über 50 % der Hochschulen über einen Nachhaltigkeitsbeauftragten verfügt.
Interessant ist, dass bei den Hochschulen der ökolo- gischen Dimension des Themas Nachhaltigkeit die größ- te Aufmerksamkeit gegeben wird. Dabei nimmt das Energiemanagement im Bereich Betrieb eine sehr große Bedeutung ein. Vor diesem Hintergrund ist es interes- sant zu sehen, dass nur 5 % aller Hochschulen mit einem Umweltmanagementsystem EMAS zertifiziert sind.30
Bei der Formulierung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie orientieren sich rund 39 % der Hochschulen und 50 % der staatlichen Universitäten an den SDGs der UN. Al- lerdings sagen über 75 % der befragten Hochschulleitun- gen, dass die SDGs eine größere Bedeutung für die For- schung und die jeweilige Hochschule haben sollten. Hier besteht also noch eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.31
In der Lehre ist folgendes Bild zu beobachten. In den vergangenen Jahren wurde Nachhaltigkeit zum festen Bestandteil der Lehre. Das Angebot an Lehrveranstal- tungen wurde kontinuierlich ausgebaut. So gaben 80 % der befragten Hochschulen an, in den letzten drei Jahren insbesondere im Bereich der grundsätzlichen Lehre das Thema Nachhaltigkeit integriert zu haben. 25 % aller Hochschulen haben einen oder mehrere Studiengänge zum Thema Nachhaltigkeit eingerichtet. Allerdings ist auch zu sehen, dass der weitere Ausbau eher stocken wird. So planen aktuell nur 13 % aller Hochschulen wei- tere Studiengänge zum Thema Nachhaltigkeit.
- 29 Vgl. Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, www. hochschul-barometer.de, zuletzt abgerufen am 6.12.2023.
- 30 Vgl. HIS-Institut für Hochschulentwicklung e.V., Nachhaltigkeits- berichterstattung an deutschen Hochschulen, S. 1, Hannover, 2022.
- 31 Vgl. ebd.
- 32 Vgl. zu den Indikatoren und ihrer Anwendung: HIS-Institut für
3. Unzureichende Indikatoren
Zur Beurteilung der Nachhaltigkeitsaktivitäten hat sich die Verwendung von Indikatoren bewährt. In einer Ana- lyse ausgewählter Nachhaltigkeitsberichte von Hoch- schulen hat sich diesbezüglich folgendes Bild ergeben. Zunächst sind im Segment Betrieb der Hochschule die meisten Indikatoren vorhanden. Diese sind zumeist auch quantitativ messbar und deshalb gut geeignet, um Ziele und Fortschritte sichtbar zu machen. Hingegen gibt es z. B. im „Output-Bereich“ Forschung nur wenige Indikatoren und diese sind meist auch noch qualitativ definiert. In den Bereichen Governance und Transfer gibt es zwar viele Indikatoren, diese sind jedoch eben- falls in der Mehrzahl qualitativ definiert. Lediglich im Bereich Lehre ist eine ausreichende Zahl an quantitati- ven Indikatoren vorhanden, auch wenn diese, wie z.B. bei der Anzahl der Studierenden oder Lehrveranstaltun- gen mit NH-Bezug, keinen großen Erkenntnisgewinn mit sich bringen.32
VI. Fazit
• Der Handlungsbedarf zur Transformation der Wirt- schaft und Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit ist unverändert gegeben. Der politische Rahmen und die Ziele für diese notwendige Transformation sind gesetzt.
• Hochschulen haben eine besondere Verantwortung im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), um die Ziele der SDG zu erreichen.
• Aufgrund der besonderen Rechtsnatur und der garantierten wissenschaftlichen Freiheit ist ein len- kender und direkter Eingriff in die Forschung und Lehre an den Hochschulen im Bereich Nachhaltig- keit aus gutem Grund nicht möglich.
• Der Wettbewerb der Hochschulen untereinander führt aber dazu, dass sie sich im Rahmen ihrer Mög- lichkeiten intensiv mit dem Thema auseinanderset- zen und darüber proaktiv berichten.
• Allerdings gibt es insgesamt noch Nachholbedarf beim Thema BNE33. So verfügen z.B. nur 7 von 16 Bundesländer über eine konkrete BNE-Strategie. Bei den Hochschulen verfügen nur ein Drittel über
Hochschulentwicklung e.V., Nachhaltigkeitsberichterstattung an
deutschen Hochschulen, Hannover, 2022.
33 Vgl. Holst, Jorrit: Nationales Monitoring Bildung für nachhaltige
Entwicklung, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE): Auf dem Weg in den Mainstream, doch mit welcher Priorität?, Berlin, September 2023. 32 Vgl. Ebd. S. 11ff.
Zimmermann · Hochschulen und Nachhaltigkeit: Stand und Perspektiven 6 3
eine ausformulierte und dokumentierte Nachhaltig- keitsstrategie. Sowohl bei den BNE-Strategien der Länder als auch bei den Nachhaltigkeitsstrategien der Hochschulen fehlen häufig konkrete Zeitpläne, Zuständigkeiten und Indikatoren.
• Um auf dem bisher Erreichten aufbauen zu können, bedarf es also weiterer Anstrengungen. Diese erfor- dern, dass Akteure aus allen relevanten Bereichen der Politik, des Bildungssystems und Nachhaltig- keitsexperten in den weiteren Entwicklungs- und Integrationsprozess von BNE in die Hochschulland- schaft einbezogen werden. Dabei müssen die Hand- lungsfelder, Ziele, Maßnahmen, Indikatoren und
Zuständigkeiten sehr viel konkreter und verbindli- cher als bisher formuliert werden. Nur so kann die Transparenz weiter gesteigert, die Steuerung aktiv betrieben und ein weiterer messbarer Fortschritt erzielt werden.
Dr. Felix A. Zimmermann ist Inhaber und Geschäftsfüh- rer der VOIKOS Unternehmensberatung GmbH in Stuttgart, Vorstandsvorsitzender der Neuen Universi- tätsstiftung Freiburg und Lehrbeauftragter an der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakul- tät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
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