Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen prägen die deutsche Wissenschaftslandschaft. Gemeinsame Berufungen und die adäquate Ausgestaltung der sie begleitenden Berufungsverfahren sind bei diesen Kooperationen ebenso unentbehrlich wie komplex. Zur Umsetzung gemeinsamer Berufungen haben sich Modelle für die Bereitstellung und Besetzung von Professuren etabliert, die allerdings – abhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung – unterschiedliche und zahlreiche Rechtsprobleme aufwerfen.
Angesichts dieser Ausgangslage befasste sich der Verein zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts in einer zweitägigen Online-Veranstaltung am 11. und 12. Dezember 2021 mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das System der gemeinsamen Berufungen noch zukunftsfähig ist. Die ReferentInnen erörterten grundsätzliche strategische und rechtliche Fragestellungen, beleuchteten allgemeine und spezielle wichtige Probleme gemeinsamer Berufungen und Berufungsverfahren ebenso wie die Notwendigkeit und Möglichkeiten der Entwicklung und Erprobung neuer Modelle gemeinsamer Berufungen, um die Zukunftsfähigkeit des Systems gemeinsamer Forschungskoopera-tionen gewährleisten zu können.1
I. Warum gemeinsame Berufungen?
Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, führte zu Beginn seines Vortrages aus, seit Einführung des Karlsruher Modells der gemeinsamen Berufungen sei eine umfassende Kooperation zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen erblüht, die für alle Beteiligten einen Mehrwert biete, der mehr als die Summe der einzelnen Teile („Steigerung der Attraktivität der jeweiligen Hochschule“ auf der einen und „Spezialisierung der außeruniversitären Forschungseinrichtung“ auf der anderen Seite) sei. Dies werde auch im internationalen Kontext anerkannt. Zwar kennen viele Staaten gemeinsame Berufungen nicht, diese Staaten erkennen jedoch die Notwendigkeit, die „Versäulung ihres Wissenschaftssystems“ aufzubrechen.
Zusammenfassend widmete sich Kleiner der Frage, was das System der gemeinsamen Berufungen attraktiv mache. In der Leibnitz Gemeinschaft werden gemeinsame Berufungen als „Nukleus profilierter Wissenschaftsstandorte und als Instrumente verstanden, um Leuchtturmprojekte von internationaler Sichtbarkeit“ zu entwickeln. Hochschulen können durch gemeinsame Berufungen ihr Lehrangebot erweitern, Zugang zu speziellen Forschungsinfrastrukturen und zu besonderer wissenschaftlicher Expertise erhalten und dadurch ihr Forschungsprofil weiter schärfen. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gewinnen mittels gemeinsamer Berufungen frühen Kontakt zu jungen WissenschaftlerInnen, ermöglichen den eigenen WissenschaftlerInnen eine Qualifikation in der Lehre und erhalten die Möglichkeit zur internationalen Vernetzung sowie zur Betreuung von Promotionen. Im Ergebnis sei daher jede gemeinsame Berufung ein Gewinn.
Es müsse allerdings auch der Blick auf die Hürden und Hemmnisse gemeinsamer Berufungen gerichtet werden. Die zu beobachtende „gewisse Müdigkeit“ seitens der Hochschulen zur Umsetzung gemeinsamer Berufungen habe vielfältige Ursachen: Eine gemeinsame Berufung rechne sich aus finanzieller Sicht der Universität scheinbar nicht. Auch die Angst der Hochschulen vor der Besetzung „normaler“ Professuren durch außeruniversitäre ForscherInnen sei zu erkennen. Dieser Befürchtung könne aber durch eine gute Vernetzung und Einbindung wirksam begegnet werden.
Wenn die Erfolgsfaktoren (Beachtung der Schnittmenge strategischer Interessen, gemeinsames Verständnis wissenschaftlicher Qualität, Klarheit über die jeweiligen Interessen, Zuweisung von Rollen und Handlungsspielräumen durch klare Regeln sowie die Herstellung von Transparenz) und einige praktische Regeln beachtet werden, lohne sich jede gemeinsame Berufung.
Christoph Pinsdorf
Haben gemeinsame Berufungen Zukunft?
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 11. und 12. Dezember 2021
1 Eine ausführliche Version des Tagungsberichts ist auf der Internetseite des Vereins zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts e.V. unter folgendem Link zu finden: https://www.verein-wissenschaftsrecht.de/publikationen.html.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
1 3 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 3 5 — 1 4 2
2 Eine Teilbeurlaubung von BeamtInnen ist nicht in allen Bundeländer
möglich.
Gemeinsame Berufungen seien systemrelevant. Die
engen, durch Forscherpersönlichkeiten getragenen Verbindungen
seien ein wichtiger Baustein dafür, die Attraktivität
und Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts
Deutschland zu erhalten und einen wichtigen
Beitrag zur Lösung der gewaltigen Herausforderungen
unserer Zeit zu leisten.
II. Gemeinsame Berufungen als Standortfrage
Prof. Oliver Günther, Ph.D., Präsident der Universität
Potsdam, stellte zu Beginn seines Vortrages einige Fakten
zur Universität Potsdam dar: Dem Anstieg der Studierendenanzahl
um 10 % seit dem Jahr 2012 stehe ein
Personalzuwachs von 30 % gegenüber. Hervorzuheben
sei insbesondere die von 60 im Jahr 2012 auf gegenwärtig
110 gestiegene Zahl der gemeinsam berufenen ProfessorInnen.
In der Folge richtete Günther den Fokus auf die 110
gemeinsam berufenen WissenschaftlerInnen an der Universität
Potsdam, die an 31 außeruniversitären Instituten
tätig seien. Herauszustellen sei das Hasso-Plattner-Institut,
auf das 29 der 110 gemeinsamen Berufungen besonderer
Prägung entfallen. Im Ergebnis habe die Universität
Potsdam bis auf wenige Ausnahmen durchweg positive
Erfahrungen mit dem Institut der gemeinsamen Berufungen
gemacht. Die Kooperation mit den
außeruniversitären Partnern habe einen wesentlichen
Teil zum Erfolg der Universität beigetragen.
Im Folgenden ging Günther näher auf das innovative
Modell der Gründung der Digital Engineering Fakultät
ein, die gemeinsam vom Hasso-Plattner-Institut und der
Universität Potsdam getragen werde. Möglich sei die
Gründung dieser Fakultät erst aufgrund des deutschlandweit
einzigartigen § 71 Abs. 4 des Brandenburgischen
Hochschulgesetzes (BbgHG) geworden.
In seiner Schlussbetrachtung betonte Günther, das
von der Universität Potsdam „sehr intensiv und sehr gerne“
genutzte Institut der gemeinsamen Berufungen als
Strukturmodell habe geholfen, als größte und forschungsstärkste
Universität des Landes Brandenburg
noch sichtbarer zu werden. Ein starker externer Partner
seien Prof. Hasso Plattner und seine Stiftung, die die Einrichtung
eines international sichtbaren Schwerpunkts
ermöglichen.
Nicht verschweigen dürfe man allerdings auch die
Herausforderungen bei gemeinsamen Berufungen: So
sei zu beklagen, dass es immer noch zahlreiche wissenschaftliche
Publikationen aus den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen mit gemeinsam berufenen
WissenschaftlerInnen gebe, auf denen die Universität
nicht als Affiliation aufgeführt sei. Weiterhin sei das Problem
der Rückfälle zu benennen. Auch das Tenure-
Track-Modell stelle eine Herausforderung, insbesondere
im Bereich der arbeitsvertraglichen Unterlegung und
Ausgestaltung des jeweils gewählten Berufungsmodells,
dar.
III. Modelle gemeinsamer Berufungen
Manfred Nettekoven, Kanzler der Rheinisch-Westfälischen
Technischen Hochschule Aachen (RWTH
Aachen), stellte in seinem Vortrag die Modelle der
gemeinsamen Berufungen vor. Eingangs beschrieb er die
zentrale Strategie der RWTH Aachen, bis zum Jahr 2030
qualitatives Wachstum zu erzeugen. An der RWTH
Aachen werde bereits fünf Jahre vor der Neubesetzung
einer Professur geplant, welcher – auch interdisziplinären
– Strukturen es bedarf, um die frei werdende Professur
möglichst sinnhaft zu besetzen. Dabei gehe man von
vier Gruppen von Berufungen aus: den „Leuchtturm-
Berufungen“, den „Nachwuchs-Tenure-Berufungen“,
den „Gemeinsamen Berufungen mit außeruniversitären
Forschungseinrichtungen“ und den „Fakultätsübergreifenden
Berufungen ohne Planungen“.
Sodann lenkte Nettekoven den Blick auf die einzelnen,
von der RWTH Aachen bei der Umsetzung der vorstehenden
Strategie eingesetzten Berufungsmodelle. Zunächst
beschrieb er ausführlich die Strukturen, Merkmale
und Unterschiede des Jülicher, Berliner und Karlsruher
Modells.
Ausschlaggebend für die künftig vermehrte Anwendung
des sogenannten Aachener Modells an der RWTH
Aachen sei auch die Problematik der drohenden Umsatzbesteuerung
im Berliner Modell. Das Aachener Modell
beruhe auf § 39b Abs. 3 des Hochschulgesetzes des
Landes Nordrhein-Westfalen (HG NRW). Hiernach
könne die Hochschule im Rahmen einer gemeinsamen
Berufung die HochschullehrerInnen ohne Bezüge beurlauben.
Die Beurlaubung könne auch – das unterscheide
das Aachener vom Jülicher Modell – in geringerem
Maße als dem vollen Umfang erfolgen.2 Auch bei der
Teilbeurlaubung behalten die Berufenen die vollen universitären
Rechte und Pflichten. Die Vergütung erfolge
durch die Universität entsprechend dem jeweiligen Stellenumfang.
Die teilbeurlaubten ProfessorInnen werden
Pinsdorf · Haben gemeinsame Berufungen Zukunft? 1 3 7
3 OVG Münster, Urteil vom 17.06.2019 – 6 A 1134/17, Rn. 77.
im Umfang der Beurlaubung für eine außeruniversitäre
Forschungseinrichtung im Rahmen eines privatrechtlichen
Arbeitsvertrages tätig. Die außeruniversitäre Forschungseinrichtung
übernehme nicht nur die Vergütung
für die an ihr geleistete Tätigkeit, sondern zahle auch einen
Versorgungszuschlag. Im Regelfall stelle zukünftig
eine Berufung in Nebentätigkeit oder verstärkt nach
dem Aachener Modell im Vergleich zu einer Berufung
im Jülicher Modell die bessere Lösung dar, um die Berufenen
stärker an die Universität zu binden.
Aufwändiger als im Jülicher Modell gestalte sich eine
gemeinsame Berufung im Aachener Modell allerdings
hinsichtlich der Gewährung der Ausstattung: Dabei
könne sowohl eine eigene Ausstattung an der Universität
(dem Stellenanteil entsprechend) als auch eine eigene
Ausstattung an der außeruniversitären Forschungseinrichtung
vereinbart werden. Zwar sei eine Anbindung an
beide Institutionen teurer, die Hochschule gewinne aber
an Profil.
Nettekoven äußerte die Auffassung, es werde auch
weiterhin Berufungen nach dem Karlsruher Modell geben.
Das Karlsruher Modell leide jedoch an der Schwierigkeit,
begründen zu können, dass sich die Leitung eines
Forschungsinstituts in Nebentätigkeit meistern lasse.
Hier biete sich zur Lösung des geschilderten Problems
die Einführung eines Co-Leistungsmodells an. Die
RWTH Aachen wolle in Zukunft nicht mehr nach dem
in der Praxis aufwändig umzusetzenden Berliner Modell
gemeinsam berufen, sondern auf das Aachener Modell
zurückgreifen, mit dem man – wie beim Berliner Modell
– gewährleisten könne, dass den Berufenen Rechte und
Pflichten sowohl an der Universität als auch an der außeruniversitären
Forschungseinrichtung eingeräumt
bzw. auferlegt werden.
IV. Gestaltung gemeinsamer Berufungsverfahren
(Teil I)
Prof. Dr. Klaus Herrmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht
bei Dombert Rechtsanwälte, berichtete über die
Mühen der Ebene der komplexen und an manchen Stellen
überkomplexen gemeinsamen Berufungen. Er machte
klar, dass überall dort, wo öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse
begründet werden, der Dienstherr ein Auswahlverfahren
eröffnen müsse, das den
Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber verfahrensmäßig
absichere.3 Mithin seien die staatlichen
Hochschulen an die Pflicht zur Ausschreibung der zu
vergebenden Stellen und an das Gebot der Bestenauslese
aus Art. 33 Abs. 2 GG gebunden.
Am Beispiel des § 38 Abs. 1 des HG NRW stellte Herrmann
anschließend heraus, dass die Stellen für ProfessorInnen
im Hochschulbereich regelmäßig öffentlich auszuschreiben
seien. Auf die Ausschreibung könne lediglich
in den abschließend geregelten – von Herrmann näher
beleuchteten – Ausnahmefällen des § 38 Abs. 1 S. 3
Nr. 1 — 5 HG NRW verzichtet werden.
Fraglich sei, ob die Aufgaben, die gemeinsam Berufene
neben ihren gesetzlichen universitären Aufgaben an
außeruniversitären Forschungseinrichtungen wahrnehmen,
ihrerseits gesetzlich verankert werden müssen.
Entsprechende Bemühungen zu Verankerungen finden
sich nunmehr in § 50 Abs. 11 des Hochschulgesetzes
Rheinland-Pfalz (HochSchG RP), § 39b HG NRW und
§ 97 Abs. 2 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG).
Ohne eine gesetzliche Verankerung im vorgenannten
Sinne reiche ein bloßer Hinweis im Ausschreibungstext,
dass die Möglichkeit bestehe, neben den gesetzlichen
Dienstaufgaben auch Fach- und Führungsaufgaben an
einer außeruniversitären Forschungseinrichtung wahrzunehmen,
nicht aus, um Rechte und Pflichten zur
Wahrnehmung der Fach- und Führungsaufgaben zu
begründen.
Sodann setzte sich Herrmann mit den Voraussetzungen
der Rufentscheidung auseinander. Es sei zumindest
fraglich, ob die Ernennung unter die Bedingung gestellt
werden dürfe, dass sich die BewerberInnen und die außeruniversitären
Forschungseinrichtung einig werden.
Es müsse dringend eine gesetzliche Regelung für die Folgen
eines Scheiterns der Berufungsverhandlungen der
BewerberInnen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen
geschaffen werden.
Problematisch sei insbesondere die Frage, wie die
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen
bei Entscheidungen über die Evaluierung
von lediglich befristet eingestellten Bewerbern zusammenwirken,
wenn man bedenke, dass sich eine Hochschule
regelmäßig nur schwer ein Bild von den zu Evaluierenden
machen könne, die fast die gesamte Befristungszeit
vornehmlich an der außeruniversitären Forschungseinrichtung
tätig geworden seien. Insgesamt sei
– vor allem um dem Bewerbungsverfahrensanspruch
der BewerberInnen auf eine diskriminierungsfreie Entscheidung
gerecht zu werden – an der Ausgestaltung gemeinsamer
Berufungsverfahren manches verbesserungswürdig
und ‑fähig.
In den Berufungsverfahren sei ein Vergleich der Leistungen
der BewerberInnen anzustellen, bei dem die in
einem Berufungsverfahren für eine ausgeschriebene
Professur geltenden Anforderungen zu Grunde zu legen
1 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 3 5 — 1 4 2
4 DFG-Hinweise 10.201 – 4/10.
5 Sog. „doppelte Mehrheit“ (vgl. Art. 18 Abs. 4 S. 2 BayHSchPG);
vgl. auch BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und
325/72, BVerfGE 35, 79 ff. (Hochschulurteil).
6 Vgl. etwa VG Hannover, Beschluss vom 19.06.2003 – 6 B 2398/03
oder HmbOVG, Beschluss vom 09.10.1998 – 1 Bs 214/98.
7 OVG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2007 – 2 B 10825/07, unter
Berufung auf Krüger/Leuze in: Geis (Hg.), Hochschulrecht in
Bund und Ländern, Bd. 1, 2000, § 45 HRG Rn. 22.
8 BVerwG, Urteil vom 30.05.1984 – 4 C 58.81; VG Düsseldorf,
Urteil vom 03.12.2015 – 15 K 7734/13.
9 OVG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2007 – 2 E 1024/07; OVG
Greifswald, Beschluss vom 21.04.2010 – 2 M 4/10.
10 Vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG.
seien. Daher dürfe auch in gemeinsamen Berufungsverfahren
nicht ausschließlich auf diejenigen Anforderungen
abgestellt werden, die für die Leitung einer außeruniversitären
Forschungseinrichtung notwendig seien.
Zunehmend rücken auch die gemeinsamen Berufungskommissionen
in den Fokus der Gerichte. Finde
sich im Landesrecht keine dem § 40 Abs. 9 des BbgHG
entsprechende Regelung bzw. keine Regelung, nach der
der Fakultätsrat die durch die außeruniversitäre Forschungseinrichtung
bestimmten Mitglieder der Berufungskommission
bestätige, müsse die jeweilige Hochschule
die richtige Zusammensetzung der Berufungskommissionen
sicherstellen und etwa die Zuordnung
externer Mitglieder zu den Hochschulgruppen
beachten.
V. Gestaltung gemeinsamer Berufungen (Teil II)
Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Lehrstuhlinhaber an der
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs,
fokussierte sich auf das Problemfeld der Gestaltung von
Berufungsverfahren im Bereich der Zusammensetzung
von Berufungsausschüssen mit Schwerpunkt auf die
Problematik der Befangenheit der Ausschussmitglieder.
Geis stellte zunächst die für die Zusammensetzung
und das Verfahren von Berufungsausschüssen anwendbaren
Rechtsquellen dar. Regelmäßig sei das gemeinsame
Berufungsverfahren ein Verwaltungsverfahren. Mithin
finde das (Landes-)Verwaltungsverfahrensgesetz
(VwVfG) des Sitzlandes der ernennenden Hochschule
Anwendung. Die Hinweise der Deutschen Forschungsgemeinschaft4,
in welchen Fällen Entscheidungen im
Hochschulbereich wegen Befangenheit anfechtbar seien,
entfalten keine unmittelbare Rechtswirkung. Sie seien als
Empfehlungen zu verstehen. Die jeweiligen Hochschulsatzungen,
insbesondere die Berufungsordnungen, seien
allerdings als ergänzende Rechtsquellen heranzuziehen.
Da es sich bei Berufungsausschüssen um Ausschüsse
gem. § 88 VwVfG handele, finde subsidiär das in den
§§ 88 — 93 VwVfG geregelte Recht der Ausschüsse Anwendung,
soweit Rechtsvorschriften nichts Abweichendes
bestimmen. Die Landeshochschulgesetze (bzw. im
Rahmen einer Ermächtigung die Grundordnungen)
können z. B. – auch für gemeinsame Berufungen – abweichende
Sonderregelungen hinsichtlich der Wahl des
Vorsitzenden, der Beschlussfähigkeit von Berufungsschüssen5
oder des Inhalts der anzufertigenden Niederschriften
der Ergebnisse von Ausschusssitzungen
vorsehen.
Sodann stellte Geis den abschließenden Katalog der
Gründe für einen Ausschluss vom Verwaltungsverfahren
kraft Gesetzes gem. § 20 Abs. 1, 5 VwVfG dar. Hiernach
seien insbesondere die in § 20 Abs. 5 VwVfG aufgeführten
Angehörigen, Geschiedene, Pflegeeltern und
-kinder auch im Fall des Erlöschens der Verwandtschaftsverhältnisse
nach einer Adoption kraft Gesetzes
ausgeschlossen. Die DFG-Hinweise 10.201 – 4/10 können
lediglich als Auslegungshilfe bei der Einschätzung
der Frage herangezogen werden, ob ein Grund vorliege,
der geeignet sei, Misstrauen gegen die unparteiische
Amtsführung zu rechtfertigen.
Anschließend machte Geis auf zahlreiche Einzelfallgestaltungen
aufmerksam, in denen unter den besonderen
Umständen der jeweiligen „Scientific Community“
ein die Besorgnis der Befangenheit begründendes (besonderes)
Näheverhältnis angenommen werden könne
bzw. ein solches abzulehnen sei.6 Insbesondere die Auffassung,
nach der ehemalige Betreuende als externe Gutachterinnen
und Gutachter zuzulassen seien, weil sie
vertiefte Kenntnis der Kandidatinnen und Kandidaten
haben,7 sei im Sinne der akademischen „Hygiene“ eindeutig
abzulehnen.
Wenn der Grund für die Besorgnis der Befangenheit
im Laufe des Berufungsverfahrens wieder wegfalle, spreche
§ 20 Abs. 4 S. 4 VwVfG dafür, dass ein Ausschluss für
das gesamte Verfahren gelte, wenn dieser einmal festgestellt
worden sei.8 Vermute ein Bewerber bzw. eine Bewerberin
die Besorgnis der Befangenheit, rüge dies aber
nicht, so verwirke der Bewerber bzw. die Bewerberin
entgegen der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung9
sein bzw. ihr Rügerecht nicht analog § 71 Abs. 3
VwVfG. Sei ein Ausschluss wegen der Besorgnis einer
Befangenheit nicht erfolgt, führe das Tätigwerden der
Befangenen an den Beratungen und offenen Abstimmungen
stets zur Rechtswidrigkeit. Eine Heilung dieses
Fehlers sei lediglich durch eine Nachnominierung, eine
neue Sitzung und erneute Beschlussfassung möglich.10
Sei hingegen ein Ausschluss erfolgt, der unbegründet gePinsdorf
· Haben gemeinsame Berufungen Zukunft? 1 3 9
11 Vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BeamtVG.
12 Vgl. § 38 Abs. 9 LBesG BW, § 2 Abs. 4 LBesG Berlin, § 35 Abs. 5
BbgBesG, § 78 Abs. 1 S. 7 HmbBesG, Art. 13 Abs. 1 S. 4 BayBeamtVG;
ohne Regelung bisher z. B. Bremen und Thüringen.
13 Zum „kleinen bzw. großen erweiterten Gewährleistungsbescheid“:
vgl. RdErl. d. Finanzministeriums NRW — B 6028 — 3.4 IV
- v. 16.11.2012.
14 Vgl. RdErl. d. Finanzministeriums NRW — B 6028 — 3.4 IV — v.
16.11.2012 Anlage II (Muster für eine große erweiternde Gewährleistungsentscheidung).
wesen sei, so führe dieser Ausschluss nicht zu einer
Rechtswidrigkeit der Entscheidung, da sich keine Beeinträchtigung
der Objektivität der verbliebenen Ausschussmitglieder
und der Entscheidungsfindung feststellen
lassen könne.
VI. Gemeinsame Berufungen – Ausgewählte Problemstellungen
der Besoldung, Vergütung, Versorgung
Dr. Vanessa Adam, Rechtsanwältin und Justitiarin beim
Deutschen Hochschulverband, lenkte den Fokus auf
gemeinsame Berufungen aus Sicht der Rechtspraxis.
Adam begann mit der Analyse ausgewählter Praxisprobleme
im Jülicher Modell. Die besoldungs‑, versorgungs‑,
aber auch beihilferechtlichen Probleme des Jülicher
Modells verdeutlichte sie anhand der Vertragsverhältnisse
im Dreiecksverhältnis zwischen
– der Hochschule und den ProfessorInnen (Berufungsvereinbarung),
– den ProfessorInnen und der außeruniversitären
Forschungseinrichtung (Abschluss eines Angestelltenvertrages)
sowie
– der außeruniversitären Forschungseinrichtung und
der Hochschule (Kooperationsvertrag zur gemeinsamen
Berufung).
In der Praxis zeige sich häufig ein Auseinanderlaufen
der Besoldung in der Berufungsvereinbarung und der
Vergütung durch die außeruniversitäre Forschungseinrichtung.
Ideal sei es daher, bei gemeinsamen Berufungen
gleichlaufende Angebote zumindest hinsichtlich der
Gesamtsumme der Besoldung bzw. Vergütung zu
unterbreiten.
Adam stellte anschließend die versorgungsrechtliche
Situation der im Jülicher Modell Berufenen dar: Ruhegehaltfähig
sei die Zeit der Beurlaubung ohne Dienstbezüge
nur, wenn unter anderem ein Versorgungszuschlag
für die Dauer der Beurlaubung gezahlt werde.11 Ein für
die Ruhegehaltfähigkeit von Leistungsbezügen vorausgesetzter
Bezug von unbefristeten Leistungsbezügen bedarf
einer Gewährung durch den beamtenrechtlichen
Dienstherrn und nicht durch die außeruniversitäre Forschungseinrichtung.
Dieses Problem habe inzwischen
eine Vielzahl von Ländern erkannt und explizit geregelt,
dass von der Hochschule festgesetzte Leistungsbezüge
im Falle von gemeinsamen Berufungen mit einer außeruniversitären
Forschungseinrichtung bei einer Beurlaubung
ohne Dienstbezüge ruhegehaltfähig seien, soweit
dafür ein entsprechender Versorgungszuschlag entrichtet
werde.12
Beurlaubte ProfessorInnen seien nicht automatisch
alleine aufgrund des Bestehens eines Beamtenverhältnisses
von der Sozialversicherungspflicht befreit. Eine Befreiung
von der Sozialversicherungspflicht in der Beschäftigung
beim außeruniversitären Forschungsinstitut
könne durch einen Gewährleistungsbescheid seitens des
beurlaubenden Dienstherrn erwirkt werden.13 Insbesondere
solle darüber nachgedacht werden, dem Beispiel
Nordrhein-Westfalens folgend, in den „großen Gewährleistungsbescheid“
eine Rücknahmeerklärung des
Dienstherrn mitaufzunehmen, um eine unabgesicherte
Situation für die beurlaubten BeamtInnen zu
vermeiden.14
Praxisrelevant sei im Berliner Modell insbesondere
die Frage, wie man sicher bewerten könne, dass die für
eine Weitergewährung besonderer Leistungsbezüge vorausgesetzten
besonderen Leistungen tatsächlich erbracht
wurden. Im Idealfall sollten daher nicht nur klarstellende
Regelungen im Kooperationsvertrag zwischen Hochschule
und außeruniversitärer Forschungseinrichtung,
sondern auch im Satzungsrecht der Hochschule getroffen
werden, nach denen dem außeruniversitären Forschungsinstitut
das Recht der Mitwirkung zur Bewertung
der Leistungen zugestanden werde.
Die Gewährung von Funktionsleistungsbezügen sei
in vielen Ländern nicht für die Wahrnehmung von
Funktionen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen
möglich. Diesem Problem könne durch weiter
gefasste Regelungen, wie sie in Hessen (§ 5 Abs. 1 S. 2
HessBesG), Berlin (§ 3 Abs. 8 S. 5 LBesG Berlin) oder
Sachsen (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 SächsBesG) zu finden seien,
entgegengewirkt werden.
Das Landesrecht fordere regelmäßig für die Gewährung
von Forschungs- und Lehrzulagen die Einwerbung
von Mitteln privater Dritter für Forschungsvorhaben der
Hochschule, nicht aber für Forschungsvorhaben außerhalb
der Hochschule. Als ideal zur Lösung dieses Problems
stufte Adam die in Berlin in § 3 Abs. 7 S. 2 LBesG
1 4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 3 5 — 1 4 2
15 Vgl. aber z. B. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Hochschulnebentätigkeitsverordnung
Nordrhein-Westfalen (HNtV).
16 Ad-hoc-Arbeitsgruppe “Gemeinsame Berufungen” des Ausschusses
der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, Gemeinsame
Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische
Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung
– vom 04.02.2014, Heft 37.
17 BMF-Schreiben an das Sekretariat der Kultusministerkonferenz
vom 26.11.2020, III C 2 – S 7107/19/10005 :015.
normierte Ausnahme ein.
Schließlich richtete Adam das Augenmerk auf ausgewählte
Praxisprobleme im Karlsruher Modell. Das Karlsruher
Modell stoße an die Grenzen dessen, was das Nebentätigkeitrecht
der Länder zulasse. Problematisch sei
insbesondere, dass im Nebentätigkeitsrecht die sogenannte
Fünftelvermutung gelte. Da die Fünftelvermutung
aber eine Regelvermutung sei, seien sachlich begründete
Ausnahmen zulässig. Zudem unterliegen die
Einkünfte aus Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst
oder im diesem gleich gestellten Dienst regelmäßig einer
Ablieferungspflicht an den Dienstherrn, wenn die Einkünfte
eine bestimmte Höchstgrenze übersteigen. Im
Nebentätigkeitsrecht sei regelmäßig keine Ausnahme
von der Ablieferungspflicht für Einkünfte aus einer Leitungstätigkeit
an einem außerordentlichen Forschungsinstitut
normiert.15
VII. Gemeinsame Berufungen und steuerrechtliche
Auswirkungen
Christine von Vangerow, Vizepräsidentin für Personal
und Recht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT),
beleuchtete in ihrem Vortrag die gemeinsamen Berufungen
vor allem aus dem Blickwinkel des Umsatzsteuerrechts.
Zunächst stellte sie unter Bezugnahme auf ein
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
die Definition des BMF zum Begriff der gemeinsamen
Berufungen dar. Diese Definition unterscheide sich signifikant
von der Sichtweise der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz.
16 Die unterschiedlichen Blickwinkel
des BMF und der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
auf gemeinsame Berufungen bieten Anlass zu einer
unterschiedlichen steuerrechtlichen Bewertung.
Die Finanzämter nehmen vor allem bei gemeinsamen
Berufungen im Berliner Modell eine Umsatzsteuerpflicht
an. Das Steuerrecht streue zunehmend Sand in
das Getriebe einer Verzahnung der Wissenschaftssysteme.
Es sei daher sehr herausfordernd für die Forschungspartner,
die Risiken gemeinsamer Berufungen zu erkennen
und die Verträge rechtssicher zu gestalten.
Nach der aktuellen Rechtslage seien Universitäten als
juristische Personen des öffentlichen Rechts steuerpflichtig,
wenn sie unternehmerisch tätig seien. Eine juristische
Person des öffentlichen Rechts sei grundsätzlich
als Unternehmer anzusehen, wenn sie selbständig
eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen
(wirtschaftliche Tätigkeit) oder diese Tätigkeit im Rahmen
eines Betriebes gewerblicher Art (BgA) ausübe. Sei
die außeruniversitäre Forschungseinrichtung, bei der
das Personal eingesetzt werde, privatrechtlich organisiert,
so müsse es – anders als im Einzelfall bei einer öffentlich-
rechtlich organisierten außeruniversitären Forschungseinrichtung
– als irrelevant betrachtet werden,
in welchem Bereich das Personal eingesetzt werde: Es
liege stets ein umsatzsteuerrechtlich relevanter Leistungsaustausch
vor. Mit Ablauf der bis zum 31.12.2022
geltenden Übergangsfrist bewirke der ab dem 01.01.2023
anzuwendende § 2b UStG allerdings eine deutliche Veränderung
der umsatzsteuerrechtlichen Situation.
Die im Jülicher Modell an die Universitäten zu zahlenden
Versorgungszuschläge seien von den Betriebsprüfern
als ein umsatzsteuerbarer und umsatzsteuerpflichtiger
Leistungsaustausch zwischen der Hochschule
und der außeruniversitären Forschungseinrichtung qualifiziert
worden. Das BMF habe im Jahr 2020 einen Lösungsansatz
skizziert,17 nach dem der gezahlte Versorgungszuschlag
dann eine Leistung der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen an die gemeinsam Berufenen
sei, mithin nicht als umsatzsteuerrechtlich relevante
Zahlung an die Hochschule oder das Land zu bewerten
sei, wenn sich insbesondere im Arbeitsvertrag der Berufenen
mit der außeruniversitären Forschungseinrichtung
die Vereinbarung finde, das Gehalt der Berufenen
„zuzüglich des Versorgungszuschlages zu bezahlen“.
Anschließend widmete sich von Vangerow der Frage
der Umsatzsteuerpflicht von Universitäten, wenn die gemeinsamen
Berufungen nach dem Berliner Modell ausgestaltet
sind. Eingehend stellte sie zunächst die Argumente
der Allianz der Wissenschaftsorganisationen vor.
In seinem Antwortschreiben habe sich das BMF mit diesen
Argumenten detailliert auseinandergesetzt, diese
aber als unbeachtlich qualifiziert. Im Ergebnis liege im
Fall der Gestellung von HochschullehrerInnnen gegen
eine Personalkostenerstattung eine Unternehmereigenschaft
vor, da ein Leistungsaustausch gegen Entgelt stattfinde.
Das BMF habe darauf hingewiesen, dass es mit der
Anwendung des § 2b UStG nicht mehr darauf ankomme,
ob die Personalgestellung im Rahmen eines Betriebes
gewerblicher Art erfolge und daher empfohlen, ein gePinsdorf
· Haben gemeinsame Berufungen Zukunft? 1 4 1
meinsames Berufungsmodell zu wählen, das sich steuerrechtlich
nicht auswirke.
Im Einzelfall müsse aufgrund der dargestellten steuerrechtlichen
Situation stets eruiert werden, wie durch
eine gemeinsame Berufung ein Mehrwert generiert werden
könne, ohne rechtlichen Unsicherheiten ausgesetzt
zu sein. Möglicherweise sei ein Weg einzuschlagen, bei
dem wissenschaftliche Kooperation verstärkt über die
Einrichtung von außerplanmäßigen Professuren
stattfinde.
VIII. Gemeinsame Berufungen – Vom Titular-Instrument
zum strategisch-inhaltlichen Konnektiv
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender
des Forschungszentrums Jülich sowie Vize-Präsident
und Koordinator des Forschungsbereichs Information
der Helmholtz Gemeinschaft, stellte im letzten Vortrag
der Tagung die Perspektiven gemeinsamer Berufungen
dar.
Aus wissenschaftspolitischer Sicht gelte es als gemeinsames
Ziel, der Fragmentierung des föderalen Wissenschaftssystems
entgegenzuwirken und die Vorteile
sowohl der universitären als auch der außeruniversitären
Sphäre produktiv und synergetisch zu vereinen. Gemeinsame
Berufungen bündeln das Beste aus beiden
funktionalen Sphären in personenbezogener Kooperation,
um international konkurrenzfähige Voraussetzungen
für Spitzenforschung zu schaffen und nicht zuletzt
attraktive Entwicklungs- und Karriereperspektiven für
NachwuchswissenschaftlerInnen zu gewährleisten.
Wesentlich seien vor allem die Fragen,
– ob gemeinsame Berufungen tatsächlich ein zielführendes
Instrument zur Stärkung der Kooperation
zwischen den außeruniversitären Forschungseinrichtungen
und den Universitäten seien oder lediglich
als Vehikel genutzt werden, um den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen einen Zugang
zu den Funktionalitäten einer Professur zu verschaffen,
– auf welchem Hierarchie- bzw. Karriereniveau
gemeinsame Berufungen sinnvoll und zielführend
seien, insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen
Zielbilder der Stufen der W‑Besoldung, und
– mit welchen Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren
sich gemeinsame Berufungen vom Titularzum
wirksamen Kooperationsinstrument entwickeln
lassen.
Aus der Perspektive der Wissenschaftspolitik müsse
eine ausgewogene Interessenbalance zwischen den Interessen
der Universitäten und der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen hergestellt werden. Der Wissenschaftsrat
habe daher im Jahr 2013 die Empfehlungen
und Leitbedingungen für gemeinsame Berufungen zur
Förderung vielfältiger partnerschaftlicher Kooperationen
entwickelt. In diesen schlage er vor, gemeinsame Berufungen
als „Doppelberufungen“ auszugestalten.18
Leitbedingung für Doppelberufungen sei vor allem eine
echte Doppelzugehörigkeit der berufenen Person zu beiden
Einrichtungen, inklusive aller damit einhergehenden
Rechte und Pflichten. Weitere Leitbedingungen seien
die Gewährung einer den spezifischen Aufgaben angemessenen
institutionellen Ausstattung an beiden Einrichtungen
sowie nicht zuletzt eine Zurechnung der
erbrachten Leistungen auf die Einrichtungen, an denen
sie tatsächlich erbracht werden.
Bei der Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrats
zur Herstellung der Interessenbalance müsse
darauf geachtet werden, einen breiten Auflagepunkt
durch die Verständigung auf verbindliche Rahmenbedingungen
zu schaffen. Besonders geeignet, die anvisierte
Balance herbeizuführen, seien die hybriden Modelle
gemeinsamer Berufungen (hybrides Berliner Modell in
Gestalt eines Teilerstattungsmodells, Aachener Modell
als Teilbeurlaubungsmodell und Karlsruher Modell als
Nebentätigkeitsmodell). Attraktiv bei den hybriden Modellen
sei insbesondere der Umstand, dass auf beiden
Seiten eine Ausstattung vorhanden sei. Vielversprechend
sei vor allem das Aachener Modell nach § 39b HG NRW
(Teilbeurlaubungsmodell), dessen Wirksamkeit es auszutesten
gelte, bevor in eine Diskussion über neue Modelle
gemeinsamer Berufungen eingestiegen werde.
Neuer Modelle bedürfe es daher nicht.
Da man sich für die richtige Umsetzung einer erfolgreichen
gemeinsamen Berufung mit dem Ziel, die „besten
Köpfe gemeinsam zu gewinnen und zu halten“, der
unterschiedlichen Ausgestaltung der „W‑Stufen“ in der
W‑Besoldung bewusst werden müsse, gab Marquardt einen
detaillierten Überblick über die Zielbilder sowie die
strategische Bedeutung der drei „W‑Stufen“. Im Ergebnis
seien vor allem W3-Professuren profilbildend und von
höchster strategischer Bedeutung. Vor allem diese Berufungen
schaffen den Wert für eine Profilierung nicht nur
der Universität und der außeruniversitären Forschungseinrichtung,
sondern auch des jeweiligen regionalen
Standorts. Bei der gemeinsamen Berufung der „Top-
18 Vgl. Wissenschaftsrat, Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems,
Drs. 3228 – 13, S. 15, Braunschweig, 12.07.2013.
1 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 3 5 — 1 4 2
WissenschaftlerInnen“ sah Marquardt die hybriden
(Teilbeurlaubungs-)Modelle als Mittel der Wahl an. Bei
den gemeinsamen Berufungen auf W2-Professsuren verbleibe
allerdings wenig Raum für die Anwendung der
hybriden Modelle. Hier sei eher das „klassische Jülicher
Modell“ geeignet. Auch bei den W1-Berufungen, deren
strategische Bedeutung nicht unterschätzt werden dürfe,
erkannte er keinen Raum für die Etablierung der hybriden
Modelle.
Marquardt machte eine Vielzahl von Vorteilen hybrider
(Teilbeurlaubungs-)Modelle bei gemeinsamen Tenure-
Track-Berufungen aus: Hierdurch könne man nicht
nur eine echte Alternative zu „up or out“ etablieren, sondern
vor allem auch Flexibilität für die Berufenen und
die berufenden Institutionen schaffen, indem auf den
möglicherweise geänderten Bedarf der Universität und
der Berufenen eingegangen werden könne.
Eine Vielfalt an Berufungsmodellen sei grundsätzlich
funktional, auch wenn nicht alle Modelle gleichermaßen
notwendig sein mögen. Die derzeit angewandten Modelle
müssen daher von Wissenschaft und Politik weiter erprobt
und fortentwickelt werden. In diesem Entwicklungsprozess
versprechen insbesondere die hybriden
(Teilbeurlaubungs-)Modelle, mit deren Anwendung jedoch
weitere Erfahrungen gewonnen werden müssen,
ein Agieren der Partner auf Augenhöhe und das Erreichen
eines Interessenausgleichs.
Christoph Pinsdorf ist bei der Generalzolldirektion im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen
und beim Deutschen Hochschulverband als wissenschaftlicher
Mitarbeiter tätig.